Winter

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Armageddon, die Suche nach Eden

Band 7

Winter

© 2013 Begedia Verlag

© 2013 Dave Nocturn / Han Gartner

ISBN: 978-3-95777-019-6 (epub)

Idee und Exposé: D. J. Franzen

Umschlagbild: Lothar Bauer

Layout und Satz: Begedia Verlag

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http://verlag.begedia.de

Nachdem die Pilger die Hölle von Schwarmstein hinter sich gelassen haben, erreichen sie endlich die »Suite 12/26«, in der sie überwintern wollen. Doch der ehemalige Kommandobunker und letzte bekannte Rückzugsort der NATO, an dem die Pilger eine Chance sehen, die folgenden Monate zu überleben, ist bereits bewohnt. Den Menschen um Jörg und Sandra bleibt nichts anderes übrig, als sich mit den dort Lebenden zu verbünden, wenn sie überleben wollen.

Denn der Herbst ist bereits den ersten Boten der Kälte gewichen. Es wird …

… Winter

Kapitel I

Wunder gibt es immer wieder

Liebes Tagebuch. Oh Mann, das klingt, als wäre ich ein schwärmerischer Backfisch. Es klingt nach … Normalität, nach einer Welt, die gestorben ist und nicht wiederkehrte, so wie die Menschen jetzt. Also: Liebes Tagebuch, etwas Wunderbares ist geschehen. Für einen kurzen Moment habe ich mir erlaubt, an eine Zukunft zu glauben. Kurz nur, aber es war ein Glücksgefühl, das so hell leuchtete wie die Sonne. So stelle ich mir vor, dass es Timothy Leary nach seiner Entdeckung ging.

»Meinst du, ihm ist etwas passiert?«, fragte Sandra.

Martin betrachtete einen Moment lang ihr Gesicht. »Du hast Angst um ihn, oder?«

Sie nickte zögerlich.

Das Nicken tat ihm weh, hämmerte auf sein Herz und schmiedete die Eifersucht darin. Er schüttelte den Kopf. »Nein, glaube ich nicht. Er ist nur vorsichtig. Ich weiß zwar nicht viel über Bunker, aber ich kann mir vorstellen, dass es ausreichend Sicherungsmaßnahmen gibt, die nicht einfach auszuschalten sind.«

Sandra zog die Schultern hoch und starrte weiter durch die Frontscheibe des Busses auf die verlassen daliegende Straße, die zum Bunkereingang führte. Jörg war scheinbar seit Ewigkeiten unterwegs und hatte sich bisher noch nicht gemeldet.

Martin sah auf Sandra hinab und fragte sich, ob sie um ihn auch solche Angst hätte, wenn er da draußen wäre und sich auf unbekanntes und potentiell lebensgefährliches Terrain begeben würde. Irgendetwas war geschehen, während er im Koma gelegen hatte – etwas, das offensichtlich die Beziehungen zwischen ihm und Sandra, so schwach sie auch gewesen war, aufgelöst hatte. Jörg war offensichtlich ihr neuer Favorit. Martin schnaubte.

»Was ist?« Sandra schreckte aus ihrem Brüten auf.

»Nichts!«, stieß Martin hervor. »Gar nichts.«

»Du hast doch was!«

»Nein. Mir ist nur ein Gedanke gekommen: Glaubst du, in dem Bunker gibt es ein anständiges Bier?«

»Ich hoffe eher auf eine ordentliche Dusche – oder sogar eine Badewanne.«

»Frauen!«

»Bitte? Ich habe dich nicht verstanden«, sagte Sandra mit einer Hand hinter einem Ohr und einem leichten Lächeln auf den Lippen.

Martin grunzte und starrte angestrengt auf das graue Betonband vor ihnen. Jörg war nicht zu sehen, kein Laut drang durch die halb geöffnete Bustür.

»Komm endlich, Soldat. Wir warten auf dich«, murmelte Martin.

***

Jörg hatte sich auf dem abschüssigen Untergrund langsam vorgearbeitet und verfluchte sich immer noch dafür, dass er seine Taschenlampe im Bus hatte liegen lassen. Er wollte seine Expedition abbrechen und zurückkehren, als ein Geräusch ertönte. Es kam vom Eingang des Bunkers her. Ein Riegel wurde zurückgezogen. Jörg erstarrte. Er atmete flach und lauschte angestrengt. Die Geräuschquelle bewegte sich. Sie kam eindeutig auf ihn zu. Mit angehaltenem Atem wartete Jörg darauf, wer oder was sich zeigen würde. Eine Silhouette zeichnete sich in dem spärlichen Licht ab, offensichtlich ein Mann, der langsam auf ihn zukam. »Da soll mich doch …« murmelte Jörg.

»Bitte nicht schießen!«, erklang eine müde Stimme aus dem Dunkel. »Und vor allem erschrecken Sie sich bitte nicht, Herr Hauptmann. Normalerweise könnten wir die Einfahrt beleuchten, aber das würde zu unnötiger Aufmerksamkeit führen.«

Jörg trat vorsichtig zwei Schritte zurück. »Wer ist da?«

Der Mann schälte sich langsam aus der Dunkelheit. Er trug einen weißen Kittel, eine Hose mit Camouflagemuster und schwere Militärstiefel. An einem Gürtel hing ein Kasten, der an ein Langzeit-EKG erinnerte.

»Mein Name ist Steins, Doktor Frank Norbert Steins.« Der Mann lachte leise. »Mein Name hat mir oft genug Spötteleien eingebracht, wie Sie sich sicher denken können.«

Der Mann war nun vollends sichtbar. Jörg wich zurück und geriet ins Stolpern. Er verlor das Gleichgewicht, und seine Waffe traf scheppernd auf dem Boden auf, gleichzeitig mit seinem Hinterteil. Vor ihm stand ein Zombie!

»Sie brauchen keine Angst zu haben, Herr Hauptmann«, sagte eine weibliche Stimme aus dem Dunkel. »Zum einen ist Doktor Frankenstein ruhiggestellt, zum anderen ist er sozusagen Vegetarier.«

Eine Frau in der Uniform der Luftwaffe kam auf Jörg zu. Sie blieb drei Schritte von ihm entfernt stehen, nahm Haltung an und salutierte. »Oberleutnant der Luftwaffe Marion Theobald meldet sich zur Stelle, Herr Hauptmann. Willkommen in der Suite zwölfsechsundzwanzig!«

Trotz der beruhigenden Worte war Jörg froh, dass vor ihm noch ein Zaun war, der das Kernareal des Bunkers vom allgemeinen Bereich trennte. Er rappelte sich wieder hoch und richtete unwillkürlich die Waffe auf den sprechenden Zombie.

***

»Ich gehe jetzt da raus und sehe nach Jörg!«, schrie Sandra Martin ins Gesicht, der sie daran hindern wollte, den Bus zu verlassen.

Martin stemmte sich mit aller Macht gegen die kleinere Frau, die mit der Kraft der Wut und wohl auch Verzweiflung gegen ihn anrannte.

»Jetzt hilf mir doch mal wer!«, rief Martin.

»Ruhig jetzt, Kleene. Det is nich die beste Idee, da raus zu gehen.«

Ein Paar starker Arme umschlang Sandra. Es gehörte Lemmy, der die junge Frau zu beschwichtigen versuchte.

»Sandra, Kleene, bleib ruhich. Det hat keenen Zweck, nich’«, redete er auf die immer noch strampelnde Frau ein.

»Er ist alleine da draußen und braucht vielleicht unsere Hilfe, verdammt!«

»Aua! Jesses!« Lemmy hatte Sandra losgelassen und hielt sich die Hände schützend vor den Schritt. »Das hat gesessen!«, jaulte er.

Sandra hatte sich schwer atmend vor Martin aufgebaut. »Lass ... mich ... durch!«

Martin duckte sich unter dem scharfen Blick, der ihm aus den grünen Augen der Frau entgegenschoss, doch er bewegte sich keinen Millimeter zurück. »Nein!«

»Arschloch!«

»Sandra, du kannst nicht alleine da raus.« Martin seufzte. »Okay, ich gehe mit. Und Erich. Bewaffnet Euch! Schau nicht so verdutzt, Sandra. Wir lassen niemanden im Stich, aber wir gehen auch kein unnötiges Risiko ein.«

Sandra nickte langsam. Dann ging sie zu ihrer Sitzreihe und holte ihre Pistole. Sie überprüfte die Waffe kurz und steckte sie dann am Rücken in den Hosenbund.

Erich hatte sich zum Ausgang des Busses begeben und ragte nun eineinhalb Köpfe über Martin auf. »Okay, dann lasst uns mal losziehen«, sagte er mit überraschend sanfter Stimme.

»Erich!« Die Stimme kam von weiter hinten im Bus und gehörte Gora.

Erich drehte sich zu ihm um.

»Komm bloß gesund wieder!«

Erich reckte den Daumen hoch und grinste. Er und Gora hatten eine Menge zusammen erlebt.

Martin hatte sich ebenfalls bewaffnet und trat nun aus der Bustür heraus auf die Betonstraße. Sandra und Erich folgten ihm. Langsam gingen sie auf die Biegung zu, hinter der sie den Eingang zum Bunker vermuteten.

»Sollen wir wirklich hier auf der freien Fläche laufen? Ich fühle mich wie eine von diesen Figuren beim Schießbudenschießen.« Erich schaute sich unbehaglich nach allen Seiten um.

»Guter Einwand. Wir sollten uns zumindest ein bisschen in den Wald zurückziehen«, erwiderte Sandra.

Martin nickte zögerlich. »Okay. da nach rechts rüber«, sagte er dann.

Die drei krochen vorsichtig ins Unterholz und folgten den Lauf der Straße.

»Seid bloß leise!«, flüsterte Martin.

»Selber«, schoss Sandra zurück.

Erich grinste.

Langsam arbeiteten sie sich durch das Unterholz weiter vor. Plötzlich hob Martin die Hand und blieb stehen.

»Was ist?«, fragte Erich, der gerade noch anhalten konnte, bevor er auf Sandra aufgelaufen wäre.

»Da vorne redet jemand.«

Martin hatte es kaum ausgesprochen, als die beiden anderen es auch hörten.

»Das … das ist Jörg!«, stieß Sandra hervor.

»Aber mit wem redet er?«, wunderte sich Erich. »Ich höre keine andere Stimme.«

Martin hob die Schultern. »Gehen wir nachsehen.«

***

»Wer zum Teufel sind Sie?«

»Oh, Entschuldigung. Ich vergaß mich vorzustellen. Ich bin …«. Die Gestalt vor Jörg sah an sich herunter und ihre Schultern sackten herab. »Ich war der wissenschaftliche Leiter dieser Einrichtung.«

»Einrichtung?«

»Eigentlich dürfte ich Ihnen das nicht sagen, Geheimhaltung, Sie verstehen? Aber ich schätze, das spielt jetzt keine wirkliche Rolle mehr. Dies war eine Einrichtung der NATO zur Erforschung von biologischen Waffen und Biorisiken.«

»Biowaffen? Die sind doch verboten!«

»Offiziell schon.«

»Was tun Sie hier?«

»Jetzt? Oder was wir hier erforscht haben?«

 

»Beides.«

»Wenn Sie endlich die Waffe herunternehmen würden? Ich finde es unhöflich, auch wenn eine Waffe keine wirkliche Bedrohung mehr für mich ist.«

»Gegen einen Kopfschuss sind auch Sie nicht immun«, entgegnete Jörg und hob die Waffe wieder, die er kurz zuvor gesenkt hatte. Er zielte auf die Stirn des Zombies, der sich am Schloss des Doppeltores zu schaffen machte. »Bleiben Sie, wo Sie sind! Hände hoch, so dass ich sie sehen kann!«

Es war eine verzwickte Situation. Da stand zwar diese Frau Oberleutnant neben dem Zombie, aber alle seine Erfahrungen sprachen dagegen, dass Steins eine vernünftige Kreatur sein konnte. Zombies waren untot. Punkt.

»Aber, aber, aber, Herr Weimer. Wir sind hier doch nicht in einem Actionfilm. Horrorfilm schon eher.« Steins lachte – ein Geräusch, dass Jörg eine Gänsehaut über den Körper jagte.

»Wir sollten noch Dresen und Pieter holen. Was meinen Sie, Doktor?«, mischte sich Marion Theobald ein. »Das könnte ihn und seine Leute mehr überzeugen.«

»Könnte sein, Marion. Machen wir es so.«

»Bleiben Sie ruhig stehen. Ich werde kein Risiko eingehen. Sie sind ein Zombie, verdammt!«

Steins blickte Jörg mit seinen dunklen Augen lange an. Dann wandte er sich an Marion: »Gehen Sie alleine und holen Sie Pieter. Das muss reichen.«

Die Frau verschwand im Bunker, und der Zombiedoktor drehte sich wieder zu Jörg um. »Ich bevorzuge den Ausdruck ›totlebend‹. Und ja, das bin ich – nicht freiwillig, wie ich Ihnen versichern darf. Doch ich habe das Beste daraus gemacht. Wenn es Sie beruhigt, ich habe keinen Hunger und bin auch nicht aggressiv, dank dem hier.«

Steins zog den Kragen seines Laborkittels nach unten. Zwei Schläuche wurden sichtbar, die unter der Haut im Nacken verschwanden. Er klopfte auf eine flache Kiste an seinem Gürtel.

»Über diese Schläuche versorge ich meinen Körper mit einer Nährlösung und einem Beruhigungsmittel aus dem Vorratsbehälter. Das dämpft die Aggressivität und den alles andere auslöschenden Hunger, der die Bestien ausmacht.«

»Wie … warum …«

»Sie haben Mühe, das alles zu verstehen und zu erfassen. Das kann ich nachvollziehen. Ein intelligenter … Zombie ist schon schwer zu akzeptieren. Ein Zombie, der seine Artgenossen als Bestien bezeichnet, wirkt sicherlich bizarr. Ich versichere Ihnen, dass, solange Nährlösung und Beruhigungsmittel nicht ausgehen, ich völlig friedlich bleibe.«

»Ich kann das alles nicht glauben. Ich stehe hier und rede mit einem verfluchten Untoten.«

Kapitel II

Der geschenkte Gaul

Liebes Tagebuch. Das klingt immer noch nicht richtig, aber ich beuge mich der Tradition. Heute haben wir Dr. Steins kennengelernt. Ein unglaubliches Zusammentreffen. Fast wirkt es wie eine göttliche Fügung, wenn der derzeitige Zustand der Welt auch wenig für ein göttliches Wesen im Hintergrund spricht. Dr. Steins ist, wie er selber sagt, totlebend. Ein Zombie und doch ein Mensch. Es fällt mir schwer, mich ihm zu nähern. Die Angst schreit mich an, ich soll wegrennen. Die Vernunft hält mich im Zaum.

»Jörg?«

Weimer ruckte herum, als er die Stimme hinter sich hörte. »Ich habe doch gesagt, bleibt im Bus, verdammt!«

»Wir freuen uns auch, dich zusehen, Mann«, konterte Martin. »Wir dachten schon, du wärst Zombiefutter gew…«

»Ah, mehr Gäste. Willkommen auch Ihnen. Ich bin Dr. Frank N. Steins, der Leiter dieser Einrichtung.«

»Jetzt steht da nicht herum und haltet Maulaffen feil. Sagt guten Tag zu Dr. Steins.« Jörg unterdrückte ein Grinsen.

»Möchten Sie uns nicht einander vorstellen, Herr Weimer?«

»Das … das ist ein …«

»Totlebender, Sandra. Das Wort, das du suchst, heißt ›totlebend‹. Herr Dr. Steins, darf ich vorstellen? Dies sind Sandra, Martin Martinsen und Erich …«

»Kraft. Erich Kraft heiße ich.«

»Ein passender Name. Sehr erfreut, die Herrschaften. Kommen Sie doch herein.«

»… sagte die Hexe. Keiner rührt sich!«

»Ganz ruhig, Sandra. Solange das Tor zu ist, besteht keine Gefahr.« Jörg hielt sie am Arm fest. »Wir sollten hören, was Dr. Steins uns zu erzählen hat.«

»Gerne.« Steins nickte. »Zunächst darf ich Ihnen allen versichern, dass ich zwar totlebend bin, aber nicht gefährlich. Nun, natürlich bin ich ansteckend. Aber nur, wenn ich Sie beiße oder Ihr Blut mit dem meinen in Kontakt kommt.«

»Wie können Sie sich da sicher sein?«, rief Erich.

»Ich bin Virologe, Herr Kraft. Darüber hinaus bin ich Leiter dieser Forschungsstation. Und das Lazarusvirus ist mein Forschungsgebiet.«

»Was meinen Sie damit?«. Jörgs Stimme klang plötzlich rau.

»Das Lazarusvirus? Nun, dieses Virus ist der Auslöser für die derzeitige Lage, meine Herrschaften.«

Vier Waffen richteten sich gleichzeitig auf den Kopf des Zombies.

»Sie sind schuld?«

»Wissen Sie, Herr Weimer, ›Schuld‹ ist so ein seltsames Wort. Und nein, wir sind nicht schuld. Das Virus wurde durch einen Spion entwendet und dabei unabsichtlich freigesetzt.«

Erich spuckte auf den Boden. »Ja, klar. Schuld sind immer die anderen. Dass ich nicht lache! Ihr scheiß Wissenschaftsheinis habt Gott gespielt, und jetzt haben wir die Hölle auf Erden.« Erich trat einen weiteren Schritt an den Zaun heran und zielte sorgfältig mit der Waffe auf das Gesicht des Doktors. »Beweg dich nicht, du Arsch. Dann geht es schnell für dich.«

Erich spannte den Hahn seiner Waffe.

***

»Wo bleiben die bloß alle?« Gora tigerte im Mittelgang des Busses hin und her und murmelte die Frage immer wieder vor sich hin.

»Jetzt setz dich hin, Mensch! Du machst uns alle wahnsinnig.« Eine resolute, ältere Frau sah von ihrem Platz aus böse zu Gora.

Der blieb vor ihr stehen. »Wir wissen nicht, was da draußen ist. Vielleicht sind die vier schon längst Zombies und bereits auf dem Weg hierher, mit ihren neuen Freunden im Schlepptau. Wir sitzen hier wie auf einem Buffettisch. Nur sind wir das Buffet.«

»Getz mach ma halblang, Jungchen«, kam es von Lemmy, der scheinbar dösend auf dem Fahrersitz gesessen hatte. »Wennste mich fragen tust, die Leutz ham wat Interessantes entdeckt und sind beim Erforschen dran. Lass ma’ gut sein un’ hau dich ’nen bisschen aufs Ohr.«

Gora funkelte den ehemaligen Roadie an, doch der starrte nur zurück. Langsam wichen Angst und Wut aus Goras Miene.

»Meinst du, Lemmy? Dass sie auf etwas gestoßen sind? Nahrung oder Unterkunft vielleicht?«

Lemmy hob die Schultern. »Gut möglich. Schau mer mal.«

Gora seufzte und setzte sich auf die letzte Bank des Busses. Er lehnte den Kopf gegen die Scheibe und schloss die Augen. Seit ihrer Flucht aus Schwarmstein hatte er keinen wirklichen Schlaf mehr gehabt, und immer wieder drängten die Bilder der Flucht aus Bonn vor sein inneres Auge. Das Grauen schien kein Ende nehmen zu wollen, und das Gefühl, ständig in Bewegung sein zu müssen, wurde von Tag zu Tag übermächtiger.

»Du hast eine schwere Zeit, was, Jungchen?«

»Wa…«

»Ruhig, Jungchen. Ich bin’s nur, der olle Lemmy. Du machst ganz schön wat durch, odda?«

»Ich … wundert es dich?«

»Nö, geht uns nämlich allen so.«

»Ich weiß. Ich habe das Gefühl, ich muss ständig laufen – weglaufen, irgendwo hin. Ich will hier nicht sein. Ich will die Bilder nicht mehr in meinem Kopf, die Schreie, den Geruch. Ich will doch nur Frieden. Und ich will meine Familie wieder.«

Tränen rannen über Goras Wangen, und Lemmy sah ihn an. Er legte ihm eine Hand auf die Schulter.

»Wir alle haben jemanden oder etwas Kostbares verloren, mein Sohn. Wir alle sind auf der Flucht, und für uns alle gibt es scheinbar keine Hoffnung. Doch der Meister wird uns zur Zuflucht bringen. Wir werden Ruhe finden und Sicherheit.«

»Deine Stimme …«

»… solltest du dir anhören, Gora. Glaube an die Hoffnung. Sie ist alles, was wir noch haben. Glaube daran.«

Goras Tränen versiegten. Lemmys Hand war warm und ihr Gewicht auf Goras Schulter seltsam tröstlich. Die Stimme des grauhaarigen Mannes neben ihm auf der Bank drang viel weiter als nur bis zu Goras Ohren, und die Worte hüllten die Angst und Verzweiflung, die in ihm wütete, in einen Kokon aus Trost. Gora nahm einen tiefen, zitternden Atemzug.

»Geht’s, Jungchen?«

Gora nickte. »Danke.«

Lemmy blickte noch einen Moment lang tief in die Augen des dunkelhäutigen Mannes, dann nickte er ebenfalls und stand auf. »Denk daran, Gora: die Hoffnung.«

Lemmy drehte sich um und ging wieder an seinen Platz. Er setzte sich in den Fahrersitz und lehnte den Kopf zurück. Nach ein paar Sekunden erklang lautes Schnarchen.

Gora sah noch eine Weile aus dem Fenster, dann fielen seine Augen zu.

***

»Erich, nein!«

Der Angesprochene zuckte zurück. Martins durchdringender Schrei ließ die Haare auf Erichs Armen vibrieren.

»Was … was soll das?«, fragte er völlig verdattert.

Martin trat an den Zaun und stellte sich so davor, dass kein freies Schussfeld auf den Doktor mehr möglich war. »Wir sollten Dr. Steins zu Ende anhören. Ich glaube, er hat uns etwas sehr Wichtiges zu sagen.«

»In der Tat. Es gibt da etwas, dass für Sie von größtem Interesse sein wird.«

»Machen Sie es nicht so spannend!«, fauchte Sandra.

»Wir erschießen ihn und sprengen das Schloss auf. Der hält uns doch nur hin«, grollte Erich.

»Nein, Herr Kraft, wirklich nicht.« Steins hatte abwehrend beide Hände erhoben. »Sie müssen wissen, es gibt Hoffnung auf ein Heilmittel!«

Kapitel III

Gibt es ein Leben vor dem Tod?

Gabi und Frank waren mit dreihundert der am besten erhaltenen Exemplare ihrer reanimierten Gefolgschaft aufgebrochen, um der immer schwächer werdenden Spur, die Gabi noch mit ihren alten Freunden verband, zu folgen.

Die Aktion in dem gut erhaltenen Dorf hatte zwar für viel Nachwuchs unter den Zombiesoldaten gesorgt, aber der Preis war hoch gewesen. Die Präsenz, die Gabi bisher immer genau spürte, solange Sandra und ihre sogenannten Pilger nicht allzu weit entfernt waren, begann zu verfliegen. Sie hatten viel Zeit benötigt, um das Dorf zu erreichen und dort erst einmal reinen Tisch zu machen. Am Ende hatte sich Frank allerdings gefragt, wie es diese lausigen Dörfler so lange geschafft hatten, die ständigen Attacken der umherstreunenden Zombies zu überstehen.

Ihm kam die Aufgabe, die ihm Gabriel gestellt hatte, in den Sinn: »Bring mir so viele Seelen, wie du kannst. Vergrößere deine Armee« Genau das hatte er sehr erfolgreich in diesem kleinen spießigen Kaff Schwarmstein getan – und davor auch schon. Die Marodeure, die so plötzlich aufgetaucht waren und sich hatten einen Spaß aus dem Gemetzel an Reanimierten machen wollen, waren ihren speziellen Fähigkeiten natürlich nicht gewachsen gewesen. Nun schritten Graf Vlad, der ehemalige Anführer der Russen-Mafia-Gang, und sein Fahrer Alfred direkt hinter den beiden Totlebenden an der Spitze der eigenartigen Truppe aus verfaulten und kürzlich reanimierten Zombies. Frank spürte bei Vlad, dass er, ähnlich wie Hausmeister Krause damals in Köln, noch etwas mehr Grips in seinem toten Hirn bewahrt hatte. Es konnte nicht schaden, wenn ihre Toten ein wenig mitdachten.

Bei dem Gedanken musste Frank grinsen.

Innerlich verfluchte er seinen doch nicht so mächtigen Körper. Sicher, er hatte Macht über die echten toten Zombies, egal wie agil ihre Murmel noch war. Doch er hatte auch erfahren müssen, dass er nicht alles konnte. Nur ungern erinnerte er sich daran.

Natürlich hatte er versucht, nachdem Vladimirs Truppe aufgerieben war, mit Hilfe der erbeuteten und nun eigentlich nutzlosen Fahrzeuge ihre Marschgeschwindigkeit zu erhöhen. Immerhin waren er und Gabi ja bei vollem Bewusstsein. Also setzte er sich ans Steuer eines Jeeps und befahl einem Haufen seiner Soldaten aufzusitzen. Wenn er zu diesem Zeitpunkt nicht immer noch von seinem Hass auf Sandra angestachelt worden wäre, hätte er sich bei den folgenden Szenen totgelacht. Die Ghoule staksten zum Wagen und schienen einfach in ihn hineinlaufen zu wollen. Stumpf stampften sie auf der Stelle, ihre Körper drückten gegen das Fahrzeug. Und da zu diesem Zeitpunkt deutlich mehr auf der Fahrerseite versuchten, dem Befehl zu folgen, geriet der Jeep in Gefahr, umgekippt zu werden. Im letzten Moment griff Frank ein und stoppte den Versuch.

Da ahnte er bereits, dass es schwierig werden würde, denn komplexe Vorgänge bedurften anscheinend auch komplexer Befehle. Aber die hatte er bisher nicht geben müssen. Doch nach kurzer Überlegung kam ihm die Erleuchtung. »Wir machen den Weg frei!«

 

Gabi nickte nur, mehr ahnend als wissend, was er wohl damit meinen könnte.

Frank besorgte sich aus einer der Scheunen einige stabile Bretter und bastelte eine Art Rampe, die auf die kleine Ladefläche des Jeeps führte. Ein Befehl an die Zombies, sich hinter dem Fahrzeug zu sammeln, und ein weiterer, aufzusitzen, führte schließlich zum gewünschten Ergebnis.

Doch so einfach, wie er sich das dann vorgestellt hatte, war es doch nicht, denn sie wurden unruhig. Zusammengequetscht zu sein, machte sie offensichtlich nervös. Dann fuhr er los, und prompt fielen die drei hintersten aus dem Wagen.

Er war etwa zwei Kilometer in Richtig Schwarmstein gefahren, als er merkte, wie seine Konzentration nachließ. Er benötigte zu viel Kraft, um die bei der Scheune gebliebenen Untoten beisammenzuhalten. Und dann geschah es: Er hatte sich nur eine Sekunde zusätzlich auf das nun nähere Dorf konzentrieren wollen und kam von der Straße ab.

Der Jeep krachte so in den Straßengraben, dass Frank und die hilflosen Zombies wie mit der Schleuder abgeschossen über den Acker flogen. Zum Glück gab es nur wenig Verluste, und mit der vor Ackerschlamm triefenden Meute kehrte er zu dem kleinen Gehöft zurück.

Also waren sie jetzt wieder zu Fuß unterwegs, und Frank ahnte, dass sie so den fliehenden Pilgern kaum näher kommen konnten. Nur sein immer noch schwelender Hass gegen Sandra, die ihn verraten hatte, ließ ihn weitermachen. Gedankenverloren strich er mit seiner schrumpeligen Zunge über die neuen Schneidezähne. So richtig fest waren die auch nicht.

Er blickte zu Gabi, die links neben ihm ging. Sie wirkte abwesend, so, als ob sie gerade wieder auf ihre Art Kontakt mit jemand anderem aufgenommen hatte. Ihr rundes Gesicht wirkte angespannt, und sie bewegte andauernd die Augenbrauen, als ob sie über etwas nachdachte.

»Wie hätte ich das denn machen sollen? Ich konnte doch nicht in deine Mutter beißen. Das ging nicht. Und auch unsere wandernden Toten schien etwas daran zu hindern, es einfach zu tun. Ich musste nicht mal große Konzentration aufbringen, um sie daran zu hindern.«

Ihr Kopf ruckte hoch und sie sah ihn mit ihren dunklen Augen böse an. »Sie hätte es verdient. Und es wäre vorbei. Jetzt muss ich sie noch länger ertragen.«

»Tu du es doch!«

»Bah.«

Wie eingeschnappt sah sie stur nach links. Dort zeichnete sich hinter einem lichten Wäldchen das Nachbardorf von Schwarmstein ab. Dort gab es außer ein paar umherirrenden Zombies kein Leben, alle Bewohner waren damals ins größere Dorf geflüchtet. Wenn sie es denn geschafft hatten …

»Wie war das denn früher? Du hattest erzählt, dass ihr irgendwas mit den Jungens im Dorf gemacht hattet. Das klang irgendwie … normal.«

Gabi tat, als hätte sie nichts gehört, aber Frank nahm die Veränderung in ihrer Aura wahr. Sie hatte die Frage mitbekommen.

Franks Gedanken schweiften ab, als er über seine eigene jüngere Vergangenheit nachdachte. Es war nur einige Tage her, da war er, auch mit einer Frau – sein Blick glitt kurz zu Gabi, die weiterhin stur schweigend neben ihm herwatschelte – vor den Zombies und »Hausmeister Krause« geflohen. Wie jetzt war ihnen ständig eine Horde Reanimierter gefolgt. Aber damals hatte er nichts mit ihnen zu tun haben wollen. Heute benutzte er sie, um sich zu rächen und dem Dunklen Mann …

Frank bemerkte, dass die lange Abwesenheit Gabriels in ihm den Keim von Zweifel an dessen Allmächtigkeit wachsen ließ.

»Ich kann es nicht. Sie sind zwar böse, aber sie sind … meine alte Welt. Das schreibt man …« Sie stockte. »Ich weiß ganz tief drinnen, dass es nicht gut ist, wenn sie ebenfalls wie wir werden. Darum haben auch unsere Soldaten die faulen Flossen von ihnen gelassen.«

Das hatte Frank sich bereits gedacht. Ohne ihren unbewussten Einfluss wäre so hilfloses Warmes Rotes sofort das Opfer des unstillbaren Hungers der Zombies geworden.

»Deine alte Welt. Das hast Du gut gesagt. Von meiner ist nicht mehr viel übrig. Meine Tante wollte mich sogar schon verspeisen, bevor ich Sandra traf.« (Siehe Band 1 "Gottes letzte Kinder")

Wut kochte in ihm hoch, als er ihren Namen aussprach, doch sie brannte längst nicht mehr so wie damals, als Gabriel den Hass in ihm entfacht hatte.

Frank beschleunigte seinen Gang, und die Horde der Untoten folgte ihrem General. Den Kurs gab die kleine Gabi vor. Zumindest solange sie noch die Pilger in der Ferne spürte.

***

Der kalte Regen wurde immer kräftiger – und Franks Stimmung ebenso düster wie die Wolken, die sich über ihnen türmten.

Ein Gedanke schoss ihm durch den Kopf: Wenn doch wenigstens eine der drei U-Boot-Batterie in seinem Keller noch gehalten hätte. Dann wüsste er nichts von alledem hier. Er würde ab und an Ausflüge machen, um zu sehen, was es noch zu holen gab, und könnte immer in sein gesichertes Haus zurück. Er wäre auf jeden Fall nicht so durchnässt.

»Einem verbrannten Schlackeklumpen ist es egal, ob er nass ist oder nicht.«

»Hä?« Frank glotzte Gabi unter seinem um den Kopf gewickelten Tuch mindestens so dämlich an wie eine Bergziege einen Touristen, der ihr ein Büschel Gras vor die Nase hielt.

»Denk nach, Großer!«

Was wollte die Kleine? Hatte sie etwa in seinen Gedanken geschnüffelt? Das wäre eine beachtliche Leistung. Wieso Schlackeklumpen?

Als Gabi mit ihrer flachen rechten Hand ein Flugzeug darstellte und mit dem linkem Daumen und Zeigefinger etwas »davon runterfallen« ließ, dämmerte es Frank.

Sie sah ihn mit einem breiten Lächeln an. »Das buchstabiert man D-E-S-I-N-F-I-Z-I-E-R-U-N-G.«

Gabi hatte recht. In Wahrheit hatte der beherzte Eingriff des alten Herrn da oben in die Funktion seiner Solaranlage ihm das Leben gerettet. Leben. Na ja, was man so als Leben bezeichnete.

»Immerhin können wir uns unterhalten und spazieren gehen. Das habe ich früher nicht so gerne gemacht.«

Jetzt musste Frank auch grinsen. Das konnte er sich gut vorstellen.

»Also gäbe es gar kein anderes Leben für mich«, fuhr er fort. »Ich muss froh sein, ein totlebender General Gabriels zu sein, anstatt irgendwo in Köln richtig tot als Kohlehaufen herumzuliegen? Wirklich beruhigend.«

Gabi schien eher keine Problem damit zu haben. Natürlich war ihr durch das Down-Syndrom geschwächter Körper als Totlebende stärker und ausdauernder. Aber sie konnte nichts mehr fühlen, wusste jedoch genau, was es bedeutete. Nur der Hass war geblieben.

Je mehr Frank darüber grübelte, desto verwirrter wurde er. Es war an der Zeit, dass sie wieder Action machten. Auch ihre Gefolgschaft wurde merklich unruhiger. Das lag aber nicht nur an seinem melancholischen Anfall, sondern auch daran, dass die Zombies durch den Regen langsam wieder aufweichten und die hinteren auf dem abgefallenem glitschigen Fleisch der vorderen ausrutschten. Und so strauchelten die hungrigen Zombies gegen ihre Artgenossen, denen das überhaupt nicht behagte.

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