Читать книгу: «Der auferstandene Jesus als erzählte Figur im Matthäus- und Lukasevangelium», страница 7

Шрифт:

Letztlich spricht der Text selbst m.E. nicht für eine der beiden Varianten (Gnilka: die Hohepriester glauben, dass Jesus auferstanden ist; Luck: die Hohepriester glauben, dass Jesus von seinen Jüngern weggeschafft wurde). Der Erzähler lässt dies offen und stellt nur dar, dass die Hohepriester und Ältesten zwar wissen, dass das Grab leer ist (sei es, dass die Wächter diese Tatsache allein durch das Wegwälzen des Grabsteins geschlossen haben oder dass sie sich nach dem Erwachen vom leeren Grab überzeugt haben), jedoch nicht, warum. Aus Angst, die Jünger Jesu könnten dem Volk erzählen, Jesus sei auferstanden (Mt 27,64), setzen sie also bewusst ein Gerücht in die Welt.31 Damit „stellen [sie] der christlichen Botschaft, die die Frauen vermitteln, eine Antibotschaft entgegen, die die Soldaten vermitteln sollen.“32 Der intendierte Rezipient kennt die Figuren der Ältesten und Hohepriester bereits aus den vorherigen Kapiteln und weiß, dass sie es waren, die für den Tod Jesu mit verantwortlich sind.33 Die Soldaten nehmen in diesem Kontext die Funktion ihrer „Instrumente“34 ein. Der intendierte Rezipient hat bereits aus den vorherigen Kapiteln ein negatives Bild von der Figurengruppe der Hohepriester und Ältesten gewonnen und sieht sie als „Akteure des Bösen“35. Er empfindet es daher als Bestätigung dieses Bildes, wenn nun dieselbe Figurengruppe die Existenz des Auferstandenen abstreitet.36

Wichtig für die Charakterisierung des Auferstandenen ist, dass der intendierte Rezipient die Aussagen über ihn durch die Hohepriester – im Gegensatz zu den Aussagen des Engels über den Auferstandenen – als bewusste Falschaussagen bewertet. Der Erzähler lässt also keinen Zweifel daran, wem zu glauben ist und wem nicht.

3. Dass der Erzähler über das Aussehen des Auferstandenen, wie Luz es meint, kein Wort verliert37, ist nicht ganz richtig. Über das Aussehen des Auferstandenen bietet das MtEv auffällig spärliche Informationen, die jedoch von Bedeutung sind: In Mt 28,9 wird beschrieben, dass die Frauen, nachdem sie dem Auferstandenen begegnen, seine Füße umfassen.38 Weiter wird in Mt 28,18 erzählt, dass der Auferstandene zu seinen Jüngern hinzutritt und mit ihnen redet. Diese Darstellung kann vom intendierten Rezipienten „aufgrund der nüchternen, realistisch die irdische Existenz betonenden Erzählform als Hinweis darauf wahrgenommen werden, daß die Identität des Auferweckten mit dem Irdischen betont werden soll“39. Der Erzähler schreibt dem Auferstandenen somit einen (menschlichen) Körper zu, der berührt werden kann40, und macht deutlich, dass er keine andere Gestalt als der irdische Jesus angenommen hat.41 Der Auferstandene „ist sichtbar, er spricht und er ist haptisch wahrnehmbar“42. Dem Erzähler ist es wichtig, dem intendierten Rezipienten die Leiblichkeit des Auferstandenen aufzuzeigen und zu betonen, dass es sich beim Auferstandenen nicht um ein Geistwesen oder Gespenst handelt.43 Dafür jedoch, dass der intendierte Rezipient – wie Finnern es annimmt – sich den Auferstandenen als leuchtendes Wesen ähnlich wie bei der Verklärung oder wie bei Engelwesen vorstellt, lassen sich m.E. im Text selbst keinerlei Anhaltspunkte finden.44

4. Die Reaktion der Frauen auf den Auferstandenen untermauert und bestätigt die Leiblichkeit des Auferstandenen. Sie erkennen den Auferstandenen direkt (im Gegensatz zu den Emmaus-Jüngern in Lk 24,31), umfassen seine Füße und huldigen ihm.45 Die Reaktion der Frauen impliziert also, dass der Auferstandene kein gänzlich anderes Aussehen als der Irdische besitzt.46

5. Die Reaktion der Jünger auf den Auferstandenen (V.17) steht im Gegensatz zur Reaktion der Frauen auf ihn (V.9): Es wird berichtet, dass die Jünger den Auferstandenen sehen, ihm daraufhin (wie die Frauen) huldigen, zugleich aber auch zweifeln (οἱ δὲ ἐδίστασαν). „Der Zweifel der Jünger wird also nicht durch die Erscheinung überwunden“47. Es stellt sich hier die in der Forschung kontrovers diskutierte Frage, wer genau in den Zweifel dem Auferstandenen gegenüber eingeschlossen ist. Zweifeln alle Jünger oder zweifeln nur einige von ihnen?

Die Antwort hierauf hängt von der Beurteilung des οἱ δὲ ab. Luz und andere vertreten die Meinung, das οἱ δὲ schränke das zuvor in V.16 genannte Subjekt (ἕνδεκα μαθηταὶ) ein. Demnach ist mit „einige aber zweifelten“ zu übersetzen.48 Nach Luz verwendet Matthäus (abgesehen von Mt 26,67) immer die Formulierung οἱ δὲ, um ein anderes, vorher genanntes Subjekt einzuführen. In Mt 28,17 bezeichne das οἱ δὲ zwar kein ganz neues Subjekt, da es sich ja immer noch auf die Gruppe der elf Jünger beziehe, aber es sei wenigstens teilweise ein anderes Subjekt und somit vorzuziehen.49

Dagegen sind Sand und andere der Ansicht, dass sich das οἱ δὲ auf das vorangehende Subjekt in V. 16 (ἕνδεκα μαθηταὶ) bezieht. Demnach zweifeln alle elf Jünger, nachdem sie ihm gehuldigt haben, was ihren Kleinglauben noch unterstreicht.50 Überzeugender scheint mir in dieser Fragestellung letztlich die Lösung von Sand u.a. zu sein, mit „sie aber zweifelten“ zu übersetzen, da eine solche Ambivalenz im Verhalten von Figuren typisch für das Matthäusevangelium zu sein scheint (vgl. die ambivalente Reaktion der Frauen „mit Furcht und großer Freude“ V.8).

Eine weitere Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt, lautet, auf wen oder auf was sich der Zweifel der Jünger bezieht. Zweifeln die Jünger an der Person des Auferstandenen, weil sie den Auferstandenen (äußerlich) nicht erkennen? Oder erkennen sie ihn, zweifeln jedoch trotzdem an ihm und an seiner Auferstehung? Im ersten Fall würde dies der Reaktion der Frauen auf den Auferstandenen konträr gegenüberstehen und die im Vorherigen gemachten Beobachtungen, dass der Auferstandene sich äußerlich nicht sonderlich vom Irdischen unterscheidet, untergraben. Im zweiten Fall würde die Reaktion nichts über das Aussehen des Auferstandenen aussagen, jedoch über das Ereignis seiner Auferstehung. Gegenstand ihres Zweifelns wäre dann Gottes lebensstiftendes Handeln an Jesus.51

M.E. sprechen folgende Argumente für den zweiten Fall: 1. Die Jünger sehen den Auferstandenen und huldigen ihm (V.17a); das würden sie nicht tun, wenn sie ihn nicht (äußerlich) auch erkennen würden.52 2. Das Motiv des Zweifelns findet sich im Matthäusevangelium meist im Kontext des Glaubens, indem es den Kleinglauben der Jünger demonstriert (vgl. Mt 14,31 ὀλιγόπιστε, εἰς τί ἐδίστασας;).53 „Dass die Jünger in den letzten Versen der Erzählung eine solch irritierende Mischung aus Proskynese und Zweifel an den Tag legen, ist für die Leserinnen und Leser weder überraschend noch neu.“54 Der Auferstandene ist also auch bei seinen Jüngern zum Teil umstritten. Genau wie die Jünger bereits gegenüber dem Irdischen ihre Zweifel hatten, „so nun explizit gegenüber dem Auferweckten.“55

Insgesamt ergeben sich aus der Fremdcharakterisierung des Auferstandenen drei wesentliche Punkte:

1. Vom Auferstandenen wird durch die Figur des Engels als vom Gekreuzigten geredet. Es entsteht dadurch eine starke Rückbindung an den Irdischen. Auch sein Aussehen unterscheidet sich nicht signifikant vom Irdischen.

Der Auferstandene ist damit kein gänzliches neues Wesen, sondern er ist immer noch der Gekreuzigte.

2. Der Auferstandene ist eine umstrittene Gestalt. Von den Hohepriestern wird seine Existenz bewusst geleugnet und auch die Jünger zweifeln an ihm. Der Auferstandene ist damit keine Selbstverständlichkeit oder objektive Gegebenheit, die von allen gleichermaßen akzeptiert wird und für alle offenkundig ist.

3. Der Auferstandene löst die Ankündigungen, die er als Irdischer gemacht hat, ein. Sein Wort besitzt damit auch durch seinen Tod hindurch eine Gültigkeit und Verlässlichkeit.

3.1.2 Selbstcharakterisierung des Auferstandenen

Die Selbstcharakterisierung des Auferstandenen kommt v.a. im Handeln und Sprechen der Figur des auferstandenen Jesus zum Ausdruck. Dabei verteilt sich die Selbstcharakterisierung in Mt 28,1–20 auf zwei wesentliche Blöcke: 1. Die Begegnung des Auferstandenen vor den Frauen und seine Worte an sie (Mt 28,9–10) sowie vorausgehend die erzählerische Hinführung zu dieser Begegnung (Mt 28,1–8). 2. Die Begegnung des Auferstandenen vor den Jüngern und seine Rede an sie (Mt 28,16–20).

1. Die Selbstcharakterisierung des Auferstandenen setzt im Erzählabschnitt Mt 28,1–20 erst auffallend spät in V. 9 ein. Damit ist fast die Hälfte der gesamten Ostererzählung berichtet, ohne dass Jesus selbst auftritt. Die vorherigen Verse, einschließlich der direkten Äußerungen über den Auferstandenen durch den Engel, dienen als Einleitung und Vorbereitung der Erscheinung des Auferstandenen.

Der Erzähler gestaltet in den Versen 1–9 eine Spannungskurve, die schließlich ihren Höhepunkt in dem Auftritt des Auferstandenen in V.9 erreicht. Die Erzählung beginnt zunächst in V.1 langsam und leise mit der Wanderung der Frauen zum Grab im Morgengrauen. In den Versen 2–4 wird die Spannung für den intendierten Rezipienten durch das Erdbeben, die Erscheinung des Engels sowie durch die Ohnmacht der Wachen erhöht. In den Versen 5–7 steigt die Spannungskurve noch weiter durch die Aussage der Auferstehung Jesu durch den Engel und seinen Auftrag. In V. 8 kommt wortwörtlich „Tempo“ in die Erzählung durch das schnelle Weggehen der Frauen vom Grab (ἀπελθοῦσαι ταχὺ ἀπὸ τοῦ μνημείου). Die Worte des Erzählers in V. 9 καὶ ἰδοὺ richten schließlich die volle Aufmerksamkeit des intendierten Rezipienten auf die nun folgende Erscheinung Jesu, mit der die vom Erzähler aufgebaute Spannungskurve ihr Ziel erreicht. Die Erscheinung des Auferstandenen wird damit aufwendig und dramatisch angekündigt, begleitet von Erdbeben, einem Engel und die Gesetze der Natur umstürzende Ereignisse. Mit dieser gigantischen Ankündigung seines Auftritts unterstreicht der Erzähler die herausragende Macht und Bedeutung des Auferstandenen sowie das göttliche Wunder seiner Auferstehung.

Die Begegnung mit den Frauen (V.9) wird dagegen eher unspektakulär und „leise“ (im Vergleich zum Erdbeben in V.2) geschildert, wodurch ein starker Kontrast zu den vorherigen Versen erzielt wird.1 Eine Begegnung des Auferstandenen vor den Frauen wurde im Gegensatz zu der Begegnung des Auferstandenen mit den Jüngern nicht explizit vom Engel angekündigt und beinhaltet daher für den intendierten Rezipienten ein gewisses Überraschungsmoment.2 Der intendierte Rezipient kennt die Frauen bereits aus der Passionserzählung. Sie sind Jesus aus Galiläa nach Jerusalem gefolgt und waren sowohl bei seiner Kreuzigung (Mt 27,55) als auch bei seiner Grablegung (Mt 27,61) dabei. Indem der Auferstandene nicht den Jüngern, sondern den Frauen begegnet, die im gesamten Evangelium – im Vergleich zu den zwölf Jüngern – eine eher untergeordnete Rolle spielen, lässt er ihnen mit dem Erlebnis der Ersterscheinung eine große Wertschätzung zukommen.3 „Der Rezipient denkt vielleicht daran, dass im MtEv häufig gerade Randfiguren als Glaubensvorbilder erscheinen, nicht die Jünger“4.

Das erste Wort aus dem Mund des Auferstandenen lautet χαίρετε. Die meisten Kommentare übersetzen in Mt 28,9 den Imperativ χαίρετε mit „seid gegrüßt“.5 M.E. wird jedoch das bloße Verständnis als alltäglicher Gruß dieser Stelle nicht gerecht. Im vorangehenden V.8 wird von der Furcht und Freude der Frauen berichtet, die sie beim Verlassen des Grabes empfinden. Wenn der Auferstandene sie daraufhin mit χαίρετε begrüßt, so wird damit stark auf den semantischen Gehalt des Grußes („freut euch“) angespielt.6 Es ergibt sich damit eine Art Chiasmus: In V. 8 wird von Furcht und Freude berichtet, in V.9 beinhaltet der Gruß den Aufruf zur Freude und in V. 10 spricht Jesus zu den Frauen „fürchtet euch nicht“, sodass sich insgesamt Furcht (V.8), Freude (V.8), Freude (V.9) und Furcht (V.10) aneinanderreihen. Der Auferstandene „bestätigt und vertieft […] die »große Freude«, welche die Frauen bereits haben“7. Die Freude, die der Auferstandene den Frauen wünscht, ist die Freude über die Wiederbegegnung mit dem auferstandenen Jesus, der von den Frauen als Toter gesucht worden ist und als Lebendiger begegnet.

Anschließend wiederholt der Auferstandene die Aufforderung des Engels, den Jüngern die Botschaft zu überbringen, er werde ihnen in Galiläa erscheinen (V.10). Durch die fast wortwörtliche Wiederholung kommt zum Ausdruck, dass „das Wort ,Jesu’ mit dem Wort ,des Engels des Herrn’ […], d.h. mit dem Willen Gottes“8 übereinstimmt.9

Indem der Auferstandene nun selbst ein Wiedersehen mit den Jüngern in Galiläa ankündigt, wird der intendierte Rezipient an seine unmittelbare Vorhersage in Mt 26,31–32, dass sich die Jünger nach seinem Tod zerstreuen werden und dass er ihnen nach seiner Auferstehung nach Galiläa vorangehen wird, erinnert.10 Genau wie angekündigt, sind die Jünger in seinen letzten Stunden nicht bei ihm geblieben11, oder haben ihn (wie im Fall des Petrus) sogar verleugnet (vgl. Mt 26,69–75). Indem der Auferstandene sie dennoch wiedersehen will, wird der Bruch zwischen ihnen (wie in Mt 26,31–32 bereits angekündigt) geheilt. Verstärkt wird diese Heilung des Bruches noch dadurch, dass der Auferstandene die Jünger als τοῖς ἀδελφοῖς μου bezeichnet.

Die Bezeichnung „meine Brüder“ in Bezug auf die Jünger begegnet im MtEv nur noch in Mt 12,46–50. Hier werden Jesu leibliche Brüder den Jüngern gegenübergestellt. Als „Brüder“ bezeichnet Jesus nicht seine leiblichen Verwandten, sondern jeden, der den Willen seines Vaters in den Himmeln tut (Mt 12,50). Die Jünger Jesu werden damit in diesem Zusammenhang bereits als „Brüder“ bezeichnet (Mt 12,49).

Indem der Auferstandene die Jünger nach seiner Auferstehung trotz ihres Versagens als „Brüder“ bezeichnet, macht er deutlich, dass sie dennoch zu seiner Gemeinschaft, zu seiner Familie gehören12. Denn diese Bezeichnung impliziert, „dass Jesus ihnen ihr Fehlverhalten nicht anrechnet, sondern es gnadenhaft übergeht.“13 Gleichzeitig schwingt in dieser Bezeichnung auch eine Erwartung des Auferstandenen an seine „Brüder“ mit, dass sie den Willen Gottes tun (Mt 12,50) und nach Galiläa gehen werden. Für den Auferstandenen ist somit das alte Verhältnis zwischen ihm und seinen Jüngern wiederhergestellt und die Jünger befinden sich wieder in der Brüderposition.14

2. Der zweite „Block“ der Selbstcharakterisierung setzt in Mt 28,16 ein und fokussiert sich auf die Rede Jesu an seine Jünger (V.18–20). Dabei läuft die gesamte vorherige Handlung auf die Selbstcharakterisierung des Auferstandenen in der Begegnung mit seinen Jüngern auf dem Berg zu, wodurch ihr zusätzliches Gewicht beigemessen wird.15 Der Auferstandene begegnet den Jüngern auf einem Berg, woraufhin diese huldigend und zweifelnd auf seine Erscheinung reagieren (V.16–17). Der Auferstandene geht auf die Jünger zu und spricht zu ihnen (V.18). Nun folgt die letzte Rede Jesu an seine Jünger, die inhaltlich fünf verschiedene und theologisch äußerst wichtige und brisante Aussagen enthält, die jedoch in auffallend knapper Form und kurzen Sätzen ausgedrückt werden. Die Rede beginnt mit einer Selbstaussage des Auferstandenen (V.18), enthält dann drei Forderungen an die Jünger (V.19–20a) und schließt mit einer Zusage des Auferstandenen (V. 20b).16 Das dominierende Wort in der Rede des Auferstandenen ist das Indefinitpronomen „alle“ (πᾶς).17 „Das unterstreicht die universale Geltung und umfassende Bedeutung dessen, was hier gesagt wird.“18 Damit erhält die Rede insgesamt „den Charakter des Endgültigen, eben eines Schlußtextes.“19

Zunächst macht der Auferstandene deutlich, dass ihm alle Macht im Himmel und auf Erden gegeben worden ist (V.18). Die passive Form ἐδόθη μοι zeigt dabei an, dass der Auferstandene sich diese Macht nicht selbst angeeignet, sondern sie von Gott empfangen hat.20 Er erhält damit „vollen Anteil an der unumschränkten Macht Gottes des Schöpfers.“21 Durch die Konkretisierung der ἐζουςία als eine Macht ἐν οὐρανῷ καὶ ἐπὶ [τῆς] γῆς (V.18b) kommt zum Ausdruck, dass es sich hierbei um eine „umfassende, […] universale Macht“22 handelt, die sich auf alle Bereiche bezieht.23 Dadurch, dass der Auferstandene gleich zu Beginn seiner Rede an die Jünger von seiner Macht über Himmel und Erde spricht, wird für den intendierten Rezipienten ein besonders starker Kontrast zur Darstellung des leidenden und erniedrigten Jesus in der Passionserzählung geschaffen. Denn „der Jesus, der vor kurzem geschunden, mißhandelt und von Gott verlassen am Kreuz gestorben ist, ist nun […] von Gott als Weltenherrscher eingesetzt.“24 Auf den intendierten Rezipienten wird diese Machtaussage des Auferstandenen daher besonders beeindruckend und imposant wirken.

Es stellt sich jedoch für den Rezipienten bei der Formulierung ἐδόθη μοι die Frage, wann genau ihm diese Macht25 über Himmel und Erde (von Gott) gegeben wurde. Hat er sie erst im Zuge seiner Auferweckung erhalten, was bedeuten würde, dass nur der Auferstandene eine universale Macht besitzt?26 Oder hat er sie bereits als Irdischer von Anfang an besessen?27

Dafür, dass dem Auferstandenen seine universale Macht erst nach seiner Auferweckung gegeben wurde, nennt Finnern folgendes Argument: Er zählt zur alles umfassenden universalen Macht des Auferstandenen auch ein alles umfassendes Wissen. Da es Dinge gab, die der irdische Jesus noch nicht wusste (vgl. 24,36), sei dies ein Beleg dafür, dass ihm die universale Macht erst mit der Auferstehung zuteilgeworden ist.28

Dafür, dass dem Auferstandenen eine umfassende Macht bereits von Anfang an gegeben worden ist, sprechen eine Reihe von Argumenten: 1. Bereits der Irdische lehrt mit Macht (vgl. Mt 7,29 ὡς ἐζουςίαν ἔχων).29 2. Die Erzählung der Versuchung Jesu durch den Teufel (Mt 4,1–11) würde ohne die implizit vorausgesetzte Macht Jesu ihren Witz und ihre Pointe verlieren.30 3. Der Irdische besitzt bereits die Macht, Sünden zu vergeben (vgl. Mt 9,6). 4. In Mt 21,23–27 wird Jesus von den Hohepriestern und Ältesten nach seiner Vollmacht gefragt. Obwohl Jesus ihnen nicht direkt antwortet (οὐδὲ ἐγὼ λέγω ὑμῖν ἐν ποίᾳ ἐζουςίᾳ ταῦτα ποιῶ, Mt 21,27) setzt der Text dennoch voraus, dass er sie besitzt.

Letztlich spricht m.E. der Text selbst ausdrücklich dafür, dass Jesus bereits als Irdischer von Gott mit Macht ausgestattet worden ist. Ob und inwieweit sich jedoch die Exousia des Irdischen von der Exousia des Auferstandenen unterscheidet (also ob bereits die Macht des Irdischen universal ist) wird im folgenden Kapitel Gegenstand einer ausführlichen Untersuchung sein. In jedem Fall dient die Aussage des Auferstandenen über die ihm gegebene Macht über Himmel und Erde in V.18 mit dazu, die folgenden Aufträge an die Jünger zu legitimieren.31 „The universal authority of Jesus is the basis of the universal mission of the church.”32

Mit seiner nächsten Aussage in V.19a fordert der Auferstandene seine Jünger auf, alle Völker (πάντα τὰ ἔθνη) zu Jüngern zu machen.33 Die Exousia des Auferstandenen hat damit ein konkretes Ziel und eine konkrete Richtung.34 Ihr „Instrument sind die Jünger, genauer: ist ihre Verkündigung.“35 Es soll so in der Zeit zwischen der Auferstehung Jesu und seiner Parusie am Ende des gegenwärtigen Äeons zur Ausbreitung des Bereichs auf Erden kommen, in dem die Macht des Auferstandenen anerkannt wird und sich durchsetzt.36 „This is a period of world-wide mission conducted in the face of continuing opposition“37.

Der Jüngerbegriff wird zudem von den zwölf männlichen Jüngern abgelöst und auf jeden (und jede), der oder die Jesus nachfolgt, ausgeweitet. Man kann m.E. zu Recht mit Gnilka in diesem Aufruf die Hauptaussage des Auftrags an die Jünger sehen, die durch die folgenden Tauf- und Lehraussagen präzisiert wird und Gestalt annimmt.38

Dem intendierten Rezipienten stellt sich jedoch unweigerlich die Frage, wer genau mit der Bezeichnung πάντα τὰ ἔθνη gemeint ist. Sollen alle Völker mit Ausnahme Israels zu Jüngern gemacht werden oder schließt das πάντα τὰ ἔθνη auch Israel mit ein?39

Dafür, dass sich die Formulierung πάντα τὰ ἔθνη nur auf die nicht-jüdischen Völker bezieht und die Juden ausschließt, sprechen folgende Textargumente: 1. Die Bezeichnung τὰ ἔθνη bezeichnet in Mt 10,5 und 20,19 ausdrücklich nichtjüdische Völker. In Mt 10,5–6 wird es sogar Israel bewusst gegenübergestellt.40 2. Im Prolog des Matthäusevangeliums weist der Erzähler u.a. durch die Nennung nicht-jüdischer Frauen im Stammbaum Jesu und durch die erzählerische Gegenüberstellung der drei Magier zum Judenkönig Herodes bereits auf die künftige Mission der nicht-jüdischen Völker hin.41 Diese Tatsache mag zwar als Argument für einen Auftrag zur Heidenmission sprechen, gleichzeitig schließt es aber eine Judenmission nicht ausdrücklich aus, wodurch diesem Textargument m.E. insgesamt eine schwächere Gewichtung beizumessen ist. 3. In Mt 28,15 fügt der Erzähler im Kontext der Betrugserzählung die Bemerkung ein, dass die Juden bis heute (μέχρι τῆς σήμερον) dem Gerücht der Hohepriester, die Jünger hätten Jesu Leichnam gestohlen, Glauben schenken. Die Juden werden also als diejenigen dargestellt, die sich Jesus bis heute verschließen.

Für die zweite Variante der auch Israel umfassenden Völkermission sprechen dagegen die folgenden Argumente im Text: 1. Der irdische Jesus befiehlt in Mt 10,5 seinen Jüngern ausdrücklich nicht zu den nicht-jüdischen Völkern zu gehen, sondern die Mission auf Israel zu beschränken (εἰς ὁδὸν ἐθνῶν μὴ ἀπέλθητε). 2. In Mt 10,23 wird vom irdischen Jesus den Jüngern im Kontext der Israelmission vorhergesagt, sie werden bis zur Parusie mit den Städten Israels nicht zu Ende kommen. Diese Aussage spielt also deutlich auf eine bis zur Parusie anhaltende Israel-Mission an.42 3. In Mt 24,9.14 und Mt 25,32 kann die Formulierung πάντα τὰ ἔθνη auch die Juden mit einschließen, damit ist „an allen drei genannten Stellen eine inklusive Interpretation möglich, wenn gleich nicht zwingend.“43

M.E. sprechen die stärkeren Textargumente letztlich dafür, dass sich die vom Auferstandenen geforderte Mission gleichermaßen an Juden wie Nicht-Juden (und damit an die ganze Welt) richtet.44 Die dem intendierten Rezipienten von Mt 10,5b her bekannte Einschränkung der Mission auf Israel wird an dieser Stelle also ausdrücklich auch auf die nicht-jüdischen Völker ausgeweitet, ohne dass dabei Israel ausgeschlossen wird.45 „In 28,19 liegt der Ton […] darauf, dass die Jünger nun nicht mehr allein zu Israel, sondern zu allen Völkern gesandt sind.“46 Der Auferstandene will, dass die Jünger die gesamte Welt missionieren und alle Menschen zu Jüngern machen. Der „Missionsauftrag sprengt alle nationalen, kultischen und religiösen Grenzen.“47 Dies muss auf den intendierten Rezipienten, der in seinem eigenen Umfeld im 1. Jahrhundert n. Chr. noch nicht von der tatsächlichen Ausbreitung des Christentums über weite Teile der Erde weiß, gewaltig und eindrucksvoll erscheinen.48

Der Auferstandene beansprucht damit für sich und seine Lehre eine unglaublich breite Reichweite und richtet sich an die gesamte Welt.

In einer weiteren Aussage, die sich aber inhaltlich (und syntaktisch) stark auf die vorherige bezieht, beschreibt der Auferstandene, wie dieses „zu Jüngern machen“ genau auszusehen hat49: Sie sollen die Völker taufen auf den Namen des Vaters50 und des Sohnes und des Heiligen Geistes (V.19b). Denn erst durch diese „sakramentale Eingliederung der für das Evangelium Gewonnenen in die Kirche“ kann sich Jüngerschaft vollziehen. „Zum Jünger wird man durch Taufe und Unterweisung.“51 Die Taufe ist damit eng gekoppelt an die Völkermission und gehört damit zur Erweiterung des Bereichs, in dem die Macht des Auferstandenen anerkannt ist. Sie trägt somit zur „Verwirklichung dieser Macht“52 bei. In Mt 28,19 lässt der Erzähler den Auferstandenen zwar keine komplexe Tauftheologie entfalten, macht aber dennoch deutlich, dass die Taufe auf den dreieinigen Gott aus dem Mund des bevollmächtigten Auferstandenen eine „unumgängliche Geltung“53 besitzt. Der intendierte Rezipient kennt Taufe sowohl aus den vorherigen Kapiteln des Matthäusevangeliums54 als auch sehr wahrscheinlich aus seinem eigenen Umfeld.55 Interessant ist an dieser Stelle, dass der Auferstandene von sich selbst als „Sohn“ spricht und sich dabei wie selbstverständlich auf dieselbe Ebene wie der Vater und der Heilige Geist stellt, sich sogar zwischen die beiden platziert (Mt 28,19b). „Placing Jesus on the same level as the Father and Spirit makes even more explicit […] that Jesus is divine (28:19).“56 Gemeinsam mit dem Vater und dem Heiligen Geist bildet er somit gewissermaßen ein Gegenüber zu den Menschen. Mit dieser Aussage wird die Stellung des Auferstandenen und sein Gleich-Sein mit Gott besonders hervorgehoben.

Eine weitere Aufforderung des Auferstandenen (V.20a), die immer noch inhaltlich und syntaktisch eng an die vorherigen gebunden ist57, besteht darin, dass die Jüngern sie (also πάντα τὰ ἔθνη) all das bewahren lehren sollen, was Jesus sie als Irdischer gelehrt hat.58 „The teacher par excellence commissions his disciples to carry on his teaching mission.“59 Genau wie die Taufe gehört das Festhalten der Lehre zum „Jünger werden“ unumgänglich dazu. Allein die Taufe macht noch keinen Jünger. „Es kommt darauf an, daß sie das halten, was Jesus gelehrt hat.“60 Indem der Auferstandene die Jünger auffordert, die Völker zu lehren, das, was Jesus geboten hat, zu halten, entsteht auch hier wieder eine starke Rückbindung an den irdischen Jesus und seine Lehre.61 Inhaltlich wird die Lehre mit der Verbform ἐντέλλω im Sinne einer Art „Einweisung in die Praxis“62 näher definiert. Der intendierte Rezipient wird sich wahrscheinlich an dieser Stelle besonders an die Bergpredigt Jesu (Mt 5,3–7,27) erinnern, in der die Lehre Jesu und seine Gebote ausführlich entfaltet worden sind.63 Aber nicht nur die Bergpredigt hat der Erzähler bei dieser Anspielung im Sinn, sondern „all of Jesus’ teaching – not just imperatives but also proverbs, blessings, parables, and prophecies.“64 Insgesamt ist es dem Auferstandenen wichtig, „dass sich seine Lehre unter allen Völkern ausbreitet.“65

Der Auferstandene erscheint damit als Lehrer aller Völker, dem etwas daran liegt, dass seine Lehren auf der ganzen Welt bewahrt und befolgt werden.66

Der letzte Satz Jesu und damit gleichzeitig das Ende des Matthäusevangeliums beinhaltet keine weitere Aufforderung an die Jünger, sondern die Beistandszusage des Auferstandenen (V.20b), der durch das vorangestellte καὶ ἰδοὺ67 große Wichtigkeit zukommt. Er verspricht ihnen, alle Tage bis zum Ende der Welt68 bei ihnen zu sein. Bei der Formulierung πάσας τὰς ἡμέρας ἕως τῆς συντελείας τοῦ αἰῶνος wird auf die Parusie Jesu angespielt.69

Der intendierte Rezipient kennt die Vorstellung von der Wiederkunft des Menschensohns (Mt 24,27 ἡ παρουςία τοῦ ὑιοῦ τοῦ ἀνθρώπου) v.a. aus Mt 24–25. Dort schildert der irdische Jesus bestimmte (aus dem apokalyptischen Bereich stammende) Zeichen („Wehen“ Mt 24,8)70, die das Kommen des Menschensohns ankündigen, und mahnt zur Wachsamkeit (vgl. Mt 24,4–25,30). „Dass es das alles gibt, ist kein Zufall, sondern von Gott so gesteuert“71 (vgl. Mt 24,6). Die Parusievorstellung ist eng verknüpft mit dem endzeitlichen Gericht (vgl. Mt 25,31–46). Der Menschensohn wird bei seiner Wiederkunft auf einem Thron sitzend alle Völker richten. Die einen erhalten die ewige Strafe, die anderen das ewige Leben (vgl. Mt 25,46). Zugleich liegt dieser Parusievorstellung das „Zwei-Äonen-Schema“ zugrunde, wonach der gegenwärtige Äon (diese Weltzeit) mit der Parusie endet und dann der neue Äon beginnt (vgl. Mt 12,32 οὔτε ἐν τούτῳ τῷ αἰῶνι οὔτε ἐν τῷ μέλλοντι)72. Den genauen Zeitpunkt der Parusie kennt jedoch nicht einmal der Sohn, sondern nur der Vater (vgl. Mt 24,36).

Das ὑμῶν in Mt 28,20 bezieht die Beistandszusage auf die Gesamtheit aller Jünger und Jüngerinnen bis zum Ende des gegenwärtigen Äons.73 Der intendierte Rezipient wird sich daher automatisch im ὑμῶν eingeschlossen fühlen.74 In der Zeit bis zur Wiederkunft des Menschensohns – die durch endzeitliche Wehen wie Kriege, Hungersnöte und Umweltkatastrophen geprägt sein wird (vgl. Mt 24,4–31) – sichert der Auferstandene ihnen seinen Beistand zu.75

Darüber hinaus soll der intendierte Rezipient durch die Aussage des Auferstandenen „ich bin mit euch“ (ἐγὼ μεθ’ ὑμῶν εἰμι), die den Schluss des Evangeliums bildet, an den Anfang des Evangeliums Mt 1,23 erinnert werden. Hier wird Jesus als Ἐμμανουήλ („Gott mit euch“) bezeichnet. Zur Zeit des irdischen Jesus war Gott durch Jesus, den Immanuel, bei den Seinen. Jetzt, nach Jesu Auferstehung ist es der Auferstandene selbst, der bei ihnen bleibt.76 Mit dieser Anspielung wird der Bogen zum Anfang des Evangeliums zurückgeschlagen, sodass sich mit der Beistandszusage des Auferstandenen gewissermaßen der Kreis schließt. „He will be in their midst“77. Die präsentische Formulierung betont dabei, dass der Beistand Jesu bereits vorhanden ist und „verheißt Beständigkeit.“78 Der intendierte Rezipient reagiert auf diese Beistandszusage des Auferstandenen sehr wahrscheinlich mit Erleichterung, Hoffnung und Vertrauen.79 Denn der Auferstandene als der Vollmächtige sichert seinen bleibenden Beistand zu.80 „And in this all-inclusive authority Jesus continues to be with his disciples“81.

Dass der Auferstandene nach seiner Rede in den Himmel hinauffährt oder auf andere Art und Weise das Geschehen verlässt, berichtet der Erzähler nicht mehr.82 Die Erzählung endet für den intendierten Rezipienten möglicherweise etwas abrupt nach der Beistandszusage des Auferstandenen.83 „So aber setzt der ermutigende Zuspruch […] den betonten Schlusspunkt.“84 Dadurch erscheint der Auferstandene als einer, der (obwohl er sich nun zwischen dem Vater und dem Heiligen Geist befindet, vgl. Mt 28,19) dennoch bei den Menschen auf der Erde bleibt und mitten unter ihnen ist. Er bleibt damit den Menschen, die ihm nachfolgen, bis zu seiner Wiederkunft nahe. „Damit kann das Evangelium enden.“85

4 887,23 ₽

Начислим

+147

Покупайте книги и получайте бонусы в Литрес, Читай-городе и Буквоеде.

Участвовать в бонусной программе
Возрастное ограничение:
0+
Объем:
516 стр. 11 иллюстраций
ISBN:
9783772000027
Правообладатель:
Bookwire
Формат скачивания:
23 книга в серии "NET - Neutestamentliche Entwürfe zur Theologie"
Все книги серии
Черновик
Средний рейтинг 4,8 на основе 241 оценок
Аудио
Средний рейтинг 4,1 на основе 1059 оценок
Аудио
Средний рейтинг 4,6 на основе 314 оценок
Аудио
Средний рейтинг 3,9 на основе 50 оценок
Аудио
Средний рейтинг 4,8 на основе 5272 оценок
Аудио
Средний рейтинг 4,6 на основе 1094 оценок
Аудио
Средний рейтинг 4,8 на основе 332 оценок
Аудио
Средний рейтинг 4,4 на основе 130 оценок
Аудио
Средний рейтинг 4,8 на основе 784 оценок
Текст, доступен аудиоформат
Средний рейтинг 3,6 на основе 53 оценок
Текст
Средний рейтинг 0 на основе 0 оценок