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Osterbotschaft aus Shanghai

Als ich – gemeinsam mit meinem Mann – 2019/2020 für ungefähr ein Jahr in Shanghai lebte, habe ich ein Whatsapp-Tagebuch für meine Familie und meine Freunde zu Hause in Deutschland geschrieben. Eintrag vom Abend des Ostersonntags 2020:

„Er ist auferstanden! Er ist wahrhaftig auferstanden!“ lautet die Osterbotschaft und sie erreicht mich heute als Grußnachricht aller deutschen Christengemeinden in Asien, die wegen Corona keinen persönlichen Gottesdienst halten können und dies deshalb via Internet tun. Wir hier in der Anshun Road 389, im 25. Stock von Building 1, richten das Osterfest für unsere chinesischen Freunde aus, die dies zum allerersten Mal erleben.

Und wir machen es so, als täten wir es für unsere liebsten Menschen. Schon Tage vorher habe ich Osterkörbchen und Süßigkeiten zum Verstecken für die Kinder gekauft, Eierfarben im Internet bestellt, 30 handverlesene, fast weiße Eier hartgekocht und eingekauft wie ein Weltmeister. Lamm mit Ratatouille und Rosmarinkartoffeln als Hauptgericht, Salat mit Baguette vorweg und zum Nachtisch selbstgemachten Joghurt mit Erdbeeren in Vanillezucker – das ist mein Plan, weil ich weiß, das hätte ich auch für die Meinen in Deutschland gemacht. Wenn ich dort wäre, bei meiner Familie.

Hätte, könnte, wäre – der Flug nach Deutschland ist ins Wasser gefallen, und ich fange gleich nach dem Frühstück mit den Vorbereitungen für unseren Ostersonntag an. Wie sonst auch.

Ich erlaube es meinem Herzen nicht, schwer zu werden, denn allen, die mir wichtig sind, geht es gut, auch wenn sie nicht bei uns sind und wir ein Osterfest vorbereiten für Menschen, die unsere Sprache nicht sprechen und unseren Glauben nicht teilen.

Diese lieben Menschen, die wir heute an unseren Tisch geladen haben, malen mit viel Freude die Ostereier an und suchen vergnügt die versteckte Schokolade. Dann essen sie tapfer ein bisschen Salat – schmeckt sehr sauer, finden sie. Und das Ratatouille? Na ja … Das Lammfleisch ist okay und die Ofenkartoffeln auch. Erdbeerquark, hmmmm, good!, davon isst jeder zwei bis drei Portionen, und sie lachen, als ich ihnen erzähle, dass meine Söhne jetzt bestimmt neidisch auf sie wären, weil das ihr liebster Nachtisch ist: „Erdbeerjoghurt, so wie du ihn machst, Mama, ist einfach das Beste überhaupt!“

Auf einmal verstehe ich, was anders werden muss auf dieser unserer einen Welt. Hier in Shanghai sitzen jetzt die „Meinen“ an diesem Tisch, auch wenn ich die „anderen Meinen“ zu Hause in Europa sehr vermisse. ‚Wir müssen einander lieben oder untergehen!‘ geht es mir durch den Kopf und ich klatsche mit der kleinen Kerry vor Freude in die Hände.

Ich winke unseren Freunden nach, als sie mit ihren Oster-Schätzen in den Fahrstuhl steigen, und schicke einen Gruß nach Hause: „Ich wünsche Euch frohe Ostern, wo immer Ihr gerade seid. Ich habe heute sehr gut für Euch gekocht! Bleibt gesund, bleibt behütet!“

Steffi Kujadt

Das Glück ist das einzige,

das sich verdoppelt,

wenn man es teilt.

Albert Schweitzer

Die Suche nach dem Pirol

Es war in den fünfziger Jahren, als einmal mein Bruder Jan verloren ging. Unsere Mutter hatte ihn in den Bus gesetzt, und in dem Dörfchen Ulbargen sollte er aussteigen und zu den Großeltern laufen. Jedoch traf er dort nicht ein, und so wurde schließlich eine große Suchaktion gestartet. Alle hatten Angst, der Sechsjährige könne in den großen Kanal gefallen sein, der dort entlang führte. Schließlich wurde Jan aber doch heil und unversehrt gefunden, und zwar in einem etwas abgelegenen kleinen Wald. Er habe dort einen Pirol beobachten wollen, erklärte er den Erwachsenen. Großvater habe ihm davon erzählt.

„Aber konntest du dir denn gar nicht vorstellen, dass wir dich vermisst haben?“, fragte ihn unsere Großmutter. Jan schüttelte nur den Kopf und sagte:

„Ich war doch da!“

Rainer Schönberger

Das Wunderbarste an den Wundern ist, dass sie manchmal wirklich geschehen.

Gilbert Keith Chesterton

Leben und Tod

Der Oberarzt der Universitätsklinik nahm mich zur Seite. Meine Frau lag dort mit einer schweren Krebserkrankung, es stand nicht gut um sie. Der Arzt fragte mich, ob ich mir schon Gedanken über eine dauerhafte Betreuung unserer beiden kleinen Kinder gemacht hätte. Er wusste um unsere Lage – und auch davon, dass ich an meine Grenzen kam: die Dauerbesuche in dieser weit entfernten Klinik, die Sorge um meine Frau, die Kinder …

Ich antwortete ihm, dass ich sehen müsse, wie sich die Situation entwickle. Etwas unvermittelt sagte er daraufhin:

„Ihre Frau hat schätzungsweise noch drei Monate zu leben.“

Der Satz ging tief in mich hinein, und doch spürte ich gleichzeitig, wie sich eine große Gelassenheit in mir ausbreitete, verbunden mit einer Kraft, die ich direkt wahrnehmen konnte. Ich antwortete dem Arzt:

„Sie machen Ihre Arbeit, und Sie machen sie sehr gut. Wir glauben an Gott. Und daran, dass er über Leben und Tod entscheidet.“

Meine Frau wurde bald wieder gesund. Aus den drei Monaten sind inzwischen mehr als zwanzig Jahre geworden.

Ibrahim Al-Rashid

Der Rückruf

Während eines Krankenhausaufenthaltes, der einige Jahre zurückliegt, freundete ich mich mit einer älteren Dame an. Ich war Mitte zwanzig. Wir teilten nicht nur das Zimmer, sondern auch unsere Sorgen und unser Leid, und wenn wir nachts nicht schlafen konnten, erzählten wir uns aus unserem Leben.

Ich durfte das Krankenhaus etwas früher als sie verlassen, doch von nun kam ich als gern gesehene Besucherin vorbei. Und auch in den folgenden Jahren besuchte ich Hilke, die so zäh ihren Beschwerden und Krankheiten trotzte, regelmäßig in ihrem Zuhause. Zwar wohnte ich in einer anderen Stadt, jedoch war ein Besuch bei Hilke ein fester Bestandteil jeder Reise in meine Heimatstadt.

Es war eine Freundschaft, geprägt von Herzlichkeit und tiefer Verbundenheit. Ich hätte Hilkes Enkelin sein können. Freudig überrascht stellte sie gleich zu Anfang fest: „Du heißt also Hesch mit Nachnamen. Weißt du, dass ich auch eine geborene Hesch bin?“

Hilke war Kapitänswitwe, sie hatte ihren Mann jahrelang begleitet als „Mannschaftsköchin“ und so manches erlebt, ob in Rio, Marseille oder anderswo. Sie wusste viel von der Welt – und auch von den Höhen und Tiefen des Lebens.

Ich war einige Zeit nicht in meiner Heimat und somit auch nicht bei der älteren Freundin gewesen, als das Telefon klingelte. Es war Hilke. Da solch ein Gespräch gerne mal ein oder zwei Stunden dauern konnte und ich gerade auf dem Sprung war, vertröstete ich sie nach einigen Minuten und versprach, bald zurückrufen.

In den folgenden Tagen hatte ich allerhand um die Ohren, kam oft erst am späten Abend zurück und schob das Gespräch immer wieder auf. Erst nach fast zwei Wochen fand ich endlich Ruhe und Zeit und wollte mit Hilke telefonieren. Ich ließ es bei ihr klingeln, aber sie nahm nicht ab. Mich beschlich ein mulmiges Gefühl und ich versuchte mich zu beruhigen: Sie hatte ja so munter geklungen, als sie neulich anrief. Ihre Stimme war kraftvoller gewesen als so manches Mal zuvor in den vergangenen Jahren.

Drei Tage später erfuhr ich, dass Hilke gestorben war. Einen Tag, bevor ich vergeblich versucht hatte, sie zu erreichen. Mich plagten Gewissensbisse: Wa-rum hatte ich sie nicht früher angerufen? Warum hatte ich das Telefongespräch immer wieder verschoben?

In der Nacht träumte ich von Hilke. Wir unterhalten uns, oder besser: Wir teilen unsere Gefühle und was uns bewegt. Es ist ein Gespräch, das eher über Gedanken als über Sprache funktioniert. Ich entschuldige mich dafür, dass ich nicht rechtzeitig zurückgerufen habe. Hilke lächelt und sagt mit ihrer herzlichen und humorvollen Art, die ich so an ihr mochte: „Ach, liebe Larissa, das macht doch nichts. Wie gerne würde ich jetzt mit dir telefonieren! Aber das geht ja schlecht, schließlich ich bin ja gestorben.“ Da müssen wir beide lachen.

Larissa Hesch

Ich bin nicht tot,

ich wechsle nur die Räume,

ich leb‘ in euch

und geh durch eure Träume.

Michelangelo

Sternstunden der Liebe

Zufälle gibt es nicht

Es war an einem Vormittag im Mai vor 26 Jahren. Ich arbeitete wie immer in der Konditorei unserer hübschen kleinen Stadt in der Nähe von München, als eine Gruppe von vier oder fünf Personen, offenbar Touristen, das Geschäft betrat. Der eine wollte dies, der andere das, und man hörte an ihren Stimmen gleich, dass sie aus dem Norden kamen. Unvermittelt fragte mich einer von ihnen, ein älterer, stattlicher Herr, ob ich aus dem Ort stamme.

„Nein“, sagte ich, „geboren bin ich hier nicht, aber ich lebe schon sehr lange hier.“ Er sah mich genau an, und mit einem Mal schien es mir, als würde ich ihn kennen.

„Wo sind Sie denn geboren?“, fragte er.

„In Breslau.“

„Luise?“

„Ja, Luise Thienel.“

An die folgenden Minuten habe ich nur noch vage Erinnerungen, da sich in mir alles zu drehen begann. Eine Kollegin übernahm die Bedienung – während ich mit dem fremden Herrn vor die Tür ging. Es handelte sich um Herbert, meinen Verlobten von 1944, von dem ich angenommen hatte, er würde nicht mehr leben.

Fast 45 Jahre waren vergangen, seit wir uns zum letzten Mal gesehen hatten. Gleich nach unserer Verlobung im März 1944 musste Herbert wieder an die Ostfront, von wo er bald als vermisst gemeldet wurde. Während meine Eltern und Großeltern bei Kriegsende in Breslau ums Leben kamen, gelang meiner Schwester und mir die Flucht. Über mehrere Stationen kamen wir schließlich nach Bayern.

„Wie hast du mich denn erkannt?“, wollte ich von Herbert wissen.

„Du hast dich doch kaum verändert“, schmunzelte er so charmant wie damals. Es sei meine Stimme gewesen, die ihn augenblicklich elektrisiert habe, erzählte er dann. Und so erfuhr ich seine Geschichte, dass er nämlich in russische Kriegsgefangenschaft geraten war und 1950 zunächst in die damalige Ostzone nach Mecklenburg gelangte, von wo aus er später in den Westen flüchtete. Hamburg wurde seine neue Heimat. Da alle Nachforschungen nach mir ergebnislos blieben, heiratete er eine andere Frau, mit der er drei Kinder bekam. Er war inzwischen schon mehrfacher Großvater. Seine Frau war vor drei Jahren gestorben.

Auch ich hatte gleich nach dem Krieg geheiratet und Kinder bekommen, mein Mann war schon 15 Jahre tot, mein großer Trost die vier Enkelkinder.

Herbert, der immer noch blendend aussah und Lebenskraft und Lebensfreude ausstrahlte, war davon überzeugt, dass bei unserem Wiedersehen andere Mächte als der nüchterne Zufall gewirkt hätten. Er hätte mich am liebsten gleich mit nach Hamburg genommen, aber ich musste diesen Einbruch in mein Leben erst einmal verarbeiten. Was mir zuerst wie ein Märchen erschien, wandelte sich in der Folgezeit. Die ganze Geschichte erschien mir zunehmend absurd, und Gefühle der Bitterkeit und Trauer über unsere verpasste große Liebe stellten sich ein. Es war auch, als müsste ich all die Gefühle des Leids und des Elends, für die in der Kriegs- und Nachkriegszeit kaum Platz war, noch einmal richtig ausleben.

Herbert und ich telefonierten oft miteinander, und gottlob brachte er mir Verständnis entgegen. Nach einem Jahr war ich so weit, dass ich ihn besuchen konnte. Ich war furchtbar aufgeregt und fühlte mich mit einem Mal wieder ganz jung – es war ein richtiges Rendezvous. Herbert und ich verlebten eine Traumwoche, wir turtelten wie Teenager – und nach weiteren drei Monaten zog er zu mir nach Bayern. Zehn wunderbare Jahre waren uns vergönnt, bis Herbert schließlich starb, zehn Märchenjahre, von denen wir jeden einzelnen Tag genossen.

Luise Beckmann

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