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Joseph Balsamo Denkwürdigkeiten eines Arztes 1

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XLVIII.
Die Bürger von Paris

Das Kapitel war wirklich, wie es die Nonnen zu der Fremden gesagt hatten, versammelt, um sich über die Mittel zu berathen, der Tochter der Cäsaren einen glänzenden Empfang zu bereiten.

»Ihre Königliche Hoheit Madame Louise weihte auf diese Art in Saint-Denis ihr oberstes Commando ein.

Der Schatz des Klosters war ein wenig gesunken. Die frühere Superiorin hatte, auf ihre Gewalt Verzicht leistend, den größeren Theil der Spitzen, die ihr als Eigenthum gehörten, so wie die Reliquienkästen und Monstranzen mitgenommen, welche ihren Gemeinden diese aus den besten Familien gezogenen Aebtissinnen liehen, die sich dem Dienste des Herrn unter den weltlichsten Bedingungen widmeten.

Als Madame Louise erfuhr, die Dauphine würde in Saint-Denis anhalten, schickte sie einen Boten nach Versailles, und noch in derselben Nacht kam ein mit Tapetenwerk, Spitzen und Ornamenten beladener Wagen an.

Es mochte ungefähr für sechsmal hundert tausend Livres sein.

Sobald sich das Gerücht von dem königlichen Glanze der Feierlichkeit verbreitete, sah man auch diese glühende, diese furchtbare Neugierde der Pariser sich verdoppeln, welche in kleinen Haufen, wie Mercier sagte, Stoff zum Lachen geben können, wenn sie aber alle beisammen sind, stets nachdenken und weinen machen.

Vor Tagesanbruch sah man, da die Reiseeintheilung der Frau Dauphine bekannt gemacht worden war, zu zehn und zehn, zu hundert und hundert, zu tausend und tausend die aus ihren Höhlen hervorgeschlüpften Pariser ankommen.

Die französischen Garden, die Schweizer, die in Saint-Denis cantonnirten Regimenter hatten die Waffen ergriffen und stellten sich in Spalieren auf, um die beweglichen Wellen dieser Fluth von Menschen im Zaum zu halten, welche bereits ihre furchtbaren Wirbel um die Hallen der Basilica bildeten und sich an die Sculpturen der Portale des Gemeindehauses aufhißten. Ueberall sah man Köpfe, Kinder hockten auf den Schirmdächern der Thüren, Männer und Frauen drängten sich an den Fenstern, Tausende von Neugierigen endlich, welche zu spät gekommen waren oder, wie Gilbert, ihre Freiheit den Notwendigkeiten vorzogen, die stets ein behaupteter oder in der Menge eroberter Platz auferlegt, Tausende von Neugierigen, sagen wir, kletterten, emsigen Ameisen ähnlich, an den Stämmen hinauf und zerstreuten sich auf den Zweigen der Bäume, welche von Saint-Denis bis zur Muette gleichsam eine Hecke an dem Wege der Dauphine bildeten.

Noch reich an Equipagen und Livreen, hatte der Hof jedoch von Compiègne an abgenommen.

Wenn man nicht ein sehr vornehmer Herr war, konnte man kaum dem König, die gewöhnlichen Etapen verdoppelnd und verdreifachend, folgen, bei den Relais von Pferden, die er auf der Straße aufgestellt hatte.

Die Kleinen waren in Compiègne geblieben oder hatten Post genommen, um nach Paris zurückzukehren und ihr Gespann schnaufen zu lassen.

Doch nach einem Tage der Ruhe zu Hause, kehrten Herren und Bedienten ins Feld zurück und eilten nach Saint-Denis, sowohl um die Menge zu beschauen, als um die Dauphine zu sehen, welche sie bereits gesehen hatten.

Und dann gab es nicht außer dem Hofe zu jener Zeit tausend Equipagen: das Parlament, die Finanzen, der reiche Handelsstand, die Frauen nach der Mode und die Oper? Fanden sich nicht Miethpferde und Miethwagen, sowie die Carabas, welche vollgepfropft von fünf und zwanzig Parisern und Pariserinnen im kurzen Trab nach Saint-Denis rollten und ihre Bevölkerung später nach dem Orte der Bestimmung brachten, als wenn diese zu Fuß gegangen wäre?

»Man macht sich nicht leicht einen Begriff von der furchtbaren Armee, die sich nach Saint-Denis wandte, am Morgen des Tages, an welchem, wie die Zeitungen und Anschlagzettel verkündigt hatten, die Frau Dauphine hier ankommen sollte, und die sich nun gerade dem Kloster der Carmeliterinnen gegenüber aufhäufte und wenn es nicht möglich war, in dem bevorzugten Umkreise Platz zu finden, sich den Weg entlang ausbreitete, auf welchem die Frau Dauphine und ihr Gefolge ankommen und abgehen mußten.

Man denke sich nun in dieser Menge, einem Popanz selbst für den Pariser, man denke sich Gilbert, klein, allein, unentschlossen, unbekannt mit der Oertlichkeit und so stolz, daß er nie um eine Auskunft bitten wollte; denn seitdem er in Paris war, wollte er für einen Vollblut-Pariser gelten, er, der nie mehr als hundert Personen beisammen gesehen hatte.

Anfangs erschienen auf seinem Wege die Spaziergänger dünn gesät; dann vervielfältigten sie sich bei der Chapelle; endlich, als er Saint-Denis erreichte, war es, als ob sie unter den Pflastersteinen hervorkämen, denn sie standen hier so dicht beisammen, wie die Kornähren auf einem ungeheuren Felde.

Verloren in der Menge, sah Gilbert seit langer Zeit nichts mehr; er ging ohne zu wissen wohin, wohin die Menge ging; er hätte sich jedoch erkundigen müssen. Kinder stiegen auf einen Baum, er wagte es nicht, seinen Rock auszuziehen, um es zu machen wie sie, obgleich er große Lust dazu hatte; aber er näherte sich dem Baume. Unglückliche wie er jedes Horizonts beraubte Leute, welche auf den Füßen der Andern marschirten, während man wieder auf ihre Füße trat, hatten den glücklichen Gedanken, die Aufsteigenden zu befragen, und erfuhren von einem derselben, daß es einen großen leeren Raum zwischen dem Kloster und dem Garten gab.

Ermuthigt durch diese erste Frage, fragte Gilbert ebenfalls, ob man die Carrossen erblicke.

Man sah sie noch nicht und gewahrte nur auf der Straße, ungefähr eine Viertelstunde jenseits Saint-Denis, einen gewaltigen Staub. Das war es, was Gilbert wissen wollte: die Carrossen waren noch nicht angekommen, es handelte sich nur darum, genau zu erfahren, von welcher Seite sie ankommen würden.

Wenn man in Paris einen ganzen Volkshaufen durchschreitet, ohne mit irgend Jemand ein Gespräch anzuknüpfen, so ist man Engländer oder taubstumm.

Kaum hatte sich Gilbert zurückgeworfen, um sich von dieser ganzen Menge frei zu machen, als er am Rande eines Grabens eine Familie von kleinen Bürgersleuten fand, welche hier frühstückten:

Es war die Tochter, eine große, blonde Person mit blauen Augen, bescheiden und schüchtern.

Es war die Mutter, eine dicke, kleine, lachende Frau mit weißen Zähnen und frischer Gesichtsfarbe.

Es war der Vater, in einem weiten Rocke von Berkan steckend, der nur alle Sonntage aus dem Schranke kam, den er aber für diese feierliche Gelegenheit aus dem Schranke gezogen hatte; er war auch mehr mit seinem Rocke beschäftigt, als mit seiner Frau und mit seiner Tochter, zum Voraus überzeugt, sie würden sich bei jeder Gelegenheit selbst zu helfen wissen.

Es war eine Tante, eine große, magere, trockene, wunderliche Person.

Es war eine Magd, welche beständig lachte.

Die letztere hatte in einem ungeheuren Korbe ein vollständiges Frühstück gebracht. Unter diesem Gewichte lachte und sang das kräftige Mädchen unabläßig, ermuthigt von seinem Herrn, der es im Falle der Noth ablöste.

Damals gehörte ein Diener zur Familie; es fand eine große Aehnlichkeit zwischen ihm und dem Hunde des Hauses statt: geschlagen zuweilen; ausgeschlossen niemals.

Gilbert betrachtete aus einem Winkel des Auges diese Scene, welche ihm völlig neu war. Seit seiner Geburt im Schlosse Taverney eingesperrt, wußte er, was der Herr, was das Gesinde war; aber der Bürger war ihm durchaus fremd.

Er sah bei diesen braven Leuten bei der materiellen Besorgung der Bedürfnisse des Lebens die Anwendung einer Philosophie, welche, ohne von Pluto oder Sokrates auszugehen, ein wenig an der von Bias in extenso Theil hatte.

Man hatte so viel als möglich mitgenommen und benutzte dies so viel als möglich.

Der Vater schnitt eines von den appetitlichen Stücken Kalbfleisch ab, wie sie den kleinen Bürgern von Paris so theuer sind. Bereits von den Augen Aller verschlungen, ruhte die Speise golden, lecker und ölig auf einer Platte von glacirter Erde, wo sie am Tage vorher unter Moorrüben, Zwiebeln und Speckschnitten die für den kommenden Tag sorgsame Hausfrau begraben hatte.

Dann hatte die Magd die Platte zum Bäcker gebracht, der, sein Brod backend, in seinem Ofen zugleich zwanzig ähnlichen Platten, deren Inhalt in Gesellschaft an der nachgeborenen Wärme der Reißbüschel sich braten und vergolden sollte, eine Zufluchtstätte gegeben hatte.

Gilbert wählte am Fuße einer ungeheuren Ulme ein kleines Plätzchen, wo er das beschmutzte Gras mit seinem Sacktuch abstäubte.

Er nahm seinen Hut ab, breitete sein Sacktuch auf dem Grase aus und setzte sich.

Er schenkte seinen Nachbarn keine Aufmerksamkeit, was natürlich zur Folge hatte, daß sie ihn bemerkten, als sie dies sahen.

»Das ist ein sorgfältiger junger Mann,« sprach die Mutter.

Das Mädchen erröthete.

Das Mädchen erröthete, so oft von einem jungen Mann in seiner Gegenwart die Rede war, worüber die Urheber seiner Tage vor Freude sich aufblähten.

»Das ist ein sorgfältiger junger Mann,« hatte die Mutter gesagt.

In der That, bei einer Pariser Bürgerin wird sich die erste Bemerkung stets auf einen Mangel oder auf eine moralische Eigenschaft beziehen.

Der Vater wandte sich um.

»Und ein hübscher Junge,« sagte er.

Die Röthe des Mädchens vermehrte sich.

»Er scheint sehr müde zu sein und hat doch nichts getragen,« versetzte die Magd.

»Träge,« sprach die Tante.

»Mein Herr,« sagte die Mutter, indem sie sich an Gilbert mit der Vertraulichkeit des Fragens wandte, die man nur bei den Parisern trifft, »sind die Carrossen des Königs noch fern?«

Gilbert wandte sich um; als er sah, daß das Wort an ihn gerichtet war, stand er auf und grüßte.

»Das ist ein artiger junger Mann,« bemerkte die Mutter.

Das Mädchen wurde purpurroth.

»Ich weiß nicht, Madame,« antwortete Gilbert; »ich habe nur sagen hören, man sehe Staub, ungefähr eine Viertelstunde von hier.«

 

»Nähern Sie sich, mein Herr,« sprach der Bürger, »und wenn Sie Lust haben  . . .«

Hiebei bezeichnete er das appetitliche, auf dem Grase ausgebreitete Frühstück.

Gilbert näherte sich. Er war nüchtern; der Geruch der Speisen kam ihm verführerisch vor; aber er fühlte seine fünf und zwanzig oder sechs und zwanzig Sous in seiner Tasche, bedachte, daß er für den dritten Theil seines Vermögens ein Frühstück so saftig als das, welches man ihm anbot, haben könnte, und wollte nichts von Leuten annehmen, die er zum ersten Male sah.

»Ich danke , mein Herr,« sagte er, »ich danke verbindlichst, ich habe schon gefrühstückt.«

»Ah! ah!« sagte die Bürgerin, »ich bemerke, daß Sie ein vorsichtiger Mann sind, mein Herr; doch Sie werden auf dieser Seite nichts sehen.«

»Aber Sie,« versetzte Gilbert lächelnd, »Sie werden also auch nichts sehen, da Sie, wie ich, hier sind?«

»Oh! wir,« sprach die Bürgerin, »das ist etwas Anderes, wir haben unsern Neffen, der Sergent bei den französischen Garden ist.«

Das junge Mädchen wurde veilchenblau.

»Er wird diesen Morgen vor dem blauen Pfauen stehen, das ist sein Posten.«

»Darf ich Sie, ohne unbescheiden zu sein, fragen, wo der blaue Pfau ist?« sagte Gilbert.

»Gerade dem Kloster der Carmeliterinnen gegenüber,« antwortete die Mutter; »er hat uns einen Platz hinter seiner Mannschaft versprochen; wir bekommen seine Bank von ihm und sehen die Herrschaften vortrefflich aussteigen.«

Nun fühlte Gilbert, wie ihm die Röthe in das Gesicht trat; er wagte es nicht, sich mit diesen braven Leuten zu Tisch zu setzen, aber er starb beinahe vor Begierde, ihnen zu folgen.

Doch seine Philosophie, oder vielmehr der Stolz, welchem zu mißtrauen Rousseau ihn so sehr ermahnt hatte, flüsterte ihm zu:

»Es ist gut für die Frauen, wenn sie Jemand brauchen, aber ich, ein Mann, habe ich nicht Arme und Schultern?«

»Alle, welche nicht dort sind,« fuhr die Mutter fort, als hätte sie den Gedanken von Gilbert errathen und wollte ihm darauf antworten, »Alle, welche nicht dort sind, werden nichts sehen, als die leeren Wagen, und die leeren Wagen kann man, meiner Treue! sehen, wann man will; es lohnt sich nicht der Mühe, deshalb nach Saint-Denis zu gehen.«

»Aber, Madame, mir scheint, es werden viele Leute denselben Gedanken haben, wie Sie,« sagte Gilbert.

»Ja, aber es werden nicht Alle einen Neffen haben, um sie passiren zu lassen.«

»Oh! das ist wahr.«

Und als Gilbert dieses das ist wahr sprach, drückte sein Gesicht einen Verdruß aus, der dem Pariser Scharfsinn nicht entging.

»Doch der Herr kann wohl mit uns kommen, wenn es ihm beliebt,« sprach der Bürger, welcher geschickt errieth, was seine Frau zu haben wünschte.

»Oh! mein Herr, ich würde befürchten, Ihnen zur Last zu fallen,« versetzte Gilbert.

»Ah! im Gegentheil,« sagte die Frau, »Sie werden uns an Ort und Stelle kommen helfen. Wir hatten nur einen Mann zu unserer Unterstützung und werden dann zwei haben.«

Kein Beweismittel hatte ein solches Gewicht wie dieses, um Gilbert zu bestimmen. Der Gedanke, er würde nützlich sein und durch diese Nützlichkeit den Beistand bezahlen, den man ihm anbot, wahrte sein Gewissen und benahm ihm zum Voraus jedes Bedenken.

»Wir werden wohl sehen, wem er seinen Arm anbietet,« sagte die Tante.

Diese Hülfe fiel für Gilbert in der That vom Himmel. Wie hätte er das ungeheure Hinderniß eines Walles von dreißig tausend Personen überwinden sollen, welche sich insgesammt mehr als er durch den Rang, durch den Reichthum, durch die Kraft und besonders durch die Gewohnheit empfahlen, sich bei diesen Festen, wo Jeder den breitesten Platz, den er sich machen kann, einnimmt, bequem zu stellen.

Dies würde indessen für unseren Philosophen, wäre er weniger Theoretiker und mehr Praktiker gewesen, ein bewunderungswürdiges dynamisches Studium der Gesellschaft geworden sein.

Die vierspännige Carrosse fuhr wie eine Kanonenkugel in die Masse, und Jeder flog bei Seite vor dem Läufer mit dem Federnhut, dem buntscheckigen Leibrock und dem dicken Stocke, der zuweilen selbst wiederum zwei unwiderstehliche Hunde vor sich hergehen ließ.

Die zweispännige Carrosse sagte eine Art von Einlaßwort einem Garde in das Ohr und nahm ihre Stelle auf dem Rundplatze zunächst beim Kloster.

Die Reiter gelangten im Schritte, aber die Menge beherrschend, nach tausend Stößen, nach tausend Püffen und nachdem sie tausendfaches Murren ausgestanden, zum Ziele.

Der Fußgänger erschien endlich, vorgeschoben, zurückgeworfen, gedrängt, schwimmend wie eine Welle, welche von tausend anderen Wellen fortgetrieben wird, sich auf seinen Fußspitzen erhebend, oder von seinem Nachbar emporgehoben, sich anstrengend wie Anteus, um die gemeinschaftliche Mutter wiederzufinden, die man die Erde nennt, seinen Weg suchend, um aus der Menge zu kommen, ihn findend und seine Familie nach sich ziehend, welche beinahe immer aus einer Truppe von Frauen bestand, die der Pariser allein unter allen Völkern überallhin, überalldurch und immer zu führen weiß und wagt und ohne Prahlereien respectiren macht.

Vor Allem, oder vielmehr vor Allen brach sich der Mann von der Hefe des Volkes, der Mann mit dem bärtigen Gesichte, nur den Rest einer Mütze auf dem Kopf, mit nackten Armen, die Hose von einem Strick gehalten, mit den Ellbogen, mit den Schultern, mit den Füßen spielend, lachend auf eine Weise, daß es einem Grinsen glich, Bahn durch das Gedränge, so leicht als Gulliver in dem Getreide von Lilliput.

Gilbert, der weder vornehmer Herr mit vier Pferden, noch Parlamentsmitglied im Wagen, noch Militär zu Pferd, noch Pariser, noch Mann des Volkes war, würde in dieser Menge unfehlbar gequetscht, erdrückt, zermalmt worden sein. Sobald er aber einmal unter der Protection des Bürgers stand, fühlte er sich stark.

Entschlossen bot er den Arm der Mutter.

»Der Unverschämte!« sagte die Tante.

Man setzte sich in Marsch.

Der Vater ging zwischen seiner Schwester und seiner Tochter; dahinter kam die Magd, den Korb am Arm.

»Meine Herren, ich bitte Sie,« sagte die Bürgerin mit ihrem treuherzigen Lächeln; »meine Herren, haben Sie die Gefälligkeit, meine Herren, seien Sie so gut  . . .«

Und man ging bei Seite und ließ sie vorüber, sie und Gilbert, und in ihrem Soge schlüpfte die übrige Gesellschaft nach.

Schritt für Schritt, Fuß für Fuß eroberte man die fünfhundert Klafter Boden, welche den Platz des Frühstücks von dem Platze des Klosters trennten, und man gelangte bis zu dem Spaliere der furchtbaren französischen Garden, auf welche der Bürger und seine Familie ihre ganze Hoffnung setzten.

Das junge Mädchen hatte allmählig seine natürliche Farbe wieder bekommen.

Hier angelangt erhob sich der Bürger auf den Schultern von Gilbert und erblickte zwanzig Schritte von sich den Neffen seiner Frau, der sich den Schnurrbart drehte.

Der Bürger machte mit seinem Hut so ausschweifende Geberden, daß sein Neffe ihn am Ende bemerkte, auf ihn zuging und etwas Raum von seinen Kameraden verlangte, welche die Reihen auf einem Punkte auflösten.

Sogleich schlüpften durch diesen Spalt Gilbert und die Bürgerin, der Bürger, seine Schwester und seine Tochter, dann die Magd, welche wohl beim Durchzug ein heftiges Geschrei ausstieß und sich mit wilden Augen umwandte, jedoch ohne daß ihre Herrschaft nur daran dachte, sie nach dem Grunde ihres Geschreis zu fragen.

Sobald Gilbert die Chaussee überschritten hatte, begriff er, daß er an Ort und Stelle war. Er dankte dem Bürger, der Bürger dankte ihm. Die Mutter versuchte es, ihn zurückzuhalten die Tante forderte ihn auf, zu gehen, und man trennte sich, um sich nicht wieder zu sehen.

Da, wo sich Gilbert befand, waren nur Bevorzugte; er erreichte daher leicht den Stamm einer großen Linde, stieg auf einen Stein, machte sich einen Haltpunkt aus dem ersten besten Zweige und wartete.

Eine halbe Stunde nachher rasselten die Trommeln, donnerten die Kanonen, und die majestätische Glocke der Kathedrale schleuderte ein erstes Gesumme in die Luft.

XLIX.
Die Carrossen des Königs

Ein dumpfes Gemurmel in der Ferne, das immer stärker und immer deutlicher wurde, je näher es kam, machte, daß Gilbert, der seinen ganzen Körper unter einem scharfen Schauer sich sträuben fühlte, die Ohren spitzte.

Man rief: es lebe der König.

Dies war damals noch gebräuchlich.

Eine Wolke von wiehernden, mit Gold und Purpur bedeckten Pferden wälzte sich auf der Chaussée fort: das waren die Musketiere, die Gendarmen und die Schweizer zu Pferd; dann erschien eine schwere, herrliche Carrosse.

Gilbert erblickte ein blaues Band und einen bedeckten majestätischen Kopf. Er sah den kalten, durchdringenden Blitz des königlichen Blickes, vor welchem sich alle Stirnen beugten und entblößten.

Geblendet, unbeweglich, berauscht, keuchend, vergaß er seinen Hut abzunehmen.

Ein heftiger Schlag entzog ihn seiner Extase; sein Hut war auf den Boden gerollt.

Er machte einen Sprung, hob seinen Hut auf, schaute empor und erkannte den Neffen des Bürgers, der ihn mit dem den Militären eigenthümlichen verschmitzten Lächeln anschaute.

»Nun!« sagte er, »nimmt man seinen Hut nicht vor dem König ab?«

Gilbert erbleichte, betrachtete seinen mit Staub bedeckten Hut und antwortete:

»Es ist das erste Mal, daß ich den König sehe, mein Herr, und ich habe allerdings vergessen, ihn zu grüßen. Aber ich wußte nicht  . . .«

»Sie wußten nicht?« versetzte der Kriegsmann die Stirne faltend.

Gilbert befürchtete, man könnte ihn von dem Platze wegjagen, wo er so gut stand, um Andrée zu sehen: die Liebe, die in seinem Herzen glühte, brach seinen Stolz.

»Entschuldigen Sie mich,« sagte er, »ich bin aus der Provinz.«

»Und Sie sind nach Paris gekommen, um Ihre Erziehung zu machen, mein gutes Männchen?«

»Ja, mein Herr,« antwortete Gilbert, seine Wuth verschluckend.

»Nun, da Sie eben im Zuge sind, sich zu unterrichten,« sagte der Sergent, indem er die Hand von Gilbert zurückhielt, welcher seinen Hut eben wieder auf seinen Kopf setzen wollte, »erfahren Sie noch Folgendes: man grüßt die Frau Dauphine wie den König, die Herren Prinzen wie die Frau Dauphine, kurz man grüßt alle Wagen, woran Lilien sind. Kennen Sie die Lilien, mein Kleiner, oder soll ich Sie damit bekannt machen?«

»Unnöthig, mein Herr, ich kenne sie,«

.»Das ist ein Glück,« brummte der Sergent.

Die königlichen Wagen zogen vorüber.

Die Reihe verlängerte sich: Gilbert schaute mit so gierigen Augen, daß sie blöd aussahen. Nach und nach, wie sie vor der Pforte der Abtei anlangten, hielten die Wagen an und die Herren des Gefolges stiegen aus, eine Operation, welche von fünf zu fünf Minuten einen Halt auf der ganzen Linie veranlaßte.

Bei einem von diesen Halten fühlte es Gilbert, als ob ein glühendes Eisen sein Herz durchdränge. Es faßte ihn ein Schwindel, wobei alle Dinge vor seinen Augen verschwanden, und ein so heftiges Zittern bemächtigte sich seiner, daß er sich an seinem Äste anklammern mußte, um nicht zu fallen.

Sich gegenüber hatte er auf höchstens zehn Schritte in einem von den Wagen mit Lilien, die ihm der Sergent zu grüßen empfohlen, das glänzende, leuchtende Antlitz von Andrée erblickt, welche weiß gekleidet war, wie ein Engel, oder wie ein Gespenst.

Er stieß einen schwachen Schrei aus, überwand sodann alle Gemüthsbewegungen, die sich gleichzeitig seiner bemächtigt hatten, befahl seinem Herzen, zu schlagen aufzuhören, und seinem Blicke, sich auf die Sonne zu heften.

Und die Herrschaft, die der junge Mann über sich selbst besaß, war so groß, daß es ihm gelang.

Andrée, welche wissen wollte, warum die Wagen zu fahren aufgehört, neigte sich aus dem Schlage hervor, ließ ihr schönes Azurauge umherlaufen, erblickte Gilbert und erkannte ihn.

Gilbert vermuthete, Andrée würde, wenn sie ihn erblickte, staunen, sich umwenden und mit ihrem Vater sprechen, der neben ihr im Wagen saß.

Er täuschte sich nicht, Andrée staunte, wandte sich um und lenkte auf Gilbert die Aufmerksamkeit des Baron von Taverney, der, geschmückt mit seinem großen rothen Ordensbande, majestätisch in der Carrosse des Königs saß.

»Gilbert!« rief der Baron, als ob er Plötzlich erwachte, »Gilbert hier! Und wer wird dort für Mahon sorgen?«

Gilbert hörte diese Worte vollkommen und schickte sich auch sogleich an, Andrée und ihren Vater mit studirter Ehrfurcht zu grüßen.

Er bedurfte aller seiner Kräfte, um diese Begrüßung auszuführen.

»In der That, es ist wahr!« rief der Baron, als er unsern Philosophen erblickte. »Es ist dieser Bursche in Person.«

 

Der Gedanke, Gilbert befinde sich in Paris, war seinem Geist so fern, daß er Anfangs den Augen seiner Tochter nicht glauben wollte, und sogar hernach noch alle Mühe hatte, seinen eigenen Augen zu glauben.

Das Gesicht von Andrée, welches Gilbert mit einer unerschütterlichen Aufmerksamkeit betrachtete, drückte nicht mehr als eine vollkommene Ruhe nach einer leichten Wolke des Erstaunens aus.

Der Baron neigte sich aus dem Schlage und rief Gilbert durch eine Geberde.

Gilbert wollte auf ihn zugehen, der Sergent hielt ihn zurück.

»Sie sehen? daß man mich ruft,« sagte er.

»Wo dies?«’

»Von jenem Wagen.«

Die Blicke des Sergenten folgten der durch den Finger von Gilbert bezeichneten Richtung und hefteten sich auf den Wagen von Herrn von Taverney.

»Verzeihen Sie, Sergent,« sagte der Baron, »ich möchte gern mit diesem Jungen nur zwei Worte sprechen.«

»Vier, mein Herr, vier,« antwortete der Sergent; »Sie haben übrigens Zeit, man hält eine Rede unter der Halle und der Aufenthalt dauert eine gute halbe Stunde. Gehen Sie vorbei, junger Mann.«

»Hierher, Bursche,« sprach der Baron zu Gilbert, welcher sich stellte, als ginge er seinen gewöhnlichen Schritt, »sagt einmal, warum man Euch zufällig in Saint-Denis trifft, während Ihr in Taverney sein solltet?«

Gilbert verbeugte sich zum zweiten Male vor Andrée und dem Baron; und antwortete:

»Es ist nicht der Zufall, mein Herr, was mich hierher führt, sondern ein Akt meines Willens.«

»Wie, Eures Willens, Maulaffe! solltet Ihr einen Willen haben?«

»Warum nicht? Jedem freien Menschen steht das Recht zu, einen zu haben.«

»Jedem freien Menschen! Ah! Ihr haltet Euch also für frei, unglückliches Bürschchen?«

»Ganz gewiß, da ich meine Freiheit an Niemand gefesselt habe.«

»Das ist bei meiner Treue ein lustiger Schlingel,« rief Herr von Taverney, etwas verblüfft durch die feste Haltung, mit der Gilbert sprach. »Wie? Ihr in Paris! und wie seid Ihr hierher gekommen, bitte ich?  . . . Und mit welchen Mitteln, wenn’s beliebt?«

»Zu Fuß,« antwortete Gilbert lakonisch.

»Zu Fuß!« wiederholte Andrée mit einem gewissen Ausdruck des Mitleids.

»Und was willst Du in Paris machen, frage ich Dich?« rief der Baron.

»Zuerst meine Erziehung, sodann mein Glück.«

»Deine Erziehung!«

»Dessen bin ich sicher.«

»Dein Glück!«

»Ich hoffe es.«

»Und was machst Du mittlerweile? Du bettelst?«

»Betteln!« versetzte Gilbert mit stolzer Verachtung.

»Also stiehlst Du?«

»Mein Herr,« sprach Gilbert mit einem Ausdruck unbändiger Entschiedenheit, der einen Augenblick die Aufmerksamkeit von Fräulein von Taverney auf den seltsamen jungen Mann lenkte, »habe ich Sie je bestohlen?«

»Was machst Du dann mit Deinen Faullenzerhänden?«

»Was ein Mann von Genie macht, dem ich gleichen will, und wäre es nur durch meine Beharrlichkeit. Ich schreibe Musik ab.«

Andrée wandte den Kopf nach ihm um.

»Sie schreiben Musik ab?« sagte sie.

»Ja, mein Fräulein.«

»Sie verstehen also die Musik?« fügte sie verächtlich und mit demselben Tone bei, als hätte sie gesagt: »Sie lügen.«

»Ich kenne meine Noten, und das ist genug, um Abschreiber zu sein,« antwortete Gilbert.

»Und wo Teufels hast Du Deine Noten gelernt?«

»Ja,« machte Andrée lächelnd.

»Herr Baron, ich liebe die Musik ungemein, und da das Fräulein jeden Tag ein paar Stunden an seinem Clavier zubrachte, verbarg ich mich, um zu horchen.«

»Müßiggänger!«

»Ich habe Anfangs die Melodien auswendig behalten, und da diese Melodien in einer Methode geschrieben waren, so lernte ich allmählig und durch angestrengte Arbeit in dieser Methode lesen.«

»In meiner Methode!« versetzte Andrée, im höchsten Maße entrüstet, »Sie wagten es, meine Methode zu berühren?«

»Nein, mein Fräulein, das hätte ich mir nie erlaubt,« sprach Gilbert; »aber sie blieb auf Ihrem Clavier bald an einem Ort, bald an einem andern offen. Ich berührte sie nicht, ich versuchte es, zu lesen, und sonst nichts; meine Augen konnten die Blätter nicht beschmutzen.«

»Sie werden sehen,« sprach der Baron, »dieser Schuft sagt uns sogleich, er spiele Clavier wie Haydn.«

»Ich könnte dies ohne Zweifel, wenn ich es gewagt hätte, meine Finger auf die Tasten zu setzen.«

Andrée warf unwillkührlich einen zweiten Blick, auf dieses Gesicht, welches von einem Gefühle belebt war, von dem nichts einen Begriff geben kann, wenn nicht etwa der gierige Fanatismus des Märtyrers.

Aber der Baron, der in seinem Innern nicht die Ruhe und die verständige Hellsichtigkeit seiner Tochter besaß, fühlte seinen Zorn entbrennen bei dem Gedanken, dieser junge Mann habe Recht und man habe ein unmenschliches Unrecht gegen ihn begangen, daß man ihn in Taverney in Gesellschaft von Mahon gelassen.

Man vergibt aber nur schwer einem Untergeordneten das Unrecht, dessen er uns zu überweisen vermag, und so rief der Baron, der immer hitziger wurde, je mehr sich seine Tochter besänftigte:

»Ah! junger Schurke, Du läßt es Dir einfallen, auszureißen, umherzustreifen, und wenn man von Dir Rechenschaft verlangt über Dein Betragen, nimmst Du Deine Zuflucht zu elenden Possen, wie wir sie eben gehört. Nun wohl, da durch meinen Fehler das Pflaster des Königs nicht von Spitzbuben und Zigeunern belagert werden soll  . . .«

Andrée machte eine Bewegung, um ihren Vater zu beschwichtigen; sie fühlte, daß die Uebertreibung die Ueberlegenheit ausschloß.

Aber der Baron schob die beschützende Hand seiner Tochter auf die Seite und fuhr fort:

»Ich werde Dich Herrn von Sartines empfehlen und Du sollst einen Gang nach Bicêtre machen, Du Taugenichts von einem Philosophen.«

Gilbert machte einen Schritt rückwärts, drückte seinen Hut unter seinen Arm, und erwiederte bleich vor Zorn:

»Herr Baron, erfahren Sie, daß ich, seitdem ich in Paris bin, Beschützer gefunden habe, welche bei Ihrem Herrn von Sartines antichambriren.«

»Ah! ja wohl,« rief der Baron, »wenn Du Bicêtre entgehst, so wirst Du jedenfalls den Steigbügelriemen nicht entgehen. Andrée, Andrée! rufe Deinen Bruder, der ganz in der Nähe ist.«

Andrée bückte sich gegen Gilbert und sagte gebieterisch:

»Herr Gilbert, entfernen Sie sich.«

»Philipp! Philipp!« rief der Greis.

»Entfernen Sie sich,« sagte Andrée zu dem jungen Mann, der stumm und unbeweglich, wie in einer extatischen Beschauung, an seinem Platze blieb.

Durch den Ruf des Barons herbeigezogen, eilte ein Cavalier an den Schlag der Carrosse: es war Philipp von Taverney in der Uniform eines Kapitäns. Der junge Mann war zugleich freudig und glänzend.

»Sieh da Gilbert!« sagte er treuherzig, als er diesen erkannte, »Gilbert hier! Guten Morgen Gilbert  . . . Was wünschen Sie von mir, mein Vater?«

»Guten Morgen, Herr Philipp,« antwortete der junge Mann.

»Was ich wünsche?« rief der Baron, bleich vor Wuth, »Du sollst Deine Degenscheide nehmen und diesen Burschen züchtigen.«

»Was hat er denn gethan?« fragte Philipp, indem er abwechselnd und mit wachsendem Erstaunen die Wuth des Barons und die furchtbare Unempfindlichkeit von Gilbert betrachtete.

»Er hat gethan, er hat gethan,« rief der Baron, »schlage Philipp, schlage wie auf einen Hund.«

Taverney wandte sich gegen seine Schwester um.

»Was hat er denn gethan, Andrée, sprich, sollte er Dich beleidigt haben?«

»Ich!« rief Gilbert.

»Nein, nein, Philipp,« erwiederte Andrée, »nein; er hat nichts gethan, mein Vater irrt sich. Herr Gilbert ist nicht mehr in unserem Dienst und hat daher vollkommen das Recht, zu gehen, wohin es ihm beliebt. Mein Vater will das nicht begreifen, und als er ihn hier fand, gerieth er in Zorn.«

»Ist das Alles?« fragte Philipp.

»Durchaus, mein Bruder und ich begreife den Zorn von Herrn von Taverney nicht, besonders bei einer solchen Veranlassung, und wenn die Dinge und Leute nicht einmal einen Blick verdienen. Sieh nach, Philipp, ob wir weiter fahren.«

Der Baron schwieg, bezähmt durch die ganz königliche Erhabenheit seiner Tochter.

Gilbert neigte das Haupt, niedergebeugt durch diese Verachtung. Es durchzuckte ein Blitz sein Herz, und dieser Blitz glich dem des Hasses. Er hätte einen tödtlichen Schlag des Schwertes von Philipp und sogar einen blutigen seiner Peitsche vorgezogen.

Er wäre beinahe in Ohnmacht gefallen.

Zum Glück war in diesem Augenblick die Rede beendigt und die Carrossen setzten sich hienach wieder in Bewegung.

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