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Joseph Balsamo Denkwürdigkeiten eines Arztes 1

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Die des Barons entfernte sich allmählig, andere folgten; Andrée verschwand wie in einem Traum.



Gilbert blieb allein, nahe daran, zu weinen, nahe daran, zu brüllen, unfähig, er glaubte dies wenigstens, das Gewicht seines Unglücks zu ertragen.



Da legte sich eine Hand auf seine Schulter.



Er wandte sich um und sah Philipp, der, nachdem er abgestiegen war und sein Pferd einem Soldaten seines Regiments zu halten gegeben hatte, ganz lächelnd auf ihn zukam.



»Laß hören, was ist vorgefallen, mein armer Gilbert, und warum bist Du in Paris?«



Dieser treuherzige, vertrauliche Ton rührte den jungen Mann.



»Ei! mein Herr,« sagte er mit einem Seufzer, der sich unwillkührlich seinem unbeugsamen Stoicismus entwand, »ich frage Sie, was hätte ich in Taverney thun sollen? Ich wäre vor Verzweiflung, Unwissenheit und Hunger gestorben.«



Philipp bebte, denn sein unparteiischer Geist war, wie es Andrée gewesen, betroffen von der schmerzlichen Verlassenheit, der man den jungen Mann preisgegeben.



»Und Du glaubst in Paris, ohne Geld, ohne Protection, ohne Hülfsquellen durchzudringen, mein armes Kind?«



Ich glaube es, mein Herr; der Mensch, welcher arbeiten will, stirbt selten da Hunger, wo es Menschen gibt, die nichts zu thun wünschen.«



Philipp bebte bei dieser Antwort. Er hatte in Gilbert nie etwas Anderes gesehen, als einen Diener ohne alle Bedeutung.



»Ißt Du wenigstens?« sagte er.



»Ich verdiene mein Brod, Herr Philipp, und derjenige braucht nie mehr, der sich immer nur einen Vorwurf gemacht hat, den, daß er das Brod aß, welches er nicht verdiente.«



»Du sagst dies hoffentlich nicht in Beziehung auf das, was man Dir in Taverney gegeben hat, mein Kind? Dein Vater und Deine Mutter waren gute Diener des Schlosses und Du selbst machtest Dich leicht nützlich.«



»Ich that nur meine Pflicht, mein Herr.«



»Höre Gilbert,« fuhr der junge Mann fort, »Du weißt, daß ich Dich immer geliebt habe; ich sah Dich stets mit andern Augen an, als die Uebrigen; ob ich hierin Recht oder Unrecht hatte, wird die Zukunft lehren. Dein ungeschlachtes Wesen erschien mir als Zartgefühl; Deine Rauhheit nenne ich Stolz.«



»Ah! Herr Chevalier,« rief Gilbert hoch athmend.



»Ich will Dir also wohl, Gilbert.«



»Ich danke, Herr.«



»Ich war jung wie Du unglücklich wie Du in meiner Lage, davon kommt es vielleicht her, daß ich Dich verstanden habe. Das Glück lächelte mir eines Tag; nun, laß mich Dir helfen, Gilbert, bis das Glück Dir ebenfalls lächelt.«



»Ich danke, ich danke, Herr.«



»Sprich, was willst Du machen? Du bist zu ungeschmeidig, um in einen Dienst zu treten.«



Gilbert schüttelte den Kopf mit einem verächtlichen Lächeln und erwiederte:



»Ich will studiren.«



»Um zu studiren, braucht man Lehrer, und um die Lehrer zu bezahlen, braucht man Geld.«



»Ich erwerbe mir, mein Herr.«



»Du erwirbst Dir,« versetzte Philipp lächelnd, »und wie viel?«



»Fünfundzwanzig Sous täglich, und ich kann mir sogar dreißig und vierzig erwerben.«



»Das ist gerade so viel, als man braucht, um zu essen.«



Gilbert lächelte.



»Laß hören, ich benehme mich vielleicht ungeschickt, wenn ich Dir meine Dienste anbiete.«



»Ihre Dienste, mir, Herr Philipp?«



»Allerdings meine Dienste. Erröthest Du, sie anzunehmen?«



Gilbert antwortete nicht.



»Die Menschen sollen sich auf dieser Welt einander unterstützen,« fuhr Maison-Rouge fort; »sind sie nicht Brüder?«



Gilbert erhob das Haupt und heftete seine so verständigen Augen auf das edle Antlitz des jungen Mannes.



»Diese Sprache setzt Dich in Erstaunen?«



»Nein, mein Herr,« erwiederte Gilbert, »es ist die Sprache der Philosophie, nur bin ich nicht gewohnt, sie bei Leuten Ihres Standes zu hören.«



»Du hast Recht, und dennoch ist es die Sprache unserer Generation. Der Dauphin selbst theilt diese Grundsätze. Mache nicht den Stolzen gegen mich, was ich Dir leihe, gibst Du mir später zurück. Wer weiß, ob Du nicht eines Tags ein Colbert oder ein Vauban sein wirst?«



»Oder ein Tronchin,« sagte Gilbert.



»Wohl möglich. Hier ist meine Börse, theilen wir.«



»Ich danke, mein Herr,« sagte der unzähmbare junge Mann, gerührt, ohne es zugestehen zu wollen, von dieser bewunderungswürdigen Herzlichkeit Philipps; »ich danke, ich brauche nichts; nur  . . . nur bin ich Ihnen viel dankbarer, als wenn ich Ihr Anerbieten angenommen hätte, das mögen Sie überzeugt sein.«



Hienach verbeugte er sich vor dem erstaunten Philipp, kehrte rasch unter die Menge zurück und verlor sich in dieser.



Der junge Kapitän wartete mehrere Sekunden, als ob er weder seinen Augen, noch seinen Ohren trauen könnte; da er aber sah, daß Gilbert nicht wieder erschien, stieg er zu Pferde und begab sich zu seinem Posten.




L.

Die Besessene

Dieses ganze Geräusch der schallenden Wagen, dieses ganze Getöse der in vollen Schwingungen ertönenden Glocken, dieses ganze Rasseln der Trommeln, diese ganze Majestät, der Wiederschein der Majestäten der für sie verlorenen Welt, glitten über die Seele von Madame Louise hin und erstarben, wie die vergebliche Woge, am Fuße der Mauern ihrer Zelle.



Als der König wieder weggefahren war, nachdem er als Vater und Souverän es fruchtlos versucht hatte, nämlich durch ein Lächeln, auf das Bitten folgten, welche Befehlen glichen, seine Tochter in die Welt zurückzurufen, als die Dauphine, welche bei dem ersten Blicke die wahrhafte Seelengröße ihrer erhabenen Tante erschütterte, mit ihrem Wirbel von Höflingen verschwunden war, ließ die Superiorin der Carmeliterinnen die Tapeten von den Wänden ziehen, die Blumen wegnehmen und die Spitzen ablösen.



Von der ganzen, noch tief bewegten Gemeinde verzog sie allein keine Miene, als die schweren Pforten des Klosters, einen Augenblick für die Menschen geöffnet, gewichtig auf ihren Angeln rollten und sich geräuschvoll zwischen der Welt und der Einsamkeit schloßen.



Dann ließ sie die Schaffnerin kommen und fragte diese:



»Haben die Armen während der zwei Tage der Unordnungen die gewöhnlichen Almosen bekommen?«



»Ja, Madame.«



»Sind die Kranken wie gewöhnlich besucht worden?«



»Ja, Madame.«



»Hat man die Soldaten etwas erfrischt entlassen?«



»Sie haben insgesammt Brod und Wein nach der Anordnung von Madame bekommen.«



»Es ist also nichts im Hause unterlassen oder versäumt worden?«



»Nein, Madame.«’



Madame Louise näherte sich dem Fenster und athmete sachte die balsamische Frische ein, welche auf dem feuchten Flügel der Stunden unmittelbar vor Einbruch der Nacht vom Garten aufsteigt.



Die Schaffnerin wartete ehrfurchtsvoll, bis ihr die erhabene Aebtissin einen Befehl geben oder sie entlassen würde.



Madame Louise, Gott allein weiß, an was die arme königliche Klausnerin in diesem Augenblick dachte, Madame Louise entblätterte hochstämmige Rosen, die bis zu ihrem Fenster emporragten, und Jasmine, welche die Wände des Hofes tapezirten.



Plötzlich erschütterte der heftige Hufschlag eines Pferdes die Thüre der Gesindewohnung und machte die Superiorin beben.



»Wer ist denn in Saint-Denis von allen den Herren des Hofes geblieben?« fragte Madame Louise.



»Seine Eminenz der Cardinal von Rohan, Madame?«



»Sind denn seine Pferde hier?«



»Nein, Madame, sie sind im Kapitel der Abtei, wo er die Nacht zubringen wird.«



»Was soll denn dieser Lärm bedeuten?«



»Madame, diesen Lärm macht das Pferd der Fremden.«



»Welcher Fremden?« fragte Madame Louise, während sie ihre Erinnerungen zu sammeln suchte.



»Ich meine die Italienerin, welche gestern Abend hierher gekommen ist und Ihre Hoheit um Gastfreundschaft gebeten hat.«



»Ah! es ist wahr. Wo ist sie?«



»In ihrem Zimmer oder in der Kirche.«



»Was hat sie seit gestern gemacht?«



»Sie hat seit gestern jede Speise, das Brod ausgenommen, zurückgewiesen und die ganze Nacht in der Kapelle gebetet.«



»Ohne Zweifel eine große Sünderin!« sprach die Superiorin die Stirne faltend.



»Ich weiß es nicht, Madame, sie hat mit Niemand gesprochen.«



»Was für eine Frau ist es?«



»Schön und von sanftem und zugleich stolzem Antlitz.«



»Wo hat sie sich diesen Morgen während der Ceremonie aufgehalten?«



»In ihrem Zimmer am Fenster; ich sah sie verborgen hinter ihren Vorhängen auf jede Person, welche eintrat, einen Blick voll Angst heften, als befürchtete sie, in jedem Eintretenden einen Feind zu erblicken.«



»Irgend eine Frau von dieser armen Welt, wo ich gelebt, wo ich regiert habe. Laßt sie kommen.«



Die Schaffnerin machte einen Schritt, um sich zu entfernen.



»Ah! weiß man ihren Namen?« fragte die Prinzessin.



»Lorenzo Feliciani.«



»Ich kenne Niemand dieses Namens,« sprach Madame Louise träumerisch.



Die Superiorin setzte sich in einen hundertjährigen Lehnstuhl, der, aus Eichenholz unter Heinrich II. geschnitzt, den neun letzten Aebtissinnen des Klosters der Carmeliterinnen gedient hatte. Vor diesem furchtbaren Tribunal hatten viele arme Novizen, die man zwischen dem Geistlichen und Weltlichen ertappt, gezittert.



Die Schaffnerin kehrte einen Augenblick nachher zurück und führte die uns bereits bekannte Fremde mit dem langen Schleier ein.



Madame Louise besaß das durchdringende Auge der Familie: dieses Auge wurde auf Lorenza Feliciani von der Sekunde an geheftet, wo sie in das Cabinet eintrat; doch sie erkannte in der jungen Frau so viel Demuth, so viel Liebreiz, so viel erhabene Schönheit, sie erblickte endlich so viel Unschuld in ihren großen, noch von frischen Thränen befeuchteten schwarzen Augen, daß die Anfangs feindselige Stimmung gegen dieselbe bald wohlwollend und schwesterlich wurde.

 



»Nähern Sie sich, Madame, und sprechen Sie,« sagte die Prinzessin.



Die junge Frau machte zitternd einen Schritt und wollte ein Knie auf die Erde setzen.



Die Prinzessin hob sie auf.



»Sie heißen Lorenza Feliciani?« fragte sie.



»Ja, Madame.«



»Und Sie wünschen nur ein Geheimnis? anzuvertrauen?«



»Oh! ich sterbe fast vor Verlangen, dies zu thun.«



»Aber warum nehmen Sie Ihre Zuflucht nicht zu dem Tribunal der Buße? Ich habe nur die Macht zu trösten; ein Priester tröstet und vergibt.«



Madame Louise sprach diese Worte zögernd aus.



»Ich bedarf einzig und allein des Trostes, Madame,« erwiederte Lorenza, »und überdies würde ich es nur wagen einer Frau zu offenbaren, was ich Ihnen zu erzählen habe.«



»Es ist also etwas Seltsames, was Sie mir mittheilen wollen.«



»Ja, sehr seltsam. Doch hören Sie mich geduldig an, Madame; ich wiederhole es, nur mit Ihnen allein kann ich sprechen, weil Sie Frau sind, und dann, weil Sie allmächtig sind und ich beinahe den Arm Gottes brauche, um mich zu beschützen.«



»Um Sie zu beschützen! Man verfolgt Sie also? man greift Sie also an?«



»Oh! ja, Madame, ja, man verfolgt mich,« rief die Fremde mit einer unsäglichen Angst.



»Dann bedenken Sie Eines, Madame: daß dieses Haus ein Kloster und keine Festung ist; daß das, was die Menschen in Bewegung setzt, nur hier eindringt, um zu erlöschen; daß nichts von dem, was Ihnen gegen die anderen Menschen dienen kann, sich hier findet; daß hier nicht das Haus der Gerechtigkeit, der Kraft und des Zwangs, sondern ganz einfach das Haus Gottes ist.«



»Oh! das ist es gerade, was ich suche,« sprach Lorenza; »ja, es ist das Haus Gottes, denn in dem Hause Gottes allein kann ich in Ruhe leben.«



»Aber Gott läßt keine Rache zu; wie sollen wir uns an Ihrem Feinde rächen? Wenden Sie sich an die Behörden.«



»Madame, die Behörden vermögen nichts gegen den, welchen ich fürchte.«



»Wer ist er denn?« versetzte die Superiorin mit einem unwillkührlichen Schrecken.



Lorenza näherte sich der Prinzessin unter der Herrschaft einer geheimnißvollen Exaltation und sprach:



»Wer er ist, Madame? Er ist sicherlich einer von jenen Dämonen, welche mit den Menschen den Krieg führen und von Satan ihrem Fürsten, mit einer übermenschlichen Macht ausgerüstet sind.«



»Was sagen Sie mir da?« rief die Prinzessin und schaute diese Frau an, um sich zu versichern, daß sie nicht wahnsinnig sei.



»Und ich, ich! ich Unglückliche, die ich bin,« sprach Lorenza, indem sie ihre schönen Arme rang, welche nach denen einer antiken Statue geformt zu sein schienen; »ich, ich habe mich auf dem Wege dieses Menschen befunden! und ich, ich, ich bin  . . .«



»Vollenden Sie!«



Lorenza trat noch näher zu der Prinzessin und flüsterte ganz leise, und als wäre sie selbst erschrocken über das, was sie sagte:



»Ich, ich bin besessen!«



»Besessen!« rief die Prinzessin; »sprechen Sie, Madame, sind Sie bei Verstand? Wären Sie nicht etwa? . . .«



»Wahnsinnig, nicht wahr, wollen Sie sagen? Nein, ich bin nicht wahnsinnig, aber ich kann es wohl werden, wenn Sie mich verlassen.«



»Besessen!« wiederholte die Prinzessin.



»Ach! ach!«



»Aber erlauben Sie mir, Ihnen zu bemerken, ich sehe Sie in allen Dingen den begünstigsten Geschöpfen Gottes ähnlich; Sie scheinen reich zu sein, Sie sind schön, Sie drücken sich vernünftig aus, Ihr Gesicht trägt keine Spur der furchtbaren, geheimnißvollen Krankheit an sich, welche man die Besessenheit nennt.«



»Madame, in meinem Leben, in den Abenteuern dieses Lebens wohnt das finstere Geheimniß, das ich gern vor mir selbst verbergen möchte.«



»Erklären Sie sich, ich bitte Sie. Bin ich denn die Erste, mit der Sie von Ihrem Unglück sprechen? Ihre Eltern, Ihre Freunde?«



»Meine Eltern!« rief die junge Frau schmerzlich die Hände faltend, »arme Eltern! werde ich sie je wiedersehen? Freunde!« fügte sie voll Bitterkeit bei, »ach! Madame, habe ich Freunde?«



»Gehen wir nach der Ordnung zu Werke, mein Kind,« sagte Madame Louise, welche den Worten der Fremden einen Weg vorzuzeichnen suchte. »Wer sind Ihre Eltern und warum haben Sie dieselben verlassen?«



»Madame, ich bin Römerin und wohnte mit ihnen in Rom. Mein Vater ist von altem Adel, aber er ist arm, wie alle Patrizier von Rom. Dann habe ich noch meine Mutter und einen älteren Bruder. Hat in Frankreich eine aristokratische Familie, wie es die meinige ist, einen Sohn und eine Tochter, so opfert man, wie man mir sagt, die Mitgift der Tochter, um den Degen des Sohnes zu erkaufen. Bei uns opfert man die Tochter, um den Sohn im geistlichen Stand vorwärts zu bringen. Ich habe nun keine Erziehung erhalten, weil man für die Erziehung meines Bruders besorgt sein mußte, welcher studirte, wie meine Mutter naiver Weise sagte, um Cardinal zu werden.«



»Hernach?«



»In Folge hievon brachten meine Eltern alle mögliche Opfer, welche sie sich nur immer auferlegen konnten, um meinen Bruder zu unterstützen, und man beschloß, mich den Schleier bei den Carmeliterinnen von Subiaco nehmen zu lassen.«



»Und Sie, was sagten Sie dazu?«



»Nichts, Madame. Von meiner Kindheit an hatte man mir diese Zukunft als eine Nothwendigkeit dargestellt. Uebrigens fragte man mich auch nicht um Rath; man befahl, und ich hatte nichts Anderes zu thun, als zu gehorchen.«



»Jedoch  . . .«



»Madame, wir römischen Töchter haben nur Wünsche und Ohnmacht. Wir lieben die Welt, wie die Verdammten das Paradies lieben, ohne sie zu kennen. Auch war ich umgeben von Beispielen, die mich verdammt hätten, wäre mir der Gedanke gekommen, zu widerstehen, aber er kam mir nicht. Alle Freundinnen, die ich gekannt, und die wie ich Brüder besaßen, hatten ihre Schuld an die Verherrlichung der Familie abgetragen. Ich wäre nicht im Stande gewesen, eine Klage zu begründen, denn man verlangte nichts von mir, was aus den allgemeinen Gewohnheiten heraustrat. Meine Mutter liebkoste mich nur ein wenig mehr, als für mich der Tag, sie zu verlassen, nahte.



,Endlich kam der Tag, wo ich mein Noviciat beginnen sollte; mein Vater packte fünfhundert römische Thaler, bestimmt, meine Mitgift an das Kloster zu bezahlen, zusammen, und wir reisten nach Subiaco ab.



Es mögen acht bis neun Meilen von Rom nach Subiaco sein, aber die Wege durch das Gebirge sind so schlecht, daß wir fünf Stunden nach unserer Abreise noch nicht drei Meilen zurückgelegt hatten. Die Reise, so ermüdend sie auch in Wirklichkeit war, gefiel mir. Ich lächelte darüber, wie über mein letztes Glück, und sagte den ganzen Weg entlang leise den Bäumen, den Gebüschen, den Steinen und sogar dem vertrockneten Gras Lebewohl. Wer wußte, ob es dort im Kloster Gras, Steine, Gebüsche und Kräuter gab?



Plötzlich, mitten unter meinen Träumen, als wir zwischen einem kleinen Gehölze und einer Masse zerklüfteter Felsen durchfuhren, hielt der Wagen an; ich hörte meine Mutter einen Schrei ausstoßen, mein Vater machte eine Bewegung, um seine Pistolen zu ergreifen. Meine Augen und mein Geist fielen vom Himmel auf die Erde zurück; wir wurden von Banditen angehalten.«



»Armes Kind,« sprach Madame Louise, welche immer mehr Antheil an dieser Erzählung nahm.



»Soll ich es Ihnen sagen, Madame  . . . ich war nicht sehr erschrocken, denn diese Menschen hielten uns unseres Geldes wegen an, und das Geld, das sie uns nehmen wollten, war dazu bestimmt, meine Mitgift an das Kloster zu bezahlen. Gab es keine Mitgift mehr, so wurde mein Eintritt in das Kloster um die ganze Zeit verzögert, die mein Vater brauchte, um eine andere zu finden, und ich wußte, wie viel Zeit und Mühe es ihn gekostet hatte, diese fünfhundert Thaler zusammenzubringen.



Als aber die Banditen, nachdem sie diese erste Beute getheilt, statt uns unsere Reise fortsetzen zu lassen, sich auf mich stürzten, als ich sah, wie sich mein Vater anstrengte, um mich zu vertheidigen, als ich die Thränen meiner Mutter erblickte und hörte, wie sie diese Leute anflehte, da begriff ich, daß ein großes, unbekanntes Unglück mich bedrohte, und schrie um Barmherzigkeit, in dem natürlichen Gefühle, das uns antreibt, um Hülfe zu rufen, denn ich wußte wohl, daß ich vergeblich rief und daß mich an diesem wilden Orte Niemand hören würde.



Ohne sich um mein Geschrei, um die Thränen meiner Mutter und das Ringen meines Vaters zu bekümmern, banden sie mir auch die Hände auf den Rücken und schickten sich an, während sie mich mit der Gluth ihrer abscheulichen Blicke, die ich begriff, so hellsehend machte mich der Schrecken, gleichsam versengten, mit Würfeln, die sie aus der Tasche zogen, auf dem Sacktuch von einem derselben zu spielen.



Was mich am meisten erschreckte, war der Umstand, daß ich keinen Einsatz auf dem gemeinen Teppich erblickte.



Während der ganzen Zeit, welche die Würfel von Hand zu Hand gingen, bebte ich, denn ich sah ein, daß ich der Gegenstand war, um den sie spielten.



Plötzlich ließ einer von ihnen ein Triumphgeschrei vernehmen, stand auf, während die Andern Gotteslästerungen ausstießen und die Zähne blökten, lief auf mich zu, schloß mich in seine Arme und drückte seine Lippen auf die meinigen.



Bei der Berührung eines glühenden Eisens könnte ich keinen herzzerreißenderen Schrei ausgestoßen haben.



‚Oh, mein Gott! den Tod! den Tod! ’ rief ich.«



Meine Mutter wälzte sich auf der Erde, mein Vater war ohnmächtig.



Ich hatte nur noch eine Hoffnung: daß einer oder der andere von den Banditen, welche verloren hatten, mich in einem Augenblick der Wuth, mit einem Stoße des Messers, das sie krampfhaft in ihren Händen hielten, tödten würde  . . .



Ich erwartete den Stoß, ich hoffte darauf, ich rief ihn herbei.



Plötzlich erschien ein Mann zu Pferd auf dem Fußpfad.



Er hatte mit einer von den Wachen gesprochen, die ihn, ein Zeichen mit ihm wechselnd, vorüberließ.



Dieser Mann, von mittlerem Wuchse, von eindrucksvoller Gesichtsbildung und einem entschlossenen Blicke, ritt ruhig und gelassen im gewöhnlichen Schritte seines Pferdes vorwärts.



Als er ganz nahe bei mir war, hielt er an.



Der Bandit, der mich in seine Arme genommen hatte und mich fortzuführen anfing, wandte sich bei dem ersten Pfiffe um, den dieser Mann mit dem Stiele seiner Peitsche hören ließ.



Der Bandit ließ mich auf den Boden gleiten.



‚Komm hierher, ’ sagte der Unbekannte.



Und als der Bandit zögerte, formte der Unbekannte einen Winkel mit seinem Arm und legte zwei von einander entfernte Finger auf seine Brust. Der Bandit, als ob dieses Zeichen der Befehl eines allmächtigen Herrn gewesen wäre, näherte sich spornstreichs dem Unbekannten.



Dieser neigte sich an das Ohr des Banditen und sprach leise das Wort:



‚Mac.’



Er sprach nur dieses Wort, ich bin dessen sicher, ich, die ich schaute, wie man das Messer anschaut, das uns tödten soll, ich, die ich horchte, wie man horcht, wenn das Wort, das man erwartet, Leben oder Tod bedeutet.«



Benac,’

 antwortete der Bandit.



Gezähmt wie ein Löwe und knurrend wie er, kam er sodann zu mir zurück, löste den Strick, der meine Faustgelenke fesselte, und that dasselbe bei meinem Vater und bei meiner Mutter.



Da das Geld schon getheilt war, so kam Jeder und legte seinen Theil auf einen Stein. Nicht ein Stück fehlte an den fünfhundert Thalern.



Mittlerweile erwachte ich wieder zum Leben in den Armen meines Vaters und meiner Mutter.



‚Nun geht,’ sagte er zu den Banditen.



Die Banditen gehorchten und kehrten bis auf den letzten in den Wald zurück.«



‚Lorenza Feliciani,’ sprach der Fremde, indem er mich mit seinem übermenschlichen Blicke gleichsam bedeckte, ‚setze nun Deine Reise fort, Du bist frei.’



Mein Vater und meine Mutter dankten dem Fremden, der mich kannte und den wir nicht kannten. Dann stiegen wir wieder in den Wagen. Ich folgte ihnen nur ungern, denn ich weiß nicht welche seltsame, unwiderstehliche Macht mich zu meinem Retter hinzog.



Er war unbeweglich an demselben Platze geblieben, als wollte er uns fortwährend beschützen.



Ich schaute ihn an, so lange ich ihn sehen konnte, und erst als ich ihn gänzlich aus dem Gesichte verloren hatte, hörte der Druck auf, der meine Brust zusammenschnürte.



Zwei Stunden nachher waren wir in Subiaco.«



»Aber wer war denn dieser außerordentliche Mensch?« fragte die Prinzessin, bewegt durch die Einfachheit der Erzählung.



»Wollen Sie die Gnade haben, mich noch ferner anzuhören, Madame,« sagte Lorenza. »Ach! es ist noch nicht Alles zu Ende.«



»Ich höre,« sprach Madame Louise.



Die junge Frau fuhr fort:



»Wir kamen zwei Stunden nach diesem Ereigniß nach Subiaco.



Auf dem ganzen Wege hatten wir, mein Vater, meine Mutter und ich, uns nur von dem seltsamen Retter unterhalten, der plötzlich, geheimnißvoll und mächtig, als ein Abgesandter des Himmels vor uns erschienen war.

 



Weniger leichtgläubig als ich, hielt ihn mein Vater für den Anführer von einer der Banden, welche, obgleich um Rom her in Bruchstücke vertheilt, unter derselben Autorität stehen und von Zeit zu Zeit von dem obersten Haupte inspicirt werden, das, mit unbeschränkter Macht bekleidet, belohnt, straft und theilt.



Aber ich, die ich hinsichtlich der Erfahrung nicht mit meinem Vater in die Schranken treten konnte, ich, die ich meinem Instinkte gehorchte, die ich unter der Herrschaft meiner Dankbarkeit stand, ich glaubte nicht, ich konnte nicht glauben, dieser Mensch sei ein Bandit.



In meinen Gebeten, die ich jeden Abend an die Jungfrau richtete, sprach ich auch eigene Worte, welche dazu bestimmt waren, die Gnade der Mutter Gottes auf meinen unbekannten Retter herabzurufen.



Schon an demselben Tage trat ich in das Kloster. Die Mitgift war wieder gefunden, nichts verhinderte meine Aufnahme. Ich war trauriger, aber auch mehr in mein Schicksal ergeben als je, Italienerin und abergläubisch, ergriff mich der Gedanke, es sei Gott daran gelegen, mich rein, unversehrt und fleckenlos zu besitzen, da er mich von diesen Banditen befreit, welche ohne Zweifel vom Teufel angeregt worden, um die Krone der Unschuld zu beflecken, die Gott allein von meiner Stirne lösen sollte. Ich warf mich auch mit allem Feuer meines Charakters in die eifrigen Bestrebungen meiner Oberen und meiner Eltern. Man ließ mich eine Bitte um Dispensation von dem Noviciat an das Oberhaupt der Kirche richten. Ich schrieb sie, ich unterzeichnete sie. Sie war von meinem Vater in den Ausdrücken eines so heißen Verlangens abgefaßt worden, daß Seine Heiligkeit in dieser Bitte eine glühende Sehnsucht nach der Einsamkeit einer der Welt überdrüssigen Seele zu sehen glaubte, Sie bewilligte Alles, was ich von ihr verlangte, und das Noviciat von einem Jahre, von zwei Jahren zuweilen für die Andern, wurde aus besonderer Gunst für mich auf einen Monat festgestellt.



Man kündigte mir diese Nachricht an, die mir weder Schmerz noch Freude machte. Man hätte glauben sollen, ich wäre bereits todt für die Welt und man operirte an einem Leichname, dessen unempfindlicher Schatten allein noch lebte.



Vierzehn Tage lang hielt man mich eingeschlossen, aus Furcht, der weltliche Geist könnte mich erfassen. Am Morgen des fünfzehnten Tages erhielt ich Befehl, mit den andern Schwestern in die Kapelle hinabzugehen.



In Italien sind die Klosterkapellen öffentliche Kirchen. Der Papst glaubt ohne Zweifel, es sei einem Priester nicht erlaubt, Gott an irgend einem Ort, wo er sich offenbart, seinen Anbetern zu entziehen.



Ich trat in das Chor und nahm einen Stuhl. Zwischen den grünen Vorhängen, welche die Gitter dieses Chors schloßen, oder vielmehr scheinbar schloßen, war Raum genug, daß man in das Schiff hinausschauen konnte.



Ich sah durch diesen Raum, welcher gleichsam auf die Erde ging, einen Mann, der allein mitten unter der niedergefallenen Menge stehen geblieben war. Dieser Mann schaute mich an, oder verschlang mich vielmehr mit den Augen. Ich fühlte die seltsame Bewegung des Unbehagens, die ich bereits empfunden hatte, die übermenschliche Wirkung, die mich gleichsam aus mir selber herauszog, wie ich durch ein Blatt Papier, ein Brett, und sogar durch eine Platte hatte meinen Bruder eine Nadel mit einem Magnet ziehen sehen.



Ach! besiegt, unterjocht, ohne Kraft gegen diese Anziehung, neigte ich mich gegen ihn, faltete die Hände, wie man sie vor Gott faltet, und sagte zugleich mit den Lippen und dem Herzen zu ihm:



‚Dank, Dank.’



Meine Schwestern schauten mich erstaunt an.



Sie hatten meine Bewegung nicht begriffen, und ebenso wenig meine Worte; sie folgten der Richtung meiner Hände, meiner Augen, meiner Stimme. Sie erhoben sich auf ihren Sitzen, um ebenfalls in das Schiff zu schauen.



Auch ich schaute zitternd hinab.



Sie fragten mich, aber ich konnte nur erröthen, erbleichen, stammeln.



Seit diesem Augenblick, Madame,« rief Lorenza voll Verzweiflung, »seit diesem Augenblick bin ich in der Gewalt des Dämons!«



»Ich sehe nichts Uebernatürliches in Allem dem, meine Schwester,« erwiederte die Prinzessin mit einem Lächeln; »beruhigen Sie sich also und fahren Sie fort.«



»Oh! weil Sie nicht fühlen können, was ich fühlte.«



»Was fühlten Sie?«



»Völlige Besessenheit: mein Herz, meine Seele, meine Vernunft, der Dämon besaß Alles.«



»Meine Schwester, ich fürchte sehr, dieser Dämon war die Liebe,« sprach Madame Louise.



»Oh! die Liebe hätte mir kein solches Leiden bereitet, die Liebe hätte nicht mein Herz gepreßt, die Liebe hätte nicht meinen ganzen Leib geschüttelt, wie es der Sturmwind mit einem Baume thut, die Liebe hätte mir nicht den schlimmen Gedanken eingegeben, der mir kam.«



»Nennen Sie diesen schlimmen Gedanken, mein Kind.«



»Ich hätte Alles meinem Beichtvater gestehen sollen, nicht wahr, Madame?«



»Ganz gewiß.«



»Nun, der Dämon, der mich besaß, blies mir im Gegentheil ganz leise ein, ich sollte das Geheimniß bewahren. Es war vielleicht nicht eine Nonne in das Kloster eingetreten, ohne in der Welt, von der sie schied, eine Liebeserinnerung zurückzulassen. Viele hatten einen Namen im Herzen, während sie den Namen Gottes anriefen. Der Gewissensrath war an dergleichen Geständnisse gewöhnt. Ich, die ich so fromm, so schüchtern, so rein unschuldig war, ich, die ich vor dieser unseligen Reise nach Subiaco nie ein Wort mit einem andern Mann, als mit meinem Bruder ausgetauscht hatte, ich, die ich nur zweimal meinen Blick mit dem Unbekannten gekreuzt, bildete mir ein, Madame, man würde mir mit diesem Mann eine von jenen Intriguen zuschreiben, wie sie, ehe sie den Schleier genommen, jede von unsern Schwestern mit ihren beklagten Geliebten gehabt hatte.«



»In der That, ein schlimmer Gedanke,« sprach Madame Louise, »aber es ist immer noch ein sehr unschuldiger Dämon, der Dämon, welcher einer Frau, die er besitzt, solche Gedanken einstößt. Fahren Sie fort.«



»Am andern Tage rief man mich in das Sprachzimmer. Ich ging hinab und fand eine von meinen Nachbarinnen vor der Via Frattina in Rom, eine junge Frau, die meinen Verlust sehr beklagte, weil wir jeden Abend mit einander plauderten und sangen.



Hinter ihr bei der Thüre stand ein Mann in einen Mantel gehüllt und wartete auf sie, wie es ein Diener gethan hätte. Dieser Mann wandte sich nicht gegen mich; ich aber wandte mich gegen ihn. Er sprach nicht mit mir, und dennoch errieth ich ihn: es war abermals mein unbekannter Beschützer.



Dieselbe Unruhe, welche ich bereits empfunden, verbreitete sich in meinem Herzen. Ich fühlte mich ganz und gar umfesselt von der Gewalt dieses Mannes. Ohne die Gitter, die mich gefangen hielten, wäre ich sicherlich sein gewesen. Aus seinem Mantel gingen seltsame Ausstrahlungen hervor, die mich blendeten. In seinem hartnäckigen Stillschweigen war ein Geräusch, das ich allein hörte und das eine harmonische Sprache mit mir sprach.



Ich raffte alle Gewalt zusammen, die ich über mich haben konnte, und fragte meine Nachbarin von der Via Frattina, wer der Mann wäre, der sie begleitete.«



Sie kannte ihn nicht; ihr Gatte hätte mit ihr gehen sollen; doch im Augenblick der Abreise war er begleitet von diesem Mann nach Hause gekommen und hatte zu ihr gesagt:



‚Ich kann Dich nicht nach Subiaco führen, aber mein Freund hier wird Dich begleiten.’



Sie hatte nicht mehr verlangt, so groß war ihre Sehnsucht gewesen, mich wiederzusehen, und so war sie denn in Gesellschaft des Unbekannten gekommen.



Meine Nachbarin war eine fromme Frau: sie erblickte in der Ecke des Sprachzimmers eine Madonna, welche im Rufe einer großen Wunderthäterin stand, wollte nicht weggehen, ohne ihr Gebet an sie gerichtet zu haben, und kniete vor ihr nieder.



Während dieser Zeit trat der Mann geräuschlos ein, näherte sich mir langsam, öffnete seinen Mantel und tauchte seine Blicke wie zwei glühende Strahlen in die meinigen.



Ich erwartete, daß er sprechen würde; meine Brust hob sich gleichsam und stieg wie eine Welle seinem Wort entgegen; aber er streckte nur, indem er sich dem Gitter näherte, das uns trennte, seine zwei Hände über meinem Haupte aus. Sogleich bemeisterte sich meiner eine unerhörte Extase; er lächelte mir zu. Ich gab ihm sein Lächeln zurück, während ich zugleich die Augen, gelähmt von einer unbeschreiblichen Mattigkeit, schloß. Mittlerweile, als hätte er sich nur von seiner Gewalt über mich überzeugen wollen, verschwand

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