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Die Mohicaner von Paris

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Wie es während der Erzählung von Francesca von Remini Paolo ist, der weint, so war es der junge Mann, welcher diesmal weinte, während Regina sprach. Diese schien den Schatz ihrer Thränen erschöpft zu haben.

Es war zwei Uhr des Morgens; die Pendeluhr that zwei Schläge: das hieß zweimal den jungen Leuten wiederholen, es sei Zeit, sich zu trennen.

Regina stand aus, winkte aber zugleich Petrus, an dem Platze zu bleiben, wo er war.

Sie ging an ein ganz mit Perlmutter, Schildpatt und Silber eingelegtes kleines italienisches Stippo, nahm eine goldene Scheere daraus, ließ den jungen Mann auf das Tabouret knieen, wo er saß, und sprach zu ihm:

»Neigen Sie das Haupt, mein schöner Van Dyk.«

Petrus gehorchte.

Regina legte sachte die Lippen aus die Stirne des jungen Mannes; dann wählte sie aus dem Walde von blonden Haaren eine Locke, schnitt sie bei der Wurzel ab, rollte sie um ihren Finger und sagte zu dem jungen Manne:

»Stehen Sie nun auf.«

Petrus stand auf.

»Nun ist die Reihe an Ihnen!« fügte sie bei, indem sie ihm die Scheere reichte und selbst niederkniete.

Petrus nahm die Scheere und, sprach mit einer zitternden Stimme:

»Neigen Sie das Haupt, Regina.«

Die junge Frau gehorchte.

In Allem das Beispiel befolgend, das man ihm gegeben hatte, legte Petrus seine bebenden Lippen aus die Stirne der jungen Frau, und mit seinen Händen, statt mit der Scheere, in die Haare von Regina eindringend, sagte er:

»Oh! welchen Engel der Liebe und der Reinheit, machen Sie, Regina!«

»Nun?« fragte diese.

»Oh! ich wage es nicht . . . «

»Schneiden Sie, Petrus.«

»Nein! nein! mir scheint, ich begehe eine Ruchlosigkeit; jedes von diesen schönen Haaren hat sein Leben von Ihnen, und von Ihnen getrennt wird es mir seinen Tod vorwerfen.«

»Schneiden Sie,« wiederholte Regina, »ich will es!«

Petrus wählte eine Locke, nahm sie zwischen die zwei Blätter der Scheere, schloß die Augen und schnitt die Locke ab.

Doch beim Knirschen der Haare unter dem Eisen stieg Petrus das Blut ins Gesicht, und der junge Mann glaubte, er werde ohnmächtig werden.

Die Locke war abgeschnitten.

Regina stand wieder auf.

»Geben Sie!« sagte sie.

Der junge Mann reichte ihr die Haare, nachdem er sie zuvor glühend geküßt hatte.

Regina hielt sie an die von Petrus, welche sie von ihrem Finger abrollte; dann stecht sie dieselben zusammen wie Seidenfäden, und machte eine Flechte daraus, welche sie an beiden Extremitäten verknüpfte. Hiernach reichte sie eines von den Enden dem jungen Manne, zog das andere an sich, nahm die Mitte der Flechte zwischen die Scheere und durchschnitt sie.

»So sei der Faden unseres Lebens für immer vermengt und zusammen abgeschnitten,« sprach sie.

Und zum letzten Male dem jungen Manne ihre weiße Stirne darbietend, klingelte sie der armen alten Nanon, welche im Vorzimmer wartete.

»Führe den Herrn durch die kleine Gartenthüre zurück,« sagte sie zu der Alten.

Petrus schaute sie zum letzten Male mit Augen an. in welche seine ganze Seele überging, und folgte Nanon.

CXLIV
Sabat Pater

Der Thurm von Penhoël, ein Ueberrest von einem während der Kriege in der Vendee niedergerissenen Feudalschlosse des dreizehnten Jahrhunderts, das selbst in dem, was davon übrig war, auf ein romanisches Gebäude gleichsam geimpft zu sein schien, der Thurm von Penhoël lag ein paar Stunden von Quimper am Gestade von demjenigen Theile des Oceans, welchen man das wilde Meer nennt. Aus den Gipfel eines abschüssigen Felsens gestellt, vergraben in den Wacholderstauden und im Farnkraute, beherrschte er die atlantische Woge wie ein Adlernest, und schien hier zu stehen als eine vorgeschobene Schildwache beauftragt, die Segel, welche am Horizont erschienen, zu signalisieren.

Auf der dem Ocean entgegengesetzten Seite, das heißt aus der östlichen Seite und folglich an der Straße nach Quimper, gebrach es der Gegend, die man vor Augen hatte, obschon sie ziemlich monoton und einförmig, nicht an Größe in ihrer Monotonie und Einförmigkeit.

In der That, man denke sich aus einer mit Hügeln besäeten und völlig unbewohnten Ebene eine lange Allee von Meersichten nach einem unsichtbaren Dorfe mündend, unsichtbar so wie es lag in einer Art von Schlucht, und seine Gegenwart nur durch Rauchwirbel verrathend, welche wie bläuliche, zerzauste Gespenster zum Himmel ausstiegen.

Dieses Dorf war das Dorf Penhoël, einst unter der Oberlehensherrlichkeit des isolierten Thurmes, welchen wir zu beschreiben versucht haben.

Das Ganze der Landschaft glich einer Kathedrale. von der der Himmel das Gewölbe, die Fichten der großen Allee die Säulen und der Thurm der Altan gewesen wären. Der bläuliche Rauch, der zum Himmel ausstieg, war der Weihrauch, den man unter ihrem Porticus verbrannte.

Was noch besonders etwas Pittoreskes diesem Gemälde beifügte, das war, – aus dem Gipfel des Thurmes, aus die Brustlehne gestützt, unbeweglich dastehend. – eine Person, die man für eine Bildsäule von Granit gehalten haben würde, hätte nicht der scharf wehende Herbstwind ihre langen weißen Haare ausgehoben und flattern gemacht.

Diese Person war ein schöner Greis, ganz schwarz gekleidet, dem Meere den Rücken zuwendend und in die ungeheure Allee einen von Zeit zu Zeit durch Thränen, die er mit einem Taschentuche stillte, verdunkelten Blick tauchend. Diese Bewegung war übrigens die einzige, die er machte. Was die Thränen betrifft, sie wurden verursacht durch eine Traurigkeit, welche sie still dem Herzen entquellen machte, oder nur durch diesen Wind, der so scharf wie jener, welcher das Gesicht der Schildwachen von Hamlet aus der Plattform des Schlosses Helsengör peitschte.

Ein einziges Wort wird die Quelle der Thränen bezeichnen, welche die Augen des Greises verdunkelten: dieser Greis war der Vater von Colombau, der Graf von Penhoël.

Man war ungefähr in der Mitte des Monats Februar.

Drei Tage vorher hatte er den Brief von Colombau erhalten, einen Brief, der ihm den Tod seines einzigen Kindes anzeigte.

Der Vater erwartete die Leiche des Sohnes.

Darum waren seine Augen so beharrlich aus die Fichtenallee geheftet, welche nach dem Dorfe Penhoël führte: durch diese Fichtenallee mußte der Leichnam von Colombau kommen.

Neben dem Grafen brannten die Ueberreste eines zu drei Vierteln erloschenen Feuers.

Derjenige, welcher diese große, traurige, unbewegliche, stumme Gestalt mit den im Winde flatternden Haaren und den Thränen in den Augen gesehen Kälte, würde unwillkürlich an jenen alten Griechen von Argvs gedacht haben, der, aus der Hohe der Terrasse des Palastes von Agamemnon stehend, seit zehn Jahren wartete, daß ein aus dem Berge angezündetes Feuer ihm anzeige, Troja sei genommen.

Doch diesmal war dieser der Herr und nicht der Diener, denn bald erschien der Diener.

Das war auch ein Greis mit grauem Barte, mit langen Haaren, mit breitem Hute, bekleidet mit der traditionellen Tracht der Bretagne; nur war die Kleidung schwarz wie die des Herrn.

Er brachte eine Last Fichtenholz, womit er ohne Zweifel das Feuer wiederzubeleben gedachte; er näherte sich dem alten Edelmanne, schaute ihn einen Augenblick an, setzte ein Knie aus die Erde, legte seine Last Holz aus die Plattform nieder, hob den Kopf wieder empor, um seinen Herrn abermals anzuschauen, und warf einige Zweige aus das knisternde Feuer; sodann, als er sah, daß der Graf von Penhoël. Allem, was um ihn her vorging, fremd, unbeweglich blieb wie die Bildsäule des Schmerzes sagte er:

»Ich beschwöre Sie, mein guter Herr, gehen Sie hinab, und wäre es nur aus eine Stunde, und ich werde an Ihrer Stelle wachen. Ich habe ein großes Feuer in Ihrem Zimmer gemacht und Ihr Frühstück zubereitet. Wollen Sie nicht schlafen und so der Kälte ausgesetzt bleiben, so sammeln Sie wenigstens Kräfte gegen das Wachen und das Meer.«

Der Graf antwortete nicht.

»Gnädigster Herr.« fuhr beharrlich der alte Diener fort, indem er sich seinem Gebieter näherte, »es sind nun bald achtundvierzig Stunden, daß Sie weder ausgeruht, noch etwas zu sich genommen haben, abgesehen davon, daß Sie sich so wenig um die Kälte bekümmern, als wenn wir im Monat Juni wären.«

Diesmal schien der Graf zu bemerken, daß sein alter Diener da war; denn er sprach zu ihm, jedoch ohne ihm aus das, was er sagte, zu antworten:

»Hörst Du nicht in der Ferne das Geräusch eines Wagens auf der Straße von Paris?« fragte er.

»Nein, mein guter, theurer gnädigster Herr,« erwiderte der Diener; »ich höre nichts als das Meer rollen und den Westwind, der in den Fichten heult. Es ist schlimm mit bloßem Kopfe im Morgenwinde bleiben. Ich bitte Sie also flehentlich, mein lieber Herr, gehen Sie hinab!«

Der Graf ließ seinen Kopf aus die Brust fallen, als beugte sich dieser Kopf unter der Last einer Erinnerung.

»Erinnerst Du Dich seiner, Hervey?« sagte er immer seinen düsteren Gedanken verfolgend. »Als er aus die Welt kam, als seine Mutter mir ihn als einen sichtbaren vom Himmel aus unser Haus herabgestiegenen Segen gab, warst Du schon fünf Jahre bei uns.«

»In, gnädigster Herr, ich erinnere mich!« antwortete der alle Hervey mit erstickter Stimme.

»Eines Tags, – das Kind war drei Jahre alt, führte man es aus dem Gipfel des Thurmes spazieren, von wo aus wir das wilde Meer anschauten; das Meer hatte gerade einen seiner Tage des Zornes. Diejenige, welche es spazieren führte, war seine ehemalige Amme, die seine Wärterin geworden. Sie hatte das Kind dahin geführt, nicht um es zu zerstreuen, sondern in der Hoffnung, sie werde von fern die Barke ihres Mannes sehen, der Fischer war. Die Gräfin, die ihren Sohn überall suchte, stieg bis hier herauf, und als sie den Sturmwind sah, der in den blonden Haaren des Kindes wehte, sprach sie:

»Aber, Amme. Du gibst nicht Acht aus den Kleinen! Der Kleine wird frieren: bedenke, daß er erst drei Jahre alt ist!‹

 

»Doch die Amme, eine robuste Bäuerin, gewohnt bei jeder Witterung die Netze ihres Mannes an der Meeresküste zu flicken, antwortete:

›Und mein Kleiner, der erst vier Jahre alt und mit seinem Vater schon in See ist, weil ich den Ihrigen pflege, Frau Gräfin, und keinen Dienstboten habe, um ihn zu hüten, glauben Sie, er stiere nicht auch?‹

»Und die arme Frau suchte die Barke ihres Mannes durch Wellen und Nebel zu erschauen.

»Du drehtest Dich gegen sie um und sagtest zu ihr:

›Jeanne, schämt Ihr Euch nicht, daß Ihr Euer Kind mit dem der Frau Gräfin vergleicht, Ihr, die Ihr nur eine unglückliche Bäuerin seid, während die Frau Gräfin eine vornehme Dame ist?‹

»Doch sie antwortete:

›Es ist möglich, Hervey, daß die Frau Gräfin eine vornehme Dame ist, und daß ich nur eine Bäuerin bin; ich weiß aber, daß Jemmy mein Sohn ist, wie Colombau der Sohn der Frau Gräfin. Es gibt vielleicht vor Gott einen Unterschied zwischen dem Range der zwei Kinder, doch es gibt keinen zwischen den Herzen von zwei Müttern!‹

»Und Du siehst, Hervey,« fuhr der Greis fort, »der Sohn der Amme ist todt und mein Sohn ist auch todt! Du siehst, daß kein Unterschied zwischen ihnen stattfand, da sie Beide sterblich waren . . . . Die Gräfin hatte Unrecht, die Amme hatte Recht, und der Tod hat sie gleich gemacht!«

»Mein armer Herr!« murmelte Hervey, als er diese melancholischen Worte des alten Edelmanns hörte, dem der Schmerz eine Lection in der Gleichheit gab.

»Einige Jahre nachher,« fuhr der arme Vater fort, in seinem Geiste Alles das wieder anknüpfend, was die Oertlichkeit an einst süßen, heute bitteren Erinnerungen in ihm zurückrief, »einige Jahre nachher, erinnerst Du Dich? – er war damals zehn Jahre alt, – Du warst noch da, denn Du hast uns nie verlassen, mein guter Hervey; er wollte eine Flinte, der arme Knabe, und Du gabst ihm die Deinige, Deine alte Flinte aus den Bürgerkriegen, deren Lauf seinen Kopf um einen halben Fuß überragte . . . «

Hervey stieß einen Seufzer aus und schlug die Augen zum Himmel auf.

»Du erinnerst Dich seiner, Hervey, wie er die Flinte zwischen seinen Händchen hielt und Dich bat, ihn das Exerciren zu lehren. Aber Du, Du wolltest nicht. Er mochte immerhin weinen, sich ärgern, erzürnen, Du ließest ihn Thränen weinen und in Zorn gerathen und sagtest zu ihm:

›Gnädiger Herr, ein Edelmann wie Sie muß nur den Degen handhaben lernen!‹

»Statt den Degen zu handhaben, hat er die Feder gehandhabt; statt ihn in die Polytechnische Schule zu schicken, habe ich ihn in die Rechtsschule geschickt. Da ich keinen Officier aus ihm machen konnte, weil es keinen Krieg gab, so wollte ich einen Bürger aus ihm machen. Der Krieg hätte ihn vielleicht verschont, wie er uns verschont hat; der Friede hat ihn genommen und mir getödtet!«

»Verweilen Sie nicht immer bei diesen traurigen Erinnerungen, mein würdiger Herr,« sagte Hervey.

»Traurige Erinnerungen! Erinnerungen, die meinen Colombau in mir zurückrufen, Du nennst das traurige Erinnerungen? Im Gegentheile, sprechen wir von ihm. Spräche ich nicht von ihm, wovon sollte ich sprechen? Spräche ich nicht von ihm, so würde das Stillschweigen mich zernagen, wie der Rost heute die alte Flinte zernagt, mit der er damals spielte.«

»Sprechen Sie also von ihm, mein lieber Herr, sprechen Sie von ihm!«

»Nun wohl, Du erinnerst Dich des Tages, wo er sein zwölftes Jahr erreicht hatte? Wir führten ihn.

Beide mit gesammeltem Gemüthe, voll Glauben und Hoffnung, durch diese Fichtenallee, welche damals mit Rosen bestreut war, wie sie es heute mit Schnee ist. Dieser Tag war der seiner ersten Communion, und die anderen Kinder erwarteten ihn vor der Kapelle des Dorses; denn er war es, der die Taufgelübde sprechen sollte. Wie stattlich sah er aus bei seinem kleinen Wuchse! ich sehe ihn noch . . . Sieh, dort, rechts, beim vierundzwanzigsten Baume, – wir haben sie gezählt, – war ein Kieselstein, der ihn straucheln machte. Die Kerze, die er hielt, entschlüpfte seiner Hand und erlosch. Da fing er an zu weinen, der arme Knabe! Wer mir damals gesagt hätte, daß er so im Leben straucheln und die Kerze seines Daseins vor seinem vierundzwanzigsten Jahre erlöschen sehen sollte!«

»Oh! Herr, Herr,« rief Hervey in Thränen zerfließend, »Sie zerreißen sich die Eingeweide mit Ihren eigenen Händen!«

»Er erreichte sehr schnell sein fünfzehntes Jahr,« fuhr der Graf von Penhoël fort, der, wie er gesagt hatte, seine geringsten Erinnerungen mit einer schmerzlichen Wollust zurückrief. »Eines Tages erzählte ich ihm die Geschichte von Milon von Kroton; ich erinnere mich seines Lächelns, als er die Geschichte der Eiche hörte, welche, Anfangs gespalten, als sie sich wieder näherte, beide Hände des furchtbaren Athleten faßte. Er verließ mich, ging weg und erblickte einen Baum, der zweimal so dick war als er: das war eine Weide; er sprang in den hohlen Stamm, stemmte sich an wie ein zweiter Milon, und arbeitete so gewaltig mit Händen und Füßen, daß er den Baum entzwei spaltete, als wäre es ein Apfel gewesen. Ich war ihm gefolgt und schaute ihm zu, ohne daß er wußte, daß ich da war. Als ich den Baum krachen hörte, schien es mir, die Knochen meines Kindes brechen . . . Ja, er war stark wie derjenige von unseren Ahnen, welchen man Colombau den Starken nannte . . . Doch wozu dient die Stärke, mein guter Hervey, und was ist aus diesen eisernen Knieen und diesen stählernen Armen geworden? Der Tod hat sie berührt und sie gebrochen, wie ein Kind die Muttergottesfäden zerreißt, welche im September aus unseren abgeernteten Feldern umherfliegen. Todt! todt! mein Kind ist todt!«

Doch diese Stärke, deren Nichtigkeit der alte Edelmann bestätigte, und von der er selbst der lebendige Typus bei dem erschrecklichen Kampfe war, den er gegen den Schmerz aushielt, fehlte dem armen Hervey, der, plötzlich vor seinem Herrn aus die Kniee fallend, ausrief:

»Mein Gott, auf welche Art bestrafst Du die Bösen, wenn die Guten solche Wunden empfangen!«

Der Graf von Penhoël schaute den alten Diener an, öffnete seine Arme gegen ihn und sprach feierlich:

»Umarme mich, Hervey; das ist die einzige Art, wie ich Dir für Deinen Schmerz danken kann.«

Hervey erhob das Haupt, und wie ein Kind, das mit angeschwollenem Herzen au die Brust seines Vaters stürzt, sank er in die Arme des alten Edelmanns und blieb so einen Augenblick eng mit ihm verschlungen.

Doch den Kopf schüttelnd fuhr der unglückliche Vater fort, während er Hervey in seinen Armen preßte:

»Wie undankbar sie sind, die Kinder, mein lieber Hervey! ein Vater bringt den besten, den schönsten Theil seines Lebens damit hin, daß er sie pflegt, über sie wacht, Menschen aus ihnen macht; er hat für dieses Fleisch von seinem Fleische, für diese Knochen von seinen Knochen die aufmerksame Sorgfalt, die er für eine zarte Pflanze hätte; er folgt, wie ein keuchender Gärtner, den Fortschritten der Knospen, der Entwicklung der Blätter, dem Erschließen der Blumen. Beim Anblicke dieser frischen, balsamisch duftenden Blüthe der Kindheit freut er sich in der Hoffnung auf das, was die Früchte der Jugend sein werden; sodann, eines Morgens, kommt ein schwarz gesiegelter Brief, der dem Vater sagt: ›Vater, ich habe nicht die Stärke gehabt, dieses Leben, das Du mir gegeben, zu ertragen, und ich tödte mich.‹ Lebe Du hiernach. wenn Du kannst!«

»Gott hatte ihn uns gegeben, Gott hat ihn uns genommen, preisen wir Gott!« sprach der alte Diener mit einer gewissen religiösen Begeisterung, wie man sie noch in unseren Tagen bei der Ureinwohnerschaft der alten Bretagne findet.

»Was sprichst Du von Gott?« rief der alte Edelmann mit stolzem Uebermuthe. »Als der Pachthof Deines Vaters, als alle Früchte seines Speisekellers, als alles Getreide seines Speichers, als alles Vieh seiner Ställe, als Alles, was Dein Vater, ein Greis von neunzig Jahren, seit fünfzig Jahren angehäuft hatte, vor achtzehn Monaten durch einen Strohhalm verzehrt wurde, glaubst Du, Dein Vater habe Gott gepriesen, Hervey? Als die Marianne, in dem Augenblicke, wo sie in den Hafen einlaufen sollte, vor sechs Monaten dort an den Felsen strandete, vor dem Werfte, wo sie erbaut worden war, nach einer langen und gefahrvollen Fahrt nach Indien, als hierbei nebst seiner Ladung seine achtzehn Matrosen und seine hundert und zwanzig Passagiere von den Wellen verschlungen wurden, glaubst Du, sie haben Gott gepriesen, diejenigen, welche in den Abgrund niedersanken? Als vor sechs Monaten die Loire Städte, Dörfer und Hütten fortreißend austrat, glaubst Du, sie haben Gott gepriesen, diejenigen, welche aus ihren Dächern sitzend, Gott um Gnade und Barmherzigkeit anrufend, ihre Häuser wanken, sich spalten und unter ihnen einstürzen fühlten? Nein, Hervey, nein, sie haben es gemacht wie ich, sie haben . . . «

»Nehmen Sie sich in Acht, Herr!« rief Hervey. »Sie sind im Begriffe, Gott zu lästern!«

Doch ehe der alte Diener diese Worte gesprochen hatte, war der Graf von Penhoël aus die Kniee gefallen, und er rief:

»Herr, Herr, vergib mir! . . . Dort kommt der Leichnam meines Kindes . . . «

Und man sah in der That, am Ende der großen Fichtenallee, von der Seite, wo wir gesagt haben, es steigen die Rauchwolken des Dorfes Penhoël zum Himmel empor, zwischen dem Schnee der Straße und dem grauen Grunde des Himmels, einen Leichenzug herbeikommen, an dessen Spitze ein Mönch, bekleidet mit dem weiß und schwarzen wollenen Rocke, hoch in seinen Händen ein großes silbernes Kreuz haltend, ging.

Hinter ihm kamen ein Sarg aus den Schultern von vier Trägern ruhend, und hinter den Trägern ungefähr fünfzig Männer und Frauen, die Männer ihren Hut in der Hand haltend, die Frauen in ihre braunen Capucen vermummt.

Der Edelmann verrichtete ein kurzes Gebet, dann stand er aus und sagte zu seinem alten Diener:l

»Was Gott gethan, ist wohl gethan. Hervey, laß uns den letzten Abkömmling der Penhoël empfangen, der ins Schloß seiner Väter zurückkehrt!«


Und mit festem Schritte stieg er die Treppe hinab, und ging, immer mit bloßem Kopfe, bis auf die Schwelle der großen Thüre des Thurmes, welche nach der Fichtenallee führte.

CXLV
Das De Profundis an der Meeresküste

Als der Graf von Penhoël, gefolgt von seinem alten Diener, aus die Schwelle der Thüre des Thurmes kam, hatte der Leichenzug schon zwei Drittel der

Allee durchschritten, und man fing an die höchsten Noten des vom Priester gesungenen und von denjenigen, welche ihm folgten, wiederholten Trauerpsalms zu hören.

Sobald er diese Noten vernahm, kniete Hervey nieder; der Graf aber blieb stehen: er wiederholte leise den Todtengesang, der zwischen den Lippen von Hervey zu verscheiden schien.

Als der Priester nur noch fünfundzwanzig Schritte vom Schlosse entfernt war, winkte er den Trägern, und diese hielten an.

Hinter den Trägern hielten die Bauern an.

Der Zug blieb unbeweglich, die Gesänge verstummten.

Der Priester trennte sich vom Zuge und ging aus den Grafen zu. Dieser versuchte es. ein paar Schritte ihm entgegen zu machen, doch es war ihm unmöglich, seine Füße vom Boden loszureißen.

Hervey sah, was bei seinem Herrn vorging, an der Blässe, die seine Stirne bedeckte. Er machte eine Bewegung, um ihm diesen Platz, an dem er wie versteinert festhing, verlassen zu helfen und ihn im Nothfalle zu unterstützen; doch sein Herr hieß ihn mit der Hand winkend an seiner Stelle bleiben.

Er hatte schon ein Knie erhoben, und er setzte es wieder aus die Erde.

Der Mönch hatte während dieser Zeit die Entfernung zurückgelegt, die ihn von der Thüre trennte. Aus der Schwelle dieser Thüre hatte er einen Mann gesehen, und an der Blässe des Gesichtes von diesem Manne hatte er den Vater von Colombau erkannt.

»Mein Herr,« sprach er, »ich habe von Paris bis hierher den Leib des Vicomte von Penhoël begleitet, und ich bringe ihn in das Schloß seiner Väter zurück.«

»Gott segne den frommen Mann, der einen Sohn seinem Vater zurückbringt!« antwortete der alte Edelmann, indem er sich vor der doppelten Majestät der Religion und des Todes verbeugte.

Der Priester winkte.

Die vier Träger kamen langsam herbei; zwei Männer. Gestelle tragend, folgten ihnen: sie setzten die Gestelle aus die Erde, die Träger legten den Sarg aus die Gestelle, und alle kehrten mit einander zu der Gruppe zurück, in der sie sich verloren.

Der Abbé Dominique, – denn er war es, und unsere Leser haben ihn ohne Zweifel wiedererkannt, – machte ein neues Zeichen: der Zug näherte sich, bildete einen Halbkreis um den Sarg und umhüllte ihn niederknieend.

 

Es schien, alle Mitglieder dieser frommen Versammlung haben sich verständigt, um dem Vater die schmerzlichen Einzelheiten dieses Leichenbegängnisses zu entziehen.

Der Graf und der Priester blieben allein stehen.

Der Graf, dessen Augen sich Anfangs aus den Sarg geheftet hatten, wandte sie mit Mühe davon ab und schien eine nach der andern alle Personen des Zuges bis aus die geringsten zu besichtigen, ob er nicht unter ihnen diejenigen erkenne, welche er dabei zu finden erwartete.

Endlich sprach er, indem er sich an den Abbé Dominique wandte:,

»Mein Herr, ich habe Ihnen schon für das gedankt, was Sie für mich und für meinen Sohn gethan, und ich danke Ihnen noch einmal. Warum ist aber der Pfarrer von Penhoël nicht bei Ihnen?«

»Ich habe ihn gebeten, den Leichenzug zu begleiten, und er hat sich geweigert,« erwiderte Dominique.

»Er hat sich geweigert?« rief der Graf erstaunt.

Der Mönch verbeugte sich.

»Und seit wann weigert sich der Pfarrer des Dorfes Penhoël, für die Ruhe des Grafen von Penhoël zu beten?«

»Der Vicomte von Penhoël,« erwiderte der Abbé

Dominique, ist eines gewaltsamen Todes gestorben, und er hat sich selbst das Leben genommen.«

»Ja, mein Vater,« sprach der alte Edelmann: »doch je mehr das arme Kind. verirrt ist, desto nothwendiger ist es, daß man die Barmherzigkeit Gottes aus dasselbe herabruft. Ist der Arme nicht als ein guter Christ gestorben, so ist er wenigstens, dessen bin ich sicher, als redlicher Mensch gestorben.«

»Ich weiß es, Herr Graf.«

»Und woher wissen Sie es?«

»Ich war sein Freund, und es war sein letzter Wille, daß ich die Sendung vollbringe, die mich hierher führt.«

Somit kommen Sie nur unter dem Titel eines Freundes?«

»Unter dem Titel eines Freundes und eines Priesters, Herr Graf.«

»Sie setzen sich aber dem Zorne Ihrer Oberen aus, mein Vater?«

»Ich fürchte nur den Zorn Gottes, Herr Graf.«

»Wenden Sie ihn also vom Haupte meines Sohnes ab, mein Herr, und rufen Sie die ganze Milde des Herrn an.«

Der Priester verbeugte sich und stimmte, indem er sich gegen den Sarg umwandte, das De profundis clamavi ad te! mit einer so, festen und zugleich mit einer so mächtig schallenden Stimme an, daß sein Gesang bis zum Fuße vom Throne des Ewigen aussteigen mußte.

»De profundis clamavi ad te!« wiederholte die Menge mit der ganzen Gewalt ihrer Stimme.

»De profundis clamavi ad te!« murmelte der Graf von Penhoël.

Als sodann der Trauergesang beendigt war, stand Jedermann aus.

Der Abbé Dominique ging aus den alten Edelmann zu.

»Herr Graf,« sprach er, »wo sollen wir die sterblichen Ueberreste Ihres Sohnes niederlegen?«

»Hat meine Familie nicht ihre Gruft aus dem Friedhofe von Penhoël?« fragte der Graf.

»Der Friedhof von Penhoël ist geschlossen und der Friedhofswächter hat sich geweigert, ihn zu öffnen.«

»Und seit wann ist der Friedhof von Penhoël für die Grafen von Penhoël geschlossen?«

Der Abbé antwortete mit sanftem Tone:

»Seitdem sie Gott vor dem für ihren Tod bezeichneten Tage das Leben wiedergeben, das ihnen Gott geschenkt hatte,«

»Verhält es sich so, mein Vater, so wollen Sie Stimme, indem er sich stolz aufrichtete, während Hervey seinen Platz hinter dem Sarge einnahm.

Aus einen Wink des Abbé Dominique traten die vier Träger aus den Reihen hervor und nahmen ihre Last wieder auf, und der Leichenzug, dem der Abbé Dominique voranschritt, setzte sich, den Grafen von Penhoël an seiner Spitze, langsam in Bewegung.

Man ging um den Thurm und die Ruinen des Schlosses, man erstieg eine letzte Kante des Felsens, und man befand sich am westlichen Abhange der Küste, dem ungeheuren, tosenden, stürmischen Ocean gegenüber.

Die Wellen waren schwarz und hoch; der Wind blies und machte die Haare des Greises flattern.

Kein Horizont konnte besser, als der, welcher sich vor den Blicken von denjenigen entrollte, die dem Sarge des jungen Mannes vorangingen oder ihm folgten, einen Begriff von der Macht und dem Zorne Gottes geben; nur möchte man wissen: nahmen diese grenzenlose Macht, dieser ungeheure Zorn, welche die Wellen des Oceans empören und am Himmel die Wolken, diese Wagen, welche die Stürme tragen, konnten zusammenstoßen machen, nahmen sie zum Gegenstande diese elenden Fragen, welche im Concil einige müßige Cardinäle debattieren?

Das konnte der Abbé Dominique, dieses große Herz und dieser große Geist, nicht zugeben, als sich vor ihm das Riesenschauspiel entrollte.

Ein bitteres Lächeln schwebte über seine Lippen; seine Augen richteten sich aus den Sarg, wo dieser träge, unempfindliche Leichnam schlummerte, und nur Eines schien ihm so unendlich als diese Macht, so ungeheuer, als dieser Zorn Gottes: das war der Schmerz dieses Vaters.

Der Graf blieb vor einem mit Farnkraut und Wachholderstauden umgebenen kleinen Sandhügel stehen.

»Ich wünsche, daß man hier den Leib meines Sohnes bestatte,« sprach er.

Die Träger hielten abermals an, die Gestelle wurden wie vor der Thüre des Thurmes niedergesetzt, und der Sarg quer daraus gelegt.

Der Edelmann schaute umher: er suchte den Todtengräber, doch der Todtengräber hatte vom Pfarrer den Befehl erhalten, dem Zuge nicht zu folgen.

»Hervey,« sagte der Graf, »hole zwei Spaten.«

Fünf oder sechs Bauern stürzten nach dem Schlosse.

»Laßt Hervey machen,« sagte er mit einer Geberde des Befehles.

Jeder blieb stehen; Hervey allein ging so schnell, als es ihm sein Alter erlaubte, hinab und verschwand durch eine alte, an einer noch vorhandenen Mauer offene Schlupfpforte.

Einen Augenblick nachher erschien er wieder mit zwei Spaten.

Die Bauern wollten sich derselben bemächtigen.

»Ich danke, meine Kinder,« sprach der Graf. »Das geht uns an, Hervey und mich.«

Er nahm einen Spaten aus den Händen des alten Dieners.

»Aus, mein guter Hervey,« sagte er, »laß uns sein letztes Bett dem Letzten der Grafen von Penhoël bereiten.«

Und er fing an die Erde auszugraben.

Hervey folgte dem Beispiele, das ihm gegeben war.

Nicht Einer von den Anwesenden vermochte seine Thränen zurückzuhalten, als er diese zwei Greise sah, den Bart und die Haare im Winde flatternd, das Grab eines Kindes grabend, das der Eine gezeugt und der Andere in seinen Armen gewiegt hatte.

Die Augen verloren zwischen den zwei Unendlichkeiten, dem Himmel und dem Ocean, die Arme im Kreuze aus seiner Brust, unbeweglich, ohne Stimme, ohne Thränen, blieb Dominique aufrecht und wie in Entzückung stehen.

Der schöne Mönch in seiner seltsamen Tracht schien da zu sein, um das pittoreske und poetische Drama zu vervollständigen, in welchem ihm ein gütiger Gott providentiell seine Stelle zugetheilt hatte.

Das Grab grub sich rasch in diesem bröckeligen Boden, und bald hatte es eine Tiefe von fünf bis sechs Fuß.

Einer von den Trägern hatte Stricke: man schob sie unter dem Sarge durch und ließ diesen in das Grab hinab.

Man suchte das Weihwasser.

Dominique erblickte in der Aushöhlung eines nahen Felsens Wasser so glänzend wie ein Spiegel.

Er ging aus den Felsen zu, sprach über diesem Wasser die sacramentlichen Worte, brach einen Fichtenzweig, der einen natürlichen Sprengwedel bildete, tauchte diesen Zweig in den Behälter, näherte sich dem Grabe, besprengte den Sarg und sprach:

»Im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes segne ich Dich, mein Bruder, und ich rufe aus Dich den Segen des Herrn herab.«

»Amen!« antworteten die Anwesenden.

»Gott, der Deine Absicht kannte, konnte allein Deinen Arm zurückhalten und Deinen Willen brechen: Gott hat es nicht gewollt. Vergebung und Segen über Dich, mein Bruder!«

»Amen!« sprachen im Chore die Anwesenden.

Der Mönch fuhr fort:

»Ich, ich habe Dich aus Erden gekannt, ich vermag also diesen Kindern desselben Landes wie Du zu sagen, daß Du nichts verschuldet hast, um ihre Zuneigung zu verlieren. Du warst ein würdiger Sohn der Bretagne, Du hattest alle die Tugenden, welche ihre Kinder von dieser würdigen Mutter entlehnen: Du hattest den Adel, Du hattest die Stärke, Du hattest die Größe, Du hattest die Schönheit. Du hast Deine Rolle hienieden gespielt, und obgleich nicht einmal dreiundzwanzig Jahre, ist Dein Leben ein Opfer gewesen, wie Dein Tod ein Märtyrthum. Ich segne Dich also, mein Bruder, und bitte Gott, er möge Dich segnen, wie ich es thue.«

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