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Erster Band

I
Wo der Leser mit den Leiden Hauptpersonen des Buches Bekanntschaft macht

Der Chevalier de la Graverie machte zum zweiten Male die Runde um die Stadt.

Vielleicht wäre es logischer, dem Leser zuvörderst zu sagen, wer der Chevalier de la Graverie war und in welchem der sechsundachtzig Departements von Frankreich die Stadt lag, um welche er die Runde machte. Aber wir haben in einer Anwandlung von Humor, der wahrscheinlich eine Folge des unlängst eingeatmeten englischen Nebels ist, den Entschluss gefasst, einen neuen, noch nie dagewesenen Roman zu machen.

Wie man s anfängt, einen neuen, noch nie dagewesenen Roman zu machen? Man kehrt die Ordnung der andern Romane um.

Deshalb fangen wir nicht, wie es bisher Sitte war, beim Anfange, sondern beim Ende an. Dieses Beispiel wird gewiss Nachahmung finden, und in einiger Zeit wird man die Romane nur noch beim Ende anfangen.

Überdies haben wir noch einen andern Grund, die gewöhnliche Ordnung umzukehren: wir fürchten, dass die trockenen biographischen Notizen den Leser abschrecken und ihn bewegen würden, schon am Ende der zweiten Seite das Buch zuzuschlagen.

Vor der Hand wollen wir also nur sagen was wir ohne dies nicht verschweigen können, dass die Szene um das Jahr 1842 zu Chartres in der Landschaft Beauce, auf der um die alten Festungswerke der vormaligen Hauptstadt der Carnutes von Ulmen beschatteten Promenade eröffnet wird.

Mit diesem Vorbehalt hinsichtlich der Jugendzeit unseres Helden, oder vielmehr des einen unserer Helden, verwahren wir uns gegen die Beschuldigung, als ob wir den Leser hinterrücks mit einer langweiligen Jugendbiographie zu überfallen beabsichtigten. Wir fahren fort.

Der Chevalier de la Graverie war auf seiner zweiten Runde um die Stadt. Er kam eben an den Teil der Wallpromenade, wo man die großen Höfe der Reiterkaserne übersehen kann.

Der Chevalier stand still. Es war sein Lieblingsplatz.

Der Chevalier de la Graverie ging jeden Mittag Schlag zwölf Uhr aus, nachdem er seinen Kaffee ungezuckert genommen und drei bis vier Stücke Zucker in die Rocktasche gesteckt hatte, um dieselben unterwegs zu essen. Er wusste es immer so einzurichten, dass er in dem Augenblicke, wo zum Pferde putzen geblasen wurde, bei der Reiterkaserne ankam.

In der Persönlichkeit oder Haltung des Chevalier lag freilich durchaus nichts Militärisches; im Gegenteil, er war der einfachste, gutmütigste Mensch von der Welt. Aber er sah gern das pittoreske, lebensvolle Bild, das ihn an die Zeit erinnerte, wo er selbst – unter welchen Umständen, werden wir später sagen – Musketier zu Pferde gewesen war. Er war sehr stolz darauf – seitdem er nicht mehr Musketier war.

Denn ohne sich das Ansehen zu geben, als ob er in den Erinnerungen an eine frühere Zeit Trost für die Vergangenheit suchte, trug er sein vormals semmelfarbenes und mit der Zeit perlgrau gewordenes Haar mit philosophischem Gleichmut und schien überhaupt mit den Gaben, welche ihm die Natur in nicht sehr reichem Maße beschieden, vollkommen zufrieden,’ aber er zeigte sich den gemütlichen Spießbürgern, die gleich ihm bei der Reiterkaserne ihre tägliche Zerstreuung suchten, gern als Kenner der Pferde und des Kavalleriedienstes, und es machte ihm Freude, wenn seine Nachbarn zu ihm sagten:

»Chevalier, Sie müssen in Ihrer Zeit ein hübscher Offizier gewesen sein.«

Diese Vermutung war dem Chevalier um so angenehmer, da sie völlig unbegründet war.

Es dürfte hier der Ort sein, ihn dem Leser in seiner äußern Erscheinung vorzuführen; seine geistigen Eigenschaften werden sich später von selbst entwickeln.

Der Chevalier de la Graverie war ein kleines korpulentes Männchen von sieben- bis achtundvierzig Jahren, weichlich und schlaff, nach Art der Weiber und Eunuchen. Sein in den politischen und militärischen Personenbeschreibungen gewöhnlich als »blond« bezeichnetes Haar war, wie schon erwähnt, gelblich und ging ins Perlgraue über. Seine großen, ultramarinblauen Augen hatten gemeiniglich den Ausdruck der Unruhe, zuweilen waren sie jedoch starr und träumerisch. Seine Ohren waren groß und schlaff, seine Lippen dick, die Unterlippe war etwas herabhängend, die Gesichtsfarbe stellenweise rötlich, und fast aschgrau wo sie nicht rot war.

Der Kopf wurde von einem kurzen dicken Halse getragen; der Rumpf war ganz Bauch, und an beiden Seiten des» selben hingen ein Paar dünne, kurze, kraftlose Arme, die mit Scharnieren an den Schultern befestigt zu sein schienen.

Der Bauch endlich bewegte sich mit Hilft kleiner Beinchen, rund wie Würste und etwas säbelförmig gekrümmt.

In dem Augenblicke, wo wir das Männlein dem Leser vorstellen, bestand seine Kleidung aus einem niedrigen schwarzen Castorhut mit breitem Rande, aus einem feinen gestickten weißen Halstuch, aus einer weißen Piquéweste, blauem Frack mit vergoldeten Knöpfen, etwas kurzen und engen Nankinhosen, bunten baumwollenen Strümpfen, und Schuhen mit großen Bandschleifen.

Das Pferde putzen der Cavallerie war der Glanzpunkt, die vorzügliche Augenweide seines täglichen Spazierganges, der ihm zur Gewohnheit, zur diätetischen Notwendigkeit geworden war. In der Nähe der Reiterkaserne begann er immer rascher zu gehen als sonst; ersehnte sich nach dem Pferdeputzen wie ein Feinschmecker nach einem guten Bissen.

Vor der Bank am Rande der zu den Stallungen hin» abführenden Böschung stand der Chevalier de la Graverie still und schaute in den Kasernenhof hinunter, ob seine Augenweide bald beginnen werde; dann setzte er sich methodisch, wie ein alter Habitué im Parterre des Theatre-Francais Platz nimmt, legte beide Hände auf den goldenen Stockknopf und das Kinn auf die Hände und erwartete das Trompetensignal.

Gerade an diesem Tage würde das interessante Schauspiel des Pferdeputzens manchen blasierten und minder neugierigen Bummler, als unser Chevalier war, gefesselt haben’ nicht als ob das tägliche Geschäft an sich etwas Ungewohntes gehabt hätte: es waren dieselben Braunen. Füchse, Schimmel, Rappen Schecken, die unter Striegel und Kartätsche wieherten und stampften: man sah dieselben Dragoner in Holzschuhen und Zwilchhosen, dieselben sich langweilenden Unterlieutenants, denselben ernsten, strengen Kommandanten, der auf einen Verstoß gegen die Vorschriften lauerte, wie die Katze auf die Maus. Aber an dem Tage, wo wir dem Chevalier de la Graverie begegnen, wurde diese Masse von Zwei- und Vierfüßlern von einer schönen Herbstsonne gar freundlich beleuchtet, welche sowohl den Gesamteindruck des Bildes erhöhte, als auch die Einzelheiten in einem günstigen Lichte erscheinen ließ. Der Chevalier glaubte die Croupen der Pferde noch nie so glänzend, die Helme und Säbel noch nie so funkelnd, die Gesichter noch nie so scharf und deutlich markiert, das ganze Bild noch nie so reizend gesehen zu haben.

Die beiden majestätischen Türme der alten ehrwürdigen Kathedrale prangten im goldenen Sonnenlicht, das von dem italienischen Himmel geborgt zu sein schien; ihre durchbrochenen Verzierungen hoben sich an dem reinen, wolkenlosen Himmel wie spitzenartige feine Auszackungen hervor und das Laub der Bäume hatte jene wunderschönen Schattierungen von Grün, Purpur und Gold, welche einer Herbstlandschaft einen so eigentümlichen Reiz geben.

Der Chevalier gehörte freilich keineswegs der romantischen Schule an, und es war ihm nie in den Sinn gekommen die »Méditations poétiques« von Lamartine, oder die »Feuilles d’autonomne« von Victor Hugo zu lesen; aber er fühlte sich unwillkürlich gefesselt durch das wunder herrliche, majestätische Panorama, das sich vor seinen Blicken ausbreitete. Es ging ihm nie allen geistesträgen Menschen: statt einen Überblick über die Szene zu gewinnen und den Klug der Gedanken von dem eigenen Willen abhängig zu machen, wurde er bald von ihrem Eindruck überwältigt und versank in jene geistige Erschlaffung, wo man vor sich hinstarrt, ohne zu sehen, wo man die an das Ohr dringenden Klänge nicht hört, wo die Traumbilder bunt und rasch auf einander folgen, wie die stets wechselnden Flächen des Kaleidoskops, ohne dass der Träumer die Kraft hat, einen seiner vorüber schwimmenden Träume zu erhaschen und festzuhalten. Ein solcher Zustand hat eine entfernte Ähnlichkeit mit der Trunkenheit des Opiumrauchers oder Hatschi-Essers.

Als der Chevalier einige Minuten in diesem halbwachen Zustande gewesen war, wurde er durch ein ganz materielles Gefühl in die Wirklichkeit zurückversetzt. Es schien ihm als ob sich eine kecke Hand verstohlen in seine linke Rocktasche einzuführen suchte.

Er sah sich rasch um, und zu seinem großen Erstaunen erblickte er nicht das Galgengesicht eines Taschendiebes oder Beutelschneiders, sondern das ehrliche, gutmütige Antlitz eines Hundes, der, ohne die mindeste Verlegenheit zu, verraten, gar freundlich mit dem Schweif wedelte und sich lüstern die Schnauze leckte.

Der Taschendieb, der den Chevalier so ungestraft seinen Träumen entrissen hatte, gehörte zu der großen Race langhaariger Jagdhund, welche zugleich mit den von Jacob I. an seinen Vetter Carl VII. gesandten Hilfstruppen aus Schottland nach Frankreich herübergekommen ist. Er war schwarz, reinlich der Jagdhund, mit einem weißen Streifen auf der Brust; er hatte einen langen fahnenartigen Schweif, weiches, glänzendes Haar, schöne, lang herabhängende Ohren, und kluge, fast menschliche Augen.

Kurz, es war für Jedermann ein herrliches Tier. Das wirklich bewundert zu werden verdiente: aber der Chevalier de la Graverie, der eine große Gleichartigkeit gegen alle Tiere, insbesondere gegen Hunde, zur Schau trug, widmete den äußern Reizen des interessanten Taschendiebes nur sehr geringe Aufmerksamkeit.

Er sah sich enttäuscht. – In dem Augenblicke, als er eine Bewegung an seiner Rocktasche fühlte, hatte seine plötzlich aus dem Schlummer aufgerüttelte Phantasie ein ganzes Drama aufgebaut.

 

Es gab Spitzbuben in Chartres! Eine Bande von »pick-pocket« hatte sich in die Hauptstadt der Landschaft Beauce eingeschlichen, um den reichen Bürgern die Napoleons und Banknoten aus den Taschen zu holen. Und diese Bösewichter, durch die Klugheit und den Scharfsinn eines Spaziergängers entlarvt, ins Gefängnis geschleppt, vor die Assisen gestellt und zum Bagno verurteilt – das war in der That eine prächtige Unterhaltung, die in das einförmige Leben der Provinzstadt eine höchst pikante Abwechslung gebracht hätte! Man kann sich daher denken, wie unangenehm es war, aus diesem unverhofften Gaudium in das langweilige Alltagsleben zurückzusinken!

Der Chevalier machte also in der ersten Aufwallung des Ärgers gegen den Urheber dieser Enttäuschung einen Versuch, den Schmarotzer durch ein olympisches Stirnrunzeln zu verjagen; aber der Hund hielt unerschrocken das Feuer dieses Blickes aus und sah seinen Gegner sogar recht freundlich und zutraulich an, als ob er sagen wollte: Warum zürnen Sie mir? Haben Sie doch Mitleid mit mir!

Das Auge ist bei den Hunden wie bei den Menschen der Spiegel der Seele. Der Blick des Hundes rührte den Chevalier so tief, dass er sofort seine Stirn entrunzelte, in dieselbe Tasche griff, auf welche der Hund einen verstohlenen Angriff versucht hatte, und ein Stück Zucker herausnahm.

Der Hund nahm den Leckerbissen mit der größten Zartheit. Wer ihn sah, wie er so vorsichtig, so freundlich, so zufrieden das süße Almosen hinnahm, würde nie geglaubt haben, dass Diebesgedanken in diesem grundehrlichen Gemüte hätten aufkommen können. Ein scharfer Beobachter, ein Physiognomiker hätte vielleicht einen etwas lebhafteren Ausdruck der Dankbarkeit gewünscht, während die weißen Zähne des Tieres den Zucker zermalmten; aber die Bauchdienerei, bekanntlich eine der sieben Todsünden, gehörte zu den schwachen Seiten des Chevalier, der die Freuden der Tafel als eine Würze des geselligen Lebens betrachtete. Statt daher dem Hunde ob des mehr sinnlichen als dankbaren Ausdrucks seines Gesichts zu zürnen, betrachtete er mit aufrichtiger und fast neidischer Bewunderung die von dem eingebürgerten Schottländer gegebenen Äußerungen des Gaumenkitzels.

Der Hund gehörte offenbar zu der Klasse der unverschämten Bettler. Kaum war der Leckerbissen verschlungen, so wiederholte er seine bereits als erfolgreich erprobten Schmeicheleien, um die Wohltätigkeit des Spaziergängers wieder in Anspruch zu nehmen. Er schien zu wissen, dass er nicht vergebens bat, und wurde zudringlich wie alle Bettler! Der Chevalier ließ sich durch die feuchten bittenden Blicke und das freundliche Wedeln betören und fütterte den interessanten Schmarotzer bis die Tasche ganz leer war.

Der Chevalier konnte sich eines gewissen bitteren Gefühls nicht erwehren; er hatte in den verschiedensten Menschenrassen, vom Höfling bis zum Stallknecht, so viel Undank gesehen, dass er erwartete, ein Mitglied der Hundegenossenschaft werde das von den Adams söhnen seit Jahrtausenden gegebene Beispiel befolgen.

Diese langjährige Erfahrung hätte den Chevalier de la Graverie gleichgültig machen sollen; aber es that ihm weh, noch einmal auf seine Kosten den allgemeinen Undank zu erfahren. Er wünschte daher seinem neuen Bekannten eine peinliche Verlegenheit und sich selbst die daraus entstehenden Demütigungen zu ersparen. Er griff noch einmal in die Rocktasche und nachdem er sich überzeugt hatte, dass kein Zucker mehr darin war, nachdem er, um den Hund von seiner Ehrlichkeit zu überzeugen, die Tasche umgekehrt hatte, streichelte er den Hund, um ihn in Gnaden zu entlassen, stand auf und ging weiter ohne sich umzusehen.

II
Wo Jungfer Marianne das Programm ihres Charakters gibt

Der Chevalier war kaum einige hundert Schritte fortgegangen, so wurde sein Entschluss, sich nach dem Hunde nicht umzusehen, durch die Neugier stark erschüttert, und es bedurfte einer bedeutenden moralischen Kraft, um den Einflüsterungen des Dämons zu widerstehen.

Als, er über die Brücke in die Stadt ging, bekam die Neugier endlich die Oberhand und er benutzte den eben an» kommenden Pariser Postwagen als Vorwand, auf die Seite zu treten und sich umzusehen. Zu seinem größten Erstaunen sah er, dass ihm der Hund auf dem Fuße folgte.

»Ich habe Dir nichts mehr zu geben, armes Tier!« sagte der Chevalier, indem er seine leeren Taschen schüttelte.

Der Hund schien den Sinn und die Bedeutung dieser Worte zu verstehen, denn er machte einige humoristische Sprünge, als ob er seinen Dank und seine Zufriedenheit zu er» kennen geben wollte; da er nicht wusste, wie lange der Chevalier auf der Brücke verweilen würde, so streckte er sich platt auf den Erdboden aus, legte den Kopf auf die Vorderfüße, fing an zu bellen und wartete dann ruhig, dass sein neuer Freund weitergehe.

Sobald der Chevalier von der Stelle ging, sprang der Hund auf und hüpfte voraus.

Wie das Tier die Worte des Menschen zu verstehen schien, so schien der Mensch die Gebärde des Tieres zu verstehen.

»Ich verstehe Dich,« sagte er, »Du willst mit mir gehen. Aber ich bin ja nicht dein Herr, und um mir zu folgen, musst Du Jemand verlassen – Jemand der Dich aufgezogen, gefüttert, gehegt und gepflegt hat: vielleicht einen Blinden, den Du geführt, oder eine alte Witwe, deren Trost Du warst! Ein Bisschen Zucker hat Dich bewogen, deinen früheren Herrn zu vergessen, so wie Du später gewiss auch mich vergessen wirst’, wenn ich so schwach wäre Dich mitzunehmen. – Geh, geh, Medor, Du bist nur ein Hund, Du hast nicht das Recht undankbar zu sein. Etwas Anderes wäre es, wenn Du ein Mensch wärst!«

Aber statt dem Befehl zu gehorchen, oder der philosophischen Betrachtung Gehör zu geben, bellte der Hund noch lauter und machte noch lustigere Sprünge.

Diese zweite Gedankenreihe, die im Geiste des Chevaliers wie eine dunkle Flut aufgestiegen war, hatte ihn leider sehr verstimmt. Anfangs mochte er sich wohl geschmeichelt fühlen durch die Zuneigung, die ihm der Hund zuerkennen gegeben; aber er bedachte, dass diese Zuneigung wahrscheinlich einen mehr oder minder schwarzen Undank verberge, und er zog die Beständigkeit dieser so leichtsinnig bewilligten Freundschaft in Zweifel. Endlich bestärkte er sich in einem seit vielen Jahren gefassten Entschluss, keinem lebenden Wesen fortan seine Zuneigung mehr zu schenken. Wie er diesen Entschluss gefasst hatte, wer» den wir später erklären.

Aus dieser Andeutung wird der Leser ersehen, dass der Chevalier de la Graverie ein Misanthrop war.

Fest entschlossen, dieses neue freundschaftliche Verhältnis für immer abzubrechen, versuchte der Chevalier zuerst den Hund durch sanfte Ueberredung zu entfernen. Nachdem er ihn Medor genannt und einen ernsten Versuch, ihn fortzuschicken, gemacht hatte, erneuerte er denselben Befehl und gab ihm dabei eine Menge von Namen aus der Mythologie und dem Alterthume: Morpheus, Jupiter, Castor. Pollur, Actäon, Cäsar, Nestor, Romulus, Tarquin, Ajax. Dann kamen die altscandinavischen Namen Ossian, Fingal, Odin, Thor und die englischen Trim, Tom, Dick, Nick, Mylord. Stop an die Reihe; und als auch diese wirkungslos blieben, kramte er alle in seinem Gedächtnis vorrätigen Phantasienamen: Caro, Sultan, Phanor, Türk, Oli, Mouton u.s.w. aus. Aber alledem Hunderegister entnommenen Namen waren nicht im Stande, den hartnäckigen Schottländer fortzujagen. Das von den Menschen geltende Sprichwort: Niemand ist tauber als Einer, der nicht hören will, fand, in diesem Falle wenigstens auch auf die Hunde eine Anwendung.

Der Jagdhund, der vorhin die Gedanken seines neuen Freundes so leicht erriet, schien jetzt weit entfernt, ihn zu verstehen. Je ernster und drohender das Gesicht des Chevalier wurde, desto lauter wurde sein Gebell, desto lustiger waren seine Sprünge. Endlich als der Chevalier wider seinen Willen, aber gezwungen durch die Notwendigkeit, seinen Gedanken einen klaren, verständlichen Ausdruck zu geben, seinen Stock mit dem goldenen Knopf hob, um die ultima ratio der Hunde anzuwenden, legte sich das arme Tier auf den Rücken und bot dem Stock mit rührender Ergebung seinen Leib.

Der Chevalier mochte durch Unglück, aus welchem wir dem Leser durchaus kein Geheimnis machen wollen, ein Misanthrop geworden sein, aber er besaß keinen bösen Charakter. Er wurde durch die demüthige Unterwürfigkeit des Hundes sogleich beschwichtigt, nahm seinen Stock in die linke Hand und wischte sich die Stirn; denn während dieses Auftritts, in welchem er nicht nur gesprochen » sondern auch gestikuliert hatte, war ihm der Schweift ausgebrochen.

»Komm nur, mein Hund,« sagte er, sich überwunden gebend; »aber weiter als bis zu meiner Haustür sollst Du mir nicht folgen!«

Aber der Hund kannte vermutlich das Sprichwort: Zeit gewonnen, Alles gewonnen! Denn er sprang sogleich auf und machte tausend lustige Sprünge um den Herrn, auf den seine endgültige Wahl gefallen zu sein schien, und ging so vertraulich mit ihm um, dass alle Bürger von Chartres, die dem Chevalier begegneten, ganz verwundert stehen blieben und sich freuten, dass sie ihren Freunden und Bekannten dieses Rätsel in Form einer bejahenden Frage aufgeben konnten: »Der Chevalier de la Graverie hat also jetzt einen Hund?«

Der Chevalier, der auf einmal der Gegenstand des Stadtgespräches geworden war, benahm sich sehr würdevoll und kümmerte sich durchaus nicht um die Neugier, die er auf seinem Spaziergang geweckt hatte. Ohne von seinem Begleiter im mindesten Notiz zu nehmen, blieb er überall stehen, wo etwas zu sehen war, bei dem Stadtthor, dessen alte Zinnen ausgebessert wurden; auf dem Ballplatz, der durch ein halbes Dutzend Spieler und eben so viele schreiende Gassenjungen belebt wurde; bei einem Seiler, dessen Arbeit er mit einem ihm selbst unerklärlichen Interesse zusah.

Wenn ihm die Liebkosungen des Hundes von Zeit zu Zeit ein freundliches Lächeln entlockten, so unterdrückte er es sogleich wieder und nahm seine gleichgültige Miene wieder an, wie ein Raufbold, der sich seinem Gegner gegenüber eine Blöße gegeben hat, sich sorgfältig deckt.

So kamen Beide an das Haus Nr. 9, in der Rue des Lices, welches der Chevalier de la Graverie schon seit einer Reihe von Jahren bewohnt hatte.

Vor dem Hause sah der Letztere ein, dass alles Übrige nur eine Art von Prolog gewesen war, und dass die wirklichen Schwierigkeiten hier erst beginnen würden.

Während der Chevalier seinen Hauptschlüssel in das Türschloss steckte, wartete der Hund ganz wohlgemut, als ob er hier schon lange aus- und eingegangen wäre und dieses Haus als das seinige betrachtete. Sobald sich die Tür auftat, schlüpfte er behende zwischen die Füße des Chevalier, um ihm vorauszueilen; aber der Herr vom Hause zog die kaum geöffnete Tür so rasch wieder zu, dass der Schlüssel durch die Erschütterung mitten auf die Straße geschleudert wurde.

Der Jagdhund sprang dem Schlüssel nach, und wie ungern auch selbst gut dressierte Hunde einen eisernen Gegen» stand mit den Zähnen berühren, so nahm er doch den Schlüssel auf und brachte ihn dem Chevalier.

Ohne gerade gerührt zu werden, wurde der Chevalier de la Graverie doch zu mancherlei Betrachtungen veranlasst. Er hatte es keineswegs mit einem gemeinen Köter, sondern mit einem wohlerzogenen Jagdhunde zu tun. Ohne seinen ersten Entschluss aufzugeben, erkannte er doch, dass der Jagdhund einige Rücksicht verdiene; und da bereits einige Personen stehen blieben, um den sonderbaren Auftritt anzusehen, da sogar einige Fenstervorhänge aufgezogen wurden, so beschloss er, in einem Kampfe, in welchem er wahrscheinlich den Kürzeren ziehen würde, seine Würde nicht aufs Spiel zu setzen und eine dritte Person zu Hilfe zu rufen.

Er steckte daher den Hausschlüssel, den ihm der Hund überreichte, in die Tasche und zog die Türglocke.

Obschon die Glocke im Hause laut ertönte, so blieb sie doch wirkungslos. Es regte sich nichts im Hause, als ob der Chevalier an der Tür eines verzauberten Schlosses geläutet hätte, und erst als er wiederholt und heftiger den Rehfuß an der dünnen eisernen Kette gezogen hatte, tat sich ein Schubfenster im ersten Stocke auf und das grämliche Gesicht eines fünfzigjährigen Frauenzimmers wurde sichtbar.

Das Gesicht kam mit solcher Vorsicht hervor, als ob die Stadt von Normannen oder Kosaken bedroht gewesen wäre, und suchte den Urheber des ungewöhnlichen Lärms zu erkennen.

Aber der Herr vom Hause, der natürlich das Öffnen der Haustür und nicht eines Fensters im ersten Stocke er» wartete, hatte sich dicht an die Tür gedrängt, um schnell eintreten zu können, und war unter dem mit wilden Blumen bewachsenen Gesimse von oben nicht sichtbar. Die Haushälterin sah daher nur den Hund, der drei Schritte von der Schwelle saß und wie der Chevalier auf Einlass wartete. Der Hund, welcher die Wichtigkeit der am Fenster erscheinenden Person zu erraten schien, blickte gar freundlich zu ihr hinauf.

 

Der Anblick des Hundes war keineswegs geeignet, die eilte Marianne, so hieß die Haushälterin, zu beruhigen; eben so wenig seine rabenschwarze Farbe. Sie erinnerte sich nicht, dass ein Bekannter ihres Herrn einen Hund hatte, und da sie wusste, dass der Chevalier feierlich gelobt hatte, nie einen Hund zu halten, so ahnte sie keineswegs, dass dieser schwarze Unhold ihn begleite.

Überdies pflegte der Chevalier nie die Türglocke zu ziehen; er wartete nicht gern und trug daher immer den Hausschlüssel bei sich.

Nach kurzem Besinnen fragte sie kleinlaut: »Wer ist da?«

Der Chevalier, durch den Ton der Stimme und zugleich durch den Blick des Hundes geleitet, verließ seinen Posten, trat drei Schritte zurück, schaute hinauf, und sagte die Hand über die Augen haltend:

»Sind Sie da, Marianne? Kommen Sie herunter!«

Aber sobald Marianne ihren Herrn erkannte, schwand ihre Furcht, und statt dem Befehle zu gehorchen, antwortete sie:

»Herunter kommen? warum denn?«

»Natürlich, um mich einzulassen,« antwortete der Chevalier.

Marianne s Gesicht, das zuvor so furchtsam und verblüfft gewesen war, wurde nun auf einmal unfreundlich und zänkisch. Sie zog eine unter die Haube geschobene Stricknadel hervor und begann wieder zu stricken.

»Was, um Sie einzulassen?« sagte sie.

»Allerdings.«

»Haben Sie denn Ihren Hausschlüssel nicht?«

»Das kümmert Sie nicht; kommen Sie herunter!«

»Dann müssen Sie ihn verloren haben,« erwiderte Marianne, »denn er fiel heute Früh aus der Tasche, als ich Ihre Kleider bürstete, und ich steckte ihn wieder hinein. Eine solche Saumseligkeit sollte man in Ihrem Alter nicht erwarten; aber man lernt alle Tage etwas Neues.«

»Marianne,« sagte der Chevalier etwas ungeduldig, und bewies dadurch, dass er nicht so sehr als man glauben konnte, unter dem Pantoffel der Haushalterin stand, »ich habe Ihnen schon gesagt, kommen Sie herunter!«

»Er hat ihn verloren!« rief Marianne, ohne die leichte Aufwallung ihres Herrn zu bemerken. »Er hat ihn verloren t Ach mein Gott! was soll daraus werden? Ich muss durch die ganze Stadt laufen, ein anderes Schloß, vielleicht sogar eine neue Tür machen lassen! Denn in einem Hause, dessen Schlüssel sich auf der Gasse herumtreibt, würde ich nicht ruhig schlafen.«

»Ich habe den Schlüssel, Marianne,« sagte der Herr vom Hause, immer ungeduldiger werdend; »aber ich habe meine Gründe, ihn nicht anzuwenden —«

»Das begreife ich nicht! Sie haben den Hausschlüssel, und wollen die Tür nicht aufschließen! Ich sinke ohnedies schon unter der Last der Arbeit zusammen, und soll noch die Treppe hinunterlaufen! Dabei fällt mir ein, dass die Speisen auf dem Feuer sind – und sie verbrennen, ich rieche es! Mein Gott, was fällt Ihnen ein!«

Jungfer Marianne wollte sich vom Fenster entfernen. Aber der Chevalier de la Graverie verlor endlich die Geduld; er bannte die alte Jungfer mit einer gebieterischen Gebärde an ihren Platz und sagte ärgerlich

»Jetzt keine Widerrede mehr! Machen Sie auf, alte Närrin!«

»Alle Närrin!« wiederholte Marianne, und hob ihr Strickzeug, wie eine Eumenide ihre Fackel. »Was, Sie gestehen selbst, dass Sie den Hausschlüssel haben! Sie zeigen ihn mir sogar – und ich soll durch den Korridor, die Treppe hinunter und über den Hof laufen? Das thue ich nicht, Herr Chevalier! Daraus wird nichts! Ich bin Ihrer Launen schon längst überdrüssig, und will mich nicht zu Tode hetzen lassen, wie —«

»Abscheuliche Megäre!« murrte das Männlein, ganz erstaunt über diesen Widerstand. »Ich glaube wahrlich, dass ich sie fortschicken muss, obschon sie unübertreffliche Krebssuppe und Rebhühnerpasteten macht. Aber der verwünschte Jagdhund darf mir auf keinen Fall ins Haus; ich will für dieses Mal nachgeben, später werde ich schon mein Recht behaupten. Marianne,« sagte er gelassener, »ich finde es natürlich, dass Sie mein Verlangen sonderbar finden; aber hören Sie nur. Sie sehen den Hund hier . . ."

»Freilich sehe ich ihn!« sagte die Haustyrannin, die in demselben Grade an Kraft gewann, als ihr Herr daran verlor.

»Er ist mir gegen meinen Willen von der Dragonerkaserne nachgelaufen; ich weiß nicht wie ich mich seiner entledigen soll, und ich dachte, Sie könnten ihn fortjagen, während ich ins Haus gehe.«

»Ein Hund!« eiferte Marianne. »Und wegen eines Hundes belästigen Sie eine ehrsame Jungfer, die seit zehn Jahren in Ihren Diensten steht? Ich will Ihnen zeigen wie man die Hunde fortjagt.«

Marianne verschwand vom Fenster.

Der Chevalier glaubte, sie komme hinunter, um ihm bei der beabsichtigten glimpflichen Forttreibung des Hundes behilflich zu sein, und trat wieder an die Tür. Der Jagdhund schien seinerseits entschlossen, die Bekanntschaft eines Mannes, aus dessen Tasche so gute Stücke Zucker kamen, zu kultivieren, und folgte ihm mit herzgewinnender Freundlichkeit.

Plötzlich wurde der Hausherr durch eine herabstürzende gewaltige Wasserflut von dem Hunde getrennt. Ein aus dem Fenster sich ergießender Rheinfall, ein Niagara überschwemmte sie Beide.

Der Jagdhund lief heulend davon. Der Chevalier zog seinen Hausschlüssel aus der Tasche, schloss die Tür auf und überschritt die Schwelle in einem leicht begreiflichen Zustande der Entrüstung, in dem Augenblicke, als Marianne die etwas verspätete Warnung hören ließ:

»Nehmen Sie sich in Acht, Herr Chevalier!«

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