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Salvator

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Und während er so sprach, betrachtete Baratteau mit prüfendem Auge den Anzug des jungen Mannes. Nachdem er sich vergewissert, daß es ganz die Kleidung eines Commissionärs sei, an der nichts mangle, nicht mal die Medaille, kehrte seine Ruhe nach und nach wieder zurück, und er glaubte vollkommen klar in dem Verlangen zu sehen, das Salvator an ihn stellte. Er schloß aus seiner Prüfung ganz natürlich; daß, obgleich die Kleidung sehr proper sei, der welcher sie trug, sich in bedrängten Umständen befinde und, wie er ihm bereits gesagt, gekommen sei, um eine kleine Anleihe zu machen; in diesem Falle war Meister Baratteau kein Mann, der auf seiner Hut blieb, und er hatte sich bereits gesagt, wenn Salvator sehr artig wäre, so solle man nicht- sagen, daß der Notar der Familie Valgeneuse den Sohn des Marquis von Valgeneuse, obgleich dieser Sohn ein Bastard, wegen einiger Louisdors Hungers sterben lasse.

Auf diese Weise beruhigt und durch diese Ueberzeugung in eine bessere Stimmung versetzt, vertiefte sich Meister Baratteau in seinen Fouteuil, kreuzte das rechte Bein mit dein linken, nahm einen der auf seinem Schreibtische zerstreuten Acktenpäcke und begann ihn zu durchlaufen, indem er die Zeit benutzen wollte, welche der verlegene junge Mann dazu brauchte, ihm sein Verlangen auseinander zu setzen.

Salvator lies ihn gewähren, ohne ein Wort zusagen; hätte der Notar jedoch in diesem Augenblicke die Augen zu ihm erhoben, so würde er sicher über den Ausdruck von Verachtung erschrocken sein, der auf dem Gesichte des jungen Mannes lag.

Der Notar erhob jedoch die Stirne nicht; er las oder that, als ob er ein gestempeltes und von oben bis unten bekritzeltes Papier durchläse und mit auf das Papier gehefteten Blicken sagte er im Tone ächt christlichen Mitleids:

»Und Sie sind Commissionär geworden, mein armer Junge?«

»Mein Gott, ja,« antwortete Salvator unwillkürlich lächelnd.

»Fristen Sie dadurch wenigstens Ihr Leben?« fuhr der Notar fort, ohne den Blick abzuwenden.

»Ja wohl,« erwiderte Salvator, indem er den Aplomb Meister Baratteau’s bewunderte, »ich habe mich nicht zu beklagen.«

»Und wie viel kann das Commissionen machen täglich eintragen?«

»Fünf- bis sechs Franken; Sie begreifen, es gibt gute und schlimme Tage.«

»O, o!« machte der Notar, »das ist ein gutes Geschäft, mit fünf Franken täglich kann man, wenn man nach so wenig ökonomisch lebt, immerhin noch vier- bis fünfhundert Franken jährlich bei Seite legen.«

»Glaubens Sie?« fragte Salvator, indem er beständig den Notar in’s Auge gefaßt behielt, wie die Katze die Maus, die sie zwischen ihre Tagen hält.

»Ja wohl, ja wohl!« fuhr Meister Baratteau fort. »Nehmen Sie zum Beispiel mal mich, der mit Ihnen spricht; ich habe als erster Schreiber in eben diesem Bureau zweitausend Franken dank meinem Einkommen erspart, das in fünfzehnhundert Franken bestand: das bildete den kleinen Anfang meines kleinen Knäuels. O, die Oeconomie, mein Lieber, die Oeconomie! es gibt kein wirkliches Glück ohne Sparsamkeit! auch ich war jung; ich habe wie die Andern meine tollen Streiche gemacht; aber ich habe nie mein Budget überschritten, nie die kleinste Geldsumme geliehen, nie die kleinste Schuld gemacht: mit solchen Grundsätzen sichert man sich für seine alten Tage ein ruhiges Leben. Wer weißt vielleicht werden Sie auch noch mal mit der Zeit Millionär!«

»Wer weiß?« machte Salvator.

»Ja; aber indessen sind wir etwas in Verlegenheit, nicht wahr? Wir haben unsre muthwilligen Streiche gemacht und da wir uns auf dem Trockenen sahen, erinnerten wir uns des braven Meister Baratteau und sagten uns: »Der ist ein guter Junge der uns nicht in der Noth stecken lassen wird.«

»Allerdings, mein Herr,« sagte Salvator, »ich muß gestehen, daß Sie in meinen Gedanken wie mit einer Loupe lesen.«

»Leider!« machte der Notar sentenziös, »wir sind unglücklicher Weise gewöhnt, das menschliche Elend zu sondieren: was mir mit Ihnen begegnet, begegnet mir alle Tage mit fünfzig armen Leuten, die alle ihre alte Leier in demselben Tone beginnen und die ich, sobald sie diese alte Leier beginnen, zur Thüre hinauswerfe.«

»Ja,« sagte Salvator, »ich habe wohl gesehen, als ich bei Ihnen eintrat, daß dies Ihre Gewohnheit ist.«

»Was wollen Sie! wenn man allen beistehen müßte, die unsere Unterstützung in Anspruch nehmen, so würde selbst die Casse Rothschilds nicht ausreichen, aber Sie, mein Lieber,« beeilte sich Meister Baratteau hinzuzufügen, »Sie sind nicht »alle Welt«: Sie sind der natürliche Sohn meines ehemaligen Clienten, des Marquis von Valgeneuse: und so unvernünftig Sie auch sein mögen, wünsche ich doch nichts mehr, als Ihnen einen Dienst zu erzeigen. Wie viel haben Sie, genau berechnet, nöthig? Lassen Sie hören, fuhr der Notar fort, indem er, sich zurückbeugend, die Schublade seines Schreibtisches, in dem er sein Geld hatte, langsam herauszog.

»Ich brauche fünfmal hunderttausend Franken,«sagte Salvator.

Der Notar stieß einen Schrei des Schreckens aus und wäre beinahe zurückgefallen.

»Aber Sie sind ein Narr, mein Lieber!« rief er, die Schublade in ihre Oeffnung zurückwerfend und den Schlüssel in seine Tasche steckend.

»Ich bin ebenso wenig ein Narr, als ich gestorben bin,« sagte der junge Mann; »ich brauche fünfmal hunderttausend Franken und zwar in den nächsten vierundzwanzig Stunden.«

Meister Baratteau richtete einen verstörten Blick auf Salvator; es war, als ob er ihn mit einem Dolch oder einer Pistole in der Hand drohen sähe.

Salvator saß ganz ruhig auf seinem Sessel und sein Gesicht trug das volle Gepräge des Wohlwollens und der Ruhe.

»O, o!« machte der Notar. »Sie haben sicher den Verstand verloren, junger Mann.«

Aber Salvator fuhr fort, als ob er ihn nicht gehört hätte:

»Zwischen jetzt und morgen früh neun Uhr,« sagte Salvator, jedes Wort langsam und nachdrücklich betonend, »zwischen jetzt und morgen früh neun Uhr brauche ich fünfmal hunderttausend Franken. Haben Sie gehört?«

Der Notar schüttelte verzweifelnd den Kopf, wie ein Mensch, der sagen will: »der arme Junge, er weiß sich nicht mehr zu helfen.«

»Sie haben gehört?« wiederholte Salvator.

»Nun, nun, lassen Sie mit sich sprechen, mein Lieber,« sagte Meister Baratteau, der zwar wohl den Zweck Salvators, aber nicht die Mittel begriff, wie er dazu gelangen wollte, und doch eine große Gefahr unter dem Pflegma des jungen Mannes brüten zu sehen glaubte, »wie kann Ihnen in den Sinn kommen, daß, selbst im Hinblicke aus Ihren Vater, für welchen ich allerdings eine große Freundschaft und eine hohe Verehrung besaß, ein unglücklicher Notar, wie ich, eine solche Summe sollte borgen können?«

»Das ist wahr,« versetzte Salvator, »ich habe mich eines unpassenden Wortes bedient, ich hätte von Zurückgabe sprechen sollen: damit aber daraus kein Mißverständnisse entstehe, wiederhole ich mein Verlangen: ich reclamire also von Ihnen vorerst fünfmal hunderttausend Franken kraft meines Rechts auf Restitution.«

»Restitution?« wiederholte Meister Baratteau mit zitternder Stimme, denn er begann zu begreifen, weßhalb der Marquis von Valgeneuse die Thüre hinter sich geschlossen hatte.

»Ja, mein Herr, kraft meines Rechtes auf Restitution,« wiederholte Salvator zum dritten Male in strengem Tone.

»Aber was wollen Sie denn sagen?« fragte mit halb erstickter Stimme und jedes Wort einzeln hervorstoßend der Notar, über dessen Stirne der Schweiß rieselte.

»Hören Sie wohl sagte Salvator.

»Ich höre,« antwortete der Notar.

»Der Marquis von Valgeneuse, mein Vater,« fuhr Salvator fort, »ließ Sie vor bald sieben Jahren kommen . . . «

»Sieben Jahren!« wiederholte der Notar mechanisch.

»Allerdings, es war am 11. Juni 1821 . . . Rechnen Sie.«

Der Notar antwortete nicht und schien auch nicht zu rechnen. Er wartete.

»Es geschah,« fuhr Salvator fort, »um Ihnen ein Testament zu übergeben, durch welches der Marquis, indem er mich als seinen Sohn adoptierte, mich zu seinem Universalerben ernannte.«

»Das ist falsch!« rief der Notar, der augenblicklich ganz grün wurde.

»Ich habe jenes Testament gelesen,« fuhr Salvator fort, ohne das Leugnen des Meister Baratteau gehört zu haben. »Es waren zwei Exemplare von der eigenen Hand meines Vaters geschrieben worden: eine dieser Copien ward Ihnen übergeben; die andere ist verschwunden. Ich komme, Sie um die Mittheilung dieses Testamentes zu ersuchen.«

»Das ist falsch, ganz und gar falsch!« heulte der Notar, an allen Gliedern schauernd. Ich hörte allerdings Ihren Herrn Vater von dem Plane, ein Testament auszusetzen , sprechen, aber Sie wissen Ihr Herr Vater ist so plötzlich gestorben; es ist wohl möglich, daß ein solches Testament gemacht worden, ohne daß es mir übergeben wäre.«

»Können Sie es beschwören?«" fragte Salvator.

»Ich gebe mein Ehrenwort!« rief der Notar, indem er die Hand erhob, als ob er das Crucifix des Assisenhofes vor sich hätte, »ich schwöre darauf!«

»Gut denn, wenn Sie es vor Gott beschwören, Herr Baratteau,« sagte Salvator, ohne im geringsten dadurch außer Fassung gebracht zu werden, »so finde Sie der infamste Schuft, den ich jemals gesehen.«

»Herr Conrad!« stotterte der Notar, indem er auffuhr, als ob er auf Salvator losstürzen wollte.

Dieser nahm ihn jedoch am Arme und setzte ihn wieder in seinen Fauteuil, wie er es etwa mit einem Kinde gemacht hätte.

Nun begriff Meister Baratteau ganz, weßhalb Salvator die Thüre hinter sich geschlossen hatte.

»Zum lehren Male,« sagte Salvator in ernstem Tone, »fordere ich sie auf, mich von dem Testamente meines Vaters Einsicht nehmen lassen zu wollen.«

»Es existiert kein solches, existiert kein solches, sage ich Ihnen!« rief der Notar mit den Füßen stampfend.

»Gut, Herr Baratteau,« sagte Salvator, »ich gebe für einen Augenblick, aber nur für einen Augenblick zu, daß Sie von diesem Art keine Kenntniß haben.«

 

Der Notar athmete wieder auf.

LXXXIV
Wo Meister Pierre Nicolas Baratteau unter Anleitung Salvator’s den Code civil und Code penal studiert

Die Erleichterung, welche in dem moralischen und physischen Zustande des würdigen Meister Baratteau eingetreten war, dauerte nicht lange, denn beinahe ebenso bald begann Salvator wieder.

»Sagen Sie mir, fuhr Salvator fort, »zu welcher Strafe würde ein öffentlicher Beamter verurtheilt, der ein Testament unterschlagen hätte?«

»Ich weiß es nicht, ich erinnere mich nicht,« sagte der Notar, dessen Augen sich schlossen, als wollte er sich den glühenden Blicken des jungen Mannes entziehen.

»Nun gut,« sagte Salvator, indem er die Hand nach einem Buche ausstreckte, dessen Schnitt in fünf verschiedene Farben abgetheilt war, »wenn Sie es nicht wissen, so will ich es Ihnen sagen; wenn Sie sich nicht mehr erinnern, so will ich Ihr Gedächtniß auffischen.«

»O!« sagte der Notar lebhaft, »das ist unnöthig.«

»Ich bitte um Verzeihung,« sagte Salvator, den Ende ergreifend, »es ist im Gegentheil durchaus nothwendig: überdies wird es nicht lange dauern: ohne Notar zu sein, habe ich dies Buch tüchtig studiert, und werde nur einen Augenblick nöthig haben, um zu finden, was ich suche. Artikel 254 des Code penal, Buch III.«

Meister Baratteau suchte Salvator Einhalt zu thun, denn er kannte ebenso gut, als dieser, den fraglichen Artikel, aber Salvator hielt die Hand zurück, die der Notar nach ihm ausstreckte, um den Code zu ergreifen, und, den Artikel endlich findend, den er suchte, sagte er:

»Artikel 254; der ist’s: hm! hören Sie denn!«

Die Aufforderung war unnöthig, denn der Notar war ganz Ohr.

»Bei Unterschlagung, Vernichtung, Beiseiteschaffung von Urkunden oder Criminalacten, oder andern Papieren, Registern, Acten oder Werthpapieren, welche in Archiven, Kanzleien, oder öffentlichen Depots aufbewahrt werden, oder einem öffentlichen Verwahrer übergeben sind, wird der nachlässige Kanzlist, Archivar, Notar oder sonst Verwahrer mit drei Monaten bis zu, einem Jahre Gefängniß und mit einer Geldbuße von 100 die 300 Franken bestraft.«

»Pah!« schien Meister Baratteau zu sagen, »nehmen wir auch das Maximum der Strafe an, das heißt ein Jahr Gefängniß und dreihundert Franken Geldbuße, so hätte ich da immer noch ein gutes Geschäft gemacht.«

Salvator las auf dem Gesichte Meister Baratteau’s wie in einem weit geöffneten Buche.

»Warten Sie, warten Sie, ehrlicher Herr Baratteau,« sagte er; »es ist noch ein Artikel da, welcher die nämliche Strafe betrifft.«

Meister Baratteau stieß einen Seufzer aus.

»»Artikel 255,«« fuhr er fort.

Und er las-:

»»Wer sich der Unterschlagung, Vernichtung oder Beiseiteschaffung, die im vorhergehenden Artikel genannt sind, schuldig macht, wird mit Einschließung bestraft.««

»Bah!« schien der Notar zu sagen. »Nennen wir das Gefängniß oder, Einschließung, das ist ein und dasselbe, gehüpft wie gesprungen . . . vorausgesetzt, daß man überhaupt das andere Testament fände, was mir unmöglich erscheint, denn Herr von Valgeneuse hat mir ja versichert, daß er es ins Feuer geworfen, – und es bleibt immer noch ein gutes Geschäft.«

Zum Unglück für den würdigen Mann ließ ihn Salvator nicht lange in dieser Ruhe.

Die Situation war auch wirklich, wie man sehen wird, durchaus nicht der Art, wie sie sich Meister Baratteau ausgedacht.

Salvator las den zweiten Absatz des Artikels 255.

»Wenn das Verbrechen das Werk des Deposietärs selbst ist, so wird er mit zeitweiser Zwangsarbeit bestraft.«

Das Gesicht des Notare entstellte sich so rasch und so vollständig, daß Salvator befürchtete, er möchte einen epileptischen Anfall bekommen, und die Hand nach der Glocke ausstreckte, um nach Hälfe zu rufen.

Aber der Notar hielt ihn zurück.

»Was wollen Sie thun?« rief er.

»Ich will nach einem Arzte schicken: Sie scheinen mir nicht wohl zu sein, mein lieber Herr.»«

»Es ist nichts, es ist nichts,« sagte der Notar, »achten Sie nicht darauf: ich habe hier und da Magenüblichkeiten; ich hatte heute so viel zu thun, daß ich mir nicht die Zeit nahm, zu frühstücken.«

»Da hatten Sie Unrecht,« sagte der junge Mann, »es ist gut, daß man seine Geschäfte besorgt, aber nicht auf Kosten der Gesundheit, und wenn Sie frühstücken wollen, so werde ich geduldig warten bis Sie fertig sind; wir werden dann unser Gespräch später wieder aufnehmen.«

»Nein, nein, fahren Sie fort,« sagte der Notar, »ich denke, Sie haben mir nichts Wichtiges mehr zu sagen, merken Sie wohl, – das ist eine Bemerkung, nicht ein Vorwurf, – wir sprechen bereits zehn Minuten von Criminalsachen, gerade als wenn Sie ein Untersuchungsrichter wären und ich ein Verbrecher. Fassen Sie sich kurz, wenn’s beliebt.«

»Ei, lieber Herr Baratteau,« rief Salvator, »ich glaube, daß nicht ich es bin, der die Sache in die Länge zieht, sondern Sie, der alte Arten von Schwierigkeiten macht.«

»Ah! Sie begreifen sagte der Notar, »daran ist nur das Schuld, daß Ihnen soeben ein harter Ausdruck in Rücksicht auf mich entschlüpft ist.«

»Ich glaube gesagt zu haben, daß Sie . . . «

»Es ist unnöthig, zu wiederholen,« unterbrach der Notar; »ich will gerne vergessen, und Ihnen selbst in der Erinnerung an Ihren Vater meine Dienste anbieten; aber stellen Sie Ihr Verlangen vernünftiger! Sie können mich in vier Stätte schneiden und ich wäre doch nicht im Stande, Ihnen zugeben, was ich nicht habe. Erklären Sie sich deßhalb categorisch.«

»Nun gut, das will ich eben thun,« antwortete Salvator, »und um mich kurz zu fassen, gehe ich rasch vom Artikel 255 des Code penal zu Artikel 1382 und 1383 des Code civil, Buch 3, Titel IV., Capitel 2 über. Seien Sie ohne Sorgen, ich habe diesen Punkt bereits.«

Der Notar wollte Salvator noch zuvor unterbrechen; dieser ließ ihm jedoch nicht die Zeit und fuhr fort-

»Artikel 1382. Jede Handlung eines Menschen, welche einem Andern Nachtheil bringt, verpflichtet Den, durch dessen Fehler dies geschehen, zum Ersatz.

»Artikel 1383. Jeder ist für den Schaden verantwortlich, den er verursacht, sei es durch seine Handlung, oder auch durch seine Nachlässigkeit oder Unvorsichtigkeit.«

Salvator sah auf und sagte, indem er den Finger auf die Artikel hielt, langsam und feierlich:

»Sehen Sie, wir das Gesetz die Unterschlagung bestraft; ich spreche vom bürgerlichen Tod, vom Verlust der bürgerlichen Ehren- und Dienstrechte, nur um Sie daran zu erinnern, es ist ein Einzelnes im Ganzen. Und jetzt, nachdem ich Sie an das Gesetz erinnert, erlauben Sie mir, meine Bitte zu wiederholen: »wollen Sie so gütig sein, mir von jetzt bis morgen früh neun Uhr fünfmal hunderttausend Franken zu verschaffen?«

»Aber,« rief der Notar, indem er that, als ob er sich die Stirne an den Schreibtisch stoßen, das heißt mit dem Kopf wider die Wand rennen wollte, »dabei könnte man den Verstand verlieren, wenn ich ihn nicht bereits verloren, denn die Sprache, die Sie mit mir sprechen, erscheint mir so wahnsinnig, daß ich an einen furchtbaren Alp glauben muß.«

»Beruhigen Sie sich, ehrenwerther Herr Baratteau, Sie sind vollständig wach und ich glaube, daß Sie den Beweis davon geben.«

Der Notar wußte noch nicht, was Salvator ihm sagen wolltet aber er zitterte unwillkürlich, als wenn er es wüßte.

»Zum letzten Male,« sagte der junge Mann, können Sie mir schwören, daß Sie das Testament des Marquis von Valgeneuse weder gesehen, noch empfangen.«

»Ja, ich schwöre es Ihnen vor Gott und den Menschen, daß ich dieses Testament weder gesehen, noch empfangen?«

»Nun,« sagte Salvator kalt, indem er ein Papier aus seiner Tasche zog, »so wiederhole ich Ihnen meinerseits, damit Sie es nicht vergessen, daß Sie der infamste Schuft sind, den ich jemals gekannt. Sehen Sie!«

Und Salvator, welcher mit der linken Hand Herrn Baratteau, der zum zweiten Male aufspringen, zu wollen schien, zurückhielt, zeigte ihm mit der Rechten das Testament, das er schon einmal, wie man sich erinnern wird, Lorédan von Valgeneuse in dem Wirthshause von Chatillon gezeigt, wo Jean Taureau und sein Freund Toussaint Louverture mit dem armen jungen Mann so schlimm umgegangen waren.

Dann las er folgende Zeilen, welche auf dem Couverte standen:

»Dies ist das Duplicat meines eigenhändig geschriebenen Testamentes, dessen Zweite Copie in die Hände des Herrn Pierre Nicolas Baratteau, Notars, Rue de Varennes, in Paris niedergelegt werden wird. Jede Copie ist von meiner eigenen Hand geschrieben und gilt mit dem Original gleich.

11. Juli 1821.
Marquis von Valgeneuse.

»Es heißt werden wird aber nicht ist!« rief der Notar.

»Das ist wahr,« sagte Salvator; »aber hier unter meinem Finger steht ein einfaches Wort, welches die Lücke ausfüllt.«

Er nahm den Finger weg und Meister Baratteau konnte, während ihm der Schweiß auf der Stirne stand, das einzige Wort lesen, das unter den Zeilen stand, die wir so eben citirt:

»Erhalten
P. N. Baratteau.«

Diese kostbare Unterschrift war von einem jener Federzüge begleitet, welche die Notare nur allein zu machen verstehen.«

Meister Baratteau suchte mit ungestümer Hast das Testament zu erfassen, wie es unter ähnlichen Umständen Lorédan de Valgeneuse versucht; Salvator jedoch, die Absicht ahnend und der Bewegung zuvorkommend, drückte ihm so kräftig den Arm, daß dieser in bitterem Tone sagte:

»Oh! Herr Conrad, Sie zerbrechen mir den Arm!«

»Elender!« machte Salvator,« indem er ihn verächtlich losließ und das Papier wieder in seine Tasche steckte, »beschwöre jetzt vor Gott und den Menschen, daß Du das Testament des Marquis von Valgeneuse nie gesehen, noch empfangen.«

Dann zurücktretend und die Arme kreuzend, sagte er mit einem Blick auf den Notar:

»Wahrhaftig, ich staune, wie weit das menschliche Gewissen sich betäuben läßt! Ich habe vor mir einen Elenden, welcher glauben mußte, in Folge seines Verbrechens habe sich ein unglücklicher junger Mann von fünf- bis sechsundzwanzig Jahren das Hirn zerschmettert und dieser Elende folgte seinem Leichenzug, lebte ohne Gewissensbisse, im Genusse der öffentlichen Achtung, die sich von diesem Schufte täuschen ließ; er lebte von dem Leben eines Andern, hatte eine Frau, Kinder, Freunde, lachte, aß, schlief, ohne sich zu sagen, daß er eigentlich nicht in ein elegantes Cabinet, vor einen Schreibtisch in Boullefacon gehörte, sondern an den Pranger, in das Bagno, auf die Galeeren; wahrhaftig die Gesellschaft, die uns solche Ungeheuerlichkeiten bietet, ist eine schlechte und bedarf grausamer Reformen!«

Dann den Ton ändernd, fuhr er fort, indem er die Augenbrauen stark zusammenzog: »Machen wir der Sache ein Ende. Mein Vater hat mir durch Testament all’ sein Besitzthum, beweglichem wie unbeweglich Gut, hinterlassen. Sie sind mir so nach, kraft meines Rechtes auf Zurückgabe und Ersatz, ohne Präjudiz für die im Criminalgesetzbuch vorgesehenen Strafen, die Gesamtheit des Besitzthums meines Vaters schuldig, welche in dem Testamente, auf vier Millionen geschätzt ward; ferner das Interesse dieser vier Millionen während sieben Jahre, bestehend in vierzehnmal hunderttausend Franken, wobei Zins auf Zins nicht gerechnet und auch der Schadenersatz, zu dem mich die Artikel 1382 und 1383 berechtigen, nicht in Anschlag genommen ist. Sie schulden mir so nach, ohne für den Augenblick von diesem Schadenersatz zu sprechen, die runde Summe von fünf Millionen viermal hunderttausend Franken. Sie sehen, daß mein Verlangen bescheidener und vernünftiger ist, als Sie behaupten, weil das, was ich verlange, nicht den zehnten Theil meines Vermögens beträgt. Fassen Sie sich deßhalb und bringen mir diese schmutzige Sache sobald als möglich in’s Reine.«

Der Notar schien nichts gehört zu haben: die Blicke auf die Erde geheftet, den Kopf auf die Brust herabgebeugt, die Arme starr am Körperhängen lassend, wie die eines Gliedermannes, niedergeschlagen, zu Boden geschmettert, vernichtet, hätte man ihn für den größten Verbrecher halten können, der vor dem strafenden Erzengel des jüngsten Gerichtes steht.

Salvator klopfte ihm auf die Schulter, um ihn aus dieser Betäubung zu reißen und sagte ihm:

»Nun, woran denken wir?«

Der Notar zitterte, als ob ihn die Hand des Gensd’armen des Gerichtshofes berührte;. er hob die wirren, scheuen und bewußtlosen Blicke zu seinem Mitunterredner auf; dann ließ er seinen Kopf auf seine Brust sinken, und nahm seine düstere und verzweifelte Haltung wieder an.

»Halte Meister Gaudieb,« sagte Salvator, dem der Anblick dieser Menschen nur Abscheu einflößte, »holla, Meister Gaudieb, wir wollen die Sache kurz und gut abmachen. Ich sagte Ihnen und wiederhole Ihnen, daß ich fünfmal hunderttausend Franken für Morgen früh neun Uhr brauche.«

 

»Aber es ist unmöglich!« stotterte der Notar leise, ohne den Kopf zu erheben, aus Furcht, dem Blick des jungen Mannes zu begegnen.

»Das ist Ihr letztes Wort?« fragte Salvator. »Sobald es sich um’s Nehmen handelt, sollte ein Mann wie Sie nicht in Verlegenheit sein; ich brauche sie.«

»Ich schwöre Ihnen, . . . begann der Notar zu sagen.

»Ah, gut, noch ein Schwur,« machte Salvator mit einem Lächeln, voll der tiefsten Verachtung; »es ist der dritte seit einer halben Stunde und ich glaube an diesen dritten so wenig, als an die ersten. Zum letzten Male verstehen Sie wohl; zum letzten Male – wollen Sie die fünfmal hunderttausend Franken, die ich von Ihnen verlange, mir geben oder nicht?«

»So gönnen Sie mir wenigstens einen Monat, sie aufzutreiben!«

»Ich habe Ihnen bereits gesagt, daß ich ihrer Morgen um neun Uhr bedarf; ich habe gesagt, um neun Uhr, nicht um zehn Uhr, das wäre zu spät.«

»Nur eine Woche!«

»Nicht eine Stunde, sage ich Ihnen.«

»Dann ist es unmöglich!« rief der Notar mit verzweifelter Stimme.«

»In diesem Falle weiß ich, was mir zu thun bleibt,« versetzte Salvator, indem er nach der Thüre ging.

Als er den jungen Mann diese Richtung einschlagen sah, fand der Notar alle seine Kräfte wieder und sprang zwischen die Thüre und ihn:

»Um Gotteswillen, Herr von Valgeneuse, entehren Sie mich nicht,« sagte er mit bittender Stimme.

Aber den Kopf abwendend, als ob er ihn nicht ansehen könnte, wies Salvator ihn zurück und setzte seinen Weg fort.

Der Notar holte ihn zum zweiten Male ein und die Hand auf den Knopf der Thürklinke haltend, rief er:

»Herr Conrad, im Namen Ihres Vaters, der große Freundschaft für mich besaß, ersparen Sie mir die Schande.«

Und er sprach diese Worte mit so schwacher Stimme, daß man sie kaum hören konnte.

Salvator war unerschütterlich.«

»Nun, lassen Sie mich gehen.«

»Noch ein Wort,« sagte der Notar; »es ist nicht blos der bürgerliche Tod, sondern auch der wirkliche Tod, der durch diese Thüre tritt, die Sie sie mit so schrecklichen Absichten öffnen; ich sage Ihnen zum voraus, daß ich meine Schande nicht nur nicht überleben, sondern daß ich keinen Augenblick zögern werde: hinter Ihnen zerschmettere ich mir das Hirn.«

»Sie?« sagte Salvator, indem er ihn verächtlich anblickte; »das wäre das einzige Gute, was Sie thun könnten und deßhalb werden Sie es nicht thun.«

»Ich werde mich umbringen,« sagte der Notar, »und sterbend Ihr Vermögen mit mir nehmen, während wenn sie mir Zeit gönnen . . . «

»Sie sind ein Einfaltspinsel,« antwortete Salvator. »Ist wir nicht mein Vetter Lorédan de Valgeneuse Bürge für Sie, wie Sie mir Bürge für ihn sind? Darum, zurück, sage ich Ihnen!«

Der Notar warf sich zu seinen Füßen, umfaßte schluchzend seine Kniee, bedeckte sie mit Thränen und rief:«

»Gnade, mein guter Herr Courad, Gnade!«

»Zurück, Elender!« sagte der junge Mann, indem er ihn mit dem Fuße zurückstieß.

Und er machte noch einen Schritt nach der Thüre.

»Nun gut, ich gebe meine Zustimmung zu Allem, zu Allem, was Sie wollen!« rief der Notar, indem er die Weste des Commissionärs faßte, um ihn am Weggehen zu hindern.

Es war Zeit: Salvator hatte bereits die Thürklinke in der Hand.

»Endlich! Das hat Mühe gekostet,« sagte Salvator, indem er seinen Platz beim Kamin wieder einnahm, während der Notar sich an den Schreibtisch setzte.

Als er saß, stieß er einen tiefen Seufzer aus und schien in seine frühere Apathie zurücksinken zu wollen.

Das war nicht, was Salvator wünschte.

»Nun denn, machen wir die Sache rasch ab,« sagte er; »es ist für eine solche Geschichte schon viel zu viel Zeit vergeudet. Haben Sie die Summe in Geld oder Werthpapieren im Hause?«

»Ich habe ungefähr, hunderttausend Franken in Silber, Gold und Bankbillets,« sagte der Notar.

Und seine Kasse öffnend zählte er die hunderttausend Franken auf den Schreibtisch.

»Und die weiteren viermal hunderttausend Franken?« fragte Salvator.

»Ich habe hierfür ungefähr achtmal hundertausend Franken Coupons, Obligationen, Schuldverschreibungen u.s.w. u.s.w.,« antwortete Meister Baratteau.

»Gut; Sie haben den ganzen Tag, um diese zu verwerthen; nur sage ich Ihnen zum Voraus, ich muß dieses Geld in Bankbillets von tausend oder fünftausend Franken haben, und nicht in Baarem.«

»Ganz wie Sie wünschen.«

»Nun gut, so geben Sie mir Alles in Billets von tausend Franken.«

»Es sei.«

»Sie werden diese fünfmal hunderttausend Franken in zehn Päckchen von je fünfzigtausend Franken vertheilen.«

»Ganz, wie es Ihnen beliebt,« sagte der Notar.

»Gut.«

»Und Sie brauchen dieses Geld? . . . «

»Morgen vor neun Uhr, sagte ich Ihnen schon früher.«

»Es wird heute Abend in Ihren Händen sein.«

»Noch besser.«

»Wohin soll man es Ihnen bringen?«

»Rue Macon, Nr. 4«

»Wollen Sie mir sagen, unter welchem Namen ich nach Ihnen fragen soll, denn ich sehe voraus; daß Sie den Ihren nicht, beibehalten, da man Sie für todt hält?«

»Sie fragen nach dem Commissionär der Rue aux Fers, Herrn Salvator.«

»Mein Herr,« sagte der Notar feierlich, »ich verspreche Ihnen, heute Abend um neun Uhr bei Ihnen zu sein.«

»O! ich zweifle nicht daran,« antwortete Salvator.

»Aber darf ich auch hoffen, mein lieber Herr Conrad, daß ich nichts mehr von Ihnen zu fürchten habe, nachdem ich Ihre Aufträge pünktlich vollzogen?«

»Ich werde mein Verfahren nach dem Ihren bemessen, mein Herr: je nachdem Sie thun, werde ich thun. Für den Augenblick gedenke ich, Sie in, Ruhe zu lassen; mein Vermögen ist bei Ihnen zu gut placirt, als daß ich es anders zu placiren suchte; ich lasse also vier Millionen neunmal hunderttausend Franken vor der Hand bei Ihnen stehen; brauchen Sie sie einstweilen, aber verbrauchen Sie sie nicht.«

»Ah! Herr Marquis, Sie lassen mir das Leben,»sagte Meister Baratteau, die Augen in Thränen der Freude und Dankbarkeit gebadet.

»Vor der Hand,« sagte Salvator.

Und er verließ das Cabinet, wo sein Herz, seit er eingetreten war, so oft sich vor Schaam und Abscheu gebäumt hatte.

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