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2.2.2.8 Albträume
Leonie, fünf Jahre, wird morgens um 4:00 Uhr in der Frühe wach, schreit, ist nass geschwitzt und weiß nicht, wo sie ist, bis ihre Mutter oder ihr Vater das Licht anmacht. Sie drängt ins Bett der Eltern. Dort auf ihren Traum angesprochen, erinnert sie sich: Sie musste um ihr Leben rennen, wurde verfolgt von einer Gestalt, die sie in ein dunkles Tuch wickeln und wegtragen wollte. Leonie stolperte, fiel zu Boden, fühlte schon die Hand des unheimlichen Mannes – und wachte auf.
Der Begriff »Albtraum« kommt von Alb oder Alben. Alben (Elfen) waren in der germanischen Mythologie für die (schlechten) Träume zuständig. Man stellte sich bildlich die Alben meist in menschenähnlicher Gestalt auf der Brust des Schlafenden hockend vor, was ein unangenehmes Druckgefühl auslöste, daher auch die ältere Bezeichnung Albdruck.
40 % der Kinder zwischen sechs und elf Jahren haben gelegentlich Albträume, 5 % sogar einmal pro Woche. Bis zur Pubertät leiden Jungen und Mädchen gleich häufig an Albträumen. Danach verschiebt sich das Verhältnis deutlich, und die Mädchen werden dreimal häufiger von Angst machenden nächtlichen Träumen heimgesucht. Aber solange das seltener als einmal die Woche geschieht und die Kinder keine Angst vor dem Einschlafen haben, besteht noch kein Grund zur Sorge. Albträume tauchen meist in der zweiten Nachthälfte auf. Sie kommen vor allem in den sogenannten REM-Schlafphasen vor, die durch schnelle Augenbewegungen gekennzeichnet sind. Wenn die Kinder aus dem Traumschlaf aufschrecken, erinnern sie sich fast immer lebhaft an die gerade durchlebten Emotionen und Bilder. Solche Angstträume handeln insbesondere bei Kindern oft darum, dass sie verfolgt werden. In rund der Hälfte aller Albträume flüchten die Schlafenden vor jemandem, manche sterben in ihrem Traum oder erleiden schwere Verletzungen, andere stürzen ins Bodenlose. Die bedrohlichen Figuren sind in der Regel menschlicher Natur; Tiere oder Fantasiewesen wie Monster und Hexen tauchen seltener auf. Der häufigste Auslöser von Albträumen ist offenbar Stress etwa in der Familie, in der Schule oder im Freundeskreis. Tatsächlich kommen in Träumen oft Erlebnisse des vergangenen Tages vor.
Häufig mit einem Albtraum verwechselt wird der »Pavor nocturnus«, auch nächtliches Aufschrecken genannt. Er tritt üblicherweise im Tiefschlaf etwa eine Stunde nach dem Einschlafen auf – oft begleitet von einem Schrei. Die Eltern finden oft das im Bett aufrecht sitzende Kind mit erhitztem Gesicht und in Schweiß gebadet vor. Es kann nicht über Angsterlebnisse berichten, äußert sich höchstens bruchstückhaft und unvollständig. Die Beruhigungsversuche der Eltern scheint es zunächst gar nicht wahrzunehmen. Wenn es dann aufwacht, blickt es erstaunt umher, ist verwirrt und kann sich an keine bösen Träume erinnern. Meist beruhigt es sich schnell und kann dann auch weiterschlafen.
1 ICD = International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems (hrsg. von der WHO); deutsche Bearbeitung für den Bereich »psychische Störungen des Kindes- und Jugendalters«: Remschmidt et al. (2012).
2 DSM = Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (hrsg. von der American Psychiatric Association); deutsch: Falkai und Döpfner (2015).
3 RCT (Randomized Controlled Trials) = randomisierte kontrollierte Studien, der »Goldstandard« in der heutigen medizinischen Forschung.
3Neurobiologie der Angst
3.1Generelle Erkenntnisse zur Bedeutung der Angst
3.1.1 Neurobiologie und Psychotherapie
Angst ist wohl das elementarste und wichtigste Erleben in der und für die Entwicklung des Menschen. Neurobiologisch sind die Prozesse, die mit dem Erleben von Angst in Zusammenhang stehen, relativ umfassend erforscht, allerdings ohne dass mögliche Unterschiede zwischen Erwachsenen, Jugendlichen und Kindern thematisiert wären. Zuweilen wird die Beschäftigung mit neurobiologischen Erkenntnissen missverstanden in dem Sinne, dass derartige Forschungsergebnisse Grundlage biologischer, d. h. medikamentöser Therapie seien bzw. sein sollten. Das ist eine völlig ungerechtfertigte Verkürzung. Denn zumeist dauerhafter als Medikamente wirkt Psychotherapie, indem sie Änderungen in den Hirnstrukturen bewirkt. LeDoux (2002, S. 299, zit. nach Grawe 2004, S. 18; Übers.: W. R.) formuliert:
»Psychotherapy is fundamentally a learning process and as such a way to rewire the brain. In this sense, psychotherapy ultimately uses biological mechanisms to treat mental illness.« (»Psychotherapie ist prinzipiell ein Lernprozess und damit ein Prozess, das Gehirn neu zu strukturieren [bzw. wörtlich: zu verdrahten]. In diesem Sinne nutzt Psychotherapie letztlich biologische Mechanismen, um geistige Krankheiten zu behandeln.«)
Voraussetzung dafür ist die heute wohl nicht mehr zu bestreitende Tatsache, dass das Gehirn seine Struktur und seine damit zusammenhängenden Funktionen aufgrund der Erfahrungen, die die betreffende Person macht, laufend verändert. Diese Neuroplastizität des Gehirns wurde von Donald Hebb 1949 erstmals postuliert, ohne dass man das damals – wie es heute möglich ist – nachweisen konnte. Das heißt: Psychotherapie ist nicht eine professionalisierte Form mehr oder weniger harmloser Rederei, sondern stellt einen Eingriff in Hirnstrukturen dar.
3.1.2 Die Angst als stammesgeschichtlicher und individueller Motor der Entwicklung des Menschen
Hüther (2013, S. VIII) formuliert als Botschaft seines Buches Biologie der Angst:
»Die Angst ist ein Signal, das im Gehirn entsteht und sich im ganzen Körper ausbreitet, wenn etwas nicht stimmt. Und wir brauchen diesen Schutzmechanismus, damit wir rechtzeitig die Kurve kriegen und unser Leben verändern. Hätten wir keine Angst, dann könnten wir auch nicht lernen, was wir anders als bisher machen müssen. Die Angst ist also nicht unser Feind, sondern unser Freund – manchmal ziemlich bedrohlich, aber bisweilen braucht es eben einen etwas kräftigeren Impuls, damit wir aufwachen und die gewohnten, aber unbrauchbar gewordenen Bahnen verlassen.«
In der durch Angst ausgelösten Stressreaktion sieht Hüther den großen Lenker im Lauf unserer stammesgeschichtlichen Entwicklung und auch den großen Modellierer, der im Laufe unseres Lebens immer wieder dafür sorgt, dass zunächst zwar richtige, sich später aber als Sackgassen erweisende Verschaltungen gehemmt und neue Wege eingeschlagen werden können. Er unterscheidet zwei Typen von Stressreaktionen: Die kontrollierbaren Stressreaktionen stabilisieren und ergänzen die im Gehirn angelegten neuronalen Verschaltungen. Sie gehen mit der Erfahrung einher, seine Angst überwunden zu haben, und führen damit zu Gefühlen von Freude, Überraschung, Neugier oder sogar Lust. Dem stellt er die unkontrollierbaren Stressreaktionen gegenüber, die destabilisierende Auswirkungen auf die im Gehirn angelegten neuronalen Verschaltungen haben und zum Aufbau ganz neuer neuronaler Verschaltungen zwingen. Dieses neurobiologisch fundierte Konzept der Angst legt eine Neubewertung von Angst und Stress nahe: Es veranlasst eine Abkehr von einer einseitigen Sicht auf Angsterleben und psychische Belastung als nur pathologisch und beleuchtet die biologische Bedeutung von Angst und Stress für Selbstorganisations- und Anpassungsprozesse.
Im Falle von kontrollierbaren Stressbelastungen ist das Ausmaß der Störung seitens der Außenwelt und damit das Ausmaß der im System erzeugten Unordnung noch einigermaßen gering, sodass die betreffende Person geeignete Reaktionen zur Beseitigung der Störung aktivieren kann. Wiederholte kontrollierbare Belastungen bahnen den Ausbau einer Vielzahl von Mechanismen zur Beseitigung einer Störung und die Verbesserung ihrer Effizienz. Im Falle wiederholter und dabei gleichartiger kontrollierbarer Belastungen kommt es zur Herausbildung bestimmter Spezialisierungen, die allerdings die Anfälligkeit gegenüber andersartigen, bisher selten aufgetretenen Störungen erhöhen.
Im Falle von unkontrollierbaren Störungen kann die innere Ordnung des betreffenden Systems nur noch durch die Aktivierung spezifischer Notfallreaktionen für eine gewisse Zeit aufrechterhalten werden. Im Weiteren kommt es jedoch zu einer zunehmenden Destabilisierung des Systems, die eine neue Organisation seiner inneren Ordnung notwendig macht. Beide Arten von Stressreaktionen sind an der Weiterentwicklung und Ausprägung bestimmter Persönlichkeitsmerkmale beteiligt. Schwere und unkontrollierbare Belastungen ermöglichen durch die Destabilisierung einmal entwickelter, aber unbrauchbar gewordener Verschaltungen die Neuorientierung und Reorganisationen bisheriger Verhaltensmuster (ebd., S. 80 f.). Das heißt: Wir brauchen gelegentlich hinreichend große Erschütterungen und die damit einhergehenden Angst- und Stressreaktionen, damit wir uns ändern können.
Allerdings heißt das auch: Wenn wir die Lösungsmöglichkeiten für die Bewältigung von Angst und Stress nicht finden können, sei es, dass wir nicht bereit oder nicht in der Lage (weil völlig überfordert) sind, danach zu suchen, macht uns der Stress krank.
Solche Konsequenzen unkontrollierbarer Stressbelastungen wurden an Affen untersucht, deren Mütter gezwungen waren, ihr Futter auf aufwendige Weise zu beschaffen. Sie mussten ihre Jungen häufiger unbeaufsichtigt lassen und zeigten eine geringere Bindung an sie und eine erhöhte Ängstlichkeit im Umgang mit ihnen. Im Vergleich zu »optimal« aufgewachsenen Affen waren die Jungen dieser Mütter durch neuartige Reize leichter irritierbar, stärker abhängig von der Mutter und fielen vier Jahre später durch geringes Selbstvertrauen und unsoziales Verhalten auf. Infolge derartiger juveniler Stressbelastungen kam es zu erheblichen Veränderungen bei der Ausreifung globaler Transmittersysteme. Es wird vermutet, dass solche frühkindlichen und unkontrollierbaren Stressbelastungen zu einer erhöhten Vulnerabilität für Angststörungen und affektive Erkrankungen führen.
Als Resümee seines Buches formuliert Hüther (ebd., S. 113–115):
»Wir haben die Stressreaktion nicht deshalb, damit wir krank werden, sondern damit wir uns ändern können. Krank werden wir erst dann, wenn wir die Chancen, die sie uns bietet, nicht nutzen. Wenn wir die Herausforderungen, die das Leben bietet, vermeiden, ebenso wie wenn wir immer wieder nur ganz bestimmte Herausforderungen suchen. Wenn wir uns weigern, die Angst zuzulassen und unsere Ohnmacht einzugestehen, ebenso wie wenn wir unfähig sind, nach neuen Wegen zu suchen, um sie überwindbar zu machen. Auch das gilt für jeden Einzelnen ebenso wie für die Gemeinschaften oder Gesellschaften, die sie alle zusammen bilden.«
Abschließend zitiert Hüther (ebd., S. 115) Julien Huxley mit seiner Bemerkung, »der Mensch (ist) nichts anderes als die zum Bewusstsein ihrer selbst gelangte Evolution«. Er versteht diesen Satz in dem Sinne, dass jeder Mensch seine Angst, die kontrollierbaren Stressreaktionen und die unkontrollierbaren Stressreaktionen, als Anstoß auffassen sollte, sich zu fragen, was seine persönlich wichtigen Ziele sind, nicht zuletzt, um auf diese Weise beurteilen zu können, ob ihn die vielen gut gemeinten Ratschläge, die er angesichts seiner Ängste erhält, tatsächlich auf einen Weg führen können, der nicht zwangsläufig wieder als Sackgasse endet.
Im Folgenden werden die wichtigsten neurobiologischen Prozesse, die mit Angst in Zusammenhang stehen, im Anschluss vor allem an Klaus Grawe (2004) dargestellt.
3.1.3 Das Zusammenspiel von Amygdala und präfrontalem Kortex
Im Gehirn gibt es ein zentrales Alarm- und Abwehrsystem, in dessen Mittelpunkt die Amygdala steht. Die Amygdala arbeitet mit dem Hippocampus, in dem Erinnerungen gespeichert werden, bei der Gefahrenabwehr meist eng zusammen. Beide informieren den präfrontalen Kortex, der die Aufmerksamkeit auf die angezeigte Gefahrensituation lenkt, abwägt, ob die Gefahr tatsächlich besteht, und – falls notwendig – Maßnahmen zur Gefahrenabwehr aktiviert.

Abb. 1: Der Verlauf der Angsterregung im Gehirn
Was immer ein Mensch sieht, gelangt direkt über den Thalamus in die Amygdala (durchgezogene Linie). Dort und im Hippocampus wird es mit früheren Erfahrungen verglichen und als gefährlich oder ungefährlich eingestuft zu dem Zweck, gegebenenfalls im Hirnstamm eine Aktivierung des Körpers für Kampf oder Flucht auszulösen (durchgezogene Linie). Für die kognitive Verarbeitung leitet der Thalamus die Information an die höheren Hirnregionen (gestrichelte Linie) weiter, insbesondere an den präfrontalen Kortex, wo rationale Überlegungen dazu beitragen, die Gefahr einzuschätzen.
Wird ein plötzliches Alarmsignal wahrgenommen, wird seitens der Amygdala nach blitzschneller Abstimmung mit dem Hippocampus, dass es sich nicht um einen vertrauten Reiz handelt, auf schnellstem Weg die Notfallreaktion eingeleitet: Durch die Ausschüttung von Adrenalin wird der Blutdruck erhöht, die Pulsfrequenz steigt, die Atmung wird tiefer und schneller, die Pupillen weiten sich, die Muskeln spannen sich an – alles zur Bewältigung der Gefahr durch eine Kampf- oder Fluchtreaktion. Das geschieht im Bruchteil eines Bruchteils einer Sekunde, noch bevor der präfrontale Kortex, in dem sonst eingehende Wahrnehmungssignale zunächst einmal verarbeitet werden, eine Beurteilung der Situation vollzieht.
Kommt der Hippocampus, der auf die Verarbeitung von Kontextinformationen spezialisiert ist, allein (im nichtbewussten Funktionsmodus) oder der präfrontale Kortex unter Einschaltung des Hippocampus (im bewussten Funktionsmodus) auf dem »langsamen« Weg nach dem Bruchteil eines Bruchteils einer Sekunde zu dem Schluss, dass die Situation ungefährlich ist, werden hemmende Signale in die erregten Gehirnregionen und auch an die Amygdala gesendet. Wird die Situation demgegenüber weiterhin als gefährlich beurteilt, wird die Amygdala weiter für schnelles Schutz- oder Fluchtverhalten sorgen.
3.1.4 Angsterregung klingt nur langsam ab
Wenn die Amygdala aktiviert wird, veranlasst sie den Basalkern, im gesamten Gehirn Acetylcholin auszuschütten, was zu einer allgemeinen Erregung führt. Die erregten Systeme koppeln ihre Erregung der Amygdala zurück, sodass ein sich selbst aufrechterhaltender emotionaler Zustand entsteht. Deshalb braucht es eine gewisse Zeit, bis eine emotionale Erregung nach einer Veränderung der Situation wieder abgeklungen ist.
Die aktivierte Amygdala löst zudem Reaktionen des motorischen Systems (Erstarrung, ängstlichen Gesichtsausdruck, Zittern u. a.) wie auch Reaktionen des autonomen Nervensystems (Anstieg des Blutdrucks, Beschleunigung des Herzschlags, Schweißausbruch u. a.) aus. Zudem werden Hormone wie Adrenalin, Cortisol und andere ausgeschüttet. Auch diese körperlichen Reaktionen wirken wieder auf das Gehirn zurück. Diese Rückmeldungen werden als somatische Marker im orbitofrontalen Kortex gespeichert. Es sind die Erfahrungen, die später intuitive Entscheidungen »aus dem Bauch heraus« beeinflussen.
3.1.5 Stress senkt die Schwelle für Angst
Bei unkontrollierbarem Stress (z. B. durch Verlust eines Angehörigen, Partnerschaftskonflikte, berufliche Misserfolge, Mobbing) kommt es u. a. zu einer verstärkten Freisetzung von Cortisol und Noradrenalin, die den Hippocampus in seiner Funktionsfähigkeit beeinträchtigen. Ähnliches gilt für den präfrontalen Kortex. Die Amygdala wird demgegenüber eher angeregt. Das erklärt, dass Angstsymptome nach belastenden Erlebnissen, die nichts mit der Angst zu tun haben, auftreten oder sich verschlimmern können. Der Stress senkt die Schwelle für eine Angststörung – ebenso wie für andere Störungen –, macht den Betroffenen offensichtlich anfällig für Angst, ohne jedoch die Art der Störung zu diktieren. Für diese sind vermutlich Befürchtungen und sonstige Auffälligkeiten verantwortlich, die in dem Betroffenen schlummern (LeDoux 2001, S. 266 f., zit. nach Grawe 2004, S. 105). Zugleich gibt es deutliche Hinweise auf geringe Fähigkeiten von Patienten mit Angststörungen bezüglich eines funktionalen Umgangs mit Stress und negativen Emotionen (Berking u. Grawe 2005, S. 410).
3.1.6 Der »Sinn« typischer Symptome bei Angststörungen
Bei andauernden unkontrollierbaren Erfahrungen ist es für das Nervensystem oberstes Prinzip, möglichst bald die Funktionsfähigkeit des Systems wiederherzustellen. Damit werden alle psychischen Prozesse attraktiv und wichtig, die kurzfristig zur Beendigung des Kontrollverlustes und zu einer Ordnung und Stabilisierung der psychischen Prozesse führen, auch wenn sie langfristig mit Nachteilen verbunden sind. Vielen der bei Angststörungen relevanten Prozesse kann eine solche Funktion zugeschrieben werden: das Vermeiden bei Phobien, das Grübeln bei einer generalisierten Angststörung oder das Zwangsverhalten bzw. die Gedankenkontrolle bei Zwangsstörungen:
»Die wichtige Rolle, die solch ein Bemühen um die Wiederherstellung von Kontrolle bei der Entwicklung von Angststörungen spielt, ist mittlerweile durch eine ganze Reihe von empirischen Befunden belegt« (Berking u. Grawe 2005, S. 410).
3.1.7 Nichtbewusste Auslöser von Angst und Stress
Viele Prozesse, die mit Angst zu tun haben, laufen im nicht bewussten Funktionsmodus ab. Die Amygdala reagiert vor allem auf überraschende, uneindeutige und unklare Situationen und besonders stark auf ängstliche, wütende und ärgerliche Gesichter – auch wenn sie gar nicht bewusst wahrgenommen werden. Grawe (2004, S. 93) schreibt dazu:
»Wir können aufgrund dieser Befunde sicher sein, dass in einer Psychotherapie die Amygdala des Patienten auf jedes kleinste Zeichen von Ärger in der Mimik des Therapeuten reagiert, auch wenn dieser Gesichtsausdruck nur sehr kurz war und vom Patienten gar nicht bewusst registriert wurde.«
Besteht bei einer Person die Tendenz, negative Einstellungen in eine andere Person zu projizieren, dann reagiert die Amygdala bei einer Begegnung mit dieser Person so, als ob der andere sich tatsächlich feindlich verhalten würde. Eine dauernde Aktivierung der Amygdala kann aber zu anhaltenden Stressreaktionen und als Folge davon zu psychischen und körperlichen Störungen führen.
Auch durch den Mechanismus der klassischen Konditionierung kann es zu einer nicht bewusst wahrgenommenen Aktivierung der Amygdala mit der Folge von Stressreaktionen kommen, wenn Reize, die Menschen von Natur aus zunächst einmal als bedrohlich wahrnehmen (böse Gesichter, Schlangen u. a.), häufig gemeinsam mit speziellen, ganz neutralen Reizen auftreten. In solchen Fällen weiß die Person häufig nicht, wie es dazu kommt, dass sie in bestimmten Situationen mit Angst reagiert, und weiß auch nicht, wovor sie Angst hat. Möglicherweise würde die Person sogar sagen, dass sie gar keine Angst hat. Dass die Amygdala in solchen Fällen aktiviert ist, ließe sich dann nur an der verstärkten Aktivierung des autonomen Nervensystems und einer verstärkten Hormonausschüttung in den Nebennierenrinden mit der Folge psychosomatischer Symptome zeigen (ebd., S. 96 f.).
3.1.8 Die Bedeutung der »Bedeutungszuordnung«

Natürlich sind es heute nicht mehr Schlangen oder sonstige wilde Tiere, die am Beginn einer Angstreaktion stehen. Angst machend sind vielmehr die Bedeutungen, die wir bestimmten Ereignissen zuordnen. Grawe (2004, S. 97) greift damit die bekannte Aussage von Epiktet (um 50 bis um 140 n. Chr.) auf, wonach es nicht die Ereignisse sind, die uns belasten, sondern die Bedeutungen, die wir den Ereignissen zuordnen. Er formuliert:
»Es sind nur zum kleineren Teil äußere Bedrohungen, die die Amygdala aktivieren. Es sind die Bedeutungen, die unsere Lebenssituationen im Hinblick auf unsere motivationalen Ziele haben, die so bedrohlichen Charakter annehmen können, dass unserer Amygdala dauernd überaktiviert ist.«
Und dies geschieht häufig, ohne dass dieser Vorgang bewusst abläuft.
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