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Kassandra Schwämmle Wolfsseele
Tabea Petersen Nach dem Sturm
Kornelia Schmid Der Ton einer Harfensaite
Stefan Cernohuby Seine letzte Heldentat
Anna Eichinger Der Seher
Annie Waye Der Pakt
Olaf Lahayne Schlangenbrut
Hanna Bertini Atemlos
David Acker Die Nacht des Feuers
Sabine Reifenstahl Wenn die Liebe stirbt
Martin Beyerling Die warme Fährte
Albertine Gaul Aufbruch ins ungewisse Abenteuer
Stefan Lochner Heldensterben
Corina Lendi Jupiters Tippsen
Wolfgang Schroeder Sinkflug
Franziska Bauer Vom lieblichen Duft der Rosen
Nadine Wahl Die Sonne, die sie verloren hatten
Uwe Gehrke Der Junge mit den Narben
Achim Stößer Sojablut
Regine D. Ritter Tod eines Unternehmensberaters
Petra Hartmann Geisterreiter
Jörg Olbrich Flammentod
Verena Jung Geistergeschichten
Impressum neobooks
Herausgeber
Volkmar Kuhnle
Der Tod des Helden
Arcanum Fantasy Verlag
e-book 092
Der Tod des Helden
01.02.2021
© Saphir im Stahl Verlag
Erik Schreiber
An der Laut 14
64404 Bickenbach
Titelbild: Igor Shaganov
Vertrieb: neobooks
Vorwort
Nichts (naja… fast nichts) löst in der Fantasy mehr Kontroversen aus als der Tod einer liebgewonnenen Figur. Während Boromirs Tod im ersten Band der „Herr der Ringe“-Trilogie von den meisten noch akzeptiert wurde, löste in „Game of Thrones“ der Tod von Eddard Stark wesentlich mehr Reaktionen aus. Richtige Wogen schlug jedoch die „Rote Hochzeit“ aus derselben Buchreihe. An all das dachte ich, als Erik mir vorschlug, eine Fantasy-Anthologie mit Kurzgeschichten zusammenzustellen, in denen die Hauptfigur am Ende stirbt.
Bei der Ausschreibung achtete ich darauf, dass niemand den Tod des Helden umgeht. Daher forderte ich, dass der/die Protagonist_in am Ende wirklich tot sein muss. Bei mehreren Helden muss mindestens die Hälfte ableben. Andere Auswege wie etwa eine Wiederkehr alla Gandalf der Weiße oder ein „ich war tot und bin jetzt unsterblich“ im Stile des „Highlanders“ Connor MacLeod aus dem gleichnamigen Film, schloss ich ebenfalls aus.
Die hier enthaltenen Geschichten sind das Ergebnis dieser Ausschreibung: 25 Geschichten, die das Ganze aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln beleuchten. Ich war selbst überrascht, auf wie viele Weisen der Tod eine Hauptfigur ereilen kann. In den meisten Fällen ist es dramatisch. Das finde ich durchaus angemessen. Ein paarmal schlägt der Tod auf überraschende Weise zu. Aber eins freut mich am meisten: Keiner der Autoren hat „gemogelt“. Um den Tod kommt keiner herum. In Terry Pratchetts Scheibenwelt-Romanen ist der Tod die ultimative letzte Gewissheit, der niemand entrinnen kann (wenn man nicht gerade Rincewind heißt). Das trifft auch auf die Helden dieser Geschichten zu.
Trotz der vielen Tode wünsche ich viel Spaß beim Lesen!
Volkmar Kuhnle
Inhaltsverzeichnis
Kassandra Schwämmle Wolfsseele
Tabea Petersen Nach dem Sturm
Kornelia Schmid Der Ton einer Harfensaite
Stefan Cernohuby Seine letzte Heldentat
Anna Eichinger Der Seher
Annie Waye Der Pakt
Olaf Lahayne Schlangenbrut
Hanna Bertini Atemlos
David Acker Die Nacht des Feuers
Sabine Reifenstahl Wenn die Liebe stirbt
Katherina Ushachov Kore
Martin Beyerling Die warme Fährte
Adina Heinemann Im Schaum der Brandung
Albertine Gaul Aufbruch ins ungewisse Abenteuer
Stefan Lochner Heldensterben
Corina Lendi Jupiters Tippsen
Wolfgang Schroeder Sinkflug
Franziska Bauer Vom lieblichen Duft der Rosen
Nadine Wahl Die Sonne, die sie verloren hatten
Uwe Gehrke Der Junge mit den Narben
Achim Stößer Sojablut
Regine D. Ritter Tod eines Unternehmensberaters
Petra Hartmann Geisterreiter
Jörg Olbrich Flammentod
Verena Jung Geistergeschichten
Biographien
Kassandra Schwämmle Wolfsseele
„Rasch, hier entlang! Man erwartet Euch.“ Der Bedienstete hastete voran, Valerius hatte Mühe, mit seiner schweren Tasche zu folgen. Sie eilten einen nur spärlich von Fackeln erleuchteten Gang entlang. Draußen heulte der Sturm, der Donner grollte, Blitze zuckten. Ihr Licht warf bizarre Muster an die Wände. Sie erreichten eine hölzerne Tür mit einem großen eisernen Riegel davor. Der Bedienstete schlug kräftig gegen die Tür, die im nächsten Augenblick aufgerissen wurde. Ihnen gegenüber stand Fürst Geralf, seine halblangen Haare zerzaust, die edle Kleidung zerknittert. Im Schein der Fackeln wirkten seine Augenringe fast schwarz, die Falten tief in die Haut gegraben.
„Da seid Ihr ja endlich! Schnell, Ihr müsst etwas tun.“ Er fuhr sich mit der Hand über das Gesicht, Blut klebte daran. „Ihr müsst sie retten!“
Valerius packte seine Tasche fester, nickte kurz und betrat das Zimmer. Es war groß, größer als so manche Wohnstatt eines einfachen Bauern, und von unzähligen Öllampen erleuchtet. Kommoden, ein Schminktisch mit einem Schmuckkästchen und Truhen standen darin. Das gewaltige Himmelbett dominierte diesen Raum jedoch. Davor lagen blutige Tücher auf dem Boden, auch den Bezug des Stuhls neben dem Bett zierten einige rote Flecken. Die Luft war zum Schneiden dick und es roch nach Schweiß und Blut. Der Gelehrte trat ans Bett und stellte seine Tasche ab. Die zurückgeschlagenen Vorhänge gaben den Blick auf das Bett frei. Tief in den Kissen, halb verborgen, erblickte er das Gesicht der jungen Fürstin. Mit Schweiß bedeckt, die Wangen eingefallen, hielt sie die Augen geschlossen. Immer wieder entrang sich ein gequältes Stöhnen ihren Lippen.
„Ich brauche heißes Wasser, frische Tücher, sowie ein Räucherschälchen“, rief Valerius über die Schulter. Er legte ihr eine Hand auf die Stirn, mit der anderen fühlte er nach dem Puls. Zwar nur schwach, dafür aber regelmäßig, spürte er dessen Pochen unter seinen Fingern.
„Sagt, könnt Ihr etwas tun, das sie rettet?“ Der Adlige war hinter Valerius getreten, sein Blick wanderte unentwegt zwischen ihm und seiner Frau hin und her.
„Ich werde mein Bestes tun“, gab dieser zurück und öffnete seine schwere Ledertasche.
Der Bedienstete kehrte mit dem Gewünschten zurück. Auf einen Wink Fürst Geralfs verschwand er wieder. Valerius krempelte die Ärmel seines Gewandes hoch und wusch sich sorgfältig Hände und Arme. Erneut trat er an das Bett und schlug vorsichtig die Bettdecke beiseite. Die Frau trug ein dünnes Nachthemd, welches blutgetränkt war. Vorsichtig strich er mit seinen Händen über den stark gewölbten Bauch und tastete nach dem ungeborenen Kind. Er schloss die Augen und atmete ein paarmal tief ein und aus, um die Konzentration zu stärken. Als er wieder zu dem Fürsten blickte, sprach er mit rauer Stimme: „Ich weiß nicht, ob ich beide vor der ewigen Dunkelheit bewahren kann, mein Fürst. Eure Gemahlin hat schon viel Blut verloren, und auch Euer Sohn wird immer schwächer.“
„Mein Sohn? Ich bekomme einen Erben? Er muss leben, Animagus!“
„Was immer gleich geschieht, mein Fürst, greift nicht ein, das könnte sonst schreckliche Konsequenzen nach sich ziehen. Setzt Euch am besten dorthin.“
Der Fürst ließ sich auf einem Sessel nieder und wedelte auffordernd mit der Hand.
Valerius zog eine Augenbraue hoch, erwiderte jedoch nichts. Der Gelehrte wusch die Fürstin, so gut es ging, und malte rund um das Bett verschiedene Symbole mit seiner mitgebrachten Kreide auf. In dem bereitgestellten Räucherschälchen bereitete er eine Mischung verschiedener Kräuter und Harze zu, die er mit einem kleinen Span entzündete. Würzig duftender Rauch verteilte sich im Zimmer, als der Animagus im Raum auf und ab schritt. Mit geschlossenen Augen inhalierte er die Schwaden und begann leise uralte Formeln zu rezitieren. Wie in Trance wiegte er den Oberkörper vor und zurück. Erst geschah nichts, doch dann glommen die Runen auf. Das Tosen des Sturms nahm zu, der Wind strich klagend um das Gebäude. Und schließlich kamen sie.
Mehrere bläuliche Schemen flogen durch die Butzenscheiben des Fensters in das Gemach. Vage erkannte er die durchscheinenden Formen von Wildtieren. Ein Hirsch mit prächtigem Geweih, ein Wolf und ein mächtiger Adler waren darunter. Der Gelehrte stellte das Schälchen beiseite, hob die Hände und wies auf den Bauch der Fürstin, sein Gesang wurde lauter. Die Tiergeister umschwebten das Bett in immer schneller werdenden Kreisen, bis nur noch ein heller Wirbel zu sehen war, der schließlich in den Bauch der Fürstin eindrang. Sie keuchte und wand sich wie unter Schmerzen. Der Fürst sprang auf, doch eine knappe Geste von Valerius hielt ihn davon ab, näher zu treten. Der Bauch der Frau schien von innen zu glühen, schwache Bewegungen zeigten sich unter der Haut. Die Fürstin schrie auf, ihre Hände krampften sich in das Laken. Das bläuliche Leuchten intensivierte sich, und nach wenigen Augenblicken wurde der Kopf eines Kindes zwischen ihren Beinen sichtbar. Rasch griff sich Valerius eines der bereitgelegten sauberen Tücher und nahm den neuen Erdenbewohner vorsichtig in Empfang. Die kräftigen Schreie des Jungen und das Wimmern der Mutter mischten sich in den Gesang des Animagus. Die Tiergeister verließen den Leib der Fürstin wieder und verharrten einen Augenblick über ihm, abwartend. Valerius, das in das Tuch gewickelte Kind im Arm haltend, beendete die magische Gesangsformel und neigte ehrerbietig den Kopf. Die Tiere taten es ihm nach und verschwanden wieder durch das Fenster. Geschwind legte er dem Fürsten seinen Sohn in den Arm.
„Euer Erbe, mein Fürst.“
Rasch wandte er sich wieder der Gemahlin zu, doch ihre Atemzüge waren nur noch ein schwaches Röcheln. Er fasste ihre Hand und strich ihr über die schweißnasse Wange. „Meine Herrin, Euer Sohn ist wohlauf und stark.“
Ihre geschlossenen Augen zuckten, doch auf ihren Lippen meinte der Gelehrte ein schwaches Lächeln zu erkennen. Es tat ihm im Herzen weh, dass er sie nicht retten konnte, aber er spürte, wie ihre Seele bereits der ewigen Nacht entgegenstrebte. Schließlich entwich der Fürstengemahlin ein letzter seufzender Atemzug und sie lag still.
Fürst Geralf trat neben Valerius und blickte auf seine Frau herab. Als er bemerkte, dass sie nicht mehr atmete, fiel er kraftlos auf die Knie, den Jungen an seine Brust gepresst. „Nein, liebste Katharina, wieso verlässt du mich? Wie soll ich denn meinem Sohn ein guter Vater sein, ohne deinen Sanftmut und Tatkraft an meiner Seite?“ Er richtete seinen Blick auf Valerius, anklagend und Tränen verschleiert. „Ihr habt mir meine Frau genommen, Ihr mit Eurem Hokuspokus!“
„Aber“, warf Valerius ein, „Ihr habt einen gesunden Sohn, der Euch nun braucht. Die Tiergeister haben getan, was sie konnten, gestärkt, wo sie es vermochten. Doch es reichte nicht für beide, Eure Frau war bereits zu schwach.“
Die Hände Geralfs krallten sich in das Tuch, in dem der Säugling lag. „Meister Valerius, sagt, werdet Ihr mir helfen und aus meinem Sohn einen würdigen Erben für das Reich machen?“
Der Gelehrte neigte das Haupt. „Wenn Ihr das wünscht, werde ich Eurem Sohn ein Lehrmeister und Gefährte sein.“
„Lies noch ein bisschen weiter.“ Valerius wies mit der Hand auf den Pergamentbogen, den Aidan in der Hand hielt.
Der Junge kniff die Augen zusammen und begann zu lesen: „Hwæt! Wé Gárdena in géardagum þéodcyninga þrym gefrúnon…“
Schließlich hob sein Lehrmeister die Hand. „Stopp, das genügt. Du machst gute Fortschritte. Dein Vater wird stolz auf dich sein.“
Missmutig verzog Aidan das Gesicht. „Warum verbringt er dann so wenig Zeit mit mir? Warum ist er dann schon wieder auf der Jagd mit seinen Vasallen?“
Valerius fuhr sich durch sein kurzes braunes Haar und zuckte mit den Schultern. „Du erinnerst ihn an seine geliebte Frau, deine Mutter.“
„Wisst Ihr, wie oft ich mir das schon anhören musste?“ Wütend sprang Aidan auf. „Als ob es meine Schuld wäre. Ich habe ja nicht einmal die Chance gehabt, ihr zu begegnen.“
Beruhigend legte der Gelehrte seinem Schützling, der mit seinen fünfzehn Sommern inzwischen fast seine Größe erreicht hatte, die Hand auf den Arm. „Ich weiß. Ich wünschte, es wäre anders gekommen. Ich habe damals getan, was ich konnte.“
„Euch mache ich auch keinen Vorwurf.“ Ein trauriger Ausdruck stahl sich in die blauen Augen des Jungen. „Ich hätte sie nur so gern kennengelernt.“
Valerius drückte Aidan mitfühlend die Schulter. Es bedrückte ihn, wenn er sein Mündel so betrübt sah, er musste ihn auf andere Gedanken bringen. „Was hältst du von einem Ausflug in die Ländereien des Fürstentums, etwas frische Luft schnappen? Ein Ritt in den Wald ist nach so vielen staubigen Büchern eine Wohltat. Außerdem können wir dort mit den Lektionen weitermachen, die dir so viel Freude gemacht haben.“
Aidan zog die Schultern hoch und stieß schließlich die Luft aus. „Ja, Ihr habt recht.“ Mit einem schiefen Grinsen fügte er hinzu: „Wie eigentlich immer. Doch ich möchte nicht reiten, lasst uns zu Fuß gehen.“
So verließen sie gemeinsam den Herrschaftssitz und erreichten bald den nahen Forst. Es war ein lauer Frühlingsnachmittag, die Sonne schien warm vom Himmel, Vogelgezwitscher und Insektenbrummen erfüllten die Luft.
„So sehr ich auch die Bibliothek mit ihren Wundern schätze, so sehr mag ich auch die Natur.“ Aidan schloss die Augen und atmete den würzigen Waldduft ein.
Durch das lichte Blätterdach stachen immer wieder helle Lichtlanzen und malten verschiedenartige Muster auf den Waldboden. Das Moos dämpfte ihre Schritte, ließ sie wie auf Wolken gehen.
Mit Begeisterung fragte der Junge nach den Namen verschiedener Pflanzen und ließ sich von Valerius Geschichten über die Naturgeister erzählen. Hier und da fanden sich auch die Fährten verschiedener Tiere im weichen Waldboden und der Animagus erklärte seinem Schützling ihre Besonderheiten und ihren Platz im natürlichen Gefüge. Mit leuchtenden Augen hing der Junge an seinen Lippen.
Es raschelte im Unterholz, einen Augenblick später brach ein Keiler daraus hervor. Beim Anblick der Menschen senkte er angriffslustig das Haupt und schnaubte bedrohlich. Valerius hob die Hand und sprach ein paar Worte in einer fremden Sprache. Das Wildschwein legte den Kopf schief, dann trottete es friedlich ins Grün zurück.
„Was habt Ihr dem Eber gesagt?“, wollte Aidan neugierig wissen.
„Nur, dass wir Freunde sind und er nichts zu befürchten hat“, antwortete Valerius augenzwinkernd. „Wenn du den anderen Lebewesen mit Respekt begegnest, werden sie dir auch Achtung entgegenbringen und dich in Ruhe lassen.“
Plötzlich erscholl unweit vor ihnen ein Jagdhorn, Hufgetrappel wurde laut. Der Gelehrte und sein Schützling wirbelten herum, als ein ängstlich quiekendes Wildschwein heranstürmte. Um ein Haar hätte es Aidan umgerannt, wenn er nicht in letzter Sekunde von seinem Lehrmeister zur Seite gezogen worden wäre. Etwas surrte durch die Luft und Aidan schrie auf. Ein Pfeil steckte in Aidans Schulter. Bevor Valerius ihn davon abhalten konnte, zog der Junge sich das Geschoss aus der Wunde. Ein Strom von Blut quoll hervor. Mit bleichem schmerzverzogenem Gesicht taumelte Aidan gegen seinen Lehrmeister, der ihn auffing. Ein kurzer, prüfender Blick ließ den Animagus aufatmen, die Wunde erwies sich als nicht lebensbedrohlich. Rasch legte er eine Hand auf die Verletzung und murmelte ein paar Worte. Unter seiner Hand erstrahlte für einen kurzen Moment ein blaues Leuchten. Als er sie wieder sinken ließ, war die Blutung weitestgehend gestillt. Mit einem Streifen Stoff aus seinem Mantel verband er die Wunde notdürftig.
Ein Reiter der Jagdgesellschaft preschte heran und stoppte sein Pferd kurz vor Valerius und Aidan.
„Ah, sieh an, der alte Hexenmeister mit seinem Lehrling“, tönte es vom Pferderücken herab. Celerion, einer der fürstlichen Ritter und Oberpriester der Kirche des Lichts, stützte sich auf den Knauf seines Sattels und blickte sie aus seinen schwarzen Augen herausfordernd an.
„Haltet Eure Zunge im Zaum, Celerion. Ihr sprecht immer noch mit dem Sohn des Fürsten, Eures Herrn. Den Ihr angeschossen habt!“
„Oh! Verzeiht“, mit spöttisch trauriger Miene neigte er das Haupt. „Das tut mir wirklich außerordentlich leid, ich wollte die Sau treffen. Aber ich bin mir sicher, Meister Valerius, Ihr bekommt das schon wieder hin.“
„Ah, Aidan, Valerius!“ Fürst Geralf ritt mit dem Rest der Jagdgesellschaft aus dem Wald heran und schloss zu Celerion auf. Als er den verbundenen Arm und das schmerzverzerrte Gesicht seines Sohnes bemerkte, fragte er alarmiert: „Was ist passiert?“
Bevor Valerius oder Aidan etwas sagen konnten, kam ihnen der Oberpriester zuvor: „Ich habe auf das Schwein geschossen, das wir schon seit Stunden verfolgen, und da sind wie aus dem Nichts Euer Sohn und sein Lehrmeister aufgetaucht. Mein Pfeil streifte Euren Sohn, mein Herr! Es tut mir sehr leid, es war ein Versehen! Aber wie ihr seht, geht es Eurem Sohn gut. Der gute Valerius hat sich wohl schon um alles gekümmert.“ Er deutete auf Aidan, dessen Gesicht allmählich wieder eine etwas gesündere Farbe annahm.
Der Blick Fürst Geralfs ruhte kurz auf seinem Spross. „Mir scheint, Ihr habt recht. Dann können wir weiterziehen!“
„Vater! Einer deiner Gefolgsleute hat auf uns geschossen, und alles, was dir dazu einfällt, ist, deine dämliche Jagd fortzusetzen?“, schleuderte Aidan Fürst Geralf mit hochrotem Kopf entgegen.
„Ich sagte doch, ich wollte das Schwein…“, begann Celerion.
„Schweigt still, alle beide!“, herrschte der Fürst sie an. „Celerion hat sich entschuldigt und Valerius wird sich schon um den Kratzer kümmern. Sei ein Mann, mein Sohn!“
„Er hätte mich auch töten können!“ Die blauen Augen des Jungen funkelten seinem Vater wütend entgegen. „Bin ich dir so egal?“
Ein traurig gequälter Ausdruck trat auf das Gesicht des Fürsten. „Nein, aber…“
Wütend stieß Aidan einen Schrei aus. „Ich habe schon verstanden!“ Ruckartig wandte er sich von seinem Vater ab und stürmte ins Unterholz. Der Ruf des Fürsten brachte ihn nicht zurück.
Valerius schüttelte nur den Kopf. „Kehrt Ihr zu Eurer Jagd zurück, ich sehe nach dem Jungen.“
Nachdenklich blickte der Fürst seinem Sohn hinterher, nickte aber schließlich und zog mit seinem Gefolge weiter.
„Ich werde mich um Aidan kümmern, so wie ich es immer getan habe“, murmelte Valerius leise zu sich selbst, als er den Reitern hinterher sah.
Der Animagus schlug sich in die Büsche und folgte den umgeknickten Ästen und den niedergetrampelten Gräsern. In seiner Wut und Enttäuschung war Aidan blindlings vorangestürmt, ohne auf seine Umgebung zu achten. Es war nicht das erste Mal, dass Valerius seinem Schützling nach einem Streit mit dessen Erzeuger hinterhereilte. Aidan litt sehr unter der Zurückweisung, unter dem Unvermögen Geralfs, ihm ein guter Vater zu sein, auch wenn der Junge das nicht zugeben wollte. Das führte immer wieder zu Konflikten. Die unbedachten und teils auch gehässigen Bemerkungen der fürstlichen Vasallen taten dann ihr Übriges. Obwohl er manchmal die Contenance verlor, war Aidan sehr erwachsen, sowohl geistig als auch körperlich. Während andere Gleichaltrige Verstecken spielten, verbrachte Aidan viel Zeit mit dem Training seines Körpers und Geistes. Sein Wissensdurst hatte in Valerius einen begeisterten Gegenpart gefunden. Ihm bereitete es große Freude, den Jungen in den verschiedensten Wissenschaften wie Medizin und Philosophie und in den alten Sprachen zu unterrichten. Kaum, dass er laufen konnte, hatte der Gelehrte sein Mündel mitgenommen und ihm die Wunder der Natur gezeigt. Aidan war der Sohn, den er niemals gehabt hatte, und er der Vater, der dem Jungen fehlte.
Valerius folgte dem Wildpfad. Er wusste, dass er ihn nicht würde einholen können, der Junge war ein ausdauernder Läufer. Der Gelehrte machte sich Sorgen um seinen Schützling. Aidan liebte den Wald und kannte sich bestens darin aus. Doch er war verletzt und noch immer in Rage. Aus Erfahrung wusste er, dass sie den Jungen unvorsichtig werden ließ. Valerius konzentrierte sich auf die Augen und Ohren des Waldes, die ihm zeigten, in welche Richtung er sich wenden musste, um Aidan zu finden. Dennoch erreichte er ihn erst, als die Nacht schon hereingebrochen war.
Erleichterung durchströmte ihn, als er den Jungen schlafend auf einer kleinen Lichtung am Fuße einer Eiche, beschienen vom hellen Schein des Vollmondes, fand. Zusammengerollt lag der Junge da, den Kopf auf eine moosbewachsene Wurzel gelegt. Gesicht und Arme wiesen zahlreiche Kratzer auf. Er musste durch dichtes dorniges Unterholz gerannt sein und sich hier vor Erschöpfung niedergelassen haben. Unruhig warf er sich im Schlaf hin und her.
„Ruhig, mein Junge“, flüsterte Valerius und setzte sich zu ihm. Er wusste, dass sein Schützling stark war, doch in diesem Moment wirkte er so verletzlich. Behutsam strich der Animagus Aidan über die zerzausten schwarzen Haare und breitete seinen Mantel über ihn. Mit einem leisen Knurren krallte sich der Junge in den Mantel und schreckte hoch. Verwirrt blickte er sich um und erkannte dann Valerius. „Ihr ...“ Nur langsam verblasste der erschrockene Ausdruck in seinen Augen.
Sanft streichelte Valerius ihm über die Wange. „Du hast schlecht geträumt, oder?“
Aidan nickte schwach. Er schlang die Arme um seinen Leib und kuschelte sich unter den Mantel. „Aber Ihr habt mich gefunden und daraus befreit.“
„Natürlich, der Fürst trug mir auf, auf dich Acht zu geben“, erwiderte Valerius ruhig.
„Weil er es nicht will?“
„Dein Vater liebt dich, du bist sein einziger Sohn. Nur kann er das nicht immer so zeigen.“
„Das ist aber eine himmelschreiende Untertreibung. Manchmal habe ich das Gefühl, ich bin ihm lästig. Warum könnt nicht Ihr mein Vater sein?“
„Ach, Aidan …“ Valerius seufzte. „Lassen wir das Thema für heute ruhen und kehren ins Schloss zurück. Ich muss mir deine Wunde anschauen und dich mit ein paar Kräutern versorgen.“
„Ich möchte nicht zurück. Mein Vater wird wieder ein Gastmahl abhalten, es wird laut sein und seine Männer und er werden sich mit Wein betrinken. Ich möchte hierbleiben. Erzählt mir etwas, eine Geschichte über die alten Götter.“ Das Flehen in der Stimme des Jungen, die Hoffnung in seinen blauen Augen, ließen das Herz des Animagus schwer werden.
So schlang er den Mantel enger um sie und begann, Legenden über die funkelnden Sternbilder zu erzählen, bis der Junge friedlich in seinen Armen eingeschlafen war.
Mit den ersten Sonnenstrahlen machten Valerius und Aidan sich wieder auf den Rückweg. Sie verließen die Lichtung und folgten einem Wildwechsel, der sie wieder auf den Weg zum Herrschersitz brachte. Schweigend liefen sie nebeneinander her und genossen die friedliche morgendliche Stimmung. Die Vögel sangen, begrüßten den neuen Tag, die kühle Luft roch klar und frisch. Sie begegneten einem Hirsch, der am Rand des Weges äste. Als er sie bemerkte, hob er den Kopf und witterte in ihre Richtung. Einen Augenblick später war er im dichten Grün verschwunden.
Bald darauf erreichten sie den Fürstensitz. Die Wachen grüßten sie freundlich und die Mägde und Diener gingen wie gewohnt ihrer Arbeit nach. Doch als sie die Haupthalle betraten, bot sich ihnen ein Bild der Zerstörung. Zerbrochene Krüge und Essensreste lagen verstreut auf dem Boden und den hölzernen Tischen, Weinlachen hatten sich auf dem Boden ausgebreitet. Der Gestank nach kaltem Essen, Alkohol und menschlichen Ausdünstungen hing in der Luft. Valerius rümpfte die Nase und öffnete die großen Fenster des Saals, sodass frische Luft hereinströmen konnte. Den Arm um Aidans Schulter gelegt, brachte er ihn in seine Kammer, die gleich neben der Bibliothek im abgelegenen Nordflügel lag.
„Jetzt lass mich mal nach deiner Schulter schauen“, sagte der Animagus und bedeutete dem Jungen, sich in einen Sessel zu setzen. Während es sich sein Schützling gemütlich machte, suchte der Gelehrte ein paar Tiegel und Fläschchen zusammen und stellte sie auf den kleinen Beistelltisch, der neben dem Sitzmöbel stand.
„Ich werde deine Wunde säubern und anschließend eine Kräuterpaste auftragen, um die Heilung zu unterstützen.“ Behutsam löste er den provisorischen Verband. Überrascht sog er die Luft ein, als der letzte Stoffstreifen fiel.
„Was ist?“, fragte Aidan beunruhigt und linste auf die Stelle knapp unter dem Schlüsselbein.
Valerius nahm ein bereitgelegtes Tuch, tauchte es in die Wasserschüssel und reinigte vorsichtig die Verletzung oder zumindest das, was davon noch übrig war. Dort, wo gestern noch ein tiefer Einschnitt von der Spitze des Pfeils zu sehen war, prangte nun nur noch ein verschorftes kleines Loch.
„Es scheint, als ob die Wunde über Nacht fast komplett verheilt sei. Das ist interessant.“
„Ihr habt recht! Es tut auch gar nicht mehr weh“, wunderte sich der Junge. „Das müssen Eure Geschichten gewesen sein.“ Sein Bauch knurrte vernehmlich. „Ich sterbe fast vor Hunger, lasst uns etwas essen gehen“, schlug er dann vor. „Ich ziehe mir nur schnell etwas Frisches an.“ Und schon war er im Nachbarzimmer verschwunden.
„Wahrscheinlich …“, gab Valerius nachdenklich zurück, doch er hatte noch eine ganz andere Vermutung.
Wenig später saßen sie im Garten des fürstlichen Anwesens und genossen ihr Frühstück. Es gab frisch gebackenes Brot, dazu kalten Braten und verschiedene Käsesorten. Eine Schale Obst und Gemüse fehlten ebenso wenig wie eine dampfende Kanne Tee.
„Ah, das war gut.“ Wohlig seufzend lehnte sich Aidan zurück. Er streckte seine Beine und ließ sich von den warmen Sonnenstrahlen bescheinen. Sein Blick schweifte durch den Garten. Ein paar Diener waren damit beschäftigt, eine Hecke wieder in eine ordentliche Form zu bringen, während andere an den Blumenbeeten arbeiteten.
Valerius vertiefte sich in ein Buch, das er von der Bibliothek mitgenommen hatte.
„Was lest Ihr denn da?“, wollte Aidan neugierig wissen.
„Ach, ich schaue nur etwas nach …“, er wedelte in einer unbestimmten Geste mit der Hand.
„Mein Sohn!“ Aufgeregt lief Fürst Geralf herbei. Seine strähnigen langen Haare hingen ihm ungepflegt ins Gesicht, auf seinem zerknitterten Gewand zeigten sich Flecken. „Wie geht es dir?“
Aidan setzte sich auf und starrte dem Fürsten finster entgegen. „Seit wann interessiert dich das? Gestern war es dir egal und schau dich an. Anstatt nach deinem Sohn zu suchen, betrinkst du dich mit deinen Kumpanen.“
Ein verlegener Ausdruck trat in das Gesicht des Fürsten. „Es tut mir leid. Aber es sah wirklich nicht schlimm aus, und ich weiß doch, dass du ein starker Junge bist. Also sag mir, was ist mit dir?“
„Valerius hat sich alles angeschaut und meinte, es ist schon fast wieder verheilt.“
Ein ungläubiger Ausdruck breitete sich auf dem Antlitz des Fürsten aus. „Das ist ja wunderbar. Ich danke Euch, Meister Animagus!“
Valerius legte das Buch beiseite und erwiderte: „Mein Anteil daran war der geringste.“
„Ihr habt wieder euren Hokuspokus gewirkt, nicht wahr?“, schleuderte ihm Celerion entgegen, der eben die Terrasse betrat. „Ich habe die Wunde gesehen. Nicht einmal unsere besten Priester des Lichts können solche Verwundungen so schnell heilen. Verderbt den Jungen nicht, so wie Ihr es damals mit Fürstin Katharina getan habt.“
Bei der Erwähnung des Namens seiner verstorbenen Frau verfinsterte sich die Miene des Fürsten.
„Katharina …“, kam es leise über seine Lippen.
Bevor Valerius etwas erwidern konnte, kam ihm Aidan zuvor: „Meister Valerius hat damit nichts zu tun. Euer unsäglicher Pfeil hat wohl nur einen Kratzer bei mir hinterlassen. Seid doch froh darüber.“
„Weder meinen Sohn, beschossen vom eigenen Gefolgsmann, noch meine Frau konnte ich beschützen. Was bin ich nur für ein Herrscher?“, fragte Fürst Geralf, das Gesicht fahl, Verzweiflung in seinem Blick.
„Mein Fürst, so dürft Ihr nicht denken. Ihr habt es auch nicht einfach. Ihr wurdet Eurer geliebten Frau beraubt und müsst Euch nun um alles kümmern“, gab Celerion zu bedenken. „Doch ich werde immer an Eurer Seite stehen und Euch nach bestem Wissen unterstützen.“
„Mein Fürst, der Tod der Fürstin war nicht Eure Schuld!“, warf Valerius ein.
„Dann war es die Eure?“ Der Blick des Oberpriesters des Lichts wurde lauernd.
„Celerion, sprecht nicht so mit Meister Valerius! Vater, sagt doch auch etwas“, rief Aidan.
Der Angesprochene blickte auf, Verwirrung und Schmerz in seinen Augen. „Warum?“, entwich es gequält seinen Lippen.
„Celerion ist nicht gut für dich“, ereiferte sich der Junge.
Der Fürst zuckte zusammen, die Trauer wandelte sich in Zorn. „Und du hast nicht das Recht, so über ein ehrbares Mitglied des Hofes zu sprechen! Immer begehrst du auf, immer habe ich es schwer mit dir. Wärst du nicht geboren, würde sie noch leben! Deine Geburt und der Hokuspokus deines Freundes haben sie mir genommen. Verflucht sollt ihr sein!“ Damit wandte sich Geralf um und stürmte davon, dicht gefolgt von Celerion, der beschwichtigend auf ihn einredete.
Wie betäubt stand Aidan da und starrte auf die Flügeltür, durch die sein Vater soeben wieder im Gebäude verschwunden war. Eine einzelne Träne suchte ihren Weg seine Wange hinab, seine Unterlippe zitterte. „Habt Ihr das gehört?“
Valerius trat neben ihn und legte seine Arme um den Jungen. „Ja, das habe ich.“
Aidan umschlang seinen Lehrmeister und Freund ebenfalls. „Ich hasse ihn!“, sagte er und vergrub sein Gesicht an dessen Schulter.
„Ich weiß.“ Beruhigend strich der Animagus ihm über den Rücken. „Doch Hass hat noch nie zu etwas Gutem geführt. Lass uns in die Bibliothek gehen, das bringt dich auf andere Gedanken.“ Sie verließen die Terrasse, während am Horizont dunkle Wolken aufzogen.
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