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Als das Erstaunen, das durch sein Erscheinen erregt worden, sich zum Theil wieder gelegt hatte, wurde nach dem verlorenen Briefe gesucht. Er fand sich in dem tiefsten Schlupfwinkel von Mr. Vanstones weiter Tasche und wurde nun von dem Hausherrn sofort durchgelesen.



Das rein Thatsächliche, wie es der Baumeister schilderte, war folgendes. Frank sei nicht im Besitze derjenigen Fähigkeiten erfunden worden, welche ihn für seinen neuen Beruf geschickt machten, und es sei unnöthig, damit Zeit zu verlieren, daß man ihn noch länger bei einem Fache festhielt, für das er nicht berufen sei. Da dies nach einer Probe von drei Jahren, die beiderseitige Ueberzeugung sei, so habe der Meister es eben für das Gerathenste gehalten, seinen Schützling nach Hause zurückzuschicken und seinem Vater und seinen Freunden das Ergebniß ruhig vorzustellen. Auf irgend einem andern Felde, auf das er sich mit mehr Befähigung lege, und für das er eine wirkliche Liebe mitbringe, werde er ohne Zweifel den Fleiß und die Ausdauer zeigen, welche er in dem Berufe, den er eben fallen gelassen, an den Tag zu legen, allzubald den Muth verloren habe. Was seine Persönlichkeit anlange, so sei er bei männiglich, wer ihn kannte, beliebt gewesen, und sein künftiges Fortkommen auf einem andern Berufsfelde sei der herzliche Wunsch der vielen Freunde, die er sich im Norden erworben habe. – Das war im Wesentlichen der Bericht, und damit schloß er.



Viele würden die Darstellung des Ingenieurs vielleicht zu gesucht und wortreich gefunden haben, hätten ihn wohl gar in Verdacht gehabt, als versuche er eine schlechte Sachlage zu bemänteln, und würden so ernstliche Zweifel in Bezug auf Franks Zukunft gehegt haben. Mr. Vanstone war aber zu warmblütiger – die Dinge leicht nehmender Gemüthsart und dabei zu sehr besorgt, er möchte etwa seinem alten Gegner einen Fingerbreit mehr nachgeben, denn nöthig sei, als daß er den Brief in einem solchen ungünstigen Lichte angesehen hätte. War Frank Schuld daran, daß nicht das Zeug in ihn gelegt war, aus dem man Baumeister macht? Waren nicht andere junge Männer anfangs an einer falschen Laufbahn in die Welt hinausgetreten? Sehr Viele begannen, so wie er, und kamen doch darüber hinaus und leisteten dann noch Erstaunliches. Mit diesen Erläuterungen zu dem Briefe klopfte der gutherzige Herr Frank auf die Schulter und sagte:



– Nur getrost, mein Junge, wir wollen eines Tages schon mit Deinem Vater quitt werden, obschon er dies Mal die Wette gewonnen hat.



Das dergestalt vom Hausherrn gegebene Beispiel wurde sofort von der Familie befolgt, mit der einzigen Ausnahme von Rom, deren unverbesserliche Förmlichkeit und Gemessenheit sich in eben nicht sehr gefälliger Art und Weise in ihrem dem Besucher gegenüber sehr zurückhaltenden Benehmen aussprach. Die Uebrigen, Magdalene voran (die in früherer Zeit Franks Lieblingsgespielin gewesen war), verfielen ohne Zwang in ihr altes freundschaftliches Verhältniß zu ihm. Er war für Alle »Frank«, nur Nora bestand darauf, ihn »Mr. Clare« anzureden. Sogar die Erzählung, die er nun aufgefordert wurde von dem Empfange von gestern Abend bei seinem Vater zu geben, vermochte nicht Noras Ernst zu entfernen. Sie saß mit ihrem düsteren hübschen Gesicht beständig abgewandt da, ihre Augen niedergeschlagen und die reiche Färbung ihrer Wangen war wärmer und tiefer, als gewöhnlich. Die Anderen alle, selbst Miss Garth mitgerechnet, fanden die Bewillkommnungsanrede des alten Mr. Clare an seinen Sohn von unwiderstehlicher Komik. Der Lärm und die Heiterkeit hatten ihren Höhenpunct erreicht, als der Diener eintrat und die ganze Gesellschaft verstummen machte durch die Anmeldung von Besuchen im Empfangszimmer.



– Mr. Marrable, Mrs. Marrable und Miss Marrable von Evergreen Lodge in Clifton.



Nora erhob sich so rasch, als ob die neuen Ankömmlinge eine erwünschte Erleichterung für ihre Seele wären. Mrs. Vanstone war die nächste, die ihren Stuhl verließ. Diese Beiden gingen zuerst weg, um die Besuche zu empfangen. Magdalene, die die Gesellschaft ihres Vaters und Franks vorzog, bat dringend, fortbleiben zu dürfen, aber Miss Garth legte, nachdem sie ihr fünf Minuten zugegeben hatte, Beschlag auf sie und nahm sie mit aus dem Zimmer. Frank erhob sich, um sich zu verabschieden.



– Nein, nein, sagte Mr. Vanstone, ihn zurückhaltend. Gehe nicht. Diese Leute werden nicht lange bleiben. Mr. Marrable ist ein Kaufmann in Bristol. Ich bin ein oder ein paar Mal mit ihm zusammen gewesen, als die Mädchen mich nöthigten, sie nach Clifton in Gesellschaft zu führen. Eine bloße Bekanntschaft, weiter Nichts. Komm und rauche eine Cigarre im Gewächshause. Zum Henker alle Besuche, sie machen Einem das Leben sauer. Ich will mich erst im letzten Augenblicke mit einer Entschuldigung sehen lassen, und Du sollst mir in guter Entfernung folgen, zum Beweis, daß ich wirklich bereits anderweitig beschäftigt war.



Indem Mr. Vanstone diese sinnreiche Kriegslist Frank vertraulich zuflüsterte, nahm er dessen Arm und führte ihn hinten ums Haus herum. Die ersten zehn Minuten ihres traulichen Aufenthaltes im Treibhause vergingen, ohne daß irgend etwas vorfiel. Nach Verlauf dieser Zeit schien urplötzlich durch die Fenster das Bild einer flüchtigen Gestalt in hellen Gewändern herein, die Thür flog auf, Blumentöpfe fielen herunter, wie in Huldigung vor einem Frauenkleide, und Mr. Vanstones jüngste Tochter stürzte in jähester Eile auf ihn los, nach ihrem ganzen Aussehen das Conterfei einer Person, die plötzlich von Sinnen gekommen ist.



– Papa, der Traum meines ganzen Lebens ist in Erfüllung gegangen, rief sie, sobald sie sprechen konnte. Ich werde durch das Dach des Gewächshauses fliegen, wenn mich nicht Jemand unten festhält. Die Marrables haben eine Einladung mitgebracht. Rathe, lieber Alter, rathe, was sie in Evergreen Lodge vorhaben!



– Einen Ball, versetzte Mir. Vanstone, ohne sich einen Augenblick zu besinnen.



– Ein Liebhabertheater! schrie Magdalene, und ihre helle jugendliche Stimme schallte wie eine Glocke durch das Gewächshaus; ihre losen Aermel fielen zurück und zeigten ihre runden Arme bis zu den Ellenbogengrübchen, als sie ihre Hände verzückt über dem Kopfe zusammenschlug.



– »Die Eifersüchtigen« heißt das Stück, Papa, »Die Eifersüchtigen« von dem berühmten Ich weiß nicht wer, und ich soll mitspielen! Das Einzige auf der ganzen Welt, das ich mir immer am Meisten gewünscht habe. Es kommt nur auf Dich an. Mama schüttelt den Kopf, Miss Garth blickt Dolche, und Nora ist so mürrisch, wie gewöhnlich; aber wenn Du Ja sagst, so müssen sie alle Drei nachgeben und mich thun lassen, was ich will. Sage Ja! bat sie, indem sie sich sanft an den Vater anschmiegte und ihre Lippen mit einer zärtlichen Innigkeit an sein Ohr legte, als sie die nächsten Worte lispelte. Sage Ja, und ich will dann ein gutes Kind sein mein Lebenlang!



– Ein gutes Kind? wiederholte Mr. Vanstone – Ein närrisches Kind, denke ich, wirst Du meinen. Laß diese Menschen ziehen mit ihren Theatergeschichten. Ich werde ins Haus gehen und mir einmal die Sache ansehen. Du brauchst die Cigarre nicht wegzuwerfen Frank! Du hast mit der Sache nichts zu thun und kannst hier bleiben.



– Nein, das kann er nicht, sagte Magdalene. Er ist ebenfalls an der Sache betheiligt.



Mr. Francis Clare war bisher bescheiden im Hintergrunde geblieben. Er kam nun vor, sprachloses Erstaunen auf seinem Gesicht.



– Ja wohl, fuhr Magdalene fort, indem sie seinen offen fragenden Blick mit vollkommener Ruhe beantwortete. Du sollst mitspielen. Miss Marrable und ich haben einen Trieb für die Sache und machten sie in fünf Minuten vollständig unter uns ab. Es sind noch zwei Rollen in dem Stück zu besetzen. Die eine ist Lucie, das Kammermädchen, das ist die Partie, welche ich mir gewählt habe – mit Papas Erlaubniß, setzte sie hinzu, indem sie den Arm des Vaters mit schlauer Miene drückte, und er wird nicht Nein sagen, nicht wahr? Erstlich, weil er ein so gutes Alterchen ist, zweitens, weil ich ihn liebe, und er mich liebt; drittens, weil niemals eine Meinungsverschiedenheit zwischen uns stattfindet (ist’s nicht so?); viertens, weil ich ihm einen Kuß gebe, der ihm natürlich den Mund schließt und die ganze Geschichte erledigt. «O, ich Gute, ich komme von der Sache ab. Wo war ich stehen geblieben? Richtig, indem ich Frank erklärte …



– Ich bitte, entschuldige mich, begann Frank, der hier seine Weigerung vorbringen wollte.



– Die zweite Person im Stück, fuhr Magdalene ohne die mindeste Notiz von dieser Weigerung zu nehmen fort, ist Falkland, ein eifersüchtiger Liebhaber mit schönem Redefluß. Miss Marrable und ich sprachen Falkland für uns im Fenstersitz durch, während die Anderen sich unterhielten. Sie ist ein herrliches Mädchen, so anregend, so aufgeweckt, so ganz und gar ungezwungen. Sie hat sich mir vertraut. Sie sagte:



– Eine von unseren Sorgen ist es, daß wir einen Herrn ausfindig machen, welcher sich mit den häßlichen Schwierigkeiten des Falkland befreunden mag.



– Darüber beruhigte ich sie. Sofort sagte ich ihr: Den Herrn habe ich bereits, und er soll sich gleich daran machen.



– O, Himmel! wer ist’s denn?



– Mr. Francis Clare.



– Und wo ist er?



– In diesem Augenblicke hier im Hause.



– Wollen Sie so liebenswürdig sein, Miss Vanstone, ihn für uns zu gewinnen?



– Ich will ihn gewinnen, Miss Marrable, mit dem größten Vergnügen.



– Ich verließ den Fenstersitz eilte flugs in das Morgenzimmer, ich roch Cigarren ich folgte dem Geruche, und da bin ich.



– Es ist mir sehr schmeichelhaft, daß man mich mitzuspielen auffordert, sagte Frank in großer Verwirrung. Aber ich hoffe, Du und Miss Marrable werdet mich entschuldigen…



– Auf keinen Fall. Miss Marrable und ich sind beide bekannt durch die Festigkeit unseres Sinnes. Wenn wir sagen, Mir. Soundso wird die Rolle des Falkland sicherlich spielen, so meinen wir das sicherlich. Komm herein und laß Dich vorstellen.



– Aber ich habe nie versucht, zu spielen. Ich weiß nicht, wie ich es machen soll.

 



– Das thut nicht das Mindeste. Wenn Du es nicht weißt, so komm zu mir, und ich will Dir’s beibringen.



– Du?! rief Mr. Vanstone aus. Was weißt denn Du selbst davon?



– Papa, sei doch gescheidt! Ich habe die festeste Ueberzeugung in mir, daß ich jeden Charakter des Stückes, selbst den Falkland nicht ausgenommen, geben könnte. Laß mich nicht noch einmal anfangen, Franc. Komm und laß Dich vorstellen.



Sie faßte ihren Vater unterm Arm und wandte sich mit ihm nach der Thür des Gewächshauses. Im Gehen drehte sie sich um und sah nach, ob Frank auch folgte. Es war nur das Werk eines Augenblicks; aber in diesem Augenblicke sammelte ihre angeborene Willenskraft alle ihre Hilfsmittel, verstärkte sie durch den Einfluß ihrer Schönheit, befahl und eroberte. Sie sah lieblich aus: das Roth auf ihren Wangen flammte mit zartem Schmelz, das helle Vergnügen sah ihr strahlend und funkelnd aus den Augen; die Haltung ihrer Gestalt, wie sie sich plötzlich bloß mit dem Oberkörper umdrehte, enthüllte ihre zarte Büste, ihre milde Festigkeit, ihre verführerische schlangenartige Anmuth.



– Komm! sagte sie mit coquett bittender Kopfbewegung. Komm, Frank!



Wenige Männer von Vierzig würden ihr in diesem Augenblicke widerstanden haben. Frank war am letzten Geburtstage erst Zwanzig geworden. Mit anderen Worten, er warf seine Cigarre weg und folgte ihr zum Gewächshause hinaus.



Als er sich umwandte und die Thür schloß, erwachte in dem Augenblicke, wo er sie aus dem Gesicht verlor, seine Abneigung, mit dem Liebhabertheater zu thun zu haben, aufs Neue. Am Fuße der Haustreppe hielt er wieder inne, knickte einen kleinen Zweig von einer Pflanze neben sich ab, brach ihn in der Hand entzwei und sah unruhig um sich, bald auf diese, bald auf jene Seite. Der Pfad zur Linken führte zur Wohnung seines Vaters, der Weg zur Flucht lag also offen. Warum sollte er ihn nicht einschlagen?



Während er noch zögerte, erreichten Mr. Vanstone und seine Tochter die Höhe der Treppe. Noch einmal sah sich Magdalene um, sah sich um in all ihrer unwiderstehlichen Schönheit, mit ihrem alle Welt besiegenden Lächeln. Sie bat wieder, und wieder folgte er ihr die Stufen hinauf und über die Schwelle. Die Thür schloß sich hinter ihnen. So mit einer kleinen Einladung auf der einen Seite, mit einer kleinen Gefälligkeit auf der andern, so ohne eine Ahnung in seinem Geiste, ohne einen Gedanken in ihrer Seele an das unter der Londoner Reise verborgene Geheimniß, nahmen sie den Weg, welcher zur Entdeckung des Geheimnisses führte, allerdings durch manches dunkle Irrsal, welches noch kommen sollte.



Fünftes Capitel

Mr. Vanstones Fragen über die beabsichtigte dramatische Ausführung auf Evergreen Lodge wurden mit einer Erzählung der theatralischen Leiden beantwortet, von welchen Miss Marrable die unschuldige Ursache war, und wobei ihr Vater und ihre Mutter die Rollen der Hauptschlachtopfer spielten.



Miss Marrable war das härteste tyrannische Wesen, das es auf der Welt gibt: das einzige Kind. Sie hatte, seitdem sie den ersten Zahn bekam, ihrem unterwürfigen Vater und eben einer solchen Mutter nicht das kleinste verfassungsmäßige Vorrecht eingeräumt. Ihr siebzehnter Geburtstag war nun nahe bevorstehend; sie hatte beschlossen, ihn durch eine theatralische Aufführung zu feiern, hatte darnach ihre Befehle ertheilt und hatte bei ihren willfährigen Aeltern so vollständig wie immer Gehör gesunden. Mrs. Marrable opferte ihr Empfangszimmer, um dasselbe zu einer Bühne und einem Theater herrichten, beziehentlich Verwüsten zu lassen. Mr. Marrable sorgte für die Anstellung eines Sachverständigen von gutem Rufe, um den jungen Damen und Herren das Stück einzustudieren und alle Verantwortung auf seine Schultern zu nehmen, welche in mannigfacher Hinsicht da einzutreten pflegt, wo es gilt, aus einem gesellschaftlichen Chaos eine bühnenmäßige Welt zu schaffen. Nachdem sich der nur dem Namen nach als solcher geltende Hausherr und die Hausfrau ferner an das Abbrechen der Bekleidung und Beschädigen der Wände gewöhnt hatten und an das Pochen, Schlagen, Hämmern und Schreien, an das beständige Thüren zuschlagen und das Getrappel der unaufhörlich Trepp auf Trepp ab laufenden Schritte: glaubten sie närrisch genug, daß ihre Hauptleiden überstanden wären. Unschuldige, schwer sich rächende Selbsttäuschung! In einer bürgerlichen Gesellschaft ist die Bühne aufschlagen und das Stück wählen erst Eins, etwas ganz Anderes ist es aber, auch die Darsteller dazu ausfindig zu machen. Bis hierher hatten sich erst die kleinen Vorläufer der bei einer solchen Gelegenheit unvermeidlichen Leiden auf Evergreen Lodge gezeigt. Die wahren ernsten Störungen sollten alle erst kommen.



»Die Eifersüchtigen« waren als das Stück gewählt worden, und Miss Marrable nahm für sich selbstverständlich die Rolle der »Lydia Languish« in Anspruch. Einer von ihren Lieblingsstutzern versicherte sich des »Hauptmann Absolut«, und ein Anderer legte gewaltsam auf »Sir Lucius O’Trigger« Beschlag. Nach diesen Beiden kam eine gefällige Jungfer Base, welche die schwere dramatische Verantwortlichkeit der Partie von »Mrs. Malaprop« übernahm. Aber hier kam nun eine Stockung in die Rollenvertheilung. Neun sprechend auftretende Personen waren noch übrig, um besetzt zu werden; und mit dieser unvermeidlichen Nothwendigkeit begannen die ernsteren Verwickelungen.



Auf einmal wurden nun alle Freunde der Familie unverläßliche Personen, vielleicht zum ersten Male in ihrem Leben. Nachdem sie den Gedanken des Stückes gutgeheißen, lehnten sie ab, selber das Opfer zu bringen, daß sie darin auftraten, oder sie nahmen Rollen an und verzweifelten bei dem Einstudieren derselben, oder sie erboten sich freiwillig zu Rollen, von denen sie wußten, daß sie bereits anderweitig besetzt waren, und wiesen diejenigen zurück, die ihnen zugedacht waren, oder sie waren mit körperlichen Schwächen heimgesucht und wurden unglücklicherweise krank, wenn man sie zu Proben brauchte, oder sie hatten puritanisch sittenstrenge Verwandte im Hintergrunde und blieben, nachdem sie zu Anfang der Woche lustig in ihre Rollen hineingeschlüpft waren, am Ende der Woche unter dem Drucke ihrer gestrengen Familie reumüthig »weg wie Röhrwasser«. Mittlerweile hämmerten die Zimmerleute fort, und die Bühne erhob sich. Miss Marrable, deren Gemüthsart reizbar war, wurde unter der Anspannung beständiger Sorge und Angst hysterisch; der Hausarzt wagte nicht mehr einzustehen für die Folgen auf ihr Nervensystem, wenn etwas nicht gleich nach ihrem Willen geschah. Erneuerte Anstrengungen wurden nach jeder Richtung hin gemacht. Darsteller und Darstellerinnen wurden gesucht, und dabei verzweifelterweise alle Rücksicht auf das persönliche Geschick oder Nichtgeschick schlechterdings aus den Augen gesetzt. Die Noth, welche »kein Gebot kennt«, weder auf der Bühne noch außer derselben, nahm fürlieb mit einem jungen Menschen von achtzehn Jahren als Darsteller des »Sir Antonius Absolut,« und der Regisseur übernahm es, die unerläßlichen Runzeln durch die unbeschränkten Hilfsmittel der Bühnenkunst zu ergänzen. Eine Dame, deren Alter noch unerforscht geblieben, und deren persönliche Erscheinung sehr stark war, welche aber das Herz auf dem rechten Flecke hatte, ließ sich freiwillig anwerben, um die Partie der empfindsamen »Julie« zu spielen, und brachte dazu von Haus aus kein weiteres Bühnenerforderniß mit, als daß sie im gewöhnlichen Leben eine Perrücke trug. Dank diesen wirksamen Anstrengungen wurde endlich das Stück doch mit den gehörigen Darstellern besetzt, aber immer noch mit Ausnahme der unhandlichen Rollen der »Lucie«, des Kammermädchens, und des »Falkland« (Juliens eifersüchtiger Liebhaber). Herren kamen, sahen sich die Julie auf der Probe an, bemerkten deren Stärke und falsches Haar, vergaßen zu bemerken, daß sie ihr Herz auf dem rechten Flecke hatte, verzweifelten bei dieser Aussicht, entschuldigten sich und machten sich davon. Damen lasen die Rolle der »Lucie«, machten die Bemerkung, daß sie allerdings in der ersten Hälfte des Stückes sehr vorteilhaft erscheine, allein später in der zweiten Hälfte ganz und gar zurücktrete, konnten sich nicht dazu verstehen, vom Publicum in solcher Art und Weise aus dem Gesichte verloren zu werden, während alle Uebrigen Das voraus hatten, daß sie bis zu Ende sich auszeichneten, machten das Buch zu und sich mit Entschuldigungen davon. – In acht Tagen sollte die Aufführung stattfinden. Eine Schlachtbank von gesellschaftlichen Duldern bei zweihundert stark, hatte zugesagt, Zuschauer zu werden; drei Hauptproben waren unerläßlich nothwendig, und doch waren noch immer zwei Rollen in dem Stück nicht besetzt! Mit dieser kläglichen Geschichte und den eifrigsten Entschuldigungen wegen ihrer sich nur auf eine oberflächliche Bekanntschaft stützenden Zumuthung erschienen die Marrables auf Combe-Raven, um die jungen Damen wegen einer »Lucie« und die ganze Welt wegen eines »Falkland« mit der Bettlerzähigkeit einer aufs Aeußerste gebrachten Familie zu brandschatzen.



Diese Darlegung der Umstände, gerichtet an einen Kreis, der einen Vater von Mr. Vanstones Gemüthlichkeit und eine Tochter von Magdalenens Sinnesart einschloß, hatte denn auch den Erfolg, den man gleich von vornherein vorhersagen konnte.



Das bedeutsame Schweigen, welches die Gattin und Miss Garth bewahrten, entweder mißverstehend oder unbeachtet lassend, gab Mr. Vanstone nicht allein Magdalenen Erlaubniß, dem bedrängten Liebhabertheater zu Hilfe zu kommen, sondern mahnt auch für Nora und sich selbst eine Einladung an, der Ausführung beizuwohnen. Mrs. Vanstone lehnte aus Gründen ihrer leidenden Gesundheit ab, sie zu begleiten, aber Miss Garth versprach mitzukommen, vorausgesetzt, daß sie zu Hause entbehrlich sein würde. Die ausgeschriebenen Rollen der »Lucie« und »Falklands«, welche die geängstigte Familie überall mit sich herumtrug, wie eine nebenbei aufgelesene Krankheit, wurden sofort ihren künftigen Darstellern behändigt. Franks schwache Weigerungsversuche wurden ungehört zurückgewiesen, die Tage und Stunden der Proben sorgfältig auf die Umschläge der Rollenhefte bemerkt, und die Marrables verabschiedeten sich unter einer förmlichen Dankesentladung, indem Vater, Mutter und Tochter die Ausdrücke ihrer Dankbarkeit mit freigebigster Hand vom Empfangszimmer bis zu dem Gartenthore auf den Weg streuten.



Sobald der Wagen abgefahren war, stellte sich Magdalene den Augen der Familie in einem ganz neuen Lichte dar.



– Wenn noch mehr Besuche heute kommen sollten, sagte sie mit dem tiefsten Ernste in Blick und Gebärde, so bin ich nicht zu Hause. Dies ist eine weit ernstere Sache, als Ihr denkt. Frank, gehe irgendwohin auf die Seite, lies Deine Rolle für Dich durch und laß wo möglich Deine Aufmerksamkeit durch Nichts ablenken. Ich werde vor Abend für Niemand zugänglich sein. Wenn Du nach dem Thee – mit Papas Erlaubniß – wiederkommen willst, so will ich Dir meine Meinung über den Falkland sagen. Thomas! Was der Gärtner auch vorhat, er soll mir mit seiner Arbeit keinen Lärm unter meinem Fenster machen. Für den Rest des Nachmittags werde ich mich aufs Lernen legen, und je ruhiger dabei das Haus ist, desto dankbarer werde ich Jedermann sein.



Bevor Miss Garth die Batterie ihres Tadels abfeuern konnte, bevor der erste Ausbruch von Mr. Vanstones herzlichem Gelächter über seine Lippen kam, verneigte sie sich mit unerschütterlichem Ernst vor der Familie, stieg zum ersten Male die Haustreppe im Schritt hinauf, statt im Laufen, und verschwand oben in der Gegend der Schlafgemächer. Franks unbehilfliches Staunen über ihr Verschwinden trug ebenfalls wesentlich bei zur Komik des Auftritts. Er stand erst auf dem einen, dann auf dem andern Beine, indem er seine Rolle auf- und zublätterte und seinen Freunden im Kreise Erbarmen flehend ins Gesicht schaute.



– Ich weiß, ich kanns nicht, sagte er. … Darf ich nach dem Thee wieder vor kommen und Magdalenens Meinung hören? Ich danke Ihnen, ich will gegen Acht wieder herein sehen. Sagen Sie meinem Vater nichts von dieser Ausführung; ich würde sonst ewig davon reden hören müssen.



Dies waren die einzigen Worte, die er noch Besinnung hatte herauszubringen. Er ging wie im Traume, ohne zu wissen wohin, nach dem Gebüsch zu, die Rolle aufgeschlagen in der Hand herabhängen lassend, der unfähigste Falkland und der rathloseste Mensch unter der Sonne!



Franks Weggang ließ die Familie sich selber wiederfinden und war daher das Zeichen zu einem Angriff auf Mr. Vanstone wegen seiner eingefleischten Lässigkeit in der Handhabung seiner väterlichen Machtvollkommenheit.



– Was konntest Du in aller Welt nur denken, Andreas, als Du Deine Einwilligung gabst? sagte Mrs. Vanstone. Offenbar war mein Schweigen Mahnung genug für Dich, Nein zu sagen.



– Ein Mißgriff, Mr. Vanstone, stimmte Miss Garth ein, gethan in der besten Absicht, aber trotz alledem ein Mißgriff.

 



– Es mag ein Mißgriff sein, sagte Nora, wie gewöhnlich ihres Vaters Partie ergreifend, aber ich sehe wirklich nicht ein, wie Papa oder ein Anderer an seiner Stelle unter Umständen wie diese hätte Nein sagen könnten.



– Ganz recht, meine Liebe, bemerkte Mr. Vanstone. Die Umstände, wie Du es nennst, waren verzweifelt zu meinem Nachtheil. Hier standen diese unglücklichen Leute in ihrer Verlegenheit auf der einen Seite und Magdalene, die vor Verlangen brannte zu spielen, auf der andern. Ich kann nicht sagen, ich hätte muckerische Gründe dawider, ich habe überhaupt nichts Muckerisches an mir. Was für andere Entschuldigungen sollte ich denn vorbringen? Die Marrables sind Leute von guter Familie und machen in Clifton das größte Haus. Was kann ihr denn Schlimmes bei ihnen widerfahren? Wenn Ihr doch Vernunft oder dergleichen annehmen wolltet, – warum soll nicht Magdalene thun können, was Miss Marrable thut? Seht Ihr, seht Ihr? Laßt die armen Dinger spielen und sich daran freuen, wir waren auch einmal in ihrem Alter, und es nutzt ja doch nichts, darüber Lärm zu machen —: das ist Alles, was ich Euch darüber zu sagen habe.



Mit dieser eigenthümlichen Vertheidigung seiner selbst schlenderte Mr. Vanstone wieder nach dem Gewächshause und rauchte noch eine Cigarre.



– Ich habe es dem Vater nur nicht sagen mögen, begann Nora, indem sie unterwegs nach dem Hause der Mutter Arm nahm, aber die schlimme Folge dieses Spielens wird meines Erachtens die Vertraulichkeit sein, welche dadurch zwischen Magdalenen und Francis Clare gefördert wird.



– Du hast ein Vorurtheil gegen Frank, meine Liebe, unterbrach sie Mrs. Vanstone.



Noras sanfte, schweigsame, hellbraune Augen senkten sich zu Boden: sie sagte nichts weiter. Ihre vorgefaßten Meinungen blieben unverändert; aber sie redete mit Niemand darüber. Sie hatte den großen Fehler einer verschlossenen Natur, den Fehler der Hartnäckigkeit und das große Verdienst, das Verdienst der Schweigsamkeit.



– Was geht dir wohl jetzt durch den Kopf? dachte Miss Garth, indem sie einen scharfen Blick aus Noras düsteres niedergeschlagenes Gesicht warf. Du bist eine von der unerforschlichen Art. Ich lobe mir Magdalene mit all ihren Schrullen, durch diese kann ich das Tageslicht hindurch sehen. Du aber bist undurchsichtig wie die Nacht!



– Die Nachmittagsstunden verstrichen, und noch blieb Magdalene in ihrem Zimmer eingeschlossen. Nicht mehr eilten unruhige Schritte über die Treppe, nicht mehr hörte man eine schnelle Zunge hier, da und aller Orten im Hause, von der Bodenkammer angefangen bis zur Küche herunter: das ganze Haus schien wie verwandelt, in derselben Weise wie sie selbst, das eine ewig unruhige Wesen in dem Familienstillleben, das so plötzlich daraus verschwunden war. Begierig, mit eigenen Augen sich von einer Umwandlung zu überzeugen, an welche zu glauben sie sich nach ihren früheren Erfahrungen nicht ohne Weiteres entschließen konnte, stieg Miss Garth zu Magdalenens Zimmer hinauf, pochte zwei Mal an die Thür, erhielt keine Antwort, öffnete und sah hinein.



Da saß Magdalene in einem Armsessel vor dem langen Spiegel, das ganze Haar aufgelöst um die Schultern. hängend; sie selbst ganz vertieft in das Studium ihrer Rolle und bequem in ihr Morgentuch eingehüllt, bis es Zeit war, sich für den Mittag anzukleiden. Und hinter ihr saß das Kammermädchen, langsam die langen schweren Locken ihrer jungen Herrin ausstrählend mit der schläfrigen Gelassenheit einer Magd, die bereits stundenlang zu diesem Amte verwendet worden ist. Die Sonne schien, und die grünen Fensterläden waren geschlossen. Das matte Licht fiel liebkosend auf die beiden sitzenden Gestalten, auf das kleine weiße Bett mit den Rosaschleifen, die dessen Vorhänge zusammenhielten, und das helle Kleid für die Mittagstafel, das quer darüber hin lag, auf das freundlich gemalte Badegeschirr mit seiner reinen Einfassung von weißem Email, auf das Toilettetischchen mit seinen funkelnden Nippsachen, seinen Krystallflaschen, seiner Silberglocke mit einem Amor als Griff, seinem Flitter von kleinen Luxusgegenständen, welche den Schrein eines Mädchenkämmerleins schmücken. Die prächtige Stille der Scene, in der Luft der kühlende Wohlgeruch von Blumen- und anderem Duft; die in sich versunkene Haltung Magdalenens, welche über ihr Buch Alles um sich her vergaß; die einförmige Regelmäßigkeit der Bewegung in des Mädchens Hand und Arm, wie sie leicht den Kamm durch das Haar ihrer Herrin zog und wieder zog —: Alles machte denselben milden Eindruck einer süß behaglichen, müßigen Ruhe. Auf der einen Seite der Thür waren das breite, volle Ta

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