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Die Blinde

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Elftes Kapitel.
Blinde Liebe

Lucilla saß, als ich ins Wohnzimmer trat, am Clavier.

»Ich habe mich nach Ihnen gesehnt,« sagte sie. »Ich habe das ganze Haus nach Ihnen durchsuchen lassen. Wo sind Sie gewesen?«

Ich sagte ihr, wo ich gewesen sei.

Mit einem Schrei des Entzückens sprang sie auf.

»Sie haben ihn dahin gebracht, Ihnen sein Vertrauen zu schenken; Sie haben alles herausgebracht;: Sie haben zwar nur gesagt: »Ich bin in Browndown gewesen,« aber ich habe es an Ihrer Stimme gehört, daß Sie Alles wissen. Heraus damit,heraus damit!«

Ich erzählte ihr nun, während Sie regungslos dastand und kaum zu athmen wagte, Alles was zwischen Oscar und mir vorgegangen war. Kaum war ich mit meinem Berichte fertig, als sie hochroth und leidenschaftlich aufgeregt nach der Thür ihres Schlafzimmers eilte.

»Was wollen Sie thun?« fragte ich

»Ich will meinen Hut und meinen Stock holen «

»Wollen Sie ausgehen?«

»Ja.«

»Wohin?«

»Können Sie das noch fragen? Natürlich nach Browndown!«

Ich bat sie, einen Augenblick zu warten und mich erst anzuhören. Ich brauche wohl kaum hinzuzufügen, daß ich mit ihr zu reden wünschte; um ihr klar zu machen, daß es unschicklich für sie sein würde, an einem und demselben Tage einen ihr fremden Mann zum zweiten Male zu besuchen. Ich erklärte ihr unumwunden, daß eine solche Handlungsweise hinreichen würde, ihren Ruf in Gefahr zu bringen. Das Ergebniß meiner Einmischung war merkwürdig und höchst interessant; es zeigte mir, daß die Tugend der Bescheidenheit – ich rede wohlgemerkt nicht von der Tugend der Wohlanständigkeit – ein künstliches Gewächs ist und daß die Entwickelung dieser Tugend nicht durch den Einfluß der Rede, sondern durch den des Gefühles bewirkt wird. Man stelle sich vor, daß ich in der eben erwähnten Weise mit einem anderen zum ersten Male verliebten Mädchen spräche, was würde das Mädchen thun? Es würde sicherlich in eine unruhige Verwirrung gerathen und aller Wahrscheinlichkeit nach, während es mir zuhörte, lieblich erröthen. Aber Lucilla’s hübsches Gesicht zeigte nur einen Ausdruck, den der Enttäuschung, vielleicht untermischt mit etwas Erstaunen. Ich hielt sie schon damals für das, was sie, wie ich mich später überzeugte, wirklich war: das reinste Geschöpf, das die Erde jemals getragen hat. Und doch zeigte sich bei ihr keine Spur von der natürlichen und ein Mädchen so gut kleidenden Verwirrung, keine Spur von dem lieblichen, dem Weibe eigenen Wechseln der Farbe, das ich so sicher erwartet hatte, und dabei war sie, wohlgemerkt, von ungewöhnlich feinfühliger und impulsiver Natur, und sonst bei den geringfügigsten Anlässen sehr leicht erregt und immer bereit, ihrer Erregung Ausdruck zu geben. Was hatte das zu bedeuten? Es zeigte sich mir hier eine eigenthümliche Wirkung des schrecklichen Leidens, welches ihr Leben verdunkelte, und es bedeutete, daß Bescheidenheit wesentlich der Ausfluß unseres Bewußtseins davon ist, daß die Augen Anderer uns beobachten und daß Blindheit aus dem einfachen Grunde nie verschämt ist, weil sie – nicht sehen kann! Das bescheidenste Mädchen ist im Dunkeln kühner gegen ihren Geliebten. Ein Mädchen oder eine Frau, die zum ersten Male in einem Actsaale als Modell sitzen soll und sich vor dieser Schaustellung ihrer Reize entsetzt, läßt sich schließlich doch überreden, ein Künstleratelier zu betreten, wenn man ihr die Augen verbindet. Meine arme Lucilla hatte immer eine Binde vor den Augen, sie konnte ihren Geliebten nie sehen. Sie war mit den Leidenschaften eines Weibes aufgewachsen und hatte doch nie die Grenzen der furchtlosen und reinen Unschuld eines Kindes überschritten. O, wenn jemals einem Menschen ein heiliges Pfand anvertraut war, so mußte ich mich als den Hüter eines solchen Pfandes betrachten! Ich konnte es nicht ertragen, das arme hübsche blinde Gesicht nach meinen letzten Worten mit einem solchen Ausdruck der Unempfindlichkeit mir zugekehrt zu sehen Ich ergriff ihren Arm und zog sie aus meinen Schooß: »Liebes Kind,« sagte ich sehr ernst, »Sie dürfen heute nicht wieder zu ihm gehen.«

»Ich habe ihm aber so viel zu sagen,« antwortete sie ungeduldig. »Ich möchte ihm sagen, wie tief ich für ihn empfinde und wie sehr es mir am Herzen liegt, sein Leben, wenn es mir möglich ist, glücklicher zu gestalten.«

»Meine liebe Lucilla! Das dürfen Sie einem jungen Manne nicht sagen. Das wäre so gut, als wenn sie ihm geradeheraus erklärten, das sie ihn lieben!«

»Ich liebe ihn!«

»Still, still. Behalten Sie das für sich, bis Sie gewiß sind, daß er Ihre Liebe erwidert. Es gebührt dem Manne, mein Liebling, und nicht dem Weibe, bei solchen Gelegenheiten seine Gefühle zuerst zu offenbaren.«

»Das ist sehr hart für die Frauen. Wenn sie zuerst fühlen, sollten sie auch ihre Gefühle zuerst aus sprechen dürfen.« Sie schwieg einen Augenblick nachdenklich und sprang dann plötzlich von meinem Schooße auf, indem sie ungestüm rief: »Ich muß ihn sprechen. Ich muß ihm sagen, daß ich seine Geschichte gehört habe und daß ich darnach nicht schlechten sondern nur besser von ihm denke!«

Wieder wollte sie fort, « um ihren Hut zu holen. Meine einzige Hoffnung sie zurückzuhalten, beruhte auf der Möglichkeit, sie zu einem Compromiß zu bewegen.

»Schreiben Sie ihm ein Billet,« sagte ich, bedachte dann aber plötzlich, daß sie blind sei.

»Sie sollen mir dictiren,« fügte ich hinzu, »ich will für Sie schreiben. Begnügen Sie sich damit für heute um meinetwillen, Lucilla.

Das arme Kind gab mit einigem Widerstreben nach.

Aber sie weigerte sich eifersüchtig, mich für sie schreiben lassen.

»Mein erstes Billet an ihn muß ganz von mir geschrieben sein,« sagte sie, »ich kann schreiben auf meine eigene weitläufige Manier. Es dauert lange; und ist langweilig, aber es geht doch. Sehen Sie! einmal her.«

Sie ging mir voran an einen in einer Ecke des Zimmers stehenden Schreibtisch, setzte sich und hielt eine Weile nachdenklich die Feder in der Hand. Plötzlich übergoß ihr unwiderstehlich liebliches Lächeln wie ein Strom von Licht ihr Antlitz »O!« rief sie, »jetzt weiß ich, wie ich ihm sagen will, was ich denke «

Indem sie die von ihrer rechten Hand gehaltene Feder mit den Fingern der linken leitete, schrieb sie langsam in großen kindischen Lettern das Folgende:

»Lieber Herr Oscar, ich habe Alles über Sie er fahren. Bitte, schicken Sie mir die kleine goldene Vase.

Ihre Freundin Lucilla.«

Sie couvertirte und adressirte den Brief und klatschte vor Freude in die Hände »Er wird verstehen, was das zu bedeuten hat,« sagte sie fröhlich.

Es war vergebens, ihr zum zweiten Mal Vorstellungen zu machen. Ich klingelte, – natürlich unter Protest, denn was sollte man davon denken, daß sie ein Geschenk von einem Herrn annehmen wollte, welchen sie diesen Morgen zum ersten Mal gesprochen hatte, – und der Stallknecht wurde mit dem Brief nach Browndown geschickt. Indem ich diese Concession machte, sagte ich mir:

»Ich will Oscar schon im Zaum halten, er ist der lenksamere von Beiden!«

Die Zeit bis zur Rückkehr des Stallknechts war nicht leicht auszufüllen Ich schlug vor, etwas zu: musiciren; aber Lucilla war noch zu voll von der Angelegenheit, die ihr Interesse so ganz in Anspruch nahm. Plötzlich fiel es ihr ein, daß ihr Vater und ihre Stiefmutter beide davon unterrichtet werden müßten, daß Herr Dubourg vollkommen würdig sei, in dem Pfarrhause als Gast empfangen zu werden; sie beschloß, ihrem Vater zu schreiben.

Bei dieser Gelegenheit machte sie keine Schwierigkeit, mir zu dictiren und mich für sie schreiben zu lassen. Wir brachten zusammen einen enthusiastischen, etwas überschwänglichen Brief zu Stande. Ich war keineswegs sicher, daß wir damit dem ehrwürdigen Finch eine günstige Meinung von unserem neuen Nachbarn beibringen würden. Indessen das war nicht meine Sache. Ich erschien bei dieser Angelegenheit in einem sehr günstigen Lichte, als die besonnene fremde Dame, welche darauf bestanden hatte, Nachforschungen anzustellen. Ueberdies war es für mich eine Ehrensache, in einem Briefe, den ich für eine Blinde schrieb, an dem, was mir dictirt wurde, kein Wort zu ändern. Als der Brief fertig war, schrieb ich die Adresse des Hauses in Brighton, in welchem sich Herr Finch damals gerade aufhielt und wollte eben das Couvert schließen, als mich Lucilla zurückhielt.

»Warten Sie einen Augenblick,« sagte sie, »schließen Sie den Brief noch nicht.«

Ich begriff nicht recht, warum ich das Couvert noch offen lassen sollte und warum Lucilla ein wenig verlegen aussah, als sie mir untersagte, den Brief zu schließen, Ich erhielt bald einen neuen unerwarteten Aufschluß über den Einfluß, den Blindheit auf die von ihr Betroffenen übt. – Nachdem wir miteinander Rath gehalten hatten, waren wir übereingekommen, daß ich Frau Finch von der Aufklärung des Geheimnisses in Browndown benachrichtigen solle. Lucilla gestand offen, daß sie keinen besonderen Geschmack an der Gesellschaft ihrer Stiefmutter finde, und ebenso wenig an der jedem sich lange bei dieser fruchtbaren Dame Aufhaltenden, unvermeidlich obliegenden Verpflichtung, ihr Schnupftuch aufzuheben oder ihr Baby zu halten. Ich erhielt einen Schlüssel zu der Verbindungsthür zwischen den beiden Theilen des Hauses und ging fort. Ehe ich meinen Auftrag ausrichtete, ging ich einen Augenblick in mein Schlafzimmer, um meinen Hut und meinen Sonnenschirm wegzulegen. Als ich wieder an der Thür des Wohnzimmers vorüberkam, fand ich, daß dieselbe von Jemandem, der das Zimmer nach mir betreten hatte angelehnt gelassen war und hörte ich Lucilla sagen: »Nimm den Brief aus dem Couvert und lies ihn mir vor.«

Ich ging weiter über den Corridor an der Thür vorüber, sehr langsam, wie ich bekennen muß, und hörte, wie die alte Amme Lucilla die ersten Sätze des Briefes, den ich unter ihrem Dictat geschrieben hatte, laut vorlas. Der unüberwindliche Argwohn der Blinden, welche, in fortwährendem Mißtrauen gegen die Personen um sie her, immer fürchten, von einem der Glücklichen, die sehen können betrogen zu werden, hatte Lucilla getrieben, mich, selbst in einer so geringfügigen Angelegenheit, wie dieser Brief es war, hinter meinem Rücken aus die Probe zu stellen. Sie bediente sich Zillahs Augen, um sich zu vergewissern, daß ich wirklich Alles, was sie dictirt hatte, geschrieben habe, gerade wie sie sich bei vielen späteren Gelegenheiten meiner Augen bediente, um sich zu vergewissern, daß Zillah Aufträge zu häuslichen Besorgungen pünktlich ausgeführt habe. Keine noch so lange Erfahrung von der treuen Ergebenheit derer, welche mit ihnen leben, beruhigt die Blinden ganz.

 

Wie traurig muß es sein, in ewiger Finsterniß zu leben!

In dem Augenblick, wo ich die Verbindungsthür öffnete, war es, als hätte ich gleichzeitig alle Thüren der Schlafzimmer im Pfarrhause geöffnet.

Kaum hatte ich den Vorplatz betreten, als die Kinder aus einem Zimmer nach dem anderen wie Kaninchen aus ihren Höhlen hervor huschten.

»Wo ist Eure Mama?« fragte ich.

Die Kaninchen antworteten mir mit einem allgemeinen Gekreisch und huschten wieder in ihre Höhlen zurück.

Ich ging die Treppe hinunter, um mein Glück im Erdgeschoß zu versuchen. Aus dem Fenster des Treppenabsatzes hatte man eine Aussicht auf den Vordergarten. Ich sah hinaus und erblickte unsere kleine Zigeunerin, die pausbackige Jicks, ganz allein im Garten umherstreifen, offenbar um die nächste Gelegenheit zu erspähen, wo sie sich ungesehen davonmachen könnte.

Dieses merkwürdige kleine Geschöpf machte sich nichts aus der Gesellschaft der andern Kinder. Zu Hause pflegte sie nachdenklich in einer Ecke des Zimmers zu sitzen und ihre Mahlzeiten, wenn irgend möglich, auf dem Fußboden zu nehmen. Außerhalb des Hauses streifte sie umher bis ihre Kräfte erschöpft waren, und legte sich dann wie ein kleines Thier an die erste beste Stelle zum Schlafen. Sie blickte zufällig auf, während ich am Fenster stand. Als sie meiner ansichtig wurde, deutete sie mit der Hand nach der Pforte des Pfarrhauses. »Was giebts?« fragte ich. Die kleine Zigeunerin antwortete: »Jicks will da hinaus.«

In demselben Augenblick benachrichtigte mich das Geschrei eines Baby von unten her, daß ich mich in nächster Nähe von Frau Finch befinde. Ich ging dem Geschrei nach, bis ich an die Schwelle einer offenstehen den großen Speisekammer am äußersten Ende des Vorplatzes gelangte. In der Mitte der Kammer saß Frau Finch, damit beschäftigt, der Köchin Haushaltsgegenstände zu verabreichen. Dieses Mal war sie mit einem Unterrock begleitet und in einen Shawl gehüllt, und hatte das Baby und den Roman, flach auf dem Rücken liegend, auf dem Schoß.

»Acht Pfund Seife? Ich möchte wohl wissen, wo das Alles bleibt!« stöhnte Frau Finch unter dem Accompagnement des schreienden Baby’s. »Fünf Pfund Soda für das Waschhaus? Man sollte glauben, wir besorgten die Wäsche für das ganze Dorf. Sechs Pfund Lichte? Sie müssen die Lichte essen wie die Russen; wer hat je gehört, daß man sechs Pfund Lichte in einer Woche verbrennt? Zehn Pfund Zucker? Wer bekommt denn all’ den Zucker? Ich nehme nie Zucker, ich bekomme das ganze Jahr keinen Zucker zu kosten. Vergeudung, nichts als Vergeudung!« Bei diesen Worten blickte Frau Finch nach der Thür und wurde meiner ansichtig. »O, Madame Pratolungo! Wie geht es Ihnen? Gehen Sie nicht fort; ich bin gerade fertig. Eine Flasche Wichse? Meine Schuhe sehen ja aus, daß es eine Schmach für das ganze Haus ist. Fünf Pfund Reis? Wenn ich indische Dienstboten hätte, würden fünf Pfund Reis ein Jahr lang für dieselben ausreichen. Hier, bringen Sie die Sachen nach der Küche. Entschuldigen Sie meinen Anzug, Madame Pratolungo. Wie soll ich mich anziehen, bei Allem was ich zu thun habe? Wie sagen Sie? Meine Zeit muß sehr in Anspruch genommen sein? Ach, das ist es ja gerade! Wenn man des Morgens eine halbe Stunde verloren hat und sie nicht wieder einbringen kann, nicht zu gedenken des Ausgebens in der Speisekammer und des Verspätens des Mittagessens für die Kinder und des verdrießlichen Baby’s, so zieht man rasch einen Unterrock an, wirft sich einen Shawl über und läßt die Dinge gehen wie sie gehen wollen. Wo mag nur mein Schnupftuch geblieben sein? Hatten Sie wohl die Güte, zwischen den Flaschen hinter Ihnen nachzusehen? O, hier ist es schon; das Baby liegt darauf. Darf ich Sie bitten, mir das Buch einen Augenblick zu halten? Ich glaube das Baby wird ruhiger sein, wenn ich es anders herumliege.«

Bei diesen Worten legte Frau Finch das Baby auf den Bauch und klopfte es weidlich auf den Rücken Aber der nicht zu beschwichtigende Säugling schrie nur um so lauter. Seine Mutter schien dieses Geschrei durchaus nicht zu rühren. Die resignirte häusliche Märtyrerin blickte ruhig zu mir auf, während ich, den Roman in der Hand, fassungslos vor ihr stand.

»O, das ist eine sehr interessante Geschichte,« fuhr sie fort. »Es kommt natürlich sehr viel Liebe darin vor. Sie kommen deshalb her, nicht wahr? Ich erinnere mich, ich versprach gestern, Ihnen das Buch zu leihen.«

Noch ehe ich antworten konnte erschien die Köchin, wieder, um sich noch weitere Haushaltungsgegenstände zu holen. Frau Finch wiederholte die Forderungen der Köchin eine nach der anderen in Tönen der Verzweiflung.

»Noch eine Flasche Essig? Ich glaube Sie begießen den Garten mit Essig. Noch mehr Stärke? Ich bin überzeugt, daß bei der Wäsche der Königin nicht so viel Stärke wie bei uns verbraucht wird. Sandpapier? Sandpapier wird in diesem verschwenderischen Hause wie Makulatur behandelt. Ich werde es dem Herrn sagen. Wenn es so fortgeht, kann ich wahrhaftig nicht mit meinem Hausstandsgelde auskommen. Gehen Sie nicht fort, Madame Pratolungo, ich werde gleich fertig sein. Wie, Sie müssen fort? O, dann legen Sie, bitte das Buch wieder auf meinen Schoß und werfen Sie doch einmal einen Blick hinter jenen Sack; der erste Band ist heute Morgen da hinuntergefallen und ich habe noch keine Zeit gehabt, ihn wieder aufzuheben. – Sandpapier? Meinen Sie, ich könnte Sandpapier hexen? Haben Sie den ersten Band gefunden? Ach, da ist er! Ganz mit Mehl bedeckt; der Sack wird wohl ein Loch haben. – Zwölf Bogen Sandpapier in einer Woche gebraucht! Wozu? Ich möchte doch wohl wissen wozu? Vergeudung, schmähliche, sündhafte Vergeudung!«

In diesem Stadium von Frau Finchs Gejammer machte ich mich mit dem Buche davon und verschob die Mittheilung in Betreff Oscar Dubourgs auf eine passendere Gelegenheit. Die letzten Worte, die ich beim Hinausgehen noch durch das Geschrei des Baby hindurch vernahm, betrafen noch immer den verschwenderischen Verbrauch von Sandpapier. Vergießen wir eine Thräne über Frau Finchs Leiden und überlassen wir sie ihren Jeremiaden über häusliche Verschwendung in der duftigen Atmosphäre ihrer Speisekammer.

Ich hatte eben Lucilla über das Fehlschlagen meiner Expedition nach dem Vorderhause berichtet, als der Stallknecht mit der goldenen Vase und einem Briefe zurückkehrte. Oscar’s Antwort war nach dem Vorbilde von Lucillas Billet geflissentlich kurz gefaßt. »Sie haben mich wieder zu einem glücklichen Menschen gemacht. Wann darf ich der Vase folgen?« Diese beiden Sätze bildeten den ganzen Brief.

Zu einer zweiten Discussion mit Lucilla gab die Frage Veranlassung, ob es schicklich sei, daß wir Oscar in Abwesenheit des Ehrwürdigen Finch empfingen. Alles was ich erreichen konnte, war, daß ich sie über redete zu warten, bis sie wenigstens von ihrem Vater gehört haben werde, wogegen ich mich bereit erklären mußte, am nächsten Morgen wieder in der Richtung nach Browndown mit ihr spazieren zu gehen. Durch diese neue Concession gelang es mir, sie zu beruhigen.

Sie hatte sein Geschenk empfangen, sie hatte Briefe mit ihm gewechselt; das war für den Augenblick genug, um sie zu befriedigen.

»Glauben Sie, daß er auf dem Wege ist, sich in mich zu verlieben?« fragte sie mich, ehe sie sich mit ihrer goldenen Vase ins Bett legte, grade wie sie als Kind ein neues Spielzeug mit sich ins Bett genommen haben würde. »Lassen Sie ihm Zeit, liebes Kind,« antwortete ich. »Nicht Jedem ist es gegeben, in einer so ernsten Angelegenheit wie diese so rasch vorzugehen wie Ihnen.« Mein Scherz übte keine Wirkung auf sie. »Nehmen Sie die Kerze fort,« sagte sie. »Ich bedarf ihrer nicht, ich kann ihn mit meinem inneren Auge sehen.« Sie legte sich bequem auf ihrem Kissen zurecht und klopfte mir mit neckischem Trotz auf die Wange, als ich mich über sie beugte. »Gestehen Sie nur, daß ich jetzt gegen Sie im Vortheil bin,« sagte sie. »Sie können im Dunkeln nicht ohne Ihre Kerze sehen; ich könnte in diesem Augenblick durch das ganze Haus gehen, ohne einen einzigen Fehltritt zu thun.«

Ich glaube aufrichtig, an jenem Abend war das »arme Fräulein Finch« das glücklichste Mädchen der Welt!

Zwölftes Kapitel.
Ein häuslicher Aufruhr nöthigte uns am nächsten Morgen, unsern beabsichtigten Spaziergang nach Browndown einige Stunden aufzuschieben

Die alte Amme Zillah war während der Nacht krank geworden; die Mittel, die wir zur Hand hatten, gewährten ihr so wenig Erleichterung, daß wir am Morgen zum Arzt schicken mußten, der in einiger Entfernung von Dimchurch wohnte. Da dieser die erforderliche Medicin erst von seiner Wohnung holen lassen mußte, wurde es fast ein Uhr Nachmittags, bevor die verordneten Mittel ihre Wirkung thaten und die Amme sich hinlänglich erholt hatte, um uns zu ermöglichen, sie der Pflege der Magd zu überlassen.

Wir hatten die nöthige Toilette für unsern Spaziergang gemacht, wobei natürlich Lucilla viel früher fertig war als ich, und waren eben an der Gartenpforte angelangt als wir von jenseits der Gartenmauer her eine sonore Baßstimme sagen hörten: »Glauben Sie mir, mein werther Herr, die Sache hat nicht die mindeste Schwierigkeit. Ich brauche nur eine Anweisung an meine Banquiers nach Brighton zu schicken.«

Lucilla fuhr zusammen und faßte mich am Arm.

»Mein Vater!« rief sie mit dem Ausdruck des höchsten Erstaunens aus. »Mit wem spricht er?«

Ich hatte den Schlüssel zur Gartenpforte bei mir. »Was für eine prächtige Stimme Ihr Vater hat,« sagte ich, während ich den Schlüssel aus der Tasche nahm und die Pforte öffnete. Vor uns standen Arm in Arm, als hätten sie sich von Jugend auf gekannt Lucilla’s Vater und Oscar Dubourg. Der Ehrwürdige Finch eröffnete die Verhandlungen, indem er seine Tochter zärtlich umarmte, mit den Worten:

»Mein liebes Kind, Deinen sehr interessanten Brief erhielt ich diesen Morgen. Sobald ich ihn gelesen hatte, fühlte ich, daß ich gegen Herrn Dubourg eine Pflicht zu erfüllen habe. Als Pfarrer von Dimchurch lag es mir erklärlich ob, einen bekümmerten Bruder zu trösten. Ich fühlte in der That, wenn ich so sagen darf, ein Verlangen, die Hand der Freundschaft diesem schwer geprüften Manne darzureichen. Ich borgte mir den Wagen meines Freundes und fuhr direct hierher. Wir haben eine lange und herzliche Unterhaltung mit einander gehabt; ich habe Herrn Dubourg mit hergebracht; er muß zu uns gehören. Mein liebes Kind, Herr Dubourg muß zu uns gehören. Laß mich Dich vorstellen. Meine älteste Tochter, Herr Dubourg!«

Er vollzog die Ceremonie der Vorstellung mit so unterschütterlichem Ernst als glaube er wirklich, daß seine Tochter und Oscar sich jetzt zum ersten Male sähen. In meinem Leben hatte ich keinen gemeiner aussehenden Menschen gesehen als diesen Pfarrer. Er reichte mir kaum bis an die Schulter und war von einer so jammervollen Magerkeit daß er aussah wie eine Personification des Hungers. Er hätte sich nur in Lumpen zu kleiden gebraucht um in den Straßen London’s sein Glück zu machen; sein Gesicht war ganz mit Pockennarben bedeckt; sein kurzes häßliches Haar stand steif und gerade in die Höhe, wie die Haare eines Besens. Seine kleinen weißlich grauen Augen hatten einen unruhigem inquisitorischen hungrigen Blick, der etwas unbeschreiblich Irritirendes und Unbehagliches hatte. Sein einziger äußerer Vorzug war seine herrliche Baßstimme, die aber zu der ganzen Erscheinung des Mannes durchaus nicht paßte. Bis man sich an den Contrast gewohnte, hatte es etwas fast Unerträgliches, diese vollen, prächtigen tiefen Töne aus dem schmächtigen kleinen Körper herauskommen zu hören. Das berühmte lateinische Wort enthält eine bessere Schilderung des Ehrwürdigen Finch, als ich sie zu geben im Stande bin; er war in Wahrheit: Nichts als Stimme »Madame Pratolungo, nicht wahr?« fuhr er fort, in dem er sich zu mir wandte. »Es freut mich ungemein, die Bekanntschaft der umsichtigen Gesellschafterin und Freundin meiner Tochter zu machen. Sie müssen zu uns gehören, wie Herr Dubourg. Erlauben Sie mir, Sie mit Herrn Dubourg bekannt zu machen: Madame Pratolungo, Herr Dubourg. Dies ist der ältere Theil des Pfarrhauses, mein werther Herr Dubourg. Wir haben ihn wieder in Stand setzen lassen, es war, – wie lange ist es doch her? – richtig, es war gerade nach der vorletzten Entbindung meiner Frau.« (Ich merkte bald daß Herr Finch die Zeit immer nach den Entbindungen seiner Frau berechnete). »Sie wer den den Bau im Innern sehr merkwürdig und interessant finden. Lucilla, mein Kind! Es hat der Vorsehung gefallen, mein werther Herr Dubourg, meiner Tochter das Augenlicht zu versagen. Unerforschliche Vorsehung! – Lucilla, wir sind hier an dem Theil des Hauses, der Dir gehört; reiche Herrn Dubourg den Arm und geht voran. Mache die Honneurs des Hauses, mein Kind. Madame Pratolungo, erlauben Sie, daß ich Ihnen meinen Arm reiche. Ich bedaure, daß ich bei Ihrer Ankunft nicht anwesend war, um Sie im Pfarrhause zu bewillkommnen; betrachten Sie sich, ich bitte recht sehr darum, als ganz zu uns gehörig.«

 

Er stand still und stimmte sein gewaltiges Organ zu einem vertraulichen Gemurmel herab: »Ein herrlicher Mensch dieser Herr Dubourg, ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr er mir gefällt; und welch eine traurige Geschichte. Verkehren Sie fleißig mit Herrn Dubourg, meine liebe Pratolungo; mir zu Gefallen, verkehren Sie fleißig mit Herrn Dubourg.«

Er sagte das mit dem Ausdruck der tiefsten Besorgniß; noch mehr, er bekräftigte es durch einen zärtlichen Druck meiner Hand. Ich habe meiner Zeit viele verwegene Menschen kennen gelernt; aber die Verwegenheit des Ehrwürdigen Finch, welcher die Stirn hatte, sich uns gegenüber beharrlich zu stellen, als ob er unsern Nachbar entdeckt habe, und als ob Lucilla und ich völlig unfähig seien, ohne seinen Beistand Oscar zu verstehen und zu würdigen, übertraf Alles, was ich in dieser Art je erlebt hatte. Ich fragte mich, was sein für Lucilla und mich gleich unerwartetes Benehmen zu bedeuten haben möge. Das, was ich durch seine Tochter über seinen Charakter erfahren hatte, in Verbindung mit dem, was wir ihn außerhalb der Gartenmauer hatten sagen hören, ließ mich vermuthen, daß der Schlüssel zu seinem Benehmen in einem Geldinteresse liege.

Wir ließen uns im Wohnzimmer nieder. Der einzige unter uns, der sich ganz behaglich zu fühlen schien, war Herr Finch. Er ließ seine Tochter und seinen Gast keinen Augenblick allein. »Mein liebes Kind, zeige Herrn Dubourg dies, zeige Herrn Dubourg das. Meine Tochter besitzt dies, meine Tochter besitzt das;« so ging es eine Weile fort. Oscar schien durch die überwältigenden Aufmerksamkeiten seines neuen Freundes ein wenig erschreckt zu sein. Lucilla war, wie ich sehen konnte, innerlich aufgebracht daß sie im Aufträge ihres Vaters Oscar Aufmerksamkeiten erweisen mußte, die sie ihm gern aus freien Stücken erwiesen hätte.

Was mich betrifft, so fing ich bereits an, der patronisirenden Höflichkeit des kleinen Pfaffen mit der mächtigen Stimme überdrüssig zu werden und wir fühlten uns alle erleichtert als eine Botschaft von Frau Finch eintraf, welche ihren Gatten ersuchen ließ sofort in den vorderen Theil des Pfarrhauses zu ihr zu kommen, um eine häusliche Angelegenheit mit ihr zu besprechen. Gezwungen, uns zu verlassen, hielt der Ehrwürdige Finch seine Abschiedsrede. Indem er Oscars Hand mit einer Art von väterlicher Zärtlichkeit in seinen beiden Hände nahm, sprach er mit einer so volltönenden Herzlichkeit daß die Glas- und Porzellansachen auf Lucilla’s Nipptisch durch seine brausenden Baßtöne in Schwingungen versetzt wurden.

»Trinken Sie doch Thee bei uns, mein werther Herr; ohne Umstände heute Abend um sechs Uhr. Wir müssen versuchen, Sie durch fröhliche Gesellschaft und ein wenig Musik aufzuheitern Lucilla, mein liebes Kind, Du wirst Herrn Dubourg etwas vorspielen, nicht wahr? Und Madame Pratolungo wird es, wenn ich Sie darum bitte gewiß auch thun; wir werden es verstehen, selbst unser stilles Dimchurch für unseren Nachbar angenehm zu machen. Wie sagt der Dichter: »Das Glück ist nicht an einen Ort gebunden; denn nirgends wird es oder überall gefunden.« Wie erhebend und wie wahr! Auf Wiedersehen!«

Glas und Porzellan hörten aus zu klirren; die kleinen dürren Beine des Herrn Finch trugen ihn zum Zimmer hinaus.

Kaum hatte er den Rücken gewendet, als Lucilla und ich Oscar mit derselben Frage bestürmten. Was war der Inhalt seiner Unterredung mit dem Pfarrer gewesen? Die Männer sind alle gleich unfähig, die Fragen der Frauen genügend zu beantworten, wenn es sich bei diesen Fragen um kleine Einzelheiten handelt. Eine Frau an Oscar’s Stelle würde im Stande gewesen sein, uns nicht nur die ganze Unterhaltung mit dem Pfarrer, sondern jeden noch so geringfügigen Umstand, welcher dieselbe begleitete, zu berichten. Aus unserem unzulänglichen Gewährsmann aber konnten wir nur die allgemeinsten Umrisse der Unterhaltung herausbringen. Das Coloriren und Ausfüllen dieser Umrisse blieb uns selbst überlassen.

Oscar bekannte, daß er dem Pfarrer in seiner Dankbarkeit für den freundlichen Besuch und die bewiesene Theilnahme sein ganzes Herz eröffnet und diesen ehrenwerthen Geistlichen, der ein vortrefflicher Geschäftsmann zu sein scheinte, vollständig au fait über seine Angelegenheiten gesetzt habe. Zum Dank dafür hatte der ehrenwerthe Finch sich auch seinerseits in der offensten Weise ausgesprochen. Er hatte ein trauriges Bild von der armseligen Lage Dimchurchs als Pfründe entworfen und hatte in so beweglichen Ausdrücken von dem verfallenen Zustande der alten und interessanten Kirche gesprochen, daß der einfältige Oscar von innigster Theilnahme ergriffen, auf der Stelle in der Gestalt einer Anweisung einen Beitrag zu dem Fonds;für die Reparatur des alten Thurmes geleistet hatte. Sie waren eben noch mit dem Thurm und dem Beitrag beschäftigt gewesen, als wir die Gartenpforte öffneten und sie hineinließen. Nun begriff ich die Handlungsweise unseres ehrwürdigen Freundes; es war klar, daß der Pfarrer sich über die finanziellen Verhältnisse Oscar’s etwas näher hatte unterrichten wollen und daß er sich jetzt für überzeugt hielt, es würde, wenn er die beiden jungen Leute zu einem lebhaften Verkehr ermuntere, um mich seines eigenen Ausdruckes zu bedienen, »vielleicht zu Gelde führen«. Er hatte nach meiner Ueberzeugung den Kirchthurm nur als Fühler vorausgesandt, um seiner Zeit einen Angriff von mehr persönlicher Natur auf Oscar’s wohl gefüllte Börse folgen zu lassen. Noch mehr, er war nach meiner Ansicht scharfsichtig genug, um nach dem Ergebniß der Sondirung des Charakters seines jungen Freundes vorauszusehen, daß er von einer dauernden Verbindung Oscar’s mit seiner Tochter keine Verminderung, sondern eine Vermehrung seiner Einnahme zu gewärtigen habe.

Ob Lucilla auch ihrerseits zu demselben Schlusse gelangte, darüber wage ich mich nicht positiv auszusprechen. Ich kann nur berichten, daß sich auf ihren Zügen eine große Unbehaglichkeit malte, als uns die erwähnten Thatsachen mitgetheilt wurden und daß sie die erste Gelegenheit wahrnahm, um der Unterhaltung über ihren Vater ein Ende zu machen.

Was Oscar anlangt, so genügte es ihm, daß er sich seinen Platz als Freund des Hauses gesichert hatte. Er verabschiedete sich von uns in der besten Stimmung. Ich beobachtete ihn und Lucilla scharf, als sie einander Adieu sagten. Ich sah deutlich, wie sie ihm die Hand drückte. Bei der Geschwindigkeit, mit der die Dinge sich bis dahin gestaltet hatten, fragte ich mich, ob der Ehrwürdige Finch wohl beim Thee in seiner Amtstracht erscheinen und seinen schwer geprüften jungen Freund und seine Tochter zwischen der ersten und zweiten Tasse Thee trauen werde!

Bei unserer abendlichen Zusammenkunft fiel in dessen nichts Bemerkenswerthes vor.

Nur das muß ich noch erwähnen, daß Lucilla und ich beide zu Ehren der Gelegenheit sehr elegant gekleidet waren, wobei Frau Finch eine vortreffliche Folie für uns abgab.

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