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Die heidnischen Wurzeln in Europa
Die großen kulturellen und sprachlichen Wanderungsbewegungen der Indogermanen, die um 4000 v.u. Z. begannen, enthüllen anschaulich die wahre Wurzel der „westlichen“ Kultur. Die kulturellen Wurzeln der Völker, die später keltische, italische, germanische, slawische oder hellenische (griechische) Sprachen sprechen, liegen wahrscheinlich irgendwo nordöstlich des Schwarzen Meeres.1 Die nationalen Mythologien und religiös-philosophischen Systeme dieser Volksgruppen sind mit ihrem gemeinsamen Ursprung eng verknüpft. Ebenso belegen diese Wanderungsrouten den gemeinsamen Ursprung des westlichen Zweiges dieser Völkerfamilie mit einer östlichen Linie, der indoiranischen Tradition, die wir im zweiten Kapitel behandelt haben.
So wie sich die Philosophie des linkshändigen Pfades im Osten entwickelte, können wir gleichermaßen auch eine Entwicklung im Westen erwarten. In der Tat haben die philosophischen Grundlagen des linkshändigen Pfades im Westen scheinbar die gleiche Basis wie jene des rechtshändigen Pfades. In den nördlichen Teilen Europas waren diese anscheinend sogar vorherrschend.
Bei der indoeuropäischen Kosmologie ist wichtig zu bedenken, dass diese eine göttliche Ordnung voraussetzt, welche Teil einer höheren oder beständigeren Ebene der Realität ist, und dass die menschliche Ordnung eine Spiegelung der göttlichen darstellt. Die menschliche Seele, psyche, ist ein Geschenk der Götter, und die menschliche Gesellschaftsordnung spiegelt die Anordnung der verschiedenen Pantheons der Götter. Dieses ursprüngliche Verständnis wurde von Plato im „Westen“ zu einer sehr komplexen Philosophie weiterentwickelt – wie es auch in den Schulen der indischen Weisen geschehen ist, die im „Osten“ die Brahmanas und die Upanishaden hervorgebracht haben.
Die Geschichte ist voll von echten und scheinbaren Tragödien. Eine dieser Tragödien war die schleichende Aushöhlung und letztendliche Zerstörung der etablierten Formen der Religionssysteme in Europa durch den Einbruch einer „exotischen östlichen Religion“, die wir heute Christentum nennen. Über einen Zeitraum von dreizehn Jahrhunderten hinweg schafften die geistlichen Institutionen oder Kirchen, die angeblich auf den Lehren eines hingerichteten heiligen Mannes namens Jesus beruhen, die einheimischen religiösen und philosophischen Traditionen der europäischen Völker langsam ab und ersetzten sie durch eine internationale Institution. Diese Institution war geradezu besessen von einem dogmatischen Einheitsbegriff, wenn es um Fragen der „geistlichen“ Lehre ging.
Auf einer Landkarte der ideologischen Feldzüge der Kirche würde die Verbreitung des Christentums aus Städten in der Mittelmeerregion nordwärts und hinaus in die ländlichen Gebiete zeigen. Natürlich konnte die Kirche sich nicht überall absolut durchsetzen. Um erfolgreich zu sein, musste sie bei jedem Schritt auf ihrem Wege Kompromisse eingehen. Dazu war sie bereit, um im Gegenzug ihren ultimativen Preis durchzusetzen: die weltweite Etablierung.
Überall, wohin die Kirche vordrang, war eine ihrer Standardmethoden, die heimischen Götter zu Teufeln zu erklären, die alten Tempel und heiligen Haine zu zerstören und Kirchen an deren Stelle zu setzen. In Kapitel 4 werden wir auf den Christianisierungsprozess zurückkommen, doch zunächst wollen wir festhalten:
1. Die ältesten Wurzeln der europäischen und indoiranischen Kulturen sind identisch (indoeuropäisch).
2. Die gegenwärtig etablierte religiöse Kultur hat ihre Wurzeln auf fremdem Boden (im Mittleren Osten).
3. Der exotische Baum des Christentums konnte den heimischen Baum nur teilweise und nur oberflächlich verdrängen.
Was wir als „westliche Tradition“ bezeichnen, ist darum also überwiegend südlichen und nicht indoeuropäischen Ursprungs, während das, wovon man als „östlicher Tradition“ spricht, in Wahrheit gemeinsame Wurzeln mit der eigentlichen europäischen Kultur hat.
Wie dem auch immer sei – die „westliche Tradition“, so wie sie sich heute zeigt, ist eine Synthese (wenn auch eine heikle und unbequeme) aus tatsächlich europäischen und südlichen Traditionen, die sich aus den magischen nilomesopotamischen (ägyptischen und mesopotamischen) Kulturen ableiten. Darum müssen wir die Präsenz des linkshändigen Pfades auch in diesen Regionen untersuchen und als eine mögliche Wurzel der modernen Praxis in Erwägung ziehen.
Der linkshändige Pfad der Hellenen
Wohl keine andere Kultur der Weltgeschichte hat über einen längeren Zeitraum und über weitere Regionen einen größeren Einfluss ausgeübt als die hellenische. Von Norden kommend, drangen die hellenischen – oder griechischen – Stämme in der Zeit von ca. 1600 bis 1100 v.u. Z. bis zum südlichen Balkan, den italischen Halbinseln und den Inseln im östlichen Mittelmeer vor und ließen sich dort nieder. Die dort heimische (nichtindoeuropäische) Kultur, die sie bezwangen, war außergewöhnlich lebendig und kraftvoll. Ihr Mittelpunkt wird in der Insel Kreta gesehen. Die griechische Kultur des Homerischen Zeitalters (850 - 750 v.u. Z.) ist im Großen und Ganzen eine echte Synthese der hellenischen (indoeuropäischen) und der minoischen (alteuropäischen) Kulturen. Die überwiegend hellenischen kulturellen Eigenschaften sind synthetischer Art, verbunden mit einem Gefühl für Harmonie und Mäßigung.
Weil die Hellenen in hohem Maße eine Seefahrer- und Handelskultur waren, knüpften sie enge Kontakte mit Ägypten und anderen Kulturen des östlichen Mittelmeerraumes, zum Beispiel den Phöniziern. Doch welche kulturellen Elemente die Griechen auch von anderen Kulturen übernommen oder geborgt haben mögen – wie die Schrift (von den Phöniziern) und die Steinbaukunst (von den Minoern) –, eine Eigenschaft blieb durch und durch griechisch und indoeuropäisch, und das war ihr Idealismus. Ob in Indien oder Irland, in Rom oder Griechenland: die indoeuropäische Kosmologie – das Verständnis der Weltordnung – ist an die Lehre gekoppelt, dass diese Welt die materielle Reflexion einer anderen, wirklicheren Welt ist (zum Beispiel des Reiches der Götter und Göttinnen), über der eine wiederum noch realere Welt abstrakter Prinzipien aufscheint. In altgriechischen Begriffen drückt sich dies in der Dichotomie zwischen physis (Natur) und psychê (Seele) aus.
Dieser Idealismus (den letztendlich der Philosoph Platon kodifiziert hat), verbunden mit der griechischen Sprache und Schrift (die so bequem und leicht erlernbar war, dass auch einfache Seefahrer und Kaufleute damit umgehen konnten), erlaubte der hellenischen Kultur, nahezu alle Kulturen zu verändern, mit denen sie über längere Zeiträume in Berührung kam. Zur selben Zeit wurde dieser Idealismus von einer anderen Schule der griechischen Philosophie, den Epikureern, erstmals kritisiert.
Prometheus und Pandora
Die Ursprünge des Bösen und seine transformierende Wirkung auf die Menschheit
Die genaue Entstehungszeit des Mythos von Prometheus (dessen Name „der Vorausdenker“ bedeutet) ist unbekannt. Doch die Vorstellung von einer überpersönlichen – oder halbgöttlichen – Gestalt, die der Menschheit die geistige Fähigkeit gebracht habe, Dinge erkennen können, scheint eine allgemein indoeuropäische zu sein. Solch eine Gestalt würde normalerweise als Wohltäter der Menschheit gelten oder als ihr tatsächlicher Schöpfer (im geistigen Sinne). Eine Quelle aus dem vierten Jahrhundert (Pausanias 10.4.4) sagt sogar, Prometheus habe Menschen aus Ton geformt.2 Dies scheint ein dem Mittleren Osten entlehnter Mythos zu sein, der Prometheus mit Jehova identifiziert. Womöglich war es auch der Einfluss mittelöstlicher Vorstellungen vom „Übel“ der Erkenntnis, der die Griechen irgendwann dazu veranlasste, Prometheus zu einem Beispiel für den Ursprung des menschlichen Elends zu erklären.
Hesiods Theogonie (ca. 700 v.u. Z.) ist der älteste schriftliche Hinweis auf den Mythos von Prometheus. Hesiod porträtiert Prometheus als eine titanische (vorolympische) Wesenheit, die eine Spaltung zwischen Göttern und Menschen bewirkte, die bis dahin in friedlicher Eintracht miteinander gelebt hatten. Da Götter und Menschen im Guten auseinandergehen wollten, stiftete Prometheus ein Stieropfer, um ihren Pakt der Trennung und Unabhängigkeit von einander zu besiegeln. Es heißt, dieses Ritual wurde an einem Ort namens Mekone abgehalten. Nachdem er den Stier geschlachtet hatte, teilte Prometheus ihn in zwei Portionen: die eine bestand aus den Knochen, die andere aus dem Fleisch und den Innereien. Die Knochen bedeckte er mit Fett, so dass der Rauch, der von ihnen aufstieg, die Aufmerksamkeit Zeus’ erregte, des höchsten Gottes im Olymp. Ebenso wurde das Fleisch unter dem Fett des Stieres verborgen. Dem Olympier wurde angeboten, eine Wahl zu treffen, und er wählte die mit Fett bedeckten Knochen. Als Zeus die Wahrheit entdeckte, wurde er zornig auf Prometheus und die Menschen und entzog ihnen das heilige Feuer, das vermutlich zu dem gehörte, was Götter und Menschen zuvor miteinander geteilt hatten.
Diese Teilung des Stieres in genießbare Teile, die von den Menschen verzehrt wurden, und grundsätzlich ungenießbare, die mutmaßlich der Anteil der Götter waren, ist gängige indoeuropäische Praxis, und der Mythos versucht auf einer späteren Stufe, dies zu „erklären“.
Nach Hesiod antwortet Prometheus darauf, indem er das heilige Feuer vom Olymp stiehlt. In einem hohlen Fenchelstiel trägt er es zu den Menschen zurück. Und wieder will Zeus Prometheus und die Menschen bestrafen. Dieses Mal wird Prometheus an einen großen Felsen geschmiedet, zu dem täglich ein Adler kommt, um von seiner Leber zu essen. Um die Menschen zu bestrafen, sendet Zeus ihnen eine Frau – Pandora („die Allbeschenkte“) – aus deren Büchse alle Plagen der Menschheit ausströmen.
Hesiods Beschreibung von Prometheus ist zugegebenermaßen negativ, auch wenn die primitiven, vor Hesiods Zeit zurückliegenden Wurzeln des Mythos nicht so gewesen sein mögen. Alles in allem handelt der Mythos vom selbstbestimmten und unabhängigen Handeln unserer Spezies, von ihrem „Erwachsenwerden“. Solche Transformationsmythen beinhalten anscheinend immer die Rebellion gegen die Autorität. Zeus selbst war seinem Vater (Kronos) gegenüber nicht nur ungehorsam – er tötete ihn und errichtete durch seine Rebellion eine neue göttliche Ordnung. Hesiod weist sich durch die negative Haltung Prometheus’ Taten gegenüber als jemand aus, der sich nach „den guten alten Zeiten“ sehnt, bevor die Menschheit sich von ihrer göttlichen Herkunft abgetrennt oder unterschieden hatte. Der Glaube an eine göttliche Herkunft ist ebenfalls eine gemeinsame indoeuropäische Tradition.
Dennoch war bestand keine vollkommen negative Haltung gegenüber Prometheus. Dies geht aus einer späteren Version des Mythos hervor, die der attische Tragödiendichter Aischylos (525 - 456 v.u. Z.) präsentierte. Aischylos porträtiert Prometheus als einen tragischen Helden und Retter der Menschheit.
Aischylos schrieb ursprünglich anscheinend eine Prometheus-Trilogie, die aus drei Tragödien bestand, doch nur die erste davon, Der gefesselte Prometheus, ist erhalten. In dieser Version des Mythos verweigert Zeus den Menschen das heilige Feuer einfach, während er gleichzeitig darüber klagt, dass die Menschheit minderwertig und fehlerhaft sei. Zeus plant, die Menschheit zu vernichten und ein neues Geschlecht zu erschaffen. Prometheus widerspricht der Auslöschung der Menschheit und erklärt Zeus, dass die Menschen, um ihr Potential zu erfüllen, das göttliche Feuer benötigen. Zeus weigert sich, ihnen das Feuer zu überlassen, worauf Prometheus es vom Olymp stiehlt und dafür in derselben Weise, wie bei Hesiod beschrieben, bestraft wird. Während Hesiod den Abstieg der Menschheit nach einem „Goldenen Zeitalter“ betont, in dem sie von der Familie der Götter nicht geschieden war, betont Aischylos einen „Fortschrittsmythos“, in dem die menschliche Art beginnt, Bewusstsein zu entwickeln, nachdem sie mit dem Geschenk des göttlichen Feuers in Berührung gekommen ist.
Obwohl der Text von Aischylos’ letzter Tragödie verloren gegangen ist, wissen wir von Darstellungen, in denen Zeus Prometheus freilässt und ihm vergibt. Er tut dies im Grunde, weil sich die Vorhersage des „Vorausdenkers“, was das Potential der Menschheit im Zusammenhang mit dem Besitz der göttlichen Flamme betrifft, als richtig erwies – wobei der Umstand, dass Prometheus’ Mutter Themis ihm das Geheimnis von Zeus’ späterem Niedergang verraten hat, ebenfalls eine Rolle spielt.
Abb. 3.1. Prometheus gefesselt von Thomas Cole
Historisch betrachtet mag diese Versöhnung von Zeus und Prometheus dadurch Auftrieb erhalten haben, dass zu Aischylos’ Zeit – am Ende des Hellenischen Zeitalters – in Athen ein jährliches Fest zu Ehren Prometheus’ abgehalten wurde. Dieses Fest wurde anfangs zwar hauptsächlich von Handwerkern gefeiert, gewann zu Aischylos’ Zeit aber auch unter den Gebildeten an Popularität. Der Kult um diesen „Gott des Bösen“ wurde zu einem weit verbreiteten Phänomen.3 Es kann gut sein, dass die Geschichte von Zeus’ Vergebung eher ersonnen wurde, um für Zeus als einen Gott der Vergebung und Weisheit zu werben, als den Ruf des Prometheus zu rehabilitieren. Es heißt sogar, Zeus habe seinem Vater Kronos vergeben und ihn zum König des Elysiums gemacht.
Prometheus und der linkshändige Pfad
Für die Geschichte der Denkweise, die wir im Westen als linkshändigen Pfad bezeichnen, kann die Bedeutung des Mythos von Prometheus nicht hoch genug eingeschätzt werden. In diesem Mythos haben wir die vielleicht älteste westliche Darstellung in der Geschichte der Menschheit, in der der Überbringer des Geschenks des göttlichen Licht oder Feuers als Schurke dargestellt wird. Der Umstand, dass er letztendlich wieder zu einem Helden aufgewertet wird, ist ebenso ein signifikantes westliches Phänomen, dem wir noch wiederholt begegnen werden. In Anbetracht dessen ist die Feststellung kurios, dass der amerikanische Pionier des modernen Satanismus, Anton LaVey, ein großer Bewunderer der Werke des Soziologen Orrin Klapp und seines Buches Heroes, Villains and Fools [Helden, Schurken und Narren] ist, in dem analysiert wird, wie sich moderne Figuren innerhalb dieser Kategorien in der öffentlichen Wahrnehmung verändert haben.
In der indoeuropäischen Metasprache der Mythen sind die ideologischen Muster des rechtshändigen und des linkshändigen Pfades – obwohl sie offen miteinander konkurrieren und um Bestätigung wetteifern – auf eine gewisse Art miteinander versöhnt und imstande, nebeneinander zu existieren. Dies steht in deutlichem Kontrast zur fanatischen Herangehensweise der Systeme des rechtshändigen Pfades mittelöstlichen (oder südlichen) Ursprungs, in welchen den „Teufeln“ niemals eine Vergebung oder positive Neubewertung zuteil wird.
Der Mythos von Prometheus veranschaulicht die geistige oder intellektuelle Anleitung durch eine Gestalt, die die Menschheit zu ihrem göttlichen Aspekt – dem Intellekt – geführt hat und deshalb der wahre Vater ihres Geistes ist. Prometheus fördert die Absonderung der Menschheit von den Göttern und schickt sie als Geschlecht auf eine heroische Suche, um ihre eigene göttliche Kraft zu entwickeln. So lange die Menschen mit den Göttern eng verbunden waren, konnten sie sich nicht im Einklang mit ihrem eigenen mystischen Weg weiterentwickeln. Prometheus zwang die Menschheit aus ihrem Nest im Olymp heraus und sorgte dafür, dass sie entweder fliegen lernen oder sich selbst zerstören würde. Doch kümmerte er sich auch darum, dass die Spezies mit der einen Sache ausgerüstet war, die für das Fliegen absolut notwendig war: mit dem heiligen Feuer der Götter. Der Mythos platziert den entfesselten Gebrauch des Intellekts – die göttliche Fähigkeit des Bewusstseins – deutlich in die kulturelle Hauptströmung einer Aristokratie des geistigen Verdienstes.
Die prometheische Mythologie hatte einen gewaltigen Einfluss auf den Verlauf der europäischen Kulturgeschichte. Seit Aischylos’ Zeit wurde die Gestalt des Lichtbringers, zumindest in gewissem Ausmaß, als tragischer Held betrachtet. Wahrscheinlich hat der Mythos das Leben gemarterter Philosophen, wie zum Beispiel Sokrates‘ und vielleicht auch des Jesus von Nazareth, stark mitgeprägt oder zumindest die literarischen Darstellungen über diese beeinflusst. Darüber hinaus ist interessant, dass Mary Shelley ihrem Schauerroman Frankenstein den Untertitel „Der moderne Prometheus“ gab, der eine komplexe Metapher (und sogar die Entstehung einer neuen Art von Mythologie) beinhaltet, die eine eigene Untersuchung wert ist.
Der linkshändige Pfad und die griechischen Mysterien
Die ganze Thematik der unterschiedlichen Mysteriensysteme – ihre Ursprünge, ihre Wechselbeziehungen, und besonders, was sie lehrten und wie sie es lehrten – bleibt, wie zu erwarten, mysteriös.4 Die initiatorische Funktion des Mysteriums (griech. Mysterion) ist in vielen religiösen oder magischen Systemen und Einweihungen kraftvoll und tiefgreifend, doch ihre volle Bedeutung ist bisher nicht aufgedeckt.5 Ebenso bleibt im Dunkeln, welche Aspekte der Mysterien dem rechtshändigen und welche dem linkshändigen Pfad zugerechnet wurden, doch hoffe ich, diese Frage etwas erhellen zu können.
Wie Nietzsche Jahrhunderte später ausführte, gab es in der hellenischen (und daraus folgernd in der indoeuropäischen) Kultur im Wesentlichen zwei geistige Vorgehensweisen: die dionysische und die apollinische. Natürlich besteht ein menschlicher, allzumenschlicher Drang, die eine mit dem Guten und die andere mit dem Bösen gleichzusetzen, doch ist dies stets kontraproduktiv. Tatsächlich kann jede philosophische Annäherung, die zur Erkenntnis führt, sowohl für die geistigen Ziele des rechtshändigen als auch für die des linkshändigen Pfades eingesetzt werden – und das Ideal ist vielleicht eine Synthese aus beiden.
Die dionysische Annäherung ist die der Orgia (Orgie), bei der sich das menschliche Bewusstsein mit dem göttlichen vereinigt, indem das alltägliche Bewusstsein soweit reduziert wird, dass das göttliche – oder „das andere“ – es subsumiert. Die dionysische spirituelle Technik nutzt Rhythmen (Trommeln, Tanz etc.), Drogen (z. B. Wein) und vielleicht auch Sex, um die normale Bewusstseinsschwelle mittels Überreizung der physischen Sinne zu senken und dadurch eine Vereinigung mit dem Göttlichen geschehen zu lassen.
Die apollinische Annäherung ist die der Katharsis (Reinigung), durch die das Bewusstsein geläutert wird und sich (mittels geistiger Disziplin und körperlicher Beschränkung) in solchem Maße von Unreinheiten entfernt, dass das Bewusstsein letztlich auf die göttliche Ebene erhoben wird. Die apollinische spirituelle Technik nutzt Verstand und körperliche Mäßigung (wie eine eingeschränkte Ernährung, Vegetarismus usw.), um mittels Unterdrückung der physischen Sinne die Bewusstseinsschwelle anzuheben und so der Seele die Vereinigung mit dem Göttlichen zu erlauben.
Orphismus oder die Orphischen Mysterien (nach dem Mythos von Orpheus benannt) verwenden beide Techniken, wobei anscheinend die apollinische überwiegt. Sowohl die orphische als auch die pythagoreische Mysterienschule – welche möglicherweise einen gemeinsamen Ursprung haben – praktizierten Vegetarismus. Was immer die historischen Ursprünge dieser Praxis waren, mythisch lässt sich ihre Spur zu jenem ersten Tieropfer zurückverfolgen, das Prometheus in Mekone darbrachte. Die gemeinschaftliche Beteiligung an solchen Opfern war geradezu eine Pflicht. In der indoeuropäischen Praxis wurde bei solchen Opferritualen ein Tier geschlachtet und dann mit den Göttern geteilt – die harten oder ungenießbaren Teile gingen an den Gott (oder die Götter), und die essbaren Teile wurden in einem Akt der Kommunion mit den Göttern von den Gläubigen verzehrt. Tiere wurden feierlich geschlachtet, wobei man darauf achtete, dem Tier so wenig Schmerz und Angst wie möglich zuzufügen, denn man glaubte, dass dem Tier ein göttliches Wesen innewohnt. Die Orphiker und Pythagoreer sahen im Verzehr von Fleisch als Zeichen der Präsenz des „titanischen“ (d. h. niederen oder unter-göttlichen) Elements im Menschentum und in der Praxis des Fleischessens eine Verstetigung dieses titanischen Elements. Ihre Ablehnung des Fleischverzehrs brachte auch die Absonderung von der Hauptströmung der hellenischen Gesellschaft mit sich. Sie wiesen die etablierten religiösen und gesellschaftlichen Praktiken ihrer Zeit zurück.6
Der Gesamtprozess der Initiation in diese Mysterien – die voraussetzten, dass der Mensch eine Mischung aus titanischer und göttlicher Natur ist, beinhaltete Läuterungen (katharmoi), gefolgt von Initiationsriten (teletai) und dem konstanten Führen eines „orphischen Lebens“. Mit diesen Methoden konnte man das titanische Element eliminieren und zu Bakkhos werden: „abgetrennt“ und in einer „göttlichen, dionysischen Verfassung“.7
Dieses Thema der „Abtrennung“ von der konventionellen gesellschaftlichen und der natürlichen kosmischen Ordnung ist eine Gemeinsamkeit mit dem linkshändigen Pfad. Eliade schlussfolgert, dass der Orphiker „in der Lage ist, sich selbst vom ‚dämonischen Element‘ freizumachen, das in jeglicher profanen Existenz sichtbar wird (Ignoranz, Fleisch, Ernährung etc.)“, und dass das letztendliche Ziel „die Absonderung des ‚Orphikers‘ von seinen Mitmenschen und schließlich die endgültige Trennung der Seele vom Kosmos“ ist.8 Dasselbe Thema wird auch in der Sethianischen Philosophie von Michael Aquino im Temple of Set hervorgehoben (siehe Kap. 10).
In den orphischen- oder Mysterientraditionen der Griechen gibt es auch einige ursprüngliche Beiträge zur Mythologie des rechtshändigen gegen den linkshändigen Pfad. Offenbar bezieht sich Platon auf mystische Traditionen, als er in seiner Politeia ausführt, dass die Toten auf zweierlei Wegen zum Gericht gelangen: die Gerechten „aufwärts zur Rechten durch den Himmel […], die Ungerechten waren dazu verdammt, den Weg abwärts zur Linken zu nehmen.“9 Dies ist keine literarische oder heuristische Erfindung des Philosophen, denn es gibt archäologische Belege in Gestalt von Grabkomplexen in Süditalien und auf Kreta, wo Gedenktafeln mit Inschriften gefunden wurden, die auf jene hinweisen, die „den Weg zur Rechten“ gehen, „zu den heiligen Feldern und dem Hain der Persephone.“10
In dieser orphischen Eschatologie scheint es so, dass die Guten und Gerechten den Pfad zur Rechten gehen und nicht wiedergeboren werden. Sie trinken vom Quellwasser der Mnemosyne (Erinnerung) und „herrschen mit den anderen Helden“. Doch die Verruchten müssen vom Quell trinken, der Lethe (Vergessen) genannt wird, so dass sie all ihre Erinnerungen an die Anderswelt verlieren, bevor sie sich in dieser Welt „zur Strafe“ reinkarnieren.11
Mit anderen Worten, es ging bei der orphischen Initiation für den Initianden darum, zu einem Gott – oder gottgleich – zu werden. In der Unterwelt wird dem orphischen Initianden gesagt: „O Glücklicher, o Glückseliger! Du bist ein Gott geworden, Mensch bist du gewesen.“12
Die Ansichten darüber, wie eine erstrebenswerte Existenz nach dem Tode aussehen sollte, veränderten sich über die Zeit hinweg. In der frühgeschichtlichen Phase sind die Guten und Tugendhaften anscheinend mit Wiedergeburt um Wiedergeburt auf der Welt belohnt worden, die als ein höchst erstrebenswerter Ort des Daseins galt. Dies lief auf eine irdische Unsterblichkeit in immer wieder verjüngten Körpern hinaus. Schließlich sollten diese tugendhaften Menschen zum Dienst bei den unsterblichen Göttern gerufen werden. Die Sündigen hingegen wurden in jenem frühen Stadium dieser Glaubensvorstellungen mit ewig währendem Tod oder Nichtexistenz „bestraft“. Später scheint es in einigen Kulturen (zum Beispiel bei den Griechen und Indern) eine Verschiebung der Vorstellungen vom Leben auf dieser Welt gegeben zu haben. In dieser späteren Phase besagte der Glaube, dass die Sündigen mit ständigen Wiedergeburtszyklen auf der Welt bestraft, die Tugendhaften hingegen mit einer ewigen Existenz unter den Göttern und Helden belohnt würden.
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