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Im dritten Band wird Hildegards Grammatikentwicklung während der ersten beiden Lebensjahre besprochen. Leopold (1949a, 179) hebt an mehreren Stellen hervor, dass Hildegard ein hybrides, aus Elementen beider Sprachen bestehendes System aufgebaut hat:

The fact, repeatedly emphasized, that Hildegard did not yet try to keep the two language instruments apart, but built a hybrid system out of elements of both, is brought out in spotlight illumination by certain instances, in which she replaced a word presented in one language by a word from the other in her own, immediately following reaction. This was, of course, always a word which happened to be current in her own speech. Passively she realized that she was faced with two languages, which contained interchangeable words of identical reference. This must be considered a preparatory stage for active bilingualism of a later time.

‚Die wiederholt unterstrichene Tatsache, dass Hildegard noch nicht versuchte, die beiden Sprachwerkzeuge zu trennen, sondern ein hybrides System aus Elementen beider aufbaute, tritt in bestimmten Fällen ans Tageslicht, in denen sie ein in einer Sprache präsentiertes Wort in ihrer unmittelbar darauf folgenden Reaktion durch eines der anderen ersetzte. Das war natürlich immer ein Wort, das in ihrem Sprechen gerade geläufig war. Passiv war sie sich bewusst, mit zwei Sprachen konfrontiert zu sein, die austauschbare Wörter mit identischer Bedeutung enthalten. Das muss als Vorbereitungsstadium für eine spätere aktive Bilingualität betrachtet werden.‘

Vielleicht noch deutlicher wird das in Leopold (1954, 24) formuliert:

[...] infants exposed to two languages from the beginning do not learn bilingually at first, but weld the double representation into one unified speech system.

‚Kinder, die von Anfang an mit zwei Sprachen konfrontiert sind, lernen zuerst nicht zweisprachig, sondern fügen die doppelte Repräsentation zu einem einzigen System zusammen.‘

In einer anderen Passage unterstreicht Leopold (1949a, 181) noch einmal den hybriden Charakter von Hildegards Wortschatz und Äußerungen:

As long as she got along with a vocabulary drawn from both languages, she had no hesitation to combine items from both in single statements of more than a word.

‚Solange sie mit einem aus beiden Sprachen gespeisten Wortschatz auskam, zögerte sie nicht, Elemente aus beiden in einzelnen Mehrwortäußerungen zu kombinieren.‘

Leopold (1949a, 186) ist der Meinung, dass man in diesem Stadium noch gar nicht von zwei verschiedenen Sprachen sprechen könne. Hier können wir einen wesentlichen Unterschied zu Ronjats (1913), freilich weniger detaillierten, Beobachtungen erkennen: Dieser geht davon aus, dass sein Sohn Louis von Beginn an zwei getrennte Sprachsysteme aufbaut.

Erst nach dem zweiten Jahr erkennt Hildegard, dass sie es mit zwei verschiedenen Sprachen zu tun hat. Kurz nach ihrem zweiten Geburtstag benennt sie zum ersten Mal eine der beiden Sprachen – Deutsch – mit ihrem Namen, während sie vorher nur implizit mit I say oder you say oder mit How does Mama say it? darauf verwies (Leopold 1954, 28).

Werner F. Leopold weist auch darauf hin, dass Zweisprachige früher zwischen einem Ausdruck, d. h. einer Folge von Lauten, und der damit transportierten Bedeutung unterscheiden können. Hildegard erkannte sehr schnell, dass Wörter nichts anderes als arbiträre Etiketten sind, die nur auf Bedeutungen hinweisen und diese nicht selbst darstellen: „Bilingualism, however, helps to break down the intimate association between form and content“ (Leopold 1949a, 182). ‚Zweisprachigkeit hilft jedoch, die enge Verbindung zwischen Form und Inhalt aufzulösen.‘

Das Wissen um diese fundamentale Eigenschaft von sprachlichen Zeichen ist ein Aspekt des metalinguistischen Bewusstseins. Wie wir sehen werden, ist die Frage des metalinguistischen Bewusstseins in der heutigen Forschung zum bilingualen Erstspracherwerb hochaktuell. Mit der oben erwähnten Beobachtung deckt sich auch die folgende bemerkenswerte Feststellung Leopolds (1949a, 187 f.):

Hildegard never clung to words, as monolingual children are often reported to do. She did not insist on the exact wording of fairy tales. She often reproduced even memorized materials with substitution of other words [...].

‚Hildegard hielt nie an Wörtern fest, wie das von einsprachigen Kindern oft erzählt wird. Sie bestand nicht auf der exakten Formulierung von Märchen. Oft ersetzte sie Wörter sogar beim Wiedererzählen von auswendig gelernten Passagen.‘

Die losere Verbindung zwischen Ausdruck und Bedeutung begünstigt die Aktivierung von Synonymen und Paraphrasen und führt dadurch zu einer gesteigerten Originalität von Hildegards Sprache. Damit widerspricht Werner F. Leopold einem damals verbreiteten Vorurteil bezüglich der geringeren sprachlichen Kreativität bilingualer Individuen.

Werner F. Leopold ist sich klar darüber, dass der deutschsprachige Input zu gering ist, um eine ausgewogene Zweisprachigkeit sicher zu stellen. Wie Leopold (1953, 13) betont, unterscheidet sich Hildegards Sprachkompetenz erheblich von der nahezu perfekten Bilingualität von Jules Ronjats Sohn. Mehrmals weist er auf Hildegards mangelhaftes Deutsch hin, gibt jedoch zu bedenken, dass die monolingualen gleichaltrigen Kinder, mit denen sie während des siebenmonatigen Deutschlandaufenthalts spielt, ebenfalls erhebliche Schwierigkeiten bei den Artikeln und Suffixen an den Tag legen (Leopold 1945b, 100, 102, 109, 110, 114, 118). Überdies zeigt Hildegard auch im Deutschen bei regelmäßigem Input erstaunliche Fortschritte. Gegen Ende des Aufenthalts in Deutschland entspricht ihr Deutsch in etwa ihrem Englisch vor der Abreise nach Europa. Auf alle Fälle wird ihr Englisch durch den deutschen Einfluss nicht beeinträchtigt und entwickelt sich ungestört:

Nothing in the later development indicates that her learning of English was impeded by the interference of German, although there is no doubt that her German suffered permanently from the overpowering influence of English, even during the seven months in Germany (Leopold 1949a, 187).

‚Nichts in der späteren Entwicklung weist darauf hin, dass ihr Erwerb des Englischen durch die Interferenz des Deutschen behindert wurde, obwohl es keinen Zweifel gibt, dass ihr Deutsch permanent unter dem erdrückenden Einfluss des Englischen litt, sogar während der sieben Monate in Deutschland.‘

Leopold (1949b, 99) hebt hervor, dass fünf Jahre alte Kinder die Sprache in erster Linie als Mittel zur Kommunikation sehen und deshalb noch wenig Wert auf korrekte sprachliche Form legen. Während des siebenmonatigen Aufenthaltes in Deutschland fällt Hildegards fehlerhaftes Deutsch weder ihr selbst noch ihren Spielkameraden besonders auf (Leopold 1949b, 118).

Obgleich die Familie in Evanston Kontakt zu deutschsprachigen Freunden und Bekannten hatte, blieb Werner F. Leopold jahrelang der primäre deutschsprachige Gesprächspartner seiner Töchter. Aufgrund der fast vollkommen einsprachigen Umgebung und der für die Bilingualität allgemein ungünstigen Umstände war seine Aufgabe nicht leicht. Abgesehen von den verbreiteten Vorurteilen gegenüber der Zweisprachigkeit (Abschnitt 10.1) stand das Beibehalten und Pflegen der Sprache des Herkunftslandes im Gegensatz zur damals in den Vereinigten Staaten vorherrschenden Ideologie des melting pot. Durch direkten und indirekten Druck, deutsche Kinderlieder, Gutenachtgeschichten, Bücher und durch intensives Engagement versucht Werner F. Leopold, den geringeren Input des Deutschen ein wenig zu kompensieren. Diese angestrengten Bemühungen des Vaters bleiben Hildegard nicht verborgen und führen gelegentlich zu Verwunderung und auch Widerständen. Leopold (1949b, 41) berichtet zum Beispiel von folgendem Gespräch mit Hildegard im Alter von 3;2:

(1) Tochter: Papa!

Vater: Ja, Hildegard?

Tochter: Papa, why do you have those words? ‚Papa, warum hast du diese Wörter?‘

Vater: Weil ich deutsch spreche.

Tochter: But Papa, that isn’t nice. ‚Aber Papa, das ist nicht nett.‘

Ein Jahr danach fragt sie ihre Mutter (Leopold 1949b, 59):

(2) Mother, do all fathers speak German? ‚Mama, sprechen alle Väter deutsch?‘

Im Alter von sieben Jahren ist Hildegard manchmal stolz auf ihre Zweisprachigkeit (Leopold 1949b, 144), später, als vierzehnjährige Teenagerin auf der Suche nach Unabhängigkeit von ihrem Vater und seiner Sprache, fordert sie hingegen (Leopold 1949b, 153):

(3) Oh, Papa, don’t speak German in the street. ‚Oh, Papa, sprich nicht deutsch auf der Straße.‘

In vielen Aspekten war Werner F. Leopold seiner Zeit voraus. Zeitgenössische Forscher und Forscherinnen waren überzeugt, dass sich die frühkindliche Zweisprachigkeit negativ auf die Intelligenz auswirkt. Leopold (1947, vii, viii) bespricht die schulischen und intellektuellen Leistungen seiner Töchter im Alter von sieben bis zwölf Jahren und kann kein Anzeichen einer Beeinträchtigung feststellen. Verschiedene, in der Schule absolvierte Tests weisen vielmehr in die gegenteilige Richtung, was Werner F. Leopold zur Aussage bewegt, die frühkindliche Bilingualität beeinflusse die intellektuellen Fähigkeiten des Kindes vorteilhaft. In der Tat erwiesen sich Karla (Leopold 1949b, 164) und in geringerem Maße Hildegard (Leopold 1949a, 187) in Bezug auf ihre sprachlichen Fähigkeiten in ihrer schulischen Laufbahn als überdurchschnittlich begabt. Die spätere psycholinguistische Forschung bestätigte Werner F. Leopolds damalige Ansicht.

4.3 Weitere Studien

Ronjat (1913) und Leopold (1939–1949) werden in so gut wie jedem Forschungsüberblick genannt. Im selben Zeitraum wurde jedoch eine ganze Reihe von weiteren Untersuchungen veröffentlicht; die meisten davon sind in der Aufstellung von Rūķe-Draviņa (1967, 10 f.) enthalten. Auflistungen und Besprechungen, die Studien aus dieser Zeit miteinbeziehen, sind ferner in Hatch (1978, 3–5), McLaughlin (1978, 74–82, 87), Taeschner (1983, 7–16), Hakuta (1986, 45–72), Schneider (2003a, 48) und Barron-Hauwaert (2004, 198 f.) zu finden. Teilweise handelt es sich um Studien, die hinsichtlich der untersuchten Sprachen bemerkenswert sind (z. B. Serbisch, Chinesisch, Litauisch, Polnisch, Ungarisch, Slowenisch, Russisch, Bulgarisch, Finnisch). Zwei dieser Arbeiten möchte ich im Folgenden kurz vorstellen.

4.3.1 Pavlovitch (1920)

Milivoïe Pavlovitch (oder Pavlović) studierte Sprachwissenschaft, zuerst in Belgrad, anschließend 1917–1918 in Paris bei dem bekannten Linguisten Antoine Meillet (1866–1936). 1920 veröffentlichte er ein Buch, das eine systematische Beobachtung der zuerst einsprachigen, dann ab dem 14. Monat zweisprachigen Entwicklung seines Sohnes Douchan in den ersten zwei Lebensjahren enthält. Pavlovitch (1920) beruft sich wiederholt auf Ronjat (1913) und vergleicht genau die sprachlichen Fortschritte seines Sohnes mit denjenigen von Jules Ronjats Sohn. Allerdings dominiert bei Pavlovitch (1920) die genaue Beschreibung des Erwerbs des Serbischen, während dem Erwerb des Französischen nur wenig Raum gewidmet ist. Das ist insofern verständlich, als es zur damaligen Zeit noch keine Untersuchungen zum Erwerb des Serbischen gab. Obwohl das Buch insgesamt eine bemerkenswerte und vor allem frühe Studie darstellt, ist es für die Forschung zum bilingualen Erstspracherwerb aus diesem Grund viel weniger relevant als Ronjat (1913).

Milivoïe Pavlovitch und seine Frau lebten in Frankreich und sprachen Serbisch mit ihrem Sohn, Französisch hörte Douchan von Freunden und Gästen der Familie. Es handelt sich hier also um eine Erwerbssituation des Typs Familiensprache ≠ Umgebungssprache. Im Falle von Milivoïe Pavlovitchs Sohn muss man außerdem von einem zeitverzögerten oder sukzessiven Erstspracherwerb sprechen. Erst ab dem 14. Monat hört Douchan fast so viel Französisch wie Serbisch und beginnt recht schnell, französische Wörter zu erwerben. Bis zum 22. Monat überwiegt zahlenmäßig noch der serbische Wortschatz, Pavlovitch (1920, 176) meint, ähnlich wie Ronjat (1913), dass „l’acquisition des éléments d’une langue n’a pas retardé le développement de l’autre“ ‚der Erwerb von Elementen einer Sprache hat die Entwicklung der anderen nicht aufgehalten‘ und dass Douchan über Kompetenzen „d’un enfant indigène“ ‚eines einheimischen Kindes‘ verfüge. Er unterstreicht ausdrücklich, dass man aufgrund vieler Indizien auf die Existenz von zwei Sprachsystemen schließen muss. Ab Ende des zweiten Lebensjahres kann sich Douchan in seinem Sprachverhalten auf die Sprache der Gesprächspartner und -partnerinnen einstellen. Pavlovitch (1920, 177) kann bei Douchan kaum Anzeichen einer hybriden Sprache erkennen: „Quant aux hybridités, elles sont assez rares; les phrases françaises admettent très peu de mots serbes [...]. ‚Hybride Phänomene sind recht selten; die französischen Sätze lassen sehr wenige serbische Wörter zu [...].‘ Er verweist jedoch auf einen von ihm untersuchten Fall eines französisch und serbisch erwerbenden Mädchens, dessen Sprache stark hybrid und gemischt war.

4.3.2 Smith (1931, 1935)

Die kurzen Aufsätze von Madorah E. Smith (Smith 1931, 1935) können sich hinsichtlich Ausmaß und Detailtreue selbstverständlich nicht mit den beiden herausragenden, in diesem Kapitel besprochenen Arbeiten messen; sie sind gleichwohl in bestimmten Aspekten erwähnenswert. Es werden darin insgesamt acht bilinguale Kinder der gleichen Familie besprochen. Die beiden involvierten Sprachen sind das Englische und das Chinesische. Es handelt sich demnach um die erste Untersuchung zur englisch-chinesischen Bilingualität. Dies ist umso bemerkenswerter, als die Forschung zum bilingualen Erstspracherwerb leider auch noch heute auf einige wenige in Europa und Amerika gesprochene indoeuropäische Sprachen fokussiert ist. Nicht-indoeuropäische Sprachen und außereuropäische Sprachen bleiben zum Großteil ausgeblendet (Yip und Matthews 2007, 3). Außerdem ist die Autorin nicht selbst Mitglied der Familie, sondern interpretiert die ausführlichen Aufzeichnungen der Mutter von der Geburt des ersten Kindes bis zur Rückkehr in die Vereinigten Staaten. Die Eltern sind in China als Missionare tätig. Sie und ihre ausländischen Bekannten sprechen vornehmlich Englisch, wechseln jedoch gelegentlich zum Chinesischen, die chinesischen Kindermädchen und das übrige Hauspersonal sprechen nur chinesisch mit den Kindern. Besonders die jüngeren Kinder haben wenig Kontakt zur Mutter und werden hauptsächlich vom chinesischen Hauspersonal betreut. Die Autorin beurteilt die frühkindliche Bilingualität nicht unbedingt positiv (Hakuta 1986, 59–65). Der Erwerb von zwei Sprachen im Vorschulalter führe zu Verwirrung. Bilinguale Kinder besäßen einen geringeren Wortschatz als monolinguale Kinder in der jeweiligen Sprache. Bilinguale Kinder begännen zwar nicht später zu sprechen als monolinguale, hätten jedoch in Bezug auf sprachliche Korrektheit mehr Probleme als monolinguale. Außerdem meint sie, dass der häufige Sprachwechsel der Eltern besonders den jüngeren Kindern Schwierigkeiten bei der Trennung der beiden Sprachen bereiten könnte.

5 Forschungsüberblick: neuere Studien

5.1 Forschung bis 1978

In dem Jahrzehnt nach Leopold (1939–1949) bleibt es verhältnismäßig still in diesem Forschungsbereich. Anfang der 1960er Jahre erwacht wieder das Interesse und eine ganze Reihe von Untersuchungen entsteht, darunter einige über nicht alltägliche Sprachen oder Erwerbssituationen (vgl. die Aufstellungen und Besprechungen in Rūķe-Draviņa 1967, 11 f.; Hatch 1978, 3–5; McLaughlin 1978, 82–87; Taeschner 1983, 7–16; Schneider 2003a, 48; Barron-Hauwaert 2004, 198 f.). Burling (1959) berichtet, wie sein Sohn Stephen Englisch und Garo, eine im indischen Staat Assam und in Bangladesh verbreitete Sprache, erwirbt. Murrell (1966) analysiert die dreisprachige Entwicklung seiner Tochter in den ersten beiden Lebensjahren. Die Familie lebt in Finnland, die Mutter spricht Schwedisch, der Vater Englisch, das Kind besucht eine finnischsprachige Kinderkrippe und hat eine finnischsprachige Babysitterin. Imedadze (1967) untersucht in einem kurzen Beitrag die Entwicklung eines Kindes, das Georgisch und Russisch erwirbt. Oksaar (1970) beschreibt den Erwerb des Estnischen und Schwedischen durch seinen Sohn in den ersten drei Jahren. Weitere erwähnenswerte Studien sind Tabouret-Keller (1962), Raffler-Engel (1965), Mikeš (1967), Francescato (1971), Padilla und Liebman (1975), Bergman (1976), Oksaar (1977), De Matteis (1978) und Lindholm und Padilla (1978).

Neben diesen Aufsätzen wurden auch mehrere Untersuchungen in Buchlänge veröffentlicht. Rūķe-Draviņa (1967) berichtet über den Erwerb des Lettischen und Schwedischen durch ihre beiden Kinder. Kessler (1971) stellt eine der ersten Querschnittstudien in diesem Forschungsbereich dar und analysiert anhand mehrerer Tests die Syntax von zwölf sechs bis acht Jahre alten Kindern, die Englisch und Italienisch erwerben und die gleiche Schule in South Philadelphia besuchen. Erwähnenswert sind daneben die Arbeiten von Swain (1972) und Fantini (1976).

Insgesamt spielen diese Untersuchungen in der damaligen Sprachwissenschaft und Psychologie allerdings eine marginale Rolle und üben wenig bis gar keinen Einfluss auf die wissenschaftliche Auseinandersetzung aus. Dafür sind mehrere Faktoren verantwortlich. Zunächst einmal war in der Zeit zwischen 1930 und 1960 vor allem die amerikanische Psychologie und teilweise auch die Sprachwissenschaft vom Ansatz des Behaviorismus dominiert, der großen Einfluss auf die damals gängigen Auffassungen über Lerntheorie, Spracherwerb, Sprachverwendung und sogar auf die Didaktik ausübte. Unabhängig von einer wissenschaftlichen Beurteilung kann man sagen, dass der Behaviorismus die Erforschung des Spracherwerbs nicht besonders stimulierte. Ab den 1960er Jahren wurde er allmählich vom Kognitivismus als Forschungsparadigma in der Psychologie und Linguistik abgelöst. Zu dieser kognitiven Wende trugen in den späten 1950er Jahren und in den 1960er Jahren einige Arbeiten von Noam Chomsky bei, vor allem dessen vernichtende Rezension (Chomsky 1959) des Hauptwerkes des Behaviorismus, Verbal behavior (1957) von Burrhus F. Skinner (1904–1990). Obwohl Noam Chomsky wiederholt auf die enge Verflechtung zwischen kognitiver Psychologie und Sprache hinwies, kann man ihn jedoch schwerlich als Psycholinguisten oder kognitiven Linguisten bezeichnen. Sein wissenschaftliches Hauptinteresse gilt bis heute der Syntax. Damit sind wir bei einem zweiten, für die damalige Forschung zum bilingualen Erstsprach erwerb ungünstigen Faktor. Die Sprachwissenschaft war zumindest bis Ende der 1960er Jahre zuerst vom Strukturalismus, dann von der generativen Linguistik geprägt. Beide Ausrichtungen beschäftigten sich vornehmlich mit der Ausdrucksseite der Sprache und setzten sich nur am Rande mit psychologischen Fragen auseinander. Bis Mitte der 1960er Jahre bestand somit weder in der Linguistik noch in der Psychologie ein für die Erforschung des allgemeinen oder spezifisch bilingualen Spracherwerbs günstiges Umfeld.

Noam Chomsky hatte in diesem Zusammenhang eine widersprüchliche Position inne. Einerseits vertrat er in vielen seiner Werke einen rein formalistischen und syntaxzentrierten Ansatz, andererseits stimulierte er durch seine Aussagen zur angeborenen Sprachfähigkeit (Nativismushypothese), zur Universalgrammatik, zur Altersabhängigkeit des Spracherwerbs (critical period hypothesis) und zum poverty-of-the-stimulus-Argument die psycholinguistische Forschung. In der Tat kann man ab 1970 von einer aufsehenerregenden Entwicklung in der Psycholinguistik sprechen, die schlussendlich eine andere Richtung nahm, als von Noam Chomsky vorhergesehen und beabsichtigt. Die in den USA einsetzende systematische Beschreibung und Analyse des monolingualen Spracherwerbs hatte zum Ziel, durch das Offenlegen von sprachlichen Regelmäßigkeiten und Entwicklungsstadien Aufschlüsse bezüglich der psychologischen Entwicklung des Kindes zu gewinnen. Prägend für diese neue Welle von Studien waren zwei morpheme order studies: Brown (1973) bewies in einer Langzeituntersuchung des monolingualen Spracherwerbs, dass die vierzehn grammatischen Morpheme des Englischen bei den drei von ihm beobachteten Kindern in einer annähernd gleichen Sequenz erworben wurden. Dieses Ergebnis wurde in der Querschnittuntersuchung von de Villiers und de Villiers (1973) bestätigt. Die beiden Studien übten eine nachhaltige Wirkung auf die weitere Forschung aus, vor allem weil sie zur Annahme veranlassten, es gäbe universelle Sequenzen im Erwerb morphosyntaktischer Strukturen. Ab diesem Zeitpunkt kann man sagen, dass die monolinguale und später bilinguale Spracherwerbsforschung zu einem zentralen Thema der Linguistik und der Entwicklungspsychologie aufstiegen. Charakteristisch für diese Periode ist, dass entscheidende Impulse, sowohl in theoretischer wie auch in methodologischer Hinsicht, mehr aus der Psychologie als aus der Linguistik kamen.

5.2 Volterra und Taeschner (1978) und Taeschner (1983)

Eine entscheidende Etappe stellt die vom Istituto di Psicologia des Consiglio Nazionale delle Ricerche (CNR) und der Universität Rom durchgeführte Langzeituntersuchung dar, deren Ergebnisse in Volterra und Taeschner (1978) veröffentlicht wurden. Die Studie beeinflusste die nachfolgende Forschung deswegen in besonderem Maße, weil darin zum ersten Mal ein Modell des bilingualen Spracherwerbs vorgeschlagen wurde. Das Modell beruht auf der Ein-System-Hypothese und prägte die Diskussion über Jahre. In der deutschsprachigen Linguistik wurde es als Drei-Phasen-Modell bekannt (Müller et al. 2011, 97). Die Studie stützt sich auf die Daten von Leopold (1939–1949) und auf die Aufzeichnungen über Lisa und Giulia, die deutsch-italienischsprachigen Töchter von Traute Taeschner.

Die Familie der Mädchen lebt in Rom. Die Mutter ist Deutsche, der Vater Italiener. Auch in dieser Familie wird nach der Methode eine Person → eine Sprache vorgegangen. Einmal pro Monat wurde je Sprache und Kind eine dreißig Minuten lange Aufnahme gemacht (Volterra und Taeschner 1978, 312). Die Aufnahmen wurden durch zusätzliche Aufzeichnungen ergänzt. Die Daten umfassen Lisas Spracherwerb im Alter zwischen 1;5 und 3;6 und Giulias Spracherwerb zwischen 1;2 und 2;6 (Volterra und Taeschner 1978, 312). Taeschner (1983, 18 f.) spricht hingegen von „bimonthly“ durchgeführten Aufnahmen, die durchschnittlich 45 Minuten dauern (De Houwer 1990, 31). Die Daten dort stammen von Lisa im Alter zwischen 1;6 und 6;0 und von Giulia zwischen 0;11 und 5;0.

Laut der Hypothese von Volterra und Taeschner (1978) durchläuft der bilinguale Spracherwerbsprozess drei Phasen: In der Anfangsphase verfügt das Kind über ein für beide Sprachen gleiches Lexikon ohne erkennbare syntaktische Regeln, in der zweiten Phase über fusionierte syntaktische Regeln bei einsetzender lexikalischer Differenzierung und erst ab der dritten Phase über zwei sprachspezifische grammatische und lexikalische Systeme. Der entscheidende Aspekt des Modells besteht in der Annahme, die sprachliche Differenzierung setze zuerst beim Wortschatz und erst Monate später in der Grammatik ein.

In der ersten Phase verfügen bilinguale Kinder über einen einzigen Wortschatz, der Wörter beider Sprachen enthält. Die Kinder äußern sich vorwiegend in Holophrasen, also in Einwortäußerungen. Die seltenen Zwei- und Dreiwortäußerungen können Wörter zweier verschiedener Sprachen enthalten. Die äußerungsinterne Sprachmischung und das Fehlen von Äquivalenten werden als entscheidende Merkmale dieser Phase angesehen. Da die Kinder im Grunde genommen nur über einen Wortschatz verfügen, kann man zumindest von der Warte der frühkindlichen Kompetenzen nicht wirklich von einer Mischung sprechen.

So wie die Sprache monolingualer Kinder anfangs kaum Synonyme enthält (vgl. das Kontrastprinzip von Clark 1987, oder das Ausschließlichkeitsprinzip von Markman und Wachtel 1988), besitzt das bilinguale Lexikon kaum Äquivalente oder interlinguale Synonyme, d. h. zwei Wörter verschiedener Sprachen mit annähernd gleicher Bedeutung. Darüber hinaus werden einige Wortpaare, die in der Erwachsenensprache Äquivalente darstellen, von den Kindern nicht wirklich als solche betrachtet. Lisa kennt z. B. it. là ‚dort‘ und dt. da, verwendet jedoch it. là für zum Sprechzeitpunkt nicht sichtbare Dinge und dt. da für zum Sprechzeitpunkt sichtbare Dinge (Volterra und Taeschner 1978, 315). Hingegen gibt es Wörter, die in der Erwachsenensprache nicht miteinander in Beziehung stehen, aber in der Sprache der Kinder eine semantische Ähnlichkeit aufweisen. Lisa verwendet schon früh das auf dem deutschen Wort danke basierende daki in Situationen, in denen sie jemandem dankt, jemandem etwas gibt oder von jemandem etwas bekommen möchte. Im Alter von 1;10 erlernt sie das vom italienischen dare ‚geben‘ stammende dà und verwendet es immer dann, wenn sie jemandem etwas gibt. Die Bedeutung von daki inkludiert daher eine Zeit lang diejenige von dà, aber auch hier kann man nicht wirklich von Synonymie sprechen. Zusätzlich gibt es viele neutrale, nicht eindeutig einer Sprache zuordenbare Wörter. Hier handelt es sich um onomatopoetische, also lautmalerische Wörter, um Namen, um Grußformeln und um Gefühlsausdrücke, die auch in der monolingualen Kindersprache verbreitet sind. Die Tabellen 2 und 3 geben einen Überblick über den Wortschatz von Lisa und Giulia. Deuchar und Quay (2000, 49–50) merken allerdings an, dass laut der beiden Tabellen 8 % von Lisas 39 italienischen und 12 % von ihren 25 deutschen Wörtern (it. là, dt. da, it. dà und dt. daki wurden von der Berechnung ausgeschlossen) Äquivalente haben und sogar 18 % von Giulias 38 italienischen Wörtern und 20 % von ihren 35 deutschen Wörtern Äquivalente haben.

Tab. 2: Lisas Wortschatz in der ersten Phase (Volterra und Taeschner 1978, 313)


ItalianGermanItalian-German
aaino (bavaglino)Aie (Seife)baubau / wauwau
aaila (aereo)Beinebu (rumore)
belleBobo (Bonbon)bata (basta)
bui (buio)Bo (Bock)caca
cucu tètèguguck dacocò
coa (ancora)Blle (Blume)Dodo (Rodolfo)
chiai (occhiali)BaumGiulia
chiaie (chiavi)Bauchlata / lade (cioccolato)
chechea (acqua)WasserLalla (Daniela)
chi èChku (Schuhe)Lia (Lisa)
cotto (biscotto)Keh (Keks)miao
cata (cane)daki (danke)Mamma
caa (cara)haia haia (schlafen)mu
chie (scrivere)istNanna (Anna)
chiu (chiudere)Kih (Käse)popò
chio (anch'io)Kita (Kinderì)Papa
cotta (scottare)Koka (Kartoffel)Paola
cartanyam nyam (essen)tatau (ciao)
ditoPuppetum (cadere)
dà (dare)Taila (Tasche)to-to
datic-tic
laila (lascia)Titi (Brust)tata
latteTuta (Lutscher)onc-onc
lata (l'altra)upa (hoch genommen werden)palle / balle
nonnoja
nonna
no
sti (sì)
tona (viziatona)
tia (zia)
ti (tira)
tu
totto (capotto)
totto (rotto)
tita (matita)
qua / qui
pappo (tappo)
più
pila

Tab. 3: Giulias Wortschatz in der ersten Phase (Volterra und Taeschner 1978, 314)


ItalianGermanItalian-German
acquaauchAuto
ada (guarda)aizi (anziehen)Anna
api (aprire)Bonbonbata (basta)
ancoa (ancora)Baume (Baum)bum
buaBauchbabau
baba (barba)Babycaca
bimbaBuchChichì
bellaBitteDodo (Rodolfo)
ballabadi-badi (baden)Mami
buon natalebaite (arbeiten)Nado / Nase
caneBeinenyam-nyam
cate (carta)dickeò! ò!
cotta (scotta)heissO.K.
caraDonnerOi
datsie (grazie)dane (danke)Pipì
dà (dare)guguck daPaola
fattofeitich (fertig)Papi
cotto (biscotto)Hale (Haare)tatau (ciao)
melahaia haiatitè
datati
NonnokaltTaute (Traute)
NonnaKuchentò-tò
nokin-kinny (trinken)
pela (pera)nei
pettapetta (aspetta)Käse
piùkomm
palleMilch
paneNenni
pannaPuppi
quasitzi-sitzi (sitzen)
tatowo
tutto-tuttoalle-alle
tovato (trovato)upa (hoch genommen werden)
toia (togliere)
zita
zia
uva

Die Kinder richten Wörter beider Sprachen an ihre Gesprächspartner und -partnerinnen. Die Sprachverteilung „[...] depends upon what the child wants to say and not so much on the language spoken to him“ (Volterra und Taeschner 1978, 317) ‚[...] hängt davon ab, was das Kind sagen möchte, und nicht so sehr von der Sprache, die mit ihm gesprochen wird.‘ Die Kinder verstehen beide Sprachen, es ist jedoch in der konkreten Situation nicht festzustellen, welche Sprache sie sprechen. Die wenigen Zwei- und Dreiwortsätze reichen nicht aus, um syntaktische Regelmäßigkeiten erkennen und einer Sprache zuordnen zu können. Wie Leopold (1949a, 179) sind Volterra und Taeschner (1978) der Meinung, dass die Kinder in dieser ersten Phase eine einzige Sprache mit einer eigenen charakteristischen Struktur sprechen.

In der zweiten Phase beginnen die Kinder zu verstehen, dass es zwei verschiedene Wörter für dasselbe Objekt oder dieselbe Handlung gibt, und ein System von Äquivalenten aufzubauen. Diese Erkenntnis stellt sich im Laufe eines stufenweisen Prozesses ein. Volterra und Taeschner (1978, 317 f.) beschreiben eindrücklich, wie langsam und über welche Umwege dieser bei Lisa abläuft. Das Mädchen hatte it. occhiali ‚Brillen‘ im Alter von 2;5 von ihrem Vater, einem Brillenträger, gehört. Eines Tages zeichnet ihre Mutter ein Bild von einer Frau mit Brillen und lehrt dabei Lisa das Wort Brillen. Von der Mutter aufgefordert, die Zeichnung dem Vater zu zeigen, läuft Lisa zu ihm und zeigt ihm die Zeichnung. Auf die Frage Che cos’è questo? ‚Was ist das?‘ antwortet sie mehrere Male Brillen, ohne jemals das italienische Wort occhiali zu verwenden. Dann zeigt sie auf die Brillen ihres Vaters und sagt occhiali. Die Mutter zeigt daraufhin auf die Brillen in der Zeichnung und fragt Was ist das?, worauf Lisa mit Brillen antwortet und sogar darum bittet, noch Brillen zu zeichnen. Plötzlich ruft das Mädchen occhiali, occhiali!. Ganz sicher ist es sich allerdings nicht, denn gleich danach bezeichnet es die Brillen auf der Zeichnung Brillen occhiali oder, gegenüber dem Vater, occhiali Brillen. Eine halbe Stunde später fragt die Mutter Lisa, was ist das hier?, während sie auf die Brillen des Vaters zeigt. Lisa antwortet: Occhiali, occhiali, occhialen, occhialen, occhiali Brillen. Lisa hat zwar erkannt, dass die Bedeutungen von Brille und occhiali übereinstimmen, in der Praxis bleibt die Verwendung der Wörter jedoch noch stark an den spezifischen Kontext gebunden, in dem sie zuerst erworben wurden. Die Generalisierung und die Abstraktion von kontextuellen Merkmalen verlangen einen erheblichen kognitiven Aufwand, werden aber in den folgenden Monaten schnell erlernt. In der zweiten Phase lernen die Kinder daher bald, auf Wunsch ein Wort in der jeweils anderen Sprache zu nennen oder sogar von einer in die andere Sprache zu übersetzen. Sobald die Kinder zwischen den zwei Wortschätzen unterscheiden können, nimmt die Anzahl der gemischtsprachigen Äußerungen rasch ab. Die Kinder lösen die Sprache ihrer Äußerungen von der Sprache des Erwerbskontextes und orientieren sich in ihrer Sprachwahl nach dem Gesprächspartner und der Gesprächspartnerin. Nun können sie verblüffend schnell die Sprachen, auch innerhalb desselben Gesprächs, wechseln.

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