Читать книгу: «Sonntagskuchen mit Einstein», страница 2
*
Katerlogik
Es ist schon fast Abend, als alle kurze Zeit später wieder im Hof auf ihren Mülltonnen sitzen. Sie müssen sich aber zunächst vergewissern, dass Manfred aus dem Nachbarhaus nicht versteckt in einer Ecke des Hofes hockt. Als sicher ist, dass ihnen niemand zuhört, fordern sie den Kater auf, zu erzählen.
Egon blickt sich noch einmal um in der Hoffnung, dass niemand sieht, mit wem sie sich hier unterhalten. Es wäre zu peinlich, wenn jemand sähe, dass sie mit einer Katze sprechen. Sicher würden sie ihn dann für verrückt halten und sagen, dass er zu viel Sonne abbekommen hätte.
Erneut leckt sich Kater Minkus ausgiebig sauber, setzt sich dann auf seiner Tonne ganz grade hin und blickt bedeutungsvoll in die Runde.
„Nun mach’ endlich.“ Diesmal ist es Lotte, die die Spannung nicht mehr aushält. Das Katzenvieh scheint die Situation zu genießen, beginnt dann aber zu erzählen: „Also Leute, bevor ich anfange, hat jemand Interesse zu erfahren, wie man die Stellen hinter den Ohren besonders gut sauber bekommt?“
Minkus blickt in genervte Gesichter und legt dann gezwungenermaßen gleich los: „Ich kroch sofort, nachdem mich der olle Stülpnagel ausgesperrt hatte, in den Keller. Dort ist es fast ganz dunkel, aber da ich so gut sehen kann ...“ Er schaut Beifall heischend zu den drei Kindern.
„Erzähle endlich!“ Fritz macht einen langen Seufzer.
„Also, da ich so gut sehen kann, fand ich recht schnell den Keller mit den ganzen Dingen für den Schulunterricht. Da lagen dann Berge von Papier, Stifte, Bücher, aber auch Kartons mit Kreide darin. Ich schnüffelte daran herum, doch diese Kreide dort roch nicht so wie die, mit der Lotte gemalt hatte. Ich suchte weiter, musste dazu immer tiefer in versteckte Ecken kriechen. Irgendwann bemerkte ich den Geruch, den ich schon kannte. Da irgendwo musste es sein. Dann entdeckte ich ein Kästchen aus Metall, sehr sehr alt, mit etwa elf Stück Kreide darin, die ganz richtig rochen. Es passten exakt zwölf Stück in die Kiste hinein, eines fehlte.“
„Genau das Stück muss bei uns in der Klasse gelegen haben.“ Egon überlegt.
„Ja“, sagt Lotte. „Und genau das habe ich dann erwischt und mitgenommen.“
Alle drei starren gebannt auf Minkus.
„Mau, ich stupste das Kästchen ein wenig mit dem Kopf zur Seite, um es zu verstecken. Das gelang mir kaum, da es zu schwer war, aber ich würde es wiederfinden, wenn wir zusammen suchen gehen.“
„Wie wäre es, wenn wir uns morgen nach der Schule dort treffen und die Spur verfolgen?“, fragt Egon.
Alle stimmen zu. Minkus soll nach Schulschluss im Keller warten. Sie werden dafür sorgen, dass das Kellerfenster wieder einen Spalt offensteht.
Auch der Kater ist einverstanden. Damit er sich am nächsten Tag gut konzentrieren kann, muss er natürlich heute erst noch ein wenig auf Mäusejagd gehen. „Das entspannt und ist eine gute Konzentrationsübung“, lässt er die Kinder wissen.
„Viel Spaß und sei pünktlich“, rufen sie ihm noch zu und gehen dann endlich ins Haus.
Als am nächsten Tag die Glocke nach der letzten Stunde bimmelt, stürmen alle Kinder nach draußen. Jeder will ganz schnell nach Hause. Nur Egon, Lotte und Fritz trödeln besonders lange im Klassenzimmer herum. Sie packen ihre Sachen in die Schultasche, nehmen sie dann einzeln wieder heraus, gucken sich im Raum um. Manfred vom Nachbarhaus trödelt ebenfalls herum. Er scheint die drei zu beobachten. Als der dann endlich auch den Klassenraum verlassen hat, machen sie sich auf den Weg.
„Ihr wollt wohl heute gar nicht nach Hause gehen, oder? Komisch, was hält euch bloß in letzter Zeit dauernd so lange in der Schule?“ Hausmeister Stülpnagel steht in der Klassenzimmertür, um sie abzuschließen.
Die Kinder drängen sich an ihm vorbei, gehen langsam auf den Schulflur, bummeln die Treppen herunter und tun so, als ob sie nach draußen wollen. Dann blitzschnell, noch bevor der Hausmeister die Treppen hinter ihnen herabgestiegen ist, rennen sie in den Keller.
„Wir müssen ganz leise sein“, flüstert Lotte und tapst durch das Dunkel.
„Ja, er kann uns sonst hören und man weiß ja nie, was er dann macht“, entgegnet Fritz.
„Wo ist Minkus?“ Egon flüstert, knipst seine Taschenlampe an, die er extra mitgebracht hat, und sieht sich um.
„Er wollte wieder durchs Fenster kommen“, sagt Lotte.
„Iih, was ist das?“ Egon springt zur Seite. Irgendwas hat ihn am Bein berührt. Als er nach unten sieht, blickt er in zwei leuchtende Katzenaugen, in denen sich sein Taschenlampenlicht widerspiegelt.
„Mau. Ich bin es nur. Ich warte hier schon sooooo lange. Schule ist anscheinend eine komische Angelegenheit, die immer sehr lange dauert.“ Minkus ist schon längst da und hängt halblaut seinen Gedanken nach. „Ich glaube, Schule, das wäre nichts für mich, miau. Da ist es mir doch sehr viel lieber, hier nach geheimnisvollen Dingen zu suchen oder mein Fell sauber zu halten. Also, zum Beispiel habe ich heute eine besonders schwierige Stelle ganz hinten im Fell wieder richtig gut putzen können. Na ja, aber das interessiert ja keinen so richtig. Na gut, dann folgt mir jetzt. Los geht es und ab die Post.“ Der Kater springt schnell von hier nach dort, unter einem Stapel Bücher hindurch und durch enge Ritzen. Die drei schleichen hinterher.
„Halt, nicht so fix.“ Egon Einstein ist Minkus am dichtesten auf den Fersen oder besser hinter den Pfoten. Doch der Kater ist so flink wie der Blitz, macht sich ganz dünn, rutscht hier hinein und dort heraus, maunzt noch ein leises „Miau“ und ist plötzlich verschwunden.
Und Egon Einstein ist auf einmal auch nicht mehr zu sehen. Es scheint, als ob sich beide in Luft aufgelöst haben. Nur ein paar Staubkörner wirbeln noch durch den Keller, genau an der Stelle, wo sich eben noch Kater und Junge aufgehalten haben.
„Wo sind sie denn? Hallo Egon! Minkus?“ Lotte sieht angestrengt ins Dunkle.
„Keine Ahnung“, entgegnet Fritz. Er hat die ganze Zeit bedauert, dass er doch ein wenig zu dick ist und deshalb leider nicht so schnell durch die engen Spalten flutschen kann.
Beide bemühen sich, im Halbdunkel etwas zu erkennen. Egon hat ja die Taschenlampe, und die ist nun ebenfalls verschwunden. Sie tappen weiter, stoßen sich ab und zu die Beine und finden ... rein gar nichts.
„Es ist zu dunkel“, flüstert Lotte, „warum müssen die beiden uns auch hier stehen lassen.“
„Was macht ihr hier?“ Das Licht geht an und eine donnernde Stimme dröhnt durch den nun hell erleuchteten Keller.
Hausmeister Stülpnagel steht vor ihnen, einen Stock in der Hand.
„Äh, wir, wollten ...“ Fritz stammelt, ihm fällt nichts ein.
„... meine Uhr noch einmal suchen“, fügt Lotte hinzu.
„Hier ist keine Uhr“, schimpft der alte Mann, „und nun raus hier, aber schnell. Ich will euch nicht noch einmal hier sehen, ist das klar?“ Er schubst die beiden die Treppe hinauf.
„Wo sind Minkus und Egon?“, wispert Fritz. Lotte zieht die Schultern hoch. Sie weiß es nicht. Dann stehen sie wieder draußen. Die heiße Augustsonne brennt und blendet so sehr, dass sie zunächst gar nichts sehen können.
Der Hausmeister humpelt zu seiner Wohnung, geht hinein und schließt die Tür von innen zu. Kurz darauf bewegt sich etwas an seinem Fenster. Es scheint so, als ob er die Kinder durch die Gardine beobachtet.
„Wo sind die beiden nur?“ Lotte möchte fast heulen, so elend ist ihr zumute. „Wie sollen sie denn aus dem Keller herauskommen?“
„Minkus kommt heraus, kein Problem“, sagt Fritz. „Und Egon holen wir später.“ So stehen sie eine Weile da und grübeln. Was hat das alles nur zu bedeuten?
Hui-Wusch macht es plötzlich und mit diesem Geräusch stehen wie von Zauberhand Kater und Junge wieder neben ihnen.
„Was war denn das?“ Fritz sieht sich ängstlich um, ob es auch niemand gesehen hat. Lotte tippt vorsichtig mit einem Finger an Egons Hemd, ob er es wirklich ist.
„Jetzt bin ich wirklich auf Forscherspuren. Ich habe entdeckt, wie man sich unsichtbar machen kann und wieder zurück. Unglaublich. Tja, also wir waren bei der Kiste mit der geheimnisvollen Kreide angelangt,“ erzählt Egon, „grade, als ich ein Stück herausnehme und in der Hand halte, ist der olle Stülpnagel zu hören. Ich sagte ganz leise, dass wir unsichtbar sein müssten. Und siehe da, wir waren es.“
„Ja, mau! Ein ganz neues Gefühl. Wir waren in eurer Nähe, konnten euch sehen und hören, aber ihr uns nicht. Miau-miau, das war interessant.“ Der Kater dreht sich einmal aufgeregt um sich selbst.
„Und als ihr weg wart, wünschte ich uns wieder hier nach draußen. Es war ganz einfach“, berichtet Egon stolz.
Fritz starrt gebannt auf Egons Hand: „Du hast die Zauberkreide noch in der Hand.“
Erst jetzt merkt Egon, dass er ein großes Stück davon ganz festhält. Beinahe hätte er sie fallen gelassen. Ein bisschen kleiner ist das Stück geworden. Das kann man genau sehen. Kater Minkus stellt sich in die Mitte der drei Freunde und maunzt: „Wie wäre es, wenn Egon jedem von euch ein Stück abgibt für den Notfall. Wenn wir der Sache auf den Grund gehen wollen, dann brauchen wir auch etwas als Schutz.“
„Gute Idee“, sagt Lotte, „aber hat sie dann auch noch die Wirkung? Ich meine, wenn sie soviel kleiner ist?“
„Ach, irgendeine Wirkung wird sie schon haben“, meint Fritz und Egon beginnt gleich, das lange Stück in drei gleiche Teile zu brechen.
„Und du, Minkus?“ Lotte ist besorgt um den Kater, doch der scheint furchtlos: „Ich brauche nichts, mau. Ich kann mir alleine helfen.“
Die vier Freunde sind zufrieden. Für heute soll es genug sein. Sie gehen nach Hause. Schließlich müssen sie noch Hausaufgaben machen und niemand soll merken, dass sie einem großen Geheimnis auf der Spur sind. Minkus bleibt noch ein wenig da. Als Kater muss er nie Schularbeiten machen. Er sucht sich seine Aufgaben alleine. Und damit fängt er auch gleich an, denn irgendetwas stimmt hier nicht. Sagen will er das seinen Freunden nicht. Sie sollen sich nicht beunruhigen. Als Kater weiß er mehr als die Menschen ... und als Kater Minkus sowieso.
*
Neue Gefahr
Die drei Kinder gehen nach Hause. Nun kann Minkus sich endlich dem Geruch widmen, den er schon die ganze Zeit wahrgenommen hat. Er schleicht unauffällig hinter einen Busch neben das Schultor, wo ihn niemand sehen kann, und beginnt zu schnuppern und zu beobachten.
Irgendein störender Geruch stieg ihm die ganze Zeit in die kleine rosafarbene Katzennase. Aber, was war es nur? Minkus beginnt zu suchen. Ganz leise schleicht er auf dem Schulhof herum, immer versteckt hinter Büschen und Sträuchern. Er merkt, dass er dem Geruch immer näher kommt.
Und richtig! Seine Nase und seine Ohren haben ihn nicht getäuscht. Da hockt doch hinter einem Busch versteckt der dünne Manfred vom Nachbarhaus. Das dachte sich Minkus schon, denn der Manfred riecht nicht nett, jedenfalls für einen Kater nicht.
Außerdem hat er oft beobachtet, dass Manfred Kinder, Blumen und Omas ärgert. So was kann er überhaupt nicht leiden. Wenn die Katernase sich nicht irrt, und die irrt sich eigentlich nie, dann saß der Manfred die ganze Zeit hinter dem Gebüsch und hat alles gehört. Das könnte gefährlich werden. Jetzt steht der Junge auf und geht auch nach Hause. Oder doch nicht? Wo geht der denn hin?
Der Kater sieht, dass Manfred sich zum Haupteingang der Schule begibt. Was will er denn dort? Minkus muss die anderen warnen, unbedingt. Er rennt, so schnell er kann, zu seinem Hof, muss aber unterwegs noch einige Straßen überqueren, was für eine Katze ganz schön gefährlich sein kann. Ein Auto bremst mit quietschenden Reifen. Der Autofahrer guckt heraus und schimpft auf das Katzenvieh, doch Kater Minkus ist schon längst durch alle Gartenzaunritzen gerutscht und wieder auf dem Hof seines Hauses angelangt. Zuhause angekommen ruft ihn gleich Oma Krummbein ins Haus. Es gibt etwas Gutes zum Fressen und Minkus vergisst für kurze Zeit, dass er etwas Wichtiges erledigen wollte.
Dummerweise schließt die Oma danach die Fenster und Türen zu und der Kater kann nicht mehr hinaus. Da nützt auch alles Maunzen nichts. Oma Krummbein findet, dass er auch einmal einen Abend zu Hause bleiben kann.
Am nächsten Morgen sitzt der Kater schon ganz früh auf seiner Mülltonne. Endlich kommt Egon aus dem Haus. Er will zur Schule gehen. Minkus erzählt ihm davon, dass Manfred hinter dem Schultor saß und bestimmt alles mitgehört hat.
„Ausgerechnet der“, stöhnt Egon und er überlegt, was sein großes Vorbild Einstein in so einem Fall gemacht hätte. „Wir müssen etwas unternehmen. Minkus informiere du die anderen. Wir treffen uns alle nach der Schule im Keller bei der geheimnisvollen Kiste.“
Der Kater sagt kurz darauf den anderen Bescheid und ein paar Stunden später sind sie wieder im Schulkeller versammelt. Alle vier suchen nach dem Kästchen, in jeder staubigen Ecke, in jedem dunklen Winkel.
„Wo war die Kiste denn nur?“ Egon weiß genau, dass sie hier in der Ecke gestanden hat, etwas verdeckt von einem Stapel Papier. Die Kinder gucken noch eine Weile herum, kramen hier und wühlen dort. Doch es ist alles vergeblich. Das Kästchen aus Metall ist weg, verschwunden, hat sich in Luft aufgelöst.
Minkus beschnuppert die Stelle, wo es gestanden hat, und schaut besorgt in die Runde. Jedenfalls bemüht er sich, besorgt zu gucken, so gut es ihm möglich ist mit seinem Katzengesicht.
„Was ist?“ Der dicke Fritz ist aufgeregt. „Was hast du gerochen?“
Minkus spricht leise: „Er war da. Dachte ich es mir doch. Alles hier riecht nach Manfred. Er hat die Kiste mit der Zauberkreide gestohlen.“
„Und was nun?“ Egon Einstein ist ratlos.
„Wir müssen hier erst mal heraus, bevor wir entdeckt werden.“
Lotte steht auf und schleicht voran. Unbemerkt schaffen sie es, wieder nach oben zu gelangen. Draußen hocken sie sich auf eine Bank im Schulhof. Heute haben sie Glück, denn der alte Stülpnagel ist schon die ganze Zeit damit beschäftigt, die Lichter in der Turnhalle zu reparieren.
„Was sollen wir tun, wenn der „Ihr-wisst-schon-wer“ ganz viel Unfug mit der Kreide macht?“ Egon beißt sich auf die Lippen.
„Wir müssen „Ihr-wisst-schon-wer“ überfallen, miau. Dann nehmen wir ihm die Kreide weg und ich wünsche mir einen Zoo voller Mäuse, mmmh.“
„Ach hör auf, Minkus.“ Lotte ist ärgerlich. „So, wie ich Manfred kenne, macht der nur Blödsinn mit der Zauberkraft. Uns muss unbedingt etwas einfallen.“
Der Kater entdeckt zuerst, dass sich der Herr Stülpnagel nähert. Das Tier versucht, die anderen zu warnen, doch bevor alle verschwinden können, stellt der alte Mann sich ihnen in den Weg. Er ist merkwürdig freundlich und bittet sie, in seine Hausmeisterwohnung zu kommen. Selbst Kater Minkus darf mit. Die Freunde überlegen kurz, ob sie es wirklich machen sollen, gehen dann aber gemeinsam, wenn auch etwas zögerlich, hinein.
Herr Stülpnagel setzt sich auf einen Sessel, streckt sein Bein mühsam aus und bittet die Kinder, Platz zu nehmen.
„Was gibt es denn?“ Egon traut sich zuerst, etwas zu fragen.
„Ich muss euch wichtige, sehr wichtige Dinge erzählen. Ich wollte es nicht, aber es geht nicht anders. Ich habe keine Wahl.“ Herr Stülpnagel guckt besorgt. Von seiner Muffelei ist heute nichts zu merken. Er atmet ein paar Mal tief durch, setzt dann an zu sprechen, tut es aber doch wieder nicht.
Minkus hat sich inzwischen auf einem Fensterbrett postiert. Von hier aus hat er den besten Überblick.
„Ihr habt“, beginnt der Mann dann endlich, „die Kreide im Keller gefunden. Ich habe es wohl bemerkt. Niemand sollte sie jemals finden. Aber neulich muss irgendein Lehrer aus Versehen ein Stück aus diesem Kästchen mit in die Klasse gebracht haben. Von dort hast du, Lotte, sie dann mit nach Hause genommen. So erkläre ich mir alle diese Dinge, die in letzter Zeit passiert sind.“
Er macht eine lange Pause. Die Kinder lauschen aufmerksam. Kater Minkus stellt seine Ohren noch ein bisschen mehr in die Richtung des alten Herrn. Dann erzählt der weiter: „Ich habe genau bemerkt, dass euer Kater sprechen kann. Ich weiß auch, was ihr im Keller suchtet. Nun habt ihr das Metallkästchen gestohlen. Ihr müsst es wieder hergeben, sonst passiert ein Unglück.“
Der alte Mann guckt traurig zu Boden. Er wirkt heute so ganz anders als sonst, hat noch nicht einmal gemeckert oder sie aufgefordert, die Schuhe abzuputzen oder daran erinnert, den Abfall immer in den Mülleimer zu werfen.
Die Kinder stellen erstaunt fest, dass der Hausmeister also auch freundlich sein kann.
Lotte nickt: „Ja, es stimmt, ich habe ein Stückchen Kreide mitgenommen. Zuhause entdeckten wir dann alle die Zauberkraft. Minkus kann seitdem sprechen, aber wir haben die Kiste nicht gestohlen. Wirklich nicht.“
„Großes Katzenehrenwort“, maunzt Minkus von seinem Fensterbrett herunter.
„Aber, wer war es dann?“ Herr Stülpnagel scheint tief besorgt.
„Manfred war es.“ Egon sieht zum Kater. „Minkus hat es uns verraten. Er konnte es genau riechen.“
Der Hausmeister ist ganz blass geworden. Leise erhebt er seine Stimme und murmelt dann kaum hörbar: „Die Kreide muss wieder her, Kinder, sonst passiert etwas Schreckliches.“
Der Hausmeister geht ein wenig im Zimmer auf und ab. Es scheint ihm sichtlich schwerzufallen, über die ganze Sache zu reden.
Merkwürdigerweise sieht er nun gar nicht mehr so böse aus wie sonst. Als er bemerkt, dass Fritz die ganze Zeit auf sein hinkendes Bein starrt, sagt er, dass er es sich bei einem Motorradunfall schwer verletzt hat und seitdem hinken muss.
„Und wir dachten, Sie sind Pirat gewesen.“ Fritz muss lächeln. Es ist ihm sichtlich peinlich, das zuzugeben.
„Nein, das war ich nicht, aber ich wäre gerne zur See gefahren. Das stimmt. Leider musste ich bleiben, weil ich hier eine Aufgabe zu erfüllen habe.“
Wieder macht er eine längere Pause. Schließlich beginnt er leise zu erzählen: „Ich werde euch nun eine Geschichte erzählen, eine alte Geschichte, die vor tausend Jahren begann. Eine Geschichte, die ich von meinem Großvater weiß, und der wusste sie von seinem Großvater und der von seinem und so weiter. Wie ihr vielleicht im Unterricht gehört habt, steht unsere Schule auf den Grundmauern einer alten Burg. Meine Urururgroßväter waren alle hier auf der Burg tätig und ich als ihr Urururenkel arbeitete schließlich hier in der Schule, die auf den Resten der Burg gebaut wurde. Meine Familie bewacht seit vielen Hundert Jahren das Kreidekästchen. Das ist eine Aufgabe, die uns für alle Zeiten aufgetragen wurde. Ihr müsst es wissen, damit wir vielleicht alle gemeinsam schlimmes Unglück verhindern können.
Vor tausend Jahren war genau an dieser Stelle die mittelalterliche Burg Wolkenstein des Fürsten Helge von Wühlbergshausen. Ein guter Fürst, der seine Untertanen gerecht behandelte. Sein Volk liebte ihn und alle lebten glücklich und zufrieden. Eines Tages jedoch bedrohte ein Zauberer sein Land, die Leute und die Burg. Amphibius Nebulosa, der schrecklichste Zauberer des mittleren Mittelalters, eroberte Burg Wolkenstein, nahm dem Fürsten die Burg weg, sperrte ihn in ein Verlies und quälte die Menschen im Tal. Alle mussten für ihn arbeiten und keiner hatte mehr eine Freude.
Die Menschen wurden immer trauriger und niemand wollte hier noch leben. Aber ein Entfliehen gab es nicht. Amphibius passte genau auf. Viele Jahre ging das so und niemand glaubte noch an Rettung, doch irgendwann kam die Rettung. Sie erschien in der Gestalt einer guten Fee, die mit Helge von Wühlbergshausen verwandt war. Sie reiste ins Land, um den Fürsten, die Menschen und die Burg zu befreien. Und sie wusste, dass es nur ein Mittel gab, den furchtbaren Zauberer in seine Schranken zu verweisen, seine Macht zu zerstören, denn sie war im Besitz eines Zauberkreidekästchens mit Kreide, zwölf Stück an der Zahl. Diese Kreide hatte die Kraft, den bösesten Zauberer des mittleren Mittelalters lahmzulegen.“
„Was heißt denn das?“ Egon kann nicht mehr an sich halten und fragt dazwischen, obwohl alle drei einschließlich Kater gebannt zuhören.
„Solange dieses Kästchen vorhanden ist mit allen zwölf Kreidestückchen, solange ist der böseste Zauberer des mittleren Mittelalters machtlos.“
„Aber, miau ...“ Kater Minkus meldet sich erschrocken zu Wort. „Es fehlen doch mindestens schon zwei Stücke und jetzt ist die ganze Kiste verschwunden. Was nun?“
„Das genau ist das Problem.“ Hausmeister Stülpnagel blickt besorgt aus dem Stubenfenster, schaut traurig auf den Schulhof hinaus: „Wir müssen verhindern, dass die Kreide aufgebraucht wird. Wir müssen sie Manfred wieder abnehmen, noch bevor der durch dumme Zaubereien alles verbraucht hat. Schaffen wir es nicht, wird Amphibius Nebulosa wieder seine alte Kraft zurückbekommen und über uns alle herrschen. Je weniger Kreide vorhanden ist, umso stärker wird er. Was ist denn eigentlich mit Manfreds Eltern? Kann man vielleicht mit denen reden?“
„Er hat keine Eltern. Er lebt bei seinem Opa“, sagt Egon. „Das ist ein netter Kerl, aber er passt nicht genug auf Manfred auf, deshalb macht der ja so viel Blödsinn.“
„Ich würde gerne noch wissen, wo befindet sich denn jetzt ... der ... äh ... der Zauberer?“ Lotte traut sich fast gar nicht, es zu fragen, so unheimlich ist ihr.
„Das will ich euch gerne sagen. Er sitzt versteinert in dem Verlies, in das er damals den Fürsten eingesperrt hat, tief unter den Fundamenten der alten Burg“, antwortet Herr Stülpnagel. „Aber keine Angst, solange die Kreide existiert, ist er gebannt und kann sich nicht einmal rühren. Wie ein großer alter Gartenzwerg. Eine Statue aus Stein, unbeweglich und ungefährlich. Das bleibt aber nur so, wenn ihn die Kreide weiterhin in Bann hält. Wir müssen die Kiste unbedingt wiederfinden. Und Kinder, erzählt den Leuten, die ihr kennt, nichts davon. Es würde euch sowieso niemand glauben. Je weniger davon wissen, desto besser. Sonst kommen die Menschen nur auf dumme Gedanken und wir müssen uns noch mehr um unsere Kreide sorgen.“
Minkus hat die ganze Zeit die Ohren gespitzt und putzt sich nun das Fell. Das macht er auch dann immer, wenn er angestrengt überlegt.
„Was sollen wir tun?“, fragt Egon ratlos.
„Wir könnten ja zunächst einmal versuchen, Manfred zu finden.“ Auch Lotte denkt angestrengt nach.
„Manfred zu finden ist nicht schwer. Er kommt doch jeden Tag in die Schule.“ Fritz geht aufgeregt hin und her.
„Gut Kinder, dann lasst uns jetzt einen Bund schließen. Wir sagen niemandem etwas und versuchen alle gemeinsam, die Kreide zurückzubekommen. Die Stückchen, die ihr bei euch habt, könnt ihr als Zauberhilfe benutzen. Aber bedenkt noch dieses: Mit jedem Zauberwunsch verliert die Kreide ein paar Gramm an Gewicht. Sie wird immer dünner und ist dann eines Tages ganz verschwunden. Passt auf, welche Dinge ihr einfach so unachtsam vor euch hinsagt. Es könnte sein, dass sie sofort in Erfüllung gehen, die Kreide dann aber wieder ein Stück kleiner geworden ist. Der Manfred weiß das nicht, so wird er glauben, dass die Zauberei für immer anhält. Wir müssen es ihm sagen, irgendwie.
Wie wäre es nun, wenn wir uns jeden Tag nach der Schule hier in meiner Stube treffen und uns über den Stand der Dinge berichten? Einverstanden?“ Herr Stülpnagel guckt ermutigend in die Runde.
„Einverstanden“, rufen alle drei und Minkus maunzt ein besonders langes Miauuuuu hinterher.
Als alle wieder auf der Straße sind, fragt Fritz, ob er sich vielleicht ein ganz kleines Schokoladeneis wünschen könnte. So ein ganz kleines Eis fiele doch gar nicht auf.
Was Lotte, Egon und Minkus dazu sagen und miauen, soll hier aber dann doch lieber nicht wiederholt werden.
Бесплатный фрагмент закончился.
Начислим
+19
Покупайте книги и получайте бонусы в Литрес, Читай-городе и Буквоеде.
Участвовать в бонусной программе