Bubishi

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Im Jahre 1915 ebenfalls als Teehändler nach Naha gekommen war Tang Daji (To Daiki), der von 1887 - 1937 lebte. Er wurde für seinen Unterricht im „Tiger-Boxen“ berühmt. Er war mit Miyagi Chojûn befreundet, und sein Stil übte einen beträchtlichen Einfluß auf die unterschiedlichen Richtungen des Karate aus, die sich in jener Zeit, der Taishô-Epoche (1912 - 1925), voll zu entfalten begannen.

Von anderen chinesischen Lehrmeistern des 19. und 20. Jahrhunderts sind uns, obwohl sie deutliche Spuren hinterlassen haben, die Namen nicht bekannt. Über weitere, wie beispielsweise Iwa, Wong-Chung-Yoh oder Shion-Ka, sind die überlieferten Angaben zu ungenau, als daß etwas Sinnvolles über sie gesagt werden könnte. Von Shion-Ka weiß man immerhin, daß er zahlreiche Schüler in dem Ort Tomari auf Okinawa unterrichtete, unter anderem Gusukuma (Shiroma), Matsumora Kôsaku, Kaneshiro, Yamasato und Nakasato.

Es wurden auch Sonderabgesandte durch den chinesischen Kaiserhof nach Okinawa geschickt – man nannte sie Sapposhi oder Sappushi und auch Sakuhoshi –, die gegebenenfalls im Rahmen ihres Auftrags den Inselbewohnern Demonstrationen ihrer Fertigkeit im chinesischen Boxen boten oder ihnen Unterricht darin erteilten.

So viele Möglichkeiten, wie das Bubishi nach Okinawa gelangt sein könnte! Und damit sind noch längst nicht alle erschöpft. Zahlreiche Okinawaner reisten vor allem im 19. Jahrhundert nach China. Es gab gewiß manche Gelegenheit, auf diesen Reisen mehr oder weniger zufällig auf dieses Dokument zu stoßen, in dem die Stile, die sich aus dem Shaolin-Boxen entwickelt hatten, beschrieben wurden, und es mit sich nach Hause zu nehmen.

Pilgerfahrten zur chinesischen Quelle

Einige Okinawaner wurden ermutigt, sich nach China zu begeben, um ihre Ausbildung zu vervollkommnen und ihre Kenntnis der chinesischen Kultur zu vertiefen, mit der sie bereits in Kumemura in Berührung gekommen waren. Man nannte sie Uchinanku Ryûgakusei, „ausländische Studenten aus Okinawa“, und man konnte sie in allen großen chinesischen Städten bis hin nach Peking finden, und natürlich auch in Fuzhou und in der gesamten Provinz Fujian. Andere Okinawaner gingen auf eigene Faust nach China, das Ziel vor Augen, den unmittelbaren Kontakt mit den chinesischen Kampfkünsten zu suchen. Manche von ihnen waren noch Neulinge auf diesem Gebiet, viele aber besaßen bereits ein bedeutendes, doch mehr oder weniger zusammengestückeltes Wissen über Techniken, die in ihren Herkunftsorten verbreitet waren. Sie alle kehrten – oftmals erst nach Jahren – um vieles reicher an Kenntnissen wieder in ihre Heimat zurück. Sie brachten ausgeklügeltere, vollständigere, verbesserte Systeme der Kampftechniken mit. Einige begannen nun ihrerseits, das erworbene Wissen an Schüler weiterzugeben. So entstand das Fundament, auf dem sich das heutige Karatedô gründet. Einige unter ihnen kamen zweifelsohne in China mit dem Bubishi in Berührung, manche brachten es sicherlich mit nach Okinawa, verbargen es dort jedoch wie einen eifersüchtig gehüteten Schatz in den Geheimarchiven ihrer Schulen, bevor sie es – manchmal – an den einen oder anderen ihrer treuesten Schüler (Uchi deshi) weitergaben.


Alte chinesische Grafik, die zwei Jiaoli-Kämpfer darstellt. Diese Kampfkunst läßt sich bis in die Zeit der Streitenden Reiche (475 - 221 v. Chr.) zurückverfolgen.


Auszug aus dem „Ji Xiao Xin Shu“, das im Jahre 1561 von Qi Jiguang veröffentlicht wurde, und in dem zum ersten Mal 32 Kampfstellungen dargestellt wurden. Sie wurden bereits in das erste Bubishi (siehe S. 23) aufgenommen und später im zweiten weiterentwickelt. – Sie auch S. 55 ff. und 295 ff.


Das Bubishi war die Bibel der alten okinawanischen Meister, die stets nach Vertiefung des Tôde strebten. Seine Seiten wurden viele Male mehr oder weniger geschickt kopiert. Diese Zeichnungen sind Auszüge aus einem jener mit der Hand kopierten Exemplare, die einst auf die Insel Okinawa gebracht wurden.

Yara war der erste Okinawaner, von dem bekannt ist, daß er in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in das Reimyo-Tôde (die „wunderbare chinesische Kunst“), auch Shimpi-Tôde („geheimnisvolle chinesische Kunst“) genannt, eingeweiht wurde. Er blieb etwa 20 Jahre in China, wo er mehrere Stile des Kampfes mit und ohne Waffen lernte. Nach seiner Rückkehr gelang es ihm jedoch nicht, eine dauerhafte Schule zu errichten.

„Tôde“ Sakugawa (1733 - 1815) wurde als Teruya Kanga in Shuri geboren. Er nahm den Namen Sakugawa an, als er in den Rang eines „Chikudon Peichin“26 (Diener des Königs) erhoben wurde. Sakugawa hatte bereits in Kumemura das Kwang Shang-Fu studiert, und er vervollkommnete seine Kenntnisse in Fuzhou, aber auch in der japanischen Stadt Satsuma. Er wurde zum Wegbereiter des Okinawa te, und er gab sein Wissen vor allem an Matsumura Sôkon weiter.

Matsumura Sôkon, auch „Bushi“ Matsumura Sôkon genannt, lebte von 1792 bis 1896.27 Er trug gleichfalls den Titel eines „Chikudon Peichin“. Seinen Unterricht erhielt er aus drei Quellen. Von „Tôde“ Sakugawa lernte er die traditionelle okinawanische Kampfkunst, in Fuzhou lernte er die Technik des Weißen Kranichs, weitere Kenntnisse eignete er sich in Satsuma an. Es ist verständlich, daß er sich um eine persönliche Synthese des Gelernten bemühte. Diese Synthese wurde zum Grundstein eines ersten echten „Systems“ von Kampfkünsten, das Matsumura in der Umgebung der Stadt Shuri entwickelte und das den Namen Shuri te erhielt. Zahlreiche seiner Schüler in dieser Epoche wurden später selbst zu Begründern eigener Schulen. Unter ihnen finden sich Azato Ankô (1827 - 1906), Itosu Ankô (1832 - 1915), Bushi Ishimine (1835 - 1889), Matsumura Nabe (1860 - 1930), Tawada Pechin (1851 - 1907), Yabu Kentsu (1866 - 1937), Funakoshi Gichin (1868 - 1957), Hanashiro Chômo (1869 - 1945), Kyan Chôtoku (1870 - 1945), Kiyuna Pechin und Sakihara Pechin.28


Fotos 10 und 11: Die „Metallmänner“ von Jinci in der Provinz Shan Xi (China). Diese insgesamt sechs Gußstatuen in Menschgröße, von denen zwei aus dem 11. Jahrhundert stammen, stellen (ursprünglich bewaffnete) Krieger dar. Sie sind jüngere Versionen der „Terrakottakrieger“, die in der Grabstätte des Kaisers Huang-Ti gefunden wurden.

Derartige Figuren, die dem Betrachter das Gefühl vermitteln, daß sie Energie und Zerstörungskraft ausstrahlen, haben zu allen Zeiten an den Eingängen der Tempel des Ostens, von Indien bis nach Japan, gestanden. Ihre Stellungen, die oft naiv in der Ausführung sind und einen abschreckenden bzw. beschützerischen Eindruck erwecken, erinnern durchaus an die Zeichnungen des Bubishi. Wenige Schritte von dieser Figurengruppe entfernt gibt es, wie in anderen chinesischen Tempeln auch, einen „Pavillon des Weißen Kranichs“ (Bai He Ting), was allerdings nicht zwangsläufig einen Bezug zum Kampfstil des gleichen Namens bedeuten muß.

Die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert trieb die Entwicklung rasch voran. Die aus China stammende und durch die okinawanischen Pioniere der Kampfkünste adaptierte Kampfkunst der „leeren Hand“ trat aus dem Schatten. Vor allem das Ende der Militärregierung (Bakufu) der Tokugawa und die Restauration des Kaisers Meiji brachte Fortschritte mit sich. Immer mehr Okinawaner konnten sich die Freiheit nehmen zu reisen. Unter den neuen Reisenden, bei denen es glaubhaft erscheint, daß sie das berühmte Dokument von Fujian auf die Insel brachten, waren folgende Meister der Kampfkünste:

Higaonna (oder Higashionna) Kanryô (1853 - 1916) hielt sich mehrere Jahre lang als Schüler bei Ryû Ruko in Fuzhou auf. Die Anhänger des Gôjû ryû sind überzeugt, daß er bei seiner Heimkehr im Frühjahr 1881 das Bubishi mit sich führte. In den Jahren nach seiner chinesischen Lehrzeit erarbeite er die Grundlagen des Naha-te-Stils, und zu seinen wichtigsten Schülern zählten Kiyôda Juhatsu (1886 - 1967), Miyagi Chojûn (1888 - 1953), Mabuni Kenwa (1889 - 1952) und Gusukuma Shinpan (1890 - 1954). Mabuni besaß auch ein Exemplar des Bubishi, aber er hat erklärt, daß es sich bei diesem nicht um eine Kopie von Higaonnas Exemplar, sondern um die Abschrift eines Originals aus dem Besitz von Itosu Ankô (1832 - 1916) handele, dem Gründer des Shuri te. Daraus könnte folgen, daß Itosu sein Bubishi vielleicht von seinem eigenen Lehrer „Bushi“ Matsumura erhalten hat.

Uechi Kanbun (1877 - 1948), der Begründer des Stils Uechi ryû, begab sich im Jahre 1897 nach Fuzhou, um dort bei Zhou Zhihe Shifu (auf japanisch Shu Shi Wah, 1874 - 1926) das Tiger-Boxen (das in den Archiven seiner Schule als Pangai Noon bezeichnet wird) zu lernen. Es ist jedoch auch bekannt, daß Uechi zunächst bei Kojô Kaho (1849 - 1925) trainiert hatte. Die Familie Kojô (auf chinesisch auch Kogusuku oder Tsai genannt) war berühmt für ihre bedeutenden Kenntnisse auf dem Gebiet der Kampfkünste und vor allem auf dem Gebiet des Stils des Weißen Kranichs. Hierin ist wahrscheinlich die Ursache für die Mischung aus Tiger- und Kranichstil zu finden, die sich in manchen Kata des Uechi ryû erkennen läßt. Tomoyose Ryûyû (1897 - 1970), ein Schüler Uechis, hat ein Schriftstück – „Die Geheimnisse des Kempô Karate Jutsu“ – verfaßt, in dem zahlreiche Bezüge zum Bubishi enthalten sind, vor allem auf das Kapitel über die Vitalpunkte.

 

Nakaima Norisato29 wurde auf Empfehlung eines chinesischen Militärattachés in Kumemura 1870, im Alter von 19 Jahren, nach Fuzhou geschickt, wo er Schüler Ryû Ruhos wurde. Bei diesem studierte er mehrere Jahre lang den „Weg der Feder und des Schwertes“ (Bun Bu Ryû Dô), das heißt, des nüchternen Weges des Philosophen und Kriegers. 1876 kehrte er nach Okinawa zurück, und in seinem Gepäck befanden sich Kopien aus den Büchern, die ihm sein Lehrer geliehen hatte. Einige Historiker gehen so weit, die Hypothese aufzustellen, daß das Bubishi von Okinawa in Wahrheit eine persönliche Zusammenstellung Nakaimas sei, die er auf Grundlage des Wissens, das er bei Ryû Ruho erlangt hatte, verfaßt habe. Zumindest hatte Nakaima alle Möglichkeiten, seine Kenntnisse zu vervollständigen, da er später weitere Reisen nach China unternahm, die ihn bis nach Peking führten.

Matayoshi Shinkô (1888 - 1947) gehörte jener Gruppe an, die im Jahre 1917 gemeinsam mit Funakoshi Gichin zum ersten Mal im Butokuden eine öffentliche Karate-Vorführung gab. 1921 erfolgte eine weitere Vorführung auf Schloß Shuri in Gegenwart des jungen kaiserlichen Prinzen, dem späteren Kaiser Hirohito. Matayoshi unternahm mehrere Reisen nach China, wo er verschiedene Kampfstile studierte. Er war im übrigen der erste, der China vom äußersten Norden Japans, über Hokkaidô und die Insel Sachalin kommend, bereiste. Er war zu jener Zeit 23 Jahre alt. Sein Wissen über Kampfkünste erweiterte sich während seiner großen Rundreise, die ihn von der Mandschurei bis nach Shanghai führte. In Shanghai schloß er sich der berühmten Jing-Wu-Vereinigung (auf japanisch Seibukan) an, die ihren Ruf dem „Tiger mit dem gelben Gesicht“, Huo Yuan Jia (1862 - 1909) verdankte, der sein Leben verlor, als ein japanischer Kämpfer, den er besiegt hatte, ihn vergiftete. Auf dem Rückweg nach Okinawa gelangte Matayoshi auch nach Fuzhou. Man erinnert sich seiner auf Okinawa wegen seiner Kenntnisse auf dem Gebiet der Akupunktur, der Heilkräuter und der Beherrschung zahlreicher chinesischer Waffen, nicht zuletzt aber auch dafür, daß er den Stil des Weißen Kranichs praktizierte.


Abbildungen: Zwei naive Darstellungen aus einem Bubishi (links), die von einem japanischen Grafiker nach Hinweisen von Ôtsuka Tadahiko Sensei (siehe auch S. 164, 167 und 217) „auf alte Weise“ nachgestaltet wurden (rechts).

Die Gestalt links unten ist eine weibliche Person, die eine Technik des Weißen Kranichs ausführt. Diese Zeichnung aus dem 28. Kapitel des Bubishi stellt zweifelsohne Fang Jin Jang dar, die Begründerin des Stils. Bei der anderen Gestalt handelt es sich möglicherweise um Cheung Siu Shu, einen Kempô-Meister, in einer Position des Schwarzen Tigers.


Eine Darstellung der im Bubishi erwähnten Gottheit Busaganashi, rechts oben in naiver Darstellung und links in moderner Ausführung (vgl. Foto 9, S. 33).

Zum neuen Kara des Karatedô

Die Meiji-Restauration (1868 - 1912) bedeutete für Japan einen eindrucksvollen Sprung ins moderne Zeitalter. Diese Entwicklung war jedoch begleitet von dem unbeugsamen Willen, nichts vom japanischen Wesen aufzugeben. Die traditionellen Werte, vor allem der Geist des Bushidô, des traditionellen Moralkodex der Samurai, sollten bewahrt bleiben. Vor dem Hintergrund dieses Nationalismus und später des offenen Militarismus, der seit den 20er Jahren herrschte, ertüchtigten sich die Anhänger des Budô, vor allem in den Kampfstilen des Jûdô, des Kendô und später auch des Aikidô. Dies geschah im Rahmens eines Ausbildungssystems, welches die Absicht verfolgte, die zukünftigen Führungskräfte des Landes heranzuziehen. Männer wie Itosu und Higaonna begriffen, daß es sich um eine unausweichliche Entwicklung handelte, und sie erblickten darin eine Möglichkeit, die Kunst der „leeren Hand“ zu bewahren, die für eine hochtechnisierte Armee nicht mehr von Interesse war. Es ist vor allem das Verdienst Itosus, daß das Ryûkyû Kempô Karatedô Eingang ins Ausbildungssystem seiner Zeit fand. Damit hatte eine Kunst, die traditionell geheim gehalten worden war, ein modernes Gewand gefunden. Das war natürlich mit Zugeständnissen an den Zeitgeist verbunden, und es gab eine Reihe von Abänderungen, sowohl in Bezug auf den Geist der Kampfkunst als auch hinsichtlich der Praxis.

Von nun an stand der körperliche, sportliche Aspekt im Vordergrund, während das Kriegerische und der Gesichtspunkt der Verteidigung in den Schatten traten. Das wahre Bunkai (Anwendungsmöglichkeiten) der Kata wurde vernachlässigt, und der tiefere Sinn der Techniken, der einst im Vordergrund gestanden hatte, ging nach und nach verloren. Und damit sich alles noch mehr dem westlichen Boxen anglich, welches im damaligen Japan zunehmend Fuß faßte, weil es modern war, schloß man schließlich die Hände zu Fäusten. Ein neues Karate war entstanden, ähnlich, wie eine neue Stadt auf den verschütteten Ruinen einer alten entsteht. Die Wurzeln waren natürlich geblieben und würden es künftigen, wieder daran interessierten Generationen gestatten, Kenntnis von den Fundamenten, auf denen ihre Kampfkunst gegründet ist, zu erlangen. Itosu hatte nichts anderes getan, als auf äußerst opportunistische Weise das Wesen seiner Kunst zu verhüllen. Ohne sein Wirken würde man heute wahrscheinlich bedeutend weniger vom Wesentlichen der Kampfkünste wiederentdecken können.

All dies war jedoch noch immer zu wenig in den Augen der fremdenfeindlich und vor allem antichinesisch eingestellten Japaner. Um das aus Okinawa30 stammende Karatejutsu damit adeln zu können, daß man es als gleichwertig zu den Budô-Kampfkünsten achtete, mußte nachgewiesen werden, daß es auf alten einheimischen Traditionen beruhte. Dieser Aufgabe nahmen sich jene Pioniere der okinawanischen Kampfkünste an, die als erste nach Japan gingen, um die alte geheime Kunst des Ryûkyû dorthin zu bringen – Funakoshi Gichin (1869 - 1957), der Vater des Shôtôkan, Miyagi Chojûn (1888 - 1953), Begründer des Gôjû ryû und Mabuni Kenwa (1889 - 1952), der Schöpfer des Shitô ryû. Japaner wie Yasuhiro Konishi und der Jûjutsu-Experte und Begründer des Wadô ryû Ôtsuka Hironori (1892 - 1982) wirkten in dieselbe Richtung. Auch sie wollten, daß die Japaner das Karate als wesentliche und achtenswerte Kampfkunst akzeptierten. Dies gelang, indem im Jahre 1936 dem Begriff Kara im Karate ein neuer Sinn verliehen wurde.

Ursprünglich bezog sich das chinesische Ideogramm für Kara, das auch als To oder Tou gelesen werden konnte, auf die Dynastie Tang (618 - 907). Später galt es einfach als Synonym für „China“. Das zweite Ideogramm, aus dem der Begriff Karate gebildet wird, wird als Te (oder Di) gelesen und bedeutet „Hand“. Bis zum Beginn des zweiten Weltkriegs interpretierten die okinawanischen Meister den Begriff Karate folglich als „chinesische Hand“. Es besteht eine gewisse Uneinigkeit über die Geschichte des folgenschweren Bedeutungswechsels des Begriffes Kara. War dafür Funakoshi Gichin verantwortlich, der 1929 die Entscheidung fällte, die Kunst, die er lehrte, Dai Nippon Kempô Karatedô zu nennen und dabei Karate die Bedeutung „leere Hand“ zu verleihen?31 Oder war es bereits Hanashiro Chômo (1889 - 1945), der in einer Veröffentlichung aus dem Jahre 1905 der Silbe kara den Sinn „leer“ in seiner materiellen Bedeutung verlieh, jedoch auch die metaphysische Lesart ku oder sora, was „leer“ bzw. „Himmel“ bedeutet, zuließ? In jedem Fall war es in den 30er Jahren an der Zeit, der „plebejischen“ Technik des Karatejutsu einen höheren Sinn zu geben, es als einen Weg zu betrachten, der zugleich nach innen und nach außen führt, zum Ziel des Wa (Harmonie). In einer hochoffiziellen Zusammenkunft, die im Oktober 1936 in Naha stattfand, kamen schließlich Kyan Chôtoku, Hanashiro Chômo, Motobu Chôki, Kentsu Yabu und Miyagi Chojûn überein, von nun an offiziell das kara im Karatedô in seinem neuen Sinn als „leer“ zu interpretieren.

Und gerade zu dieser Zeit begannen dieselben Meister in aller Öffentlichkeit von jenem Archiv ihrer Kampfkünste zu sprechen, dem Bubishi. Bei ihren japanischen Schülern fand dies zunächst keinen Wiederhall. Zu beschäftigt waren sie mit ihrem nationalistischen Gedankengut oder – im günstigsten Falle – mit ihren sportlichen Aktivitäten. Es dauerte ein halbes Jahrhundert, bis schließlich einige „Archäologen“ der Kampfkunst der „leeren Hand“, in Japan wie in Europa, damit begannen, diese drei Silben behutsam auszusprechen, die noch heute – selbst in den größten Dôjô – so undurchdringlich erscheinen:



Foto 12: Zu den Erben der alten Techniken aus dem Bubishi zählt wahrscheinlich die gesamte Generation der Kampfkunstexperten des Okinawa te. Ihnen ist zu verdanken, daß die Kunst der „leeren Hand“ von China nach Japan gelangte. Sie alle schöpften aus derselben Quelle und waren einander oft viel näher, als die gegenwärtige Zersplitterung des Karatedô in unterschiedliche Stilrichtungen vermuten läßt. Sitzend in der Mitte Mabuni Kenwa, der Gründer des Shitô ryû. Stehend von links nach rechts: Funakoshi Gichin (1869 - 1957), der Gründer des Shôtôkan ryû, Nakasone Genwa (1895 - 1978), unbekannt, Konishi Yasuhiro (1893 - 1983), der Gründer des Shindô Jigen (Shizen) ryû, Mabuni Kenei (geb. 1918), der älteste Sohn Mabuni Kenwas und gegenwärtige Vorstand des Shitô ryû. Die Fotografie stammt aus dem Jahr 1930.


Foto 13: Funakoshi Gichin, sitzend in der Mitte des Bildes, als Vorsitzender bei einer Vorführung der „Japan Karate Association“ (JKA). Das sportorientierte Karate des Shôtôkan-Stils, wie es sich gegen Ende seines Lebens herausbildete, hatte sich bereits beträchtlich vom Wesenskern des Bubishi entfernt. Die heutigen Vertreter des Karate scheinen dieses alte Dokument nun wiederzuentdecken.

Fotos 14 - 23: Die folgenden Seiten geben zehn der charakteristischsten Wandmalereien wieder, die auf dem Fresko in der Baiyi-Halle des „Ersten Klosters unter dem Himmel“ (Shaolin) zu sehen sind, dem Heiligtum der chinesischen Kampfkünste. Sie gehen auf die Zeit der Ming-Kaiser zurück (das Fresko wurde im Jahre 1828 restauriert) und haben teilweise die schrecklichen Heimsuchungen, die das Kloster erleben mußte, überstanden (zum letzten Mal wurde das Kloster zu Beginn des 20. Jahrhunderts während der chinesischen Bürgerkriege zerstört). Heute werden die Wandmalereien erneut restauriert, wobei man sich streng an die Originale hält. Sie stellen nicht nur einen künstlerischen Schatz dar, sondern auch eine einzigartige und außergewöhnliche Quelle für alle, die heute Kampfkünste praktizieren, unabhängig davon, welche Stilrichtung sie betreiben. Es ist offensichtlich, daß der Künstler, der diese kämpfenden Arhats (buddhistische Heilige) gemalt hat, vollendete Kenntnisse über die Kampftechniken des alten Wushu besaß. Wir finden hier präzise Darstellungen von Blocks, Bereitschaftsstellungen, Fußtritten, Befreiungen und anderen Haltungen. Man beachte vor allem zwei simultan ausgeführte angetäuschte Fußtritte (Finten) und einen Fußtritt nach hinten (Foto 21) oder einen Block mit gleichzeitigem Ergreifen des Handgelenks (Foto 16). Darüber, was der uns unbekannte Künstler zum Ausdruck bringen wollte, indem er manche der Gegner mit dunklerer Haut darstellte, können wir lediglich spekulieren. Es ist denkbar, daß damit auf einen Fremdling hingewiesen werden sollte oder auf einen Kämpfer, der einen anderen Stil praktizierte. Die dunkle Hautfarbe könnte jedoch auch die rohe Gewalt im Gegensatz zur Technik des „Guten“ oder ein böses Ch’i (Qi) symbolisieren.

 

Foto 14


Foto 15


Foto 16


Foto 17


Foto 18


Foto 19


Foto 20


Foto 21


Foto 22


Foto 23


Figuren eines Dao Lu (Quan) des chinesischen Boxens. Sie wurden einer zeitgenössischen Kopie des zweiten Bubishi entnommen.


Figuren aus dem Bubishi in einer korrigierten Darstellung, wie sie Ôtsuka Tadahiko Sensei in einer Veröffentlichung seiner Gôjûkensha-Schule in Tokio verwendete. Die acht Kampfdarstellungen sind Teil der 48 Techniken, die im zweiten Teil dieses Buches vorgestellt werden.

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