Lügen mit langen Beinen

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Es ist allseitig unbestritten, daß die Erde einige Millionen Jahre und die Menschheit einige hunderttausend Jahre älter ist als Moses uns „glauben machen“ will bzw. die christliche Zeitrechnung zählt. Es ist auch unbestritten, daß der Mensch als gesellschaftliches Wesen vom Beginn an über den bloßen Reflex auf Umweltreize hinaus Erfahrungen gemacht, über die Erfahrungen nachgedacht hat, Erfahrungen prognostiziert, die Bedingungen im Umfeld gespeichert, mit den Zeitgenossen ausgetauscht, sich dabei gegenseitig ergänzt und anderen berichtet hat. Diese unmittelbaren Beobachtungen und Erfahrungen und deren Weitergabe markieren die Geburtsstunde der Wissenschaft. Wir können beim besten Willen nicht nachvollziehen, wenn gemeinhin behauptet wird, daß die wirkliche Wissenschaft die „moderne Wissenschaft“ sei, die durch Experimente, also durch das Wiederholen unter kontrollierten Bedingungen gekennzeichnet ist und etwa seit 300 Jahren praktiziert wird. Beginnend in Europa, nunmehr mit steigender Tendenz weltweit verbreitet. Diese Zäsur hat sich nicht so einfach willkürlich eingeschlichen, sie ist nicht nur falsch, sie ist eine Fälschung.

Uns fehlt das Vermögen zu glauben, daß die Akteure der „modernen Wissenschaft“ sich dessen nicht bewußt sind bzw. gewesen sind, daß ihre Tätigkeit auf den Tätigkeiten ihrer Vorfahren basierte. Und daß jedes Experiment vorhandenes Wissen voraussetzt. Logisch kann es keine Hypothesen ohne Thesen geben, ebenso keine Thesen ohne einen Sockel aus gesichertem Wissen. Wie konnte es dennoch geschehen, daß die „modernen Wissenschaftler“ nur das eigene Tun als die wirkliche Wissenschaft ausgeben, und damit alles frühere als nicht wissenschaftlich herabwürdigen? Und dies angesichts jener mühsamen Ansammlung von Beobachtung, Wahrnehmung, Deutung, Bewertung, Meinungsbildung, Austausch und der fortwährenden Überprüfung im wirklichen Leben. Nicht im Labor!

Wie kann es bis zu unseren Tagen geschehen, daß diese Fälschung auch noch weltweit vermarktet werden kann? Eine interessante Frage und eine wichtige Frage. Wir müssen diese Frage hier als einen Denkposten belassen. Wir halten nur fest, daß die Zäsur „moderne Wissenschaft“ nicht nur falsch ist, sie ist auch problematisch, weil hiermit unter der Hand ein weiter Bereich menschlicher Erfahrung durch diese Verengung ausgegrenzt wird, nämlich die Metaphysik. Alles was das Fassungsvermögen der „modernen Wissenschaftler“ übersteigt, soll es auch nicht geben. Wir werden sicherlich keinen Widerspruch mit unserer Behauptung ernten, daß das Fassungsvermögen der „modernen Wissenschaftler“ sehr vom Markt geprägt wird.

*****

Aber kehren wir zu dem zurück, was noch allseitig unbestritten ist, nämlich die Geburtsstunde des Zusammentragen und des Speichern von Wissen im Kopf durch unsere Vorfahren. Wir stellen uns vor, daß sie als wachsame Beobachter (Empiriker) bald gemerkt haben, daß sich beim Abrufen der im Kopf gespeicherten Erfahrungen Fehler einschleichen können. Was tun? Viele Wege müssen gegangen worden sein, um das einmal gewonnene Wissen auch für die Nachwelt sicher zu erhalten. Wir können nachvollziehen, daß die Technik des Absichern eine Bandbreite gehabt hat. Von den kollektiven Übungen der fehlerfreien Abrufens, Konstruktion von Eselsbrücken, Dichtung von lebensnahen Erzählungen über unterschiedlichste Geschehnisse, Verse über Ereignisse und Erkenntnisse mit unterschiedlicher Metrik, Klängen, bis hin zu Markierungen außerhalb des Kopfspeichers auf witterungsbeständigen Materialien. Und die Markierungen sind über Zeichnungen, graphische Darstellungen, Symbole zu Buchstaben und zur Schrift geworden. Durch die Vielfalt der überlieferten Medien unterschiedlicher Reichweite und Qualität legen unsere Vorfahren uns nah, daß sie über einen möglichen Verlust des von Angesicht zu Angesicht gewonnen Wissens sehr besorgt gewesen sind und deshalb möglichst viele Außenspeicher als Stütze des Kopfspeichers anlegten. Damit übermitteln sie uns auch, daß sie keinen der Außenspeicher als Ersatz ansahen. Die Entwicklung der „Phonetik“ in der Schrift ist der Hinweis, wie besorgt sie über den Verlust des Klanges bei der Nutzung von Außenspeichern waren.

Es ist auch unbestritten, daß die Erfindung und Entwicklung von Schrift als Träger der Sprache eine gewaltige Kulturleistung gewesen ist. Die Schrift hat es möglich gemacht, daß das angesammelte Wissen – wenn auch in einer etwas abgemagerten Form – außerhalb des menschlichen Kopfes gespeichert werden konnte. Dadurch wird die Begrenzung des Raumes und der Zeit für den geistigen Austausch überwunden. Auch wird der Umfang von Erfahrungen und Einschätzungen vergrößert. Die Schrift als Außenspeicher, als eine mittelbare Ergänzung zum unmittelbaren Austausch, bereichert unsere Wahrnehmung und Erfahrung. Ohne jeden Zweifel.

Bekanntlich hat jede Lichtseite auch eine Schattenseite. Seit es die Schrift gibt, scheint der Umfang des unmittelbaren Austausches aus welchen Gründen auch immer tendenziell abzunehmen. So verflüchtigt sich auch nach und nach die Möglichkeit der unmittelbaren Überprüfung, der sofortigen Korrektur des fehlerhaft Wahrgenommenen. Wie oft erfahren wir im Alltag die Schwierigkeit, das, was uns im Kopf klar ist, so in Worte und in Sätze zu fassen, daß es von unserem Gegenüber auch so verstanden wird, wie wir es gemeint haben. Allein vom Ausdruck des Gesichts unseres Gegenübers entziffern wir, ob der gesendete Inhalt ohne Verzerrung und Entstellung ankommt. Im Zweifel wählen wir andere Worte, andere Sätze und wiederholen wir die Sendung. Bei Unverständnis oder Widerspruch geben wir zusätzliche Erläuterungen. Den Austauschvorgang beenden wir im gegenseitigen Einvernehmen. Tendenziell findet also der Austausch von Angesicht zu Angesicht ohne Mißverständnis statt.

Dabei ist die Wahrscheinlichkeit, eine Lügengeschichte glaubhaft abzusetzen, äußerst eingeschränkt. Wie heißt es so schön etwas übertreibend? Beim Lügen wackelt unsere Nase. Beim Lesen sind wir auf unser Entzifferungsvermögen und unsere Auffassungsfähigkeit angewiesen, vorausgesetzt, daß die schriftliche Übermittlung einfach und allseitig verständlich abgefaßt ist. Aber was ist, wenn bewußt etwas Falsches übermittelt wird? Beim Lesen sehen wir keine „Nase“! Und unser Eindruck ist, daß wir immer weniger „die Nase“ vermissen, immer bequemer werden und uns mit mittelbarer Unterhaltung begnügen, uns immer williger mittelbar unterhalten lassen, geneigter sind alles zu glauben, was an uns mittelbar herangetragen wird. Bald wird uns die Scheinwelt, die virtuelle Welt heimisch und die wirkliche Welt fremd.

Es ist nicht unsere Absicht, hier nachzeichnen zu wollen, wie die Dominanz des Außenspeichers und die Verkümmerung des Kopfspeichers im einzelnen verlaufen ist und immer noch verläuft. Wir erinnern uns lediglich an die bereits erwähnten Quantensprünge dieser Entwicklung: die Erfindung von Schrift, Druck, Film, Telegraphie, Funk, Telefon, Fernsehen, Internet, Digitalisierung. Und wir erinnern uns auch an die Kehrseite dieser Quantensprünge. Sie, die Kehrseite, macht uns darauf aufmerksam, daß der Außenspeicher nie eine Kopie, sondern eine Übersetzung des Originals ist. Und die Konturen von Übersetzungen stets unschärfer als Kopien und die Konturen von Kopien unschärfer als das Original sind (digitale Kopien ausgenommen). Es braucht nicht hervorgehoben zu werden, daß die Übersetzungen von Kopien und die Übersetzungen von Übersetzungen eben falscher sind, auch ohne bewußte Fälschung. Aus der Natur der Sache heraus.

Wir haben wiederholt den Ausdruck „Quantensprung“ verwendet. Wir nehmen diesen Ausdruck, der aus der Atomphysik stammt, mit einer dicken Entschuldigung zurück. Gemeint haben wir mit diesem Ausdruck einen unerwartet großen Sprung auf der Entwicklungsschiene, und nicht das Verhalten von Quanten bei der Atomspaltung, das wir aus eigener Anschauung nicht nur nicht kennen, sondern vom dem wir auch keine Ahnung haben. Aber ist der Gebrauch von solchen Begriffen nicht hübsch, beeindruckend, Eindruck schindend, bluffend und fälschend?

Aber richten wir unsere Aufmerksamkeit auf die unerwartet großen Sprünge und lassen uns nicht durch „Guinness–Fragen“ ablenken, wie groß eigentlich groß ist. Diese von uns erwähnten Sprünge beziehen sich auf die Eigenschaften von Speichern und Trägern des Wissens und nicht auf die Sprünge des Wissens, bzw. der Erkenntnis. Und wir müssen uns eingestehen, daß wir über die Sprünge des Wissens wenig wissen. Wieso? Wer will es wissen? Für die „moderne Wissenschaft“ ist dies eine Nichtfrage. Und Themen, mit denen sie sich nicht befaßt, sind über kurz oder lang verschüttet.

An dieser Stelle müssen wir uns auch entschuldigen dafür, daß wir zu Beginn eine Nachrichtenagentur namens Terra genannt haben, die es gar nicht gibt. Dies sollte nur ein Beispiel dafür sein, wie leicht etwas nicht Existierendes in Umlauf gebracht werden kann. Haben wir noch Zeit, Lügen und Fälschungen aufzudecken? Oder noch das Bewußtsein, daß ein Berg eine Fügung von unterschiedlich großen Steinen ist? Wir nehmen an dieser Stelle auch einen unbeabsichtigten Bluff zurück, nämlich: Es ist nicht unsere Absicht, hier nachzeichnen zu wollen, wie die Dominanz des Außenspeichers und die Verkümmerung des Kopfspeichers im Einzelnen verlaufen ist und immer noch verläuft. Auch darüber wissen wir nichts. Es gibt keine Forschung über die Verkümmerung des Kopfspeichers. Aber doch über die Entlastung des Kopfes durch technische Hilfsmittel. Diese Entlastung ist uns als die Humanisierung der Arbeitswelt schmackhaft gemacht worden. Die Hilfsmittel lassen sich ja auch leichter vermarkten als etwaige Übungsprogramme für die Steigerung der Effizienz des Kopfspeichers. Was wissen wir über die Beschaffenheit des Kopfspeichers? Wie weit ist die Entdeckung in diesem Bereich fortgeschritten? Was wissen die Gehirnforscher über die Gehirnmasse? Gehirnmasse? Kann die Zusammensetzung der Gehirnmasse beschrieben werden? Ihre Funktionsweise? Ihre Kapazität?

 

Wir können nicht übersehen, daß das Wissen unmittelbar mit der Wahrnehmung, mit der Entdeckung zunächst im Umfeld, und deren Verarbeitung zu tun hat. Erst das Wissen macht den Speicher erforderlich. Der Kopf als Speicher war schon immer da, auch ohne die Entdeckung seiner Beschaffenheit. Das Arbeiten mit dem Kopfspeicher setzt keine neuen Entdeckungen voraus, sondern die Erfindung von Techniken. Die Sprache ist keine Entdeckung, sondern eine Technik. Die Schrift ist ebenfalls eine Technik. Der Außenspeicher ist keine Entdeckung. Er ist ein technologisches Hilfsmittel, ein Werkzeug. Ausgetüftelte Technologien könnten bequemer zu Entdeckungen, zu Wissen, zur Wissenschaft führen, aber die Erfindung von Technologien ist keine wissenschaftliche Tätigkeit, vielmehr setzt diese Tätigkeit Wissenschaften voraus. Für die Beurteilung und Bewertung unserer Tage halten wir ein klares Auseinanderhalten von Wissenschaft und Technologie für unerläßlich. Denn nur dieses Auseinanderhalten ermöglicht uns Einblicke in das Verhältnis von Wissenschaft und Technologie. Wichtig scheint uns die Erkenntnis, daß Sprache, Schrift, Buchdruck, bis hin zum Internet, Erfindungen sind, die das angesammelte Wissen, die Wissenschaft tragen, bzw. transportieren können. Sie werden bedeutungslos, wenn die Wissenschaft verkümmert. Wem nützt es, wenn nur Bedeutungsloses hin und her transportiert wird? Auf „Moorhühner“ schießen wäre dann unterhaltsamer.

Wichtig scheint uns auch die Erkenntnis, daß der mittelbare Austausch von Wissen den unmittelbaren Austausch von Wissen nicht ersetzen kann. Aber die ständig zunehmenden Einrichtungen und die Geschwindigkeit der Übermittlung – wir haben bereits dies als unkontrollierbare Flut charakterisiert –, macht es uns schwer, den transportierten Inhalt zu fassen, zu bewerten, zu überprüfen. Immer mehr fehlen uns nicht nur die Zeit und Gelegenheit dafür. Uns fehlen auch die Menschen für einen unmittelbaren Austausch über die mittelbaren Anlieferungen. Wir werden auch den Eindruck nicht los, daß uns fortwährend eingehämmert wird, daß die Träger (Medien) die eigentliche Botschaft sind, und nicht, daß sie Botschaften tragen sollen. Der Buchdruck, das Transistorradio, das Fernsehen, das Internet sind die Botschaft, nicht die „Demokratisierung“ und nicht die Herstellung „demokratischer“ Verhältnisse. Wir alle wissen, daß diese Entwicklung nicht vom Himmel gefallen ist. Wir alle wissen auch, daß an dieser Entwicklung viele viel Geld verdienen und Macht ansammeln. Wie? Meist unter Ausschluß der Öffentlichkeit. Die Besitzverhältnisse werden verdeckt. Die Gewinne werden verschleiert. Kann das gut sein?

Es scheint so richtig zu sein. Warum soll denn in einer Demokratie (Herrschaft des Volkes) einer aus dem Volk genau wissen wollen, wie ein Reicher zu seinem Reichtum gekommen ist? Schließlich ist das Steuergeheimnis eines der höchsten Güter, das in der Demokratie geschützt bleiben muß. Wird dadurch nicht verhindert, daß wir zu einem Volk von häßlichen „Sozialneidern“ verkommen und unseren Wirtschaftsbossen das eigene Land vermiesen und sie zur Flucht in die Steuerparadiese zwingen? Wem soll das dienen?

Wir nehmen unsere Herrschaft (Demokratie) ernst und wollen von den reich Gewordenen genaue Rechenschaft darüber haben, wie sie zu ihrem Reichtum gekommen sind, was der „Preis“ dafür gewesen ist und wer ihn hat bezahlen müssen. Und wir wollen uns nicht damit abfinden, daß wir Tag ein Tag aus mit unüberprüfbaren sogenannten Informationen unser Gehirn gewaschen bekommen. Aber wie? Was tun?

Wir wissen nicht, was alles dagegen zu tun wäre, um der Gefahr einer Gehirnwäsche zu entrinnen. Aber wir können darüber berichten, was wir bislang alles unternommen und was wir dabei an Einsichten gewonnen haben. Nur soviel sei im Voraus preisgegeben: Uns geht es bei dieser Übung immer besser. Wir haben klein angefangen. Mit dem Lesen. Die vielen bestallten und gelehrten Wissenschaftler haben uns mittels ihrer Bücher zu überzeugen versucht, daß die Verhältnisse in einer Demokratie, nein, in einer „repräsentativen“ parlamentarischen Demokratie, in einer durchindustrialisierten, „modernen“ Gesellschaft, eine komplizierte Sache sind. Die Sache soll so kompliziert sein, daß wir als Volk die Zusammenhänge nicht mehr durchschauen, nicht begreifen können. Welchen Sinn hätte es, wenn wir unsere eh knappen Möglichkeiten einsetzten würden, um zu erkennen, was um uns und mit uns geschieht? Warum sollen wir, das gemeine Volk, die Durchschnittsmenschen, nicht jenen Supergehirnen vertrauen lernen, die mit großer Anstrengung, mit unserem, dem Volksvermögen finanziert, ausgebildet werden? Jenen Eliten, die sich ja dank unserer Finanzbeihilfe und ihrer herausragender Intelligenz und ausgezeichneter Ausbildung den totalen Überblick und Durchblick verschafft haben? Schließlich gibt es doch „kritische Wissenschaftler“ und deren „kritische Bücher“. Beschreiben sie nicht die vielen Mißstände in der Gesellschaft in Zusammenhängen, bewerten sie die Mißstände nicht und sagen sie uns nicht genau, was zu tun ist? Ist nicht Vertrauen besser als Kontrolle? Macht nicht das Vertrauen lernen sorgenfreier und glücklicher?

Uns haben die „Wissenschaftler“ nicht überzeugt. Die anfängliche Begeisterung über die Beschreibung von Mißständen, die auch uns nicht verborgen geblieben waren, hat bei uns nicht lange angehalten. Viele der Mißstände haben wir aus eigener Anschauung und Erfahrung genauer gekannt als sie. Warum reden und schreiben sie nicht Klartext? Wieso bedienen sich Gelehrte aller Couleur oft einer diplomatischen Sprache? Auch die jämmerliche Übung des Zitierens hat uns nicht nur genervt. Wir haben den Verdacht, daß uns viele Gelehrte oft über Probleme, Verhältnisse, Zusammenhänge erzählen, die sie aus ihrer eigenen Anschauung und Erfahrung gar nicht kennen. So haben wir beim Lesen immer häufiger feststellen müssen, daß schreibende Gelehrte eher und mehr von jener Anschauung und Erfahrung zehren, die schreibende Gelehrte vor ihrer Zeit schriftlich der Nachwelt hinterlassen haben. Auffällig ist, daß schreibende Gelehrte gutgläubiger gewesen sind und heute noch sind als wir. Sie haben nicht wie wir gefragt, wie und woher ihre Vorgänger etwas gewußt haben, wenn sie uns „glauben machen“ wollen, daß sie es wirklich wissen. Wir können uns des Eindrucks nicht erwehren, daß das „geisteswissenschaftliche“ Arbeiten schon immer die Fähigkeit des uneingeschränkten Glaubens an das gedruckte Wort vorausgesetzt hat. Etwa nach dem Motto, wenn das gedruckte Wort nicht die Wahrheit tragen würde, würde es erst gar nicht gedruckt worden sein.

Wir können uns auch des Eindrucks nicht erwehren, daß das „geisteswissenschaftliche“ Arbeiten nicht auf genaue Beobachtungen und deren Beschreibung beruht, sondern auf dem Heranziehen früherer Veröffentlichungen zum Thema. Nicht sämtlicher, sondern vieler. Und wieviel ist viel? Wie sollen wir das wissen? Über das kritische Hinterfragen wird uns nichts überliefert. Überliefert werden uns nur Stellen aus früheren Veröffentlichungen, welche die aktuellen Aussagen der schreibenden „Gelehrten“ stützen. Eine Kritik der zitierten Quellen findet nicht statt. Warum auch?

Alles soll seinen Preis haben. Wenn einer, wie wir, den Quellen mißtraut, kann er ja die zitierten Quellen selbst überprüfen. Schließlich sind die „bibliographischen“ Angaben ja gemacht. Ob die Angaben auch ordentlich sind? Wir haben Zweifel. Sie geben nur an, welche Bücher herangezogen wurden. Sie liefern keine Bibliographie des Themas! Warum verraten sie uns beispielsweise nicht, welche einschlägigen Werke zum Thema, aus welchen Gründen auch immer, nicht herangezogen wurden? Wäre es zu viel des Guten zu verlangen, daß diese Gelehrten genau dies offenlegten? Warum setzen sie sich nicht mit dem zitierten Text auseinander? Und was ist, wenn die Textstellen aus dem Zusammenhang gerissen, oder beim Abschreiben Fehler unterlaufen sind? Wer wie wir den ausgewiesenen Gelehrten mit soviel Mißtrauen begegnet, der soll offensichtlich noch glauben lernen. Die Alternative zum Glauben ist mühsam. In die Bibliothek gehen, das Buch suchen, die Stelle finden, sorgfältig gegenlesen. Häufig ist das Buch auch ausgeliehen. Oder es muß erst über die Fernleihe bestellt werden.

So erfahren wir nichts Genaues darüber, wie systematisch die Auswahl der zitierten Bücher getroffen wurde. Das einzig Systematische in der Auswahl ist, daß nur Veröffentlichungen neueren Datums herangezogen werden. Es herrscht die Überzeugung, nein, der Glaube vor, daß das neueste Werk alles Alte aufgearbeitet haben muß. Nach diesem Ausflug in die Arbeitsweise der sogenannten Geisteswissenschaftler wird es Zeit, daß wir gemeinsam nun die Bücher selbst betrachten.

Die Bücher sollen für uns Leser geschrieben worden sein. Nicht alles darin haben wir immer verstanden. Aber die wesentliche Botschaft schon. Wir sollten uns überzeugen lassen, daß wir das Denken und Machen jenen überlassen sollen, die auch gelernt haben, „professionell“ zu denken und zu machen. So sind wir stutzig geworden. Wenn die Bücher tatsächlich für uns geschrieben sind, wir die klugen Bücher auch tatsächlich verstehen können sollen und sie auch verstehen, wieso sind wir dann immer noch weniger klug als diese Eliten? Warum sollen wir das Denken doch ihnen überlassen, wenn wir verstehen können, was sie schreiben? Sagen sie uns etwa nicht alles, was sie wissen? Machen wir einen Denkfehler?

Die Sprache der vielen kritischen Geister hat uns mächtig genervt. So umständlich, so verschlüsselt, so alltagsfern, so fremdländisch. Und die Kurzatmigkeit und die kurze Reichweite der Themen. Die Botschaft hat uns erreicht, aber doch das Ziel verfehlt. Sie hat uns nicht überzeugen können, daß wir die Verhältnisse einer „modernen freiheitlichen demokratischen“ Gesellschaft, daß wir die Zusammenhänge der Verhältnisse mit Hilfe dieser Elite je werden begreifen können. Denn sie haben keine Antworten auf Fragen, die für uns wichtig sind. Nein. Sie haben uns nicht wirklich erklärt, warum Reiche noch reicher werden und die Armen immer ärmer. Auch nicht, wie Reiche reich geworden sind. Oder warum es einerseits so viel Geheimnistuerei gibt, warum alles Schriftliche, das dokumentieren könnte, was alles unsere Vertreter (Repräsentanten) in unserem Namen so treiben, was die von uns bestellte Regierung alles treibt, unter Verschluß gehalten wird, andererseits die sogenannte Informationsflut herrscht, das Zuschütten durch nicht überprüfbare Erzählungen. Also haben wir uns Fragen gestellt. Und immer neue Fragen. Fragen wie die folgenden.

Wie werden Eliten zur Elite? Sind sie so geboren, oder werden sie Elite durch Ausbildung? Wenn sie durch Ausbildung zur Elite aufsteigen, was verschafft den künftigen Eliten den Zugang zu den Ausbildungsstätten? Soziales Erbe oder erworbene Intelligenz? Wie kommen sie zu den Themen ihrer Diplom– und Doktorarbeiten? Wie und wer kommt zur Doktorarbeit? Was kostet eine Doktorarbeit? Wer bezahlt sie? Wer hält die gewordene Elite aus? Was verdient sie? Wer stellt sie ein? Worin besteht die hauptsächliche Tätigkeit der Elite: in der Beratung ihrer Arbeitgeber oder in der Aufklärung der Öffentlichkeit? Dürfen sich die im Sold stehenden Eliten ohne Genehmigung überhaupt äußern? Selbst wenn sie die Genehmigung bekämen, könnten sie uns ihre Einsichten und Erkenntnisse vermitteln, wenn dies den Interessen ihrer Soldgeber entgegen stünde? Welche besondere Interessen haben die Soldgeber? Und, wer soll sie bezahlen, die Aufklärung der Öffentlichkeit? Wie? Über Medien? Wem gehören die Medien? Haben die Besitzer der Medien auch besondere Interessen? Transportieren die Medien alles? Können sie das? Wählen sie aus? Nach welchen Merkmalen? Usw., usw.

Ist es ein Fragen ohne Ende? So scheint es auf dem ersten Blick. Dem ist nicht so. Bei der Übung, Fragen zu stellen, haben wir entdeckt, daß es durchaus unterschiedliche Qualitäten von Fragen gibt. Theoretisch wissen wir alle, daß es solche und solche Fragen gibt. Es gibt wesentliche Fragen, die zur Erkenntnis führen und es gibt Fragen, die uns nur vom Erkenntnisgewinn ablenken. Die praktische Übung hat uns die Augen geöffnet. Wir haben mit der Zeit lernen können, treffsichere Fragen zu stellen. Wir haben häufig zu Nachschlagewerken gegriffen, wenn wir keine Antworten auf unsere Fragen aus dem eigenen Fundus hatten. Irgendwann haben wir uns aber gefragt, wie wohl Nachschlagewerke zustande kommen? Wer legt die behandelten Schlagwörter fest? Fallen welche heraus? Warum? Nach welchen Gesichtspunkten? Will der Verlag nur Geld damit verdienen? Hat der Verleger auch eigene Vorstellungen über Moral und Werte? Verbindet er diese mit dem Geld verdienen? Wie weiß der Verleger, daß er in seinem Nachschlagewerk alles wichtige erfaßt hat? Wie vergewissert er sich? Wen zieht er zur Beratung hinzu? Forscher? Wissenschaftler? Haben die auch Moralvorstellungen? Gäbe es Nachschlagewerke ohne Wissenschaftler, ohne Gelehrte? Sind wir nicht wieder bei den Eliten?

 

Aus zwei Gründen haben wir bei den Nachschlagewerken verweilen müssen. Immer wenn wir etwas nicht wissen, greifen wir zu Nachschlagewerken und informieren uns. Wir lassen uns erzählen und wir nehmen das Erzählte willig als richtig hin. Wir lassen uns überzeugen. Wir haben keine Alternative. Äußerst selten fragen wir: wer hat all das zusammengeschrieben? Woher und wie haben die Autoren der Texte all das zu den Stichworten gewußt? Wurde ihr Beitrag redigiert, korrigiert, gekürzt? Warum gibt es mehr als ein Nachschlagewerk?

Der zweite Grund ist noch folgenträchtiger. Wann und wie wurde die Nachfrage nach einem Nachschlagewerk erzeugt? Nachschlagewerke grenzen auch Stichworte aus. Sie müssen es. Jeder weiß, daß alle Medien unter chronischen Platzmangel leiden. Alle Medien müssen eine Kosten-Nutzen-Rechnung aufmachen. Aber nach welchen Gesichtspunkten grenzen sie Stichworte, Themenbereiche aus? War dem ersten Verleger bewußt, daß er mit dem Verlegen eine Standardisierung der Antworten auf Erkenntnisfragen verursachte? Und mittelfristig auch der Erkenntnisfragen? Der beispielhafte Krieg gegen die Nachschlagewerke im Internet wird mit harten Bandagen geführt. Die Verleger gedruckter Nachschlagewerke werfen den Verlegern im Internet vor, ob des Wettbewerbs alles zu verkürzen und wollen uns vergessen machen, daß sie während der Zeit ihrer Marktbeherrschung genau das Gleiche gemacht haben. Wir sollen glauben, diesen Verlegern ginge es um die Qualität, um die Vermittlung von Wissen und nicht um das Geld. Die Kriegsberichterstattung soll uns nicht davon abhalten darüber nachzudenken, was es wirklich bedeutet, über Nachschlagewerke alles mögliche zu „standardisieren“? Standardisieren? Standardisieren oder begrenzen?

Wer alles liefert den Verlegern den verkäuflichen Text, und woher haben sie das Wissen? Wissen? Sind wir nicht wieder bei den Eliten? Was ist, wenn sie sich irren? Was ist, wenn ihre Quellen unzureichend gewesen sind? Was ist, wenn sie uns wider besseres Wissen etwas vortäuschen wollen? Und was ist mit jenem Teil, der bei der Begrenzung (Standardisierung) ausgegrenzt wird? Ist unser Alltag nicht angefüllt von der Erfahrung, daß uns viele Geschichten aufgetischt werden, die nur kurzen Bestand haben? Von Kanther, Koch und Kohl oder Vietnam, Irak, Somalia, und Kosovo ganz zu schweigen. Redet die politische Elite nicht andauernd von Themen „besetzen“ und Ideen „verkaufen“? Schämt sie sich dabei? Haben wir auch nur leichte Hinweise – den vielen „Talkshows“ zum Trotz –, daß die Eliten anderer gesellschaftlichen Bereiche beim „Verkauf“ ihrer verkäuflichen Werte verschämter sind? Gibt es heute etwas, was nicht käuflich ist? Was?

Es ist allseitig unbestritten, daß nach dem ersten großen Sprung im Bereich des geistigen Austausches durch die Entwicklung der Schrift in diesem Bereich eine ganze Menge geschehen ist. Vielfalt und Vervielfältigung der Medien auf hohem technologischen Niveau. Aber haben wir auch Meßlatten und Prüfgeräte um zu beurteilen, ob möglicherweise die angebliche Vielfalt von Medien und Information, doch nur eine vielfältige Wiederholung der gleichen Desinformation ist? Uns allen würden viele Beispiele der massiven Desinformation durch alle Medien einfallen, wenn unser Erinnerungsvermögen in der „Informations– und Mediengesellschaft“ nicht schon fast verloren gegangen wäre. Wir wollen an dieser Stelle nicht unbedingt fragen, wie oft das Bundesverfassungsgericht in Deutschland jene nie vom Volk unmittelbar gebilligte Finanzierung der politischen Parteien als verfassungswidrig beurteilt hat. Auch nicht wer und wie von den oberen Hundert schon Erinnerungslücken (black-outs) für sich in Anspruch genommen hat, wenn sie glaubten, bei ihren Untaten erwischt worden zu sein.

Wir fragen beispielsweise auch nicht nach der im Fernsehen übertragener Reaktion von Roman Herzog als Präsident des Bundesverfassungsgerichts, als bekannt wurde, daß der gerade verstorbene herausragende Verfassungsrechtler dieser deutschen Republik, Theodor Maunz, jahrelang wöchentlich den Vorsitzenden der rechtsextremen Deutschen Volksunion (DVU) und Verleger Dr. Gerhard Frey traf und ihn in seinen diversen Verwaltungsgerichtsverfahren außerordentlich effizient beriet. Roman Herzog reagierte, äußerte für den Reporter anscheinend überzeugend, daß er den Bauch voll Wut hatte als er dies erfuhr. Der Reporter fragte in dem gesendeten Fernsehbericht nichts nach. Hatte der Reporter nicht gewußt, daß Roman Herzog als junger Rechtswissenschaftler viele Jahre Vertrauter und enger Mitarbeiter eben jenes Theodor Maunz war? Daß der gebräuchlichste Grundgesetzkommentar den Namen Maunz–Herzog trägt? Daß es in dieser Republik keinen Verfassungsrechtler gibt, der nicht Theodor Maunz immer noch hoch in Ehren hält? Wie viele Medienmacher haben uns informiert, daß Theodor Maunz auch im Dritten Reich ein ebenso herausragender Verfassungsrechtler gewesen ist? Wie hielt es Theodor Maunz mit dem „Führerprinzip“? Ein Bauch voller Wut mag noch akzeptiert werden. Aber ist die Frage nicht unmittelbar fällig, wenn er, Roman Herzog, trotz jahrelanger engster Zusammenarbeit nicht gemerkt hatte, aus welchem Holz Theodor Maunz geschnitzt war, war er dann selbst geeignet als oberster Verfassungshüter der neuen Deutschen Republik? Nein, alle diese Fragen stellen wir nicht. Es ist ja alles schon so lange her.

Nur, wir kommen nicht umhin, die Frage nach den Zusammenhängen in den Raum zu stellen. Gibt es Zusammenhänge zwischen der Medienvielfalt und dem Verlust von Gedächtnis? Können wir übersehen, daß trotz Medienvielfalt alle Medien dieselben Schlagzeilen unter gleichen Gewändern transportieren, und daß Medienvielfalt keineswegs zur Informationsvielfalt, nicht zu facettenreicheren Einblicken in die Ereignisse geführt hat? Können wir wirklich übersehen, daß die Vielzahl der Zeitungen, Magazine, Rundfunk– und Fernsehsender nur täuschend sein kann, wenn ihre Quellen, die Agenturen, die gleichen sind? Und konkurrieren sie nicht bedingungslos um den Kuchen der Werbebudgets der Waren verkaufenden Unternehmen? Auch die öffentlich–rechtlichen Rundfunk– und Fernsehanstalten? Welche von ihnen könnte den riskanten Versuch unternehmen, mit alternativer Programmpolitik ein größeres Stück vom Werbekuchen zu ergattern? Was ist, wenn es schief geht? Sie konkurrieren also folgerichtig nach dem „Guinness–Prinzip“: schneller, reißerischer, unterhaltsamer und besser nur in technischer Qualität. Auflagenhöhen und Quoten sind Trumpf. Zusammenhänge und Hintergründe sind kopflastig, sind weniger unterhaltsam. Und wir lassen uns gern unterhalten. Unterhaltung braucht kein Gedächtnis. Gedächtnis belastet nur. Haben wir nicht genug Krampf und Kampf um den Alltag zu bewältigen?

Wir haben sicherlich noch nicht ganz vergessen, mit welcher Gewalt die täglichen Pressekonferenzen aus dem Weißen Haus bei der Terroristenbekämpfung in Afghanistan, aus dem NATO–Hauptquartier während des „unvermeidbaren“, „gerechten“ Kosovo Krieges uns welche unglaublichen Geschichten „glauben machen“ wollten. Hatten nicht die US–Bomber und NATO–Bomber nur intelligente Bomben abgeworfen, die stets zwischen „bin Ladens“ und „Milosevics“ einerseits und afghanischen und jugoslawischen Kindern und Frauen anderseits unterscheiden konnten? Abgesehen von den wenigen „Kollateralschäden“! Kollateralschäden? Hatte nicht die zivilisierte „Staatengemeinschaft“ in diesen Kriegen aus der Luft, nein, in diesen „Luftschlägen“, die einzige Möglichkeit gesehen, in Afghanistan das gegenseitige Abschlachten der afghanischen Stammeskrieger, in Kosovo eine „ethnische Säuberung“ zu verhindern? Was haben die „Luftschläge“ und die gewonnenen Kriege tatsächlich gebracht? In Afghanistan, in Kosovo, in Bosnien–Herzogovina, in Kroatien? Was sind Stammeskriege? Was ist ethnische Säuberung? Was war in Somalia? Und im Libanon?

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