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Peter Schmidt

Linders Liste

Kriminalroman

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Inhaltsverzeichnis

Titel

ZUM BUCH

PRESSESTIMMEN:

ÜBER DEN AUTOR

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WEITERE TITEL

Impressum neobooks

ZUM BUCH

Ausgerechnet zur Frankfurter Buchmesse werden nacheinander sieben internationale Verleger auf spektakuläre, ja skurrile Weise umgebracht …

Und der Kriminalautor Samuel Linder hat einen Krimi verfasst, in dem genau das beschrieben wird: nämlich wie zur Zeit der Frankfurter Buchmesse sieben Verleger ermordet werden, weil keiner von ihnen sein Manuskript gelesen hat. Der Titel: „Linders Liste“ …

Gerät der Autor damit auch schon in falschen Verdacht? Oder ist der Täter nur ein böswilliger Trittbrettfahrer und Nachahmer?

Einer der schillernsten, amüsantesten Kriminalromane der Gegenwart. Augenzwinkernd, boshaft, doppelbödig, mit ironischem Witz, wie er in unserer Literaturlandschaft selten ist ...

PRESSESTIMMEN:

Peter Schmidt... landet mit "Linders Liste" (Rowohlt) den satirisch-kriminalistisch großen Wurf...

(Hamburger Abendblatt)

Peter Schmidt ist ein sehr begabter und ungewöhnlich phantasiereicher Erzähler, der das Genre des Kriminalromans in mehrere Richtungen der Gattungen entwickelt und neu formiert hat.

(Prof. Dr. P. G. Klussmann, Ruhruniversität Bochum, anlässlich der Laudatio des Literaturpreises Ruhrgebiet)

Peter Schmidt nimmt die Wirklichkeit als Anlass, als Spielmaterial. Und er spielt damit, wie nur Kinder, Narren oder Dichter spielen können: konsequent bis ins Detail, unerbittlich bis zur Grausamkeit. Es ist tatsächlich ein Spiel: als ob, oder auch: was wäre wenn.

(Krimikritiker Rudi Kost)

WIKIPEDIA:

„Mit seinen doppelbödigen und hintergründigen Kriminalkomödien (Linders Liste 1988, Roulette 1992, Schwarzer Freitag 1993) vertritt Schmidt darüber hinaus ein ganz eigenes Genre des literarischen Kriminalromans, in dem Ironie, philosophische Reflexion und satirische Betrachtungsweisen menschlicher Schwächen dominieren.“

ÜBER DEN AUTOR


Peter Schmidt, geboren im westfälischen Gescher, Schriftsteller und Philosoph, gilt selbst dem Altmeister des Spionagethrillers, John le Carré, als einer der führenden deutschen Autoren des Spionageromans und Politthrillers. Darüber hinaus veröffentlichte er zahlreiche Kriminalkomödien – oft der schwärzesten Art –, aber auch Medizinthriller (zuletzt „Endorphase-X“), SF-Thriller, Wissenschaftsthriller, Psychothriller und Detektivromane.

Bereits dreimal erhielt er den Deutschen Krimipreis („Erfindergeist“, „Die Stunde des Geschichtenerzählers“ und „Das Veteranentreffen“). Für sein bisheriges Gesamtwerk wurde er mit dem Literaturpreis Ruhr ausgezeichnet.

Schmidt studierte Literaturwissenschaft und sprachanalytische und phänomenologische Philosophie mit Schwerpunkt psychologische Grundlagentheorie an der Ruhr-Universität Bochum und veröffentlichte rund 40 Bücher, darunter auch mehrere Sachbücher.

AUTORENINFO

http://autoren-info-peter-schmidt.blogspot.de/

Ungekürzte, überarbeitete Neuauflage der gedruckten Fassung im Rowohlt Verlag, Reinbek

Copyright © 2013 Peter Schmidt

1

Slauters erzählte oft die Geschichte, wie einer von diesen Kerlen, als er sich nach dem Pinkeln in einer dunklen Toreinfahrt noch die Schnürsenkel zubinden wollte, mit „irgendetwas Hartem“ von hinten einen Schlag auf den Schädel bekommen hatte.

Aber das, hochverehrte Frau Doktor, sollte Sie doch nicht gleich zu überzogenen Schlussfolgerungen verleiten!

Muss ich Sie erst daran erinnern, dass man Sie nicht als Gutachterin eingesetzt hat um die sogenannte Schuldfrage zu klären (Schuldfrage, was für ein Wort!), sondern weil man Aufschluss über meinen Geisteszustand erhalten will?

Nein, natürlich nicht. Heilanstalt oder Gefängnis, das ist hier die Frage …

Dieser Slauters – übrigens der einzige Mensch, mit dem ich wieder reden konnte, nachdem ich mich in mein kanadisches Exil geflüchtet hatte. Sie ahnen wohl kaum, was das in meiner Lage bedeutete!

Er bewohnte den Pfahlbau nebenan, wir hatten denselben Vermieter, einen schon etwas debilen Mittsiebziger der gern zweimal die monatliche Miete kassierte, und im ersten Morgengrauen konnte ich drüben auf der überdachten Veranda manchmal Slauters altmodische Schreibmaschine klappern hören.

Sobald das Licht ausreichte, sah ich ihn mit seinen dünnen Storchenbeinen zum Ufer des Ottawa River hinunterstiefeln, um die Stockenten zu beobachten.

Er behauptete, es bringe ihn beim Schreiben auf neue Einfälle. Sie seien den Menschen so ähnlich – nur ehrlicher in ihren Äußerungen.

Ein beachtlicher Handwerker, dieser Slauters – aber wenn Sie mich fragen, welchen Rang er einmal in der Literaturgeschichte einnehmen wird – na ja …

Keine Frage, dass die Tätlichkeiten gegen Verleger in den letzten Jahren zugenommen hätten.

Er machte ihrer chronische Leseschwäche dafür verantwortlich, und wohl zu Recht. Wenn es vielleicht auch nur die halbe Wahrheit ist. So ein nächtlicher Schlag auf den Hinterkopf soll ja manchmal sogar die Denktätigkeit anregen.

Sie sehen, hochverehrte Frau Doktor, ich bin sehr ehrlich. Ich leugne gar nicht, dass ich, als meine Tantiemen aus „Gelber Flachs“ nach und nach zu versiegen begannen, durchaus jener mysteriöse (und niemals gefasste) Unbekannte hätte sein können, der seinem Verleger an einem finsteren Spätsommerabern am Stadtrand von Montreal einen derben Schlag auf den Hinterkopf versetzte (mit einem Baseballschläger, falls es Sie so genau interessiert).

 

Aber legen Sie das nicht gleich gegen mich aus. Wahrscheinlich befand er sich in einer ganz ähnlichen Lage wie ich:

Seine Manuskripte waren ungelesen zurückgesandt worden …

Er zehrte von den kümmerlichen Tantiemen seines letzten Erfolgsromans (sagen wir „Gelber Flachs“ oder ein ähnlich eingängiger Titel), und vor die Alternative gestellt, sich im Ottawa River zu ersäufen oder seinem Widersacher ein wenig das Gehirn zurechtzurücken – was, nebenbei gesagt, auch noch beträchtlich Befriedigung und Erleichterung gewähren soll –‚ entschied er sich schweren Herzens für das letztere.

Wäre ich Staatsanwalt würde ich hier niemals leichtfertig eine Verbindung herstellen. Ich meine: nur weil die Anklage gegen mich gewisse zufällige Parallelen aufweist …

Analogieschlüsse sind in der Philosophiegeschichte schon die übelsten Fallgruben gewesen. Sie sollten das immer im Auge behalten, verehrte Frau Doktor.

Mag sein, dass wir Ritter des Geistes ein feineres Gespür für solche Zwischentöne besitzen. Wir haben einfach gelernt, dass der Weltenlauf nicht so simpel ist, wie uns einige Einfachgemüter weismachen wollen, sondern verschlungene Wege geht. Die Amöbe in der Wasserpfütze kennt nur zwei Richtungen: „hin zu …“ und „weg von …“ Oder einverleiben und selber einverleibt werden. Ich hoffe, dass sich der Verstand meines Richters nicht auf dieser groben Ebene bewegt … dass er zu differenzieren vermag!

Nehmen wir nur meine damalige Diskriminierung durch die Regenbogenpresse. Vermutlich haben Sie meine Unterlagen aufgeschlagen vor sich liegen und wissen, wovon ich rede?

Dann verstehen Sie auch, dass ich trotz des großen Erfolgs von „Gelber Flachs“ aus Deutschland flüchten musste … Es blieb mir gar nichts anderes übrig, wenn ich diesen Blutsaugern entkommen wollte. Ich gab alles auf, was mir lieb und teuer war: mein Land, meine Sprache, meine Freunde.

Und das Delikt, gnädige Frau?

Als psychiatrische Gutachterin werden Sie dafür wahrscheinlich nur ein müdes Lächeln übrig haben.

Ich bin sexuell gesehen so normal wie jeder andere. Aber was machte die Regenbogenpresse aus meinen harmlosen Griffen? Fünf Zentimeter hohe Schlagzeilen:

Greifer von München endlich gefasst!“ – „Schenkelgriff“, „Backengriff“

… das waren die Worte, mit denen man mein harmloses Vergnügen titulierte. Wenn es darum geht, die Feierabendbeschäftigung ehrbarer Bürger in den Schmutz zu ziehen, entwickeln diese Wortbanausen plötzlich beinahe sprachschöpferische Fähigkeiten.

Verehrte Frau Doktor, schon damals war meine Prostata so groß wie ein Golfball – und sie hat seitdem noch zugelegt!

Allein aus diesen schlichten physiologischen Gründen hätte es bei mir niemals zum Triebtäter gereicht.

Es war ein Steckenpferd ohne Folgen …

2

Mein Hang zum weiblichen Geschlecht bewegte sich also durchaus in harmlosen Bahnen.

Wer hätte von einem so simplen Tatbestand das Ende einer Schriftstellerkarriere erwarten können? Kein Lektor, geschweige denn Verleger las mehr meine Manuskripte …

Es war, als trügen sie alle das Kainszeichen des „Schenkelgreifers“.

Schon das Wort, hochverehrte Frau Doktor, jagt mir einen Schauder über den Rücken!

Ein Autor, der mit „Gelber Flachs“ Anlass zu der Hoffnung gegeben hatte, er leite eine neue Ära des realistischen Kriminalromans ein – weit weg vom detektivischen Kreuzworträtsel und Welten entfernt von jenen Gärtnern, die zum fünfunddreißigsten Mal mit einem Messer im Rücken zwischen ihren Blumenbeeten gefunden werden –, hatte sich im Gedränge der Münchener Stadtbusse oder in der U-Bahn seinem lüsternen Hang überlassen.

Ein solcher Mensch konnte kein seriöser Autor sein.

Aber was war eigentlich passiert? Eine flüchtige Berührung, ein zögerndes Tasten. Sehen Sie, Frau Doktor: jede Stuhllehne, jede Haltestange in der Tram hätte der reinen Empfindung nach den gleichen Effekt haben können. Die Finger eines senilen alten Bocks dagegen …?

Nicht das Ergebnis, sondern die Gedanken waren es, die man mir zur Last legte.

Aber sind nicht die Gedanken bei uns angeblich so frei, dass niemand ihretwegen Repressalien befürchten müsste?

Als ich mich nach Kanada absetzte, um in der Abgeschiedenheit am großen Fluss meinen inneren Frieden wieder zu finden, ahnte ich noch nicht, dass die Verlegersippe eine große Familie ist. Fünf- oder zehntausend Meilen hindern sie keineswegs, sofort zum Telefon zu greifen, um Klatsch und Tratsch über den ganzen Erdball zu verbreiten.

Eher im Gegenteil: Die Entfernung scheint sie noch zu stimulieren.

„Linder?“, fragte der bleichgesichtige Vorzimmerlektor, der sich mir an der Korridortür zum Verlegerbüro in den Weg stellte, als ich bei Skripner in Montreal vorsprach. „Kann es sein, dass ich Ihren Namen schon mal gehört habe?“

„Das will ich doch stark hoffen“, erwiderte ich nachsichtig. „Gelber Flachs.“

Er schwieg und starrte mich mit allen Anzeichen des Entsetzens und der Verachtung an. Wahrscheinlich hatte er es im Bett nie weiter als bis zur Missionarsstellung gebracht, aber das stellte ihn haushoch über ein Individuum, das bei der Berührung eines jungen festen Frauenhinterns kosmischen Schauder empfand.

„Wir lesen‘s, glauben Sie mir, wir lesen‘s.“

„Ich habe nicht den Eindruck.“

„Was sollte uns daran hindern?“

„Meine ersten drei Manuskripte kamen ungelesen zurück. ‚Neuer Zorn’ und ‚Die Macht der Gerichte’ waren nicht mal aufgetrennt, als der Postbote sie mir zurückbrachte.“

„So? Na, dann kann‘s nur an unserer Arbeitsüberlastung gelegen haben.“

„Meines Wissens suchen Sie im Montreal Kurier krampfhaft mit ganzseitigen Anzeigen nach neuen Talenten?“

„Machen Sie doch eine Eingabe an das Büro des Verlegers, wenn Ihnen unsere Arbeitsweise nicht gefällt.“

„Ich hab‘s Skripner sogar auf den Frühstückstisch legen lassen.“

„Tatsache? Wie haben Sie das denn geschafft?“

„Persönliche Kontakte.“

„Wir fördern keine Vetternwirtschaft.“

So oder ähnlich verliefen meine Gespräche in den Verlagsbüros.

Mag sich die Gilde der Lektoren und Kritiker auch in Kleinmütigkeit verzehren, weil sie samt und sonders verhinderte Autoren sind: Von den Verlegern selbst erwartete ich doch etwas mehr Verständnis.

Ein Mensch kann sich schließlich ändern.

In meinem Alter – meiner Prostata und der Tatsache eingedenk, dass ich im Exil ziemlich zugenommen hatte und einen Teil meiner dunkelgrauen Anzüge weiter machen lassen musste (ich trage nur noch meine grauen Anzüge, weil ihre Westen wegen des Ausschnitts über dem Bauch nicht so spannen) – sollte man eigentlich keine exzessiven sexuellen Betätigungen mehr erwarten, und in diesem Sinne, so hoffte ich, würde auch meine Glaubwürdigkeit in der internationalen Verlegerwelt zurückkehren.

Aber entweder waren meine neuen Arbeiten wirklich so schlecht, wie meine Reinemachefrau behauptete – oder sie wurden nicht gelesen, weil sich ihr Realismus wenig als Einschlaflektüre eignete. Mit anderen Worten: Weil ich kein Blatt vor den Mund nahm und die Dinge so darstellte, wie sie sich in der Welt zutragen.

Das Verbrechen, sehr verehrte Frau Doktor, wenn Sie mir diesen kleinen Exkurs gestatten, ist die Säule der Kriminalliteratur.

In „Gelber Flachs“ (Sie erinnern sich vermutlich dieses berühmten Werkes, ohne nachzuschlagen) war es bekanntlich ein Lektor, der den Mord beging. Er erstickte seinen Autor, indem er ihm, während er auf seiner Wohnzimmercouch übernachtete, ein Tuch aus grobem Flachs in den geöffneten Mund steckte, um selbst den Ruhm der Autorenschaft zu ernten.

Und ich habe mir diese geniale Geschichte keineswegs aus den Fingern gesogen. Sie ist von der ersten bis zur letzten Zeile wahr!

Zwei oder drei Wochenzeitungen veröffentlichten damals sogar Fotos des nachgestellten Anschlags (statt des Flachstuchs allerdings nur ein chinesischer Seidenschal). Die Polizei war wie üblich ratlos.

Mein Freund, der jüdische Amateurdetektiv Balthasar Prom, suchte mich eines Tages auf und schilderte mir den Stand seiner Ermittlungen in allen Einzelheiten. Er sagte:

„Samuel, der Bursche ist nicht zu fassen. Er wird Justitia entkommen, wenn wir nicht ganz ungewöhnliche Mittel anwenden, um ihn zu entlarven.“

„Und was habe ich damit zu schaffen?“

„Streng deinen Grips an. Du bist schließlich Autor …“

„Meinen Grips?“

„Deine Phantasie. Lass dir etwas einfallen.“

Ich stellte also damals das Verbrechen genau jenes Lektors dar, dem ich das Manuskript anbot. Er musste nicht schlecht gestaunt haben, als er seinen eigenen Fall plötzlich als Roman vor sich sah. Zu einem Zeitpunkt, als er sich längst außer Gefahr glaubte.

Und was tat dieser Schwerenöter?

Er beseitigte flugs alle Hinweise, die ihn persönlich hätten belasten und identifizieren können, aus meinem Manuskript (natürlich hatte ich damit gerechnet). Dieser plumpe Schachzug konnte ihn endlich entlarven und als wirklichen Täter identifizieren. Im Anhang sind sie in alphabetischer Folge – wie auch der Hergang seiner schließlichen Festnahme – vollständig abgedruckt, und Sie können dort die Details nachlesen, wenn Sie der Fall näher interessiert.

Ein unvergleichliches Werk realistischer Kriminalliteratur.

In ähnlichem, wenn auch etwas abgewandeltem Sinne fuhr ich damals am Ottawa River mit meiner Arbeit fort. Ich schrieb mich morgens auf der noch kühlen Veranda warm, arbeitete bis zum Frühstück – lauschte dem Klappern von Slauters‘ Schreibmaschine ein Haus weiter – und war guter Dinge, dass ich mich auf dem richtigen Wege befand.

Nach dem Mittagessen, das ich meist in Konder‘s Motelrestaurant einnahm, sah ich das Geschriebene durch, überarbeitete es mit ein paar Strichen und nahm mir dann die Fortsetzung bis zum frühen Nachmittag vor.

Dem gewöhnlichen Leser fällt es wahrscheinlich schwer, den Zusammenhang von Fiktion und Realität zu begreifen. Er glaubt, dass eine Geschichte entweder erfunden oder wahr ist. Zwischentöne existieren für ihn nicht (denken Sie an die Amöbe in der Wasserpfütze).

Dass es nun darin gewisse Gleichartigkeiten, typische Abläufe und Reaktionen geben könnte, die zur Realität in Beziehung stehen, sie sozusagen nachbilden, und dass sich gerade die Fiktion, weil sie überhöhen und komprimieren kann, besonders dazu eignet, diese Realität deutlich und nacherlebbar zu machen – das ist eine Wahrheit, die dem gewöhnlichen Häkelkrimileser so fern liegt wie der Eiffelturm dem Tadsch Mahal …

Ich kämpfte also nicht gerade auf verlorenem Posten, aber meine späteren Arbeiten waren, anders als „Gelber Flachs“, nach dem eben beschriebenen Muster gestrickt. Wann läuft einem schon einmal ein jüdischer Amateurdetektiv namens Balthasar Prom über den Weg und bietet einem die komplette Genesis eines Verbrechens an?

Anscheinend überforderte diese – zugegeben subtile – Technik den gewöhnlichen Leser. Und offenbar auch manchen Lektor und Verleger.

Anders kann ich es mir nicht erklären, dass meine Manuskripte mit der schönen Regelmäßigkeit eines Tennisballs, der eben auf die gegnerische Seite geschlagen wurde, in meine eigene Hälfte zurückgeflogen kamen …

Denn natürlich war ich inzwischen gewitzt genug und bot das Manuskript auch unter Pseudonym an. Allein an meiner angeblichen Vergangenheit als Triebverbrecher oder Sexualpsychopath konnte es also nicht liegen.

3

Ihrer freundlichen Anregung, hochverehrte Frau Doktor, während meiner Untersuchungshaft einmal alles niederzuschreiben, was mir auf der Seele liegt, komme ich, wie Sie sehen, mit großer Bereitwilligkeit nach. Ich, ein Mann der Feder, tue mich natürlich viel weniger schwer, wenn ich mein Anliegen zu Papier bringen kann.

Im Vertrauen gesagt: Ihre Besuche in meiner Zelle bringen mich immer etwas aus dem Gleichgewicht.

Woran das liegt? Nun, nicht nur an dem, was – bitte verzeihen Sie – meine Wächter manchmal hinter vorgehaltener Hand und zweifellos ein wenig gewagt als Ihre „wohlgefüllte Bluse“ bezeichnen …

Obwohl ich mich diesem Eindruck, zugegeben, nur schwer entziehen kann. Aber eine ledige Mittvierzigerin, die so attraktiv ist wie Sie, so sehr ausgestattet mit allen weiblichen Attributen, wie sie sich ein Kerl nur wünschen kann (ich denke da an Erfahrung, Wärme und Toleranz), und die es trotzdem in unserer Männergesellschaft so weit gebracht hat, muss zwangsläufig das Herz eines Mannes, der sich dem Geiste verschrieben hat, höher schlagen lassen … und es schlägt, hochverehrte Frau Doktor … es schlägt Tag und Nacht.

 

Wenn ich sage, meine subtile Romankunst bereitete den Verlegern einige Schwierigkeiten, so bedeutet das keineswegs, sie hätten auch nur die Spitze des Eisbergs davon wahrgenommen.

Es bereitete vor allen Dingen ihren Vorzimmersekretärinnen Schwierigkeiten.

Ein Wort dazu, denn ich kann nicht davon ausgehen, dass Sie sich in den Gepflogenheiten dieser Kreise auskennen:

Dringt ein Manuskript, auf welchem Wege auch immer, einmal bis zum Verlegerbüro vor, bleibt es unweigerlich in den Fängen eines Papierfressers hängen, der Chefsekretärin heißt. Kompetent oder nicht:

Sie liest die erste Seite und wirft das Ding seufzend weg.

Das ist der ungefähre Ablauf. Deshalb sann ich schon damals darauf, womit diese gefährlichen Vorzimmerschleusen zu umgehen waren. Keine Aussicht, dass irgendein Verleger wie Moses auf dem Berge Sinai beim Einbrennen der Zehn Gebote doch noch irgendwo zwischen Taxi und Hauseingang von meinem Manuskript in Bann geschlagen werden würde.

Also verfiel ich auf den Gedanken, sie da aufzusuchen, wo ihre Sekretärinnen mit „anderen Aufgaben“ betraut sind. Und das ist das alljährliche Buchspektakel in Frankfurt, wenn sich Verleger aus aller Welt zur Messe einfinden.

Ich mietete sechs Monate vorher ein Zimmer in jener Nobelherberge Hessischer Hof gegenüber den Messetoren, in der sie schon wegen der gehobenen Preisklasse unter sich bleiben – wohl wissend, dass es zu drei viertel vorausgebucht und bald restlos belegt sein würde.

Was blieb mir anderes übrig? Mit den vorgedruckten Absagekärtchen – „Visitenkarten der geistig Minderbemittelten“, wie Slauters sie immer respektlos nannte, denn er steckte in einer ähnlich aussichtslosen Lage wie ich – hätte ich leicht mein Badezimmer tapezieren können.

Es war nur ein geringer Trost, dass ich mich dabei in der Gesellschaft eines Gleichgesinnten befand.

Slauters beschäftigte sich vergeblich damit, jene erfolgreiche Tradition des Degenromans wiederauferstehen zu lassen, die in „Drei Musketiere fliehen nach Andalusien“ ihren so glorreichen Höhepunkt gefunden hatte.

Als ich ihn eines Morgens – die letzten blassen Sterne standen noch am Firmament – von der Veranda aus hinunter zum Wasser stiefeln sah, ahnte ich natürlich nicht, dass sein Besuch diesmal weniger den Stockenten und ihrem so menschenähnlichen Hader galt als dem Grund des Flusses.

Zwei Tage später fand man seine Leiche, grässlich aufgequollen und über und über graublau – sie hatte sich in den Zweigen einer Weide verfangen.

Dieses Bild meines verschrumpelten Kollegen und Freundes vor Augen, lag es natürlich nahe, alles nur Erdenkliche zu tun, um dem gleichen Schicksal zu entgehen.

Wenn Sie verstehen, was ich meine?

Voller Grauen erinnere ich mich jener Anfälle von Melancholie, mit denen ich auf das trübe Wasser des Ottawa River hinunterstarrte und dabei jene Anziehungskraft verspürte, die auch Slauters in seinen letzten Stunden empfunden haben mochte. Das Verlangen nach Ruhe, nach einem Platz unter den Kieseln des Flusses, über die in nie enden wollendem Zug das Wasser hinwegströmt …

Ein Zustand ohne das entwürdigende Schauspiel, irgendwelchen Dilettanten die Kulturwerte erklären zu müssen.

Aber reicht das – ich frage Sie mit aller Eindringlichkeit – reicht das wirklich, hochverehrte Frau Doktor, mich, wie es der Staatsanwalt will, des siebenfachen Verlegermordes zu bezichtigen?

Weil man meine Manuskripte nicht lesen wollte?

Reicht es als Motiv?

Ihrem klugen Verstand dürfte nicht entgangen sein, dass ich noch alle Sinne beieinander habe. Ich bin weder ein Fall für die Heilanstalt noch fürs Gefängnis. Ich bin ein Mann der Freiheit und des Geistes.

Nach der Verhandlung sollten wir uns – das ist mein Vorschlag – unten an der Ecke in dem hübschen Café mit den Gobelins und Blumentapeten ein oder zwei Tassen Kaffee und einen kleinen Cognac genehmigen. Wir werden uns durch die verblichenen Wandspiegel anlächeln, und in unseren Blicken wird jenes geheime Einverständnis liegen, dessen Botschaft nur ein liebendes Paar versteht …

Noch lange hin? Ja, sicher. Ich lade Sie trotzdem dazu ein. Ich finde, das sind Sie mir und – mit Verlaub gesagt: meiner Unschuld – schuldig.

Übrigens sollten Sie in Ihrem Gutachten meine klaren Gedankengänge erwähnen, meine Ehrlichkeit. Obwohl ich doch hier allen Grund hätte, meine bedrängte Situation weniger dramatisch zu schildern – dem Staatsanwalt nicht noch zusätzliche Munition für seine Schießübungen zu liefern.

Ich denke, das spricht für mich. Finden Sie nicht?

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