Читать книгу: «Kenia Leak», страница 4

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Restzeit: 3 T — 11 StD — 30 Min

«Was immer wir entdecken, es heisst nicht, dass wir den Daten glauben, und schon gar nicht, dass wir damit zur Polizei laufen», sagte Mettler und gab ihm die Hand. «Versprochen?»

Tetu schlug ein.

«Einverstanden. Schauen wir uns an, was ich mitgebracht habe. Kimele! Deine Tage sind gezählt.»

«Wenn wir die Botschaften überhaupt entschlüsseln können.»

Gemeinsam packten sie Mettlers Akten – Formulare, Briefe und Bücher – auf die Fensterbank und setzten sich vor den Laptop. Ubuntu hiess sie Willkommen.

Tetu drehte sich nach Mettler um.

«Ubuntu? – Wir haben ja noch gar keine der CDs aufgemacht?»

«Menschlichkeit und Gemeinsinn. Zulu oder Xhosa. Das Programm wird von einem Südafrikaner gesponsert», sagte Mettler und fuhr mit dem Zeigefinger wieder auf dem kleinen Feld herum, das unterhalb der Tastatur lag.

«Eine ziemlich ungenaue Übersetzung», widersprach Te­tu. «Ubuntu ist der Glaube, dass alle Menschen zusammen­gehören. Wir alle sind Teil einer Gemeinschaft, die dadurch zusammengehalten wird, dass wir miteinander teilen, was wir haben. – Ein philosophisches Prinzip … »

«Hier, der Name für eine Software», unterbrach Mettler und klickte das Laufwerk an. «Ein Desktopname wie Windows. Fenster! – Im Gegensatz zu Windows steht es allen zur Verfügung, gratis. Mit unserer Datenbank hat es nichts zu tun. – Et voilà!»

Auf der rechten Seite des Laptops sprang die Verkleidung auf und Mettler zog eine Schublade heraus.

«Das Laufwerk! – Du kannst jetzt die Erste deiner CDs einlegen. – Wie viele sind es? Lass mal sehen.»

«Vier!», sagte er und versteckte die Kassette hinter seinem Rücken.

Mettlers Schnelligkeit, wie er mit diesem Gerät umging, war Tetu unangenehm. Er wäre bedächtiger vorgegangen und hätte sich die CD lieber erst einmal genauer angeschaut. Die Scheiben, die er noch aus seinem früheren Leben kannte, waren beschriftet, es gab von aussen sichtbare Hinweise darauf, wie das schillernde Ding zu behandeln sei, Hinweise auf den Inhalt. Er hatte die Kassette noch nie geöffnet, einmal, weil er ihren Inhalt sowieso nicht gesehen hätte, dann aber auch, weil er diesen Moment zusammen mit Mettler erleben wollte.

Gewiss waren es nur Daten. Was er sich darunter vorstellen musste, war ihm unklar. Wie gefährlich sie ihnen werden konnten, wusste er auch nicht. Aber sie kamen von Kimele. Etwas mehr Vorsicht hätte bestimmt nicht geschadet.

Mettler bemerkte sein Zögern.

«Was wir hier und jetzt machen, ist mit Garantie vollkommen ungefährlich. Deshalb haben wir diesen Laptop gekauft. Wir sind nicht im Netz, nicht im Internet, nicht mit der Welt verbunden, niemand sieht, was wir hier machen, niemand wird davon erfahren.»

Mettler drehte sich nach ihm um, schaute ihm über die Schultern ins Gesicht. Ein fast spöttischer Blick.

«Oder wir lassen es? – Ich habe unter diese alte Geschichte schon lange einen Schlussstrich gezogen.» Mettler lachte unangenehm. «Schlafende Hunde soll man nicht wecken. Ein Sprichwort. Hier. Bei uns. Nun komm! Ich wollte dich nicht verunsichern.»

«Auch ich habe Angst, es könnten Erinnerungen wach werden, die ich längst begraben habe. – Ich habe Fehler gemacht, damals, und ich möchte nicht unbedingt lesen müssen, wie die Verbrecherbande, der Clan und seine Hintermänner über den Trottel Tetu lachen.»

«Die Rolle, die ich und Alice spielten, war wohl weit kläglicher. – Komm, lass uns einmal reinschauen», sagte Mettler versöhnlich und verlangte mit den Fingern nach einer CD.

Tetu drückte die Kassette auf, klaubte die erste Scheibe aus ihrer Halterung und gab sie Mettler. Immerhin schaute sich dieser den Datenträger etwas genauer an, drehte ihn hin und her, hielt ihn ins Licht und blies den Staub von der Oberfläche. Dann legte er die Scheibe in die Schublade und schob diese in den Laptop zurück. Augenblicklich begann die Scheibe zu rattern, das Gerät schnurrte, als hätte es eine Beute gepackt.

Ubuntu verschwand, der Bildschirm flackerte und wurde schwarz. Kurz danach hörte das Rattern auf, danach geschah nichts mehr.

«Die CD ist so alt, dass der Prozessor die Dateien nicht mehr lesen kann. – Oder unser Programm ist zu neu. Vielleicht gibt es eine Möglichkeit, via ältere Version …»

Mettler fingerte bereits wieder auf dem kleinen Viereck her­um, die Schublade sprang heraus, auf dem Bildschirm öffneten sich in schneller Folge mehrere Waben, die sich mit Bildern und Texten füllten. Einige verschwanden wieder, andere wurden immer grösser und in allen sprang Mettlers Zeigefinger herum, den er von dem kleinen Feld aus dirigierte.

Es war für Tetu absolut undurchschaubar. Ob all dies, was da aufrauschte, wirklich so unwichtig war, wie ihm Mettler durch kurze Blicke, Gesten und Gestöhn zu verstehen gab?

Schliesslich schob Mettler die Ladeklappe samt CD wieder zu, und der Laptop begann erneut zu rattern und zu heulen. Doch nun blieb der Bildschirm nicht schwarz, sondern glich einem leeren Blatt, das sich mit einer Unmenge von Zeichen füllte. Nachdem die Finger seiner rechten Hand noch ein paar Mal durch das kleine Viereck getanzt waren, begannen sich die Zeichen neu zu ordnen, und mit einem letzten Klick erschien ein Inhaltsverzeichnis. Übersichtlich und gegliedert, wie Tetu dies von einem Beamten erwartet hatte.

Es waren Jahreszahlen, unter denen, leicht versetzt, mehrere Namen standen.

Von 1993 bis 2016. Bis 2007 stand an erster Stelle immer der Name des Finanzministers. Kimele. Dann folgten wechselnde Namen von Politikern, die Kimele nahestanden, Banken tauchten ebenso regelmässig auf wie die Namen der grössten Bauprojekte Kenias oder die Eisenbahn, der Flughafen, Hotel­ketten und Tourismusunternehmen …

Tetu kniff die Augen zusammen … Was war denn das?

In einer Reihe eingerückter Namen stand ziemlich weit oben: METTLER. In Grossbuchstaben. Seit 1996, 1997, und ab 2004 jedes Jahr. Sogar im Jahr 2016, zu dem es nur ein paar ­wenige Einträge gab und selbst derjenige zu Kimele fehlte. METTLER.

Das war doch nicht möglich. Das musste ein Fehler sein. Mettler war seit über zehn Jahren nicht mehr in Afrika gewesen.

Aber warum tauchte dieser Name hier auf? War das ein Fehler des Computers? Oder konnte er nicht mehr lesen?

Mettler war für Tetu schon immer eine schillernde Figur. Es gab so vieles, was er nicht verstand. Mettlers Neugier, Mettlers Liebschaften, Mettlers Reichtum … Jedes Mal, wenn sie zusammen in einen Fall verstrickt waren, gab es Momente, in denen er Mettler dabei ertappte, etwas vertuschen zu wollen, ja, manchmal verdichtete sich sein Verdacht so sehr, dass er Mettler für den Täter hielt. Oder für einen der Hintermänner. Für einen, der sich auskannte und seine Vorteile nutzte.

In allen Fällen täuschte er sich und war Mettler dankbar, dass dieser ihm seine Unterstellungen nicht nachtrug. Und jedes Mal schwor er sich, zukünftig nicht wieder denselben Fehler zu machen, für den er sich schämte, weil er beinahe zwanghaft immer auch damit zusammenhing, dass Mettler ein Weisser war. Ein mit Vorurteilen belasteter Wasungu.

Und jetzt? Noch bevor sie überhaupt wussten, worauf sie sich eingelassen hatten, gleich zum Beginn eines Falls, war es wieder da. Dieses Gefühl. Dieser Anschein.

Dieses METTLER war doch kein Zufall!

Hatte ihm Mettler gestern nicht geraten, seinen Augen zu vertrauen? Und was sah er? Was förderten seine Augen ans Licht? Mettler war ein Teil des Kimeleclans. Mettler gehörte dazu. Eine Riesenschweinerei. – Am liebsten hätte er dem Mann neben sich eine geknallt.

Er atmete schwer und versuchte, seinen aufwallenden Zorn zu bändigen.

Dann zeigte er mit dem Finger auf den Bildschirm, tippte die METTLER an, 1996, 1997, 2004, 2005 …

«Was hat das zu bedeuten? Warum steht dein Name da?»

Er nahm den Finger vom Bildschirm und wartete.

Mettler schwieg. Drei Minuten lang, länger, er atmete kaum noch. Mit offenem Mund starrte sein Gastgeber auf den Bildschirm des Laptops und rührte sich nicht. Seine Hände, die eben noch über die Tastatur gesprungen waren, lagen wie gerupfte Hühner auf dem Schreibtisch, plumpe, aufgedunsene Fleischhaufen, deren Anblick ihn ekelte. Speichel tropfte vom Kinn. Endlich knickte er ein, liess den Kopf fallen und begann, seine Hosen nach einem Taschentuch zu durchsuchen.

«Willst du mir etwas sagen?», schob Tetu seiner Frage eine zweite nach und kam sich vor wie in einem mittelmässigen Kriminalfilm, wie er sie sich vor allem in Lodwar angeschaut hatte, um die Langeweile zu vertreiben. Der eine Polizist unterstellte dem anderen, der andere könnte etwas verschweigen, was er, der eine, wissen müsste. Und wie immer in solchen Situationen schüttelte der Verdächtigte den Kopf, weil der Film sonst gleich zu Ende gewesen wäre.

«Atmen, Mettler, durchatmen. – ‹Das heisst ja nicht, dass wir den Daten glauben, und schon gar nicht, dass wir damit zur Polizei laufen›», zitierte er den Weissen und schämte sich für seine tückische Bemerkung, aber auch er brauchte Luft.

Endlich hob Mettler den Kopf und sagte:

«Ich habe damit nichts zu tun.»

«Das ist immer die erste Antwort», stöhnte Tetu. «‹Ich habe damit nichts zu tun!› – Das sagen alle. Bis sie mit neuen Beschuldigungen und Beweisen konfrontiert werden und immer wieder einen Schritt zurückkrebsen. Das Zu-tun-Haben wird immer schwerwiegender, das Nichts immer leichter, bis sie schliesslich ihr Amt abgeben, die Branche wechseln oder aus dem Fenster springen. – ‹Ich habe damit nichts zu tun›, war schon immer der erste Schritt zum Geständnis.»

«Arschloch», sagte Mettler und verliess das Zimmer.

Restzeit: 3 T — 9 StD — 50 Min

Naomis neue Frisur überraschte ihn.

Sie radelten zum See. Naomi wollte nachschauen, ob die Schlange noch da war. Das Wetter hielt, der zweite Tag ohne Regen, zum ersten Mal in diesem nassen Frühling. Trotz Moodys Versuch, sie zu küssen, wollte sie noch einmal zum See. Von wegen Schlange. Das glaubte sie doch selber nicht.

Auch Naomi spürte wohl, wie missverständlich ihr Wunsch war. Sie habe heute Morgen ihre Rückflüge bestätigt, auf Wunsch des Grossvaters. Die Operation sei ja nun glücklich überstanden, in einer Woche würden sie nach Hause fliegen, und darum und weil das Wetter in der Schweiz sich so schnell ändere, sei heute vielleicht bereits die letzte Gelegenheit, noch einmal an den See zu fahren.

Ihre Worte lösten in Moody Bestürzung aus.

Es war immer klar, dass Naomi wieder nach Kenia zurückkehren würde, aber doch nicht so schnell, und hatte sie nicht gesagt, dass sie in Europa bleiben, eine Schule in Berlin oder München besuchen wolle? Sie wollte sich doch um eine Aufnahmeprüfung kümmern, und er hatte versprochen, ihr zu helfen.

Wahrscheinlich gab es in Kenia eben doch einen Mann, der auf sie wartete. Und ihr Grossvater wusste von alledem gar nichts. Es ging doch nicht um Naomi. Djamila Ushindi Naomi war ein Traum, den er sich aus dem Kopf schlagen musste. Auch wenn sie ihm eine Gnadenfrist einräumte.

Bis heute sechzehn Uhr. Hatte sie ihn deswegen gebeten, seinem Grossvater eine falsche Nachricht auf den Küchentisch zu legen? Mit dem Fahrrad nach Stein am Rhein.

Und dann flog sie ihm voraus, als würden sie um die Wette radeln, übermütig und mit offenen Haaren, wie er sie noch nie gesehen hatte. Hatte sie die ganze Nacht dazu verwandt, ihre Zöpfe aufzudrehen?

Er mochte ihre gezwirbelten Haarsträhnen, die sie hinter dem Kopf verknotete und die kleinen Kraushaare an ihren Schläfen und über der Stirne, die zu kurz waren, um verflochten zu werden.

Sie fand den Weg zur Waldlichtung am See ohne seine Hilfe. Sie schwitzten beide, als sie ihre Räder ins Gebüsch schoben. Doch dann, als er sie zur Bank am Ufer führen wollte, nahm sie seine Hand und zog ihn über die Wiese in den Wald, weil sie noch ein paar Schritte gehen müsse.

Es sei so schön hier, und sie wolle sich erst ein bisschen um­se­hen, bevor sie sich noch einmal auf die Bank setzen könnten. Zum Abschied, und um nach der Schlange zu schauen.

Sie lachte. Spürte sie denn nicht, wie weh ihm ihre Worte taten?

Die Wiese war halbwegs abgetrocknet, aber im Wald war alles nass und feucht, bei jedem Schritt gluckste der Boden. Ein Gurgeln und Quietschen, ihre Turnschuhe versanken im Matsch. Kurz entschlossen zog Naomi diese aus und forderte ihn auf, dasselbe zu tun. Diese Stoffschuhe würden schmutzig und kaputtgehen. Abgesehen davon gehe sie sowieso lieber barfuss, und sie kicherte vergnügt, wenn der weiche Morast zwischen ihren Zehen hindurchflutschte.

Auch Moody entledigte sich seiner Schuhe, obwohl er im Gegensatz zu ihr nicht gewohnt war, mit nackten Füssen umherzugehen, schon gar nicht durch den Wald, wo sich immer Dornen über den Boden rankten oder abgebrochene Äste einen in die Sohlen piksten.

Naomi tanzte vor ihm her, sicher und ausgelassen, als seien ihre Füsse unverwundbar.

Sie trafen auf eine zweite, kleinere Lichtung, eigentlich nur eine Schneise, die zum Wasser führte und Naomi schlug vor, sich am Ufer ins Gras zu setzen – und auf die Schlange zu warten.

Der Boden war so nass, dass ihre Jeans fast augenblicklich feucht wurden, und weil Naomi, so teilte sie ihm mit, auf keinen Fall mit durchnässten Hosen nach Hause kommen wollte, zog sie sie kurzerhand aus und half ihm anschliessend aus seiner Hose, als sei es normal, dass sie beide in Unterhosen am Wasser sassen.

Sie kauerten fröstelnd am Ufer, der See leckte an ihren Füssen, und Moody getraute sich endlich auch, seine Hand auf ihr Knie zu legen. Sie zuckte zusammen, schob seine Hand aber nicht weg, sondern sagte:

«Du musst reden. Frag mich. Erzähl von dir. Frag! Frag mich, ob ich mich freue, meine Lehre fertig zu machen? Meine Lehre als Schneiderin? Was für Kleider ich nähe?»

Moody lachte flüchtig und ohne zu atmen und fragte:

«Was für Kleider nähst du denn?»

«Eine Hose für meinen Vater. Hosen sind schwierig, und man muss sehr genau arbeiten, damit die Taschen auch wirklich auf derselben Höhe sitzen. Ein Hosenbund ist fast so schwer wie ein Hemdkragen, Hemden sind überhaupt das Schwierigste. Würdest du ein Hemd von mir tragen? Ich meine, wenn ich deine Masse hätte, könnte ich dir ein Hemd nähen. – Du darfst deine Hand nicht wegnehmen. – Wenn wir wieder zu Hause sind, ich meine bei unseren Grossvätern, werde ich deine Masse aufnehmen. – Du musst weiterfragen.»

Und dann zogen sie ihre T-Shirts aus, und legten sich ins Gras und Moodys Hand wanderte über ihren Bauch, streichelte ihren Nabel, während er fragte:

«Was machst du als Erstes, wenn du nach Hause kommst?»

«Hier?»

«Nein, in Kenia, was machst du?»

«In Kenia? In Kenia, ich weiss es nicht, ich, du musst etwas anderes fragen.»

«Nein, wen begrüsst du als Ersten, auf wen freust du dich am meisten?», und seine Fingerspitzen erreichten die Bügel ihres BHs.

«Ich weiss es nicht. Alle werden da sein, sie werden sich freuen, weil der Grossvater zurück ist, weil er wieder sehen kann. Alle werden ihm die Hand geben wollen, zuerst seine Söhne … – Nicht aufhören, du musst deine Hand … Warte», und sie richtete sich auf, beugte sich nach vorn, damit er den Verschluss ihres Büstenhalters lösen konnte.

Er nahm nun seinerseits ihre Hand und legte sie sich auf den Bauch, während er ihre Brüste streichelte. Sie fühlten sich weich und kugelig an, schmiegten sich in seine Hand, ein bisschen kleiner, als er erwartet hatte.

«Rede, du musst mit mir reden», und er fragte sie, wie alt ihre Mutter sei.

Und sie erzählte von ihrer Mutter, von ihren Geschwistern, den älteren Brüdern und der kleineren Schwester, wie viele Kühe und Ziegen sie hatten, welche Früchte auf ihren Feldern wuchsen und wie oft sie in die Kirche ging, während seine Hand über ihren Bauch zwischen ihre Beine rutschte und sich die ihre um seinen Penis schloss.

Sie redeten und redeten und immer, wenn der Redefluss zu versiegen drohte, gerieten sie in eine Aufregung, die sie nur in den Griff bekamen, indem Moody eine neue Frage stellte oder irgendetwas von sich erzählte.

Nur einmal wollte sie nichts mehr sagen, als er sie fragte, wann sie denn zurückkomme, um die Modeschule zu besuchen, von der sie ihm erzählt hatte.

«Nein, das nicht, das ist zu ernst. Nicht jetzt! Frag etwas anderes, oder erzähl von dir, ich weiss ja gar nicht, was du denkst. – Worüber freust du dich, wenn du am Morgen aufstehst? Was frühstückst du? Welche Kleider hast du am liebsten? Worüber lachst du? Was glaubst du, was mir an dir gefällt?»

Und er erzählte von seinem Zimmer, beschrieb ihr seinen Schreibtisch und seine Bücher, seinen Computer und welche Musik er hörte, und wie viele Brotschnitten er verputzte und was er alles tat, um nicht dicker zu werden, und dass er glaube, dass sie auf seinen Hintern stehe, und dann beugte er sich über sie und küsste sie auf den Mund und ihr Plappern verstummte.

Wieder bei den Rädern wollte er wissen, warum er sie denn immer etwas fragen musste? Und so unwichtige Dinge?

Naomi nahm seine Hände und schaute ihm in die Augen:

«Weil ich nicht lügen kann. – Damit ich, ohne zu lügen, sagen kann, wir hätten miteinander geredet. Wenn mich mein Grossvater fragen sollte, was wir gemacht haben.»

«Wir waren doch in Stein am Rhein.»

«Nein. Wir waren am See und haben geredet.»

Moody lachte und nickte.

«Wie du eine Hose nähst und welche Musik ich höre. Was man halt so redet …»

Sie drückte seine Hand und nickte.

Als sie eine halbe Stunde zu spät nach Hause kamen, sassen ihre Grossväter in der Küche und kauten stumm auf Broten herum, von denen sie mehrere zubereitet hatten. Ganze Teller voll. Sie griffen begeistert nach Käse und Wurst, hatten Hunger und taten, als ob sie nicht bemerkt hätten, wie missmutig die beiden Alten waren.

Dicke Luft. Hatten sie sich gestritten? Ihretwegen?

Wie ihn sein Grossvater gemustert hatte, als er sich für ihre Verspätung entschuldigte, war ihm nicht entgangen. Dass Naomi und er sich mochten, dürfte den beiden schon länger klar geworden sein, und vermutlich war dies der Grund, warum Tetu entschieden hatte, zurück nach Kenia zu fliegen.

Oder sahen ihnen die beiden an, was zwischen ihnen geschehen war? War das überhaupt möglich, und was würde er Tetu sagen, wenn dieser ihn darauf ansprechen würde?

Sein Grossvater würde ihn so etwas nie fragen, dazu war dieser zu diskret. Aber Tetu? Wenn er sich über ihre Liebe ärgerte? Auch Naomi konnte mit Fragen zustechen, dass kaum noch Ausflüchte möglich waren. Taktgefühl war nicht unbedingt Tetus Charakterstärke. Tetus, seiner Familie, seiner Sippe – aller Kenianer?

Auch Naomi spürte die Missstimmung und spielte ihm gegenüber die Kühle. Sie scharwenzelte um ihren Grossvater herum, und diesem tat ihre Aufmerksamkeit sichtbar gut. Tetu entspannte sich; und darum fragte Moody Mettler mit gespielter Leichtigkeit, ob er den Alfa fahren dürfe, wenn sie gleich nach Langenbach aufbrechen würden, weil Mettler Tetu und Naomi versprochen hatte, den beiden zu zeigen, wo sie arbeiteten.

Moody wusste, wie sehr seine Frage Mettler schmeichelte, weil dieser sich freute, wenn sich jemand für seinen Wagen ­interessierte. Noch jedes Mal war ihm sein Besitzerstolz anzusehen, blitzten seine Augen schelmisch, wenn er ihm gross­zügig die Autoschlüssel in die Hand drückte.

Dass er, Moody, sich nichts aus Autos machte, hätte ihm sein Grossvater kaum geglaubt.

Restzeit: 3T — 7 StD — 32 Min

Der junge Mettler fuhr keinen Deut besser als der alte. Im Gegenteil. Bremsen, Gas geben, rechts abbiegen, links abbiegen, durch Kreisel kurven, als wären sie auf einem Karussell. Selbst für Mettler fuhr der Junge zu schnell, wie sonst hätte Tetu Mettlers Handbewegungen verstehen sollen, diese Hände mit den ausgestreckten Fingern, die über seinen Knien federten, als wollten sie ein wild gewordenes Tier besänftigen.

Die beiden Mettlers sassen vorne und konzentrierten sich auf die Strasse, seine Enkelin und er hatten sich auf die hintere Bank gequetscht. Zumindest für ihn war der Alfa zu klein. Der Sitz war gut, aber er konnte sich nicht mehr rühren, und dieses zusammengefaltete Stillhocken trug dazu bei, dass er sich nicht wohlfühlte und ständig gegen eine unbestimmte Übelkeit ankämpfen musste.

Naomi schaute fast unablässig auf Moody, dessen Fahrkünste sie sprachlos machten. Weiss Gott, ein seltener Tatbestand.

Ein Gespräch wäre ohnehin nicht möglich gewesen. Moody hatte eine Musik aufgedreht, Trommeln und Gitarrengezupfe, das von schrillen Stimmen durchbrochen wurde, die immer wieder dieselben Worte und Laute wiederholten, ein Lärm, der sie zum Schweigen zwang. Doch für das Nicht-Reden-Müssen war Tetu mehr als dankbar.

Sie fuhren endlos das Ufer eines Sees entlang, und Tetu war froh, dass das ewige Grün durch das weite Blau durchbrochen wurde. Endlich einmal ein bisschen Ruhe. Wenigstens für seine Augen.

Heute Morgen hatte er Naomi gebeten, ihre Rückflüge zu organisieren. In ein paar Tagen würden sie beide im Flugzeug nach Kenia sitzen.

Er wollte seine Heimat wiedersehen. Seine Leute. Die kleinen Häuser, die meistens nur ein einziges Zimmer besassen. Die rote Erde hinter dem Mount Kenia, die mageren Felder der vielen Shambas, die dürren Maisstauden, die lichten Bäume, in deren Schatten er nicht fror. Er wollte die Kinder sehen, deren Lachen ihn durch die dunklen Jahre begleitet hatte, ja selbst auf den Anblick meckernder Ziegen freute er sich, auf die Augen wiederkäuender Rinder, die Ruhe und Gelassenheit ausstrahlten. Er sehnte sich danach, seine alten Bilder aufzufrischen.

Die neuen überforderten ihn. Sie weckten keine Liebe, schenkten ihm keine Heimat, liessen ihn nicht freier atmen, sondern bescherten ihm Kopfschmerzen und verunsicherten ihn. Die Schweiz war nicht das Land, dem seine Augen trauen wollten.

Die CDs und ihre Daten konnten ihm gestohlen werden. Schon ein erster Blick darauf vergiftete seine Gedanken. – Jagdfieber stellte sich nicht ein. Auch er war nicht mehr derjenige, der er einmal war.

Vielleicht war mit METTLER wirklich ein anderer gemeint? Vielleicht wurde das Dossier über all die Jahre mitgeschleppt, weil es schon vor zwanzig Jahren nicht wirklich gelöst werden konnte? Vielleicht waren alle diese Daten vollkommen harmlos und legal? Vielleicht war Francis Ali Odongo ein übersensibler Fantast, ein kranker Wichtigtuer oder schlicht ein Dummkopf. Vielleicht hatte er sich in seiner Zelle erhängt, weil er sich schämte.

Mettler war nur wenige Augenblicke nach seinem Ausbruch wieder ins Zimmer zurückgekehrt und hatte sich entschuldigt.

Dass sein Name gleich einer ewigen Schuld jedes Jahr wieder neu aufgeführt werde, sehe auf den ersten Blick und für jemanden, der sich mit diesen Dingen nicht auskenne, in der Tat nach einer Mittäterschaft aus. Ob ein Verbrechen vorliege und ob die mit METTLER gekennzeichneten Daten etwas mit ihm zu tun hätten, gehe daraus nicht hervor. Aber er verstehe Tetus Beunruhigung und er teile sie. Ehrlich entrüstet fügte er hinzu:

«Schliesslich geht es um meinen Namen. Meine Ehre. Meine Wohlanständigkeit.»

Mettler schlug vor, sich aufgrund von Tetus Misstrauen vorerst auf exakt diese Daten zu konzentrieren, die unter METTLER gesammelt worden seien.

Er setzte sich wieder vor den Laptop, fummelte auf dem kleinen Viereck herum und wählte im Verzeichnis eine der Dateien an, die mit METTLER gekennzeichnet war. Er klickte, klickte erneut, aber auf dem Bildschirm veränderte sich nichts. Er versuchte noch ein paar andere Möglichkeiten, einmal erschien ein Feld, in dem er zu einem Login aufgefordert wurde, ein anderes Mal verlangte der Computer einen Code. Und wieder versuchte Mettler eine Reihe von Zahlen und Klicks, gab einmal seinen Namen ein, dann seine Initialen, sein Geburtsdatum, ja sogar die Namen von Alice und Ali, doch alle seine Bemühungen blieben erfolglos.

Sie konnten METTLER nicht öffnen und hatten keine Ahnung, was sich dahinter versteckte.

Tetu hatte ihm wortlos zugeschaut. Gleichzeitig bekämpfte er eine weitere Welle von Misstrauen. Mettler konnte lange auf den Laptop einhämmern und ihm wer weiss was! vorspielen, er verstand eh nichts. Ein alter Trick. So beschafften sich in Kenia gewiefte Automechaniker einen Auftrag, manipulierten ein geparktes Auto und boten sich dann als Retter an, wenn der ahnungslose Fahrer mitten im Verkehr liegen blieb. Irgendwann kroch einer unters Auto und reparierte den selbstverursachten Schaden. Der Wagen lief wieder, die Helfer liessen sich feiern – und bezahlen. Mettlers Gefummel erinnerte ihn fatal an die gespielte Hektik dieser vermeintlichen Helfer.

«Odongo hat die Daten verschlüsselt. Weiss der Teufel warum! Offensichtlich wollte er die Kontrolle darüber noch eine Weile behalten», versuchte Mettler ihm sein Unvermögen zu erklären. «Es gibt Hinweise auf eine Mailadresse, wahrscheinlich hat er dort die Codes und Passwörter abgespeichert. Aber dann sind wir im Internet und können identifiziert werden. Und das, nein, das ist mir zu gefährlich.»

Immerhin bemühte er sich, mit ihm wieder in ein Gespräch zu kommen.

«Wir brauchen jemanden, der uns die Daten hackt. Der an die Inhalte rankommt, ohne dass wir erkannt werden. – Stell dir einen Safe vor. Wenn du ihn öffnen willst, brauchst du entweder den Code oder einen Dietrich oder einen geschickten Hakler, der sich mit einem gebogenen Draht ins Innere des Schlosses tastet und den Mechanismus überlistet. – Wir brauchen einen Informatiker, der uns die Codes knackt.»

Tetu schüttelte den Kopf. Er fand es gefährlich, weitere Personen in die Daten einzuweihen. Doch Mettler bestand darauf, er wollte wissen, was genau sich hinter diesem METTLER verbarg. Wozu wurde sein Name missbraucht? Und von wem?

Er schlug vor, einen Asylbewerber aus Syrien zu befragen. Der Mann sei in seiner Heimat Informatiker gewesen, und er könne ihnen zeigen, wie sich ein Code überlisten liesse, und wenn sie dies einmal gezeigt bekommen hätten, könnten sie denselben Vorgang auch auf die anderen Dateien anwenden. Er kenne den Mann, er wohne in dem Heim, in dem er und Moody arbeiteten. Sie könnten ihn also noch heute konsultieren.

Tetu witterte Unheil. Warum gab Odongo Daten weiter, die sich nicht lesen liessen?

Mettler fragte ihn, was ihn denn so misstrauisch mache. Und er hörte sich antworten:

«Dein Reichtum.»

Er wusste, wie gehässig er klang, doch anstatt den Mund zu halten, fuhr er fort:

«Du wohnst in einem eigenen Haus, in der Garage steht ein Alfa Romeo, in der Stube ein neuer Fernseher. Die Geräte in der Küche. – Damals, als du in Lamu das Hotel gekauft hast, habe ich dich gefragt, woher dein Geld kommt. Du hast mir geantwortet, von deinen Eltern. Und heute? Du bist immer noch ein reicher Mann. Oder schon wieder?»

«Ich arbeite.»

«Davon kann sich keiner ein Haus kaufen. Oder willst du mir einreden, dass jemand, der mit Flüchtlingen arbeitet, ein reicher Mann wird?»

«Was unterstellst du mir eigentlich? Dass ich Flüchtlinge beklaue? Bist du denn von allen guten Geistern verlassen?», explodierte Mettler und war erneut davor, ihn allein zu lassen.

«Entschuldige. Ich frage nur. Ich frage mich, womit hast du dieses Haus bezahlt?»

Mettler schnaubte, warf Busoni aus dem Zimmer, weil er glaubte, dieser habe einen Furz gelassen. Dann stand er län­gere Zeit am Fenster, schnaufte laut und durch die Nase, als ringe er so seine Empörung nieder.

«Gut», sagte er endlich und drehte sich nach ihm um. «Es geht dich zwar nichts an, aber bitte! – 2005! Oder 6! Oder war es 7? Nach den Wahlen in Kenia. Wieder einmal hofften alle auf einen Neubeginn. Und, oh Wunder, du wurdest rehabilitiert. Was für eine Genugtuung nach deiner Begnadigung. Diese war ja schon 2003. Oder 2?»

Auch Mettlers Stimme klang gereizt. Sie wühlten alte ­Geschichten auf und wollten einander verletzen und beides gelang ihnen nur zu gut.

«Natürlich, eine Rehabilitierung war besser», schnauzte Mettler, «nun bekamst du auch die verdiente Pension. Sogar die Jahre im Gefängnis wurden dir angerechnet.» Es klang wie blanker Hohn. «Ich finde das gut, das steht dir zu. Eine Pension! – Und ich wurde entschädigt.»

«Entschädigt! Von wem?»

«Vom kenianischen Staat. – Ich habe alles verloren, alles. Das Hotel konnten sie mir ja nicht mehr zurückgeben. Also hat man mich entschädigt.»

«Wie viel?»

«Das weiss ich nicht mehr. Genug. Genug für alles. Für ein Haus, einen Alfa Romeo … Ein Hotel hätte ich mir dafür nicht mehr kaufen können. Auch nicht in Lamu. Und arbeiten musste ich auch.»

Mettler trat einen Schritt näher, seine Augen funkelten böse.

«Aber das genügt dir Krämer nicht, ich weiss. Du brauchst Zahlen. Ich werde nachschauen, sobald wir das da …» – Mettler zeigte auf den Laptop – «wenn wir das da hinter uns haben.»

«Entschädigt? Vom kenianischen Staat? – Und das soll ich dir glauben? Wer hat dir denn das Geld übergeben? Der Finanz­minister? Kimele höchstpersönlich?» Sein Spott war unüberhörbar.

Mettler schwieg, und dann sagte er leise und auf eine unangenehme Art weinerlich, als bettle er um Mitleid:

«Ich habe dafür gearbeitet, hart gearbeitet. Das kannst du mir glauben. – Wenigstens das.»

Und dann hatte er sich noch einmal vor den Laptop gesetzt und mit Suchbegriffen experimentiert. Kimele, Finanzminister, Barclays …

Tetu schaute gar nicht mehr hin. Es war längst klar, dass sie so nicht an die Daten kamen.

Moody bog so scharf nach rechts ab, dass Tetu beinahe aus dem Wagen geworfen worden wäre. Wenigstens riss ihn Moodys Fahrstil aus seinem Grübeln.

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9783038551089
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