Читать книгу: «Böse Jungs dringend gesucht», страница 3

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„Da waren's nur noch drei“, sagte Anouk munter. Sie stand auf, ging zum Kühlschrank und holte noch einmal drei Flaschen Bier heraus.

„Morgen brauchen wir mal was Stärkeres“, sagte sie dann und drängelte sich zwischen Jenny und Chris auf das Sofa. „Na, was meint ihr?“, flüsterte sie verschwörerisch. „Das lief doch ganz gut.“ Sie veränderte die Stimme. „And the oscar goes to: Christoph Emanuel Safier.“

Chris verbeugte sich leicht und Jennys Herz sank. Aber sie wollte sich jetzt nicht selbst ausschließen. Also lächelte sie. „Okay, ich geb es zu. Das war lustig.“

Chris beugte sich halb über Anouk und legte eine Hand an Jennys Wange. „Und? Welches Zimmer nehmen wir beide, mein Schatz?“, fragte er mit herausforderndem Unterton.

Jenny schluckte schwer und suchte nach einer schlagfertigen Antwort, aber bevor ihr etwas einfiel, brach Anouk in schallendes Gelächter aus. „Ich wünschte, ich hätte dein Gesicht fotografieren können.“ Sie boxte Jenny leicht auf die Schulter. „Das war ein Witz, beruhig dich.“

Chris sah Jenny einen Moment in die Augen, sagte aber nichts. Jenny wandte den Blick ab. „Das wird mir jetzt doch ein bisschen zu schräg“, sagte sie kopfschüttelnd und stand auf. „Ich gehe jetzt auch schlafen.“ Sie warf den Kopf in den Nacken und sagte in extra gekünsteltem Ton. „Allein!“ Immerhin hatte sie dadurch das Gefühl, dass die beiden mit ihr und nicht über sie lachten.

„Gute Nacht“, wünschte Chris ohne irgendwelche Anstalten zu machen, das Thema Schlafzimmer zu vertiefen. Anouk ließ ihren Kopf an die Lehne des Sofas sinken und legte ihre Beine auf Chris Schoß. „Ich habe noch einen abgefahrenen Film dabei“, sagte sie zu ihm, so als wäre Jenny schon nicht mehr im Raum. Sie deutete auf den Flachbildschirm auf dem Ecktisch vor der Couch. „Schlafen wir hier und sehen ihn uns an?“

Eifersucht durchflutete Jenny, als sie sah, dass Chris nickte. „Gute Nacht“, wünschte sie den beiden knapp, aber sie waren schon damit beschäftigt, die Klappcouch auszuziehen.

Jenny ging in den ersten Stock und warf ihre Tasche auf das Doppelbett im letzten Eckzimmer. Sie zog die Vorhänge zu und zündete die kleine Nachttischlampe an. Dann ließ sie sich erschöpft auf das Bett fallen.

Es war kurz nach zwölf und sie hatte in der vergangenen Woche in keiner Nacht mehr als fünf Stunden geschlafen. Am letzten Tag im Krankenhaus hatte sie sich die Zeit genommen, sich von ihren kleinen Patienten zu verabschieden. Sie dachte an die Kinder, die jetzt in den Krankenhauszimmern schliefen – manche behütet von ihren Eltern, manche verstört und allein.

Dann wanderten ihre Gedanken zu dem Abend zurück. Sie hatte das Gefühl, Chris Arm an ihrer Schulter immer noch zu spüren. Warum hatte er immer noch diese Wirkung auf sie? Es war verrückt. Sie kannte ihn schon ihr halbes Leben lang, aber er war ihr so fremd. Sie wusste eigentlich gar nichts über ihn. Er hatte es perfektioniert, sich von anderen nicht in die Karten sehen zu lassen. Sie hatte keine Ahnung, warum er sich auf dieses dumme Spielchen eingelassen hatte. War er überhaupt in der Lage, tiefere Gefühle für jemanden zu entwickeln? Soweit sie wusste, hatte er noch nie eine längere Beziehung gehabt.

Für einen Moment gab Jenny sich dem Gedanken hin, sie hätte sein ironisches Angebot vom gemeinsamen Zimmer einfach angenommen. Würde er dann jetzt wirklich hier neben ihr liegen? Sie betrachtete das Bett. Es war schmal für ein Doppelbett. Hätte sie sich in der Nacht in die Mitte gerollt und ihren Kopf an seine Schulter gelegt? Sie schloss die Augen und stellte sich vor, Chris wäre hier neben ihr. Fast glaubte sie, ihn spüren zu können. Darüber schlief sie ein.

Kapitel 3 - Ein Hauch von Freiheit

Als Jenny am nächsten Morgen aufwachte, lag sie immer noch angezogen auf dem Bett. Sie war durchgefroren, obwohl die Sonne schon warm durch das Fenster schien. Sie zog die Decke unter sich hervor und kroch darunter. Aber so fest sie die Augen auch zukniff, sie konnte nicht mehr einschlafen.

Schließlich gab sie den Versuch auf und holte sie ihr Smartphone heraus, um auf die Uhr zu sehen. Es war erst kurz vor sieben und sie rechnete nicht damit, dass die anderen schon wach waren. Trotzdem entschied sie sich dafür, schon aufzustehen. Sie ging leise ins Badezimmer. Nach einer heißen Dusche fühlte sie sich richtig fit. Sie zögerte bei der Auswahl ihrer Kleidung, entschied sich dann für Shorts und Kapuzenjacke. Barfuß tappte sie nach unten.

Zu ihrer Verwunderung war das Wohnzimmer leer, die Ausziehcouch wieder in ein normales Sofa verwandelt. Wo hatten die beiden wohl geschlafen? Jenny schob den Gedanken beiseite und kochte sich einen Kaffee. Mit dem heißen Getränk in der Hand trat sie auf die Terrasse. Sie atmete tief die herrliche Waldluft ein. Der Himmel war wolkenlos und es sah nach perfektem Urlaubswetter aus. Sie hatten dieses Jahr wirklich Glück. Mit ihrem Kaffee setzte sich Jenny auf einen Liegestuhl in die Morgensonne und schloss für einen Moment die Augen.

Sie schrak zusammen, als sich die Tür öffnete. Anouk kam in einem kurzen Hemdchen und einer grauen, extrem kurzen Schlafshorts nach draußen.

„Guten Morgen, Sonnenschein“, begrüßte sie die Freundin. Sie griff nach Jennys Kaffeebecher und trank einen Schluck. „Ist noch Kaffee da?“

Jenny nickte. „Ja, klar.“ Sie freute sich, dass Anouk schon wach war. Trotz ihrer provokativen Art war Anouk nun mal ihre beste Freundin und Jenny brannte darauf, mit ihr über Florian und Kessy zu reden. Oder zu lästern. Und über Chris, setzte sie hinzu. Aber diese Idee verwarf sie lieber ganz schnell.

Anouk verschwand durch die offene Terrassentür und kam einen Moment später mit einem eigenen Kaffeebecher wieder heraus. Sie zog sich einen Liegestuhl neben Jenny in die Sonne. „Wir haben gestern noch einen total durchgeknallten Film gesehen.“ Sie nahm einen Schluck aus ihrem Becher und musterte Jenny. „Apropos durchgeknallt: Mit deiner Einschätzung von der Laboranten-Schlampe lagst du ziemlich daneben. Sie ist wohl eher eine zweite Jenny.“

Jenny seufzte. „Stimmt“, gab sie zu. „Sie ist erschreckend normal. Und eigentlich ziemlich nett, oder?“

„Nett, aber laaangweilig“, meinte Anouk entschieden. Ihr schien nicht klar zu sein, dass diese Bemerkung für Jenny kränkend war – schließlich hatte sie eben noch behauptet, Kessy sei eine zweite Jenny. „Wenn du Florian wirklich zurück willst, dann wird das überhaupt kein Problem. Hast du gesehen, wie er geguckt hat, als Chris zu dir auf das Sofa gehüpft ist?“

„Das war so absurd, da hätte jeder blöd geguckt.“ Jenny wollte sich gerade über das absurde Theater beschweren, als sie hörte, wie die Tür sich öffnete. Unglaublich, was hier vor neun Uhr schon für ein Betrieb herrschte.

Chris steckte seinen reichlich verstrubbelten, blonden Schopf durch die Glastür. „Habe ich mir doch gedacht, dass ich Stimmen gehört habe“, meinte er und kam zu ihnen heraus. Er griff nach Jennys Becher, nahm einen Schluck und fragte in genau dem gleichen Ton wie Anouk: „Ist noch Kaffee da?“

Jenny sah kopfschüttelnd von einem zum anderen. „Seid ihr ganz sicher, dass ihr nicht doch verwandt seid?“

Die beiden warfen sich einen merkwürdigen Blick zu, den Jenny nicht deuten konnte. Chris ging hinein und kam kurz darauf ebenfalls mit einem eigenen Becher zurück. Statt sich einen Stuhl zu holen, setzte er sich auf die Steinmauer, die die Terrasse umgab und sah in den Wald. „Das ist wirklich schön hier“, sagte er halblaut.

Sie saßen eine Weile stumm da und tranken Kaffee. Die Vögel zwitscherten in den Bäumen und kein Wölkchen verdeckte die Sonne.

Chris seufzte behaglich. „Und? Was steht heute auf dem Programm?“

„Erst mal frühstücken“, sagte Jenny. „Dann muss ich irgendwann los, um die anderen vom Bahnhof abzuholen.“ Sie sah Anouk fragend an. „Kommt Simon mit dem gleichen Zug wie Sophie und Emilia?“

Anouk nickte. „So war es zumindest geplant.“

Chris stellte seinen Becher ab und sprang in einem plötzlichen Anfall von Tatendrang von der Mauer. „Ich gehe vor dem Frühstück eine Runde schwimmen. Kommt ihr mit?“

Anouk schüttelte den Kopf. „Ist mir noch zu kalt.“

Jetzt wandte sich Chris direkt an Jenny. „Was ist mit dir? Auch ein Angsthase?“

Ob dieses dauernde Herzrasen noch normal war? Jenny versuchte, möglichst gleichgültig auszusehen.

„Von wegen! War doch lauwarm gestern Abend“, log sie. „Ich bin dabei.“

***

Kurz darauf hatten sie sich ihre Badesachen untergezogen und machten sich mit ihren Handtüchern auf den Weg zum See. Jenny ging neben Chris auf dem schattigen Waldweg und betrachtete verstohlen seine blauen Bade-Shorts, das graue Sweatshirt und seine blonden Haare. Er drehte sich zu ihr um, seine Augen trotz der Dunkelheit im Wald hinter seiner Sonnenbrille verborgen.

„Alles klar?“, fragte er, vielleicht, weil sie einen Schritt zurückgefallen war. „Frierst du jetzt schon?“

Sie schüttelte wortlos den Kopf. Wieso fiel es ihr nur so schwer, mit ihm zu reden? Sobald er in der Nähe war, war ihr Mund wie zugeklebt. Sie schloss zu ihm auf und stumm wanderten sie durch den Wald.

„Guck mal, ein Eichhörnchen“, brach Chris irgendwann das Schweigen und zeigte auf einen Baum. „Weißt du noch? Du hast den Eichhörnchen im Garten immer Nüsse und Obst hingelegt.“

„Ja“, lachte Jenny. „Aber ich habe nie gesehen, wie sie sich was davon geholt haben.“ Sie zögerte. „Ich hätte nicht gedacht, dass du dich daran noch erinnerst.“

Chris grinste schief. „Ja, ein paar Gehirnzellen sind wohl doch noch übrig.“

„Vermisst du Hamburg manchmal?“, fragte sie.

Er schüttelte den Kopf. „Nein, nicht wirklich. Ich bin da ja nicht wirklich zuhause gewesen. Ich weiß manchmal gar nicht, warum ich jahrelang jedes zweite Wochenende dorthin gefahren bin.“ Er nahm seine Sonnenbrille ab und sah Jenny an. „Mein Vater war ja sowieso fast nie da.“

Sie seufzte. „Ich vermisse meine Eltern manchmal sehr“, gab sie zu.

Chris nickte. „Ist so eine Sache mit dem Vermissen“, sagte er schließlich. „Himmel und Hölle zugleich.“

Sie wollte etwas erwidern, aber sie wusste nicht, was. Dann hatten sie das Ende des Waldes erreicht und traten in das sonnige Tageslicht. Schweigend durchstreiften sie die Wiesen und endlich lag der See einsam und still vor ihnen.

„Ich wünschte, ich hätte meine Tauchsachen dabei“, meinte Chris nachdenklich. „Ich würde zu gerne wissen, wie tief der See in der Mitte ist.“

„Du tauchst?“, fragte sie überrascht.

Er nickte. „Zumindest konnte ich es mal ganz gut. Ich bin mit meinem Vater damals in den Sommerferien oft an die französische Atlantikküste gefahren, bevor er Anouks Mutter geheiratet hat. Während er zwanzigjährige Studentinnen angebaggert hat, hat er mich in Tauchkurse für Jugendliche gesteckt.“

Sie sah in fragend an. Sollte das mit seinem Vater und den jüngeren Frauen ein Scherz sein? Meinte er überhaupt mal etwas Ernst?

„Versteht ihr euch denn gut?“, fragte sie. „Dein Vater und du, meine ich.“

„Ich weiß nicht, ob wir uns je wirklich gut verstanden haben.“ Chris winkte ab, dann setzte er sich in Bewegung und trabte zum Wasser hinunter. Jenny blieb stehen und sah ihm nach.

„Komm schon, Angsthase“, rief er über die Schulter. Er hatte das Wasser fast erreicht, zog sein Sweatshirt über den Kopf und warf es zu seinen Flipflops und dem Handtuch in den Sand. Dann lief er ins Wasser, dass es nur so spritzte und machte ohne zu Zögern einen Kopfsprung, als er tief genug im Wasser war.

Jenny blieb lächelnd im Sand stehen. Er drehte sich zu ihr um. „Was ist denn nun?“, rief er übermütig und warf sich gleich darauf wieder ins Wasser. „Kommst du rein oder nicht?“

Jenny schlüpfte aus ihren Sachen und war froh, dass sie sich für den schwarzen Badeanzug und nicht für den Bikini entschieden hatte. Auch so fühlte sie sich nackt genug. Sie steckte einen Fuß ins Wasser und hätte am liebsten aufgeschrien. Es war so kalt wie in einem Gebirgssee. Sie wollte nicht hinein, aber noch weniger wollte sie vor Chris als Feigling dastehen. Sie atmete durch und lief dann einfach los. Ohne Innezuhalten warf sie sich ins Wasser.

Chris sah sie an und lachte. Er sah auf einmal so gelöst aus, wie sie sich fühlte. „Schwimmen wir?“

Sie nickte und musste ebenfalls lachen. Die Kälte, die Sonne, das ruhige Wasser – und sie beide ganz allein, mitten drin. Jenny hätte den Moment am liebsten eingefroren und für immer aufbewahrt. Sie schwammen so weit hinaus, dass sie fast die Mitte des Sees erreichten. Jenny hatte sich lange nicht mehr so glücklich gefühlt. Die Kälte war kaum noch zu spüren. Nach einer Weile beschlossen sie, zurückzuschwimmen und landeten schließlich lachend und prustend im Sand. Chris ließ sich auf den Boden fallen und strahlte sie an. Sie legte sich ihr Handtuch um die Schultern, ignorierte ihr Frösteln und setzte sich neben ihn.

„Dafür hat sich der Weg hierher schon gelohnt“, sagte er und schloss die Augen. „Ich weiß nicht, wann ich mich zum letzten Mal so frei gefühlt habe.“

„Ich dachte, dein ganzes Leben ist frei“, erwiderte Jenny. „Zumindest im Gegensatz zu uns normalen Leuten. Ist das nicht der Sinn einer Künstler-Karriere?“

Er drehte sich zu ihr um sah sie an. „Das stimmt schon. Ich kann fast jeden Tag ausschlafen und wenn wir mal sechs Stunden am Stück im Studio sind, kommt mir das schon wie eine Zumutung vor.“ Er strich sich die nassen Haare aus der Stirn. „Aber dafür muss man ständig springen, wenn das Label es verlangt. Irgendwie ist nie … Feierabend. Wenn wir Konzerte spielen, sind wir die halbe Nacht unterwegs. Im Tourbus kann man nicht richtig schlafen, man weiß kaum, wo man aufwacht.“ Er verdrehte die Augen. „Ich bin schon arm dran, was?“, fragte er dann lachend. „So ein Pech, dass ich in einer so erfolgreichen Band spielen muss.“

„Wie verstehst du dich denn mit den anderen?“, fragte Jenny und grub mit den Händen im feuchten Sand.

„Mit den Jungs aus der Band?“, fragte er nach. „Im Großen und Ganzen eigentlich gut. Das Label hat den Gitarristen vor mir gefeuert. Die Band fand das nicht so toll. Das ist natürlich ein ziemlicher Druck.“ Er biss sich auf die Lippe. „Sie akzeptieren mich. Aber ich gehöre auch nicht wirklich dazu. Wir sind nicht nur eine Band, sondern auch ein Produkt, das verkauft wird. Seit die 'Cowboys' bei diesem Major-Label unterschrieben haben, können wir nicht mehr allzu viel selbst entscheiden.“ Er hob eine Schulter. „Manchmal habe ich das Gefühl, wir gehören denen regelrecht, verstehst du? Pete ist wirklich wahnsinnig gut in allem was er macht.“ Er sah sie fragend an. „Pete? Der Sänger?“

Sie nickte. „Ja, ich weiß, wer das ist.“

Sie würde ihm lieber nicht erzählen, wie viele Stunden sie damit verbracht hatte, sich Musikvideos und Auftritte der Band auf youtube anzusehen. Und die letzte CD … sie war vor einem Vierteljahr erschienen und sie hatte sie seitdem unzählige Male gehört. Immer wieder. Vor allem diesen einen Song. Wenn sie ehrlich war, war dieser Song der Grund gewesen, sich von Florian zu trennen.

Chris klopfte den Sand von den Händen. „Pete schreibt die Texte und gibt die Melodien vor. Wir anderen sind dann dazu da, das Ganze auszuschmücken. Ist wie Malen nach Zahlen.“

„Du schreibst keine Songs mehr?“, fragte sie betont beiläufig, aber ihr Herz raste. Er durfte auf keinen Fall merken, wie viel ihr die Antwort auf diese Frage bedeutete.

Er sah ihr für einen Moment in die Augen, dann wich er ihrem Blick wieder aus. „Einen habe ich geschrieben. Er ist auf der neuen CD.“

Sie hielt den Atem an, wartete auf weitere Informationen. Aber Chris sprang auf die Füße. „Ich sterbe vor Hunger“, sagte er. „Lass uns zurück gehen, okay?“

Natürlich. Da hatten sie gerade mal zwei normale Sätze miteinander gewechselt, schon musste er weglaufen. Aber Jenny war mittlerweile so durchgefroren, dass sie ganz froh war, es hier nicht noch länger aushalten zu müssen. Also rappelte sie sich hoch und zog sich Shorts und Jacke über ihren nassen Badeanzug.

Sie legte sich ihr Handtuch um die Schultern, um sich zu wärmen. Dann machten sie sich auf den Weg zurück. Es musste mittlerweile mindestens halb zehn sein. Jetzt funktionierte die Unterhaltung plötzlich ganz leicht. Sie redeten über Bücher und Musik, über Jennys Krankenhaus und das Leben in Europas Metropolen.

Sie hatten den Wald schon fast verlassen, als Jenny plötzlich an Florian und Kessy denken musste. Erst jetzt fiel ihr auf, wie merkwürdig es war, dass weder sie noch Chris das ganze Thema angeschnitten hatten. Immerhin hatte Chris gestern Abend diese schräge Nummer abgezogen. Während Jenny noch darüber nachdachte, wie sie das Gespräch unauffällig auf ihren Ex-Freund lenken könnte, sahen sie von Weitem eine Gestalt auf dem Feldweg vor ihnen. Es war Florian. Wenn man vom Teufel denkt, schoss es Jenny durch den Kopf. Dann hatte er die beiden erreicht.

„Hey.“ Florian klang unbeschwert, sein Gesichtsausdruck war neutral. „Ich bin der Suchtrupp. Wir haben schon mit dem Frühstück angefangen und Anouk meinte, ich soll mal gucken, wo ihr bleibt.“

„Sind schon auf dem Weg“, nickte Jenny.

Florian sah zwischen ihnen hin und her. „Wie war das Wasser?“, fragte er dann.

„Toll“, antwortete Jenny. Chris hatte sich offenbar entschieden, Florians Smalltalk-Versuche komplett zu ignorieren. Er schwieg beharrlich.

„Aber noch ganz schön kalt“, setzte Jenny hinzu.

Als sie fast beim Haus angekommen waren, griff Florian nach Jennys Arm. „Kann ich dich mal kurz eine Minute sprechen?“, fragte er halblaut. „Allein?“

Chris sah Jenny an. „Ich geh dann schon mal vor“, meinte er desinteressiert und ging ins Haus.

Florian atmete tief ein. „Ich konnte die ganze Nacht nicht schlafen“, brach es aus ihm heraus, als Chris außer Hörweite war. Tatsächlich konnte Jenny unter seiner Brille Augenringe erkenen. „Bist du wirklich mit ihm zusammen?“

Jenny hatte keine Ahnung, was sie antworten sollte. Dann schüttelte sie den Kopf. „Nein, nicht wirklich“, sagte sie ausweichend.

„Du hättest mich ruhig vorwarnen können.“ Florians Stimme war nicht anklagend, sondern traurig. „Ich hatte gedacht, dass es mit uns klappen würde. Mit der Freundschaft, meine ich.“

Jenny fühlte sich plötzlich verloren. Als sie noch mit Florian zusammen gewesen war, war alles so einfach und übersichtlich gewesen. Sie hatten früher von einer gemeinsamen Arztpraxis geträumt, irgendwo auf dem Land. Von einem ruhigen Leben mit Kindern, Garten und einem Hund. Es war schwierig, so eine Vorstellung einfach aufzugeben.

„Ich weiß nicht, was ich sagen soll“, sagte sie nach einer Weile. „Ich vermisse dich.“ Das war nicht gelogen. Aber war es deshalb schon die Wahrheit?

„Ich vermisse dich auch“, sagte Florian leise und griff nach ihrer Hand. „Wir waren doch immer ein gutes Team.“

„Vielleicht hätten wir nie miteinander ins Bett gehen sollen“, sagte Jenny schließlich mit einem traurigen Lächeln.

„Vielleicht hätten wir nie damit aufhören sollen.“ Seine Stimme war kaum lauter als ein Flüstern.

Dann hörten sie, wie sich das Küchenfenster öffnete. „Hey, Floriano Casanova. Deine Freundin wird langsam unruhig“, rief Anouk. „Wenn ihr nicht gleich kommt, lassen wir euch nichts vom Rührei übrig.“

Jenny hob die Augenbrauen. „Das sollten wir nicht riskieren.“ Ihr war selbst nicht ganz klar, ob sie das Rührei oder etwas anderes meinte. Florian drückte kurz ihren Arm, sagte aber nichts.

Sie gingen schnell zurück zum Haus. Merkwürdig, schoss es Jenny durch den Kopf. Der Plan funktionierte. Florian war wirklich eifersüchtig. Nur, dass es leider nie ihr Plan gewesen war.

Kapitel 4 - Auf die alten Zeiten

Das Frühstück zog sich in die Länge.

Nach dem Abwasch war es für Jenny Zeit, sich auf den Weg zum Bahnhof zu machen. Sie freute sich, dass die Truppe bald wieder komplett sein würde.

Die anderen beschlossen, an den See zu gehen. Kessy war während des Frühstücks sehr still gewesen und hatte Florian immer wieder fragende Blicke zugeworfen. Jenny hatten sofort Schuldgefühle geplagt. Sie war froh, als sie die Autotür hinter sich ins Schloss zog. Die Fahrt nach Schwerin gab ihr die Möglichkeit, sich kurz zu sammeln. Sie öffnete das Autofenster und stellte das Radio ein.

Die Straßen waren leer und Jennys Gedanken wanderten in die Vergangenheit. Sie dachte an Florian. Sie kannte ihn jetzt schon fast ein Jahrzehnt und er war ein Teil ihres Lebens geworden. Sie hatten im Medizinstudium die gleichen Vorlesungen besucht, gemeinsam für ihr Examen gelernt. Er war da gewesen, wenn sie wegen des Drucks im Studium fast durchgedreht war. Er hatte mit ihr Wodka getrunken, nachdem sie zum ersten Mal eine Leiche sezieren musste.

Es hatte drei Jahre gedauert, bis aus der Freundschaft mehr geworden war. Am Anfang hatte Jenny Florians Annäherungsversuche hartnäckig ignoriert. Hatte seinen Arm abgeschüttelt, wenn er sich bei ihren gemeinsamen Spaziergängen um den Plötzensee auf ihre Schulter gemogelt hatte.

Irgendwann hatten sie nach einem langen Tag an der Uni eine Flasche Wein vor dem Fernseher getrunken. Und plötzlich war Chris auf dem Bildschirm erschienen – auf dem verdammten roten Teppich bei der Echo-Verleihung. Sein Anblick war ein Schock gewesen. Die Blondine an seiner Hand hatte Jennys Herz gefrieren lassen.

Jenny hatte sich damals zu Florian umgedreht und ihn geküsst, als könnte sie sich so an Chris rächen. Seitdem waren sie und Florian ein Paar gewesen. Sie hatten gut zueinander gepasst, auch wenn es zwischen ihnen keine knisternde Romantik gab. Dann hatte Jenny sich an einem kalten Februar-Tag in diesem Jahr die neue CD von den 'Sad Cowboys' gekauft. Dieses eine Lied – Peppermint Nights. Sie hatte es zehn Mal gehört und am nächsten Tag mit Florian Schluss gemacht.

Jenny hätte fast die Ausfahrt nach Schwerin verpasst, so tief war sie in Gedanken versunken. So sah es aus. Ihr ganzes Gerede, dass Florian und sie nicht mehr zusammen passten, weil er in die Pharma-Industrie gewechselt hatte – es war eine Lüge gewesen. Die Wahrheit war einfach: Sie hatte ihr gesamtes Liebesleben von einem verkorksten, schweigsamen Gitarristen abhängig gemacht, der sich nie für sie interessiert hatte.

Jenny wäre am liebsten an den Straßenrand gefahren und hätte ihren Kopf auf das Lenkrad fallen lassen. Aber sie war spät dran und ohnehin nicht der Typ für dramatische Gesten. Sie war Ärztin, stand auf dem Boden der Tatsachen. Logik und scharfer Verstand waren ihr Geschäft. Sie hatte ihr Leben lang versucht, nicht an Chris zu denken. Diese Nacht vor über zehn Jahren zu vergessen, in der alles möglich gewesen war. Aber sie war immer noch seine Marionette, obwohl er die Fäden nie gewollt hatte.

Nachdem Chris damals weggegangen war, hatten sie sich höchstens ein dutzend Mal gesehen. In den Weihnachtsferien, in Berlin auf einem Festival, in Hamburg beim Hafengeburtstag. Bei den kurzen Treffen war immer Anouk dabei gewesen und Jenny war jedesmal tief enttäuscht worden.

Jenny hatte alles versucht, um jede Hoffnung aufzugeben – und wo hatte sie das hingebracht? Dazu, dass er immer noch aus der Ferne ihr Leben bestimmte. Es war Zeit, die Strategie zu ändern. Sie konnte vor ihren Gefühlen nicht weglaufen. Sie musste riskieren, dass Chris ihr klipp und klar einen Korb gab. Erst dann würde sie in der Lage sein, ihre Besessenheit endgültig loszulassen.

Anouks verrückter Plan gab ihr eine Möglichkeit, mit Chris auf Tuchfühlung zu gehen. Er würde sich vermutlich kurz auf den Flirt einlassen und ihr dann zu verstehen geben, dass sie sich keine falschen Hoffnungen machen sollte. Dann würde sie sich ein paar Tage in den Schlaf weinen, das Thema abschließen und endlich jemanden finden, mit dem sie ihr Leben teilen konnte – entweder Florian oder jemand anders.

Jenny bog zum Bahnhof ab und atmete tief durch. Sie war jetzt bereit für den Schmerz, denn er würde ihr den Weg in die Zukunft ebnen. Vielleicht spielten Chris und Anouk nur ein verrücktes Spielchen mit ihr – und wenn schon. Sie würden ihr blaues Wunder erleben, wenn sie wiederkam. Sie hielten sie für ein harmloses, kleines Mädchen? Sie konnte auch flirten und unvorhersehbar sein. Ihr Herz klopfte allein bei dem Gedanken, dass sie auf Chris zugehen würde. Was würde er machen, wenn Jenny jetzt auf einmal so tat, als ob sie war miteinander hätten? Vermutlich schreiend weglaufen, dachte sie bitter. Aber dann war das auch eine Antwort. Scharfer Verstand und Logik. Es war Zeit, ihre Talente jetzt auch in ihrem Privatleben anzuwenden.

***

Ruhe breitete sich in Jenny aus, als sie aus dem Auto stieg. Es war Sommer, sie hatte Urlaub. Sie sollte es genießen, dass sie nicht jeden Morgen in aller Herrgottsfrühe aufstehen musste und Entscheidungen treffen, die das Leben von den kranken Kindern in der Klinik beeinflussten. Es war Zeit, einfach mal lockerzulassen.

Sie hatte gerade den Bahnsteig erreicht, als auch schon der Zug aus Berlin einfuhr.

„Hier sind wir!“, brüllte eine Kinderstimme in ihrem Rücken und schon flog ihr Emilia in die Arme.

Jenny schwenkte das Mädchen herum und stellte es dann wieder auf die Füße. Sie strich der Kleinen liebevoll über die dunklen Locken. „Sag mal, du bist ja riesig. Ich glaube, du bist einen halben Meter gewachsen, seit ich dich das letzte Mal gesehen habe.“

„Das war doch erst vor einer Woche“, sagte Emilia kopfschüttelnd. „Seitdem bin ich bestimmt überhaupt nicht gewachsen.“ In ihrer abgeschnittenen Jeans und mit dem kleinen Rucksack sah sie so entzückend aus, dass Jenny sie am liebsten gleich noch mal in die Arme gezogen hatte. Sie war jetzt sechs Jahre alt und Jenny hatte sie seit ihrer Geburt aufwachsen sehen. Sie war für sie längst so etwas wie eine eigene Nichte.

Jetzt waren auch Emilias Mutter Sophie und Anouks Mitbewohner Simon bei ihnen angekommen. Sie umarmten Jenny und plaudernd machten sich dann auf den Weg zum Auto.

Auf der Fahrt erzählte Jenny den anderen, dass sie am Morgen schon im See gebadet hatte. Sophie und Emilia hatten es sich auf dem Rücksitz gemütlich gemacht, während Simon auf dem Beifahrersitz döste. Nach drei Minuten quengelte Emilia vor Langeweile und ihre Mutter suchte ihr auf dem iPod ein Hörspiel heraus. Zufrieden lehnte sich jetzt auch Emilia in ihrem Sitz zurück.

Sophie nutzte sofort die Gelegenheit, um sich zu Jenny vorzubeugen. „Und? Bist du sauer auf mich?“, fragte sie unvermittelt.

Jenny warf einen fragenden Blick in den Rückspiegel. „Weil du das Kind hast, das ich mir immer gewünscht habe?“, fragte sie mit ironischem Unterton.

„Weil ich dir nicht vorgewarnt habe, dass Flo seine Neue mitbringen will“, sagte Sophie entschuldigend. „Ehrlich - ich wusste bis vor einer Woche auch nichts davon. Ich wollte dich ja noch anrufen. Aber ich habe dich nicht erreicht.“

„Du bist doch nicht verpflichtet, mir alles über meinen Ex-Freund zu berichten, nur weil er zufällig dein Bruder ist“, sagte Jenny lachend und schüttelte den Kopf. „Außerdem hat Florian mich ja sogar vorher gefragt, ob ich etwas dagegen habe, wenn er Kessy mitbringt. Du brauchst dir also überhaupt keine Sorgen zu machen. Kessy ist übrigens ganz anders, als ich sie in Erinnerung hatte.“

„Ich glaube nicht, dass etwas Ernstes ist.“ Sophie seufzte. „Ich glaube, Florian wartet die ganze Zeit darauf, dass du ihn fragst, ob er zu dir zurückkommt.“

Jenny musterte Sophie im Rückspiegel. Sie hatte ihre langen, schwarzen Locken mit einem grünen Haarband gebändigt. Ein langer Rock und ein buntes T-Shirt komplettierten ihren üblichen Hippie-Look. Ihre Tochter hatte sich an sie gelehnt. Die beiden hatten sich in den letzten Jahren so verändert. Als Emila auf die Welt gekommen war, war Sophie vollkommen überfordert gewesen. Die ersten Jahre waren hart gewesen, aber jetzt hatten die beiden es irgendwie geschafft - sie waren zwar nur zu zweit, aber sie bildeten eine komplette Familie.

„Hat Florian dir gesagt, dass er mich zurückwill?“, fragte Jenny schließlich und wandte ihren Blick wieder auf die Straße.

„Nein, natürlich nicht.“ Sophie lachte. „Er weiß doch, dass ich sofort zu dir laufen würde, um es dir zu erzählen. Du weißt ja: Chromosomen sind dicker als Blut, Schwester.“

Sie lachten und Jenny war glücklich, dass in ihrem momentanen Chaos wenigstens ihr Verhältnis zu Sophie noch intakt war.

Die Fahrt vom Bahnhof dauerte nicht lange. Schon hatten sie das kleine Dorf erreicht, in dem die Straße zum Bauernhaus abzweigte. Simon schien eingenickt zu sein und Emilia brabbelte leise vor sich hin, während sie ihr Hörspiel hörte. Wenn Jenny wirklich Ernst machen wollte mit ihrem kleinen Chris-Theater, dann war jetzt genau der richtige Augenblick, um die Weichen für ihr Projekt zu stellen. Sie suchte nach passenden Worten, ohne Sophie direkt belügen zu müssen.

„Bei mir hat sich übrigens auch etwas getan“, fing sie an.

„Im Krankenhaus?“, fragte Sophie interessiert.

„Nein, ich meine privat.“ Jenny holte tief Luft. „Du weißt doch, wer Chris ist?“

„Klar.“ Sophie war ihm zwar noch nie begegnet, aber sie kannte tausend Geschichten von Anouks 'Rockstar-Bruder'.

„Er ist auch hier“, begann Jenny und gab sich dann einen Ruck. „Könnte sein, dass sich zwischen uns was entwickelt.“

Einen Moment herrschte Schweigen. Dann sagte Sophie. „Oh.“

Sie bogen auf den Schotterweg ein, der zu dem Häuschen führte. Jenny sah aus dem Augenwinkel, dass Simon sich in seinem Sitz aufgerichtet hatte und sie von der Seite musterte. „Du meinst Anouks Chris?“, erkundigte er sich. Offenbar hatte er doch nicht geschlafen.

Jenny nickte. Simon warf ihr einen merkwürdigen Blick zu und runzelte die Stirn, aber er sagte nichts. Bevor noch irgendjemand etwas zu dem Thema sagen konnte, waren sie beim Haus angekommen. Jedoch machte sich ein komisches Gefühl in Jennys Bauch breit, welches sich langsam aber unaufhörlich hoch fraß.

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