Читать книгу: «Kampf mit den Tloxi», страница 7

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Der Chronist

Die Geschichte ist eine Geschichte der Menschen. Der Satz ist möglicherweise nicht ganz so trivial, wie er zunächst klingt. Die Natur hat ebenso wenig eine Geschichte wie ein Robotvolk, das in eisiger Konsequenz seine clandestinen Projekte verfolgt. Geschichte gibt es nur dort, wo es ein Bewusstsein von Geschichte gibt, und ein solches hat, soweit wir wissen, nur der Mensch. Menschen aber sind keine konstanten Wesenheiten. Sie leben in der Zeit und verändern sich in der Zeit. Sie ändern ihre Ansichten und ihre Motivationen. Sie altern, werden krank und sterben. Sie machen Fehler und scheitern. Sie haben Erben, denen sie etwas hinterlassen wollen – oder auch nicht. Sie werden müde und resignieren oder sie verrennen sich in etwas, das einem Außenstehenden kaum nachvollziehbar ist. Manchmal büßen sie ihre Zurechnungsfähigkeit ein, verlieren den Verstand, werden wahnsinnig.

Die Geschichte des römischen Imperiums ist nicht denkbar ohne den Caesarenwahnsinn. Ein Nero, ein Caligula scheinen typisch für das Kaiserreich. Schon der Alexander der babylonischen Episode ist davon nicht frei. Und war Napoleon zurechnungsfähig, als er seine Grande Armee gen Russland hetzte?

Menschen haben Schwächen und fixe Ideen, Idiosynkrasien und irrationale Antriebe, die ihnen selbst nicht durchsichtig sind. Sie werden Opfer von Verfolgungswahn und Paranoia. Nicht selten fallen sie auf ihre eigenen Ideologien und notdürftig zusammengeschusterten Weltanschauungen herein. All das treibt die Geschichte an. Aber die Individuen, die durch Geburt oder Ehrgeiz herausgehoben werden, scheinen besonders anfällig. Wenn einer einen Hebelarm in die Hand bekommt, mit dem er über das Schicksal von Millionen entscheiden kann, wirkt sich auch seine Persönlichkeit mit millionenfacher Hebelwirkung aus, im Guten wie im Bösen, sein Charisma und sein Spleen. Dann kann einer, dem man im gewöhnlichen Verkehr den Vogel zeigen würde, Völker und ganze Kontinente ins Verderben reißen.

Es gab Versuche, Geschichte vorherzusagen, durch vergleichende Morphologie oder durch die intelligente Statistik der Psychohistorie. Aber Verfahren dieser Art greifen nur im großen Fokus, bei großen Zahlen. Sie liefern Aussagen über große Menschenmassen und ihre Drift in großen Zeiträumen. Doch die Stochastik sagt nichts über den Einzelfall, und der Einzelfall ist dort zu berücksichtigen, wo der eine Feldherr, Reichskanzler oder Diktator so einflussreich wird, dass er die Millionen mit sich zieht. So etwas wird auf ewig unvorhersehbar sein. Selbst im Nachhinein ist es schwer zu erklären. Es lässt sich nur dadurch begründen, dass der Mensch ein Animal non rationale ist, Vernunftgründen und Einsichten gegenüber harthörig, verstockt und taub, allen Arten von Einflüsterungen, Spekulationen und Spintisierereien jedoch offen und hingegeben bis zur Selbstaufopferung. Warum das so ist, brauchen wir hier nicht zu erklären. Es genügt die Einsicht, dass es so ist. Die Geschichte ist eine Geschichte des Wahns, ob dieser nun Religion, Ideologie oder ganz nüchtern Machtrausch heiße.

3. Kapitel: Der Gegenangriff

Erschöpft lungerten wir in der Lobby herum. Die Situation am Boden war fürs Erste bereinigt. Der Turm war stabilisiert, die Gefahr weiterer Luftangriffe war gebannt. Die Union behauptete die Nationalbank, die Independence Plaza und einen Verteidigungsring, der Teile der Innenstadt umfasste, einen oder zwei Blocks in jeder Richtung. Der Rest der Stadt wurde von den Laya kontrolliert. Aber ihr Vormarsch war ins Stocken geraten, seit sie keine Luftunterstützung mehr hatten und die Koordination ihrer Aktionen durch die Ausschaltung ihres Generalstabes zusammengebrochen war. Die beiden Armeen waren erschöpft. Sie igelten sich in ihren Stellungen ein, die oft kaum weiter als einen Steinwurf voneinander entfernt waren. Die Kampfhandlungen kamen, nach einer langen Nacht erbitterter Gefechte, zum Erliegen. Die Landungstruppen der Union sehnten sich nach Nachschub, Ablösung oder Entsatz, die Heimatverteidigung Sin Purs, die bis an die Wasserlinie getrieben worden war und dann große Teile des Stadtgebietes zurückerobert hatte, war kaum weniger verzweifelt.

Die Union hielt noch einen Brückenkopf am Raumhafen, den General Rogers zuerst hatte besetzen lassen. Auch dort war es zu einem Patt gekommen. Unsere Präsenz verhinderte aber immerhin, dass die Anlage wieder in Betrieb genommen werden konnte. Umgekehrt machte die Abschnürung des Brückenkopfes es schwierig, auf diesem Weg dringend benötigtes Material und frische Mannschaften zu unseren Stellungen in der Stadt zu bringen.

Beide Seiten ruhten sich aus und leckten ihre Wunden.

Jennifer hatte sich wieder in das halbverbrannte Sofa gekauert. Sie schlürfte Tee aus einem Selbstwärmbecher. Ihr Blick war leer.

Ich besprach mich mit Colonel Tariq und General Rogers. Ein Adjutant der Erkundungsteams, die noch immer damit beschäftigt waren, das riesige Gebäude zu durchsuchen und zu sichern, meldete sich beim Oberkommandierenden der Bodentruppen. Tariq fordert ihn auf zu sprechen.

»Wir haben einen Reaktorraum gefunden«, sagte der Mann. »Im untersten Level der Basements, zehn Etagen unter dem Straßenniveau.«

»Wie ist der Status?«, fragte der Colonel.

»Die Laya haben die Anlage beim Abzug verplombt und mit Sprengfallen gesichert. Unsere Pioniere sind dabei, sie wieder in Betrieb zu nehmen.«

»Wie lange?«

»Halbe Stunde?« Der Mann, ein junger Leutnant, hob die Schultern zum Zeichen, dass das nur eine optimistische Schätzung war.

»Sehr gut.« Tariq nickte ihm zufrieden zu. »Informieren Sie mich, wenn wir wieder Energie haben.« Dann wandte er sich an mich. »Dann können Sie auch wieder frei über Ihr Schiff verfügen.«

»Es wäre ein beruhigendes Gefühl«, sagte ich. »Die Enthymesis ist im Augenblick unser einziger Trumpf.«

»Sie bekommen sie wieder!«

Wenn es doch Alarm gab, überlegte ich, konnten wir natürlich trotzdem aufsteigen. Es war eine Sache eines Befehls an die Bordautomatik, das Kabel auszustoßen und die Reaktorleistung entsprechend zu drosseln. Aber was hatten wir davon, wenn wir mit dem Explorer aufstiegen und in unserem Rücken der Turm der Nationalbank in sich zusammenfiel?

»Sagen wir eine Stunde.« Tariq hatte gewartet, bis der Adjutant wieder in Richtung der ausgedehnten Untergeschosse verschwunden war. »Bei diesen Angaben muss man immer etwas draufgeben.« Er lächelte.

»Dann müssen wir eben umgehend eine Luftbrücke einrichten«, erklärte General Rogers. »Nachschub und Verstärkung herunterbringen und die Front im Stadtgebiet aufrollen.« Er grinste schief. »Bis Sonnenuntergang will ich dieses Nest in unserer Hand wissen.«

»Sollte das nicht schon bis Sonnenaufgang der Fall ein?«, fragte ich.

Der alte Haudegen zuckte nur die Achseln. »Die Sonne geht auf und unter«, meinte er gleichgültig. »Am Ende des Tages wird die Flagge der Union auf dem höchsten Punkt dieses Gebäudes wehen.«

Tariq und ich ließen das im Moment auf sich beruhen. Jennifer hockte in ihrem Sofa, die Beine angezogen, den Becher auf den Knien balancierend, und nahm an der Besprechung nicht teil.

Ein weiterer Soldat ließ sich bei Tariq melden. Er gab dem Colonel durch eine Geste zu verstehen, dass er ihn unter vier Augen sprechen wolle. Die beiden gingen ein paar Schritte abseits und flüsterten etwas. Als der hochgewachsene Berufsoffizier zu uns zurückkam, war das zufriedene Lächeln aus seinem Gesicht verschwunden.

»Was gibt es?«, fragte ich.

»Der Tresorraum«, sagte er. »Er befindet sich dort hinten, in der Verlängerung der Lobby.«

»Ich weiß«, gab ich zurück. »Ich hatte dort einmal ein Schließfach.«

Tariq brauchte fünf Sekunden, um seine Verwirrung zu überspielen.

»Was ist mit dem Tresorraum?«, half Rogers ihm wieder zurück in die Spur.

»Er war ebenfalls mit Sprengfallen gesichert.« Der Colonel hatte sich wieder gefangen. »Wir hatten das zurückgestellt, solange der Turm nicht gesichert war.«

»Und?«

»Jetzt hat ein Team die Minen geräumt. Es waren heimtückische KI-gestützte Nanodetonatoren. Nicht leicht zu entschärfen.«

»Und?« Rogers war noch nie für seine übergroße Geduld bekannt gewesen.

Tariq holte Luft. »Die Safes sind leer.«

Rogers sah mich an. Er biss die Backenzähne aufeinander, dass die Muskeln an seinen unrasierten Wangen hervortraten.

»Es war klar«, knurrte er, »dass sie die immateriellen Vermögenswerte in Sicherheit bringen würden. Obwohl wir alle elektronischen Zahlungswege sofort nach ihrer Unabhängigkeitserklärung gesperrt haben. Aber wir hatten gehofft, die physischen Ressourcen noch vorzufinden.«

»Die wären?«, fragte ich.

Der Alte schob den Unterkiefer vor. »Aus sinesischer Zeit müssen mehrere Tonnen Gold hier gelegen haben. Außerdem nicht unbeträchtliche Mengen anderer Edelmetalle. Auch Bargeld der verschiedenen Währungen.«

»Sie haben es in Sicherheit gebracht«, sagte Colonel Tariq.

»Unser Angriff war nicht entschlossen genug«, brummte Rogers vor sich hin. »Wir hätten die Entscheidung im Orbit nicht abwarten, sondern sofort zum Boden durchstoßen müssen.«

»Ich dachte, wir bringen den Völkern die Freiheit«, sagte ich. »Oder rauben wir sie aus?«

»Wir bringen ihnen die Segnungen der Zivilisation«, versetzte der General ohne einen Anflug von Humor. »Aber wir beteiligen sie auch gerne an den Kosten, die das verursacht.«

»Wie es aussieht, hatte ihre Führung da andere Vorstellungen.«

»Freut dich das, Frank?«

»Ja und nein.« Ich sah ihn offen an. »Es würde ein schlechtes Licht auf die Union werfen, wenn wir als Raubritter auftreten und als Erstes die Goldreserven der befriedeten Völker plündern.«

»Das ist nobel gedacht.« Auch jetzt ließ seine Miene keine Ironie erkennen. »Vielleicht machst du dir aber auch klar, wie teuer so ein Einsatz ist.«

»Das bestreite ich ja gar nicht.«

»Wir haben ein Geschwader schneller Jäger verloren, mehrere große Schiffe wurden beschädigt. Wie die Marquis de Laplace aussieht, will ich mir im Augenblick gar nicht vorstellen. Das Landungsunternehmen hat in einer Nacht ein paar tausend Tonnen Material verbrannt. Von den Menschenleben zu schweigen.«

Sein Blick wurde stechender, ich hatte Mühe ihm standzuhalten.

»Ich weiß, dass ihr«, er deutete ein Nicken in Richtung Jennifers an, als deren Bauchredner er mich wahrzunehmen schien, »diese Art zu denken nicht mögt, aber jeder Soldat, der dort draußen gefallen ist, hinterlässt seiner Familie einen stattlichen Pensionsanspruch.« Der Held von Persephone atmete einmal tief durch. »Dieser Scheißplanet wird uns einige Milliarden Credits kosten und noch ist die Sache nicht ausgestanden.«

»Warum lassen wir ihn dann nicht einfach in Frieden?«

»Weil morgen der nächste seinen Austritt erklären würde und übermorgen fünf weitere.«

Ich seufzte. An diesem Punkt der Debatte waren wir schon so oft gestrandet. Was wäre so schlimm daran? Die Union würde sich aufribbeln wie ein Gewebe, das man an einem losen Faden auseinanderzieht. Und dann? Die Völker würden sich untereinander bekriegen: um Rohstoffe, Handelsrouten, Einflusssphären, kulturelle Hegemonien. All das, was die Union jetzt mühsam zwischen ihnen ausbalancierte, nicht selten gegen ihren Willen. Wie lange konnte man jemanden zu seinem Glück zwingen, ihm Segnungen aufnötigen? Und waren diese Strafaktionen und Antiseparationsfeldzüge wirklich weniger schlimm als die Kriege, die vielleicht zwischen den einzelnen Welten ausgebrochen wären. Vielleicht würden sie neue Koalitionen bilden und sich gegen die Union zusammenschließen. Genügend Gründe, uns als selbstherrliche und habgierige Aggressoren wahrzunehmen, hatten wir ihnen in letzter Zeit geliefert.

»Belassen wir es dabei.« Ich winkte ab.

Jennifer hatte auch jetzt nicht einmal aufgesehen. Sie drehte den Becher in den Händen und studierte das Getränk darin, als ob sie in den Dampfschwaden die Zukunft lesen könne.

»Ich verstehe eure Skepsis«, sagte Rogers unerwartet milde. Auch jetzt sprach er uns beide im Plural an. »Ihr seid eine andere Generation. Die meine ist von anderen Voraussetzungen ausgegangen.«

»Auch wir haben vor Sina gekämpft«, rief ich ihm in Erinnerung. Die Alten neigten dazu, die eigenen Schlachten zu glorifizieren und die, die später kamen, herunterzuspielen.

»Ich weiß. Und auf Zthronmia.« Er sah wieder zu Jennifer hinüber. »Jeder hat seinen Preis bezahlt.« Mit einem Ruck wandte er sich mir wieder zu. »Aber all das wäre umsonst gewesen. Die unendlichen Opfer dieses Kampfes wären vergeblich gewesen, wenn wir das Erbe jetzt nicht auch verteidigen würden. Die Toten all dieser Kriege würden beleidigt und entweiht.«

Ich musste schlucken. Selten hatte ich ihn so pathetisch gesehen. War das der zynische Schlachtenlenker Rogers, der bedenkenlos Tausende ins Feuer schickte? Aber es war nicht so, dass ich ihn nicht verstanden hätte. Er sah sein Lebenswerk bedroht. Er sah sich um die ungeheure Leistung betrogen, die er als Kriegsheld der Union vollbracht hatte. Wir wären nicht die, die wir nun einmal waren, wenn er nicht die Grundlage dafür geschaffen hätte. All das sollte nichts gewesen sein? Schlimmer: ein Verbrechen?

»Was nützt es den Opfern«, fragte ich, »wenn man ihnen immer neue hinterherschickt. Immer neue Kriege, um die alten im Nachhinein zu rechtfertigen. Und dann wieder neue, um diese abzusegnen?«

»Weil es so ist.« Grundsatzdiskussionen waren noch nie seine Stärke gewesen. Aus seiner Sicht hatte er natürlich recht. Es war nur eine Kampfpause, noch nicht einmal eine Waffenruhe. Die Schlacht war nicht entschieden. Und der Krieg würde sowieso ewig weitergehen. Von diesem Fatalismus würde ich ihn in diesem Leben nicht mehr befreien können.

»Halten wir uns an das, was wir haben.« Mit einem Ruck glitt das Visier über sein rotes Gesicht. Der väterliche Freund verwandelte sich wieder in den Feldherrn.

Und was hatten wir? Einige tausend Tote, ein manövrierunfähig im Orbit dümpelndes Mutterschiff, einen leeren Safe.

Ich ging zu Jennifer und ließ mich neben sie in das Sofa plumpsen. Ich landete äußerst unsanft auf dem metallischen Innenleben des Möbels, denn ich hatte nicht bedacht, dass die Agrav-Polsterungen deaktiviert waren. Stattdessen rammte ich mir den kleinen Feldgenerator, der sonst die Kissen aus künstlicher Schwerkraft erzeugte, in den Steiß.

»Au, verdammt!«

Jennifer schmunzelte. Immerhin war das ihre erste menschliche Regung, seit wir in die Lobby zurückgekehrt waren. Sie stellte den Elastilbecher neben sich auf den Boden und entfaltete stattdessen wieder die Breitbandholografie.

»Wie sieht es aus?« Ich stützte mich auf die rechte Hand und rieb mir mit der linken den Hintern.

»Die Marquis de Laplace wird angegriffen«, sagte sie lapidar.

»Angegriffen?« Ich fiel zum zweiten Mal binnen weniger Sekunden auf das harte Vierkantgehäuse des Gravitationserzeugers. »Von wem?«

»Von schnellen Verbänden der Laya.«

»Wo sollen die herkommen?«

»Sie haben sich während des Durcheinanders zurückgezogen, eine Weile abgewartet und jetzt schlagen sie erneut zu.«

»Aber wo waren sie? Wir haben den gesamten Orbit mit Satelliten gespickt, die Trümmerwolke durchsucht, einen Mond gibt es nicht …«

Sie sah von der interaktiven Darstellung auf und schaute mich bitter an.

»Musan.«

»Musan.« Jennifer nickte. »Sie haben sich während des Chaos im Gefolge unserer Angriffe abgesetzt. Vermutlich konnten sie sogar den Funkschatten unserer Dunkelwolke nutzen. Die Warpsignaturen unserer Amboss-Schiffe haben auch die letzten Emissionen zerhackt. Im Übrigen sind es kleine Maschinen. Wenn sie auf Tarnmodus schalten, sind sie auch bei optimalen Bedingungen jenseits von ein paar tausend Kilometern kaum noch zu orten.«

Das musste ich einen Moment verdauen.

»Sie haben die Nacht auf Musan verbracht. Wurden in aller Ruhe gewartet, betankt und aufmunitioniert. Und jetzt …«

»… attackieren sie die Marquis de Laplace, die mittlerweile aus drei Bruchstücken besteht und navigationsunfähig im Raum treibt.«

»Wie schlimm ist es?«

»Das kann ich von hier nicht sagen.«

Ich zog mein HandKom hervor. Dank des Kommunikationsnetzes, das wir über Sin Pur installiert hatten, konnte man wieder störungsfrei mit dem Mutterschiff sprechen, auch wenn es nicht gerade zufällig senkrecht über uns stand.

»Norton an Brücke«, rief ich. »Wie schlimm ist es?«

»Wir werden angegriffen«, verlautbarte John Reynolds.

»Das sehen wir! Aber wie sieht es aus?«

»Es sind nur ein paar Jäger«, sagte er ausweichend. »Sie können uns nicht ernsthaft gefährlich werden.«

»Bewaffnung?«

»Bordkanonen. Damit kommen sie nicht durch unsere Abschirmung. Und ein paar Torpedos.«

»Was heißt das?«

»Die meisten Torpedos konnten wir abschießen. Unsere Batterien haben auch schon zwei Feindmaschinen erledigt.«

»Definiere die meisten

»Ein paar Treffer mussten wir einstecken«, gab er kleinlaut zu. »Hauptsächlich im Bereich der Brücke und der Segmente I und II.«

»Schäden?«

»Lokale Brände im Bereich der Offiziersunterkünfte und des technischen Betriebs.«

Ich seufzte. »Wie viele Feindmaschinen sind es?«

»Ein ganzes Geschwader.« Reynolds antwortete jetzt zackig und ohne zu zögern, wie ein Rekrut beim Morgenappell. »Circa zwanzig.«

»Und wir wissen nicht, wie viele sie noch in der Hinterhand haben«, brachte ich den Satz an seiner statt zu Ende. »Sie jagen uns Torpedos ins Wohnzimmer und bombardieren die Bordcomputer. Aber im Prinzip haben wir die Lage unter Kontrolle.«

»Beruhige dich, Frank«, sagte mein Stellvertreter, der wie immer die Ruhe selber war. »Das sind Nadelstiche. Sie können damit nicht den Krieg gewinnen.«

»Warum machen sie es dann?«

»Sie demütigen uns«, warf Jennifer an meiner Seite ein. »Jeder Wirkungstreffer, den sie der Marquis de Laplace setzen können, zeigt den anderen Nationen, dass die Union nicht unverwundbar ist.«

»Sie führen uns vor«, stöhnte ich. Und dann sagte ich, was ich mich eigentlich niemals sagen hören wollte. »Wir müssen eine Nachrichtensperre verhängen. Die Bilder dieser Schlacht dürfen nicht an die galaktische Öffentlichkeit!«

Jennifer Miene war voller Skepsis. »Das StabsLog führt automatische Abgleiche via Qbox durch. Die Daten gehen an den Torus, nach Pensacola und an ein Dutzend andere Stellen. Es sind auch Kapazitäten für Journalisten reserviert.«

Das alles wusste ich natürlich, auch dass wir ein ziemlich starkes Pressekorps dabeihatten. Es hatte ja eine Demonstration der Stärke werden sollen, wir wollten an Sin Pur ein Exempel statuieren! Stattdessen wurden wir vor laufenden Kameras verprügelt. Nicht schlimm, nicht tödlich. Nur bis wir am Boden waren und bluteten. Aber auch das war nicht gewiss. Wenn eine der Raketen zur Reaktorkammer durchdrang oder den Hauptrechner traf?

Dann fiel mir noch etwas ein.

»Was machen eigentlich die Scyther?«

Reynolds erlitt einen Rückfall an Rumdruckserei.

»Ahm, sie spielen.«

»Sie spielen?«

»Ich weiß nicht, wie ich es anders nennen soll.« Er wog seine Worte mit Bedacht. »Wir haben sie angewiesen, die Trümmer aus dem Orbit zu kegeln. Die meisten Bahnen sind sehr flach. Es genügt bereits ein leichter Stoß und sie fallen von selber in die Atmosphäre.«

»Ja und?«

»Die Kommunikation mit ihnen ist – rudimentär. Aber anscheinend hat die Sache angefangen, ihnen Spaß zu machen. Jetzt sind sie nicht mehr davon abzubringen.«

Jennifer zeigte mir eine Totale des ehemaligen Schlachtfeldes, die aus einigen Dutzend Satelliten und Außenbordkameras der Marquis de Laplace synthetisiert wurde. Wir sahen die ausgebrannten Wracks der Großkampfschiffe der Laya, eingehüllt in eine allmählich abflachende Wolke aus Schrott. Die interaktive Darstellung simulierte einen Zoom und schließlich erkannten wir tatsächlich einige Dutzend der halbintelligenten Wesen, die zwischen den Raumschiffstrümmern, Raketenteilen, Metallfetzen und menschlichen Leichen umherflitzten und sie in Richtung des Planeten abdrängten, bis sie der Luftschicht entgegenstürzten. Dort wurden sie bald so sehr den Bremskräften der Atmosphäre ausgesetzt, dass sie verglühten. Den Scythern aber machte die Sache Spaß, das war deutlich zu sehen. Sie waren wie Delfine, die mit Bällen jonglierten. Oder wie spielende Kinder, die alles um sich herum vergaßen.

Jennifer senkte einen tiefen Blick in mich. Dann deaktivierte sie die Gefechtsholografie und stand auf.

»Was hast du vor?« Ich beeilte mich, ihr zu folgen.

Mit langen Schritten und energisch pendelndem Pferdeschwanz stiefelte sie zu Rogers und Tariq, die sich in den Verschlag des Generalstabs zurückgezogen hatten.

»Wir brauchen die Enthymesis«, sagte sie bestimmt.

»Was ist los?« Rogers hatte in ihrer Miene gelesen, dass etwas nicht stimmte. Wir setzten ihm die Situation in wenigen Worten auseinander.

»Die einzigen Verbündeten«, stöhnte er, »entpuppen sich als infantiles Viechzeug?!«

»Sie sind kein Viehzeug und sie sind nicht infantil.« Rein äußerlich schien Jennifer wieder die Alte zu sein.

»Wie haben die Zthronmic das geschafft?«, fragte der General theatralisch. »Dort haben sie ihren Job doch auch gemacht.« Er schlug mit der Faust auf den improvisierten Tisch, dass der holografische Stadtplan erlosch und sich neu aufbaute.

»Die Zthronmic haben sie konditioniert«, sagte Jennifer unbeeindruckt. »Wie Hunde, denen man Stöckchen wirft.«

»Aha«, blaffte Rogers. »Und wir machen das natürlich nicht. Dafür sind wir uns zu vornehm?!«

»Wir haben sie als gleichberechtigte Partner akzeptiert.«

»Sehr witzig.« Der Held von Persephone rieb sich das dunkelrote Gesicht mit beiden Händen.

»Wir wissen zwar nicht«, führte Jennifer aus, »wie die Zthronmic es im Einzelnen gemacht haben, aber wir waren eigentlich entschlossen, von derartigen Methoden Abstand zu nehmen. Wir wollten mit den Scythern auf gleicher Augenhöhe zusammenarbeiten.«

Rogers beschrieb nur noch ein Kopfschütteln und eine wedelnde Handbewegung, als könne er diese Ausführungen physisch nicht mehr ertragen. Tatsächlich fürchtete ich, der Einsatz könne über seine Kräfte gehen. Bis vor ein paar Minuten hatten wir gedacht, die Messe sei im Grunde gesungen und der Rest werde schlimmstenfalls langweilig. Nun war abermals eine unvorhergesehene Eskalation eingetreten.

»Ich brauche die Enthymesis«, wiederholte Jennifer.

Rogers sah wie aus schrecklichen Träumen auf. Er schien sich eine Weile besinnen zu müssen, wo er war und was er hier machte. Dann nickte er.

»Tariq?«, wandte er sich an seinen Kollegen.

Der Oberkommandierende der Bodentruppen hatte den Wortwechsel mit angehört. Er besprach sich kurz mit seinem Stab. Dann kehrte er zu uns zurück.

»Der Reaktor kommt gerade online«, sagte er. »Es wird noch ein paar Minuten dauern, bis er volle Leistung hat, aber das können wir über die Feldgeneratoren puffern.«

»Danke«, sagte ich. Und zu Rogers gewandt setzte ich hinzu: »Du weißt, wo du uns findest.«

»Holt die Marquis de Laplace aus dieser Scheiße raus«, nickte er. »Sie ist jetzt euer Schiff.«

Jennifer war schon losgegangen. Ich lief ihr nach, die mit knallenden Schritten die Lobby durchquerte.

»Du musst das nicht machen«, sagte ich, als ich sie eingeholt hatte. »Wenn du dich nicht fühlst, kann ich auch allein …«

»Du kannst nicht mit ihnen kommunizieren«, sagte sie kalt.

»Deswegen brauchst du mich nicht anblaffen«, gab ich zurück.

»Hat mit dir nichts zu tun«, versetzte sie. »Rogers ist ein Idiot.«

»Ich bin nicht Rogers!« Wir sahen zu, wie das armdicke Starkstromkabel von den komplizierten Apparaturen der Ingenieurskompanie gelöst wurde. Einige Pioniere schleppten ein anderes heran, das vom Gebäudereaktor im Basement zu den Feldgeneratoren führte. Das künstliche Rückgrat aus Gravitationskräften verlor ein wenig an Intensität, während die Energieversorgung umgestöpselt wurde, und glühte dann in neuer Stärke auf. Dem Ende des Kabels, das automatisch eingeholt wurde, zur Enthymesis folgend, schritten wir durch den Energievorhang.

Draußen war inzwischen später Vormittag. Die äquatoriale Sonne brannte aus dem Zenit auf die menschenleere Plaza. Die Mannschaften an den Vorposten dösten in der Hitze vor sich hin. Ich ermahnte sie zur Wachsamkeit. Dann erreichten wir die vordere Stelze und fuhren im Elevator nach oben.

»Kommandant auf Brücke«, sagte ich, als wir die Zentrale betraten.

Der WO und der Zweite Pilot hingen schlafend über ihren Konsolen. Der Erste hielt die undankbare Wache nach dieser langen Nacht. Der Mann zeigte wirklich eine tadellose Führung!

»Status?«, sagte ich, während ich den Platz des Kommandanten annahm.

Die anderen beiden Crewmitglieder kamen zu sich und vollführten schlaftrunkene Grimassen.

»Energiereserven auf sechzig Prozent«, sagte der Pilot. »Die haben uns ganz schön was aus den Knochen gesaugt.«

»Das reicht mehr als genug«, meinte ich.

»Und noch eine gute Nachricht!« Er strahlte in unverhohlenem Stolz. »Wir konnten den defekten Geschützturm instand setzen. Das Schiff verfügt wieder über seine volle Feuerkraft.«

»Der Turm ist nicht bemannt«, wandte ich ein.

»Zur Not kann er auch von einem Kanonier geführt werden«, sagte er gut gelaunt. »Die beiden Männer aus dem zweiten Turm können sich aufteilen. Oder wir schicken abwechselnd den WO und Nummer zwei nach oben.« Er deutete mit gespielter Geringschätzung zu seinem Kameraden, der sich gerade ein herzhaftes Gähnen nicht verkneifen konnte. »Oder Commodora Ash …«

»Die Commodora hat bei dem bevorstehenden Einsatz eine andere Aufgabe«, sagte ich. »Aber das lassen Sie ganz unsere Sorge sein.«

Ich dachte einen Moment nach. Es war riskant. Wir würden mit Sicherheit in ziemlich heftige Kämpfe verwickelt werden. Die Laya umschwärmten die Marquis de Laplace wie ein Wespenschwarm. Und die Gefangenen, die das Kleine Drohnendeck besetzt hielten, konnten ihnen von dort aus Feuerschutz geben.

»Natürlich können wir auch Verstärkung von den Bodentruppen anfordern«, sagte der Pilot noch. Er merkte gar nicht, dass es Kompetenzanmaßung war, wenn er sich laut meinen Kopf zerbrach.

Jennifer schüttelte nur den Kopf.

»Wir steigen auf«, erklärte ich. »Für alles Weitere haben wir keine Zeit.«

Ich hatte den Satz nicht beendet, da schwebte die Enthymesis schon auf.

»Wir können die Geschütze synchronisieren«, sagte Jennifer, die als Einzige stehen geblieben war. »Die Laya haben sinesische Typen, ihre Flotte wurde auf Sina gefertigt. Das heißt, dass wir unsere Erfahrungen mit ihnen haben, die alle in der KI dieses Schiffes abgelegt sind.«

»Etwas mehr Abstand zum Turm«, sagte ich zu den Piloten. »Senkrecht aufsteigen bis zehntausend Meter. Dann nach Süden ausweichen, fünf Breitengrade. Sie haben die Koordinaten des Mutterschiffes und der Trümmerwolke. Nicht direkt anfliegen, sondern auf einem Sicherheitskorridor von Südost!«

Inzwischen hatte Jennifer sich mit dem WO kurzgeschlossen, der die Programmierung der automatischen Geschütznachführung übernahm.

»Die Maschinen haben nur ein begrenztes Repertoire an Manövern. Die Piloten fliegen nicht von Hand, sondern wählen aus einer Palette von Möglichkeiten, die ihnen verschiedene Gefechtsroutinen zur Verfügung stellen. Unsere KI kennt die Muster, identifiziert sie und stellt sich darauf ein.« Sie grinste. »Wir müssen nur nahe genug herankommen und freies Schussfeld haben. Den Rest erledigt der Bordcomputer!«

»Wozu brauchen wir dann überhaupt die Richtschützen?«, fragte der WO.

»Zur Zuweisung der Ziele. Manchmal müssen auch hier Entscheidungen getroffen werden. Zur Einteilung der Energien. Zur Absprache.« Sie lächelte fahl. »Schlimmstenfalls kann man sie auch entbehren. Ich habe über Zthronmia ein Gefecht geflogen, bei dem ich allein an Bord eines solches Explorers war.«

»Und wo ist der Explorer jetzt?«, wandte ich ein.

»Er liegt in der Wüste dieses Planeten.« Jennifer feixte in die Runde. »Ich wurde abgeschossen.«

Wir schwebten direkt über der Innenstadt. Im harten Mittagslicht war gut zu erkennen, wie der Turm der Nationalbank auf halber Höhe eingeknickt war. Die Spitze wies um mehrere Grad zur Seite.

Dann erkannten wir noch etwas.

»Ortung«, sagte der zweite Pilot. »Zwei … äh …«

»Zwei Scyther«, sagte ich. »Sie müssen uns heute Nacht beim Landeanflug gefolgt sein.« Unwillkürlich kam mir Rogers’ Bild von den treuen Hunden ins Gedächtnis. »Sie haben sich mehrfach in die Kämpfe eingeschaltet.«

Jennifer war an die große Panoramascheibe an der Backbordseite getreten. Ich konnte spüren, wie sie sich in eine leichte Trance versetzte. Die Scyther setzten sich neben uns, als wollten sie uns eskortieren.

»Was macht sie da?«, fragte der Erste Pilot ehrfürchtig.

»Sie spricht mit ihnen«, sagte ich.

»Haben sie denn eine Sprache?« Er schien verwirrt. »Man sagte uns, sie seien eigentlich nur Tiere.«

»Auch Tiere haben eine Sprache«, erwiderte ich barsch.

Die drei Männer unserer neuen Crew vergaßen fast, ihre Instrumente im Auge zu behalten. Mit offen stehendem Mund sahen sie zu, wie Jennifer sich an die Scheibe schmiegte und liebkosende Bewegungen mit der rechten Hand ausführte. Die Scyther kamen so nahe heran, dass ihre sensenförmig nach vorne gekrümmten Schwingen fast die Aufbauten der Enthymesis berührten. Sie pendelten leicht, als wollten sie sich in Jennifers Bewegung einschwingen. Und all das geschah zehntausend Meter über dem Boden. Die Insel, auf der Pura City lag, war aus dieser Höhe in ihrer ganzen Erstreckung zu überblicken. Es waren nur ein paar Quadratkilometer, die einzige größere Landmasse dieses idyllischen Planeten.

»Anhalten«, sagte Jennifer im harten, unmodulierten Ton der Trance. »Hinteren Hangar öffnen.«

Der Erste Pilot warf mir einen fragenden Blick zu.

»Sie haben gehört, was sie gesagt hat«, sagte ich.

Der Vortrieb wurde gestoppt. Die Enthymesis verharrte an Ort und Stelle. Wie ein riesiger Pfeil zeigte der Turm der Nationalbank direkt auf unsere Bauchseite.

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23 декабря 2023
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9783957770561
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