Winnetou Band 2

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Gentlemen, die ich in meinem Leben noch nicht gesehen hatte, so z. B. nach einem Nigger, Namens

Othello, nach einer jungen Miß aus Orleans, Johanna mit Namen, welche erst Schafe weidete und dann

mit dem König in den Krieg zog, nach einem gewissen Master Fridolin, welcher einen Gang nach dem

Eisenhammer gemacht haben soll, nach einer unglücklichen Lady Maria Stuart, der sie in England den

Kopf abgeschlagen haben, nach einer Glocke, die ein Lied von Schiller gesungen haben soll, auch nach

einem sehr poetischen Sir, Namens Ludwig Uhland, welcher zwei Sänger verflucht hat, wofür ihm irgend

eine Königin die Rose von ihrer Brust herunterwarf. Er freute sich, einen Deutschen in mir zu finden, und

brachte eine Menge Namen, Gedichte und Theaterhistorien zum Vorscheine, von denen ich mir nur das

gemerkt habe, was ich soeben sagte. Das ging mir alles wie ein Mühlenrad im Kopf herum. Dieser Master

Ohlert schien ein ganz braver und ungefährlicher Mensch zu sein, aber ich möchte wetten, daß er einen

kleinen Klapps hatte. Und endlich zog er ein Blatt mit einer Reimerei hervor, welche er mir vorlas. Es

war da die Rede von einer schrecklichen Nacht, welche zweimal hintereinander einen Morgen, aber das

drittemal keinen Morgen hatte. Es kamen da vor das Regenwetter, die Sterne, der Nebel, die Ewigkeit,

das Blut in den Adern, ein Geist, der nach Erlösung brüllt, ein Teufel im Gehirn und einige Dutzend

Schlangen in der Seele, kurz, lauter konfuses Zeug, was gar nicht möglich ist und auch gar nicht

zusammenpaßt. Ich wußte wirklich nicht, ob ich lachen oder ob ich weinen sollte.«

Es war kein Zweifel vorhanden, er hatte mit William Ohlert gesprochen. Sein Begleiter Gibson hatte jetzt

zum zweitenmale seinen Namen geändert. Wahrscheinlich war der Name Gibson auch nur ein

angenommener. Daß der Ver- und Entführer einen gelben Kreolenteint hatte, wußte ich auch, denn ich

hatte ihn ja gesehen. Vielleicht stammte er wirklich aus Mexiko und hieß ursprünglich Gavilano, unter

welchem Namen ihn Sennor Cortesio kennen gelernt hatte. Gavilano heißt zu deutsch Sperber, eine

Bezeichnung, welche dem Mann freilich alle Ehre machte. Vor allen Dingen lag mir daran, zu erfahren,

welches Vorwandes er sich bediente, William so mit sich herumzuführen. Dieser Vorwand mußte für den

Geisteskranken ein sehr verlockender sein und mit dessen fixer Idee, eine Tragödie über einen

wahnsinnigen Dichter schreiben zu müssen, in naher Verbindung stehen. Vielleicht hatte Ohlert sich auch

darüber gegen den Schmied ausgesprochen. Darum fragte ich den letzteren:

»Welcher Sprache bediente sich dieser junge Mann während des Gespräches mit Euch?«

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»Er redete Deutsch und sprach sehr viel von einem Trauerspiel, das er schreiben wollte, es sei aber nötig,

daß er alles das, was in jenem enthalten sein solle, auch selbst vorher erlebe.«

»Das ist ja gar nicht zu glauben!«

»Nicht? Da bin ich ganz anderer Meinung, Sir! Die Verrücktheit besteht ja grad darin, Dinge zu

unternehmen, die einem vernünftigen Menschen gar nicht in den Sinn kommen. Jedes dritte Wort war

eine Sennorita Felisa Perilla, die er mit Hilfe seines Freundes entführen müsse.«

»Das ist ja wirklich Wahnsinn, der reine Wahnsinn! Wenn dieser Mann die Gestalten und Begebenheiten

seines Trauerspiels in die Wirklichkeit überträgt, so muß man das unbedingt zu verhindern suchen.

Hoffentlich ist er noch hier in La Grange?«

»Nein. Er ist fort, gestern abgereist. Er ist eben mit Sennor Cortesio nach Hopkins Farm, um von da nach

dem Rio grande zu gehen.«

»Das ist unangenehm, höchst unangenehm! Wir müssen schleunigst nach, womöglich noch heute. Wißt

Ihr vielleicht, ob man hier zwei gute Pferde zu kaufen bekommen kann?«

»Ja, eben bei Sennor Cortesio. Er hat immer Tiere, jedenfalls, um sie den Leuten abzulassen, welche er

für Juarez anwirbt. Aber von einem nächtlichen Ritte möchte ich Euch doch abraten. Ihr kennt den Weg

nicht und bedürft also eines Führers, den Ihr für heute wahrscheinlich nicht mehr bekommen werdet.«

»Vielleicht doch. Wir werden alles versuchen, heute noch fortkommen zu können. Vor allen Dingen

müssen wir mit Cortesio sprechen. Es ist zehn Uhr vorüber, und da er um diese Zeit zu Hause sein wollte,

so möchte ich Euch bitten, uns jetzt seine Wohnung zu zeigen.«

»Gern. Brechen wir also auf, wenn es Euch beliebt, Sir!«

Als wir aufstanden, um zu gehen, hörten wir Hufschlag vor dem Hause und einige Augenblicke später

traten neue Gäste in die vordere Stube. Zu meinem Erstaunen und nicht mit dem Gefühle der Beruhigung

erkannte ich diese Leute, neun oder zehn der Sezessionisten, welchen der Kapitän heute so schöne

Gelegenheit gegeben hatte, sich an das Ufer zu retten. Sie schienen mehreren der anwesenden Gäste

bekannt zu sein, denn sie wurden von denselben lebhaft begrüßt. Wir hörten aus den hin und her

fliegenden Fragen und Antworten, daß sie erwartet worden waren. Sie wurden zunächst so in Beschlag

genommen, daß sie keine Zeit fanden, auf uns zu achten. Das war uns auch sehr lieb, denn es konnte

keineswegs unser Wunsch sein, ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Darum setzten wir uns einstweilen

wieder nieder. Wären wir jetzt gegangen, so hätten wir an ihnen vorüber gemußt, und diese Gelegenheit

hätten sie ganz sicher benutzt, mit uns anzubinden. Als Lange hörte, wer sie waren, stieß er die

Verbindungstüre so weit zu, daß sie uns nicht sehen, wir aber alles hören konnten, was gesprochen wurde.

Außerdem tauschten er und die Andern mit uns die Plätze, so daß wir mit dem Rücken nach der vorderen

Stube saßen und die Gesichter von derselben abgewendet hatten.

»Es ist nicht notwendig, daß sie Euch sehen,« meinte der Schmied. »Denn schon früher herrschte eine für

uns nicht eben günstige Stimmung da draußen, Bemerkten sie Euch, die sie für Spione halten und heute

schon aufknüpfen wollten, so wäre der Krawall sofort fertig.«

»Das ist ganz gut,« antwortete Old Death. »Aber meint Ihr etwa, daß wir Lust haben, hier sitzen zu

bleiben, bis sie sich entfernt haben? Dazu ist keine Zeit vorhanden, da wir unbedingt zu Cortesio

müssen.«

»Das könnt Ihr, Sir! Wir gehen einen Weg, auf welchem sie uns nicht sehen.«

Old Death schaute sich in dem Zimmer um und sagte dann:

»Wo wäre das? Wir können ja nur durch die Vorderstube.«

»Nein. Da hinaus haben wir es viel bequemer.«

Er deutete nach dem Fenster.

»Ist das Euer Ernst?« fragte der Alte. »Ich glaube gar, Ihr fürchtet Euch! Sollen wir uns französisch

empfehlen wie Mäuse, welche aus Angst vor der Katze in alle Löcher kriechen? Man würde uns schön

auslachen.«

»Furcht kenne ich nicht. Aber es ist ein gutes, altes, deutsches Sprichwort, daß der Klügste nachgibt. Es

genügt mir vollständig, mir selbst sagen zu können, daß ich es nicht aus Furcht, sondern nur aus Vorsicht

tue. Ich will gar nicht erwähnen, daß da draußen eine zehnfach größere Zahl, als wir sind, sitzt. Die

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Vagabunden sind übermütig und ergrimmt. Sie werden uns nicht vorüberlassen, ohne uns zu belästigen,

und da ich nicht der Mann bin, der dies duldet, und Euch auch nicht für Leute halte, die so etwas ruhig

hinnehmen, so wird es eine bedeutende Keilerei geben. In einem Kampfe mit der Faust, mit Stößen oder

mit abgebrochenen Stuhlbeinen scheue ich eine solche Übermacht nicht, denn ich bin ein Schmied und

verstehe es, Köpfe breit zu hämmern. Aber ein Revolver ist eine verteufelt dumme Waffe. Der feigste

Knirps kann mit einer erbsengroßen Kugel den mutigsten Riesen niederstrecken. Darum rät uns die

einfachste Klugheit, diesen Kerlen ein Schnippchen zu schlagen, indem wir uns heimlich durch das

Fenster aus dem Staube machen. Sie werden sich mehr darüber ärgern, als wenn wir uns stellen und

einigen von ihnen die Schädel einschlagen, uns aber selbst dabei blutige Nasen oder gar etwas noch

Schlimmeres holen.«

Ich gab dem verständigen Manne im stillen recht, und auch Old Death sagte nach einer Pause:

»So ganz unklug ist Eure Meinung freilich nicht. Ich will auf Euren Vorschlag eingehen und meine Beine

mit allem, was daran hängt, zum Fenster hinausschieben. Hört doch einmal, wie sie brüllen! Ich glaube,

sie sprechen von dem Abenteuer auf dem Steamer.«

Er hatte recht. Die Neuangekommenen erzählten, wie es ihnen auf dem Dampfer ergangen war, dann von

Old Death, dem Indianer und mir, sowie von der Hinterlist des Kapitäns. Über die Ausübung ihrer Rache

waren sie nicht einig gewesen. Die sechs Rowdies und deren Anhang hatten den Dampfer erwarten

wollen, die Andern aber nicht Lust oder Zeit dazu gehabt.

»Wir konnten uns natürlich nicht eine ganze Ewigkeit lang an das Ufer setzen,« sagte der Erzähler, »denn

wir mußten hierher, wo wir erwartet wurden. Darum war es ein Glück, daß wir eine naheliegende Farm

fanden, auf welcher wir uns Pferde borgten.«

»Borgten?« fragte einer lachend.

»Ja, borgten, aber freilich nach unserer Weise. Sie reichten indessen nicht für uns, und wir mußten zu

zweien auf einem Tiere sitzen. Später machte sich die Sache besser. Wir fanden noch andere Farmen, so

daß schließlich auf jeden Mann ein Pferd kam.« Ein unbändiges Gelächter folgte dieser

Diebstahlsgeschichte. Dann fuhr der Erzähler fort: »Ist hier alles in Ordnung? Und sind die Betreffenden

gefunden?«

»Ja, wir haben sie.«

»Und die Anzüge?«

»Haben zwei Kisten mitgebracht; das wird ausreichen.«

»So gibt es ein Vergnügen. Aber auch die Spione und der Kapitän sollen ihr Teil haben. Der Steamer hält

 

ja heute nacht hier in La Grange, und so wird der Kapitän zu finden Sein, und den Indianer und die beiden

Spione werden wir auch nicht lange vergeblich zu suchen brauchen. Sie sind sehr leicht zu erkennen. Der

Eine trug einen neuen Trapperanzug, und beide hatten Sättel mit, ohne aber Pferde bei sich zu haben.«

»Sättel?« ertönte es jetzt in fast freudigem Tone. »Hatten nicht die Zwei, welche vorhin kamen und da

draußen sitzen, ihre - - -«

Er sagte das übrige leiser, das galt natürlich uns.

»Mesch'schurs,« meinte der Schmied, »es ist Zeit, daß wir uns von dannen machen, denn in einigen

Minuten kommen sie heraus. Steigt Ihr schnell voran! Eure Sättel reichen wir Euch hinaus.«

Er hatte sehr recht, drum fuhr ich, ohne mich zu genieren, schleunigst zum Fenster hinaus; Old Death

folgte, worauf die Schmiede uns unsere Sachen, auch die Gewehre, nachreichten und dann auch

hinaussprangen.

Wir befanden uns an der Giebelseite des Hauses auf einem kleinen, eingezäunten Platz, welcher wohl ein

Grasgärtchen sein sollte. Als wir über den Zaun sprangen, bemerkten wir, daß auch die andern Gäste,

welche sich mit uns in der kleinen Stube befunden hatten, durch das Fenster gestiegen kamen. Auch sie

durften nicht hoffen, von Sezessionisten freundlich behandelt zu werden, und hielten es für das beste,

unserm Beispiele zu folgen.

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»Nun,« lachte Lange, »sie werden Augen machen, die Kerle, wenn sie die Vögel ausgeflogen finden. Ist

aber wirklich am besten so.«

»Aber eine verteufelte Blamage für den Augenblick!« schimpfte Old Death. »Es ist mir ganz so, als ob

ich ihr höhnisches Gelächter hörte.«

»Laßt sie lachen! Wir lachen später, und das ist bekanntlich besser. Ich werde Euch schon beweisen, daß

ich mich nicht vor ihnen fürchte, aber auf eine Wirtshausbalgerei lasse ich mich nicht ein.«

Die beiden Schmiede nahmen uns unsere Sättel ab und versicherten, sie könnten es nicht zugeben, daß

ihre Gäste eine solche Last selbst schleppen müßten. Bald standen wir zwischen zwei Gebäuden. Das

eine, links von uns, lag in tiefes Dunkel gehüllt, in dem andern, rechts, schimmerte ein Licht durch die

Ladenritze.

»Sennor Cortesio ist zu Hause,« sagte Lange. »Dort, wo der Lichtstreifen durchdringt, wohnt er. Ihr

braucht nur an die Türe zu klopfen, so wird er Euch öffnen. Seid Ihr mit ihm fertig, so kommt da links

herüber, wo wir wohnen. Klopft an den Laden, welcher sich neben der Türe befindet! Wir werden

indessen einen Imbiß fertig machen.«

Sie begaben sich nach ihrem Hause, und wir beide wendeten uns nach rechts. Auf unser Klopfen wurde

die Türe um eine schmale Lücke geöffnet, und eine Stimme fragte:

»Wer sein da?«

»Zwei Freunde,« antwortete Old Death. »Ist Sennor Cortesio daheim?«

»Was wollen von Sennor?«

Der Ausdrucksweise nach war es ein Neger, welcher diese Fragen stellte.

»Ein Geschäft wollen wir mit ihm machen.«

»Was, ein Geschäft? Es sagen, sonst nicht herein dürfen.«

»Sage nur, daß Master Lange uns schickt!«

»Massa Lange? Der sein gut. Dann wohl herein dürfen. Einen Augenblick warten!«

Er machte die Türe zu, öffnete sie aber bereits nach kurzer Zeit wieder und brachte Bescheid:

»Kommen herein! Sennor haben sagen, daß mit Fremden reden wollen.«

Wir traten durch einen engen Hausflur in eine kleine Stube, welche als Kontor benutzt zu werden schien,

denn ein Schreibpult, ein Tisch und einige Holzstühle waren das ganze, einfache Meublement. An dem

Pulte stand ein langer, hagerer Mann, mit dem Gesicht nach der Türe gekehrt. Der erste Blick in sein

Gesicht brachte das Ergebnis, daß er ein Spanier sei.

» Buenas tardes!« beantwortete er unsern höflichen Gruß. »Sennor Lange sendet Euch? Darf ich erfahren,

was Euch zu mir führt, Sennores?«

Ich war neugierig, was Old Death antworten werde. Er hatte mir vorher gesagt, daß ich ihn sprechen

lassen solle.

»Vielleicht ist's ein Geschäft, vielleicht auch nur eine Erkundigung, Sennor. Wir wissen es selbst noch

nicht genau,« sagte der Alte.

»Wir werden ja sehen. Setzt Euch, und nehmt einen Zigarillo.«

Er hielt uns das Zigarrenetui und Feuerzeug entgegen, welches wir nicht abschlagen durften. Der

Mexikaner kann sich nichts, am allerwenigsten aber ein Gespräch, eine Unterhandlung ohne Zigaretten

denken. Old Death, welchem ein Primchen zehnmal lieber war als die feinste Zigarre, nahm sich so ein

kleines, dünnes Ding, brannte es an, tat einige gewaltige Züge, und - die Zigarette hatte ausgeraucht. Ich

verfuhr mit der meinigen sparsamer.

»Was uns zu Euch führt,« begann Old Death, »ist nicht von großer Bedeutung. Wir kommen nur deshalb

so spät, weil Ihr nicht früher zu treffen waret. Und wir wollen mit diesem Besuche nicht bis morgen

warten, weil uns die hiesigen Zustände gar nicht zu einem langen Bleiben hier einladen. Wir haben die

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Absicht, nach Mexiko zu gehen und Juarez unsere Dienste anzubieten. So etwas tut man natürlich nicht

gern aufs Geratewohl. Man möchte eine gewisse Sicherheit haben, willkommen zu sein und angenommen

zu werden. Darum haben wir uns unter der Hand erkundigt und dabei in Erfahrung gebracht, daß man hier

in La Grange angeworben werden kann. Euer Name wurde uns dabei genannt, Sennor, und so sind wir zu

Euch gekommen, und nun habt Ihr vielleicht die Gewogenheit, uns zu sagen, ob wir uns bei dem richtigen

Manne befinden.«

Der Mexikaner antwortete nicht sogleich, sondern betrachtete uns mit forschenden Blicken. Sein Auge

schien mit Befriedigung auf mir zu haften; ich war jung und sah rüstig aus. Old Death gefiel ihm wohl

weniger. Die hagere, nach vorn gebeugte Gestalt des Alten schien nicht geeignet zu sein, große Strapazen

auszuhalten. Dann fragte er:

»Wer war es, der Euch meinen Namen nannte, Sennor?«

»Ein Mann, den wir auf dem Steamer trafen,« log Old Death. »Zufällig begegneten wir dann auch Master

Lange und erfuhren von ihm, daß Ihr vor zehn Uhr nicht zu Hause sein würdet. Wir sind Nordländer

deutscher Abstammung und haben gegen die Südstaaten gekämpft. Wir besitzen also militärische

Erfahrung, sodaß wir dem Präsidenten von Mexiko wohl nicht ganz ohne Nutzen dienen würden.«

»Hm! Das klingt recht gut, Sennor; aber ich will Euch aufrichtig sagen, daß Ihr nicht den Eindruck macht,

den Anstrengungen und Entbehrungen, welche man von Euch fordern wird, gewachsen zu sein.«

»Das ist freilich sehr aufrichtig, Sennor,« lächelte der Alte. »Doch brauche ich Euch wohl nur meinen

Namen zu nennen, um Euch zu überzeugen, daß ich sehr wohl zu gebrauchen bin. Ich werde gewöhnlich

Old Death genannt.«

»Old Death!« rief Cortesio erstaunt. »Ist es möglich! Ihr wäret der berühmte Pfadfinder, welcher dem

Süden so großen Schaden zugefügt hat?«

»Ich bin es. Meine Gestalt wird mich legitimieren.«

»Allerdings, allerdings, Sennor. Ich muß sehr vorsichtig sein. Es darf keineswegs an die Öffentlichkeit

gelangen, daß ich für Juarez werbe; besonders jetzt bin ich gezwungen, mich in acht zu nehmen. Aber da

Ihr Old Death seid, so ist für mich kein Grund der Zurückhaltung vorhanden, und ich kann Euch also

ganz offen eingestehen, daß Ihr Euch an die richtige Adresse gewendet habt. Ich bin sofort und sehr gern

bereit, Euch anzuwerben, kann Euch sogar eine Charge in sicherste Aussicht stellen, denn einen Mann

wie Old Death wird man natürlich zu verwerten wissen und steckt ihn nicht unter die gemeinen

Soldaten.«

»Das hoffe ich allerdings, Sennor. Und was meinen Gefährten betrifft, so wird auch er, selbst wenn er als

Soldat eintreten müßte, es sehr bald zu etwas Besserem bringen. Er hat es unter den Abolitionisten trotz

seiner Jugend bis zum Kapitän gebracht. Sein Name ist allerdings bloß Müller, aber vielleicht, ja höchst

wahrscheinlich habt Ihr dennoch von ihm gehört. Er diente unter Sheridan und hat als Leutnant bei dem

berühmten Flankenmarsche über die Missionary-Ridge die Spitze der Avantgarde befehligt. Ihr wißt

gewiß, welch kühne Raids Reiterstückchen damals ausgeführt worden sind. Müller war der besondere

Liebling Sheridans und hatte infolgedessen den Vorzug, stets zu diesen gewagten Unternehmungen

kommandiert zu werden. Er war auch der vielfach gefeierte Kavallerie-Offizier, welcher in der blutigen

und in ihren Folgen so entscheidenden Schlacht bei Five-Forks den General Sheridan, welcher bereits

gefangen war, wieder heraushieb. Darum meine ich, daß er keine schlechte Akquisition für Euch ist,

Sennor.«

Der Alte log ja das Blaue vom Himmel herunter! Aber durfte ich ihn Lügen strafen? Ich fühlte, daß mir

das Blut in die Wangen stieg, aber der gute Cortesio hielt mein Erröten für Bescheidenheit, denn er

reichte mir die Hand und sagte, ebenfalls lügend wie ein Zeitungsschreiber:

»Dieses wohlverdiente Lob braucht Euch nicht peinlich zu berühren, Sennor Müller. Ich habe allerdings

von Euch und Euern Taten gehört und heiße Euch herzlich willkommen. Auch Ihr werdet natürlich sofort

als Offizier eintreten, und ich bin bereit, Euch gleich jetzt eine Summe bar zur Verfügung zu stellen,

welche zur Anschaffung alles Nötigen ausreicht.«

Old Death wollte beistimmen. Ich sah ihm das an; darum fiel ich schnell ein:

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»Das ist nicht nötig, Sennor. Wir haben nicht die Absicht, uns von Euch equipieren zu lassen. Zunächst

haben wir nichts nötig, als zwei Pferde, die wir vielleicht bekommen können. Sättel haben wir.«

»Das trifft sich gut. Ich kann Euch zwei tüchtige Tiere ablassen, und wenn Ihr sie wirklich bezahlen

wollt, so werde ich sie Euch für den Einkaufspreis geben. Wir können morgen früh in den Stall gehen, wo

ich Euch die Pferde zeigen werde. Es sind die besten, die ich habe. Habt Ihr schon ein Unterkommen für

die Nacht?«

»Ja. Master Lange hat uns eingeladen.«

»Das trifft sich ausgezeichnet. Wäre dies nicht der Fall, so hätte ich Euch eingeladen, bei mir zu bleiben,

obgleich meine Wohnung eine sehr beschränkte ist. Wie meint Ihr, wollen wir das übrige gleich jetzt oder

morgen früh abmachen?«

»Gleich jetzt,« antwortete Old Death. »Welche Formalitäten sind denn zu erledigen?«

»Für jetzt gar keine. Ihr werdet, da Ihr alles selbst zahlt, erst nach Eurem Eintreffen beim Korps in Pflicht

und Eid genommen. Das einzige, was zu tun ist, besteht darin, daß ich Euch mit Legitimation versehe und

außerdem mit einem Empfehlungsschreiben, welches Euch die Chargen sichert, die Ihr nach Euern

Eigenschaften zu beanspruchen habt. Es ist freilich besser, diese Schriftstücke sofort anzufertigen. Man

kann hier nie wissen, was im nächsten Augenblicke geschieht. Habt also hier eine Viertelstunde Geduld.

Ich werde mich beeilen. Da liegen Zigarillos, und hier will ich Euch auch einen guten Schluck vorsetzen,

von welchem ich sonst niemandem gebe. Davon ist leider nur eine einzige Flasche vorhanden.«

Er schob uns die Zigaretten hin und holte eine Flasche Wein herbei. Dann trat er an das Pult, um zu

schreiben. Old Death zog mir hinter dem Rücken des Mexikaners eine Grimasse, aus welcher ich ersah,

daß er sich höchst befriedigt fühle. Dann goß er sich ein Glas voll, brachte die Gesundheit Cortesios aus

und leerte es auf einen Zug. Ich war bei weitem nicht so befriedigt wie er, denn die beiden Männer, auf

welche ich es abgesehen hatte, waren noch gar nicht erwähnt worden. Das flüsterte ich dem Alten zu. Er

antwortete mit einer Gebärde, welche mir sagen sollte, daß er das schon auch noch besorgen werde.

Nach Verlauf einer Viertelstunde hatte Old Death die vorher volle Flasche ganz allein ausgetrunken und

Cortesio war fertig. Der letztere las uns vor dem Versiegeln das Empfehlungsschreiben vor, mit dessen

Inhalte wir sehr zufrieden sein konnten. Dann füllte er nicht zwei, sondern vier Blanketts aus, von denen

jeder von uns zwei erhielt. Zu meinem Erstaunen sah ich, daß es Pässe waren, der eine in französischer,

der andere in spanischer Sprache gedruckt, und der erstere war von Bazaine und der letztere von Juarez

unterschrieben. Cortesio mochte mein Erstaunen bemerken, denn er sagte unter einem Lächeln schlauer

Befriedigung:

»Ihr seht, Sennor, daß wir imstande sind, Euch gegen alle möglichen Vorkommnisse in Schutz zu

 

nehmen. Wie ich zu der französischen Legitimation komme, das ist meine Sache. Ihr wißt nicht, was

Euch begegnen kann; und es ist also gut, dafür zu sorgen, daß Ihr für alle Fälle gesichert seid. Andern

diese Doppelpässe zu geben, würde ich mich wohl hüten, denn sie werden nur ganz ausnahmsweise

ausgestellt, und diejenigen Mannschaften, welche unter Bedeckung von hier abgehen, erhalten überhaupt

keine Legitimation.«

Dies benutzte Old Death endlich zu der von mir so heiß ersehnten Frage:

»Seit wann sind die letzten dieser Leute hinüber?«

»Seit gestern. Ich hatte einen Transport von über dreißig Rekruten, welchen ich bis Hopkins Farm selbst

begleitet habe. Es befanden sich diesesmal zwei Sennores in Privat dabei.«

»Ah, so befördert ihr auch Privatleute?" fragte Old Death in verwundertem Tone.

»Nein. Das würde zu Unzuträglichkeiten führen. Nur gestern machte ich eine Ausnahme, weil der eine

dieser Herren ein guter Bekannter von mir war. Übrigens werdet Ihr ausgezeichnet beritten sein und

könnt, wenn Ihr morgen zeitig von hier fortreitet, das Detachement einholen, bevor es den Rio Grande

erreicht, «

»An welchem Punkte wollen die Leute über den Fluß gehen?«

»Sie nehmen die Richtung auf den Eagle-Paß. Da sie sich aber dort nicht sehen lassen dürfen, so halten

sie sich ein wenig nördlicher. Zwischen dem Rio Nueres und dem Rio grande durchschneiden sie den von

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San Antonio kommenden Maultierweg, kommen an Fort Inge vorüber, welches sie aber auch vermeiden

müssen, und gehen zwischen den beiden Nebenflüßchen Las Moras und Moral über den Rio grande, weil

es dort eine leicht passierbare Furt gibt, welche nur unsere Führer kennen. Von dort an halten sie sich

westlich, um über Baya, Cruces, San Vinzente, Tabal und San Carlos die Stadt Chihuahua zu erreichen.«

Alle diese Orte waren mir böhmische Dörfer. Old Death aber nickte mit dem Kopf und wiederholte jeden

Namen laut, als ob er die Gegend sehr genau kenne.

»Wir werden sie sicher einholen, wenn unsere Pferde wirklich nicht schlecht und die ihren nicht allzu gut

sind,« sagte er. »Aber werden sie es erlauben, daß wir uns anschließen?«

Cortesio bejahte lebhaft. Doch mein Freund fragte weiter:

»Werden indessen die beiden Masters, welche Ihr Privatleute nanntet, auch damit einverstanden sein?«

»Jedenfalls. Sie haben gar nichts zu befehlen, ja, müssen sich freuen, unter dem Schutze des

Detachements reisen zu dürfen. Da Ihr mit ihnen zusammentreffen werdet, so kann ich Euch sagen, daß

Ihr sie als Gentlemen behandeln dürft. Der eine, ein geborener Mexikaner, namens Gavilano, ist ein

Bekannter von mir. Ich habe schöne Stunden in der Hauptstadt mit ihm verlebt. Er hat eine jüngere

Schwester, welche allen Sennores die Köpfe verdrehte.«

»So ist wohl auch er ein schöner Mann?«

»Nein. Sie sehen einander nicht ähnlich, da sie Stiefgeschwister sind. Sie heißt Felisa Perillo und war als

reizende Cantora Sängerin und entzückende Ballerina Tänzerin in der guten Gesellschaft eingeführt.

Später verschwand sie, und jetzt erst habe ich von ihrem Bruder gehört, daß sie noch in der Umgegend

von Chihuahua lebt. Genaue Auskunft konnte er mir nicht geben, da auch er sich erst nach ihr erkundigen

muß, wenn er dorthin kommt.«

»Darf ich fragen, was dieser Sennor eigentlich war oder ist?«

»Dichter.«

Old Death machte ein sehr verblüfftes und geringschätzendes Gesicht, so daß der brave Cortesio

hinzusetzte:

»Sennor Gavilano dichtete umsonst, denn er besitzt ein bedeutendes Vermögen und braucht sich seine

Gedichte nicht bezahlen zu lassen.«

»So ist er freilich zu beneiden!«

»Ja, man beneidete ihn, und infolge der Kabalen, welche man deshalb gegen ihn schmiedete, hat er die

Stadt und sogar das Land verlassen müssen. Jetzt kehrt er mit einem Yankee zurück, welcher Mexiko

kennen lernen will und ihn gebeten hat, ihn in das Reich der Dichtkunst einzuführen. Sie wollen in der

Hauptstadt ein Theater bauen.«

»Wünsche ihnen sehr viel Glück dazu! Also hat Gavilano gewußt, daß Ihr Euch jetzt in La Grange

befindet?«

»O nein. Ich befand mich zufällig am Flusse, als der Dampfer anlangte, damit die Passagiere hier die

Nacht zubringen könnten. Ich erkannte den Sennor sofort und lud ihn natürlich ein, mit seinem Begleiter

bei mir zu bleiben. Es stellte sich heraus, daß die beiden nach Austin wollten, um von da aus über die

Grenze zu gehen, und ich bot ihnen die passende Gelegenheit an, schneller und sicherer hinüber zu

kommen. Denn für einen Fremden, zumal wenn er nicht sezessionistisch gesinnt ist, ist es nicht geraten,

hier zu verweilen. In Texas treiben jetzt Leute ihr Wesen, welche gern im Trüben fischen, allerhand

nutzloses oder gefährliches Gesindel, dessen Herkommen und Lebenszweck man nicht kennt. Man hört

allerorts von Gewalttaten, von Überfällen und Grausamkeiten, deren Veranlassung niemand kennt. Die

Täter verschwinden spurlos, wie sie gekommen sind, und die Polizei steht dann den Tatsachen völlig

ratlos gegenüber.«

»Sollte es sich etwa um den Ku-Klux-Klan handeln?« fragte Old Death.

»Das haben viele gefragt, und in den letzten Tagen sind Entdeckungen gemacht worden, welche es

wahrscheinlich machen, daß man es mit dieser Geheimbande zu tun habe. Vorgestern hob man unten in

Halletsville zwei Leichen auf, denen Zettel mit der Inschrift ›Yankee-Hounds‹ angeheftet waren. Drüben

in Shelby wurde eine Familie fast tot gepeitscht, weil der Vater derselben unter General Grant gedient

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hat. Und heute habe ich erfahren, daß drunten bei Lyons eine schwarze Kapuze gefunden worden ist, auf

welche zwei weiße, eidechsenartig geschnittene Zeugstücke aufgenäht waren.«

»Alle Wetter! Solche Masken tragen die Kukluxer!«

»Ja, sie hängen sich schwarze, mit weißen Figuren versehene Kapuzen über das Gesicht. Jeder einzelne

soll sich einer besonderen Figur bedienen, an welcher man ihn erkennt, denn ihre Namen sollen sie nicht

einmal untereinander wissen.«

»So steht allerdings zu vermuten, daß der Geheimbund anfängt, sein Wesen auch hier zu treiben. Nehmt

Euch in acht, Don Cortesio. Sie kommen sicher hierher. Zuerst waren sie in Halletsville, und die Kapuze

hat man in Lyons gefunden. Der letztere Ort liegt doch wohl bedeutend näher nach hier als der erstere?«

»Allerdings, Sennor, Ihr habt recht. Ich werde von heute an Türen und Fenster doppelt sorgfältig

verschließen und meine geladenen Gewehre bereit halten.«

»Daran tut Ihr sehr recht. Diese Kerle dürfen nicht geschont werden, denn sie schonen auch nicht. Wer

sich ihnen ohne Gegenwehr ergibt, weil er auf ihre Milde rechnet, der hat sich getäuscht. Ich würde nur

mit Pulver und Blei zu ihnen sprechen. Übrigens scheint es drüben im Wirtshause nicht ganz geheuer zu

sein, denn wir sahen da Gentlemen, denen nichts Gutes zuzutrauen ist. Ihr werdet klug tun, alles

sorgfältig zu verstecken, womit man Euch beweisen kann, daß Ihr zu Juarez haltet. Tut das heute schon!

Es ist besser, einmal unnötigerweise vorsichtig zu sein, als sich wegen einer kleinen Unterlassung

durchpeitschen oder gar erschießen zu lassen. Jetzt denke ich, daß wir fertig sind. Morgen früh sehen wir

uns wieder. Oder hättet Ihr uns heute noch etwas zu bemerken?«

»Nein, Sennores. Für heute sind wir fertig. Ich freue mich sehr, Euch kennen gelernt zu haben, und hoffe,

später recht Gutes von Euch zu hören. Ich bin überzeugt, daß Ihr bei Juarez Euer Glück machen und

schnell avancieren werdet.«

Damit waren wir entlassen. Cortesio reichte uns freundlich die Hand, und wir gingen. Als sich die

Haustüre hinter uns geschlossen hatte und wir nach Langes Wohnung hinübergingen, konnte ich mich

doch nicht halten, dem Alten einen gelinden Rippenstoß zu versetzen und dabei zu sagen:

»Aber Master, was fiel Euch ein, den Sennor in dieser Weise anzuflunkern! Eure Lügen waren ja

häuserhoch!«

»So? Hin! Das versteht Ihr nicht, Sir! Es war immerhin möglich, daß wir abgewiesen wurden. Darum

erweckte ich bei dem Sennor möglichst großen Appetit nach uns.«

»Und sogar Geld wolltet Ihr nehmen! Das wäre der offenbare Betrug gewesen!«

»Nun, offenbar gerade nicht, denn er wußte nichts davon. Warum sollte ich nicht nehmen, was er uns

freiwillig anbot?«

»Weil wir nicht die Absicht haben, dies Geld zu verdienen.«

»So! Nun, in diesem Augenblicke haben wir diese Absicht freilich nicht. Aber woher wißt Ihr denn so

ganz genau, daß wir nicht Gelegenheit finden werden, der Sache Juarez zu dienen? Wir können sogar um

unser selber willen dazu gezwungen sein. Doch kann ich Euch nicht unrecht geben. Es ist sehr gut, daß

wir kein Geld nahmen, denn nur dadurch sind wir zu den Pässen und zu dem Empfehlungsschreiben

gekommen. Das Allerbeste aber ist, daß wir nun wissen, wohin sich Gibson gewendet hat. Ich kenne den

Weg sehr genau. Wir brechen frühzeitig auf, und ich bin überzeugt, daß wir ihn einholen werden. Infolge

unserer Papiere wird der Kommandeur des Detachements sich nicht eine Sekunde lang weigern, uns die

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