bereitet! So freut sich der Morgen, wenn nach der Nacht die Sonne erscheint!«
Er zog mich an sich und küßte mich. Ich antwortete:
»Der Morgen weiß, daß die Sonne kommen muß; wir aber konnten nicht ahnen, daß wir einander hier
sehen würden. Wie glücklich bin ich, deine Stimme wieder zu hören!«
»Was führt deinen Fuß in diese Stadt? Hast du hier zu tun, oder bist du in Matagorda gelandet, um von da
aus zu uns nach dem Rio Pecos zu gehen?«
»Ich habe eine Aufgabe zu lösen, welche mich hierher führte.«
»Darf mein weißer Bruder mir diese Aufgabe sagen? Wird er mir erzählen, wo er sich befunden hat, seit
wir droben am Red River voneinander schieden?«
Er zog mich ein Stückchen tiefer in den Wald hinein, wo wir uns niedersetzten. Hand in Hand an seiner
Seite, erzählte ich ihm meine Erlebnisse. Als ich zu Ende war, nickte er ernst vor sich hin und sagte:
»Wir haben den Pfad des Feuerrosses vermessen, damit du das Geld bekommen solltest; der Hurrikan hat
es dir wieder genommen. Wolltest du bei den Kriegern der Apachen bleiben, die dich lieben, so würdest
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du des Geldes nie bedürfen. Du tatest klug, nicht nach St. Louis zu gehen und bei Henry auf mich zu
warten, denn ich wäre nicht gekommen.«
»Hat mein Bruder den Mörder Santer ergriffen?«
»Nein. Der böse Geist hat ihn beschützt, und der große, gute Manitou ließ es geschehen, daß er mir
entkam. Er ist zu den Soldaten der Südstaaten gegangen, wo er unter so vielen Tausenden mir
entschwand. Aber mein Auge wird ihn wiedersehen, und dann entkommt er mir nicht! Ich kehrte nach
dem Rio Pecos zurück, ohne ihn bestraft zu haben. Unsere Krieger haben während des ganzen Winters
den Tod Intschu tschunas und meiner Schwester betrauert. Dann mußte ich viele und weite Ritte Machen,
um die Stämme der Apachen zu besuchen und sie von übereilten Schritten abzuhalten, denn sie wollten
nach Mexiko, um sich an den dortigen Kämpfen zu beteiligen. Hat mein Bruder von Juarez, dem roten
Präsidenten, gehört?«
»Ja.«
»Wer hat recht, er oder Napoleon?«
»Juarez.«
»Mein Bruder denkt grad so wie ich. Ich bitte dich, mich nicht zu fragen, was ich hier in Matagorda tue!
Ich muß es selbst gegen dich verschweigen, denn ich habe das Juarez versprochen, den ich in EI Paso del
Norte traf. Du wirst, obgleich du mich hier getroffen hast, den beiden Bleichgesichtern folgen, welche du
suchst?«
»Ich bin dazu gezwungen. Wie würde ich mich freuen, wenn du mich begleiten könntest! Ist dir das nicht
möglich?«
»Nein. Ich habe eine Pflicht zu erfüllen, welche ebenso groß ist wie die deinige. Heut muß ich noch
bleiben; aber morgen fahre ich mit dem Schiffe nach La Grange, von wo aus ich über Fort Inge nach dein
Rio Grande del Norte muß.«
»Wir fahren mit demselben Schiffe, nur weiß ich nicht, wie weit. Wir werden also morgen noch
beieinander sein.«
»Nein.«
»Nicht? Warum nicht?«
»Weil ich meinen Bruder nicht in meine Sache verwickeln möchte; darum habe ich vorhin getan, als ob
ich dich nicht kenne. Auch wegen Old Death habe ich nicht mit dir gesprochen.«
»Warum wegen ihm?«
»Weiß er, daß du Old Shatterhand bist?«
»Nein. Dieser Name ist zwischen uns gar nicht gefallen.«
»Er kennt ihn dennoch ganz gewiß. Du bist bisher im Osten gewesen und weißt also nicht, wie oft im
Westen von dir gesprochen wird. Old Death hat sicher auch von Old Shatterhand gehört; dich aber scheint
er für ein Greenhorn zu halten?«
»Das ist allerdings der Fall.«
»So wird es später eine große Überraschung geben, wenn er hört, wer dieses Greenhorn ist; die möchte
ich meinem Bruder nicht verderben. Wir werden also auf dem Schiffe nicht miteinander sprechen. Wenn
du Ohlert und seinen Entführer gefunden hast, dann werden wir um so länger beisammen sein, denn du
wirst doch zu uns kommen?«
»Ganz gewiß!«
»So wollen wir jetzt scheiden, Scharlieh. Es gibt hier Bleichgesichter, welche auf mich warten.«
Er stand auf. Ich mußte sein Geheimnis achten und nahm Abschied von ihm, hoffentlich nur für kurze
Zeit.
Am andern Morgen mieteten wir zwei Maultiere, auf denen wir hinaus nach der Raft ritten, wo der
Dampfer auf die Passagiere wartete. Die Tiere erhielten unsere Sättel aufgelegt, wodurch es
glücklicherweise vermieden wurde, daß wir dieselben tragen mußten.
Der Steamer war ein sehr flachgehendes Boot und ganz nach amerikanischer Manier gebaut. Es befanden
sich bereits zahlreiche Passagiere auf demselben. Als wir, nun allerdings die Sättel tragend, über die
Planke schritten und an Deck kamen, rief eine laute Stimme:
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»Bei Jove! Da kommen ein paar zweibeinige, gesattelte Maulesel! Hat man schon so etwas gesehen?
Macht Platz, Leute! Laßt sie hinab in den Raum! Solch Viehzeug darf doch nicht unter Gentlemen
verweilen!«
Wir kannten diese Stimme. Die besten Plätze des mit einem Glasdache versehenen ersten Platzes waren
von den Rowdies eingenommen, welche wir gestern kennen gelernt hatten. Der laute Schreier von
gestern, welcher überhaupt ihren Anführer zu machen schien, hatte uns mit dieser neuen Beleidigung
empfangen. Ich richtete mich nach Old Death. Da er die Worte ruhig über sich ergehen ließ, tat auch ich
so, als ob ich sie gar nicht vernommen hätte. Wir nahmen den Kerlen gegenüber Platz und schoben die
Sättel unter unsere Sitze.
Der Alte machte es sich bequem, zog seinen Revolver hervor, spannte ihn und legte ihn neben sich hin;
ich folgte seinem Beispiele und legte den meinen auch bereit. Die Kerls steckten die Köpfe zusammen
und zischelten unter sich, wagten es aber nicht, wieder eine laute Beleidigung hören zu lassen. Ihre
Hunde, von denen nun freilich einer fehlte, hatten sie auch heute bei sich. Der Sprecher betrachtete uns
mit ganz besonders feindseligen Blicken. Seine Haltung war gebeugt, jedenfalls infolge des Fluges durch
das Fenster und der nachfolgenden nicht eben sanften Behandlung durch Winnetou. Sein Gesicht zeigte
die noch frischen Spuren der Fensterscheiben.
Als der Conductor kam, uns zu fragen, wie weit wir mitfahren wollten, gab Old Death den Ort Kolumbus
an, bis wohin wir bezahlten. Wir konnten ja dort weitere Passage nehmen. Er war der Ansicht, daß
Gibson nicht ganz bis Austin gefahren sei.
Die Glocke hatte bereits das zweite Zeichen gegeben, als ein neuer Passagier kam -Winnetou. Er ritt
einen auf indianische Weise gezäumten Rapphengst, ein prachtvolles Tier, stieg erst an Bord aus dem
Sattel und führte sein Pferd nach dem Vorderteile des Deckes, wo für etwa mitzunehmende Pferde ein
schulterhoher Bretterverschlag angebracht worden war. Dann setzte er, scheinbar ohne jemand zu
beachten, sich daneben auf die Brüstung des Schiffgeländers. Die Rowdies nahmen ihn scharf in die
Augen. Sie räusperten sich und husteten laut, um seine Blicke auf sich zu lenken, doch vergebens. Er saß,
sich auf die Mündung seiner Silberbüchse stützend, halb abgewendet von ihnen und schien kein Ohr für
sie zu haben.
jetzt läutete es zum letzenmal; noch einige Augenblicke des Wartens, ob vielleicht noch ein Reisender
kommen werde; dann drehten sich die Räder, und das Schiff begann die Fahrt.
Unsere Reise schien ganz gut verlaufen zu wollen. Es herrschte vollständige Ruhe an Bord bis Wharton,
wo ein einziger Mann ausstieg, dafür aber zahlreiche Passagiere an Bord kamen. Old Death ging für
einige Minuten an das Ufer, wo der Commissioner stand, um sich bei demselben nach Gibson zu
erkundigen. Er erfuhr, daß zwei Männer, auf welche seine Beschreibung paßte, hier nicht ausgestiegen
seien. Dasselbe negative Resultat hatte seine Erkundigung auch in Kolumbus, weshalb wir dort bis La
Grange weiter bezahlten. Von Matagorda bis Kolumbus hat das Schiff einen Weg von vielleicht fünfzig
Gehstunden zurückzulegen. Es war also nicht mehr zeitig am Nachmittage, als wir uns am letzteren Orte
befanden. Während dieser langen Zeit hatte Winnetou seinen Platz nur ein einziges Mal verlassen, um
seinem Pferde Wasser zu schöpfen und ihm Maiskörner zu geben.
Die Rowdies schienen ihren gegen ihn und uns gerichteten Ärger vergessen zu haben. Sie hatten sich,
sobald neue Passagiere anlangten, mit diesen beschäftigt, waren aber meist abweisend behandelt worden.
Sie brüsteten sich mit ihrer antiabolitionistischen Gesinnung, fragten einen jeden nach der seinigen und
schimpften auf alle, die nicht ihrer Meinung waren. Ausdrücke wie ›verdammter Republikaner‹,
›Niggeronkel‹, ›Yankeediener‹ und andere noch schlimmere flossen nur so von ihren Lippen, und so kam
es, daß man sich von ihnen zurückzog und nichts von ihnen wissen wollte. Das war jedenfalls auch der
Grund, daß sie es unterließen, mit uns anzubinden. Sie durften nicht hoffen, von andern gegen uns
unterstützt zu werden. Hätten sich jedoch mehr Sezessionisten an Bord befunden, so wäre es ganz gewiß
um den Schiffsfrieden geschehen gewesen.
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In Kolumbus nun stiegen viele von den friedlich gesinnten Leuten aus, und es kamen dafür andere an
Bord, welche das gerade Gegenteil zu denken schienen. Unter anderen taumelte eine Bande von vielleicht
fünfzehn bis zwanzig Betrunkenen über die Planke, welche nichts Gutes ahnen ließen und von den
Rowdies mit stürmischer Freude bewillkommnet wurden. Andere der neu Eingestiegenen schlossen sich
ihnen an, und bald konnte man sehen, daß das unruhige Element sich jetzt in der Übermacht befand. Die
Unholde flegelten sich auf die Sitze, ohne zu fragen, ob sie andern unbequem wurden oder nicht, stießen
sich zwischen den ruhigen Passagieren hin und her und taten alles, um zu zeigen, daß sie sich als Herren
des Platzes fühlten. Der Kapitän ließ sie ruhig rumoren; er mochte meinen, daß es das Beste sei, sie nicht
zu beachten. So lange sie ihn nicht in der Leitung des Schiffes störten, überließ er es den Reisenden, sich
gegen Übergriffe selbst zu schützen. Er hatte keinen einzigen Yankeezug im Gesichte. Seine Gestalt war
voll, wie man es beim Amerikaner selten sieht, und über sein rotwangiges Gesicht breitete sich ein
immerwährendes gutmütiges Lächeln, welches, ich hätte darauf wetten wollen, echt germanischer
Abstammung sein mußte.
Die meisten Sezessionisten waren nach der Schiffsrestauration gegangen. Von dort her erscholl wüstes
Gejohle. Flaschen wurden in Scherben geschlagen, und dann kam ein Neger schreiend gerannt, jedenfalls
der Kellner, kletterte zum Kapitän hinauf und jammerte ihm seine uns fast unverständlichen Klagen vor.
Nur so viel hörte ich, daß er mit der Peitsche geschlagen worden sei und später am Rauchschlot
aufgehangen werden solle.
Jetzt machte der Kapitän ein bedenklicheres Gesicht. Er schaute aus, ob das Schiff den richtigen Kurs
habe, und stieg dann herab, um sich nach der Restauration zu begeben. Da kam der Conductor ihm
entgegen. Ganz in unserer Nähe trafen die beiden zusammen. Wir hörten, was sie sprachen.
»Capt'n,« meldete der Conductor, »wir dürfen nicht länger ruhig zusehen. Die Leute planen Arges. Laßt
den Indianer dort an das Land! Sie wollen ihn aufhängen. Er hat sich gestern an einem von ihnen
vergriffen. Außerdem sind zwei Weiße hier, ich weiß nur nicht, welche, die auch gelyncht werden sollen,
weil sie gestern dabei waren. Sie sollen Spione von Juarez sein.«
»Alle Teufel! Das wird Ernst. Welche beiden Männer werden das sein!« Sein Auge schweifte forschend
umher.
»Wir sind es, Sir,« antwortete ich, indem ich aufstand und zu ihnen trat.
»Ihr? Na, wenn ihr Spione von Juarez seid, so will ich mein Steamboot als Frühstück verzehren!« meinte
er, indem er mich musterte.
»Fällt mir nicht ein! Ich bin ein Deutscher und bekümmere mich nicht im mindesten um eure Politik.«
»Ein Deutscher? Da sind wir ja Landsleute! Ich habe mein erstes fließendes Wasser im Neckar gesehen.
Euch darf ich nichts tun lassen. Ich werde sofort am Ufer anlegen, damit Ihr Euch in Sicherheit bringen
könnt.«
»Da mache ich nicht mit. Ich muß unbedingt mit diesem Boote weiter und habe keine Zeit zu verlieren.«
»Wirklich! Das ist unangenehm. Wartet einmal!«
Er ging zu Winnetou und sagte ihm etwas. Der Apache hörte ihn an, schüttelte verächtlich mit dem Kopfe
und wendete sich ab. Der Kapitän kehrte zu uns zurück und meldete mit verdrießlicher Miene:
»Dachte es mir! Die Roten haben eiserne Köpfe. Er will auch nicht ans Land gesetzt werden.«
»Dann ist er mit diesen beiden Herren verloren, denn die Kerle werden Ernst machen,« meinte der
Conductor besorgt. »Und wir paar Mann vom Steamer können gegen eine solche Übermacht nichts tun.«
Der Kapitän blickte sinnend vor sich nieder. Dann zuckte es lustig über sein gutmütiges Gesicht, als ob er
einen vortrefflichen Einfall habe, und er wendete sich zu uns:
36
»Ich werde diesen Sezessionisten einen Streich spielen, an den sie noch lange denken sollen. Ihr müßt
euch aber genau so verhalten, wie ich es von euch verlange. Macht vor allen Dingen keinen Gebrauch von
der Waffe. Steckt eure Büchsen da unter die Bank zu den Sätteln. Gegenwehr würde die Sache
verschlimmern.«
» All devils! Sollen wir uns ruhig lynchen lassen, Master?« rief Old Death verdrießlich.
»Nein. Haltet euch an passive Gegenwehr! Im richtigen Augenblicke wird mein Mittel wirken. Wir
wollen diese Halunken durch ein Bad abkühlen. Verlaßt euch auf mich! Habe keine Zeit zur Explikation.
Die Kerle nahen schon.«
Wirklich kam grad jetzt die Rotte aus der Restauration gestiegen. Der Kapitän wendete sich schnell von
uns ab und erteilte dem Conductor einige leise Befehle. Dieser eilte zum Steuermanne, bei welchem die
zwei zum Boote gehörigen Deckhands standen. Kurze Zeit später sah ich ihn beschäftigt, den ruhigeren
Passagieren heimliche Weisungen zuzuflüstern, konnte aber nicht weiter auf ihn achten, da ich mit Old
Death von den Sezessionisten in Anspruch genommen wurde. Nur so viel bemerkte ich im Verlaufe der
nächsten zehn Minuten, daß die erwähnten friedlichen Reisenden sich möglichst eng am Vorderdeck
zusammenzogen.
Kaum hatten die betrunkenen Sezessionisten die Restauration verlassen, so waren wir beide von ihnen
umringt. Wir hatten nach der Weisung des Kapitäns die Gewehre weggelegt.
»Das ist er!« rief der Sprecher von gestern, indem er auf mich deutete. »Ein Spion der Nordstaaten, die es
mit Juarez halten. Gestern noch ging er als feiner Gentleman gekleidet; heute hat er einen Trapperanzug
angelegt. Warum verkleidet er sich? Meinen Hund hat er mir getötet, und beide haben uns mit ihren
Revolvern bedroht.«
»Ein Spion ist er, ja, ein Spion!« riefen die andern wirr durcheinander. »Das beweist die Verkleidung.
Und er ist ein Deutscher. Bildet eine Jury! Er muß am Halse baumeln! Nieder mit den Nordstaaten, mit
den Yankees und ihren Geschöpfen!«
»Was treibt ihr da unten, Gentlemen?« rief in diesem Augenblicke der Kapitän von oben herab. »Ich will
Ruhe und auch Ordnung an Bord. Laßt die Passagiere ungeschoren!«
»Schweigt, Sir!« brüllte einer aus der Rotte hinauf. »Auch wir wollen Ordnung, und wir werden sie uns
jetzt verschaffen. Gehört es zu Euren Obliegenheiten, Spione an Bord zu nehmen?«
»Es gehört zu meinen Obliegenheiten, Leute zu befördern, welche die Passage bezahlen. Kommen Führer
der Sezessionisten zu mir, so sollen sie mitfahren dürfen, vorausgesetzt, daß sie zahlen und anständig
sind. Das ist meine Loyalität. Und wenn ihr mir mit der eurigen das Geschäft verderbt, so setze ich euch
ans Ufer und ihr mögt zu Lande nach Austin schwimmen.«
Ein höhnisches, wieherndes Gelächter antwortete ihm. Man drängte Old Death und mich so eng
zusammen, daß wir uns nicht rühren konnten. Wir protestierten natürlich, doch wurden unsere Worte
durch das fast tierische Geschrei dieser rohen Bande verschlungen. Man stieß uns vom ersten Platze fort,
hinaus, bis an die rauchende Esse, an welcher wir aufgeknüpft werden sollten. Dieselbe war oben mit
eisernen Ösen versehen, durch welche Taue liefen, also eine wunderbar schöne und praktische
Vorrichtung, um jemanden aufzuhängen. Man brauchte die Taue nur schlaff zu lassen und uns mit der
empfindlichen Gegend des Halses an dieselben zu befestigen, um uns dann gemächlich emporzuhissen.
Hier also wurde ein Kreis um und ein Gerichtshof über uns gebildet. Das letztere war eine reine
Lächerlichkeit. Ich glaube, die Schufte sind gar nicht dazu gekommen, sich zu fragen, warum wir gar
nicht Miene machten, uns zur Wehr zu setzen; sie sahen doch, daß wir im Besitz von Messern und
Revolvern waren, uns derselben aber nicht bedienten. Das mußte doch einen Grund haben.
Old Death mußte sich gewaltige Mühe geben, ruhig zu erscheinen. Seine Hand zuckte öfters nach dem
Gürtel; aber sobald dann sein Blick nach dem Kapitän flog, winkte dieser verstohlen ab.
»Na,« meinte er zu mir, und zwar deutsch, um nicht verstanden zu werden, »ich will mich noch fügen.
Aber wenn sie mir es zu toll treiben, so haben sie in einer einzigen Minute unsere vierundzwanzig Kugeln
im Leibe. Schießt nur gleich, wenn ich anfange!«
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»Hört ihr es!« rief der ofterwähnte Rowdy. »Sie reden deutsch. Es ist also erwiesen, daß sie verdammte
Dutchmen sind und zu den Schuften gehören, welche den Südstaaten am meisten zusetzen. Was wollen
sie hier in Texas? Sie sind Spione und Verräter. Machen wir es kurz mit ihnen!«
Seinem Vorschlage wurde brüllend beigestimmt. Der Kapitän rief ihnen eine strenge Mahnung zu, wurde
aber wieder ausgelacht. Dann warf man die Frage auf, ob man nun den Indianer prozessieren oder uns
vorher hängen solle, und man entschied sich für das erstere. Der Vorsitzende schickte zwei Männer ab,
den Roten herbeizuholen.
Da wir rundum von Menschen umgeben waren, konnten wir Winnetou nicht sehen. Wir hörten einen
lauten Schrei. Winnetou hatte einen der Abgesandten niedergeschlagen und den andern über Bord
geschleudert. Dann war er in die aus Eisenblech gefertigte Kabine des Conductors geschlüpft, welche sich
am Radkasten befand. Diese hatte ein kleines Fensterchen, durch welches jetzt die Mündung seiner
Doppelbüchse schaute. Natürlich erregte der Vorfall einen fürchterlichen Lärm. Alles rannte an die
Schiffsbrüstung, und man schrie dem Kapitän zu, einen Mann ins Boot zu senden, um den in das Wasser
Expedierten aufzufischen. Er kam diesem Rufe nach und gab einem der Deckhands einen Wink. Der
Mann sprang in das am Hinterteile befestigte Boot, löste das Tau, an welchem es gehalten wurde, und
ruderte nach dem Betreffenden, welcher glücklicherweise ein wenig schwimmen konnte und sich alle
Mühe gab, über Wasser zu bleiben.
Ich stand mit Old Death allein. Von Hängen war einstweilen keine Rede mehr. Wir sahen die Augen des
Steuermanns und der übrigen Schiffsleute auf den Kapitän gerichtet, welcher uns näher winkte und mit
unterdrückter Stimme sagte:
»Paßt auf, Mesch'schurs! jetzt geh ich ihnen das Bad. Bleibt nur ruhig an Bord, es mag geschehen, was da
wolle. Macht aber so viel Lärm wie möglich!«
Er hatte stoppen lassen, und das Schiff wurde langsam abwärts getrieben, dem rechten Ufer zu. Dort gab
es eine Stelle, über welche sich das Wasser brach, eine seichte Bank. Der Fluß war von da bis zum Ufer
überhaupt nicht tief. Ein Wink vom Kapitän - der Steuermann nickte lächelnd und ließ das Boot gerade
gegen die Bank treiben. Ein kurzes Knirschen unter uns, ein Stoß, daß alle taumelten, viele aber
niederstürzten -wir saßen fest. Das lenkte die allgemeine Aufmerksamkeit vom Kahne auf das Schiff. Die
ruhigen Passagiere waren alle vom Conductor unterrichtet worden, schrieen aber laut Verabredung, als ob
sie die höchste Todesangst auszustehen hätten. Die andern, welche an einen wirklichen Unfall glaubten,
stimmten natürlich mit ein. Da tauchte einer der Deckhands hinten auf, kam scheinbar voller Entsetzen
zum Kapitän gerannt und schrie:
»Wasser im Raume, Capt'n! Das Riff hat den Kiel mitten entzwei geschnitten. In zwei Minuten sinkt das
Schiff.«
»Dann sind wir verloren!« rief der Kapitän. »Rette sich, wer kann! Das Wasser ist seicht bis zum Ufer.
Schnell hinein!«
Er eilte von seinem Platze herab, warf den Rock, die Weste und die Mütze von sich, zog in höchster Eile
die Stiefel aus und sprang über Bord. Das Wasser ging ihm nur bis an den Hals.
»Herunter, herunter!« schrie er. »Jetzt ist es noch Zeit. Wenn das Schiff sinkt, begräbt es in seinem
Strudel alle, die sich noch an Bord befinden!«
Daß der Kapitän der erste war, der sich rettete, daß er sich vorher halb entkleidete, darüber dachte keiner
der Sezessionisten nach. Das Entsetzen hatte sie ergriffen. Sie sprangen über Bord und arbeiteten sich
schleunigst nach dem Ufer, ohne darauf zu achten, daß der Kapitän nach der andern, dem Ufer
abgekehrten Seite des Schiffes schwamm und dort am schnell niedergelassenen Fallreep an Bord stieg.
Das Schiff war nun gesäubert, und wo eine Minute vorher der bleiche Schrecken geherrscht hatte, ertönte
jetzt ein lautes lustiges Lachen.
Eben als die ersten der sich Rettenden an das Land stiegen, gab der Kapitän den Befehl, vorwärts zu
dampfen. Das seicht gehende, unten breit und sehr stark gebaute Fahrzeug hatte nicht den mindesten
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Schaden gelitten, und gehorchte willig dem Drucke der Räder. Seinen Rock wie ein Flagge schwenkend,
rief der Kapitän zum Ufer hinüber:
» Farewell, Gentlemen! Habt ihr wieder einmal Lust, eine Jury zu bilden, so hängt euch selber auf. Eure
Sachen, welche sich noch an Bord befinden, werde ich in La Grange abgeben. Holt sie euch dort ab.«
Es läßt sich denken, welchen Eindruck diese höhnischen Worte auf die Gefoppten machten. Sie erhoben
ein wütendes Geheul, forderten den Kapitän auf, sie augenblicklich wieder aufzunehmen, drohten mit
Anzeige, Tod und anderen Schreckmitteln, ja schossen ihre Gewehre, soweit dieselben nicht naß
geworden waren, auf den Steamer ab, doch ohne irgend welchen Schaden anzurichten. Endlich brüllte
einer in ohnmächtiger Wut zu dem Kapitän herüber:
»Hund! Wir warten hier auf deine Rückkehr und hängen dich an deiner eigenen Esse auf!«
» Well, Sir! Kommt dann gefälligst an Bord! Bis dahin aber laßt mir die Generale Mejia und Marquez
grüßen!« Jetzt hatten wir volle Kraft und dampften in beschleunigtem Tempo weiter, um die versäumte
Zeit einzuholen. - -
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