Winnetou Band 2

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Natürlich hatte ich von Liebe noch nicht die blasse Ahnung.

»Wie sympathisch Sie mir mit diesem Ausspruche sind, Sir! Haben auch Sie dieses Leiden empfunden?«

»Noch nicht.«

»So sind Sie ein glücklicher Mann. Ich habe es ausgekostet bis fast zum Sterben. Meine Mutter war eine

Mulattin. Ich verlobte mich mit dem Sohne eines französischen Pflanzers, also mit einem Kreolen. Unser

Glück wurde zerrissen, weil der Vater meines Bräutigams keine Coloured-Lady in seine Familie

aufnehmen wollte. Wie sehr muß ich also mit dem bedauernswerten Dichter sympathisieren, da er aus

demselben Grunde unglücklich werden soll!«

»So liebt er eine Farbige?«

»Ja, eine Mulattin. Der Vater hat ihm diese Liebe verboten und sich schlauerweise in den Besitz eines

Reverses gesetzt, in welchem die Dame unterschrieben hat, daß sie auf das Glück der Vereinigung mit

William Ohlert verzichte.«

»Welch ein Rabenvater!« rief ich erbittert aus, was mir einen wohlwollenden Blick von der Dame eintrug.

Sie nahm sich das, was Gibson ihr weisgemacht hatte, mächtig zu Herzen. Gewiß hatte die sprachselige

Lady ihm von ihrer einstigen unglücklichen Liebe erzählt, und er war mit einem Märchen bereit gewesen,

durch welches es ihm gelang, ihr Mitgefühl zu erregen und die Plötzlichkeit seiner Abreise zu erklären.

Die Mitteilung, daß er sich jetzt Clinton nenne, war mir natürlich von der größten Wichtigkeit.

»Ja, ein wahrer Rabenvater!« stimmte sie bei. »William aber hat ihr seine Treue bewahrt und ist mit ihr

bis hierher entflohen, wo er sie in Pension gegeben hat.«

»So kann ich doch noch nicht ersehen, warum er New Orleans verlassen hat.«

»Weil sein Verfolger hier angekommen ist.«

»Der Vater läßt ihn verfolgen?«

»Ja, durch einen Deutschen. O, diese Deutschen! Ich hasse sie. Man nennt sie das Volk der Denker, aber

lieben können sie nicht. Dieser erbärmliche Deutsche hat sie, mit einem Reverse in der Hand, von Stadt

zu Stadt bis hierher gejagt. (Ich mußte innerlich lachen über die Entrüstung der Dame gegen einen Herrn,

mit dem sie soeben recht gemütlich verkehrte.) Er ist nämlich Polizist. Er soll William ergreifen und nach

New York zurückbringen.«

»Hat der Sekretär Ihnen diesen Wüterich beschrieben?« fragte ich, gespannt auf weitere Mitteilungen

über mich selbst.

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»Sehr genau, da ja anzunehmen ist, daß dieser Barbar die Wohnung Williams entdecken und zu mir

kommen wird. Aber ich werde ihn empfangen! Ich habe mir schon jedes Wort überlegt, welches ich zu

ihm sagen werde. Er soll nicht erfahren, wohin sich William gewendet hat. Ich werde ihn grad nach der

entgegengesetzten Richtung schicken.«

Sie beschrieb nun diesen ›Barbaren‹ und nannte auch seinen Namen - - es war der meinige, und die

Beschreibung stimmte sehr gut, wenn sie auch in einer für mich sehr wenig schmeichelhaften Weise

vorgetragen wurde.

»Ich erwarte ihn jeden Augenblick,« fuhr sie fort. »Als Sie mir gemeldet wurden, glaubte ich, er sei es

bereits. Aber ich hatte mich glücklicherweise getäuscht. Sie sind nicht dieser Verfolger der Liebenden,

dieser Räuber süßesten Glückes, dieser Abgrund von Unrecht und Verrat. Ihren treuherzigen Augen sieht

man es an, daß Sie in Ihrer Zeitung einen Artikel bringen werden, um den Deutschen niederzuschmettern

und die von ihm Gejagten in Schutz zu nehmen.«

»Wenn ich das tun soll, was ich allerdings sehr gern möchte, so ist es freilich notwendig, zu erfahren, wo

William Ohlert sich befindet. Ich muß ihm jedenfalls schreiben. Hoffentlich sind Sie über seinen

gegenwärtigen Aufenthalt unterrichtet?«

»Wohin er gereist ist, das weiß ich allerdings; aber ich kann nicht sagen, ob er sich noch dort befinden

wird, wenn Ihr Brief ankommt. Diesen Deutschen hätte ich nach dem Nordwesten geschickt. Ihnen aber

sage ich, daß er nach dem Süden ist, ins Texas. Er beabsichtigte, nach Mexiko zu gehen und in Veracruz

zu landen. Aber es war kein Schiff zu haben, das sofort die Anker lichtete. Die Gefahr drängte zur

größten Eile, und so fuhr er mit dem ›Delphin‹, welcher nach Quintana bestimmt war.«

»Wissen Sie das genau?«

»Ganz sicher. Er hatte sich zu beeilen. Es gab grad noch Zeit, das Gepäck an Bord zu bringen. Mein

Portier hat das besorgt und ist an Deck gewesen. Dort sprach er mit den Matrosen und erfuhr, daß der

›Delphin‹ wirklich nur bis Quintana gehen, vorher aber noch in Galveston anlegen werde. Mit diesem

Dampfer ist Master Ohlert wirklich fort, denn mein Portier hat gewartet, bis das Schiff abfuhr.«

»Und sein Sekretär und die Miß sind auch mitgereist?«

»Natürlich. Der Portier hat die Dame indessen nicht gesehen, da sie sich nach der Damenkajüte

zurückgezogen hatte. Er hat auch gar nicht nach ihr gefragt, denn meine Bediensteten sind gewöhnt, im

höchsten Grade diskret und rücksichtsvoll zu sein; aber es versteht sich doch ganz von selbst, daß

William nicht seine Braut zurücklassen und der Gefahr aussetzen wird, von dem deutschen Wüterich

ergriffen zu werden. Ich freue mich eigentlich auf seine Ankunft bei mir. Es wird eine sehr interessante

Szene geben. Zunächst werde ich versuchen, sein Herz zu rühren, und dann, wenn dieses mir nicht

gelingt, so werde ich ihm meine Donnerworte in das Gesicht schleudern und in einer Weise mit ihm

sprechen, daß er sich unter meiner Verachtung förmlich krümmen muß.«

Die gute Frau befand sich in wirklicher Aufregung. Sie hatte sich die Angelegenheit sehr zu Herzen

genommen. Jetzt war sie von ihrem Sessel aufgestanden, ballte die kleinen, fleischigen Fäuste gegen die

Türe und rief drohend:

»Ja, komme nur, komme nur, du diabolischer Dutchmani Meine Blicke sollen dich durchbohren und

meine Worte dich zerschmettern!«

Ich hatte nun genug gehört und konnte gehen. Ein anderer hätte das auch getan und die Dame einfach in

ihrem Irrtum gelassen. Ich aber sagte mir, es sei meine Pflicht, sie aufzuklären. Sie sollte nicht länger

einen Schurken für einen ehrlichen Menschen halten. Ein Vorteil erwuchs mir aus dieser Offenherzigkeit

gar nicht. Ich sagte also:

»Ich glaube nicht, daß Sie Gelegenheit haben werden, ihm Ihre Blicke und Worte in so zerschmetternder

Weise entgegen zu werfen.«

»Warum?«

»Weil er die Sache wohl ganz anders anfangen wird, als Sie meinen. Auch wird es Ihnen nicht gelingen,

ihn nach dem Nordwesten zu schicken. Er wird vielmehr direkt nach Quintana fahren, um sich Williams

und seines sogenannten Sekretärs zu bemächtigen.«

»Er kennt ja ihren Aufenthalt gar nicht!«

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»O doch, denn Sie selbst haben ihm denselben mitgeteilt.«

»Ich? Unmöglich! Das müßte ich doch wissen! Wann sollte das geschehen sein?«

»Soeben jetzt.«

»Sir, ich begreife Sie nicht!« rief die Dame höchst erstaunt.

Ach werde Ihnen behilflich sein, mich zu verstehen. Erlauben Sie mir nur, eine kleine Veränderung

meiner Person vorzunehmen.«

Bei diesen Worten nahm ich die dunkle Perücke, den Vollbart und auch die Brille ab. Die Dame trat

erschrocken zurück.

»Um Gottes willen!« rief sie aus. »Sie sind nicht ein Redakteur, sondern jener Deutsche! Sie haben mich

betrogen!«

»Ich mußte das tun, weil man Sie vorher getäuscht hatte. Die Geschichte mit der Mulattin ist vom Anfang

bis zum Ende eine Lüge. Man hat mit Ihrem guten Herzen Mißbrauch und Spott getrieben. Clinton ist gar

nicht der Sekretär Williams. Er heißt in Wahrheit Gibson und ist ein gefährlicher Betrüger, den ich

allerdings unschädlich machen soll.«

Sie sank wie ohnmächtig auf den Sessel nieder und rief:

»Nein, nein! Das ist unmöglich! Dieser liebe, freundliche, prächtige Mann kann kein Betrüger sein. Ich

glaube Ihnen nicht.«

»Sie werden mir glauben, sobald Sie mich angehört haben. Lassen Sie mich Ihnen erzählen!«

Ich unterrichtete sie über den wirklichen Stand der Angelegenheit und hatte den Erfolg, daß ihre bisherige

Sympathie für den ›lieben, freundlichen, prächtigen‹ Sekretär sich in den heftigsten Zorn umwandelte. Sie

sah ein, daß sie in schmählichster Weise belogen worden sei, und gab mir schließlich sogar ihre

Genugtuung darüber zu erkennen, daß ich in Verkleidung zu ihr gekommen sei.

»Hätten Sie das nicht getan,« sagte sie, »so hätten Sie nicht die Wahrheit von mir erfahren und wären

meiner Weisung gemäß gen Norden nach Nebraska oder Dakota gedampft. Das Verhalten dieses Gibson-

Clinton erfordert die allerstrengste Ahndung. Ich hoffe, daß Sie sofort aufbrechen, um ihn zu verfolgen,

und bitte Sie, mir von Quintana aus zu schreiben, ob es Ihnen gelungen ist, ihn dort festzunehmen. Auf

dem Transporte nach New York müssen Sie mir ihn hierher bringen, damit ich ihm sagen kann, wie sehr

ich ihn verachte.«

»Das wird wohl kaum möglich sein. Es ist nicht so leicht, sich in Texas eines Menschen zu bemächtigen

und ihn nach New York zu bringen. Ich würde äußerst zufrieden sein, wenn es mir gelänge, William

Ohlert aus den Händen seines Verführers zu befreien und wenigstens einen Teil der Summen zu retten,

welche beide unterwegs einkassiert haben. Für jetzt aber würde es mich außerordentlich freuen, von

Ihnen vernehmen zu können, daß Sie die Deutschen nicht länger für Barbaren halten, welche nicht lieben

können. Es hat mich geschmerzt, meine Landsleute grad von Ihnen so verkannt zu sehen.«

Die Antwort war eine Entschuldigung ihrerseits und die Versicherung, daß sie sich von ihrem Irrtume

bekehrt fühle. Wir schieden in herzlichster Weise voneinander, und ich sagte den beiden vor dem Hause

 

wartenden Polizisten, daß die Angelegenheit erledigt sei. Ich drückte ihnen ein Trinkgeld in die Hände

und eilte fort.

Natürlich mußte ich möglichst schnell nach Quintana und und suchte zunächst nach einem Schiffe,

welches dorthin ging. Die Gelegenheit war mir nicht günstig. Ein Dampfer lag bereit, nach Tampico zu

gehen, legte aber auf der Tour nirgends an. Schiffe, welche mich nach Quintana gebracht hätten, gingen

erst in einigen Tagen ab. Endlich fand ich einen schnellsegelnden Klipper, welcher Ladung für Galveston

hatte und nach Mittag abgehen wollte. Mit ihm konnte ich fahren. In Galveston hoffte ich, schnelle

Gelegenheiten nach Quintana zu finden. Ich ordnete schnell meine Angelegenheiten und ging an Bord.

Leider sollte meine Erwartung, in Galveston ein Schiff nach Quintana zu finden, nicht zutreffen. Ich fand

eine Gelegenheit über dieses Ziel hinaus, nach Matagorda, am Ausflusse des östlichen Colorado. Doch

wurde mir versichert, daß es mir leicht sein werde, von dort schnell zurück nach Quintana zu kommen.

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Das veranlaßte mich, diese Gelegenheit zu benutzen, und die Folge zeigte, daß ich dies nicht zu bereuen

hatte.

Damals war die Aufmerksamkeit des Kabinetts von Washington nach Süden gerichtet, nach Mexiko,

welches Land noch unter den blutigen Wirren des Kampfes zwischen der Republik und dem Kaisertume

litt.

Benito Juarez war von den Vereinigten Staaten als Präsident der Republik von Mexiko anerkannt worden,

und dieselben weigerten sich ganz entschieden, ihn gegen Maximilian fallen zu lassen. Sie betrachteten

den Kaiser nach wie vor als Usurpator und begannen, auf Napoleon jenen Druck auszuüben, welcher ihn

dann zu der erzwungenen Erklärung veranlaßte, seine Truppen aus Mexiko zurückzuziehen. Durch die

Erfolge Preußens im deutschen Kriege indirekt gezwungen, hielt er auch Wort, und von da an war der

Untergang Maximilians besiegelt.

Texas hatte sich beim Ausbruche des Bürgerkrieges für die Sezession erklärt und sich also an die Seite

der Sklavenstaaten gestellt. Die Niederwerfung der letzteren hatte keineswegs eine schnelle Beruhigung

der Bevölkerung zur Folge. Man war erbittert gegen den Norden und verhielt sich infolgedessen

feindselig gegen dessen Politik. Eigentlich war die Bevölkerung von Texas gut republikanisch gesinnt.

Man schwärmte für Juarez, den ›indianischen Helden‹, welcher sich nicht gescheut hatte, es mit Napoleon

und einem Sprossen des mächtigen Hauses Habsburg aufzunehmen. Aber weil die Regierung von

Washington es mit diesem ›Helden‹ hielt, konspirierte man im stillen gegen denselben. So ging ein tiefer

Riß durch die Bevölkerung von Texas. Die einen traten offen für Juarez auf; die andern erklärten sich

gegen denselben, nicht aus Überzeugung, sondern nur aus reiner Widerstandslust. Infolge dieses

Zwiespalts war es nicht leicht, durch das Land zu reisen. Alle Vorsicht des Einzelnen, seine politische

Farbe verbergen zu wollen, war vergeblich; man wurde förmlich gezwungen, mit derselben

hervorzutreten.

Was die in Texas ansässigen Deutschen betrifft, so waren sie mit sich selbst uneins. Als Deutsche

sympathisierten sie mit Maximilian, doch entsprach es ihrem Patriotismus nicht, daß er unter der Aegide

Napoleons nach Mexiko gekommen war. Sie hatten genug republikanische Luft eingeatmet, um zu

glauben, daß der Einfall der Franzosen im Lande Montezumas ein ungerechter sei und nur den Zweck

verfolge, durch Auffrischung der französischen Gloire den Blick der Franzosen von den eigenen

unheilbaren Gebrechen abzulenken. Aus diesem Grunde verhielten sich die Deutschen schweigend und

standen jeder politischen Demonstration fern, zumal sie es während des Sezessionskrieges mit den

Nordstaaten und gegen die Sklavenbarone gehalten hatten.

So standen die Verhältnisse, als wir die flache, langgestreckte Nehrung zu Gesicht bekamen, welche die

Matagorda-Bai von dem mexikanischen Golfe trennt. Wir segelten durch den Paso Caballo ein, mußten

dann aber schnell Anker fallen lassen, da die Bai so seicht ist, daß tiefer gehende Schiffe Gefahr laufen,

auf den Grund zu geraten.

Hinter der Nehrung ankerten kleinere Fahrzeuge, vor derselben in See mehrere große Schiffe, Dreimaster,

und auch ein Dampfer. Ich ließ mich natürlich sofort nach Matagorda rudern, um mich zu erkundigen, ob

es eine baldige Gelegenheit nach Quintana gebe. Leider hörte ich, daß erst nach Verlauf von zwei Tagen

ein Schoner dorthin gehen werde. Ich saß also fest und ärgerte mich, denn Gibson erhielt nun einen

Vorsprung von vier Tagen, welchen er benutzen konnte, spurlos zu verschwinden. Ich hatte nur den einen

Trost, alles getan zu haben, was unter den obwaltenden Verhältnissen möglich gewesen war.

Da mir nichts anderes übrig blieb, als geduldig zu warten, so suchte ich mir ein Gasthaus und ließ mein

Gepäck vom Schiffe holen.

Matagorda war damals ein kleinerer Ort als jetzt. Er liegt im östlichen Teile der Bai und ist ein Hafenplatz

von weit geringerer Bedeutung als zum Beispiel Galveston. Wie überall in Texas, so besteht auch hier die

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Küste aus einer sehr ungesunden Niederung, welche zwar nicht gerade morastig genannt werden kann,

aber doch sehr wasserreich ist. Man kann sich da sehr leicht das Fieber holen, und so war es mir gar nicht

lieb, hier so lange verweilen zu müssen.

Mein ›Hotel‹ glich einem deutschen Gasthofe dritten oder vierten Ranges, mein Zimmer einer

Schiffskoje, und das Bett war so kurz, daß ich beim Schlafen entweder den Kopf oben oder die Beine

unten hinaushängen lassen mußte.

Nachdem meine Sachen untergebracht waren, ging ich aus, um mir den Ort anzusehen. Aus meiner Stube

tretend, mußte ich, um zur Treppe zu gelangen, an einer jetzt offen stehenden Türe vorüber. Ich warf

einen Blick in den Raum und sah, daß derselbe genau so wie der meinige möbliert war. An der Wand lag

ein Sattel auf dem Boden und über demselben hing ein Zaum. In der Ecke, nahe beim Fenster, lehnte eine

lange Kentuckybüchse. Ich mußte unwillkürlich an Old Death denken, doch konnten diese Gegenstände

auch irgend einem Andern gehören.

Aus dem Hause getreten, schlenderte ich langsam die Gasse hinab. Als ich um die Ecke biegen wollte,

wurde ich von einem Manne angerannt, welcher von der andern Seite kam und mich nicht gesehen hatte.

» Thunder-storm!« schrie er mich an. »Paßt doch auf, Sir, bevor Ihr in dieser Weise um die Ecken

stürmt!«

»Wenn Ihr meinen Schneckengang für ein Stürmen haltet, so ist die Auster ein Mississippisteamer,«

antwortete ich lachend.

Er fuhr einen Schritt zurück, sah mich an und rief:

»Das ist ja der deutsche Greenfish, welcher nicht zugeben wollte, daß er ein Detektiv sei! Was habt Ihr

denn hier in Texas und gar in Matagorda zu suchen, Sir?«

»Euch nicht, Master Death!«

»Glaube es wohl! Ihr scheint zu den Leuten zu gehören, welche niemals finden, was sie suchen, dafür

aber mit allen Leuten zusammenrennen, mit denen sie nichts zu schaffen haben. Jedenfalls habt Ihr

Hunger und Durst. Kommt, wir wollen uns irgendwo vor Anker legen, wo es ein gutes Bier zu trinken

gibt. Euer deutsches Lagerbier scheint sich überall breit zu machen. In diesem elenden Neste ist es auch

bereits zu finden, und ich kalkuliere, daß dieses Bier das Beste ist, was man von Euch haben kann. Habt

Ihr schon Logis?«

»Ja, da unten im ›Uncle Sam‹.«

»Sehr schön! Da habe ich auch mein Wigwam aufgeschlagen.«

»Etwa in der Stube, in welcher ich ein Reitzeug und die Büchse bemerkte, eine Treppe hoch?«

»Ja. Ihr müßt nämlich wissen, daß ich von diesem Zeug nicht lasse. Es ist mir lieb geworden. Ein Pferd

ist überall zu bekommen, ein guter Sattel nicht. Aber kommt, Sir! Soeben war ich in einer Bude, wo es

ein kühles Bier gibt, an diesem Junitage ein wahres Labsal. Bin gern bereit, noch eins oder einige zu

trinken.«

Er führte mich in ein kleines Lokal, in weichem Flaschenbier zu einem übrigens sehr hohen Preise

ausgeschenkt wurde. Wir waren die einzigen Gäste. Ich bot ihm eine Zigarre an; er lehnte sie aber ab.

Dafür zog er eine Tafel Kautabak aus der Tasche und schnitt sich von derselben ein Primchen ab, welches

für fünf Vollmatrosen ausgereicht hätte. Dieses schob er in den Mund, brachte es liebevoll in der einen

Backe unter und sagte dann:

»So, jetzt stehe ich Euch zu Diensten. Ich bin begierig, zu hören, welcher Wind Euch so schnell hinter

mir hergetrieben hat. War es ein günstiger?«

»Im Gegenteile, ein sehr widriger.«

»So wolltet Ihr wohl gar nicht hierher?«

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»Nein, sondern nach Quintana. Da es aber dorthin keine schnelle Gelegenheit gab, so bin ich hierher

gekommen, weil man mir sagte, daß ich hier leicht ein Schiff finden werde, welches nach dem genannten

Ort bestimmt sei. Leider muß ich zwei volle Tage warten.«

»Tragt das in Geduld, Master, und tröstet Euch mit der süßen Überzeugung, daß Ihr eben ein Pechvogel

seid!«

»Schöner Trost! Meint Ihr, daß ich Euch für denselben eine Dankesadresse überreichen lassen soll?«

»Bitte,« lachte Old Death. »Gebe meinen Rat stets unentgeltlich. Übrigens geht es mir grad so wie Euch;

sitze auch so nutzlos hier, weil ich zu langsam gewesen bin. Wollte hinauf nach Austin und dann weiter,

ein wenig über den Rio grande del Norte hinüber. Die Jahreszeit ist günstig. Es hat geregnet, und so

besitzt der Colorado genug Wasser, um flache Dampfboote nach Austin zu tragen. Der Fluß ist nämlich

den größten Teil des Jahres über sehr wasserarm.«

»Ich habe gehört, daß eine Barre die Schiffahrt hindere.«

»Das ist keine eigentliche Barre, sondern eine Raft, eine gewaltige Anschwemmung von Treibholz,

welche ungefähr acht englische Meilen oberhalb von hier den Fluß zwingt, sich in mehrere Arme zu

spalten. Hinter dieser Raft gibt es dann ein stetig freies Wasser, bis Austin und darüber hinaus. Da durch

die Raft die Fahrt unterbrochen wird, so tut man klug, von hier aus bis hinauf zu ihr zu gehen, und erst

dann an Bord zu steigen. Das wollte ich auch; aber Euer deutsches Lagerbier hatte es mir angetan. Ich

trank und trank, verweilte mich in Matagorda zu lange, und als ich bei der Raft ankam, pfiff das

Dampfboot eben ab. Habe also meinen Sattel wieder zurücktragen müssen und muß nun warten bis

morgen früh, wo das nächste Boot abgeht.«

»So sind wir Leidensgefährten, und Ihr könnt Euch mit demselben Troste beruhigen, welchen Ihr vorhin

mir zugesprochen habt. Ihr seid eben auch ein Pechvogel.«

»Der bin ich nicht. Ich verfolge niemanden, und bei mir ist es sehr gleichgültig, ob ich heute oder in einer

Woche in Austin eintreffe. Aber ärgerlich ist es doch, ganz besonders weil jener dumme Greenfrog

Laubfrosch mich auslachte. Er war schneller gewesen als ich und pfiff mich vom Verdeck herüber an, als

ich mit meinem Sattel am Ufer zurückbleiben mußte. Treffe ich diesen Kerl irgendwo, so erhält er noch

eine ganz andere Ohrfeige, als diejenige war, welche er am Bord unseres Dampfers einstecken mußte.«

»Ihr habt eine Prügelei gehabt, Sir?«

»Prügelei? Was meint Ihr damit, Sir? Old Death prügelt sich nie. Aber es war auf dem ›Delphin‹, mit

welchem ich hierher kam, ein Kerl vorhanden, welcher sich über meine Gestalt mokierte und lachte, so

oft er mich sah. Da fragte ich ihn denn, was ihn so lustig mache, und als er mir antwortete, daß mein

Gerippe ihn so heiter stimme, da erhielt er einen Slap in the face, daß er sich niedersetzte. Nun wollte er

mit dem Revolver auf mich los, doch der Capt'n kam dazu und befahl ihm, sich von dannen zu trollen; es

sei ihm recht geschehen, da er mich beleidigt habe. Darum lachte mich der Schelm aus, als ich zu spät an

die Raft gekommen war. Schade um den Gefährten, mit welchem er reiste! Schien ein veritabler

Gentleman zu sein, nur immer traurig und düster; starrte stets wie ein geistig Gestörter vor sich hin.«

Diese letzteren Worte erregten meine Aufmerksamkeit im höchsten Grade.

»Ein geistig Gestörter?« fragte ich. »Habt Ihr vielleicht seinen Namen gehört?«

»Er wurde vom Capt'n Master Ohlert genannt.«

Es war mir, als hätte ich einen Schlag ins Gesicht erhalten. Hastig fragte ich weiter:

»Ah! Und sein Begleiter?«

 

»Hieß Clinton, wenn ich mich recht entsinne.«

»Ist's möglich, ist's möglich?« rief ich, von meinem Stuhle aufspringend. »Diese beiden sind an Bord mit

Euch gewesen?«

Er sah mich staunend an und fragte:

»Habt Ihr einen Raptus, Sir? Ihr fahrt ja auf wie eine Rakete! Gehen Euch diese zwei Männer etwas an?«

»Viel, sehr viel! Sie sind es ja, die ich finden will!«

Wieder ging jenes freundliche Grinsen, welches ich wiederholt bei ihm gesehen hatte, über sein Gesicht.

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»Schön, schön!« nickte er. »Ihr gebt also endlich zu, daß Ihr zwei Männer sucht? Und grad diese zwei?

Hm! Ihr seid wirklich ein Greenhorn, Sir! Habt Euch selber um den schönen Fang gebracht.«

»Wieso?«

»Dadurch, daß Ihr in New Orleans nicht aufrichtig mit mir waret.«

»Ich durfte ja nicht,« antwortete ich.

»Der Mensch darf alles, was ihn zum guten Ziele führt. Hättet Ihr mir Eure Angelegenheit offenbart, so

befänden sich die Beiden jetzt in Euren Händen. Ich hätte sie erkannt, sobald sie an Bord des Dampfers

kamen, und Euch sofort geholt oder holen lassen. Seht Ihr das nicht ein?«

»Wer konnte denn wissen, daß Ihr dort mit ihnen zusammentreffen würdet! Übrigens haben sie nicht nach

Matagorda, sondern nach Quintana gewollt.«

»Das haben sie nur so gesagt. Sie sind dort gar nicht ans Land gekommen. Wollt Ihr klug sein, so erzählt

mir Eure Geschichte. Vielleicht ist es mir möglich, Euch behilflich zu sein, die Kerls zu erwischen.«

Der Mann meinte es aufrichtig gut mit mir. Es fiel ihm gar nicht ein, mich kränken zu wollen, und doch

fühlte ich mich beschämt. Gestern hatte ich ihm die Auskunft verweigert, und heute wurde ich von den

Verhältnissen gezwungen, sie ihm zu geben. Mein Selbstgefühl flüsterte mir zu, ihm nichts zu sagen; aber

der Verstand behielt doch die Oberhand. Ich zog die beiden Photographien hervor, gab sie ihm und sagte:

»Bevor ich Euch eine Mitteilung mache, betrachtet Euch einmal diese Bilder. Sind das die Personen,

welche Ihr meint?«

»Ja, ja, sie sind es,« nickte er, als er einen Blick auf die Photographien geworfen hatte. »Es ist gar keine

Täuschung möglich.«

Ich erzählte ihm nun aufrichtig den Sachverhalt. Er hörte mir aufmerksam zu, schüttelte, als ich geendet

hatte, den Kopf und sagte nachdenklich:

»Was ich da von Euch gehört habe, ist alles glatt und klar.

Nur eins leuchtet mir nicht ein. Ist dieser William Ohlert denn vollständig wahnsinnig?«

»Nein. Ich verstehe mich zwar nicht auf Geisteskrankheiten, möchte hier aber doch nur von einer

Monomanie reden, weil er, abgesehen von einem Punkte, vollständig Herr seiner geistigen Tätigkeiten

ist.«

»Um so unbegreiflicher ist es mir, daß er diesem Gibson einen so unbeschränkten Einfluß auf sich

einräumt. Er scheint diesem Menschen in allem zu folgen und zu gehorchen. jedenfalls geht dieser schlau

auf die Monomanie des Kranken ein und bedient sich derselben zu seinen Zwecken. Nun, hoffentlich

kommen wir hinter all seine Schliche.«

»Ihr seid also überzeugt, daß sie auf dem Wege nach Austin sind? Oder haben sie die Absicht, unterwegs

auszusteigen?«

»Nein, Ohlert hat dem Capt'n des Dampfers gesagt, daß er nach Austin wolle.«

»Sollte mich wundern. Er wird doch nicht sagen, wohin zu gehen er beabsichtigt.«

»Warum nicht? Ohlert weiß vielleicht gar nicht, daß er verfolgt wird, daß er sich auf Irrwegen befindet.

Er ist wohl in dem guten Glauben, ganz recht zu handeln, lebt nur für seine Idee, und das andere ist

Gibsons Sache. Der Irre hat es nicht für unklug gehalten, Austin als Ziel seiner Reise anzugeben. Der

Capt'n sagte mir es wieder. Was gedenkt Ihr zu tun?«

»Natürlich muß ich ihnen nach und zwar schleunigst.«

»Bis morgen früh müßt Ihr trotz aller Ungeduld doch warten; es geht kein Schiff eher ab.«

»Und wann kommen wir an?«

»Unter den gegenwärtigen Wasserverhältnissen erst übermorgen.«

»Welch eine lange, lange Zeit!«

»Ihr müßt bedenken, daß die beiden wegen der Wasserarmut des Flusses eben auch spät ankommen. Es

ist gar nicht zu vermeiden, daß das Schiff zuweilen auf den Grund fährt, und da dauert es stets eine

geraume Weile, bevor es wieder loskommt.«

»Wenn man nur wüßte, was Gibson eigentlich beabsichtigt, und wohin er Ohlert schleppen will?«

24

»Ja, das ist freilich ein Rätsel. Irgend eine bestimmte Absicht hat er ja. Die Gelder, welche bisher erhoben

worden sind, würden ausreichen, ihn zum wohlhabenden Manne zu machen. Er braucht sie nur an sich zu

nehmen und Ohlert einfach sitzen zu lassen. Daß er das nicht tut, ist ein sicheres Zeichen, daß er ihn noch

weiter ausbeuten will. Ich interessire mich außerordentlich für diese Angelegenheit, und da wir,

wenigstens einstweilen, den gleichen Weg haben, so stelle ich mich Euch zur Verfügung, Wenn Ihr mich

braucht, so könnt Ihr mich haben.«

»Euer Anerbieten wird mit großem Danke akzeptiert, Sir. Ihr flößt mir ein aufrichtiges Vertrauen ein;

Euer Wohlwollen ist mir angenehm, und ich denke, daß Eure Hilfe mir von Vorteil sein wird.«

Wir schüttelten uns die Hände und leerten unsere Gläser. Hätte ich mich diesem Manne doch bereits

gestern anvertraut!

Wir bekamen eben die Gläser neu gefüllt, als sich draußen ein wüster Lärm hören ließ. Johlende,

menschliche Stimmen und heulendes Hundegebell kamen näher. Die Türe wurde ungestüm aufgerissen,

und sechs Männer traten ein, die alle schon ein beträchtliches Quantum getrunken haben mochten; keiner

von ihnen war mehr nüchtern zu nennen. Rohe Gestalten und Gesichter, südlich leichte Kleidung und

prächtige Waffen fielen an ihnen sofort auf. Jeder von ihnen war mit Gewehr, Messer, Revolver oder

Pistole versehen, außerdem hatten alle eine wuchtige Niggerpeitsche an der Seite hängen, und jeder führte

an starker Leine einen Hund bei sich. Alle diese Hunde von ungeheurer Größe waren von jener sorgfältig

gezüchteten Rasse, welche man in den Südstaaten zum Einfangen flüchtig gewordener Neger verwendete

und Bluthunde oder Menschenfänger nannte.

Die Strolche starrten uns, ohne zu grüßen, mit unverschämten Blicken an, warfen sich auf die Stühle, daß

diese krachten, legten die Füße auf den Tisch und trommelten mit den Absätzen auf ihm herum, womit

sie an den Wirt das höfliche Ersuchen richteten, sich zu ihnen zu bemühen.

»Mensch, hast du Bier?« schrie ihn einer an. »Deutsches Bier?« Der geängstigte Wirt bejahte.

»Das wollen wir trinken. Aber bist du auch selbst ein Deutscher?«

»Nein.«

»Das ist dein Glück. Das Bier der Deutschen wollen wir trinken; sie selbst aber sollen in der Hölle braten,

diese Abolitionisten, weiche dem Norden geholfen haben und schuld sind, daß wir unsere Stellen

verloren!«

Der Wirt zog sich schleunigst zurück, um seine noblen Gäste so rasch wie möglich zu bedienen. Ich hatte

mich unwillkürlich umgedreht, um den Sprecher anzusehen. Er bemerkte es. Ich bin überzeugt, daß in

meinem Blicke gar nichts für ihn Beleidigendes lag; aber er hatte einmal keine Lust, sich ansehen zu

lassen, vielleicht große Sehnsucht, mit jemand anzubinden, und schrie mir zu:

»Was starrst du mich an! Habe ich etwa nicht wahr gesprochen?«

Ich wendete mich ab und antwortete nicht.

»Nehmt Euch in acht!« flüsterte Old Death mir zu. »Das sind Rowdies der schlimmsten Sorte. Jedenfalls

entlassene Sklavenaufseher, deren Herren durch die Abschaffung der Sklaverei bankerott geworden sind.

Die haben sich nun zusammengetan, um allerlei Unfug zu treiben. Es ist besser, wir beachten sie gar

nicht. Trinken wir rasch aus, um dann zu gehen.«

Aber grad dieses Flüstern gefiel dem Manne nicht. Er schrie zu uns herüber:

»Was hast du Heimliches zu reden, altes Gerippe? Wenn du von uns sprichst, so tu' es laut, sonst werden

wir dir den Mund öffnen!«

Old Death setzte sein Glas an den Mund und trank, sagte aber nichts. Die Leute bekamen Bier und

kosteten. Das Gebräu war wirklich gut; die Gäste befanden sich aber in echter Rowdylaune und gossen es

in die Stube. Derjenige, welcher vorhin gesprochen hatte, hielt sein volles Glas noch in der Hand und rief:

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»Nicht auf den Boden! Dort sitzen zwei, denen dieses Zeug sehr gut zu bekommen scheint. Sie sollen es

haben.«

Er holte aus und goß sein Bier über den Tisch herüber auf uns beide aus. Old Death fuhr sich ruhig mit

dem Ärmel über das naßgewordene Gesicht; ich aber brachte es nicht fertig, so ruhig wie er die

schändlichsten Beleidigungen einzustecken. Mein Hut, mein Kragen, mein Rock, alles tropfte an mir, da

mich der Hauptstrahl getroffen hatte. Ich drehte mich um und sagte:

»Sir, ich bitte Euch sehr, das nicht zum zweitenmal zu tun! Treibt Euern Spaß mit Euern Kameraden; wir

haben nichts dagegen; uns aber laßt gefälligst in Ruhe.«

»So! Was würdet Ihr denn tun, wenn ich Lust empfände, Euch nochmals zu begießen?«

»Das wird sich finden.«

»Sich finden? Nun, da müssen wir doch gleich einmal sehen, was sich finden wird. Wirt, neue Gläser!«

Die Andern lachten und johlten ihrem Matador Beifall zu. Es war augenscheinlich, daß er seine

Unverschämtheit wiederholen werde.

»Um Gottes willen, Sir, bindet nicht mit den Kerlen an!« warnte mich Old Death.

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