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Im Reiche des silbernen Löwen I

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»Du bist der Sohn meines Freundes Halef, nach seinem und meinem Namen Kara Ben Halef genannt; denke, daß auch ich dich wie ein Vater liebe. Ich wünsche, daß du einst als Mann ihm gleichen mögest!«

Da reckte sich mein kleiner Hadschi Halef stolz in die Höhe und rief, die Freudenthränen noch immer in den Augen:

»Hast du die Worte des größten Helden, den ich kenne, wohl vernommen? Ein Mann sollst du werden, wie ich, dein Vater, einer bin! Wir haben den Löwen getötet und den schwarzen Panther bezwungen; wir sind stets siegreich gewesen und haben niemals einem Feinde den Rücken gezeigt. In deinen Adern rinnt mein Blut, und hinter deiner Stirn wohnen die Vorzüge meines Geistes. Allah gebe, daß du durch deine Thaten einst die Berühmtheit deines tapfern Vaters erreichst!«

Richtig! So war er! Gleich im ersten Augenblicke des Wiedersehens war es ihm nicht möglich, seiner Gewohnheit, dicke Farben aufzutragen, zu widerstehen. Das war ihm, ohne verwerfliche Prahlsucht zu sein, zur zweiten Natur geworden. Er brachte, ohne eigentlich zu wollen, es fertig, selbst in einer Scene tiefster Rührung und Ergriffenheit durch seine unbefangene und harmlose Ruhmredigkeit dem Ernste einen heitern Beigeschmack zu geben. Wer ihn kennen gelernt hatte, dem fiel dieses gar nicht mehr auf.

Inzwischen war Omar Ben Sadek auch herangekommen und von seinem Aladschy gestiegen. Er reichte mir beide Hände und sagte:

»Sihdi, ich bin nicht so mit Ruhm und Ehre beladen wie Hadschi Halef Omar, unser Scheik; aber ich habe dich wohl ebenso lieb wie er, und für das, was ich dir schulde, wird die Dankbarkeit niemals in meinem Herzen sterben. Sei uns willkommen! Mit dir kehren alle guten Geister bei uns ein.«

Und nun kam sie herangebraust, die große, dichte, vielköpfige Reiterwolke! Die Zügel in der Linken und die Flinten in der Rechten, trieben sie unter jauchzendem Geschrei, als ob sie uns in Grund und Boden reiten wollten, ihre Pferde in sausendem Galoppe bis auf drei Schritte zu uns heran, rissen sie empor, stoben zurück, kehrten, allerlei Figuren bildend, wieder, jagten, immer schießend und wieder ladend, scheinbar wirr durcheinander und schossen dabei stets so hart und nahe an uns vorüber, daß man, um sich nicht durch ängstliches Zurückweichen eine Blöße zu geben, mit diesem Brauche und ihrer Reitertüchtigkeit bekannt sein mußte. Hinter ihnen hielten Knaben im Alter bis zu vier, fünf Jahren herunter auch auf Pferden, um dieser »Fantasia«, an welcher sie natürlich nicht teilnehmen durften, zuzusehen. Dann stiegen wir auf, wurden in die Mitte genommen, und es ging in Carriere dem Lager zu, vor welchem die Greise, Frauen und Mädchen standen, um uns in allen Stimmlagen mit Alan wasah‘lan! Marhaba! und Habakek![13] zu empfangen.

Vor einem noch ganz neuen, schönen Zelte, in welchem ich wohnen sollte, wurde abgestiegen. Daß die Haddedihn ein besonderes Zelt für Ehrengäste besaßen, war ein Zeichen, daß der Stamm sich eines außergewöhnlichen Wohlstandes erfreute. Später, als Halef mich mit sichtlichem Stolze um das Duar[14], führte, um mir die Herden zu zeigen, erkannte ich zu meiner Freude bald, daß diese mir so befreundeten Menschen jetzt bedeutend wohlhabender waren als zu der Zeit, in welcher ich sie kennen lernte. Ich konnte nicht umhin, dem Hadschi diese Bemerkung mitzuteilen, und er ergriff sofort die günstige Gelegenheit, sich unter die geliebte Beleuchtung zu bringen, indem er fragte:

»Weißt du, Sihdi, wem der Stamm dies alles zu verdanken hat?«

»Nun, wem?«

»Errätst du es denn nicht?«

»Dir jedenfalls! Oder nicht?«

Da legte er sich beide Hände auf das Herz, machte den Nacken steif, zog die Brauen wichtig in die Höhe und sagte:

»Ja, mir! Ich bin der Scheik, und du wirst wissen, was eine gute Regierung zu bedeuten hat! Ich bin es, ich allein, dem alle diese Unterthanen mit ihren Körpern und den Seelen, welche in den Körpern wohnen, anvertraut sind. Ich bin der Vater und die Mutter, der Großvater und die Großmutter, ja sogar der Ahne, Urahne und Urvorahne dieses meines Volkes. Ich ernähre und kleide meine Unterthanen; ich wasche und ich kämme sie; ich belehre und ermahne sie; ich tadle und ich richte sie; ich bewahre und ich schütze sie. Ich habe sie reich und glücklich gemacht. Kannst du erraten, wodurch? Es ist ein einziges, kleines Wort.«

»Du wirst das Wort Friede meinen, denke ich.«

»Ja, es ist der Friede. Mohammed Emin und Amad el Ghandur waren kriegerisch gesinnt, hatten aber kein Glück. Wären nicht wir beide, du und ich, damals zu den Haddedihn gekommen, so hätten sie in allen Kämpfen unterliegen müssen. Mohammed Emin fiel im Streite, und Amad el Ghandur mußte der Fehler wegen, welche er gemacht hatte, die Würde des Scheikes niederlegen. Dann wurde Malek gewählt, der Großvater meines Weibes Hanneh, welche die lieblichste unter den schönen Frauen aller Länder und aller Völker ist. Er war zwar alt, liebte aber als Ateïbeh auch den Krieg, hatte jedoch auch kein Glück. Als er starb, wurde ich gewählt. Das war wohl das Klügste, was die Haddedihn thun konnten! Du weißt, daß ich ein tapferer Krieger bin und niemals einen Feind gefürchtet habe. Auch ich liebte das Schwert und wollte es nicht in der Scheide rosten lassen; da aber kamst du mir dazwischen, Sihdi.«

»Ich?«

»Ja. du!«

»Wieso?«

»Deine Stimme klang aus dem Munde meines Weibes Hanneh, der schönsten Rose unter allen Blumen der Frauenzelte. Du hattest so oft von Gottes Liebe, Gnade, Barmherzigkeit und Güte gesprochen; du hattest so oft gesagt, daß der Mensch ein Ebenbild Gottes sein solle. Du hattest gelehrt, daß die Liebe die größte Macht des Himmels und der Erde sei, der nichts widerstehen könne. Das waren deine Worte gewesen. Aber deine Thaten wirkten noch mächtiger als deine Worte. Du hast selbst deine ärgsten Feinde so oft und so lange geschont, wie es nur möglich war. Du hast lieber durch Milde oder List zu erreichen gesucht, was du durch Strenge oder Kampf viel leichter und schneller hättest erreichen können. Du hast dein Leben zehnmal gewagt, um dasjenige eines Feindes zu schonen. Diese deine Thaten haben noch lauter als deine Worte zum Herzen meiner Hanneh gesprochen, welcher der Preis unter allen Töchtern und Müttern der Erde gebührt. Als du längst, längst von uns gegangen warst, hat sie still in ihrem Zelte gesessen und durch die Wand desselben andächtig zugehört, wenn von dir erzählt wurde. Sie hat dich zu ihrem Chajali[15], erwählt und nicht geduldet, daß mein Säbel aus der Scheide fahre. Du weißt, daß wir beide, du und ich, damals die Feinde der Haddedihn besiegten und für lange Zeit unfähig machten, sich wieder zu erheben. Als ich Scheik wurde, vereinigten sie sich zu einer Erhebung gegen uns. Ich wollte sie mit der Schärfe des Schwertes niederschlagen; aber Hanneh, welcher unter den Frauen der Vorrang zukommt, den der Diamant unter den Edelsteinen besitzt, sagte, du würdest an meiner Stelle anstatt der Gewalt die Klugheit wählen. Sie gab mir den Rat, die Feinde untereinander zu entzweien; sie sagte mir auch, in welcher Weise mir dies sehr leicht gelingen werde, und so habe ich den Kampf vermieden und dennoch unsere Macht verdoppelt.«

»Hm!« summte ich lächelnd vor mich hin. »Meinst du, lieber Halef, daß Hanneh mit diesem Rate das Richtige getroffen hat?«

»Hm!« summte auch er, aber nicht lächelnd, sondern nachdenklich. »Darf ich dir etwas anvertrauen?«

»Alles, was du willst!«

»Aber du darfst es keinem Menschen sagen!«

»Du weißt, daß ich nicht plauderhaft bin!«

»Das weiß ich sehr genau; also höre mein Geheimnis an, und behalte es tief in deinem Herzen verborgen!«

Er näherte seinen Mund meinem Ohre und fuhr flüsternd fort:

»Hanneh ist nämlich nicht nur die lieblichste unter den Haremsblumen, sondern auch außerordentlich klug. Sihdi, ich sage dir: sie hat immer recht!«

Fast hätte ich über die stolze Ueberzeugung, mit welcher er dies sagte, laut aufgelacht. Also mein tapfrer Halef stand unter dem Pantoffel! Nicht er, sondern seine »lieblichste der Blumen« war Scheik der Haddedihn! Aber das konnte mich nur freuen, und es fiel mir gar nicht ein, ihn darum weniger zu achten. Es ist jeder heiß- oder schnellblütig angelegte Mann nur glücklich zu preisen, wenn er eine bedachtsame Frau besitzt, welche es versteht, ihn in freundlicher, aber ja nicht herrischer Weise vor Unbedachtsamkeiten zu bewahren. Und doppelt glücklich zu preisen ist er, wenn er trotz seines Temperamentes so einsichtig ist, sich von ihr raten, mahnen und lenken zu lassen! Es geht ihm dadurch kein einziges Atom von seiner Manneswürde verloren. Ich habe nicht wenige Ehen kennen gelernt, deren Glück nur dieser liebevollen, vorsichtigen Führung der Frau zu verdanken war, Das sind Perlen, deren Wert gar nicht hoch genug geschätzt werden kann!

Halef war mir stets ein unendlich treuer, aufopfernder und in gewöhnlichen Lagen höchst zuverlässiger Diener und Begleiter gewesen; sein Mut und seine Tapferkeit hatten nie versagt, und er hätte, um mich zu retten, gewiß jederzeit sein Leben auf das Spiel gesetzt; aber grad in Gefahren war seiner Zuverlässigkeit nicht immer ganz zu trauen gewesen; da ging seine Furchtlosigkeit zuweilen mit ihm durch, und er hatte mich dadurch, daß er über seine Instruktionen hinaus handelte, oft in sehr unangenehme Lagen gebracht. Darum freute ich mich jetzt herzlich, als ich von ihm hörte, daß seine Hanneh eine der vorsichtigen Frauen war, von denen es im Liede von Sanguinikus heißt:

 

»Und will er in die Lüfte allzu munter,

So zieht sie ihn am Frackschoß wieder runter.«

Ich nickte ihm freundlich zu und fragte.

»Wenn sie immer recht hat, so hast du wohl immer unrecht?«

»Oh nein! Wie kannst du dieses von mir denken, Effendi! Wie kann dein Halef einmal unrecht haben! Ich bin ja immer mit ihr einverstanden! Also habe ich stets ebenso recht wie sie!«

»Das ist sehr klug von dir, mein lieber Halef! Ein Mann, welcher gern den vernünftigen Ratschlägen seines Weibes folgt, gleicht einem Moslem, der stets nach dem Kuran handelt.«

»Wie freut es mich, daß du dieser Meinung bist! Zuweilen will es mir nämlich scheinen, als ob man auch einmal widersprechen müsse; aber wenn ich dann der lieblichsten der Frauen in das Antlitz blicke, so hat sie sicher recht. Wie könnte ich solche Freundlichkeit betrüben und so ein Lächeln in Wehmut verwandeln! Ich muß dir sagen, daß ihr Lächeln sich sehr schnell auf meinem Angesichte widerspiegelt und dann – — dann – — dann, dann geht – — geht – — geht – —«

Er stockte und so fuhr ich, auch lächelnd, fort:

»Dann geht es wohl auch auf deine Haddedihn Ueber, und schließlich lächelt der ganze Stamm?«

»Ja, Effendi, fast ist es so. Es geht von Hanneh, der Krone aller Frauen, eine Milde aus, welche sich erst mir und dann auch allen, mit denen ich verkehre, mitteilt. Meine Haddedihn sind jetzt nicht mehr die rauhen, rücksichtslosen Krieger, die sie früher waren. Ja, denke dir nur, es kommt sogar vor, daß sie höflich mit mir, ihrem höchsten Vorgesetzten, sind! Das stammt von dir und deinen Lehren, deinen Thaten her, und da mich niemand hört, will ich aufrichtig sein und es dir sagen: Im heiligen Buche der Christen ist, bei Allah und dem Propheten, viel, viel größere Weisheit enthalten als im Kuran, den ich früher für den Inbegriff alles himmlischen und irdischen Wissens gehalten habe! Ich wollte dich damals zum Islam bekehren und ärgerte mich über deine Hartnäckigkeit; jetzt aber sehe ich ein, daß in einem einzigen freundlichen Lächeln meiner Hanneh, die unvergleichlich ist, mehr Religion und Weisheit liegt als in allen hundertvierzehn Suwar[16] des heiligen Buches Mohammeds. Und sodann – — – höre, Effendi, noch ein Geheimnis!«

Er brachte seinen Mund wieder in die Nähe meines Ohres und flüsterte:

»Auch Hanneh, die einzige Rose unter den Blumen und Blüten der Frauenwelt, mag nichts vom Kuran wissen.«

»Wirklich? Ist das wahr?«

»Nichts, gar nichts!« nickte er sehr ernst und bestimmt.

»Warum?«

»Weil die Ausleger des Kuran behaupten, daß die Frauen keine Seele haben.«

»Und das will sie sich nicht gefallen lassen?«

»Nein, auf keinen Fall! Laß dir, lieber Sihdi, im Vertrauen mitteilen: Sie behauptet, sie habe eine – — – und zwar was für eine!«

»Hm! Sollte man das denken!«

»Denken? Sie erlaubt mir gar nicht, ihr zu sagen, was ich darüber denke, und als ich ihr nur so ganz leise und liebevoll andeutete, daß Mohammed doch gewußt haben müsse, was er lehrte, bestand sie darauf, daß ihre Seele, den Körper gar nicht gerechnet, allein zehnmal mehr wert sei als der ganze Prophet, Leib und Seele zusammengenommen.«

»Giebst du ihr da recht?«

»Natürlich! Sie hat ja immer recht, und wenn man sich nach seinem Weibe richtet, so ist das ebenso gut, wie wenn man sich nach dem Kuran richtet; das hast du ja vorhin selbst gesagt; ich handle also ganz genau nach dem Kuran, wenn ich glaube, was Hanneh, die beste aller Frauen, glaubt.«

Welch eine Logik! Der kleine, wackere Hadschi glaubte, sich nach dem Kuran zu richten, indem er ihn verwarf! Es fiel mir natürlich gar nicht ein, ihm diese Ansicht widerlegen zu wollen, und wir kehrten nach unserm Rundgange nach dem Duar zurück, um den Hammel zu ver- zehren, für den es nach Halefs Worten eine »Freude und Ehre gewesen war, sich für mich schlachten zu lassen«.

Ich blieb eine volle Woche der Gast der Haddedihn. Während dieser Zeit gab es keinen andern Gesprächsgegenstand als die Begebenheiten während meiner früheren Anwesenheit bei dem Stamme, auf welche man noch heut mit stolzer Genugthuung zurückblickte. Halef war natürlich der Hauptsprecher; er hielt eine Menge Reden und Vorträge, in denen er mich als den größten Helden unter der Sonne beschrieb und dabei aber sich als meinen Freund, Beschützer, Bewahrer und Erhalter hinstellte. Ich pflegte mich zu entfernen, sobald er sich in Positur stellte, um eine solche Lobpreisung meiner Person und seiner selbst loszulassen; ich brachte es nicht fertig, seine übertriebenen Orientalismen durch meine Gegenwart zu sanktionieren, und war mir dabei der vollständigen Unmöglichkeit bewußt, sie auf irgend eine Weise zu verhindern. Als ich einmal eine hierauf bezügliche Bemerkung machte und mich dabei des Wortes öjünmek[17] bediente, fuhr er wie vor einer Natter vor mir zurück und rief zornig aus:

»Was? Wie, Effendi? Ich soll ein Oejünüdschi[18] sein? Wie kannst du mich in dieser Weise beleidigen und die Wange eines Mannes schamrot machen, welcher dir sein ganzes Herz geschenkt hat und jederzeit bereit ist, sein Leben fünfzigmal hintereinander für dich hinzugeben! Weshalb führt man solche Heldenthaten, wie wir sie verrichtet haben, aus! Doch nur, damit man von ihnen sprechen und erzählen kann!«

»Nein! Was wir gethan haben, ist aus ganz anderen und besseren Gründen geschehen. Ich habe – — – «

»Gründe?« unterbrach er mich. »Von den Gründen ist jetzt gar nicht die Rede, denn Gründe gehen voraus, das Sprechen aber folgt hinterher. Wenn ich von dem, was ich gethan und erlebt habe, nicht sprechen soll, so will ich lieber gar nichts thun und erleben!«

»Wer hat die das Sprechen verboten? Du sollst dich nur vor Uebertreibungen hüten.«

»Uebertreibungen? O, Sihdi, wie ist es mit deiner Erfahrenheit und Menschenkenntnis doch so schlecht bestellt! Der Mensch ist das einzige ungläubige Geschöpf, welches auf der Welt wohnt, denn Tiere, Pflanzen und Steine können nie ungläubig sein, was du aber gar nicht zu wissen scheinst. Und weil der Mensch den Unglauben ganz allein besitzt, so hat er davon eine so große Menge, daß sie gar nicht gezählt, gemessen und berechnet werden kann. Sagst du das Wort hundert, so wird man dir nur das Wort zwanzig glauben; hast du fünf Kinder, so traut man dir nur zwei zu, und behauptest du, alle zweiunddreißig Zähne zu besitzen, so läßt man dir nur zehn oder elf, zwischen denen sich einundzwanzig Chilahl[19] befinden. Darum wird ein kluger Mensch stets mehr sagen, als eigentlich richtig ist. Ich, der Besitzer eines einzigen Kindes, sage, daß ich zehn Knaben und zwanzig Mädchen habe; ich behaupte, sechsundneunzig Zähne zu besitzen, und das ist keine Lüge, denn ich weiß ja, daß man mir wenigstens drei Viertel davon abziehen wird. Ich sage keine Unwahrheit; ich übertreibe nicht, denn wenn ich sage, daß ich zwei Beine besitze, so glaubt man nur an eines, und ich muß also, wenn die Wahrheit getroffen werden soll, wenigstens von vieren sprechen. Allah mag deinen Geist erleuchten, daß du das, was ich dir jetzt gesagt habe, nach und nach verstehen lernst und mir ja nicht immer dreinredest, wenn ich von unsern Heldenthaten erzähle. Wenn du einen Wüstenfuchs geschossen hast, mußt du unbedingt einen Löwen daraus machen, weil man sonst annimmt, daß es nur eine Maus gewesen sei, und wenn ein Mensch im Flusse umgekommen ist, so muß ich erzählen, daß zehn Personen ertrunken seien, denn sonst behauptet man, daß überhaupt gar kein Wasser zum Ertrinken dagewesen sei. Nimm dir diese meine Worte zu Herzen, Sihdi! Laß dich mahnen, warnen und belehren! Ich kenne die Welt und die Menschen besser als du. Wenn du heiler Haut nach Persien und wieder zurückkommen willst, so sag stets Mehr, viel mehr, als du eigentlich zu sagen hast. Allah jesellimak – Gott erhalte dich!«

Er drehte sich nach dieser Ermahnung um und ging in der stolzen, selbstbewußten Haltung eines Mannes fort, welcher einen andern durch die Ueberlassung seines ganzen Vermögens vom Bankerott errettet hat. Er war in Beziehung auf das Prahlen eben unverbesserlich, doch muß ich zu seiner Entschuldigung hinzusetzen, daß dies ihm als Orientalen nicht so hoch angerechnet werden durfte. Hätte er sich nach europäischem Muster benommen, so wäre er nicht der liebe, wackere und originelle Kauz gewesen, als der er mir stets so sehr gefallen hatte.

Im Verlaufe der vorhin angegebenen Zeit von einer Woche kam das Gespräch natürlich oft auf meine beabsichtigte Reise nach Persien, und da erfuhr ich, daß Halef plante, vorher erst einen andern Ritt zu unternehmen, welcher allerdings notwendiger als meine Reise war. Die Kabila[20] der Haddedihn gehört, wie man weiß, zum Scha‘b[21] der Schammar, und darum hatte es der kleine Hadschi schon längst, ja schon seit seiner Erwählung zum Scheik der Haddedihn, für angezeigt gehalten, den Dschebel Schammar und Hâil, den Hauptort dieser Landschaft, aufzusuchen, um die lange Zeit unterbrochenen Beziehungen zu den Stammesgenossen wieder anzuknüpfen. Der Hadschi war nicht nur ein mutiger Krieger, sondern auch ein kluger Diplomat, und seine Hanneh stand ihm in letzterer Beziehung mit den besten Ratschlägen zur Seite. Beide hegten die Meinung, daß eine Erneuerung dieser Verbindung ihren Haddedihn großen Nutzen bringen und ein bedeutendes Uebergewicht über die umwohnenden Stämme, denen trotz der mit ihnen abgeschlossenen Friedensverträge nie recht zu trauen war, geben werde. Nach den Gepflogenheiten der Beduinen und aus noch andern Gründen hätte er diese Reise, um am Dschebel Schammar zu imponieren, eigentlich mit einer großen, glänzenden Reiterschar unternehmen sollen; aber das wäre ein ganz gefahr- und wagnisloses Unternehmen gewesen, bei dem kein Ruhm zu ernten war. Er wollte Abenteuer erleben, von denen er dann später in seiner tief in den »Topf des Lobpreises« greifenden Weise erzählen konnte, und so war er sehr ernstlich mit sich zu Rate gegangen, ob er nicht lieber allein reiten solle. Da aber war ihm Hanneh, wie er sich gegen mich ausdrückte, »mit seiner Waghalsigkeit an den Kopf gesprungen« und hatte ihm im Tone »strenger Liebe und zorniger Hingebung« gesagt, daß sie das nicht gestatten werde. Glücklicherweise war da die Ansage meines Besuches gekommen, welche der Sache eine ganz unerwartet andere Wendung gegeben hatte.

Welch eine Wonne, mit Kara Ben Nemsi nach dem Dschebel Schammar reiten und sich den dortigen Schammar als »Freund und Beschützer« dieses »größten Helden des Erdreiches« zeigen zu können! Da war freilich keine Begleitung nötig, und da standen Erlebnisse zu erwarten, über welche »noch die späteste Nachwelt staunen würde«. Zugleich konnte da ein Wunsch in Erfüllung gehen, welchen nicht nur der wagmutige Hadschi, sondern auch seine vorsichtige Hanneh längst gehegt hatten: Kara Ben Halef, ihr Sohn, fand da vielleicht Gelegenheit, den Haddedihn zu zeigen, daß er der würdige Sohn eines tapfern, mutigen Vaters sei. Das war einer der größten Herzenswünsche seiner Eltern. Halef war zwar überzeugt, daß es keinen bessern Behüter seines Sohnes als ihn selbst geben könne, doch war Hanneh nicht ganz derselben Meinung; sie vertraute mir ihr Kind viel lieber an als ihm allein, und als sie gelesen hatten, daß ich kommen werde, hatten sie sich darüber geeinigt, daß Kara Ben Halef uns begleiten solle. Vorher abzuwarten, ob ich auch Lust haben werde, die Tour mitzumachen, das war ihnen gar nicht eingefallen; sie nahmen das als ganz selbstverständlich an. Natürlich aber fragten sie mich, und da ein solcher Ausflug ganz nach meinem Herzen war, gab ich sofort meine Zustimmung – — ganz wie sie erwartet hatten. In Beziehung der Mitnahme eines Trupps der Haddedihn fragte mich Halef:

 

»Lieber Sihdi, du bist stets der Ansicht gewesen, daß viele Begleiter nur hinderlich seien. Ist dies deine Meinung auch noch jetzt?«

»Ja. Warum willst du das wissen?«

»Weil ich mir vorgenommen hatte, diese Reise mit vielleicht hundert Kriegern zu unternehmen, da dies mehr Eindruck macht, als wenn ich mit nur wenigen Leuten komme. Nun du aber hier eingetroffen bist, denke ich mit Stolz an unsere gefährlichen Wanderungen und an die vielen Thaten, welche wir ohne alle fremde Hilfe ausgeführt haben. Dem Ruhme, welchen wir davontrugen, habe ich es zu verdanken, daß ich Scheik der Haddedihn geworden bin. Leider habe ich diesem Ruhme nichts hinzuzufügen vermocht, weil die letzten Jahre fast vollständig thatenlos vergangen sind. Sollen meine Glieder einrosten und mein Mut einer alten Klinge gleichen, die man nicht mehr aus der Scheide bringt? Du kennst doch deinen treuen Halef und weißt, daß die Gefahr mir so notwendig ist wie dem Fische die Flut des Wassers. Meine Seele erstickt in dieser Unthätigkeit, und mein Geist gleicht einem Adler, den Allah in eine Schnecke verwandelt hat. Und was soll aus meinem Sohne Kara Ben Halef werden, wenn er keine Gelegenheit bekommt, seine Gewandtheit zu bethätigen und seine Kühnheit zu beweisen? Er wird ein unnützer Mensch, der nichts vermag, als Lagmi[22] zu trinken und dann dereinst an einem Raschah el Buruhda[23] zu sterben. Ist das nicht traurig? Kann er sich auszeichnen, wenn ich ihn unter dem Schutze von hundert Reitern mit mir nehme? Nein! Darum begrüße ich deine Ankunft mit tausend Freuden. Ich habe Sehnsucht, wieder einmal etwas zu erleben, was in den Büchern der Helden verzeichnet wird, und das kann ich nur, wenn wir es so machen, wie wir es früher gemacht haben: wir reiten allein. Was sagst du dazu?«

»Frage vorher, was die Krieger dazu sagen, die dich begleiten sollten und welche nun dableiben müßten.«

»Die frage ich nicht. Ich bin der Scheik, und sie haben zu gehorchen. Ich werde sie später durch einen großen Jagdzug entschädigen. Also, lieber Sihdi, laß mich hören, welchen Rat du mir giebst!«

»Wenn es auf mich ankommt, so reiten wir allein, und dies ist auch aus anderen Gründen das Bessere.«

»Welche Gründe meinest du?«

»Nimm zunächst die Entfernung an! Von hier bis zum Dschebel Schammar sind es wenigstens vierzehn Tagesreise mit dem schnellen Reitkamele, denn Pferde können wir des fehlenden Wassers wegen nicht nehmen. Demnach brauchtest du bei hundert Reitern auch hundert Lastkamele, um die Wasserschläuche zu transportieren; da kämen wir erst nach vier oder fünf Wochen dort an. Woher das Wasser für die überschüssigen drei Wochen nehmen? Und bedenke die feindlichen Stämme, durch deren Gebiet wir müssen! Eine Schar von hundert Reitern muß von ihnen unbedingt entdeckt werden, während drei Personen wahrscheinlich unbemerkt bleiben. Und da du nach Ruhm trachtest, so frage ich dich: Welche Ehre ist größer, wenn hundert oder wenn nur drei Männer die Gefahren, denen wir entgegengehen, glücklich überwinden?«

»Das letztere, Sihdi, das letztere natürlich! Du kommst meinen Wünschen entgegen, und deine Ansicht ist auch die meinige. Wir reiten allein, Sihdi, du, ich und mein Sohn Kara Ben Halef, dem es die größte aller Ehren sein wird, an deiner Seite diese Reise machen zu dürfen. Ich werde mit Hanneh, meinem Weibe, sprechen. Sie ist die beste, die herrlichste der Frauen, die lieblichste der Blumen unter allen Blumen und Rosen der Welt, und wird uns das feinste Mehl und eine Fülle der saftigsten Datteln einpacken, so daß wir unterwegs weder Mangel, noch gar Hunger leiden.« Dann schlug er die Hände froh zusammen und fügte mit glückstrahlendem Gesichte hinzu: »Hamdulillah, Preis, Lob und Dank sei Allah, denn nun wird uns wieder einmal die Luft der Wüste umwehen, und ich kann zeigen, daß ich, der Scheik und Hadschi Halef Omar, noch kein altes Weib geworden bin, sondern daß in mir noch immer der alte Held und Sieger lebt, den niemand überwinden kann, und der in jeder Not und Gefahr dein treuer Freund und tapferer Beschützer gewesen ist, lieber Sihdi, und dich auch jetzt wieder zu einem berühmten Mann und Krieger machen wird. Verlaß dich auf mich! Meine Kraft und Stärke wird dich vor jedem Feinde bewahren.«

Ich ließ diese Rede still über mich ergehen. Er sprach nun einmal gern in diesem Tone, und wenn er dabei die Rollen umkehrte, so konnte mich das nur heimlich belustigen, niemals aber ärgern.

Ich brauche wohl nicht erst zu sagen, daß Hanneh uns in Beziehung auf die Sicherheit ihres Sohnes eine Menge Ermahnungen und Verhaltungsmaßregeln erteilte, welche vollständig überflüssig waren, obgleich sie aus ihrem Mutterherzen flossen. Kara Ben Halef war unendlich stolz darauf, von uns auf eine so weite und nicht ungefährliche Reise mitgenommen zu werden. Nachdem wir Abschied genommen hatten, ritt er, im Sattel hoch aufgerichtet, voran, als wir das Lager verließen, begleitet von einer Anzahl Haddedihn, welche die Ziegenfelle transportierten, aus denen das Kellek[24] zur Ueberfahrt über den Euphrat hergestellt werden sollte. Sie brachten uns an das rechte Ufer dieses Flusses, worauf sie zurückkehrten, während wir unsere Richtung südwestwärts nach der Badijeh[25] einschlugen.

Halef hatte für unsere Reise die drei schnellsten und ausdauerndsten Reitkamele des Stammes ausgesucht, welche eine Reihe von Tagen kein Wasser brauchten. Da man diese Hedschan aber nicht zu sehr belasten darf, so hatten wir nur drei kleine Schläuche mitgenommen, welche am sechsten Tage fast leer waren, so daß wir trachten mußten, sie wieder zu füllen. Das war aber eine nicht ganz ungefährliche Angelegenheit, weil wir uns in einer Zeit befanden, in welcher die wenigen Brunnen der arabischen Wüste meist besetzt sind, und die Stämme dieser Gegenden waren den Haddedihn alle mehr oder weniger feindlich gesinnt. Am meisten hatten wir uns vor den Scherarat-Beduinen zu hüten, welche damals in der Blutrache mit den Haddedihn standen und unbedingt unser Leben gefordert hätten, wenn wir in ihre Hände gefallen wären. Ihr Scheik hatte den Beinamen Abu ‚Dem, Vater des Blutes, eine für ihn sehr treffende Bezeichnung, und im Stamme gab es einen Mann, der noch mehr zu fürchten war als dieser blutdürstige Scheik, nämlich Gadub es Sahhar[26], der Magier und Wunderdoktor der Scherarat.

Dieser »Zauberer« war weit und breit berühmt bei den Freunden und berüchtigt bei den Gegnern des Stammes. Man wußte, daß er bei jeder Abstimmung über das Schicksal eines Gefangenen den Tod desselben verlangte und meist auch durchsetzte. Handelte es sich um einen Andersgläubigen, einen Schiiten, einen Juden oder gar Christen, so war von Schonung schon gar keine Rede, und selbst die Scherarat, die seine Künste bewunderten, fürchteten ihn im stillen und nahmen sich vor ihm in acht als vor einem Manne, dessen Zorn selbst seinen nächsten Angehörigen gefährlich werden konnte. Eigentlich war er im Stamme mächtiger als selbst der Scheik, und man erzählte im stillen, daß dieser es darum gar nicht ungern sehen würde, wenn dem Zauberer einmal etwas Menschliches geschehen sollte; aber ein solches Ereignis mit eigener Hand herbeizuführen, das wagte er freilich nicht.

Also von diesem Stamme drohte uns die größte Gefahr, zumal wir nicht wußten, wo er jetzt zu suchen war. Wir befanden uns ungefähr in gleicher Höhe mit der Landschaft Tschohf, vielleicht anderthalbe Tagereise östlich von ihr, und hatten den kleinen Bir Nufah[27] so vor uns, daß wir ihn um Mittag erreichen konnten; nur galt es, zu erfahren, ob er besetzt sei oder nicht. Ich wollte voranreiten, um zu rekognoszieren; aber das gab Halef nicht zu.

»Sihdi, willst du mich beleidigen?« rief er aus. »Du bist ein Franke, und ich bin ein Ibn el Arab; ist es da nicht meine Sache, die Gegend zu erkunden, ob wir sicher sind oder nicht? Oder traust du mir die dazu gehörige Geschicklichkeit nicht zu?«

»Ich traue sie dir zu, aber du weißt, daß ich in Beziehung auf diese Geschicklichkeit dein Lehrer gewesen bin.«

»Danach gehe ich nicht, denn der Schüler kann den Lehrer nicht nur erreichen, sondern sogar übertreffen.«

»Meinst du, daß dies bei dir der Fall sei?«

»Ich meine nichts, gar nichts; aber es wird sich zeigen, und Kara Ben Halef, mein Sohn, soll seinen Vater schätzen und bewundern lernen. Darum fordere ich als dein und sein Beschützer von dir, daß du mir erlaubst, voranzureiten!«

Was sollte ich thun? Um ein zuverlässiger, vorsichtiger Kundschafter zu sein, dazu war der kleine Hadschi zu unbedenklich und verwegen. Aber durfte ich ihn vor seinem Sohne blamieren? Nein. Ich ließ ihn also fort. Bald sahen wir ihn auf seinem windschnellen Hedschihn am Horizonte verschwinden, und wir ritten ihm in der bisherigen, ungesteigerten Gangart nach. Wir hatten noch zwei Stunden bis Mittag, also bis zu dem Brunnen zu reiten, dessen Lage ich zwar ungefähr wußte, dessen Umgebung mir aber vollständig unbekannt war.

Bei der Schnelligkeit, mit welcher Halef sich entfernt hatte, mußte er in nicht viel über einer Stunde dort sein; ich war also nach Verlauf von ein und einhalb Stunden so vorsichtig, anzuhalten, um auf seine Rückkehr zu warten. Es verging wieder eine Stunde, ohne daß er kam; das machte mich besorgt, ohne daß ich dies seinem Sohne merken ließ. Als aber wieder eine halbe Stunde vorüber war, fragte dieser mich in bedenklichem Tone:

13Willkommen.
14Zeltdorf.
15Vorbild, Ideal.
16Plural von Sure = Kurankapitel.
17Prahlen, aufschneiden.
18Prahler.
19Zahnlücken.
20Abteilung.
21Stamm, Volk.
22Dattelsaft.
23Schnupfen der Erkältung.
24Floß aus aufgeblasenen Häuten.
25Wüste.
26Gadub, der Zauberer.
27Brunnen Nufa.
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