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Die Juweleninsel

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Zweites Kapitel: Himmel und Hölle

Mitten in der weiten Ebene erhebt sich ein vielfach zerklüfteter, aus gewaltigen Basaltmassen bestehender Berg, welcher mit seinem Haupte hoch in die Wolken ragt und seine Füße weit in das Land hineinstreckt, wie ein vom Himmel gefallener Titane oder ein aus dem Innern der Erde emporgeschleuderter riesiger Cyklope, der nun seit Jahrtausenden im Schlummer liegt, um von den gigantischen Kämpfen auszuruhen, die ihn vom Olympos stürzten oder aus dem Orkus an das Tageslicht hervorgetrieben haben.

Auf seinem Gipfel stand seit uralten Zeiten eine Burg, die den Namen Himmelstein führte. Sie wurde niemals erobert und zerstört, denn ihre Lage machte sie vollständig uneinnehmbar. Aber der Zahn der Zeit nagte unaufhaltsam an ihren Mauern, und als sie in den Besitz des königlichen Hauses kam, war es nothwendig geworden, sie von Grund auf zu renoviren, wobei ihre Einrichtung in jeder Beziehung den Ansprüchen der neueren Zeit angepaßt wurde. jetzt gehörte sie als Privateigenthum dem Prinzen Hugo, der »tolle Prinz« genannt.

Ungefähr auf der Höhenmitte des Berges liegt auf der Nordseite desselben ein Mönchs- und auf seiner südlichen Seite ein Nonnenkloster. Die beiden geistlichen Anstalten sind beinahe so alt wie die einstige Burg, und gleichen, von unten aus gesehen, mit ihren hohen dicken Umfassungsmauern kleinen Festungen, sind aber in ihrem Innern ganz den Anforderungen der Gegenwart gemäß eingerichtet und bieten ihren Bewohnern und Bewohnerinnen alle die Bequemlichkeit, welche die »Hirten Christi« und die »Bräute des Hirnmels« zu beanspruchen haben.

Tief unten am Fuße des Berges liegt zwischen üppigen Feldern und grünenden Hainen, die sich langsam zur Höhe ziehen, ein kleines schmuckes Städtchen, einst den Rittern und Kämpen da oben zu Lehn gehörig und auch jetzt noch unter der direkten Botmäßigkeit des alten Schloßvogtes stehend, der seinem gegenwärtigen Herrn außerordentlich treu ergeben ist, von seinen Untergebenen aber mehr gehaßt und gefürchtet als geehrt und geliebt wird.

Wenn man von diesem Städtchen ostwärts geht, gelangt man in eine tiefe enge Schlucht, durch welche sich ein wildes Wasser rauschend Bahn gebrochen hat und das Rad einer Mühle treibt, die wie ein Schwalbennest an den steilen Felsen hängt.

Die Umgebung der einsamen Mühle ist mehr als romantisch, sie ist schauerlich. Die Schlucht heißt die Höllenschlucht, und darum darf es nicht Wunder nehmen, daß man die Mühle die Höllenmühle genannt hat. Das Schloß heißt Himmelstein, und in den beiden Klöstern werden die nach der Seligkeit lechzenden und dürstenden Seelen für den Himmel zubereitet; daher sagt der Städter oder der ländliche Bewohner der Umgegend, wenn er den Berg besteigen will, er wolle »zum Himmel« empor; will er dagegen sein Korn zur Mühle bringen, so meint er: »ich gehe in die Hölle.« Droben der Himmel und unten die Hölle. Haben diese Bezeichnungen auch in Beziehung auf das Glück, auf das Thun und Treiben der Bewohner der beiden Orte ihre Berechtigung?

Die Höllenmühle galt seit langen, langen Zeiten im weiten Umkreise für einen unheimlichen Ort, den man eher fliehen als aufsuchen solle. Sie war der Schauplatz von Tragödien gewesen, deren Verlauf man nicht genau kannte, welche aber gerade in Folge dessen der Zunge Veranlassung gaben, das Dunkle mit noch größeren Schrecken auszuschmücken, so daß eine Reihe von grauenhaften Sagen entstanden, die weithin über das ganze Land ihre Ausbreitung fanden.

Der alte Stamm der Höllenmüller hatte sich in seinem Familien- und auch äußeren Leben durch allerhand Unglücksfälle ausgezeichnet. Der letzte war in dem rauschenden Mühlenwasser ertrunken; seine Wittwe hatte das Besitzthum verkaufen müssen und war dann fortgezogen und spurlos verschollen.

Es war ihr allerdings nicht leicht geworden einen Käufer zu finden, und nur durch die Hilfe eines Agenten war sie die Mühle um einen Preis losgeworden, der kaum die Hälfte ihres eigentlichen Werthes betrug. Ihr Nachfolger war eine hohe blonde Gestalt, wie man sie hier im Süden selten findet. Er stammte aus Norland und war kein Katholik, weshalb er von den geistlichen Vätern und Müttern da oben nicht eben freundlich angesehen wurde. Er hatte sein Vaterland nur verlassen, weil er nicht eigentlich ein Vermögen besaß und hier für seine Ersparnisse Herr eines Besitzthurns wurde, dessen Ankauf ihm als ein höchst vortheilhafter bezeichnet worden war.

Es war im Frühherbste. Die Räder der Mühle standen, denn es hatten alle Hände mit dem Einbringen und Bergen der überaus reichen Ernte zu thun. Eben wieder war ein Wagen voll prächtiger Roggengarben vor der beinahe gefüllten Scheune abgeladen worden, und nun saß die Familie des Müllers nebst den Knappen und Dienstboten um den im Freien aufgestellten Tisch, um das Vesperbrod einzunehmen.

Die Müllerin war eine jener Frauen, welche, obgleich sie stets mit Sorge und Arbeit zu kämpfen haben, doch niemals alt werden. Das treue, ewig heitere Gernüth übt einen erhaltenden Einfluß auf die Gestalt und die Gesichtszüge, und die Jahre gehen vorüber wie die Stürme an der Eiche; sie rütteln, sie schütteln, aber sie bewirken nur, daß sich die Wurzeln immer tiefer in den Boden gründen. Neben ihr saß ihr Ebenbild, ihre Tochter, ein kräftiges freundliches Mädchen, dessen Wuchs und Züge wohl geeignet waren, auch einen Mann zu fesseln, der sonst nicht an eine gewöhnliche Müllerstochter dachte.

Die originellsten Personen des kleinen Kreises waren jedenfalls die beiden Knappen. Der Eine hatte die Jugendjahre längst schon hinter sich. Er war lang und stark gebaut und besaß eine Nase, über welche man beinahe hätte erschrecken können. Der Ausdruck Habichtsnase sagte nichts, geradezu nichts, diesem riesigen Theile des Gesichtes gegenüber, der bei einer entsprechenden Haltung seines Besitzers und der geeigneten Stellung der Sonne leicht einen fünf Meter langen Schatten geben konnte. Und das Eigenthümlichste an dieser Nase war, daß sie an jedem Gefühle und Gedanken, an jeder Bewegung und an jedem Worte des Knappen sich durch eine entsprechende Färbung, Haltung oder Bewegung zu betheiligen strebte.

Im Gegentheile von ihm hatte der andere Knappe gar keine Nase. Er hatte sie jedenfalls durch irgend einen Unglücksfall verloren und besaß nun jenen eigenthümlichen Ton der Stimme, welcher nasenlosen Leuten unvermeidlich ist. Dazu war ihm das linke Bein am Knie amputirt, und er trug an Stelle des fehlenden Gliedes einen hölzernen Stelzfuß, welcher zu besserer Haltbarkeit sehr dick mit Eisen beschlagen war.

»Wie steht es, Klaus,« frug der Müller den Langnasigen. »Werden wir noch heut den Roggen hereinbringen?«

»Versteht sich ganz von selber, Meister Uhlig!«

Er nickte während dieser Antwort, und es war drollig anzusehen, daß sich dabei die Spitze seiner Nase erst hob, dann schnell senkte und nachher in ihren früheren status quo zurückkehrte. Den Andern fiel dies nicht auf, da sie diese Beweglichkeit des Riechorganes bereits gewohnt waren.

»Wenn nicht vielleicht ein Gewitter kommt!«

»Fällt ihm nicht ein!«

Ohne daß er den Kopf bewegte, ging die Nase herüber und hinüber, um zu bekräftigen, was ihr Besitzer ausgesprochen hatte.

»Brendel kann Dir heut nicht mehr helfen.«

»Ich?« frug der Stelzfuß verwundert. »In wie so denn, wenn ich fragen darf?«

»Der Braune ist lahm geworden; Du mußt zum Thierarzt reiten.«

Auf allen Mienen zeigte sich ein erwartungsvolles Lächeln. jeder wußte, daß Brendel vor nichts so großen Abscheu hatte, als vor dem Reiten, und daß der Meister diese Bemerkung nur machte, um ihn in Angst zu bringen und ihn zu vermögen, die Geschichte zu erzählen, welche sie Alle längst kannten, weil er sie bei jeder Gelegenheit wieder auftischte.

»Reiten? Zum Thierarzte? In wie so denn? Kann ich nicht laufen?«

»Nein. Es ist zu weit.«

»So will ich fahren!«

»Geht nicht. Du hast nur ein Bein, und der Schimmel muß einmal gehörig in Gang genommen werden. Es bleibt also dabei, Du reitest!«

»Dann mag doch der Klaus den Weg machen. Er ist Wachtmeister bei den Kürassieren gewesen und versteht es besser als ich, den Schimmel in Gang zu bringen.«

»Der muß beim Wagen bleiben. Fürchtest Du Dich denn?« »Ich mich fürchten? In wie so denn? Aber ich reite nicht; ich reite sogar niemals.«

»Aber wenn ich es Dir befehle!«

»Das ist schlimm!«

»Warum?«

»Ich darf nicht reiten.«

»Nun, warum? Heraus damit!«

»Sie wissen es ja schon!«

»Ich? Was denn?«

»Von dem Gelübde.«

»Pah! Was denn für ein Gelübde?«

»Daß ich im ganzen Leben niemals wieder reiten will.«

»Ja, zum Teufel, warum eigentlich?«

»Na, wenn Sie es nicht wissen, da muß ich es erzählen, denn in wie so denn, weil Sie sonst denken, ich will Ihnen nicht gehorchen.«

»Nun —!«

»Das war also damals, und ich stand als Knappe in der Sonntagsmühle. Da kommt eines schönen Tages ein Roßkamm und bietet uns ein Pferd an, einen Apfelschimmel, der aber keine Apfeln mehr hatte, denn in wie so denn, er hatte sie vor Alter längst wieder verloren. Das Thier war nicht zu hoch, aber kräftig gebaut und recht gut erhalten. Es trug das Militärzeichen und hatte bei den Husaren gedient. Dann hatte es ein Pferdeverleiher gekauft, und weil es gar so ein frommes Pferd gewesen war und einen Trompeter getragen hatte, kam es sogar zuweilen in das Theater, denn in wie so denn und in wie fern denn, es gibt doch Stücke, in denen ein Schauspieler zuweilen auf einem wirklichen lebendigen Pferde erscheinen muß. Dann wird die hintere Theatertreppe so vorgerichtet, daß das Pferd leicht hinauf kann und gleich auf die Bühne kommt. Nachher war es älter geworden, und der Pferdeverleiher hatte es an den Roßkamm verhandelt, von dem wir es auch wirklich kauften.«

»War es denn wirklich noch brauchbar?«

»Ja. Ein Bischen maulfaul war es, denn in wie so denn, es geht den Pferden wie den Menschen; je älter man wird, desto mehr hört das zarte Gefühl im Maule auf, und wenn es einmal den Rappel bekam, so mußte man es gehen lassen, weil es dann nicht zu lenken war.«

 

»Hast Du es denn auch geritten?«

»Allerdings; ich hatte ja damals noch kein Gelübde gethan. Eines schönen Nachmittages nun mußte ich in die Stadt. Ich setzte mich auf den Schimmel, ritt fort und kam auch wohlbehalten an. Weil ich aber sehr viel zu besorgen hatte, konnte ich erst spät an die Rückkehr denken. Ich mußte über den Theaterplatz, den mein Schimmel sehr gut kannte. Unglücklicherweise wurde ein Stück gegeben, welches ich damals noch gar nicht kannte, das ich mir aber nachher mit angesehen und genau gemerkt habe, denn in wie fern und in wie so, es hat mich ins Malheur gebracht und ist schuld an dem Gelübde, welches ich gethan habe.«

»Wie heißt das Stück?«

»Es heißt »die Stumme von Portici,« und es kommt ein Kerl darin vor, ein gewisser Masaniello, ein Fischer, der Rebellion macht und auf einem lebendigen Pferde auf die Bühne geritten kommt. Dazu nun war früher mein Schimmel gebraucht worden, und er kannte nicht nur das Stück und die Musik, sondern auch den Weg von der Straße bis hinauf hinter die Koulissen ganz genau.«

»Aha!«

»Ja, nun kommt es, das Unglück! Also ich reite über den Theaterplatz; da fangen auf einmal drinnen die Pauken, Trommeln und Trompeten an, und es beginnt eine Musik, die meinem Schimmel bekannt vorkommen muß, denn in wie fern denn und in wie so denn, er spitzt die Ohren, fängt an zu schnauben, steigt in die Höhe und schüttelt ganz bedenklich mit dem Kopfe. Wieder wirbelt, klingt und donnert es drinnen los, und das Volk von Neapel singt die Worte, die ich nachher auswendig gelernt habe, weil sie schuld an meinem ganzen Peche sind:

 
»Geehrt, gepriesen
Sei der Held, den Ruhm bekränzt!
Frieden gab uns der Sieger,
Von Edelmuth umglänzt!«
 

Es war gerade, als ob der Schimmel diese Worte auch auswendig gelernt hätte. Er hatte oft da oben gestanden, als »Held und Sieger,« von »Edelmuth und Ruhm bekränzt,« und nun gab es kein Halten mehr. Ich konnte schreien, rufen, ziehen, zerren, schimpfen und fluchen, mit Händen und Füßen stampfen und strampeln, wie ich wollte, es half nichts, denn in wie so und in wie fern, wenn so eine Kreatur infam werden will, so wird sie infam.«

»Also er ging durch?

»Natürlich! In drei Ellen langen Sätzen flog er auf das Theater zu. Ich stand noch im letzten Lehrjungenjahr und hatte mir, um groß zu thun, dem alten Müller seine Meerschaumpfeife wegstibitzt und seine großen Kanonenstiefeln dazu, die mir um die Beine schlotterten, wie ein Paar alte blecherne Ofenrohre um eine Bohnenstange, wenn man die Sperlinge vertreiben will. Eine weiße Mehlhose, eine weiße Mehljacke und eine weiße Zipfelmütze, so saß ich auf dem weißen Gaule. Dieser kannte seinen Weg sehr genau. Wie ein Affe kletterte er an der Treppe empor, die jetzt beinahe wie eine Brücke aussah. Dann ging es einen engen Gang hinter, auf dem nur eine einzige Lampe brannte und wo ich mich auf allen Seiten stieß und quetschte. Nachher wurde es lichter; ich sah die Koulissen und die strahlende Bühne. Dort war ein ganzer Haufe Volks versammelt; Masaniello wurde auf seinem neuen Schimmel vorgeführt, und der Triumphzug sollte beginnen. O weh!«

»Du bist doch nicht etwa hinaus auf die Bühne?«

»Wohin denn sonst? Der Schimmel war ja hartmäulig! Mit der Linken mußte ich die Meerschaumpfeife festhalten, und mit der Rechten hatte ich mich an das Viehzeug geklammert, daß es nicht parterre mit mir gehen sollte. Da fängt drin das Chor der Rache nach derselben Melodie von vorhin zu singen an:

 
»Noch heute soll der Stolze büßen,
ich schwörs, obgleich ihn Ruhm bekränzt!
Der feindliche Stahl trifft den Sieger,
Wenn auch Hoheit ihn jetzt umglänzt!«
 

Da macht mein Schimmel einen Riesensprung, den man eine Lanade nennt, und im nächsten Augenblicke fliege ich mit ihm mitten in das Volk von Neapel hinein; meine Meerschaumpfeife fliegt dem Rebellen Masaniello ins Gesicht, mein rechter Stiefel wirbelt links und der linke wirbelt rechts vom Beine herunter, der eine in die Musikanten und der andere gar in die Zuschauer hinein, denn in wie fern denn und in wie so denn, sie waren mir ja viel zu groß und weit; der richtige Schimmel beißt nach dem falschen, und der falsche schlägt nach dem richtigen; es wird ein Heidenskandal, Mordspektakel; das ganze Volk von Neapel mit dem ganzen Chor der Rache stürzt auf mich herein und reißt mich vom Pferde; der Vorhang fällt dem geehrten Publikum vor der Nase zu; das »Ehrikum« sitzt draußen und brüllt vor Lachen; ich aber werde von sechzig Fäusten »durchgepubelt,« daß mir die Schwarte knackt, und als ich wieder zur Besinnung komme, liege ich zerschunden und zerschlagen draußen vor dem Theater, die Kanonenstiefeln krümmen sich vor mir, als ob sie Kolik und Leibschmerzen hätten, die Meerschaumpfeife hatten sie mir in die Zipfelmütze gewickelt, aber der Stiefel, der Kopf und die Spitze waren nicht aufzufinden gewesen, rechts vor mir steht der Schimmel und macht ein Gesicht, als ob er das Chor der Rache verschlungen habe und nicht wieder von sich bringen könne, und links steht ein Polizeidiener, der nur darauf gewartet hat, daß ich wieder zu Athem kommen soll, um mich nachher zu arretiren.«

»Hat er Dich denn wirklich mitgenommen?«

»Natürlich; mich sammt dem ganzen Schimmel! Ich mußte auf die Polizeiwache, bekam einen fürchterlichen Verweis, aus dem sich der Schimmel gar nichts, ich mir aber sehr viel machte, und dann trollte ich mich von dannen. Draußen aber vor der Stadt ließ ich den Schimmel halten, reckte alle zehn Finger und auch die Kanonenstiefel zu den Sternen empor und that den grimmigen Schwur, in meinem ganzen Leben niemals wieder eine solche Bestie zu besteigen, denn in wie fern denn und in wie so denn, ich hatte mit diesem einen Male mehr als genug!«

»Aber wie war es nachher beim Militär?«

»Ich wurde für die Reiterei ausgehoben und kam zu den Husaren, wurde aber später zur Infanterie versetzt. Das war eine böse Zeit, die ich niemals vergessen werde.«

»Warum versetzt?«

»Weil ich nicht auf das Pferd zu bringen war. Und schafften sie mich ja einmal links hinauf, so machte ich sofort, daß ich schleunigst rechts wieder herunter kam. Dem Pferde ging es dabei gut, mir aber desto schlechter, denn in wie fern denn und in wie so denn, mein Rücken sah stets himmelblau und im Arrestlokal hatte ich mein immerwährendes Standquartier.«

»Und wie ging es bei der Infanterie?«

»Besser, nämlich bis der Krieg kam. Ich bin stets ein alter seelenguter Kerl gewesen und kann nicht dazu kommen, einen Menschen zu erschießen oder das Bajonnet durch den Leib zu rennen. Als daher die Kanonen anfingen zu brummen und ich auch mit todtschlagen sollte, da that ich, als hätte mich eine Kugel getroffen und legte mich in einen Graben. Aber da kam die Kavallerie herangesaust; es waren Kürassiere, und das Pferd eines Wachtmeisters trat mir auf das Knie, hols der Teufel! Die Unsrigen wurden zurückgeworfen, und als ich mich davon machen wollte, fielen ein paar feindliche Hallunken über mich her. Ich sollte mit und wollte nicht. Der Eine holte mit dem Säbel aus, und weil ich mich in diesem Augenblicke umdrehte, so traf die Klinge nicht meinen Rücken, sondern sie fuhr mir an dem Gesichte vorbei und nahm mir die Nase weg. Ich habe sie gar nicht wieder gefunden, und an dem ganzen Unglück ist hier der lange Klaus schuld, denn er ist der Wachtmeister gewesen, dessen Pferd mich getreten hat, so daß ich nicht ausreißen konnte. Und nachher wurde mir auch das Bein abgeschnitten, weil der Brand dazugekommen war.«

»Laß es gut sein, Alter,« meinte der andere Knappe. »Ich konnte ja nicht dafür, denn ich hatte Dir ja nicht geheißen, Dich in den Graben zu legen. Und da wir uns einmal zusammengefunden haben, werde ich Dich auch nie wieder verlassen.«

Er reichte ihm die Hand, welche Brendel mit sichtbarer Rührung drückte. Der alte Wachtmeister hatte nun bereits seit langen Jahren treu zu ihm gehalten und stets so an ihm gehandelt, daß es ihm leichter wurde, den Verlust seines Beines und seiner Nase zu ertragen.

Das Essen war beendet und die Leute erhoben sich, um wieder an ihre Arbeit zu gehen. Anna, die Tochter, war noch mit Abräumen beschäftigt, als ein Reiter durch die Schlucht kam, bei dem Anblicke des hübschen Mädchens stutzte und dann sein Pferd in schnelleren Gang versetzte. Vor dem Tische hielt er an und stieg ab. Sie sah, daß es ein vornehmer Herr sein müsse.

»Guten Tag, mein schönes Kind!« grüßte er. »Darf ich fragen, wer Du bist?«

»Ich bin die Tochter des Müllers,« antwortete sie.

»Das ist nicht wahr. Der Müller hat gar keine Tochter!«

»Ja, der vorige!«

»Ach so!« meinte er, sich besinnend. »Es ist ja ein neuer Müller hier. Wo ist er her?«

»Von drüben herüber, aus Norland.«

»Ah! Wie heißt er?«

»Uhlig.«

»Und Du?«

»Anna.«

»Ein hübscher Name, mein Kind! Kann man bei Euch ein Glas Milch bekommen?«

»So viel Sie wollen.«

»So bringe es mir dort in jene Laube!«

Er band sein Pferd an den nächsten Baum und schritt der Laube zu. Nach einiger Zeit brachte Anna das verlangte Getränk. Er musterte das Mädchen mit einem Blicke, der sie hoch erröthen machte, und ergriff ihre Hand.

»Sage einmal, hast Du bereits einen Schatz?«

»Sind solche Fragen hier in der Sitte?« antwortete sie.

»Nicht nur hier, sondern überall. Ich muß wissen, ob Du einen Geliebten hast.«

»Warum?«

»Du bist ein reizendes Wesen, und wenn Du noch frei bist, so mußt Du mein werden.«

»Danke sehr! Dann will ich ihnen lieber gleich sagen, daß ich bereits versehen bin.«

»Ah! An wen?«

»Meine Sache!«

»Auch gut! Aber einen Kuß hast Du doch wohl auch an einen Andern übrig?«

»Nein.«

Er versuchte sie an sich zu ziehen; es gelang ihm nicht; ebensowenig aber konnte sie ihre Hand, die er fest gefaßt hielt, aus der seinigen bringen.

»Nicht? So nehme ich ihn mir!«

»Das werden Sie nicht thun!«

»Warum?«

»Weil ich es nicht leide.«

»Wollen sehen!«

Er faßte sie nun auch mit der Linken; sie aber schob ihn sehr kräftig zurück.

»Lassen Sie mich gehen. Ich habe mehr zu thun, als mich mit Fremden herumzubalgen!«

»Ich aber balge mich gern, zumal mit einem so hübschen Mädchen wie Du bist.«

»Sie scheinen aber nicht immer gut dabei zu fahren!«

»Wie so?«

»Man sieht es ja Ihrem Gesichte an, in dem die Schwielen und Narben noch zu sehen sind. Lassen Sie mich endlich sonst weiß ich mich zu wehren!«

»Pah, einen Kuß!«

Er umfing sie wirklich und spitzte bereits die Lippen; da aber holte sie aus und gab ihm eine solche Ohrfeige, daß er sie fahren ließ. Sie sprang zur Laube hinaus.

»Donnerwetter!« rief er. »Das sollst Du mir büßen!«

Er eilte ihr nach, und es gelang ihm, sie wieder zu ergreifen.

»Lassen Sie mich, Sie Unverschämter, sonst rufe ich um Hilfe!« drohte sie.

»Rufe doch!« antwortete er, sie fest an sich drückend.

»Hilfe!«

Es hätte dieses Rufes nicht bedurft, denn bereits war der Müller aus der Thür getreten und kam herbeigesprungen.

»Herr, was wollen Sie? Lassen Sie los!«

»Nicht eher, als bis ich meinen Kuß erhalten habe!«

»Da kannst Du warten, Bürschchen!«

Mit diesen Worten faßte der Müller zu, und zwar so kräftig, daß der Fremde das Mädchen augenblicklich freigab.

»Hund, Du wagst es, Dich an mir zu vergreifen!«

»Kerl, rede anständig mit mir, sonst zeige ich Dir, wie man mit ehrlichen Leuten zu verkehren hat! Du stehst hier auf meinem Grund und Boden.«

»Oder auf dem meinigen! Weißt Du, wer ich bin? Kennst Du mich?«

»Nein, habe aber auch gar kein Verlangen darnach. Trolle Dich von dannen!«

»Ganz, wie es mir beliebt! So höre: ich bin Prinz Hugo, dem das Schloß dort gehört!«

Der Müller erschrak doch ein wenig, faßte sich aber sofort wieder.

»Das glaube, wer da will, ich aber nicht. Ein königlicher Prinz stellt keinem braven bürgerlichen Mädchen nach!«

»Zuweilen doch, wenn es ihm Vergnügen macht. Ich verlange meinen Kuß. Erhalte ich ihn, so bin ich bereit, Dir zu vergeben.«

»Meine Tochter küßt keinen Andern als Den, der ein Recht auf ihre Liebe hat. Und zu vergeben haben Sie mir nicht das Mindeste. Sind Sie wirklich Prinz Hugo, so zolle ich Ihnen gern die Ehrerbietung, welche ich Ihnen schuldig bin, kann aber nicht dafür, wenn Sie sich so verhalten, daß diese Ehrerbietung unmöglich ist.«

»Oho! Ich bin Dein Herr, und werde Dir zeigen, wie Du Dich zu verhalten hast!«

 

»Das weiß ich auch ohnedies. Ich fürchte Gott, thue recht und zahle meine Steuern; mehr kann Niemand verlangen, und mein Kind lasse ich mir nicht beleidigen und schimpfiren.«

»Beleidigen? Schimpfiren? Mensch, kann es eine größere Ehre für Dich und Deine Tochter geben, als wenn sie mir gefällt?«

»Danke für diese Ehre! Königliche Hoheit, trinken Sie Ihre Milch, wie es sich gehört, und Sie werden mir stets willkommen sein; sonst aber muß ich mir Ihre Gegenwart verbitten.«

»Ganz wie Du willst; aber Du sollst an mich denken!«

Er bestieg sein Pferd und ritt davon. Sein Weg führte ihn die Burgstraße empor, welche in zahlreichen Krümmungen und Windungen zur Höhe stieg und zuerst an dem Nonnen- und dann am Mönchskloster vorüberführte. Einige hundert Schritte noch über dem letzteren lag ein kleines Kapellchen. Es enthielt ein Marienbild, welches wegen seiner Wunderthätigkeit weithin berühmt war und jährlich zweimal den Zielpunkt außerordentlicher Wallfahrten bildete. Dann herrschte ein sehr reges Leben auf dem Berge, welcher sich in einen ungeheuren Meß- und Belustigungsplatz verwandelte. Die Herren Patres gaben der heiligen Mutter Gottes ihre Erlaubniß, irgend ein in die Augen fallendes Wunder zu verrichten, verkauften Rosenkränze und Heiligenbilder und vertauschten ihren Segen gegen klingendes Metall, welches reichlich einzufließen pflegte.

Jetzt war die Straße und das Kapellchen leer, und nur hinter dem letzteren ertönte eine Stimme, welche Befehle zu ertheilen schien. Der Prinz lenkte sein Pferd um das kleine Gebäude herum und erblickte einen ungefähr sechzehnjährigen Knaben, welcher einen vor ihm sitzenden Hund Kunststücke zu lehren schien. Dabei aber war er noch bei einer zweiten Beschäftigung, welche allerdings sehr eigenthümlich genannt werden mußte.

Der Hund hatte den Prinzen bemerkt und knurrte. Der Knabe wandte sich um und erblickte den Reiter, ließ sich aber in seiner Arbeit nicht im mindesten stören. Es schien nicht diese Arbeit allein, sondern noch etwas Anderes zu sein, was den Prinzen frappirte. Er lenkte sein Pferd hart an den Knaben heran und frug mit barscher Stimme:

»Kerl, was thust Du hier?«

Der Gefragte hielt es nicht der Mühe werth sich zu erheben; er blickte sehr unbesorgt empor und antwortete in einem sehr renitenten Tone:

»Das sehen Sie ja. Ich schmiere meine Stiefel!«

»Aber womit!«

»Mit Oel.«

»Aber dies ist ja die ewige Lampe hier aus der Kapelle!«

»Ja; aber das Oel ist ganz gut für die Stiefel.«

»Wie kommst Du von Fallum hierher, Bürschchen?«

»Von Fallum! Wo ist das?«

Jetzt stutzte der Prinz. Er fand hier eine höchst seltene und auffällige Aehnlichkeit, die er bewundern mußte. Nach einer schärferen Musterung des Knaben frug er:

»Heißt Du nicht Schubert?«

»Nein.«

»Und bist nicht der Stiefsohn eines Fischers im Seebad Fallum?«

»»Sie hören ja, daß ich gar nicht weiß wo Fallum liegt!«

»Wie ist Dein Name?«

»Franz Geißler.«

»Geißler? So heißt der Schloßvogt.«

»Das ist mein Oheim, bei dem ich jetzt bin.«

»Auf Besuch?«

»Für immer. Mein Vater, der sein Bruder war, ist gestorben, und da hat er mich zu sich genommen.«

Diese Worte wurden in einem Tone gesprochen, welchem anzuhören war, daß dem Knaben der Tod seines Vaters eine höchst gleichgiltige Sache sei.

»Was treibst Du denn bei ihm?«

»Ich? Nichts!«

»Du mußt doch etwas thun und etwas lernen!«

»Ist nicht nothwendig. Ich werde Diener oder Reitknecht beim tollen Prinzen.«

»Ah! Wer sagt das?«

»Mein Oheim. Wenn der Prinz kommt wird es abgemacht.«

»Dann bekommt er einen Diener, über den er sich freuen kann, einen, der seine Stiefel aus der ewigen Lampe schmiert. Das dürften die frommen Väter sehen!«

»Fromm? Sie sollten nur wagen mich auszuzanken! Komm, Tiras, ich bin fertig!«

Er erhob sich, trug die Lampe in das Kapellchen und verschwand dann mit seinem Hunde hinter den Bäumen, welche die Straße zu beiden Seiten einfaßten.

»Hm,« machte der Prinz, »ein kostbarer unverfrorener Bengel. Solche Subjekte sind sehr oft die brauchbarsten, welche man finden kann. Aber eine solche Aehnlichkeit ist mir noch nicht vorgekommen. Ich hielt ihn wahrhaftig für diesen Fallumer Schifferjungen, der an mich gedenken soll. Wer weiß, wie diese Aehnlichkeit noch einmal benützt werden kann.«

Er verfolgte seinen Weg weiter und gelangte zur Burg, deren Thor weit geöffnet war, da man seine Ankunft bemerkt hatte. Geißler, der Vogt, stand zum Empfange bereit, und hinter ihm diejenigen Bewohner des Schlosses, welche er in der Eile hatte zusammenraffen können.

»Königliche Hoheit, welch eine Ueberraschung! Hätte ich ahnen können, daß uns das Glück Ihrer Gegenwart bevorstehe, so wären sicher – »

»Schon gut! Sie wissen, daß ich Privatmann sein will, wenn ich Burg Himmelstein aufsuche. Meine Zimmer sind in Ordnung?«

»Stets, gnädiger Herr!«

»Dann vorwärts!«

Er stieg ab, warf die Zügel seines Pferdes einem Knechte und schritt über den Burghof hinweg gegen eine Treppe, welche ihn in diejenigen Räume führte, die er hier zu bewohnen pflegte. Das waren noch dieselben Gemächer, in denen die alten Himmelsteiner gehaust hatten, aber die alten Eichenmöbel waren verschwunden, um einer Einrichtung nach dem neuesten Stile Platz zu machen, und an Stelle der klein- und rundscheibigen Fenster waren große geschliffene Tafeln getreten, welche beim Untergange der Sonne wie glühendes Gold über das weite Land zu schimmern pflegten. Von hier aus hatten die alten Ritter dem edlen Handwerke des Wegelagerns obgelegen, und von hier aus setzte der Prinz dieses edle, ächt aristokratische Vergnügen fort, nur auch in einer Weise, welche den gegenwärtigen Zuständen angemessener war.

In seinem gewöhnlichen Wohnzimmer eingetreten, nahm er auf einem Sopha Platz.

»Etwas vorgefallen?«

»Nichts von Bedeutung, Hoheit.«

»Ihre Familie hat sich vergrößert?«

»Durch einen Neffen, dessen ich mich annehmen mußte, als sein Vater starb.«

»Bin ihm begegnet. Scheint ein sehr wohlerzogener Bursche zu sein.«

Das Gesicht des Vogtes verfinsterte sich.

»Der Bube ist mit dem Hunde fort. Ich hoffe nicht, daß er sich durch irgend eine Ungehörigkeit das Mißfallen des gnädigen Herrn zugezogen hat!«

»Nicht im Geringsten. Im Gegentheile, ich habe mich sehr über ihn amusirt. Er saß mit dem Hunde hinter der Kapelle, hatte sich die ewige Lampe aus derselben geholt und schmierte mit dem Oele seine Stiefel ein. Ich wäre neugierig das Gesicht zu sehen, welches ihm beim Atrappiren von den frommen Patres gemacht worden wäre.«

»Verzeihen Hoheit ihm diesen Knabenstreich! Der Junge hat wirklich keinen Begriff von der schweren Sünde, welche er begangen hat.«

»Pah; das hat er mit der heiligen Mutter Gottes abzumachen! Man soll der Jugend die Scheriagen nicht allzu sehr verkürzen, sonst zieht man sich Schwächlinge oder Duckmäuser heran. Uebrigens frappirte mich seine außerordentliche Aehnlichkeit mit einem Burschen, für den ich ihn wirklich ganz und gar gehalten habe. Sie lesen die Zeitungen?«

»Ein wenig.«

»Haben Sie mein Fallumer Abenteuer mit dem General von Helbig gefunden?«

»Allerdings. Ich begreife die geradezu riesenhafte Rücksichtslosigkeit nicht, mit welcher die dortigen Behörden diesen schauderhaften Fall behandelten. Ein Prinz von Süderland gegen einen schmutzigen Fischerjungen, öffentlich verhandelt und endlich gar in Strafe genommen. Solche Richter verdienen durchgepeitscht zu werden!«

»Eigenthümlich genug war es. Ich zeigte den Jungen an, und mich zeigte der General an; ich wurde zu einer mehrmonatlichen Gefängnißstrafe verurtheilt, von welcher ich mich nur auf dem Gnadenwege zu befreien vermochte, und den jungen sprach man frei, so daß ich noch die Untersuchungskosten zu tragen hatte. Das sind norländische Zustände, hahaha! Seit dort ein Schmiedesohn Kronprinz und ein Zigeunerbankert Herzog von Raumburg geworden ist, gilt königliches Geblüt noch weniger als Vagabundensaft. Und solchem obskuriösen Volke gibt man meine Schwester Asta zum Weibe!«

»Ist es wahr, daß General Helbig diesen Fischerbuben adoptirt hat?«

»Adoptirt nicht, doch beinahe so. Er hat ihn und seine Mutter zu sich genommen, um für seine Erziehung zu sorgen. Es wird eines schönen Tages die Zeit kommen, in welcher ich mit diesem Volke Abrechnung halte! Doch wie steht es mit der Komtesse?«

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