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Abdahn Effendi

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Er führte uns in das Haus, und zwar zunächst in den Raum, wo sich der Herd befand. Dort lagen auch die Ingredienzien. Sogar das Feuerholz hatte er bereits so angeschichtet, daß man nur das Schwefelholz daran zu halten brauchte, um die Flamme hervorzurufen.

»Siehst du, wie liebreich ich das alles eingeleitet habe?« sagte er. »Ja, ich bin eine Seele von einem Menschen! Und darum wirst du mir den Pöntsch so gut und so stark wie möglich machen! Wir verlassen dich, der Verse wegen, die du zu sagen hast. Wenn du fertig bist, so komm in die Stube gegenüber; da warten wir auf dich!«

Er führte Halef fort und ich konnte mein spirituoses Werk beginnen. Ich will Szenen, die ich schon beschrieben habe, nicht abermals wiederholen; es sei nur kurz erwähnt, daß der Mann mit der Bulldoggenphysiognomie durch den Punsch wenigstens ebenso unvorsichtig und plauderhaft gemacht wurde, wie drüben der Mann mit dem Vogelgesicht. Ich erfuhr ziemlich viel. Beide waren Kreaturen des dicken Effendi, überragten ihn in Beziehung auf die Intelligenz aber ganz bedeutend. Beide haßten ihn und betrogen ihn. Beide haßten und betrogen auch einander. Der persische Selim Achmed Agha lachte über den Abscheu, den sein türkischer Kamerad und Namensbruder gegen den Geruch der Leichen hatte, und die Art und Weise dieses Lachens ließ vermuten, daß der erwähnte Abscheu auf der anderen Seine eine ganz befriedigende Wirkung habe. Schließlich schlief der diesseitige Kommandant ebenso lallend ein, wie der jenseitige in Schlaf gefallen war. Wir betteten ihn bequem auf seine Kissen und gingen dann fort, ohne uns um weiteres zu bekümmern.

Es war erst zwei Stunden nach Mittag, für eine ausführliche Bärensuche aber doch bereits zu spät. Wir beschlossen also, wieder nach der Schneidemühle zu gehen, und suchten von der anderen Seite an sie heranzukommen. Wir stiegen also nicht wieder in das Tal hinab, sondern wir blieben auf der Höhe, um an dem Rand desselben hinzugehen. Indem wir dieses taten, bemerkten wir, daß Spuren von Stiefeln und Eselshufen in das Gebüsch hinunterführten. Das fiel uns auf. Wir folgten den Spuren und kamen an eine Stelle, an der es fürchterlich stank. Wir untersuchten sie.

Hier waren nach unserer Meinung unbedingt die drei Särge gefüllt und die drei Esel beladen worden. Die beiden Achmed Agha betrieben im Verein mit Abdahn Effendi eine großartige, sehr einträgliche Schmuggelei. Sie schmuggelten aber auch außerdem heimlich gegeneinander, der eine mit Hilfe gestohlener Passiermarken, die er seinen Waren aufklebte, und der andere, indem er Leichen imitierte. Das hiezu nötige Wild schoß er sich heimlich wohl selbst. Nach dem Orte zu suchen, wo er es aufbewahrte, bis es stank, war heute nicht nötig. Wir stiegen also wieder zur Höhe hinauf und wanderten der Mühle entgegen.

Wir kamen über den Oberlauf des ersten Baches und dann eine Stunde später an den Oberlauf des dritten Baches, an dem die Mühle lag. Wir folgten diesem. Als wir sie erreichten, befanden wir uns schräg gegenüber der Stelle, an welcher wir uns gestern hinter die Jasmine versteckt hatten. Die Müllerin war mit den Kindern im Garten. Sie schnitt Rosen. Auch den Müller sahen wir. Er band junge Obstbäume an die Pfähle. Wir schritten über die Weiden hinüber, gerade auf sie zu. Sie sahen es. Sie kamen an den Zaun. Der Müller auch. Als wir sie erreichten, grüßten wir. Ich sagte, daß wir Fremde seien und daß ich Rosen außerordentlich liebe. Sofort griffen die Kinder mit allen vier Händen in den Korb, um mir eine ganze Menge zu bringen. Ich aber bat nur um zwei, für mich eine und für Halef eine. Hierauf suchte die Müllerin die zwei schönsten aus und reichte sie uns. Ich nahm die meine und fragte:

»Weißt du schon, o Müllerin, daß die Engel des Gebetes am liebsten auf Blumendüften auf- und niedersteigen?«

»Ich hörte es,« antwortete sie.

»Du betest mit deinen Kindern: Erlöse uns von Abdahn Effendi und allen seinen Freunden! In diesem Gebete steigen deine Engel zum Himmel auf. Und auf dem Dufte dieser Rosen kehren sie zu dir zurück, um dir zu sagen: Euer Gebet ist erhört. Nur noch wenige Tage, so seid ihr erlöst.«

Und mich an ihren Mann, den Müller wendend, fuhr ich fort:

»Die Bedingung des türkischen Adjutanten ist bereits erfüllt: Gott hat den Christen gesandt! Nun warte getrost, was weiter geschieht! Lebt wohl! Und Dank für Duft und Rose!«

Ich ging schnell fort. Halef dankte auch und folgte ebenso rasch. Ihre Stimmen klangen hinter uns her. Wie sahen aber nicht zurück, sondern beeilten uns, im Walde zu verschwinden. Hierauf suchten wir den alten Waldhüter auf, der den Bären abermals gesehen hatte, und forderten ihn auf, bereit zu sein, uns morgen schon früh zu begleiten. Dann gingen wir heim.

Als wir dort ankamen, war es schon dunkel. Das Eßzimmer war leer. Man sagte uns, daß Abdahn Effendi sehr krank sei und mich bitten lassen, zu ihm zu kommen. Ich wurde nach seiner Schlafstube geführt. Da lag er in einem ganz eigenartigen Zustande. Seine Frau wußte weder aus noch ein mit ihm. Er hatte schon gleich am Vormittage »Pöntsch« gemacht, er selbst, mit Aloe, Knoblauch und Zwiebeln. Das war nichts Wunderbares; das hatte ich sogar erwartet. Aber er hatte ihn auch getrunken, und das war eine Leistung, die ich mir als keine menschliche denken konnte. Dann hatte er wie ein Klotz gelegen und geschlafen. Am Nachmittag war Bewegung über ihn gekommen. Er hatte sich hin- und hergeworfen und allerlei dummes Zeug gesprochen, besonders einige ganz eigentümliche Worte über sich selbst, die sie nicht begreifen könne. Ich wollte fragen, welche Worte das seien; da gab er mir die Antwort selbst und ungefragt. Er richtete sich halb auf, starrte wie in die Ferne und rief:

»Erlöse uns von Abdahn Effendi und allen seinen Freunden! Das soll ich sagen! Ich will nicht, ich will nicht! Aber ich fühle, daß ich muß, ich muß, ich muß!«

Dann fiel er wieder um. Er war ohne Besinnung. Er hatte uns gar nicht gesehen. War das nur der Rausch? Oder wirkte auch noch etwas anderes mit?

»Das sind die Worte, die ich meine,« sagte die Frau.

»Und was hat er außerdem noch alles gesprochen?« erkundigte ich mich.

Das brachte sie in große Verlegenheit. Sie schwieg. Sie konnte nicht antworten; sie durfte nicht; sie hätte ja alles verraten. Sie wollte die ganze Nacht hier sitzen bleiben und keinen Menschen zu ihm lassen. Mich habe sie nur fragen wollen, ob diese Krankheit schlimm und langwierig sei. Ich gab ihr den Bescheid, daß sich das erst morgen zeigen werde, und ging dann fort, um Abendbrot zu essen und mich dann schlafen zu legen. Die zweimalige Trinkerei hatte auch uns ermüdet.

Wir machten heute gar nicht erst den Versuch, in unserem Gast- und Wanzenzimmer zu schlafen. Wir machten uns gleich direkt auf dem Dache bequem, und zwar auf derselben Stelle wie gestern. Die zwei Achmed Agha hatten wir nicht zu erwarten, denn es war die Botschaft von beiden gekommen, daß sie heute Abend amtlich ungemein beschäftigt seien. Die verkappten Adjutanten waren daheim. Es brannte Licht in den beiden Stuben. Am anderen Morgen waren sie so zeitig wach wie wir, nämlich schon beim Tagesgrauen. Sie gingen an uns vorüber, als wir mit unseren Pferden einige Bewegung machten. Wir grüßten. Sie taten, als ob sie das nicht sähen, als ob wir gar nicht vorhanden seien.

Dann brachen wir auf zur Bärenjagd. Ich will nur kurz wiederholen, daß wir großes Glück hatten. Wir erlegten die beiden Alten und brachten die Jungen lebend mit heim. Das imponierte, und Abdahn Effendi gab uns, wie bereits erwähnt, den Auftrag, für ihn so viel Wild wie möglich zu liefern. Wir gingen darauf ein, weil es uns Vorteil brachte, ließen uns aber keineswegs dadurch verleiten, ihm als Fleischergesellen zu dienen. Auch das Wild ist Gottes Geschöpf!

Er hatte sich heute von seiner gestrigen Niederlage erholt, wenigstens körperlich, seelisch aber nicht. Man sah deutlich, es ging ihm unablässig irgend etwas im Kopfe herum, und er bewegte sehr oft die Lippen, als ob er heimlich mit sich selbst zu sprechen habe. Davon, daß er Pöntsch gekocht und getrunken hatte, sagte er kein Wort. Auch die beiden Kommandanten, welche heute wieder mit zu Abend aßen, schwiegen über ihre Gastereien und ihre Bombenräusche. Als sie später heimgingen und auch ich mich mit Halef entfernen wollte, bat er uns, noch einige Minuten zu warten; er habe uns eine Frage vorzulegen. Wir blieben also noch.

Zunächst warnte er uns vor dem Türken und dem Perser, die über uns wohnten. Die hatten ihm gesagt, er solle sich vor uns hüten, weil wir sicher weiter nichts als nur Pferdediebe seien. Solche Pferde und solche Menschen könnten höchstens nur durch Diebstahl zusammenkommen! Sodann fragte er speziell mich, der ich ja ein Gelehrter sei, ob ich etwas von den Krankheiten des Geistes wisse. Ich nickte. Da fuhr er fort:

»Ich komme mir seit gestern vor, als ob ich wahnsinnig werden solle. Es steckt ein fremder Kerl in mir, der mich zwingen will, etwas zu sagen, was die größte Dummheit ist, die es geben kann.«

»Was ist das, was du sagen sollst?« fragte ich.

»Das sage ich ja eben nicht! Es ist ein ganz bestimmtes Wort, ein ganz bestimmter Satz, mit dem ich innerlich geladen bin, wie eine Flinte mit der Kugel geladen ist. Und immerwährend greift eine Hand nach dem Drücker, um diesen Satz, diese Kugel abzuschießen. Das ist eine entsetzliche Qual! Ich habe nur immer auf diese Hand aufzupassen, daß sie den Drücker nicht erwischt! Kennst du das, Sihdi? Hast du schon einmal von so etwas gehört?«

»Ja; oft sogar!«

»Und gibt es ein Mittel dagegen?«

»Nein!«

»Allah ´l Allah!« rief er erschrocken aus. »Wirklich nicht?«

»Nein!« antwortete ich unerbittlich.

»So muß ich es sagen?«

»Unbedingt! Es gibt keine andere Hilfe!«

»Aber ich will doch nicht!«

»Du mußt! Du wirst gezwungen!«

»Es schadet mir!«

»Das ist nicht wahr! Es schadet dir nur, wenn du es darin behältst! Heraus muß es! Wenn du es nicht vor Menschen sagen willst, weil es dir schaden würde, so knie nieder und sage es Gott! Zu sagen hast du es! Die Hand, die nach dem Drücker greift, ist die Hand deines Gewissens. Dieses Gewissen will dich retten! Du sollst bekennen; du sollst beten! Du sollst ein anderes, ein neues Leben beginnen. Wenn du das nicht tust, so wirst du entweder verrückt, oder du stirbst!«

 

Da stand er von seinem Sitze auf, richtete sich stolz in die Höhe und sagte:

»Bekennen? Beten? Ein neues Leben? Ich glaube, nicht mir droht der Wahnsinn, sondern du wirst verrückt! Hältst du mich für einen Verbrecher, der sich zu bessern hat?«

»Wofür ich dich halte, kommt gar nicht in Betracht. Du hast mich nach Geisteskrankheiten gefragt und ich gebe dir Auskunft. Das ist eine Gefälligkeit von mir, die dich zu Dank verpflichtet, weiter nichts. Was dein Gewissen mit dir zu sprechen hat, kann ich nicht wissen. Und ob du das, was es dir befiehlt, den Menschen beichtest oder Gott, das ist mir einerlei. Aber ich kenne das und weiß, daß es kein Entrinnen gibt. Ist das Gewissen noch so sehr durch Arrak, Rum, Zucker und heißes Wasser betäubt und schläft es noch so fest in diesem Rausche, die Aloe, der Knoblauch und die Zwiebeln, die sich der Mensch so toll ins Leben mischt, sie wirken doch! Ein einziges Wort, welches dir zu Ohren kommt, steigt in die Tiefe deiner Seele, weckt dein Gewissen aus dem Schlafe und läßt dir nicht eher wieder Ruhe, als bis du dich entschieden hast, ob du gehorchen willst oder nicht. So steht es auch bei dir. Du hast dich zu entscheiden! Gute Nacht!«

Wir gingen und ließen ihn stehen, so starr und aufrecht, wie er stand. Ganz selbstverständlich wurde, als wir das platte Dach erreichten, das Kaminloch sofort geöffnet. Als ich durch dasselbe hinunter in die Stube schaute, öffnete sich soeben die Tür und der Basch Tschausch trat ein. Dieser Mensch schien also den Befehl zu haben, allabendlich auf unser Gehen zu warten und dann Bericht zu erstatten. Er hatte ausgekundschaftet, daß wir gestern in der Mühle gewesen waren und mit Ben Adl gesprochen hatten. Das erzählte er.

»Also daher die zwei Rosen, die sie oben bei sich im Wasser stehen haben!« sagte der Effendi. »Sie verkehren mit dem Müller. Sie sind vertraut mit ihm. Sie bekommen sogar Rosen geschenkt! Von jetzt ab werde ich dafür sorgen, daß immer einer der beiden Leutnants bei ihnen ist, damit sie nicht weiter spionieren können. Waren sie vielleicht schon in einer der Douanen?«

»Ja; sogar in beiden,« antwortete der Feldwebel.

»Wann?«

»Gestern.«

»Und das erfahre ich erst jetzt? Hütet euch! Wenn ich einmal aufhöre, Gemütsmensch zu sein, so schlage ich euch alle tot und schmeiße euch dann noch extra alle hinaus! Nehmt euch in acht, daß sie ja nichts von den Schmuggelkellern erfahren, die wir damals von den Regierungsgeldern heimlich mit in die Douanen bauten!«

»Und daß man durch die Brunnen zu ihnen hinuntersteigt!« fügte der Basch Tschausch lachend hinzu. »Das war der pfiffigste Streich, den wir uns jemals ausgesonnen haben! Die Regierungen haben die Keller selbst gebaut und auch selbst bezahlt, in denen wir unsere Schleichwaren verbergen! Sie selbst sorgen also, ohne daß sie es ahnen, für unsere Unterkunft und daß wir nie entdeckt werden können!«

»Ja, nie entdeckt! Das ist richtig!« stimmte der Dicke bei. »Mag man hier bei mit suchen, so viel man will, es ist nichts zu finden. Und wenn ja das Unmögliche geschähe, daß die Keller entdeckt werden, so findet man dort nicht ein einziges Haar, durch welches bewiesen werden könnte, daß du oder ich zu den Paschern gehören. Wir beide sind auf alle Fälle sicher. Und sollten einmal die vier Aghas erwischt werden, so mache ich mir nichts daraus, ja, es ist mir das sogar lieb, denn sie betrügen mich doch, wenn ich auch noch nicht habe entdecken können, wie!«

Was noch gesprochen wurde, bezog sich auf andere Dinge, die mit gleichgültig waren; ich stopfte also das Loch wieder zu; dann legten wir uns schlafen. Mochte man uns von morgen an immerhin strenger bewachen als bisher, wir konnten uns das gefallen lassen; wir brauchten nicht mehr zu forschen; wir wußten mehr als genug!

Am Montag waren wir gekommen. Heute war Mittwoch. Morgen, Donnerstag früh, gesellte sich, als wir birschen gingen, schon der türkische Leutnant zu uns. Er tat das in möglichst zufällig erscheinender Weise, und wir hüteten uns, ihn merken zu lassen, daß wir es besser wußten. Er blieb den ganzen Tag um uns. Am Freitag trat der persische Selim Agha an seine Stelle. Es war ekelhaft, wie bös es diese Menschen meinten und wie freundlich sie doch taten, sie alle fünf!

Man weiß, daß der Freitag der Wochenfeiertag der Mohammedaner ist. Abdahn Effendi nannte sich Imahm, war aber höchstens nur Vorleser. In seinen Bereich gehörten alle Bewohner der kleinen ärmlichen Hütten, die einzeln, weit zerstreut, mitten im Umkreise lagen. Ein Bethaus lag inmitten dieses Bezirkes, auf einem kahlen Hügel. Der Dicke lud uns ein, mit ihm zu gehen und dem Gottesdienst beizuwohnen. Wir taten es. Es war aber kein Gottesdienst, sondern eine Gottesschändung. Hieran schloß sich eine öffentliche Gerichtssitzung, die an jedem Freitag hier abgehalten wurde. Er war ja Schultheiß und Richter; Kadi nannte er es. Auch das war nichts als Narrenspielerei. Ich hatte den Eindruck, daß alle die versammelten Leute doch nur Schmuggler seien, die unter dem Deckmantel der Religion und der Rechtsprechung ihre verwerflichen Geschäfte besorgten. Als wir dann heimkehrten, erfuhren wir, daß inzwischen der Blitz, von dem wir an der Mühle gehört hatten, ganz pünktlich niedergefahren war. Heute, am vierten Tage, waren an den beiden Douanen zwei Boten eingetroffen, welche die Ankunft eines persischen und eines türkischen Adjutanten gemeldet und sich dann wieder entfernt hatten. Das einzige, worüber sie sich noch geäußert hatten, war, daß eine Untersuchung wegen Schmuggelei eingeleitet werden solle.

Daß dieser Blitz getroffen hatte, war den »zwei Seelen« anzusehen, als sie zum Mittagsessen kamen. Sie rührten das Essen fast gar nicht an und tranken auch nur Wasser. Gegen Ende der Mahlzeit sagte der türkische Achmed Agha zu mir:

»Sihdi, ich glaube, daß du mich für einen Mir Alai (Oberst) hältst; ich mache dich aber darauf aufmerksam, daß ich nur Kaimakam (Oberstleutnant) bis.«

Da fiel der persische Achmed Agha gleich auch ein:

»Derselbe Irrtum geschieht dir auch mit mir. Aus deinen Reden vermute ich, daß du glaubst, ich sei Särtix (Oberst); ich bin aber nur Särhäng (Oberstleutnant).«

Und beim Abendessen desselben Tages veränderten sich diese Chargen schon in der Weise, daß der Türke die vertrauliche Frage an mich stellte:

»Sihdi, ich habe dir heute Mittag gesagt, daß ich nur Bimbaschi (Major) bin. Halte mich nicht etwa für einen Kaimakam!«

Und der Perser sprach:

»Ich muß es dir in dein Gedächtnis zurückrufen, daß ich Yawär (Major) bin, keineswegs Särhäng, wie du zu denken scheinst.«

Nach diesem Abendessen machten die zwei Kommandanten keine Anstalt, nach Hause zu gehen. Sie hatten augenscheinlich die Absicht, zu bleiben, bis wir uns entfernt hatten. Darum gingen wir, beeilten uns aber, an unser Loch zu kommen. Während ich da lauschte, stand Halef Wache, um zu verhüten, daß die beiden Adjutanten mich überraschten. Sie verließen aber ihre Stuben des abends für keinen Augenblick.

Nun wir nicht mehr dabei waren, ging es unten sehr lebhaft her, aber verraten wurde nichts. Ein jeder hielt den andern für einen Betrüger; darum ging keiner aus sich heraus. Man kam während des Gespräches auf den Gedanken, daß die beiden Adjutanten gar nicht mehr unterwegs, sondern schon hier seien, doch inkognito, um leichter forschen zu können. Man hielt mich für den türkischen Adjutanten und Halef für meinen Schreiber; der persische Adjutant aber wohne nun schon über zwei Wochen hier, auch mit einem Schreiber. Beide Paare in den vier Stuben auf dem platten Dache. Wie bequem, uns in die Luft zu sprengen! Dieser Ansicht war besonders der Dicke. Die Achmeds aber zweifelten. Sie forderten, daß unbedingt noch einige Tage gewartet werde. Stelle sich dann weiter niemand mehr ein, so möge das Pulver sprechen, eher aber nicht.

Als wir am anderen Morgen zum Kaffee hinunterkamen, saß der türkische Selim Agha bereits da, um zu fragen, ob er uns wieder begleiten dürfe. Wir erlaubten es, und zwar mit großen Vergnügen. Da fuhr er fort:

»Effendi, du hast mich immer Mulasim (Leutnant) genannt; ich muß dich daran erinnern, daß ich nur Tschausch (Sergeant) bin. Auch mein Kamerad, der persische Selim Agha, ist nicht Naïb (Leutnant), sondern nur Bingsadeh (Sergeant).«

Hierauf fragte ich ihn, wo er sein Pferd habe; wir würden heut´ nicht gehen, sondern reiten. Da wurde er sehr betroffen und erklärte, daß er weder ein Pferd besitze, noch kavalleristisch reiten könne. Ehe er sich über diesen gänzlich unvorhergesehenen Fall bei Abdahn Effendi Rats erholen konnte, waren wir fort. So klein mein Hadschi Halef Omar war, so groß war der Spaß, den ihm das gab.

Wir ritten heut´, am Samstag, absichtlich in die Irre, ohne festen Plan und bestimmtes Wohin; im stillen aber fühlte sowohl ich als auch Halef, daß es uns nach der Mühle trieb. Wir kamen dort an, nachdem wir bis zum späten Nachmittag die weite Umgegend durchstrichen hatten. Auf den geschälten Stämmen vor dem Hause, die geschnitten werden sollten, saßen der Müller, die Müllerin und die beiden Adjutanten. Sie hatten uns noch eher gesehen als wir sie. Wir ritten hin und stiegen von den Pferden. Da standen die beiden Adjutanten auf und verabschiedeten sich, um zu gehen. Sie sahen uns gar nicht an. Das wurmte den kleinen Halef. Es war ihm unmöglich, zu schweigen. Er trat ihnen sofort in den Weg, grad vor sie hin und sagte:

»Ihr scheint blind zu sein; darum sollt ihr wenigstens hören! Wer Schmuggler fangen und Abdahn Effendi übertölpeln will, der muß es klüger anfangen als ihr. Er läßt euch schon über zwei Wochen lang auf euren Gängen nach der Mühle belauschen und ahnt schon längst, wer ihr seid!«

Die beiden sahen ihn auch jetzt noch nicht an.

»Was wollte der Knirps?« fragte der Perser im Tone unendlicher Verachtung.

»Mag Abdahn Effendi es wissen! Pferdediebe sind wir nicht! Des Abends betrunken sind wir nicht! Und an Engel glauben wir nicht!« ließ sich der Türke in demselben Tone hören.

Halef wollte den »Knirps« zurückgeben; ich aber winkte streng ab. Da trat er ihnen aus dem Wege. Sie gingen. Die Müllersleute befanden sich in Verlegenheit.

»Laßt euch das nicht quälen!« forderte ich sie auf. »Ihr habt mit diesen Männern von uns gesprochen und dabei erfahren, daß sie uns für Pferdediebe halten. Wie klug das von ihnen ist, magst du sehen.«

Wir zogen unsere türkischen und persischen Pässe aus den Taschen und gaben sie ihnen hin.

»Das ist gar nicht nötig!« rief die Müllerin. »Wir glauben euch!«

»Dein Mann soll sie aber lesen,« antwortete ich. »Es ist mein Wunsch!«

Er tat es. Als er sie überflogen hatte, verbeugte er sich tief und sagte:

»Ja, es war nicht nötig; aber ich kann doch nun diesen beiden Ungläubigen beweisen, daß wir recht hatten, als wir mit Begeisterung von euch sprachen. Ihr scheint viel mehr zu wissen, als wir selbst. Wir werden aber nicht wagen, euch mit Fragen zu belästigen. Unser Haus ist das eure. Tretet ein, wenn es euch beliebt!«

»Wir bleiben hier im Freien. Laßt eure Kinder kommen und einen Schluck Milch für uns. Zu sagen haben wir euch für heute noch nichts. Eure behördlichen Berater sind nicht wir, sondern die beiden Adjutanten. Wir treten nur dann für euch ein, wenn sie sich als unbrauchbar erweisen.«

Wie ich da gesagt hatte, so geschah es. Wir tranken Milch. Halef setzte die beiden Kinder auf unsere Pferde, die von den Eltern hoch bewundert wurden, und tummelte sich mit ihnen herum. Und ich unterhielt mich indessen mit diesem Manne und dieser Frau, die zwar erst in der Mitte der Dreißigerjahre stand, aber doch schon soviel Lebensernst und Lebenserfahrung besaßen, daß sie mir in hohem Grade vertrauenswürdig vorkamen. Ich fragte nach nichts. Dieser Besuch hatte nicht den Zweck, sie auszuforschen, sondern nur, sie überhaupt kennen zu lernen, um gegebenenfalls zu wissen, wie weit man für sie eintreten durfte oder nicht. Doch erfuhr ich immerhin einiges, was mir wichtig war. Hiezu gehörte vor allen Dingen die Neuigkeit, daß die Frau Abdahn Effendis heimlich hier gewesen war, um zu fragen, ob sie sich in den Schutz des Müllers flüchten dürfe. Sie könne es unmöglich mehr als Sklavin ihres Mannes und seiner Bekannten aushalten. Sie war stets eine heimliche Freundin der Müllersleute gewesen und darum hatten diese ihr den nachgesuchten Schutz zugesagt. Wo man sie unterzubringen gedenke, ob hier in der Mühle oder anderswo, danach erkundigte ich mich nicht. Aber ebensowenig verriet ich, woher wir wußten, was Mutter und Kinder gebetet hatten. Ich kann sagen, wir gewannen uns gegenseitig aufrichtig lieb.

 

Als wir dann am Abend nach Hause kamen, versorgten wir zunächst unsere Pferde und gingen dann zum Abendessen. Da saßen alle vier Agha mit dem Effendi beisammen, welcher natürlich schon aß, ehe noch die anderen angefangen hatten.

Es war das eine wirklich ausgebildete, direkte Gefräßigkeit, vor der ich ihn schon während der ganzen Woche gewarnt hatte und nun auch weiter warnte. Dieser dicke, fette, kurz- und starkhalsige Mann, der oft kaum atmen konnte, besaß alle Zeichen der gefährlichsten Schlaganfälligkeit in so hohem Grade, daß es einem angst und bange wurde, wenn er sich einmal aufzuregen begann. Dann färbte sich sein Gesicht blau; er zitterte am ganzen Körper, und alles deutete darauf hin, daß er ersticken wolle, und doch tat er auch gerade das, was geeignet war, diese seine Schlaganfälligkeit zu erhöhen. Seine Eß-, nein, Freßbegierde war geradezu widerlich, und leider durfte das, was ich dagegen vorbrachte, nicht deutlich sein, weil es ihn sonst beleidigt hätte. Ich konnte nur im allgemeinen sprechen, und da war er sehr weit entfernt davon, es auf sich zu beziehen.

Unser Kommen wurde mit einem Jubel begrüßt, der zu laut war, als daß er hätte aufrichtig und ehrlich sein können. Da gab es lauter »Gemütsmenschen«, lauter »Seelen von Menschen«, lauter »Freunde«! Besonders mit dem letzteren Worte warf man in einer Weise um sich, die nicht nur lächerlich, sondern geradezu beleidigend war. Wir nahmen das ruhig hin und taten, als ob wir es glauben.

Abdahn Effendi war sehr zerstreut. Er gab sich zwar Mühe, dies nicht merken zu lassen, doch vergeblich. Man sah zu deutlich, wie er von Zeit zu Zeit sich förmlich zusammenraffte. Es drückte ihn etwas schwer, sehr schwer, und sein Auge kehrte immer und unwillkürlich mit einem Ausdrucke zu mir zurück, als ob er bei mir Hilfe suchen wolle und doch nicht dürfe. Es war, als könne er sich nicht fassen. Er blieb nach dem Essen nicht sitzen. Es trieb ihn hinaus. Wir hörten seine zornige, scheltende Stimme bald von hier, bald von dort erschallen. Er brachte alles in Aufruhr. Dann legte er sich schlafen. So blieben auch die anderen nicht; sie gingen fort. Wir ebenso.

Am anderen Morgen war Sonntag. Wir blieben am Vormittag daheim. Wir sahen, wie sehr wir die verkappten Adjutanten störten. Nun die erwartete Botschaft aus Teheran und Bagdad gekommen war, wollten sie alles, was nun geschah, vom platten Dach herab heimlich beobachten, und da standen wir ihnen überall im Wege. Sie haßten uns! Einige Zeit vor Mittag sahen wir, daß Abdahn Effendi umherlief, überall eifrig fragend und suchend. Seine Frau war weg, war nirgends zu sehen, war verschwunden. Er hatte sich gestern abends mit ihr gezankt, hatte sie sogar geschlagen. Er hatte sich gleich heute früh wieder mit ihr gezankt. Da war sie gegangen, unbemerkt, still, ohne es ihm vorher zu sagen, ohne ihm vorher damit zu drohen. Das brachte ihn um alles Gleichgewicht. Er hatte nicht gewußt, daß diese wortlose, knechtisch gehorchende, niemals klagende Frau eigentlich seine einzige, seelische Stütze gewesen war, und nun, da er sie vergeblich suchte, brach sein Inneres langsam aber sicher zusammen. Als wir zum Mittagessen hinunterkamen, saß er am leeren Tische, das bläuliche Gesicht in beide Fäuste gestemmt.

»Wir essen in zwei Stunden. Es muß erst gekocht werden,« sagte er. »Meine Frau ist fort!«

Wir waren still. Da stand er langsam auf, kam ebenso langsam auf uns zu, blieb vor uns stehen, stierte uns mit irrem Blicke an und wimmerte:

»Nun werde ich es doch wohl sagen müssen!«

Dann aber gab er sich einen Ruck. Es war, als ob er aus einer Ohnmacht wieder zu sich komme, als ob er uns bis jetzt gar nicht gesehen habe. Er schaute uns zunächst überrascht an, zog dann die Stirne zusammen und fragte:

»Habt ihr es schon gehört? Sie ist fort!«

»Wer?« fragte ich.

»Meine Frau, das – — Weib! Sie ist eine heimliche Christin. Sie hat während der letzten Nächte an meinem Bette gesessen, von Abend bis früh, und auf das Wort und auf den Schuß gewartet. Sie betete. Ich sagte es nicht. Da ist sie verrückt geworden und gegangen. Ich weiß, sie kommt nicht wieder. Wir essen in zwei Stunden. Die Mägde werden kochen.«

Wir gingen. Als die zwei Stunden vorüber waren, stand der Tisch gedeckt. Er aß wie ein Wahnsinniger, so häßlich und so viel. Als er nicht mehr konnte, sprang er, ohne ein Wort zu sagen, von seinem Platze und rannte hinaus. Wohin, das wußte niemand. Kein Mensch bekam ihn an diesem Abend wieder zu sehen.

Am Montag früh schien alles wieder in Ordnung zu sein. Als wir zum Morgenkaffee hinunterkamen, saß der Dicke an seinem Platze und aß. Am Mittag tat er dasselbe, am Abende auch. Nichts schien ihm seinen Abend verdorben zu haben. Er unterhielt sich auch, doch nicht wie früher. Man fühlte, der Bogen war gespannt, das Gewehr geladen. Er ging schon vor uns schlafen. Aber daß er schlafen konnte, war unmöglich, und er sah am anderen Morgen auch wirklich so elend und so übernächtlich aus, wie einer, der sich die ganze Nacht zwischen Wachen und schlechten Träumen herumgeworfen hat.

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