Die Bibel in der Weltliteratur

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|11|2.2. Einzelne biblische Bezüge und Anspielungen

Zwei knappe Ausschnitte aus der Tragödie sollen illustrieren, wie Goethe biblisches Material an Stellen einbringt, die nicht wie der Prolog im Himmel insgesamt nach biblischem Vorbild gestaltet sind.

Menschliches Erkenntnisstreben bleibt vergeblichZunächst ein Ausschnitt aus der ersten Szene, „Nacht“, die Faust einführt (V. 354ff.). Faust hat in allen vier Fakultäten studiert, den Doktorgrad erworben und Studenten unterrichtet, und doch sieht er, „daß wir nichts wissen können!“ (V. 364). Diese Verzweiflung an der Unfähigkeit des Menschen zu erkennen, „was die Welt / Im Innersten zusammenhält“ (V. 382–383), teilt Faust, der sich als „gescheiter als alle die Laffen, / Doktoren, Magister, Schreiber und Pfaffen“ (V. 366–367) ansieht, mit dem Prediger Salomo, der nach Weisheit strebte, weiser war als alle und doch erkannte, „dass […] dies ein Haschen nach Wind ist. Denn wo viel Weisheit ist, da ist viel Grämen, und wer viel lernt, der muss viel leiden.“ (Pred 1,17–18)[13]. Weil die Wissenschaften ihn nicht weitergebracht haben, will Faust es mit der Magie versuchen (V. 377ff.), mit Geisterbeschwörung, die ihm die ihm gesetzten Grenzen überwinden helfen und die Weltordnung erschließen soll. Die Versenkung in ein magisches Buch schenkt ihm die Ahnung einer Entschränkung und lässt ihn ausrufen: „Bin ich ein Gott? Mir wird so licht!“ (V. 439).

Der Mensch will sein wie GottSein zu wollen wie Gott stellt eine Versuchung für den Menschen dar, die ihn zu Fall bringt, was die Sündenfallerzählung beispielhaft zeigt (vgl. Gen 3,5). Faust erscheint ein Erdgeist (V. 481), dessen genaue Natur und Identität jedoch geheimnisvoll bleiben, der Fausts Gottebenbildlichkeit verächtlich relativiert (511–517). Nachdem Wagner ihn unterbrochen hat, greift Faust wieder allein den Gedanken der Gottebenbildlichkeit des Menschen, der aus Gen 1,26–27 stammt, erneut auf (614–622). Als Ebenbild Gottes fühlt sich Faust wie (ein) Gott und nicht mehr wie ein „Erdensohn“, wie Adam, den Gott aus Erde schuf (Gen 2,7). Er fühlt sich aufgrund der Gottebenbildlichkeit einem Cheruben überlegen, einem göttlichen Wesen, das jedoch Gott untergeordnet ist[14]. Das verächtliche Wort des beschworenen |12|Geistes hat ihn jedoch buchstäblich wieder auf den Boden zurückgeholt, so dass er konstatiert:

Den Göttern gleich’ ich nicht! Zu tief ist es gefühlt;

Dem Wurme gleich’ ich, der den Staub durchwühlt,

Den, wie er sich im Staube nährend lebt,

Des Wandrers Tritt vernichtet und begräbt. (652–655)

Er fühlt sich nun wie die niedrigste Kreatur, die im Staub lebt und unversehens umkommt. Der Staub als ihr Lebenselement und ihr leicht eintretender Tod betonen ihre Vergänglichkeit. Zugleich mag der „Wurm“ auch die Schlange assoziieren, die nach dem Sündenfall des Menschen verflucht wurde, auf dem Bauch zu kriechen und Erde zu fressen und von den Nachkommen des Menschen zertreten zu werden (Gen 3,14–15). Diese Assoziation deutet darauf hin, dass auch Faust sich wie verflucht empfindet.

Bezüge zur Anthropologie der biblischen SchöpfungserzählungenDie genannten biblischen Bezüge und Anspielungen in dieser Eingangsszene der Tragödie verweisen auf Texte, die sich mit der Erschaffung des Menschen und seinem Sündenfall befassen und die Frage nach der Stellung des Menschen innerhalb der Schöpfung und gegenüber Gott implizieren. Es besteht eine Spannung zwischen der Gottebenbildlichkeit des Menschen nach Gen 1 sowie der durch die Verbotsübertretung erlangten gottgleichen Erkenntnis des Menschen nach Gen 2–3 und seiner Kreatürlichkeit, die seine Vergänglichkeit und Begrenztheit seiner Erkenntnismöglichkeiten einschließt. Eben diese Spannung macht Faust zu schaffen, weil er sich mit dieser Grundbefindlichkeit des Menschen nicht abfinden kann. Die biblischen Anspielungen passen zudem zur Figur des Faust, der ja auch als studierter Theologe eingeführt wird.

|13|Goethe hat eben diese genannten Verweise auf biblisches Gut bewusst gewählt; sie machen insofern die Eigenart seiner Bearbeitung des Faust-Stoffes aus. Das lehrt ein Vergleich mit der Eingangsszene von Christopher Marlowes The Tragical History of Doctor Faustus (zwischen 1587 und 1593): Dort geht Faust in seinem Studierzimmer die Fakultäten durch und zitiert jeweils kurze Sätze aus Werken, die für Philosophie, Medizin und Jurisprudenz bedeutsam sind. Für die Theologie holt er zum Abschluss die Bibel des Hieronymus, d.h. die Vulgata hervor und zitiert daraus zwei neutestamentliche Stellen (Römer 6,23 und 1Joh 1,8)[15], die den Tod als der Sünde Sold und die unbestreitbare Sündhaftigkeit des Menschen konstatieren. Durch die unterschiedlichen biblischen Verweise setzen Marlowe und Goethe je eigene Akzente in der Deutung des Titelhelden.

|14|3. Zu diesem Band

KonzeptDies Buch möchte nicht die Reihe der bereits vorhandenen klassischen Bibelkunden um ein weiteres Exemplar vermehren. Dennoch soll es Wissen über die Bibel vermitteln, allerdings mit einer Zuspitzung auf die Elemente, die in der literarischen Rezeptionsgeschichte der Bibel relevant geworden sind. Geboten wird also ein Überblick über die biblischen Schriften des Alten und Neuen Testaments, die schwerpunktmäßig in bedeutsamen Werken der „schönen Literatur“[16] aufgegriffen wurden. An ausgewählten Werken der Weltliteratur wird exemplarisch Einblick in die Wirkungsgeschichte der Bibel gegeben. Angestrebt wird damit eine interdisziplinäre Zusammenschau von Bibel und Literatur. Literaturwissenschaftlich Interessierten sollen Grundinformationen über die Bibel geboten werden, die ungebrochene Relevanz der Bibel für die Literatur soll demonstriert und dazu angeregt werden, biblische Bezüge und Spuren auch in hier nicht behandelten Werken wahrzunehmen und zu entdecken. Auf der anderen Seite soll theologisch und bibelwissenschaftlich Interessierten die reiche Rezeptionsgeschichte der Bibel in der Literatur exemplarisch illustriert werden, die manchen Bibeltext rückblickend in ein neues Licht rückt. Damit der Zusammenhang zwischen biblischer Vorlage und deren literarischer Rezeption leicht nachvollziehbar wird, folgen auf die Vorstellung biblischer Einheiten (Biblisch) jeweils unmittelbar Abschnitte zu literarischen Werken (Literarisch), deren Verfasser das einschlägige biblische Material nutzten. So sind die einzelnen Abschnitte je für sich lesbar.

VorentscheidungenEin Projekt wie dieses erfordert weitere Vorentscheidungen, die teils naturgemäß mehr oder minder subjektiven Charakter besitzen. Notwendig ist eine Entscheidung über den zugrunde gelegten biblischen Kanon. Ausgegangen wird hier in Umfang und Anordnung von dem altkirchlichen christlichen Kanon, also der griechischen Tradition, so dass die so genannten deuterokanonischen |15|bzw. apokryphen Schriften[17] einbezogen sind. Wegen ihrer Verbreitung, Wirkung und ihrer eigenen literarischen Qualität wird die Lutherübersetzung zitiert. Alle literarischen Werke werden in deutschen Übersetzungen geboten, um Einheitlichkeit und allgemeine Verständlichkeit der Darbietung zu gewährleisten.

Die Bibel wird in ihrer Gesamtheit betrachtet, also nicht nur in einem Ausschnitt, nicht nur eine biblische Gestalt (z.B. Hiob), ein Stoff oder dergleichen. Präsentiert wird eine Auswahl aus Werken der Weltliteratur, die – mit zwei Ausnahmen – vor 1945 entstanden. Alternativ wäre eine Beschränkung auf einen Sprachraum, eine Epoche (Barock, 20. Jh.) oder auf einen Schriftsteller (Shakespeare und die Bibel) denkbar. Gerade in der Sprachen, Zeit und biblische Materialien übergreifenden Präsentation scheint jedoch ein Reiz zu liegen, da damit ansatzweise eine literarische Kulturgeschichte in den Blick kommt.

Die Marginalia bieten inhaltliche Stichworte und erleichtern so die Orientierung. Das Sachregister ermöglicht es, Querverbindungen innerhalb des biblischen Schrifttums – dabei spielen die Bezüge zwischen Alten und Neuem Testament eine besondere Rolle – sowie zwischen biblischem Material und rezipierenden literarischen Werken aufzufinden.

[Zum Inhalt]

|17|A: Das Alte Testament
|19|Einleitung

Hebräischer KanonGrob betrachtet haben christliche und jüdische Glaubensgemeinschaften das „Alte Testament“[18] gemeinsam und sehen es als Glaubensurkunde an. Genau genommen muss man hier jedoch differenzieren: 39 Einzelschriften, die ursprünglich in hebräischer Sprache verfasst waren, wurden im Verlauf des 2. Jahrhunderts n.Chr. zu für jüdischen Glauben und religiöse Praxis verbindlichen Schriften erklärt, d.h. kanonisiert. Diese „Hebräische Bibel“ war nach dem Zeugnis der Vorrede (1,1) des Buches Jesus Sirach bereits im 2. Jahrhundert v.Chr. in drei Teile gegliedert. Sie erhielt später nach den Anfangsbuchstaben dieser drei Teile – Torah („Weisung“), Nebi’im („Propheten“), Ketubim („Schriften“) – die Bezeichnung „Tanak“.

 Die Torah oder der Pentateuch[19] umfassen die Bücher Genesis („Entstehung“[20]), Exodus („Auszug“), Leviticus („Priesterliches“ [sc. Gesetz]), Numeri („Zahlen“) und Deuteronomium („zweites Gesetz“) (Luther: 1.–5. Mose).

 Die Propheten sind in der Hebräischen Bibel unterteilt inVordere Propheten: Josua, Richter, die beiden Samuelbücher und die beiden Königebücher; undHintere Propheten: Jesaja, Jeremia, Ezechiel, Hosea, Joel, Amos, Obadja, Jona, Micha, Nahum, Habakuk, Zefanja, Haggai, Sacharja, Maleachi.

 

 Als „Schriften“ werden im Tanak zusammengestellt: Psalmen, Sprüche, Hiob, Hoheslied Salomos, Rut, Klagelieder, Prediger Salomo, Ester, Daniel, Esra, Nehemia, Chronikbücher.

Griechischer KanonDiese hebräischen Schriften waren bereits in vorchristlicher Zeit für den Gebrauch in Griechisch sprechenden jüdischen Gemeinden in Ägypten (Alexandria) ins Griechische übersetzt worden. Da der Legende[21] nach 70 bzw. 72 Gelehrte diese Übersetzung besorgt hatten, erhielt sie den Namen „Septuaginta“ (LXX). Dieser griechische Kanon umfasst über den Tanak hinaus noch weitere |20|sieben Schriften und einige Stücke, die als Deuterokanonische Literatur bzw. Apokryphen bezeichnet werden[22].

Es handelt sich um die Bücher Judit, Weisheit Salomos, Tobit, Jesus Sirach, Baruch, 1. und 2. Makkabäerbuch sowie zusätzliche Stücke zu Ester, Daniel (insbesondere die Geschichte von Susanna) und das Gebet Manasses.

War man lange der Ansicht, dass diese Teile ursprünglich in griechischer Sprache verfasst wurden, weiß man heute, dass von der Weisheit Salomos abgesehen auch diese Texte in hebräischen Fassungen existierten und vielleicht Übersetzungen aus dem Hebräischen sind. Die ältere Annahme spielt insofern noch eine Rolle, als sie sich auf den Stellenwert auswirkt, der diesen Schriften in den verschiedenen christlichen Konfessionen zugemessen wird. Da Luther sich dem humanistischen Prinzip des „zurück zu den Quellen“ entsprechend entschied, seiner Bibelübersetzung den Text des Alten und Neuen Testamentes in der jeweiligen Originalsprache zugrunde zu legen, übersetzte er das Neue Testament aus dem Griechischen und das Alte Testament aus dem Hebräischen, so dass Letzteres vom Umfang her mit dem jüdischen Kanon identisch war. Zwar übersetzte Luther auch die zusätzlich in der Septuaginta (und Vulgata) vorhandenen Bücher aus dem Griechischen, doch stellte er sie als gesonderten Block zwischen Altes und Neues Testament. Er schätzte diese Bücher zwar als „gut und nützlich zu lesen, aber nicht gleichen Ranges“ wie die Hebräisch vorliegenden Schriften, die hebraica veritas.

Anordnung in christlicher TraditionDie Anordnung der Schriften folgt in der christlichen Tradition einem grundsätzlich anderen Prinzip als in der jüdischen. An die fünf Bücher der Torah schließen sich die weiteren erzählenden Bücher an, die so angeordnet sind, dass die Geschichte Israels in chronologischer Abfolge dargestellt erscheint; es werden somit Bücher, die im hebräischen Kanon zu den Ketubim zählen, hier eingestellt. Abgesehen von den Klageliedern, die die Tradition dem Propheten Jeremia als Verfasser zuschrieb, und Daniel, der ebenfalls unter die prophetischen Bücher gerechnet wird, nehmen die fünf verbleibenden Bücher der Ketubim die mittlere Stelle im christlichen Kanon ein. An die Schlussposition rücken die prophetischen Schriften, denn sie enthalten einige Texte, die für die Zukunft einen Heilskönig, den „Messias“ |21|verheißen. Diese Verheißungen verstand man vom christlichen Standpunkt aus als Prophezeiungen, die Jesus Christus ankündigen. So leiten die prophetischen Schriften des Alten Testamentes in der christlichen Bibel über zum Neuen Testament.

Damit ergibt sich für das christliche Alte Testament folgende Anordnung[23]:

Pentateuch: Genesis, Exodus, Leviticus, Numeri, Deuteronomium,

Geschichtsbücher: Josua, Richter, Rut, 1. und 2. Samuelbuch, 1. und 2. Königebuch, 1. und 2. Chronikbuch, Esra, Nehemia, [Tobit, Judit], Ester, [1. und 2. Makkabäerbuch]

Lehrbücher und Psalmen: Hiob, Psalmen, Sprüche Salomos, Prediger Salomo, Hoheslied Salomos, [Weisheit Salomos, Jesus Sirach]

Prophetenbücher: Jesaja, Jeremia, Klagelieder Jeremias, [Baruch], Ezechiel, Daniel, Hosea, Joel, Amos, Obadja, Jona, Micha, Nahum, Habakuk, Zefanja, Haggai, Sacharja, Maleachi.

In dieser Reihenfolge werden die Schriften auch hier behandelt.

|22|1. Die Genesis (1. Mose): Anfänge

GesamtaufbauDas erste Buch der Bibel befasst sich mit dem Thema „Entstehung“ (grch. genesis), nämlich der der Welt und des Menschen (Gen 1–11) sowie des Gottesvolkes Israel, dessen Ursprung als die Geschichte der ersten drei Generationen der Stammväter – der so genannten Erzväter Abraham, Isaak und Jakob – geschildert wird (Gen 12–36). Als eigenständiger Komplex schließt sich die Josefsnovelle (Gen 37–50) an, die einerseits über die in ihr agierenden Hauptpersonen mit den Erzvätergeschichten zusammen hängt, andererseits aber die Brücke zum Exodusbuch (2. Mose) schlägt, indem sich der Schauplatz vom Gelobten Land nach Ägypten verlagert, wo das Geschehen des Exodusbuches beginnt.

1.1. Die biblische Urgeschichte (Gen 1–11)

Aufbau und InhaltDie biblische Urgeschichte setzt sich literarisch aus Erzählungen und genealogischen Listen (Stammbäumen) zusammen. Kritische Bibelwissenschaft führt die Gesamtkomposition auf mehrere Schriftsteller und Bearbeiter zurück. Dass Gen 1–11 nicht aus der Feder eines einzelnen Verfassers stammen kann, leuchtet unmittelbar ein, wenn man die beiden Schöpfungserzählungen nacheinander liest. Denn sie stellen – trotz einiger grundsätzlicher Gemeinsamkeiten – die Erschaffung der Welt und des Menschen so unterschiedlich dar, dass gewisse Widersprüche nicht zu leugnen sind.

Inhaltlich geht es um den Ursprung der Welt und des Menschen sowie um anthropologische Grundfragen nach der Stellung des Menschen in der Welt und gegenüber Gott, um seine Verantwortung und Schuld; hinzu kommt der Aspekt der Schöpfungsordnung sowie deren Gefährdung; schließlich werden die Anfänge der Kultur und der Geschichte bedacht. Wegen der Grundsätzlichkeit der angeschnittenen Fragen hat die Urgeschichte bis in die Gegenwart hinein besonders stark in der Literatur gewirkt.

|23|1.1.1. Die Schöpfung

Biblisch

Gott erschafft die Welt durch das Wort▪ Gen 1,1–2,4a – Die erste Schöpfungserzählung. Zu Beginn konstatiert der Erzähler überschriftartig zusammenfassend: „Am Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde.“(1,1) und bezeichnet so die eine Gottheit, die unhinterfragt da ist, als Schöpfer der Welt. Der Urzustand (1,2) ist ungeordnetes Chaos (hebr. tohû wābohû, „wüst und leer“) und lebensfeindlich („Finsternis“). Daraus macht der Schöpfergott[24] im Folgenden eine geordnete Welt und ermöglicht Leben. Er tut dies durch sein Wort: „Und Gott sprach“[25], „und es geschah so“[26]. Diese beiden festen Formulierungen durchziehen die Erzählung. Zwar wird an einigen Stellen auch von einem Handeln Gottes gesprochen – er scheidet Licht und Finsternis, macht die Himmelsfeste und die Gestirne –, doch scheint dies dem Schaffen als Sprechakt nachgeordnet.

Formelhafte SpracheWeitere feste Formeln prägen die Erzählung: Nachdem Gott es hat Licht werden lassen und Licht und Finsternis als Tag und Nacht voneinander getrennt sind, ist eine Zeitmessung möglich: „Da ward aus Abend und Morgen der erste Tag“ (1,5b). Eine entsprechende Formulierung beschließt jeden weiteren der sechs Schöpfungstage, an denen acht Schöpfungswerke entstehen: Licht, Himmelsfeste (vertikale Ordnung des Raums), Festland und Meer (horizontale Ordnung des Raums) sowie Pflanzen in einer Vielfalt von Arten als Kleid der Erde am dritten Tag, Gestirne (und mit ihnen Jahreszyklus und kalendarische Zeitrechnung), Fische und Vögel als Bewohner von Meer und Himmel, schließlich Landtiere und Menschen am sechsten Tag. Der abschließenden Tageszählung geht jeweils als feste Wendung die so genannte „Billigungsformel“ voraus: „und Gott sah, dass es gut war“. Gott benennt die ersten Schöpfungswerke (Tag, Nacht, Himmel, Erde, Meer), was nach altorientalischem Verständnis einen Herrschaftsakt darstellt, da nur einem Ranghöheren die |24|Namengebung gegenüber einem Untergebenen zusteht. Pflanzen, Fische, Vögel und Landtiere vom Insekt bis zum Säugetier werden in einer Vielfalt von Arten geschaffen („ein jedes nach seiner Art“), ohne im Einzelnen benannt zu werden.

Erschaffung des MenschenDen Abschluss und Höhepunkt der Schöpfungswerke bildet die Erschaffung des Menschen. Gott fordert sich eigens selbst dazu auf: „Lasst uns Menschen machen“ (1,26)[27]; er will den Menschen zu seinem Ebenbild erschaffen. Diese viel diskutierte Gottebenbildlichkeit des Menschen dürfte sich nach derzeitigem Forschungsstand eben darauf beziehen, dass Gott den Menschen zum Herrscher an seiner Statt einsetzt, so dass der Mensch in königlicher Stellung als Stellvertreter Gottes die übrigen Lebewesen beherrscht. Dies impliziert ein bevorzugtes Verhältnis des Menschen zu Gott und eine besondere Verantwortung. Wie den Fischen und Vögeln am fünften Tag (1,22) spricht Gott auch den Menschen, die er zeitgleich als männlich und weiblich geschaffen hat (1,27), SegenSegen zu. Was das bedeutet, führt jeweils die direkte Rede Gottes an Tiere und Menschen aus: „Seid fruchtbar und mehret euch“ (1,22.28). Gottes Segen fördert also Leben. Schließlich sieht Gott für Mensch und Tier eine vegetarische Ernährungsweise vor (1,29–30). Damit ist sein Schöpfungswerk vollendet: „Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut.“ (1,31).

Ruhen am siebten TagEinen zweiten Höhepunkt erhält die Erzählung durch den Schlussabschnitt über den siebten Tag als Ruhetag: Gott ruhte (hebr. šābat) „am siebenten Tage von allen seinen Werken, die er gemacht hatte. Und Gott segnete den siebenten Tag und heiligte ihn, weil er an ihm ruhte von allen seinen Werken“ (2,2–3). Der siebte Tag der Woche ist gesegnet, und das heißt, die mit ihm verbundene Arbeitsruhe ist lebensförderlich für den Menschen, der wie Gott an diesem Tag innehält. Zugleich ist dieser Tag geheiligt, für Gott ausgesondert und ihm vorbehalten, woraus sich die Bestimmung des Tages für gottesdienstliche Begehungen herleitet. Wenngleich der Sabbat hier nicht explizit genannt wird, klingt er in dem Verbum „ruhen“ (hebr. šābat) an, so dass der wöchentliche jüdische Ruhetag in der Weltschöpfung bereits angelegt erscheint.

|25|Gen 1 trifft die grundsätzliche theologische Aussage, dass der eine und einzige Gott alles geschaffen hat. Die Bestandteile der Schöpfung sind keine Gottheiten, und auch innerhalb der Schöpfung gibt es keine Götter. Diese Schöpfung ist wohl geordnet und daher sehr gut. Ein wie auch immer geartetes Potential zum Negativen wird nicht erwähnt. Der inhaltlich dargestellten Ordnung entspricht die Gestaltung der Erzählung, die streng durch das Sieben-Tage-Schema gegliedert und die wiederholten sprachlichen Wendungen charakterisiert ist[28].

Gen 2,4b–3,24 – Die zweite Schöpfungserzählung. Die einleitende Bemerkung, „Es war zu der Zeit, da Gott der HERR Erde und Himmel machte“ (2,4b), verknüpft die priesterliche Erzählung von der Weltschöpfung mit dem Folgenden. In dieser Geschichte tritt zu dem allgemeinen Begriff „Gott“ / „Gottheit“ der Name des Gottes Israels hinzu: Jhwh (Jahweh, von Luther stets wiedergegeben mit „[der] HERR“[29]).

Erschaffung des Menschen / MannesDer in dieser Erzählung zu Beginn vorausgesetzte Zustand wird negativ beschrieben: Es gab noch keine Pflanzen, Gott hatte es noch nicht regnen lassen, und es gab auch noch keinen Menschen, der das Land hätte bebauen können (2,5). Diese Einleitung lässt bereits erkennen, dass der Erzähler in landwirtschaftlichen Kategorien denkt. Aber es gibt Erdboden (hebr. ’adāmāh), den Nebel befeuchtet (2,6). Aus diesem Material formt Gott den Menschen (hebr. ’adām), genauer den menschlichen Körper, und bläst ihm Atem ein: „Und so ward der Mensch ein lebendiges Wesen.“ (2,7). Damit ist deutlich, dass der Ursprung des Lebens in Gott liegt; es bedarf seines Eingreifens, um bloße Materie zu beleben.

Die Bäume im GartenFür den Menschen pflanzt Gott als Lebensraum einen Garten in Eden an, in dem es auch fruchttragende Bäume gibt. Als |26|Besonderheit werden schon hier der Baum des Lebens und der Baum der Erkenntnis des Guten und Böse erwähnt (2,9b), die im nächsten Kapitel bedeutsam werden. In dem Garten entspringt ein Strom, der für reichlich Bewässerung sorgt und sich in vier Arme teilt, die den gesamten damals bekannten Orient durchfließen (2,10–14). Gott setzt den Menschen in den Garten Eden und beauftragt ihn, diesen zu bebauen und zu bewahren (2,15). Gott überträgt ihm die Verantwortung für den Garten. Doch ist diese Betätigung als Gärtner keine körperlich schwere Arbeit. Gott redet den Menschen an (2,16–17) und erlaubt ihm, die Früchte aller Bäume im Garten zu essen mit Ausnahme des Baumes der Erkenntnis: „denn an dem Tage, da du von ihm isst, musst du des Todes sterben.“ (2,17b).

 

Erschaffung der FrauGott selbst stellt einen Mangel innerhalb seiner Schöpfung fest: „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei“ (2,18a). Deshalb will Gott ihm ein Gegenüber schaffen und macht aus Erde Vögel und (Säuge)Tiere. Der Mensch gibt diesen Geschöpfen Namen, ein Akt, der seine Herrschaft über die Tiere ausdrückt (vgl. 1,28b). Weil keines der Tiere als gleichwertiges Gegenüber zum Menschen passt (2,18–20), versetzt Gott den Menschen in einen narkotischen Schlaf, entnimmt ihm eine Rippe und formt daraus eine Frau. Der Mann stellt selbst fest, wie nahe ihm das neue Geschöpf steht: „Das ist doch Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch;“ (2,23a). Die enge Beziehung zwischen beiden drückt sich zudem im Hebräischen in den Wörtern „Mann“ (’îš) und dem davon hergeleiteten „Frau“ (’îššāh) auch sprachlich aus (2,23b)[30]. Kommentierend stellt 2,24 fest, dass die Verbindung zwischen Mann und Frau stärker ist als die Bindung an die Eltern; denn Mann und Frau „werden sein ein Fleisch“, eine Anspielung auf die sexuelle Vereinigung und gemeinsame Nachkommenschaft. Schließlich stellt der Schlussvers des Kapitels (2,25) fest, dass dieses erste Menschenpaar trotz seiner Nacktheit keine Scham empfindet. Dies Motiv bereitet das nächste Kapitel vor, in dem sich das menschliche Schamgefühl aufgrund des so genannten „Sündenfalls“ einstellen wird.

Versuchung und SündenfallGen 3 setzt neu ein, indem es die Schlange einführt. Diese ist allen anderen Tieren, die Gott schuf, an List überlegen, doch ist auch sie ein Geschöpf Gottes wie jene. Daran, dass die Schlange sprechen kann, zeigt sich einer der mythologischen Züge der Erzählung. |27|Im Gespräch mit der Frau versteht es die Schlange meisterhaft, deren Interesse für die verbotenen Früchte zu wecken. Durch ihre erste Frage („Ja, sollte Gott gesagt haben: Ihr sollt nicht essen von allen Bäumen im Garten?“, 3,1) bewegt sie die Frau zunächst dazu, Gottes Verbot im Blick auf die Früchte des Baumes[31] mitten im Garten und seine Strafandrohung zu wiederholen (3,3). Die Schlange erklärt die Strafandrohung zur leeren Drohung und unterstellt Gott Selbstsucht: „Gott weiß: an dem Tage, da ihr davon esst, werden eure Augen aufgetan, und ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist.“ (3,5). Zu sein wie Gott, das ist eine Verlockung; was gut und böse bedeutet, vermag die Frau zu diesem Zeitpunkt noch nicht zu ermessen. Sie pflückt eine Frucht[32], isst und gibt auch ihrem Mann davon zu essen. Noch im selben Augenblick scheint sich die Wirkung einzustellen: „Da wurden ihnen beiden die Augen aufgetan und sie wurden gewahr, dass sie nackt waren, und flochten Feigenblätter zusammen und machten sich Schurze.“ (3,7). Als Folge des Verzehrs der verbotenen Frucht erkennen die beiden, dass sie nackt sind, d.h. sie sehen sich als bloße Geschöpfe so, wie Gott sie sieht. Sie verlieren ihre Unbedarftheit und beinahe kindliche Unbeschwertheit.

VerhörDie nächste Szene (3,8–13) zeigt, dass sie Gott gegenüber ein schlechtes Gewissen haben, also nun in der Tat wissen, was gut und böse ist, und daher auch erkannt haben, dass das Übertreten von Gottes Verbot etwas Schlechtes gewesen ist. Deshalb versuchen sie, sich vor Gott zu verstecken. Doch er stellt sie zur Rede. Mit einer rhetorischen Frage – „hast du nicht gegessen von dem Baum, von dem ich dir gebot, du solltest nicht davon essen?“ (3,11) – gibt er dem Menschen das Stichwort, seine Missetat einzugestehen. Doch der Mann schiebt die Schuld weiter auf die „Frau, die du mir zugesellt hast“ (3,12) – macht also sogar Gott noch mitverantwortlich –; die Frau ihrerseits verweist auf die Schlange (3,13), die stumm bleibt.

|28|StrafeBei der Schlange beginnt Gott nach seinem Verhör mit der Ahndung des Vergehens (3,14–19). Er verflucht die Schlange, die fortan abgesondert von allen Tieren leben, auf dem Bauch kriechen und Erde fressen soll (3,14). Die Rede vom Auf-dem-Bauche-Kriechen erklärt die besondere Gestalt von Schlangen und ihre Fortbewegungsweise. Sie hat wirkungsgeschichtlich auch zu der Vorstellung geführt, dass die Schlange zuvor Beine und Füße gehabt habe, also wie eine Echse aussah oder wie ein Drache, weshalb sie in der bildenden Kunst öfters so dargestellt wurde. Zugleich begründet Gott die Feindschaft zwischen Schlange und Mensch (3,15): der Mensch wird Schlangen töten, und Schlangen werden dem Menschen durch ihren (giftigen) Biss schaden.

Frau und Mann verflucht Gott nicht, erlegt ihnen aber erschwerte Lebensbedingungen auf: Für die Frau werden Schwangerschaft und Geburt Mühen und Schmerzen verursachen, und sie fühlt sich zur Gemeinschaft mit dem Mann hingezogen, doch ist er es, der nach der damaligen Gesellschaftsordnung über das eheliche Zusammenleben bestimmt (3,16). Der Mann bekommt die Auswirkungen von Gottes Fluch[33] über den Ackerboden zu spüren, dem er nun seine Nahrung unter Mühen durch harte Arbeit abringen muss (3,17–18): „Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis du wieder zu Erde werdest, davon du genommen bist.“ (3,19a). Bis zu seinem Tod muss der Mann diese Mühen erdulden. Seine Vergänglichkeit betont Gott ausdrücklich: „Denn du bist Erde und sollst zu Erde werden.“ (3,19b). „Da wies ihn Gott der HERR aus dem Garten Eden, dass er die Erde bebaute, von der er genommen war.“ (3,23).

Der Abschluss des Kapitels enthält darüber hinaus Sätze, die wie Nachträge wirken: 3,20 teilt mit, dass der Mann – Adam – seine Frau „Eva“ nennt[34]. Gott erweist sich als fürsorglich, da er den Menschen Kleider aus Fell macht (3,21). Und zuletzt wird der zuvor nur in 2,9b erwähnte Baum des Lebens bedeutsam: Gott stellt fest, dass der Mensch ihm gleich geworden ist, da er nun zwischen gut und böse zu unterscheiden vermag. Damit er nicht auch unsterblich – und damit göttlich – werde, muss er vom |29|Baum des Lebens fern gehalten werden (3,23). Dieser Gedanke Gottes bildet zusätzlich zu dem Aspekt der Strafe für die Verbotsmissachtung einen Grund für die Vertreibung des Menschen aus dem Garten. Schließlich (3,24) sichert Gott den Zugang zum Garten durch Cherubim[35], die mit blitzendem Flammenschwert ausgerüstet sind.

Die Sterblichkeit des MenschenRückblickend hatte die Schlange also Recht: die Menschen sterben nicht sofort durch oder an dem Genuss der verbotenen Frucht. Aber sie haben ihren unbeschwerten, sorglosen Zustand verloren, und ihre Beziehung zu Gott hat Schaden genommen. Als Konsequenz des Ungehorsams werden sie aus dem Paradiesgarten vertrieben. Die rezeptionsgeschichtlich beherrschende Auslegung des Sündenfalls geht davon aus, dass durch die Übertretung des göttlichen Verbotes der Tod in die Welt kommt. Das hieße, der Mensch wird aufgrund seiner Sünde sterblich. Dies ist offensichtlich in der Theologie des Paulus, der Adam und Christus miteinander kontrastiert – durch Adams Sünde kam der Tod in die Welt, während Christus den Tod überwand (vgl. etwa Röm 5, 12–19). Bei unvoreingenommener Lektüre ist das jedoch nicht ganz so selbstverständlich. Die Sterblichkeit des Menschen scheint vielmehr von Anfang an angelegt, da er aus vergänglichem Material, aus Erde geformt wird. Durch den Sündenfall erlangt er jedoch Erkenntnis von gut und böse. Das Gute, das Leben, ist mit Gott verbunden, das Böse einschließlich des Todes steht ihm fern. Zur Erkenntnis, die der Mensch durch das Essen erlangt, gehört auch das Wissen um den Tod, das er zuvor nicht besaß. Zu seiner Existenz außerhalb des Gottesgartens gehört Lebensminderndes und Lebensfeindliches, so dass Leben Mühe mit sich bringt. Die Existenz des – später in die Erzählung eingefügten – Baumes des Lebens erhärtet, dass der Mensch von Anfang an sterblich war und auch die Frucht dieses Baumes genießen müsste, um unsterblich zu werden. Bemerkenswert ist, dass der Erzähler sich mit expliziten Wertungen weitgehend zurückhält und die Geschichte vor allem in Dialogen gestaltet, was Raum für Auslegung lässt.

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