Читать книгу: «Ruhm und Cola», страница 3
Gegenwart
Je weiter der Abend voran Schritt, desto offensiver schaltete Sophie in den Flirt-Modus und selbst wenn das zwischen ihr und Felix immer noch Geplänkel war, wusste ich, dass sie es sehr genoss. Mir juckte es in den Fingern, sie damit aufzuziehen, aber gleichermaßen widerstrebte es mir, ihr dazwischen zu funken. Wie bei Alex auch, war es schön, sie gelöst und glücklich zu sehen. Während also rechts und links von mir ausgiebig die Hormone wallten, lehnte ich mit dem Rücken an den Tresen und stocherte mit meinem Strohhalm im angetauten Eis meines Drinks. Außer meinen beiden Freunden befanden sich jede Menge Kumpels von Alex in der Bar, die ich schon tausend Mal gesehen und mit denen ich nach Konzerten mindestens ebenso viele Getränke konsumiert hatte. Dennoch fiel es mir, auch nach all den Jahren, schwer, mich einfach irgendwo dazu zu gesellen. Wenn ich eins gelernt hatte, seit Alex das erste Mal im Treppenhaus aufgetaucht war, dann, dass das Musik-Business eine eingeschworene Gemeinschaft war, die sich zwar offen und freundlich gab, im Stillen aber deutlich klassifizierte und in Schubladen verteilte.
Ganz hoch im Kurs standen Band und Crew. Gleich danach liefen Partner, alte Freunde und Familie. Und irgendwo abgeschlagen kamen neue Freunde, Bekannte und Fans. Eine Medaille mit zwei Seiten, denn ich war ehrlich gesagt sehr froh darüber, dass Alex mich bei gravierenden personellen Engpässen während einer Tour noch nie gebeten hatte, auszuhelfen, da sich immer jemand anderes aus der Szene fand, der einsprang. Für mich war es immer wieder ein wunderschönes Privileg, Konzerte einfach aus der Menge oder von der Seite aus zu sehen, ohne dabei irgendeine Verantwortung oder Kiste tragen zu müssen. Auf der anderen Seite dümpelte ich bei seinen Musikerkollegen mit diesem passiven Verhalten auch nach vier Jahren noch irgendwo zwischen »Wer ist das nochmal« und »Fan«. Labels, die ich mir selbst vielleicht nicht unbedingt ausgesucht hätte, mit denen ich aber wunderbar klarkam. Ich mochte die Musik, die Alex’ Band machte und auch die Bands, die er als Tontechniker begleitete sah ich mir immer wieder gerne an, wenn sie in Berlin spielten. Alles in allem kein großes Problem, wären da nicht Abende wie dieser, an denen ich mich plötzlich und unvermittelt allein unter Menschen fühlte. Und auch wenn ich sonst immer cool und abgeklärt tat, förderten diese Momente Komplexe bei mir zutage, die ich nur zu gern versteckte und die ich spätestens seit meinem Ausstieg aus dem Agentur-Alltag und dem gescheiterten Versuch in die schnelle, trendige Berliner Medienwelt zu passen, abgelegt zu glauben hatte. Leider schien ich von der einen Bubble in die nächste zu stolpern. Nur dass der Musikzirkus deutlich weniger unangenehm war und manchmal eben doch Ausnahmen machte. Als ich Alex kennengelernt hatte, war er definitiv so eine Ausnahme gewesen. Völlig unbeeindruckt von Strukturen und irgendwelchen ungeschriebenen Regeln. Frei von den typischen Klischees, die man mit einem allgemeingültigen Musiker verbinden würde. Mittlerweile jedoch kamen mir langsam Zweifel, wie sehr er sich von seinem Umfeld wirklich beeindrucken ließ und wie viel aus seinem tiefsten Inneren kam. Ich bildete mir ein, die Seite von ihm zu kennen, die er hier nicht zeigte. Die weiche, verletzliche Seite weit weg von Coolness und dem siebenunddreißigsten Monolog über irgendeine total krasse Band, die man nur wirklich kennen konnte, wenn man ein Insider war. Ich seufzte tief. Hoffentlich würde Alex sich nicht komplett in dieser Welt verlieren. Und wenn ich ganz ehrlich zu mir war, meinte ich damit: Hoffentlich würde ich ihn nicht verlieren. Ich gehörte nicht in dieses Business. Es war okay, dass man mich nur duldete. Aber was, wenn selbst diese Duldung irgendwann verloren ging?
Noch einmal sah ich mich um und konnte immer noch keine Gruppe ausmachen, in deren Gesellschaft ich mich wohl gefühlt hätte. Also schnappte ich mir meine Jacke und trat kurzentschlossen den Heimweg an. Mit einer schnellen Textnachricht informierte ich Sophie über meinen Verbleib, falls sie sich nach dem Erwachen aus ihrem Flirt-Koma Sorgen machte. Alex sagte ich nicht Bescheid. Mir war klar, dass er mich an diesem Abend, völlig zurecht, nicht mehr vermissen würde.
Als die Kneipentür hinter mir ins Schloss fiel, blinkte eine Nachricht auf meinem Telefon auf. Mit vor Aufregung kribbelnden Fingern wischte ich hoch. Die automatische Vorsorge-Erinnerung meines Zahnarztes blinkte auf und rundete diesen fantastischen Tag perfekt ab.
Vier Jahre zuvor
Die Luft flimmerte trotz des bereits frühen Abends immer noch warm und trieb alle überzeugten Großstädter auf die Grünflächen der Parks. Die Masse an Menschen, das Gemisch aus lauten Stimmen und einem langen Tag ließen meinen Kopf schwer werden – das gerade geöffnete Bier tat sein Übriges. »Wie sieht er denn aus? Hast du ihn mal gegoogelt?«, löcherte mich Ellen mit einer weiteren Frage während Marie, ebenfalls eine ehemalige Kollegin, auf der Decke neben uns lag und bedeutungsschwanger in den Himmel starrte. Ursprünglich war es gar nicht mein Plan gewesen, den beiden die verhängnisvolle Begegnung mit dem neuen Nachbarn direkt auf die Nase zu binden, aber meine deutliche Verspätung hatte eine Erklärung gefordert und zumindest Ellen witterte nun die Liebesgeschichte des Jahres. »Ist doch egal, Lizzy liebt doch sowieso nur Schiller und Tolstoi«, neckte mich ein Kumpel, der ebenso wie die anderen beiden Jungs, die unsere kleine Gruppe komplettierten, bis vor wenigen Minuten noch in ein Gespräch über die weitere Abendplanung vertieft gewesen war. Jetzt fläzten sie neben uns und widmeten sich ihren Getränken – und meinem Privatleben.
Obwohl ich die fünf wirklich gern mochte, merkte ich langsam, dass ich anfing, mich nicht mehr so richtig wohlzufühlen, wenn wir zusammen waren. Ich wurde zusehends dünnhäutiger, was die scherzhaft gemeinten Tiefschläge anging, neigte zu einer wenig amüsierten Trotzhaltung und beruhigte mich jedes Mal selbst damit, dass wir schon so viel zusammen erlebt hatten.
Als Juniors in der gleichen PR-Agentur gestrandet, war uns zuerst nichts anderes übriggeblieben als während diverser Überstunden, Get-Togethers und Teamevents miteinander Zeit zu verbringen. Nach und nach mauserten wir uns zu einem engen Verbund, einer Gang, die zusammen durch dick und dünn ging. Auch über diese Karriere-Station hinaus riss der Kontakt nie ab und so landeten wir immer mal wieder in gleichen Projekten oder Agenturen, bis alle endgültig Fuß gefasst hatten.
Alle außer mir, die am Anfang des Jahres die Reißleine gezogen hatte.
Ich atmete tief durch, nicht gewillt mich an so einem schönen Sommertag von negativen Gefühlen beherrschen zu lassen. »Er ist ziemlich groß und seine Haare sind blondiert, glaube ich, und ...«, versuchte ich mich an einer Beschreibung, wurde aber von Ellen unterbrochen, die laut losprustete. Ihr Lachen stieß mir aus irgendeinem Grund sauer auf. »Natürlich hat er blondierte Haare. Wahrscheinlich auch einen Jutebeutel und Birkis?« Sie verschluckte sich fast am Bier, so sehr schien es sie zu erheitern. »Nein, zufälligerweise nicht. Er ist nicht einer von diesen Typen«, kam es mir etwas zu schroff über die Lippen. Wieso genau fühlte ich mich so angegriffen? »Sondern?« In Ellens Tonfall mischte sich nun diese seltsame spitze Arroganz, mit der ich noch nie hatte richtig umgehen können. »Ich glaube, er ist Musiker.« Sie rümpfte die Nase, ersparte mir aber einen weiteren abschätzigen Kommentar. »Also Vans und Skinny Jeans.« Marie stieg nun auch in Ellens Spiel mit ein, was dieser wieder zu Oberwasser verhalf. »Hat er tiefsinnige Augen?« Sie klimperte mit den Wimpern. »Und einen alten Gitarrenkoffer aus Leder?« Gegenseitig begannen sie sich aufzuschaukeln. »Einen Dreitagebart. Er hat mindestens einen Dreitagebart!«, feixte Marie, entzückt über ihren Einfall und ich versuchte mir nicht anmerken zu lassen, dass ich es nicht mal ansatzweise lustig fand. Vielmehr machte es mich sauer, dass sie so über jemanden redeten, den sie gar nicht kannten. Oder nagte doch eher das schlechte Gewissen an mir, weil ich genau wusste, dass ich sonst immer in derartige Scherze einstieg? Auch wenn ich es natürlich nicht gern zugab, war Oberflächlichkeit eine Eigenschaft, die ich nur schwer ablegen konnte und welche ich nicht zuletzt in den vergangenen Jahren als sogenanntes Guilty Pleasure zur Genüge ausgelebt hatte. Jetzt aber, in diesem Moment, lag mir nichts ferner, als Alex zu beurteilen. Weder nach seinem Äußeren noch nach seinem Beruf. Irgendetwas in mir sträubte sich und in meinem Bauch breitet sich Unbehagen aus, das ich krampfhaft zu unterdrücken versuchte. Das hier waren doch meine Freunde und Alex nur irgendein Typ, den ich kaum kannte. Ich sollte mich da nicht so reinsteigern. »Er hat wirklich einen Dreitagebart«, gab ich zu und meine Freundinnen fingen an zu gackern. Das komische Gefühl in meiner Magengegend wurde schlimmer, doch ich drückte es für den Moment einfach weg.
Es war erst kurz nach zehn, als ich leicht fröstelnd nach Hause kam. Der Rest war noch zum Feiern weitergezogen, aber mir stand nicht der Sinn nach zu vielen Tequila-Shots und einem völlig verkaterten Sonntag. »Langweilerin«, hatte Ellen genölt und lag damit gar nicht so verkehrt. Es war ein tausendmal gemachter Fehler mich den restlichen Abend mit meinen Gedanken zu Hause einzukuscheln und mir die x-te Wiederholung von Dirty Dancing anzusehen, aber nichts anderes wollte ich gerade. Zwar würden mich spätestens morgen die Partybilder auf Instagram wehmütig einholen, doch das nahm ich in Kauf. Die Modekrankheit »Fear Of Missing Out« kurz und hip »FOMO« genannt, gehörte ebenfalls zu den Eigenschaften, die ich mit dem Wechsel in meinen kleinen Buchladen hatte ablegen wollen, nachdem mir aufgegangen war, dass mich das ständige, aktive Dabeisein mehr kaputt machte als bereicherte. Meine Seele wollte eine Jogginghose und Patrick Swayze? Meine Seele bekam diese Jogginghose und Patrick Swayze.
Seufzend stieß ich die Tür zu meinem Balkon auf, um die frische Abendluft in meine vom Tag aufgeheizte, stickige Wohnung zu lassen, als mir Tabakgeruch in die Nase stieg. Wie sollte es auch anders sein. Alex saß, keine drei Meter entfernt, auf dem angrenzenden Nachbarbalkon, schwarze Kopfhörer auf den Ohren und rauchte gedankenverloren. Es kam mir immer noch unglaublich hanebüchen vor, dass er bereits sechs Jahre hier wohnte; dass er mir drei Jahre lang einfach entgangen war, obwohl er nun seit Tagen so omnipräsent in mein Leben rumpelte. Die Zeiten, in denen ich meine Unterwäsche auf dem Balkon trocknen konnte, waren damit wohl auch vorbei. Mit »Hello Kitty«- und »Wonderwoman«-Prints wollte ich mir vor Mr. Cool persönlich sicherlich keine Blöße geben. Kurz spielte ich mit dem Gedanken auf dem Absatz kehrtzumachen, um nicht wieder die aufdringliche Nachbarin im anonymen Berlin zu bedienen, aber etwas in mir entschied sich anders. Da musste er jetzt durch. Und ich auch.
Die unerklärbare Sympathie für diesen Typ und der Drang danach, ihn besser kennenlernen zu wollen, welcher mir fast noch dubioser erschien, führten schließlich dazu, dass ich meinen Arm ausstreckte und ihn über das, für mich etwa brusthohe, Metallgeländer hinweg, an der Schulter berührte. Creeplevel 3000, flüsterte mein Gewissen mir zu.
Im ersten Moment reagierte er nicht und ich fürchtete schon fast, die Bewegung wiederholen zu müssen, als er erschrocken zusammenzuckte. Großartig. Wie lange es wohl noch dauern würde, bis er eine einstweilige Verfügung gegen mich in die Wege leitete?
Alex nahm die Kopfhörer ab, zog erneut an seiner Zigarette und murmelte zeitgleich mit dem Rauch, der seine Lungen wieder verließ, ein tiefes »Na?« und zog den rechten Mundwinkel leicht nach oben.
Erleichtert stellte ich fest, dass er diesmal weder angepisst klang noch aussah. »Was hörst du?« Sehr gut. Eine im Vergleich wenig peinliche Frage. »Das neue Foo-Fighters-Album.« Ich atmete auf. Ein Glückstreffer, denn die Foo Fighters waren tatsächlich eine Band, die ich trotz meines musikalisch eingeschränkten Wissenshorizonts gut kannte. Ich schickte ein Dankeschön ans Universum, dafür dass er mir keinen Heavy-Metall-Insider-Krempel vor den Latz knallte, der eine gewisse Grundbildung in Sachen Musik voraussetzte. »Ach cool, die wollte ich schon immer mal live sehen.« Und ergänzte in Gedanken: vor allem wegen Dave Grohl. Auch wenn ich es diesmal nicht laut artikulierte, machte Alex den Eindruck, als würde er es ahnen, denn er nickte nur stumm und drehte seine Kippe zwischen den Fingern. »Ich wollte dich aber nicht stören …«, schob ich unnötigerweise nach, schließlich machte ich gerade genau das. »Du störst nicht. Es war nur einfach ein langer Tag.« Er zog erneut an der Zigarette, legte den Kopf in den Nacken und schloss für einen Moment die Augen, bevor er den Rauch in den Himmel über sich blies. Obwohl es durchaus theatralisch hätte wirken könne, tat es das nicht. Vielmehr strahlte er ehrliche Erschöpfung aus. Kein Wunder, nach der filmreifen Trennungsszene heute Nachmittag.
»Wenn du drüber reden willst …« Kaum hatte mein Mund die Worte geformt, bereute ich es schon wieder. Wieso zwang ich diesem Kerl eigentlich pausenlos meine Hilfe auf? Und warum in drei Teufels Namen sollte er einer völlig fremden Person sein Herz ausschütten wollen? Um eine weitere Abfuhr zu vermeiden und die unangenehme Pause zu beenden, die inzwischen entstanden war, ergriff ich erneut selbst das Wort. »Okay, tut mir leid. Wahrscheinlich hab’ ich mir bei meinem Sturz im Treppenhaus doch den Kopf angeschlagen. Ich gehe jetzt einfach rein und lasse dich und Dave Grohl alleine.« Ohne seine Antwort abzuwarten, drehte ich mich um und war schon fast durch die Tür, als mich sein Lachen zurückhielt. Er lachte. Ziemlich laut und ziemlich ansteckend. Ich spürte, dass ich erneut im Begriff war, rot anzulaufen, konnte mir aber ein Lächeln nicht verkneifen. »Wieso lachst du?« Gespielt entrüstet stemmte ich meine Hände in die Hüften und sah ihn erwartungsvoll an.
Er grinste breit und kleine Lachfältchen bildeten sich um seine Augen, was die Härte seiner definierten Gesichtszüge deutlich abmilderte. Er wirkte fast ein bisschen sympathisch. »Ich dachte nur gerade: Vielleicht hab’ ich mich zurecht sechs Jahre vor den Menschen in diesem Haus unsichtbar gemacht.« Unter anderen Umständen hätte ich diesen sarkastischen Kommentar sicher als verletzend empfunden, jetzt war ich aber einfach nur froh, dass wir uns langsam auf eine weniger unangenehme Ebene zu bewegten und stieg auf sein Spielchen ein.
»Vielleicht …«, ich legte die ganze Betonung auf dieses Wort, »… würde ich mich nicht wie eine Idiotin benehmen, wenn du bei meinem Einzug mit einem Kuchen vor der Tür gestanden und mich willkommen geheißen hättest, so wie sich das für einen anständigen Nachbarn gehört.« Er sollte bloß nicht auf die Idee kommen, dass ich mich von ihm verbal unterbuttern ließ. Nicht mit mir, Herr Nachbar. »Glaub mir, den Kuchen hättest du nicht essen wollen.« Alex zog eine Grimasse und schüttelte leicht den Kopf. Die plötzliche Wellenlänge zwischen uns, beflügelte mich.
»Kein Talent zum Backen?«
»Kein bisschen.«
Er klopfte eine neue Zigarette aus seinem Päckchen. »Auch eine?« Diesmal war ich es, die kopfschüttelnd ablehnte. »Ich sollte eigentlich auch mal weniger, aber, wie gesagt, war ein langer Tag«, wiederholte er sich und irgendwie wurde ich das Gefühl nicht los, dass er tatsächlich gerne darüber reden wollte, es aber unpassend fand, sich ausgerechnet mir anzuvertrauen. »Vielleicht sollten wir ins Bett gehen«, schlug ich vor und seine Augen weiteten sich, auf seinem Gesicht lag nun wieder der mir bereits bekannte, leicht spöttischen Ausdruck. »So?« Er zwinkerte ironisch und ich begriff, was ich da eigentlich gerade gesagt hatte. »Oh man ey, du in deins und ich in meins. Das kann ja noch heiter werden hier.« Seufzend schlug ich mir mit der Hand gegen die Stirn. »Wenn du das sagst.« Alex’ Blick schweifte wieder zum Himmel und ohne, dass er ein weiteres Wort sagen musste, war mir klar, dass der kurze Moment der Leichtigkeit genau wie unsere Unterhaltung für heute beendet waren.
Zurück in meiner Wohnung wurde ich dieses sonderbar euphorische Gefühl nicht los, das ich immer dann empfand, wenn ich jemandem begegnete, der mich ohne besonderen Grund mitten ins Herz traf. Ich war schon ein paarmal verliebt gewesen. Sogar heftig. Meine letzte Trennung vor ein paar Jahren hatte mich dermaßen aus der Bahn geworfen, dass ich mein Leben komplett neu zusammen puzzeln musste. Nur um anschließend festzustellen, dass mir das neue Puzzle überhaupt nicht gefiel. Jetzt stand ich wieder am Anfang eines neuen Lebensabschnitts und ausgerechnet in diesen Anfang war Alex hineingestolpert. In jedem Liebesfilm wäre er jetzt jener Mann in meinem Leben, der die Wende zum Happy Life bringen würde. Doch das hier war anders. Ich spürte nicht diese körperliche Anziehung; da war auch nicht das Gefühl, ihm auf diese Weise näher kommen zu wollen. Ich fand ihn einfach nur spannend und irgendwie, auch wenn das alleine in meinen Gedanken bereits abgedroschen klang: süß.
Es machte mich rasend, dass er nicht die Sorte Mensch war, mit der man mal eben einen netten Plausch halten konnte, denn das hätte alles so viel einfacher gemacht. Stattdessen wohnte jetzt Tür an Tür, Wand an Wand, Balkon an Balkon ein Typ, von dem ich nach drei Tagen zwar schon wusste, wie seine letzte Beziehung geendet hatte, nicht aber, welche seine Lieblingseissorte war. Das Schneckenhaus um ihn herum schien aus solidem Stahlbeton gebaut.
Ellens Worte hallten in meinem Kopf wider: »Hast du ihn schon mal gegoogelt?« Ich griff zu meinem Handy und öffnete den Browser. Einen Moment zögerte ich. Wollte ich wirklich wissen, was das Internet über Alex sagte? Was, wenn ich Dinge las, die ich danach nicht mehr loswurde? Meine moralische Phase dauerte genau so lange, wie ich brauchte, um seinen Namen in das Suchfeld einzutippen. Dank Klingelschild war der Nachname ebenso wenig ein Problem, wie der Zusatz »Berlin«, um nicht unnötige Suchtreffer für alle Männer mit Namen Alex Fink zu erzielen.
Und da war er. Seine undurchdringliche Miene spiegelte sich von mehreren Band-Fotos in meinem Display wider. Alex mit raspelkurzen Haaren und Punker-Outfit. Alex im Eifer des Gefechts an der Gitarre. Alex unvorteilhaft getroffen beim Singen ins Mikrofon.
Ich wechselte von der Bildersuche zu den allgemeinen Treffern und fand mehrere kleine Berichte über seine Band, die kurz davorstand, ein neues Album zu veröffentlichen. Ich klickte mich durch die Artikel auf die Webseite. Die ganze Startseite war von einem eingebundenen YouTube-Video überzogen. Sein musikalisches Schaffen war nur eine Bewegung meines Zeigefingers entfernt. Unentschlossen ballte ich meine rechte Hand zur Faust. Laut anhören ging auf keinen Fall. Die Wände im Altbau waren zwar dick, aber alleine die Vorstellung, dass er es irgendwie mitbekam und die völlig falschen Rückschlüsse zog, ließ mich erschauern. Nervös wippte ich mit dem Bein. Stand auf, ging zum Wasserkocher, schaltete ihn ein. Ablenkung. Einen Tee trinken. Nochmal gut überlegen. Nur weil es da war, musste ich es ja nicht nutzen. Um auf andere Gedanken zu kommen, tippte ich meinen eigenen Namen in die Suche ein. Wenig überraschend zeigte mir die Suchmaschine schnöden Agenturcontent. Alles was sich irgendwie privater verhielt, versteckte ich abseits meines Klarnamens in den sozialen Medien unter einem Internetpseudonym. Ich fragte mich, ob Alex wohl auch nachgesehen hatte, ob er mich auf irgendeiner Plattform fand. Wohl eher nicht. Sicher war er nur so omnipräsent, weil sie das Internet zu Promo-Zwecken nutzten. Der Wasserkocher klickte und hörte auf zu brodeln. Doch statt mir einen Tee aufzubrühen, griff ich zu meinen Kopfhörern, die Neugier ging als Sieger vom Platz.
Wenige Sekunden später erklangen, nicht wie erwartet, laute Gitarren, sondern sanfte Klaviertöne. Dann die raue Stimme des Sängers, der sich mit geschlossenen Augen hingebungsvoll an seinen Mikrofonständer klammerte. Obwohl die Bandfotos bereits deutlich machten, dass Alex der Gitarrist war, irritierte es mich kurz. Irgendwie hatte er auf den ersten Blick so gewirkt, als würde er als Frontmann die Rampensau raushängen lassen. Stattdessen stand er auf der linken Bühnenseite vor seinen Verstärkern und war ganz in seiner Gitarre versunken, die mittlerweile auch eingesetzt hatte. Der Song handelte von Liebe in der Großstadt, war mehr Pop als Rock und die neueste Singleauskopplung. Unter dem Video standen in großen Buchstaben das Datum und der Ort der Record Release Party. Eine Bar in Berlin am kommenden Freitag. Das Schicksal hatte es wohl auf mich und meine Neugierde abgesehen. Nach drei Minuten endete das Video und ich zog die kleine rote Linie zurück zum Anfang. Während der Sänger nun seinen Herzschmerz über verpasste Chancen und lange, durchzechte Nächte wiederholte, lag mein Blick immer noch auf Alex. Auf seiner Konzentration, den Grübchen, aber besonders auf dem Funkeln in seinen Augen, das selbst von YouTube zu mir an den Küchentisch schwappte. Kombiniert mit der Erinnerung an die Worte seiner Ex, war es unverkennbar, dass er die Musik liebte. Oder liebte er es nur in einer Band zu sein? Allen Verwirrungen und Merkwürdigkeiten zum Trotz, hoffte ich, dass ich es irgendwann herausfinden würde.
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