Reise um die Erde in 80 Tagen

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Reise um die Erde in 80 Tagen
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REISE UM

DIE ERDE

IN 80 TAGEN

JULES VERNE

MIT DEN ILLUSTRATIONEN DER ORIGINALAUSGABE


Mit den Illustrationen der

französischen Originalausgabe des

Verlages J. Hetzel & Cie.

Nach der deutschen Übersetzung des

A. Hartleben’s Verlages (1874-1911)

der neuen Rechtschreibung angepasst.

Leicht bearbeitet durch den Wunderkammer Verlag.

© 2013 Nikol Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG,

Hamburg

Alle Rechte, auch das der fotomechanischen Wiedergabe

(einschließlich Fotokopie) oder der Speicherung auf

elektronischen Systemen, vorbehalten.

All rights reserved.

Titelabbildung: ullstein bild – The Granger Collection

Umschlag: Timon Schlichenmaier, Hamburg

ISBN: 978-3-86820-954-9

www.nikol-verlag.de

ERSTES KAPITEL
Phileas Fogg und Passepartout nehmen sich einander als Herr und Diener an.

I

m Jahre 1872 wohnte in dem Hause Nummer 7, Saville-Row, Burlington Gardens, worin Sheridan im Jahre 1814 gestorben war, Phileas Fogg, Sq., eines der ausgezeichnetsten und hervorragendsten Mitglieder des Reformclubs in London, der jedoch dem Anschein nach beflissen war, nichts zu tun, was Aufsehen erregen konnte. Dieser Phileas Fogg, also Nachfolger eines der größten Redner, welche Englands Zierde sind, war ein rätselhafter Mann, von dem man nichts weiter wusste, als dass er ein recht braver Mann und einer der schönsten Gentlemen der vornehmen Gesellschaft sei. Man sagte, er gleiche Byron – zumindest sein Kopf, denn seine Füße waren tadellos, – aber ein Byron mit Schnurr- und Backenbart, ein Byron mit leidenschaftslosen Zügen, der tausend Jahre alt werden konnte, ohne zu altern.

Phileas Fogg war zweifellos ein echter Engländer, wenn auch vielleicht kein Londoner. Man sah ihn nie auf der Börse, auch nicht auf der Bank oder auf irgendeinem Kontor der City. Nie sah man in den Hafenbecken oder an den Docks in London ein Schiff, dessen Eigner Phileas Fogg gewesen wäre. In keinem Verwaltungs-Komitee hatte dieser Gentleman einen Platz; nie hörte man seinen Namen in einem Anwaltskollegium oder im Temple, im Lincolns-Inn oder im Grays-Inn. Er verteidigte niemals an einem Obergerichtshof oder bei der Kingsbench, beim Schatzkammergericht oder an einem geistlichen Hof. Er war weder ein Industrieller noch ein Großhändler, Kaufmann oder Landbauer. Er gehörte weder dem Königlichen Institut, noch einem Institut von London, noch sonst irgendeiner Anstalt der Kunst, Wissenschaft oder einem Gewerbe an; schließlich gehörte er auch keiner der zahlreichen Gesellschaften an, wovon die Hauptstadt Englands nur so voll ist, von der Harmonie bis zur entomologischen Gesellschaft, welche hauptsächlich den Zweck verfolgt, die schädlichen Insekten zu vertilgen. Phileas Fogg war lediglich ein Mitglied des Reformclubs, nichts weiter.

Sollte man sich darüber wundern, dass ein so mysteriöser Gentleman zu den Mitgliedern dieser ehrenwerten Gesellschaft zählte, lässt sich als Antwort sagen, dass er auf Empfehlung des Hauses Gebr. Baring, wo er sein Geld angelegt hatte, Aufnahme fand. Daher ein gewisses Ansehen, welches er dem Umstand verdankte, dass von dem Soll seines Konto-Korrents seine Wechsel bei Sicht pünktlich bezahlt wurden.

War dieser Phileas Fogg reich? Zweifellos. Aber wie er zu diesem Vermögen gekommen war, konnten die Bestunterrichteten nicht sagen, und Herr Fogg war der letzte, an den man sich wenden durfte, um es zu erfahren. Jedenfalls war er nicht verschwenderisch, aber auch nicht geizig; denn überall, wo es für eine edle, nützliche oder großmütige Sache an einem Betrag mangelte, schoss er ihn im Stillen bei und blieb selbst anonym.

Im Allgemeinen war dieser Gentleman sehr wenig mitteilsam. Er sprach so wenig wie möglich und schien umso geheimnisvoller, weil er so schweigsam war. Doch war seine Lebensweise für jeden zu sehen. Aber was er tat, war so mathematisch stets ein und dasselbe, dass die unbefriedigte Einbildungskraft weiter forschte.


Hatte er Reisen gemacht? Vermutlich, denn kein Mensch war besser als er in aller Welt mit den Karten vertraut. Auch von dem entlegensten Ort schien er genaue Kenntnisse zu haben. Manchmal wusste er, allerdings nur mit wenigen, kurzen und klaren Worten, die tausend Äußerungen, welche im Club über verlorene oder verirrte Reisende zirkulierten, zu berichtigen, und seine Worte schienen oft wie von einem zweiten Gesicht eingegeben, denn jedes Ereignis rechtfertigte sie schließlich. Es war ein Mann, der überallhin – im Geiste wenigstens – gereist sein musste. Zuverlässig jedoch war Phileas Fogg seit vielen Jahren nicht aus London hinausgekommen. Wer ihn etwas näher zu kennen die Ehre hatte, bezeugte, dass kein Mensch ihn je woanders gesehen hatte, als auf dem geraden Wege von seinem Hause zum Club, den er tagtäglich machte. Sein einziger Zeitvertreib bestand im Lesen der Journale und im Whistspiel. Bei diesem schweigsamen Spiel, welches seiner Natur so sehr angemessen war, gewann er oft, aber seine Gewinne flössen nie in seine eigene Tasche, sondern bildeten einen erheblichen Posten auf seinem Barmherzigkeits-Konto. Übrigens ist wohl zu bemerken, dass Herr Fogg offenbar um des Spieles willen spielte, nicht um zu gewinnen. Das Spiel war ihm ein Ringen mit einer Schwierigkeit, das jedoch keine Bewegung, keine Platzveränderung, keine Ermüdung kostete, und das passte zu seinem Charakter.

Man wusste bei Phileas Fogg nichts über eine Frau oder Kinder – was den achtbarsten Menschen passieren kann – noch von Verwandten oder Freunden, was allerdings seltener ist. Phileas Fogg war der einzige Bewohner seines Hauses Saville-Row und kein Mensch sonst kam in dasselbe hinein, einen einzigen Diener ausgenommen, der ihm genügte. Was im Inneren desselben vorging, davon war niemals die Rede. Er frühstückte und speiste zu Mittag im Club, zu chronometrisch bestimmten Stunden, in demselben Saal, an demselben Tische, traktierte niemals einen Kollegen, lud nie einen auswärts ein und kehrte nur zum Schlafen, Punkt zwölf Uhr nachts, nach Hause zurück, ohne jemals von den wohnlichen Gemächern Gebrauch zu machen, welche der Reformclub für seine Mitglieder zur Verfügung hält. Von vierundzwanzig Stunden brachte er zehn in seiner Wohnung zu, teils zum Schlafen, teils zur Beschäftigung mit seiner Toilette. Häufig ging er spazieren, mit gleich gemessenem Schritt in dem mit eingelegter Arbeit parkettierten Eingangssaal oder auf dem Rundgang, über welchem ein blaues Glasgewölbe auf zwanzig ionischen Säulen aus rotem Porphyr ruhte. Bei der Mahlzeit oder dem Frühstück lieferten Küche und Speisekammer, die Konditorei, der Fischhändler und die Milchstube ihre besten Gerichte; die Clubdiener, gesetzte Leute in schwarzer Kleidung und mit Multonschuhen, bedienten ihn auf besonderem Porzellan und Tafelweißzeug von kostbarer sächsischer Leinwand; seinen Sherry oder Portwein, seinen mit feinstem Zimt und Frauenhaar gemischten Ciaret trank er aus dem seltensten Kristall des Clubs; und das Eis, welches der Club unter hohen Kosten aus den Seen Amerikas bezog, erhielt seinen Trunk in erquicklicher Frische. Wenn man ein Leben in solchen Verhältnissen exzentrisch nennt, so muss man zugeben, dass Exzentrizität etwas Gutes hat! Das nicht eben prachtvolle Haus in Saville-Row empfahl sich durch größte Bequemlichkeit. Übrigens beschränkte sich, bei den unveränderbaren Gewohnheiten des Mieters, seine Bedienung auf geringe Anforderungen. Doch verlangte Phileas Fogg von seinem einzigen Diener eine außerordentliche Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit. An diesem Tage, dem 2. Oktober, hatte Phileas Fogg seinen Burschen James Forster entlassen, weil er ihm zum Rasieren Wasser gebracht hatte, das 84 anstatt 86 Grad Fahrenheit heiß war, und er erwartete den Nachfolger desselben, welcher sich ihm zwischen elf und halb zwölf Uhr vorstellen sollte.

Phileas Fogg saß breit in seinem Fauteuil, beide Füße nebeneinander, wie ein Soldat auf der Parade, die Hände auf die Knie gestützt, den Leib gerade, den Kopf aufrecht, und sah auf die Pendeluhr, welche Stunden, Minuten, Sekunden, Tag und Datum anzeigte. Nach seiner Gewohnheit sollte sich Herr Fogg Schlag halb zwölf Uhr aus dem Hause und zum Reformclub begeben. In diesem Augenblicke klopfte es an die Türe des kleinen Salons, worin sich Phileas Fogg aufhielt. Der gekündigte Diener trat ein.

»Der neue Diener«, sagte er.

Ein Bursche von etwa dreißig Jahren trat ein und grüßte.

»Sie sind Franzose und heißen John?«, fragte Phileas Fogg.

»Jean, wenn es ihnen beliebt, mein Herr«, erwiderte der neue Diener. »Jean Passepartout, ein Beiname, der mein natürliches Geschick, mich aus Verlegenheiten zu ziehen, bezeichnet. Ich glaube ein braver Bursche zu sein, mein Herr, doch, offen gesagt, ich bin schon mehreren Berufen nachgegangen. Ich war Bänkelsänger, Dressurreiter in einem Zirkus, voltigierte wie Leotard und tanzte auf dem Seile wie Blondin; darauf bin ich Lehrer der Gymnastik geworden, um meine Talente besser auszunutzen, und zuletzt Sergeant bei den Pompiers in Paris. Ich habe merkwürdige Brände auf meiner Liste. Nun aber habe ich Frankreich bereits seit fünf Jahren verlassen und bin, um das Familienleben zu genießen, Kammerdiener in England. Da ich jetzt ohne Stelle bin und vernommen habe, Herr Phileas Fogg sei der pünktlichste und zurückgezogenste Mann im Vereinigten Königreiche, so habe ich mich dem Herrn vorgestellt, in der Hoffnung, bei demselben ruhig zu leben, und selbst den Namen Passepartout zu vergessen ...«

 

»Passepartout ist ganz passend für mich«, erwiderte der Gentleman. »Sie sind mir empfohlen worden. Man hat mir gute Auskunft über Sie gegeben. Sie kennen meine Bedingungen?«

»Ja, mein Herr.«

»Gut. Wieviel Uhr haben Sie?«

»Elf Uhr zweiundzwanzig Minuten«, erwiderte Passepartout, indem er eine große silberne Uhr aus seiner Hosentasche hervorzog.

»Sie sind in der Zeit zurück«, sagte Herr Fogg.

»Verzeihen Sie, mein Herr, aber das ist nicht möglich.«

»Um sieben Minuten sind Sie zurück. Gleichviel. Merken wir uns nur die Abweichung. Also, von diesem Augenblicke an, elf Uhr neunundzwanzig Minuten vormittags, Mittwoch, 2. Oktober 1872, sind Sie in meinem Dienst.«

Hierauf stand Phileas Fogg auf, nahm seinen Hut in die Linke, setzte ihn mit einer automatischen Bewegung auf und verschwand ohne ein weiteres Wort zu sagen.

Passepartout hörte, wie die Haustüre sich einmal schloss; sein neuer Herr ging hinaus; dann zum zweiten Mal; sein Vorgänger, James Forster, ging ebenfalls fort.

Passepartout befand sich allein im Hause der Saville-Row.

ZWEITES KAPITEL
Passepartout hat sein Ideal gefunden.

M

einer Treu«, sagte sich Passepartout, der anfangs etwas verdutzt war, »ich finde, dass die Hampelmännchen bei Madame Tussaud ebenso lebendig sind, wie mein neuer Herr!« Die Hampelmännchen der Madame Tussaud sind nämlich Wachsfiguren, die in London sehr gerne gesehen wurden, und bei denen man in der Tat nur vermisste, dass sie nicht sprechen konnten.

Während der wenigen Augenblicke, in denen er mit Phileas Fogg zusammen gewesen war, hatte Passepartout seinen künftigen Herrn schnell, aber doch genau gemustert. Der Mann von edler und schöner Gestalt, hohem Wuchs, dem einige Wohlbeleibtheit nicht übel stand, mochte etwa vierzig Jahre alt sein, hatte blondes Haar und Bart, eine glatte Stirn ohne auch nur einen Schein von Runzeln an den Schläfen, ein eher bleiches als gerötetes Gesicht, prachtvolle Zähne. Er schien in hohem Grade zu besitzen, was die Physiognomisten ›Ruhe in der Tätigkeit‹ nennen, eine Eigenschaft, die allen denen gemein ist, welche ihre Arbeit mit wenig Geräusch betreiben. Mit Seelenruhe und Phlegma ausgestattet, reinem Auge und unbeweglichen Wimpern, war er der vollendete Typus jener kaltblütigen Engländer, wie man sie im Vereinigten Königreiche ziemlich häufig antrifft, und deren etwas akademische Haltung Angelika Kaufmanns Pinsel zum Staunen treffend dargestellt hat. Sah man diesen Gentleman bei seinen verschiedenen Tätigkeiten, so gab er den Ausdruck eines Geschöpfes, dessen sämtliche Teile wohl im Gleichgewicht standen und richtig abgewogen waren, so vollkommen, wie ein Chronometer von Leroy oder Earnshaw. Und in der Tat war Phileas Fogg die personifizierte Genauigkeit, was man deutlich an ›der Stellung seiner Füße und Hände‹ sah; denn beim Menschen, wie bei den Tieren, sind die Glieder selbst ausdrucksvolle Organe der Leidenschaften.

Phileas Fogg gehörte zu den mathematisch exakten Menschen, die niemals eilig und stets fertig mit ihren Schritten und Bewegungen sparsam sind. Er hob sein Bein nicht, ohne dass es nötig war, und ging stets den kürzesten Weg. Kein Blick nach der Decke war bei ihm vergeblich, keine Handbewegung überflüssig. Man sah ihn nie in Gemütsbewegung oder Unruhe. Kein Mensch auf der Welt war weniger hastig und doch kam er stets zu rechter Zeit. Es ist jedoch begreiflich, dass dieser Mann einsam lebte und sozusagen außer aller gesellschaftlichen Beziehung. Er wusste, dass es im Leben unvermeidlich Reibungen gibt, und da die Reibungen hemmen, so rieb er sich an niemandem. Was nun Jean, genannt Passepartout, betrifft, so war er ein echter Pariser, eben aus Paris, und hatte seit den fünf Jahren, in denen er in England wohnte und in London den Kammerdiener spielte, vergeblich einen Herrn gesucht, an den er sich fest anschließen konnte. Passepartout gehörte nicht zu denen, die sich in die Brust werfen, mit kecker Nase, zuversichtlichem Blick, trockenem Auge doch nur unverschämte Tölpel sind. Nein, Passepartout war ein braver Bursche mit freundlichem Gesicht, etwas vorstehenden Lippen, ein sanfter und geschmeidiger Charakter, mit so einem gutwilligen, runden Kopf, wie man ihn gerne auf den Schultern eines Freundes sieht. Er hatte blaue Augen, bräunlichen Teint, ein Gesicht, das voll genug war, um selbst die Wölbung seiner Wangen wahrzunehmen; breite Brust, starke Taille, einen Muskelbau von herkulischer Kraft, welche durch die Übungen seiner Jugendzeit erstaunlich entwickelt war. Seine braunen Haare spielten etwas ins Rötliche. Kannten die Bildhauer des Altertums achtzehn verschiedene Arten, das Haupthaar der Minerva zu ordnen, so wusste Passepartout für das seinige nur eine: drei Strich mit dem Scheitelkamm und der Hauptschmuck war fertig.

Ob der mitteilsame Charakter dieses Burschen zu dem des Phileas Fogg passen würde, war der einfachsten Voraussicht nicht möglich zu sagen. Sollte wohl Passepartout der so gründlich exakte Diener sein, welchen sein Herr bedurfte? Das ließe sich nur aus der Erfahrung gewinnen. Nachdem er, wie wir wissen, eine ziemlich vagabundierende Jugend gehabt hatte, trachtete er nach einem ruhigen Leben. Da man ihm die regelmäßige Pünktlichkeit und sprichwörtliche Kälte der Gentlemen gepriesen hatte, so versuchte er in England sein Glück. Aber bisher hatte ihm der Zufall wenig geholfen; er hatte nirgends Wurzel fassen können und schon zehnmal den Herrn gewechselt. Überall war man phantastisch, ungleich, abenteuerlich, von Land zu Land schweifend, – was zu Passepartout nicht mehr passen konnte. Sein letzter Herr, der junge Lord Longsferry, Parlamentsmitglied, kam oft, wenn er seine Nacht in den ›Austernstuben‹ Haymarkets verbracht hatte, auf den Schultern der Polizisten nach Hause. Passepartout, der vor allen Dingen seines Herrn Ehre bewahren wollte, wagte einige respektvolle Bemerkungen, die üble Aufnahme fanden, und er kündigte den Dienst auf. Darauf hörte er, Phileas Fogg, Sq., suche einen Diener und erkundigte sich über ihn. Ein Mann von so geregeltem Leben, der nicht auswärts schlief, keine Reisen machte, niemals auch nur einen Tag abwesend war, konnte ihm nur angenehm sein. Er stellte sich vor und wurde, wie wir wissen, angenommen.

Passepartout befand sich also, nachdem halb zwölf vorüber war, allein im Hause der Saville-Row. Sogleich machte er sich daran, es vom Keller bis zum Speicher zu besichtigen. Dieses reinliche, geordnete, strenge, puritanische, wohl für den Dienst eingerichtete Haus gefiel ihm. Es machte auf ihn den Eindruck eines schönen Schneckenhauses, das jedoch mit Gas erleuchtet und geheizt war, denn der kohlenstoffhaltige Wasserstoff war darin hinreichend für alle Bedürfnisse der Beleuchtung und Erwärmung. Passepartout fand im zweiten Stock leicht das für ihn bestimmte Zimmer, und es gefiel ihm. Durch elektrische Glocken und Hörrohre stand es mit den Gemächern des Zwischenstocks und der ersten Etage in Verbindung! Auf dem Kamin stand eine elektrische Uhr, welche mit der Uhr im Schlafzimmer von Phileas Fogg übereinstimmte, und beide schlugen in demselben Augenblick dieselbe Stunde.

»Das passt mir, das gefällt mir!«, sagte Passepartout.

Er bemerkte auch in seinem Zimmer über der Standuhr ein Merkblatt angeheftet mit der Vorschrift des täglichen Dienstes. Dasselbe enthielt – von acht Uhr vormittags, der regelmäßigen Zeit, wo Phileas Fogg aufstand, bis halb zwölf Uhr, da er sich zum Frühstücken in den Reformclub begab – alle Einzelheiten des Dienstes: Tee und geröstete Brotschnitten um acht Uhr dreiundzwanzig Minuten; Wasser zum Rasieren, um neun Uhr siebenunddreißig; Frisieren um neun Uhr vierzig, usw. Nachher von halb zwölf Uhr vormittags bis zwölf Uhr nachts, wo der methodische Gentleman ins Bett ging, war alles aufgezeichnet, vorgesehen, geregelt. Passepartout machte sich eine Freude daraus, dieses Programm zu studieren und dessen verschiedene Artikel seinem Geist einzuprägen.

Die Garderobe des Herrn war sehr gut ausgestattet und merkwürdig vielfältig. Jede Hose, jeder Rock oder Weste war mit einer Ordnungsnummer versehen, die in einem Register eingetragen war, worauf das Datum stand, wann, der Jahreszeit nach, diese Stücke angezogen werden sollten. Die gleiche regelmäßige Anordnung galt auch für die Fußbekleidung.

Im Allgemeinen war dieses Haus der Saville-Row – welches zur Zeit des berühmten, aber zerstreuten Sheridan ein Tempel der Unordnung gewesen sein muss – bequem möbliert, einer netten Gemütlichkeit entsprechend. Es gab keine Bibliothek, keine Bücher, welche für Herrn Fogg unnütz gewesen wären, weil ihm der Reformclub zwei Bibliotheken, eine für Literatur, die andere für Recht und Politik, zur Verfügung stellte. In dem Schlafzimmer ein Kassenschrank mittlerer Größe, der gegen Feuergefahr und Diebstahl gesichert war. Keine Waffe im Hause, nichts von Jagd- oder Kriegsgeräten. Aus allem sah man nur die friedlichsten Gewohnheiten.

Nachdem Passepartout diese Wohnung im Detail gemustert hatte, rieb er sich die Hände, sein breites Gesicht wurde heiter und er sagte wiederholt mit fröhlichem Herzen:

»Das steht mir an! Hier ist mein Platz! Herr Fogg und ich, wir verstehen uns vollkommen. Das ist ein geregelter Mann, ein Zimmerhüter! Eine wahre Maschine! Nun, ich bin‘s ganz zufrieden, eine Maschine zu bedienen!«

DRITTES KAPITEL
Eine Unterredung, welche Phileas Fogg teuer zu stehen kommen kann.

P

hileas Fogg hatte um halb zwölf Uhr sein Haus in Saville-Row verlassen und gelangte, nachdem er 570 Mal seinen rechten Fuß vor den linken und 576 Mal seinen linken Fuß vor den rechten gesetzt hatte, im Reformclub an, einem enormen Gebäude in Pall-Mall, welches nicht weniger als drei Millionen zu bauen gekostet hat.

Phileas Fogg begab sich sogleich in den Speisesaal, dessen neun Fenster die Aussicht auf einen Garten boten, mit Bäumen, die bereits im herbstlichen Goldschmuck prangten. Er setzte sich dort an die gewöhnliche Tafel, wo sein Gedeck auf ihn wartete. Sein Frühstück bestand aus einem Nebengericht, gesottenem Fisch in einer vorzüglichen ›reading sauce‹ – einem scharlachroten Roastbeef mit ›musheron‹ gewürzt, einem Kuchen mit einer Füllung aus Rhabarberstängeln und grünen Stachelbeeren, einem Stückchen chester, – alles mit einigen Tassen von dem vortrefflichen Tee, welcher ganz besonders für die Küche des Reformclubs gesammelt wurde.

Um zwölf Uhr siebenundvierzig Minuten stand dieser Gentleman auf und begab sich in den großen Salon, der prachtvoll mit Gemälden in reichen Rahmen verziert war. Hier überreichte ihm ein Diener die noch nicht aufgeschnittene ›Times‹, welche Phileas Fogg mit einer Sicherheit der Hand auseinander faltete, welche eine große Übung in dieser schwierigen Operation bekundete. Mit dem Lesen dieses Journals war Phileas Fogg bis drei Uhr fünfundvierzig Minuten beschäftigt; sodann mit der Lektüre des ›Standard‹ bis zum Diner. Diese Mahlzeit fand in gleicher Weise statt, wie das Frühstück, nur dass noch die ›royal british sauce‹ hinzukam.

Um fünf Uhr vierzig Minuten erschien der Gentleman wieder in dem großen Salon und vertiefte sich in die Lektüre des ›Morning Chronicle‹.

Eine halbe Stunde später kamen verschiedene Mitglieder des Reformclubs herein und näherten sich dem Kamin, wo ein Kohlenfeuer brannte. Es waren die gewöhnlichen Spielgenossen des Herrn Phileas Fogg, gleich ihm leidenschaftliche Whistspieler: der Ingenieur Andrew Stuart, die Bankiers John Sullivan und Samuel Fallentin, der Brauer Thomas Flanagan, Walther Ralph, einer der Administratoren der Bank von England, – reiche und angesehene Männer, selbst in diesem Club, welcher die hervorragendsten Mitglieder der Industrie und Finanzwelt in seiner Mitte zählt.

»Nun, Ralph«, fragte Thomas Flanagan, »wie steht‘s mit dem Diebstahl?«

»Nun«, erwiderte Andrew Stuart, »die Bank wird um ihr Geld kommen.«

»Ich hoffe im Gegenteil«, sagte Walther Ralph, »dass wir den Dieb in die Hand bekommen werden. Es sind sehr geschickte Polizisten nach Amerika und Europa in alle großen Landungs- und Einschiffungshäfen abgeschickt worden, denen wird jener Herr wohl schwerlich entrinnen.«

»Man hat die Personenbeschreibung des Diebes?«, fragte Andrew Stuart.

»Vor allem ist es kein Dieb«, erwiderte Walther Ralph ernst.

»Wie, dieses Individuum, welches 55.000 Pfund in Banknoten (700.000 Taler) entwendet hat, ist nicht als Dieb zu bezeichnen?«

 

»Nein«, versetzte Walther Ralph.

»Also ein Industrieller?«, fragte John Sullivan.

»Der ›Morning Chronicle‹ versichert, es sei ein Gentleman.«

Der Mann, der diese Äußerung machte, war niemand anderes, als Phileas Fogg, dessen Kopf damals aus der um ihn herum aufgetürmten Flut von Papieren auftauchte. Zugleich grüßte Phileas Fogg seine Kollegen, welche seinen Gruß erwiderten.

Der fragliche Vorfall, welchen die verschiedenen Journale des Vereinigten Königreichs eifrig besprachen, hatte sich drei Tage zuvor, am 29. September, begeben. Ein Paket Banknoten, 55.000 Pfund enthaltend, war aus dem Fach des Hauptkassierers der Bank von England verschwunden. Wunderte man sich, dass sich ein solcher Diebstahl so leicht zutragen konnte, so antwortete der Untergouverneur Walther Ralph nur, dass der Kassierer eben damit beschäftigt gewesen war, einen Einnahmeposten von drei Schilling sechs Pence einzutragen, und man könne seine Augen nicht überall zugleich haben. Aber es ist hier zu bemerken – was die Tatsache erklärbarer macht – dass dieses erstaunliche Institut der Bank von England um die Würde der Kundschaft äußerst besorgt ist. Keine Wachen, keine Gitter! Das Gold, Silber, die Noten liegen da ganz frei, sozusagen dem Belieben des ersten Besten preisgegeben. Es fällt einem nicht ein, gegen die Ehrenhaftigkeit irgendeines Vorübergehenden Verdacht zu hegen. Einer der besten Beobachter englischer Gebräuche erzählt sogar Folgendes: In einem der Säle der Bank, wo er sich eines Tages befand, war er so neugierig, einen sieben bis acht Pfund schweren Goldbarren näher zu besehen; er nahm denselben, betrachtete ihn, übergab ihn seinem Nachbarn, dieser einem anderen. Und so wanderte der Barren von Hand zu Hand bis in einen dunkeln Gang hinein und kam erst nach einer halben Stunde an seinen Platz zurück, ohne dass der Kassierer nur den Kopf hob.

Aber am 29. September ging es nicht ganz so. Der Packen Banknoten kam nicht wieder zurück, und als die prachtvolle Uhr, welche über dem Geschäftssaal angebracht war, um fünf Uhr den Schluss der Büros anläutete, blieb der Bank von England nichts anderes übrig, als 55.000 Pfund auf das Verlustkonto zu setzen.

Als der Diebstahl rechtmäßig angezeigt war, wurden auserwählte Agenten, ›Detectives‹, in die bedeutendsten Häfen von Liverpool, Glasgow, Le Havre, Suez, Brindisi, New York etc., abgeschickt und eine Prämie von zweitausend Pfund nebst fünf Prozent der wieder gefundenen Summe für die Wiederbeschaffung ausgesetzt. Während sie die Auskünfte abwarteten, welche die unverzüglich eingeleitete Untersuchung zu liefern versprach, hatten diese Agenten den Auftrag, sorgfältig alle ankommenden und abreisenden Passagiere zu beobachten.

Nun hatte man Grund, gerade wie der ›Morning Chronicle‹ sich aussprach, anzunehmen, dass der Täter keiner der organisierten Diebesgesellschaften Englands angehöre. Man hatte im Laufe des 29. Septembers einen wohlgekleideten Gentleman mit guten Manieren und vornehmer Miene in dem Zahlungssaale, in dem sich der Diebstahl ereignete, auf- und abgehen sehen. Die Untersuchung hatte es möglich gemacht, die Personenbeschreibung dieses Gentlemans ziemlich genau wiederzugeben, welche dann augenblicklich an alle Detektive des Vereinigten Königreiches und des Kontinentes abgeschickt wurde. Manche guten Köpfe – darunter auch Walther Ralph – glaubten daher Grund zur Hoffnung zu haben, der Dieb werde nicht entkommen.

»Ich behaupte«, sagte Andrew Stuart, »dass der Dieb unfehlbar ein gewandter Mensch ist, welcher alle Aussicht hat, zu entkommen.«

»Ei doch!«, erwiderte Ralph. »Es gibt ja kein einziges Land mehr, wo er Zuflucht fände.«

»Das wäre!«

»Wo meinen Sie denn, dass er hingehen soll?«

»Das weiß ich nicht«, versetzte Andrew Stuart, »aber trotz allem ist auf der Erde doch viel Platz.«

»Das war früher einmal der Fall«, sagte Phileas Fogg halblaut. Darauf: »Sie müssen abheben, mein Herr«, und er reichte Thomas Flanagan die Karten.

Der Disput ruhte während der Robber. Aber bald fing er wieder an, als Andrew Stuart fragte:

»Wieso früher einmal? Ist die Erde etwa kleiner geworden?«

»Allerdings«, versetzte Walther Ralph. »Ich bin der Meinung des Herrn Foggs. Die Erde hat an Umfang verloren, weil man jetzt zehnmal rascher als vor hundert Jahren um sie herum reisen kann. Und deshalb werden auch in unserem vorliegenden Falle die Nachforschungen weit schneller angestellt.«

»Und auch die Flucht des Diebes wird dadurch leichter!«

»An Ihnen ist die Reihe, Herr Stuart!«, sagte Phileas Fogg.

Aber der ungläubige Stuart war nicht überzeugt, und als die Partie fertig war, entgegnete er: »Man muss gestehen, Herr Ralph, Sie haben da einen scherzhaften Einfall gehabt, indem Sie sagten, die Erde sei kleiner geworden! Also weil man jetzt in drei Monaten um dieselbe herum reist...«

»In achtzig Tagen nur«, sagte Phileas Fogg.

»Wirklich, meine Herren«, setzte John Sullivan hinzu, »achtzig Tage, seitdem auf der großen Indischen Eisenbahn die Strecke zwischen Rothai und Allahabad eröffnet worden ist, wie der ›Morning Chronicle‹ die Route berechnet, nämlich:


Von London nach Suez über den Mont-Cenis und Brindisi, Eisenbahn und Paketboot 7 Tage
Von Suez nach Bombay, Paketboot 13 Tage
Von Bombay nach Kalkutta, Eisenbahn 3 Tage
Von Kalkutta nach Hongkong, Paketboot 13 Tage
Von Hongkong nach Yokohama in Japan, Paketboot 6 Tage
Von Yokohama nach San Francisco, Paketboot 22 Tage
Von San Francisco nach New York, Eisenbahn 7 Tage
Von New York nach London, Paketboot und Eisenbahn 9 Tage
Gesamt 80 Tage

»Ja! Achtzig Tage«, rief Andrew Stuart, der aus Unachtsamkeit eine schlechte Karte abhob, »aber die schlechte Witterung, widrige Winde, Schiffbruch, Entgleisungen etc. nicht eingerechnet.«

»Alles inbegriffen«, erwiderte Phileas Fogg und fuhr fort zu spielen; denn diesmal nahm das Gespräch keine Rücksicht auf das Spiel.

»Selbst auch, wenn die Hindus oder die Indianer die Schienen zerstören!«, rief Andrew Stuart. »Wenn sie die Züge aufhalten, um die Gepäckwagen zu plündern und die Passagiere zu skalpieren!«

»Alles inbegriffen«, erwiderte Phileas Fogg, der sein Spiel hinwarf, mit den Worten: »Zwei Haupttrümpfe!«

Andrew Stuart, an welchem die Reihe war zu geben, nahm die Karten wieder zusammen und sprach:

»Theoretisch haben Sie Recht, Herr Fogg, aber in der Praxis...«

»In der Praxis auch, Herr Stuart.«

»Ich wünschte Sie dabei zu sehen.«

»Das hängt nur von Ihnen ab. Machen wir die Reise miteinander.«

»Der Himmel behüte mich!«, rief Stuart. »Aber ich würde schon um viertausend Pfund wetten, dass eine solche Reise unter solchen Bedingungen unmöglich ist.«

»Sehr gut möglich, vielmehr«, erwiderte Herr Fogg.

»Nun, so machen Sie die Reise!«

»Die Reise um die Welt in achtzig Tagen?«

»Ja.«

»Nun gut.«

»Wann?«

»Augenblicklich. Nur will ich Ihnen bemerken, dass ich sie auf Ihre Kosten machen will.«

»Das ist Narrheit!«, rief Andrew Stuart, dem das Drängen seines Spielgenossen lästig ward. »Spielen wir lieber.«

»So geben Sie die Karten nochmals«, erwiderte Phileas Fogg, »denn Sie haben sich vergeben.«

Andrew Stuart nahm die Karten wieder in die zitternde Hand; dann legte er sie plötzlich wieder auf den Tisch und sprach:

»Nun ja! Herr Fogg, ja, ich wette um viertausend Pfund!«

»Lieber Stuart«, sagte Fallentin. »Beruhigen Sie sich. Das ist nicht ernst gemeint.«

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