Ein Lotterielos

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Ein Lotterielos
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Jules Verne

Ein Lotterielos

Inhaltsverzeichnis

Einleitung.

Ein Lotterie-Los

Erstes Kapitel.

Zweites Kapitel.

Drittes Kapitel.

Viertes Kapitel.

Fünftes Kapitel.

Sechstes Kapitel.

Siebentes Kapitel.

Achtes Kapitel.

Neuntes Kapitel.

Zehntes Kapitel.

Elftes Kapitel.

Zwölftes Kapitel.

Dreizehntes Kapitel.

Vierzehntes Kapitel.

Neunzehntes Kapitel.

Fünfzehntes Kapitel.

Sechzehntes Kapitel.

Siebzehntes Kapitel.

Achtzehntes Kapitel.

Impressum

Einleitung.

Die Erzählung, welche Jules Verne in dem vorliegenden Bande bietet, spielt in jenem von der lieben Menschheit so eifrig gepflegten Gebiete der Lotterie. Die meisten Menschen sind nun einmal von dem Drange, viel Geld zu haben und schnell Geld zu haben, beseelt, und von diesem Drange ist auch ein nordischer Seemann erfüllt, der kurz vor seiner Verheiratung noch ein letztes Mal auf eine Hochsee-Fischfahrt auszieht und vorher noch sein Glück durch Ankauf eines Lotterieloses versuchen will. Mit diesem Los in der Tasche zieht er auf See und leidet Schiffbruch, übergibt aber das Los, in dem Moment, wo das Schiff sinkt, als Flaschenpost dem Meere, das es in dem für die Erzählung richtigen Moment an die geeignete Stelle treibt, nämlich an ein dänisches Schiff, von dessen Kapitän es in die Heimat des Seefahrers gelangt.

Um dieses Los herum webt Jules Verne ein paar abenteuerliche Liebesgeschichten. Nach vieler Not und Trübsal finden sich die Liebespaare zusammen. Als deus ex machina greift ein volkstümlicher nordischer Professor in das Glücksrad und sorgt dafür, daß die Machinationen des bösen Elements in der Erzählung, das ein Wucherer vertritt, zu schanden werden.

Das ist im großen das Thema der Erzählung, die der Autor nach Norwegen verlegt, in das durch Kaiser Wilhelms Nordlandsreisen berühmt gewordne Land der Fjorde. In seinen Schönheiten schwelgt Jules Verne, und schon hierdurch ist die Erzählung für die Gegenwart von außergewöhnlichem Interesse, und niemand wird sie ohne Befriedigung aus der Hand legen.

P. H.

Ein Lotterie-Los

Erstes Kapitel.

»Welche Zeit?« fragte Frau Hansen, als sie die Asche aus ihrer Pfeife geschüttelt hatte, deren letzter Rauch in leichten Wölkchen zwischen den buntangestrichenen Deckbalken sich verlor.

»Acht, Mutter,« antwortete Hulda.

»Daß in der Nacht noch Wanderer bei uns vorsprechen sollten, ist wohl nicht wahrscheinlich; die Witterung ist zu schlecht.«

»Ich meine auch nicht, daß noch jemand kommen werde; auf alle Fälle aber sind ja die Stuben fertig, und wenn draußen geklopft wird, so werde ich es schon hören.«

»Dein Bruder ist noch nicht wieder da?«

»Noch nicht!«

»Sagte er nicht, daß er heut zurückkehren wolle?«

»Nein, Mutter. Joel ist mit einem Reisenden zum Tinn-See unterwegs, und da er sehr spät aufgebrochen ist, glaube ich nicht, daß er vor morgen wieder in Dal wird sein können.«

»Er will in Möl übernachten?«

»Ja, wahrscheinlich; er müßte denn bis Bamble hinüber, um bei Pächter Helmboe vorzusprechen?«

»Und bei der Tochter?«

»Gewiß, auch bei der Siegfriede, meiner liebsten Freundin, der ich zugetan bin wie einer Schwester!« erwiderte lächelnd das junge Mädchen.

»Nun, dann schließ ab, Hulda! wir wollen uns schlafen legen.«

»Fehlt Euch auch nichts, Mutter?«

»Nein, aber ich will morgen beizeiten heraus ... will nach Möl ...«

»Weshalb?«

»Ei! wir müssen doch für die kommende Saison frischen Proviant einkaufen!«

»Ist etwa der Botenmann von Christiania mit Wein und Eßwaren in Möl angekommen?«

»Jawohl, Hulda, heut nachmittag,« versetzte Frau Hansen; »Lengling, der Werkmeister in der Sägemühle, hat ihn getroffen und hat es mir im Vorbeigehen gesagt. Von unserem Schinken und Räucherlachs ist nicht mehr viel da, und bis auf den letzten Rest möchte ich doch beides nicht ausgehen lassen. Heute oder morgen, sobald sich die Witterung bessert, können Touristen auf dem Wege ins Telemarken vorsprechen. Unsre Herberge muß doch imstande sein bis dahin: wenn Fremde kommen, so müssen sie doch, was sie brauchen können bei längerm oder kürzerm Aufenthalt, hier auch finden! Du weißt doch, Hulda, daß wir schon den 15. April haben?«

»Ja, ja, den 15. April,« flüsterte das junge Mädchen.

»Ich werde mich also morgen mit all diesen Dingen befassen,« versetzte Frau Hansen; »in zwei Stunden denke ich die nötigen Einkäufe besorgt zu haben, der Bote mag alles herschaffen, und ich komme dann mit Joel in der Karriole zurück.«

»Falls Ihr den Postboten unterwegs trefft, Mutter, dann vergeßt doch nicht zu fragen, ob er etwa für uns einen Brief hat.«

»Für dich, meinst du doch? Na, das kann schon der Fall sein, denn der letzte Brief von Ole ist wohl schon vier Wochen alt.«

»Ja, ja, Mutter, vier Wochen – ganze vier Wochen!«

»Laß dich das nicht bekümmern, Hulda! Solche Säumnis kann doch uns nicht verwundern! Wenn übrigens der Postbote von Möl nichts gebracht hat, so kann doch auch, was über Christiania nicht herkommt, über Bergen herkommen.«

»Ohne Frage, Mutter! ohne Frage!« antwortete Hulda; »aber warum redet Ihr denn so? Was mir das Herz schwer macht, ist doch bloß, daß es von hier bis zu den Neufundländer Fischgründen so weit ist! quer über ein ganzes großes Weltmeer; und wenn nun gar noch schlimmes Wetter ist! Fast ein ganzes Jahr ist nun mein armer Ole weg, und wer vermöchte zu sagen, wann er wieder bei uns in Dal sein wird?«

»Und ob wir noch da sein werden, wenn er heimkehrt!« flüsterte Frau Hansen, aber so leise, daß ihre Tochter es nicht hören konnte.

Hulda klinkte die Herbergstür zu, die auf den Wjesforddaler Weg hinaus führte, nahm sich aber nicht erst die Mühe, den Schlüssel im Schlosse herumzudrehen. Hier in dem gastlichen Norwegen sind solche Vorsichtsmaßregeln nicht nötig. Hier müsse, meint man, jeder Wanderer, ob bei Tage ober bei Nacht, in dem Wohnhause der Gaards Gaard: Gehöft, Landgut. oder Soeters Soeter: Vorwerk, Siedelstätte. Eingang finden können, ohne daß ihm erst jemand aufzumachen brauche.

Besuche durch Landstreicher oder Bösewichte hat man hierzulande nicht zu befürchten, weder auf den einsamen Pachthöfen, noch in den abgelegensten Weilern. Noch nie hat hier ein verbrecherischer Anschlag gegen Gut oder Leben die Sicherheit der Bewohner gefährdet!

Mutter und Tochter wohnten in zwei Stuben nach vorn heraus im Oberstock der Herberge. Es waren zwei frische, reinliche Stuben, freilich mit bescheidenem Mobiliar, aber was man drin sah, verriet die sorgende Hand einer tüchtigen Hausfrau. Ein Stock höher, unterm Dache, das über die Grundmauer vorsprang wie bei einem Schweizerhause, lag Joels Stube. Sie bekam ihr Licht durch ein Fenster, das in einem nicht ohne Geschmack aus Tannenholz geschnitzten Rahmen saß. Von dieser Dachstube aus reichte der Blick über einen majestätischen Gebirgshorizont, bis in den tiefen Grund des engen Tales hinunter, wo der Maan, halb Gieß-, halb Waldbach, tobte. Von der großen Stube im Erdgeschoß zu den oberen Stockwerken hinauf führte eine Holztreppe mit wuchtigem Geländer und spiegelblanken Stufen. Einen Anblick von so anheimelnder Art, wie dieses norwegische Haus ihn bot, in welchem der Wanderer eine Bequemlichkeit und einen Wohlstand antraf wie nur selten in norwegischen Herbergen, konnte man sich kaum vorstellen.

Hulda und ihre Mutter bewohnten also das obere Stockwerk. Dorthin zogen sie sich, wenn sie allein waren, beizeiten zurück. Schon hatte Frau Hansen, die mit einem bunten Leuchter in der Hand voraus ging, die ersten Stufen der Holztreppe hinter sich, als sie noch einmal stehen blieb.

Es klopfte draußen, und eine Stimme rief:

»He, Frau Hansen! Frau Hansen!«

Frau Hansen ging die Stufen wieder hinunter.

»Wer kann denn so spät noch etwas wollen?« fragte sie.

 

»Es wird doch dem Joel nichts zugestoßen sein?« versetzte lebhaft Hulda.

Gleich war sie an der Tür.

Ein junger Bursch stand dort: einer von jenen halbwüchsigen Jungen, die dem Gewerbe eines »Skydskarl« ober »Schußknechts« nachgehen, das darin besteht, hinten auf der Karriole aufzusitzen und von der Station ober dem Endziel der Fahrt das Pferd wieder heimzureiten. Der Schußknecht, der vor Frau Hansens Herberge stand, dicht an der Schwelle, war zu Fuß, also ohne Pferd, gekommen.

»He! was willst denn zu solcher Zeit?« fragte Hulda.

»Fürs erste Euch guten Abend wünschen,« versetzte der junge Bursche.

»Ist das alles?«

»Nein! nicht alles, aber soll man nicht immer höflich sein, wenn man was bei jemand will?«

»Hast recht! Na, wer schickt dich denn?«

»Ich komme im Auftrag Eures Bruders, des Joel!«

»Vom Joel? und aus welcher Ursach?« erwiderte Frau Hansen.

Sie kam zur Tür hin, mit jenem langsamen, gemessenen Schritte, der das Kennzeichen der in Norwegen üblichen Gehweise bildet. Daß sich in den Adern ihres Erdreichs Quecksilber findet, soll Geltung haben; in den Adern ihres Leibes aber ist von diesem beweglichen Stoffe wenig oder nichts vorhanden. Immerhin mochte die Antwort des Burschen die Mutter in eine gewisse Aufregung versetzt haben, denn sie beeilte sich, weiter zu fragen:

»Meinem Sohne ist doch nichts zugestoßen?«

»O doch! es ist ein Brief gekommen; der Postbote von Christiania hat ihn gebracht – von Drammen.«

»Ein Brief? und von Drammen?« fragte, die Stimme senkend, Frau Hansen lebhaft.

»Kann nichts sagen,« antwortete der junge Bursch; »was ich weiß, ist, daß Joel vor morgen nicht heimkommen kann, und daß er mich deshalb mit dem Briefe hergeschickt hat.«

»Also ist es eilig?«

»Wie es scheint.«

»Gib her,« sagte Frau Hansen mit einer Stimme, die eine ziemliche lebhafte Unruhe verriet.

»Hier habt Ihr ihn, ganz sauber und nicht zerknittert! Bloß ist er nicht an Euch adressiert!«

»Und an wen sonst?« fragte sie, scheinbar minder beklommen.

»An Eure Tochter.«

»An mich?« rief Hulda. »Also ein Brief von Ole! ganz gewiß, Mutter – mit der Post über Christiania. Joel hat mich warten lassen wollen!«

Hulda hatte den Brief genommen, war zu dem Tische getreten, auf dem der Leuchter stand, hatte den Brief an das Licht gehalten und die Aufschrift angesehen.

»Ja!« sagte sie, »ein Brief von ihm, Mutter! richtig von ihm! möchte er mir doch melden, daß der »Biken« auf der Heimfahrt ist.«

Unterdes fragte Frau Hansen den Burschen:

»Du trittst nicht ein?«

»Auf eine Minute schon! muß aber noch heute abend heim, weil ich morgen früh eine Karriolfahrt habe.«

»Na, dann sage Joel, daß ich ihn in Möl treffen will, er soll auf mich warten.«

»Morgen abend?«

»Nein! in der Frühe! er soll nicht von Möl weg, sondern auf mich dort warten!«

»Abgemacht, Frau Hansen!«

»Nun, wie ist es mit einem Tropfen Branntwein?«

»O, gern!«

Der Bursch war an den Tisch getreten und Frau Hansen hatte ihm eine Herzstärkung eingegossen, die dort oben gegen die Abendnebel immer von gar heilsamer Wirkung ist. Der Bursch ließ auch keinen Tropfen in der kleinen Tasse. Dann sagte er: »Godaften!« und Frau Hansen antwortete: »Godaften, mein Jung!«

Das ist in Norwegen der Abendgruß. Er wurde schlicht ausgetauscht. Nicht einmal mit dem Kopfe wurde dabei genickt, und ohne sich um die lange Strecke zu scheren, die er noch zu laufen hatte, machte der Bursch sich auf den Weg. Seine Schritte hatten sich bald unter den Bäumen des Pfades verloren, der neben dem tosenden Bache einherläuft.

Unterdes sah Hulda noch immer auf den Brief von Ole und bekundete nicht die geringste Eile, ihn aufzumachen. Man bedenke doch! diese schwache dünne Papierhülle hatte quer über den Ozean laufen müssen, um bis zu ihr hin zu gelangen, quer durch das weite große Meer, in das sich alle Flüsse und Bäche des westlichen Norwegens ergießen. Sie musterte die verschiedenen Poststempel auf dem Briefe: am 15. März war er auf die Post gegeben worden und am 15. April erst in Dal eingetroffen. Was? also vor vier Wochen hatte Ole den Brief schon geschrieben! was hatte in diesen vier Wochen nicht altes dort draußen, in den Gewässern von Neufundland, passieren können! stand man denn nicht noch in der Winterszeit? in der gefahrvollen Epoche der Tag- und Nachtgleiche? sind nicht diese Fischgründe mit den schrecklichen Stürmen, die der Pol quer über die nordamerikanischen Ebenen zu ihnen hinüber jagt, die schlechtesten Striche der Erde? Ein mühseliges, gefährliches Handwerk solches Fischerhandwerk, dem Ole oblag! und wenn er ihm oblag, dann durchaus nicht, um für sich, sondern bloß für sie, seine Braut, die er nach der Heimkehr heiraten sollte, den Gewinn daraus heimzubringen – armer Ole! was schrieb er in diesem Briefe? Ganz ohne Zweifel, daß er seiner Hulda nach wie vor in Liebe zugetan sei, wie Hulda ihrem Ole – und daß ihre Gedanken, so groß auch die Entfernung sei, die zwischen ihnen läge, den Weg zueinander fänden und daß er den Tag seiner Heimkehr nach Dal herbeisehne mit allen Fasern seines Herzens!

Ja! das mußte alles drinstehen in diesem Briefe: Hulda wußte es ganz genau! aber vielleicht stand weiter drin, daß seine Heimkehr in Bälde bevorstehe, daß dieser Fischzug, der das Bergensche Seevolk soweit von seiner heimatlichen Scholle riß, bald zu Ende sei! vielleicht auch, daß der »Viken« beim Verstauen seiner Ladung sei, daß er sich zur Abfahrt rüste, daß noch ehe der April zu Ende gehe, sie beide beisammen sitzen würden in dem glücklichen Heim des Westjorddal? Vielleicht stand endlich gar drin, daß man schon den Tag festmachen könne, wann der Pastor von Möl herüber kommen könne, um sie in der bescheidenen Holzkapelle zusammenzutun, deren Kirchturm, wenige hundert Schritte von Frau Hansens Herberge entfernt, aus einem Baumdickicht emporstieg?

Um das alles zu wissen, brauchte doch einfach nur das Siegel des Briefumschlags gelöst, Oles Brief herausgenommen und gelesen werden, wenn auch Tränen in Huldas Augen treten sollten, und zwar, je nach seinem Inhalt, Schmerzens- oder Freudentränen, ... und ganz ohne Zweifel hätte auch schon mehr denn eine ungeduldige Maid im Süden, eine Tochter Dalekarliens oder Dänemarks oder Hollands, längst gewußt, was die junge norwegische Maid noch immer nicht wußte! Aber Hulda saß in Träume versunken, und Träume finden ihr Ende immer erst, wenn Gott ihr Ende zu schicken geruht, und wie oft tut es einem leid um Träume, wenn die Wirklichkeit mit ihrer nüchternen Prosa an ihre Stelle tritt!

»Meine Tochter,« sagte nun Frau Hansen, »der Brief, den dir dein Bruder schickt, ist doch auch wirklich von Ole?«

»Ja doch, Mutter! ich hab doch gleich die Schrift erkannt.«

»Na, willst wohl mit dem Lesen warten bis morgen?«

Ein letztes mal betrachtete Hulda den Briefumschlag; dann machte sie ihn auf, aber ohne es sonderlich eilig damit zu haben, nahm einen auffällig akkurat geschriebenen Brief heraus und las wie folgt:

Saint-Pierre-Miquelon, 17. März 1882.

Liebste Hulda!

Du wirst zu deiner Freude hören, daß wir einen glücklichen Fischzug gemacht haben und in ein paar Tagen damit fertig sein werden. Ja! der Zug geht zu Ende! Ein Jahr bin ich nun weg! wie freue ich mich drauf, wieder zu Hause, wieder in Dal zu sein! dort die einzige Familie wiederzufinden, die mir bleibt – deine Familie!

Was auf meinen Anteil als Gewinn fällt, macht ein hübsches Sümmchen aus. Es reicht für unsere Einrichtung! Unsre Reeder in Bergen, die Herren Brüder Help, Söhne von Herrn Help jun., sind schon benachrichtigt, daß der »Viken« wahrscheinlich zwischen dem 15. und 20. Mai einlaufen wird. Du kannst dich also gefaßt darauf machen, mich um diese Zeit herum, also höchstens in ein paar Wochen, zu erwarten.

Liebste Hulda, ich rechne darauf, dich schmucker wiederzufinden als ich dich bei der Ausfahrt verlassen habe, und, gleichwie dein Mutting, bei recht guter Gesundheit. Bei guter Gesundheit auch den strammen, wackern Kameraden, meinen Vetter Joel, dein Brüderchen, das nun bald auch mein Brüderchen sein soll.

Wenn du den Brief hier kriegst, dann bestelle recht viele schöne Grüße an Frau Hansen, die ich von hier aus in ihrem Holzstuhle, nahe dem alten Herde in der großen Stube sitzen sehe. Sag ihr von neuem, daß ich sie doppelt liebe: einmal weil sie deine Mutter, zum andern male, weil sie meine Tante ist.

Mach dir auf keinen Fall die Ungelegenheit, mich in Bergen abzuholen! Es könnte nämlich sein, der »Viken« käme früher schon als ich bettle. Ganz gleich wann wir landen, 24 Stunden drauf, liebste Hulda, kannst du rechnen, mich in Dal ankommen zu sehen. Bloß erschrick mir nicht, Mädel, wenn ich etwa früher kommen sollte.

Wir sind während des Winters, des schlimmsten, dessen sich unsere Seeleute erinnern können, von den schweren Stürmen derb geschüttelt worden. Zum Glück hat's an der großen Bank Stockfische über Stockfische gesetzt. Der »Viken« bringt ihrer an 5000 Viertelzentner mit, ablieferbar in Bergen und von Firma Gebrüder Help, Söhne von Help sen., schon wieder verkauft! Was schließlich die Familie zumeist interessieren dürfte, ist und bleibt, daß wir einen glücklichen Fischzug gehabt haben, und daß die Profite für mich, da ich einen vollen Anteil besitze, sehr gut ausfallen werden! Sind es nun auch nicht gerade Schätze, die ich mit heimbringe, so habe ich doch die Meinung, ja ich möchte sagen eine Art Vorgefühl, daß mich ein Schatz bei der Heimkehr erwartet. Jawohl! ein Schatz! vom Glücke gar nicht zu reden! Wieso? ja, siehst du, das ist mein Geheimnis, herzige Hulda, und ich denke, du verzeihst es mir, daß ich vor dir ein Geheimnis habe.

Es ist das einzige! Zudem sollst du es erfahren – wann? na, sobald der Augenblick dazu da ist; vor der Hochzeit, wenn sie etwa durch einen unvorhergesehenen Störenfried von Zufall sich hinausziehen sollte – nach der Hochzeit, wenn ich zur besagten Zeit daheim bin und wenn du in der Woche drauf mein Weib geworden bist, wie ich es so von ganzem Herzen wünsche.

Ich umarme dich und küsse dich, liebste Hulda! ich beauftrage dich, Frau Hansen und Vetter Joel einen Kuß für meine Rechnung zu geben. Einen Kuß noch auf deine Stirn, auf der die funkelnde Brautkrone vom Telemarken sich ausnehmen wird wie ein Glorienschein.

Zum letzten male, liebste Hulda! ade, ade!

Dein Bräutigam

Ole Kamp.

Zweites Kapitel.

Dal – bloß ein paar Häuser: die einen längs einer Straße, die im Grunde genommen bloß ein Pfad ist, die anderen verstreut über den Bergrücken in der Nähe. Mit der Vorderseite stehen sie dem als Westfjorddal schon genannten schmalen Tale, mit dem Rücken dem Viereck der Hügel im Norden zugekehrt, an deren Fuße der Gießbach Maan fließt. Alle Gebäude zusammen würden, wenn sie einem einzigen Grundbesitzer gehörten, oder von einem einzigen Pächter bewirtschaftet würden, einen der im Lande sehr häufigen »Gaards« bilden. Aber wenn auch nicht auf den Namen Flecken, so hat es doch Anspruch auf den Namen Weiler. Eine kleine, im Jahre 1856 errichtete Kapelle, mit zwei schmalen Glasfenstern in der Chorwand, erhebt nicht weit ab durch das Baumdickicht ihren vierseitigen Glockenturm – ganz aus Holz gebaut. Rechts und links, über die zum Bache laufenden Bächlein, sind Stege geschlagen, aus kreuzweis gelegten Bohlen gezimmert, und mit Moos ausgefüllt. Weiter entfernt hört man ein paar urwüchsige Sägemühlen knarren, die von den Waldbächen getrieben werden, mit einem Rad für die Säge, einem zweiten für den Sägebaum. Soweit der Blick reicht, scheinen Kapelle, Sägemühlen, Häuser, Hütten, alles in einen zarten Rasendunst gebettet, hier in dunklere Färbung durch den Tannen-, dort in halb weiße, halb hellgrüne Färbung durch den Birken-Hintergrund getaucht, in einen Rahmen von Bäumen und Baumgruppen gefaßt, der von den gewundenen Ufern des Maan bis zum Kamme der Hochgebirge des Telemarken hinauf reicht.

So zeigt sich dieser kleine Weiler, Dal mit Namen, frisch und lachend, mit seinen malerischen Wohnhäuschen, die alle außen bunt gestrichen sind, manche in zarten weichen Farben: maigrün oder hellrot, manche in grellen Farben: schreiendem Gelb oder Rot. Auf ihren mit Rasen bekleideten Birkenrinden-Dächern, aus denen im Herbst Heumahd gehalten wird, wachsen die schönsten Blumen. Alles hier ist lieblich und köstlich und zum reizendsten Lande auf Erden gehörig. Mit einem Worte: Dal liegt in Telemarken, Telemarken liegt in Norwegen, und Norwegen ist die Schweiz mit unzähligen Tausenden von Fjords, durch die das Meer am Fuße von Norwegens Bergen brandet.

 

Telemarken ist in jenem weit ausgekragten Teile einbegriffen, den Norwegen zwischen Bergen und Christiania bildet und der sich einem ungeheuren Kolben gut vergleichen läßt. Diese zum Amte Batsberg zugehörige Voigtei hat Berge und Gletscher wie die Schweiz, ist aber nicht die Schweiz; sie hat großartige Wasserfälle wie Nordamerika, ist aber nicht Nordamerika; sie hat Landschaften mit buntgestrichenen Häusern und ihre Bewohner tragen eine Tracht, die an andere Zeiten gemahnt, gleichwie Häuser und Trachten in gewissen Flecken von Holland zu treffen, aber Telemarken ist nicht Holland: Telemarken ist besser, weit besser als dies alles zusammen, Telemarken ist eben Telemarken: eine in der Welt durch ihre Naturschönheiten vielleicht einzig dastehende Gegend. Der die Erzählung schreibt, hat das Glück gehabt, Telemarken zu bereisen, im Karriol mit Pferden, die von Posthalterei zu Posthalterei gewechselt wurden: das heißt, wenn ihrer dort zu haben waren. Er hat einen Eindruck von dort mit heimgenommen, so reich an Liebreiz und Poesie, der noch lebendig in seiner Erinnerung steht, daß er fürs Leben gern dieser schlichten Erzählung einen Teil zueignen möchte.

Zur Zeit, da dieselbe spielt – im Jahre 1862 – hatte Norwegen noch keine Eisenbahn, auf der man es heute bequem bereisen kann: von der schwedischen Hauptstadt Stockholm über Christiania bis Drontheim. Jetzt ist ein gewaltiges Schienenband zwischen diesen beiden skandinavischen Ländern, die zu gemeinschaftlichem Staatsleben so geringe Neigung aufweisen, gespannt. Im Eisenbahnwaggon eingesperrt, fährt der Reisende freilich schneller als im alten Karriol, sieht aber auch nichts mehr von der Urwüchsigkeit der Wege alter Zeit. Er büßt die Fahrt durch das südliche Schweden auf dem merkwürdigen Götha-Kanal ein, aus dem die Dampfschiffe von Schleuse zu Schleuse gehoben werden und so eine Höhe von über 300 Fuß erklimmen. Er sieht die berühmten Trollhättafälle nicht, sieht Drammen nicht, sieht Kongsberg nicht, sieht nichts von all den herrlichen Wundern des Telemarken.

Zu jener Zeit war der Bau der Eisenbahn erst noch im Werke und über zwanzig Jahre sollte es noch dauern, bis man das skandinavische Reich von einem Gestade zum andern – in Zeit von vierzig Stunden – mit der Bahn durchqueren und bis zum Nordkap hinauf, mit Hin- und Rückfahrtkarte nach Spitzbergen, mit der Bahn bereisen konnte.

Damals bildete nun gerade Dal – und hoffentlich noch recht lange! – den eigentlichen Mittel- oder Treffpunkt für alle fremden sowohl als heimischen Wanderer. Das weitaus größere Kontingent der letzteren stellte, wie wohl begreiflich, die Studentenschaft von Christiania. Von Dal aus konnten sie sich zerstreuen über den ganzen Bereich des Telemarken und des Hardanger, konnten das Westjorddal zwischen dem Mjössee und dem Tinnsee durchstreifen, konnten Ausflüge machen zu den herrlichen Wasserfällen des Rjukan. Freilich gab es bloß ein einziges Gasthaus in diesem Weiler, aber dafür ist es das lieblichste, behaglichste Gasthaus, das sich denken und wünschen läßt, auch das größte und bedeutendste, da es vier Stuben für Touristen und Wanderer in Bereitschaft hält: mit einem Worte – das Gasthaus von Frau Hansen.

Verschiedene Bänke stehen an seinen rosa gestrichenen, vom Erdboden durch ein sicheres Granitfundament abgeschiedenen Wänden.

Das Tannengebälk seiner Wände hat mit der Zeit eine solche Härte gewonnen, daß eine stählerne Axt daran zersplittern würde. Zwischen diesem so gut wie unbehauenen, wagerecht übereinander geschichteten Bohlenwerk liegt eine Moosschicht mit einer Lehmschicht vermischt von solcher Dichtigkeit, daß es selbst dem stärksten Winterregen nicht möglich ist, hindurchzudringen. Die Stubendecken sind rot und schwarz gestrichen, im auffälligen Gegensatz zu den milderen, freudiger stimmenden Farben des Getäfels. In einer Ecke der großen Stube läuft von dem ringförmigen Herde das lange Rohr zur Esse des Küchenherdes hinauf. Hier führt die große Kastenuhr ihre sauber geschnitzten spitzen Zeiger über ein großes emailliertes Zifferblatt von Sekunde zu Sekunde mit lautschallendem Ticktack. Hier steht der alte runde Schreibsekretär mit braunem Sims, neben einem eisenbraun gestrichenen massiven dreibeinigen Schemel. Auf einem Untersetzer steht der Leuchter aus gebranntem Ton, der zum dreiarmigen Kandelaber wird, wenn man ihn umdreht. Das schönste, was im Haus an Mobiliar vorhanden ist, ziert diesen Wohnraum: der Tisch aus Birkenwurzeln mit gebauchten Füßen; die Truhe mit verzierten Beschlägen, in welcher die herrlichen Sonn- und Festtagsgewänder geborgen liegen; der große Lehnstuhl aus Holz so hart wie ein Kirchenstuhl; die bunt bemalten Sessel; das bäurische Spinnrad, grün in der Farbe gehalten, damit es grell absticht von dem roten Rocke der Spinnerinnen. Dann hüben und drüben der Steintopf für die Butter, der zum Eindrücken derselben gebrauchte Wälzer, dann der Tabakskasten und die aus Knochen geschnitzte Reibe. Ueber der zur Küche hin offnen Tür endlich ein großer Küchenrahmen mit seinen schmucken Reihen von Kupfer- und Zinngeschirr, Tellern und Schüsseln, in blitzendem Email, aus Porzellan und aus Holz; dann, halb verschwindend in seinem lackierten Kasten, der kleine Schleifstein, dann der alte ehrwürdige Eierbecher, der ganz gut als Abendmahlskelch dienen könnte! Dazu die interessanten Stubenwände, mit Leinwandstickereien behangen, die allerhand Szenen aus der Heiligen Schrift darstellen und alles erdenkliche Farbenbunt ausweisen! Die für die Wanderer und Touristen eingerichteten Stuben sind nun wohl einfacher gehalten, darum aber nicht weniger behaglich und gemütlich mit ihren paar Möbelstücken von entsprechender Sauberkeit, ihren Vorhängen von frischem Grün, die vom First des rasenbedeckten Daches niederhängen, mit ihrem großen, breiten, mit schneeweißem Linnen, echtem »Akloede-Gespinst«, überzogenen Bett und seinen mit Bibelsprüchen aus dem Alten Testament, gelb auf rotem Grunde, bemalten bretternen Wänden.

Nicht vergessen werde zu bemerken, daß die Dielen der großen Stube, gleich den Stuben im Erdgeschoß und obern Stockwerk, mit Birken-, Tannen- und Wacholder-Reisicht bestreut sind, dessen Blätter und Nadeln das Haus mit ihrem belebenden Dufte erfüllen.

Ließe sich eine lieblichere posada in Italien, eine lüsternere fonda in Spanien denken? Nein! und dazu kam noch, daß der Schwall von englischen Touristen die Preise noch nicht in die Höhe getrieben hatte, wie in der Schweiz – zum wenigsten damals noch nicht! In Dal gilt nicht das Pfund Sterling in Gold, um das die Reisendenbörse bald erleichtert ist, sondern der silberne Speciestaler, der etwas weniger als fünf Francs, also ziemlich genau 4½ Reichsmark rechnet, mit seinen Abstufungen, der Mark (etwa 75 Pfg.) und dem kupfernen Skilling, den man aber nicht mit dem englischen Schilling verwechseln darf, denn er kommt im Werte bloß einem Sou in Frankreich gleich. Auch mit der großartigen Banknote springt im Telemarken der Tourist nicht um, sondern bloß mit dem Einspecieszettel von weißer Farbe, dem Fünfspecieszettel von blauer, dem Zehnspecieszettel von gelber, dem Fünfzigspecieszettel von grüner und dem Hundertspecieszettel von roter Farbe: es fehlen also bloß zwei Farben noch, dann wäre die Iris des Regenbogens vertreten. Seit einem Vierteljahrhundert ist die Währung in Skandinavien dieses patriarchalischen Anstrichs durch die Einführung der Goldwährung (1 Krone gleich 112½ Pfge.) entkleidet worden. A. d. Ü.

Sodann ist Bei »Mutter Hansen« – was nicht in allen Herbergen und Gasthäusern der Gegend zutrifft – Speise und Trank vorzüglich. Das Telemarken rechtfertigt nämlich seinen Spitznamen »Schlickermilch-Land« in mehr denn ausreichendem Maße. In den Löchern im innern Lande, wie Tineß, Listhuus, Tinoset und vielen andern kriegt man niemals Brot zu sehen, oder höchstens so schlechtes, daß man es gern stehen läßt. Die Hauptkost bildet ein Gebäck aus Hafermehl in Scheibenform, das sogenannte » flatbröd«, trocken, schwarzbraun und hart wie Pappe, oder höchstens noch eine Art derben Hefenkuchens, der unter Beimischung von gestoßener Birkenrinde, auch wohl Flechten und Häcksel, gebacken wird. Eier sind Rarität, die Hennen müßten denn gerade acht Tage zuvor gelegt haben. Aber im Ueberfluß vorhanden ist ein Bier geringer Sorte, Schlickermilch, sauer sowohl als süß, zuweilen, auch ein bißchen Kaffee, aber so dick, daß er eher mit einem Teerdestillat Aehnlichkeit hat als mit den Produkten von Mokka, Bourbon oder Rio-Nunez.

Bei »Mutter Hansen« aber ist alles da, was Küche und Keller nur irgend zu bieten vermögen: was sollen selbst die verwöhntesten Touristen noch weiter fordern? Gekochter Lachs, gepökelter Lachs, geräucherter Lachs, die sogenannten » hore«, worunter man Binnenlachse zu verstehen hat, die Salzwasser nie geschmeckt haben, Bachfische aus dem Telemarken, Geflügel und zwar weder zu hart noch zu mager, Eier mit allen möglichen Saucen, feine Küchelchen aus Roggen- und Gerstenmehl, Obst- und ganz besonders Erdbeeren, Schwarzbrot, aber von ausgezeichneter Sorte, Bier und alte Weine, darunter Marke Saint-Julien, die Frankreichs Rebenruhm bis in diese entlegenen Gegenden hinauf trägt.

Kein Wunder, daß in allen Gegenden des nördlichen Europa das Gasthaus zu Dal im besten Rufe steht! Man braucht übrigens bloß in dem Gastbuche mit den vergilbten Blättern – in welchem die Wanderer ihrem Namen gern ein paar Lobesworte für »Mutter Hansen« beifügen – zu blättern! zumeist sind es freilich Schweden und Norweger, die aus allen Punkten Skandinaviens hierher strömen. Aber auch Engländer finden sich in Menge darunter, und einer davon, der mal eine ganze Stunde gewartet hatte, bis sich der Gipfel des Gusta aus seinen Morgennebeln herausschälte, hat in echt Britischer Art auf eines der Blätter geschrieben:

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