Die Propeller-Insel

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Из серии: Jules Verne bei Null Papier #18
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»Be­ru­hi­gen Sie sich, lie­ber Zorn«, be­gann der Ame­ri­ka­ner. »Woll­ten Sie mir freund­lichst alle in den Sa­lon fol­gen, wo der Kaf­fee auf­ge­tra­gen ist? Dort kön­nen wir in Ruhe plau­dern, und nach Schluss un­se­res Ge­sprächs …«

»Er­wür­ge ich Sie!« fiel ihm Sé­bas­ti­en Zorn ins Wort.

»Nein … Sie wer­den mir die Hän­de küs­sen …«

»Ich wer­de Ih­nen gar nichts küs­sen!« pol­ter­te der Vio­lon­cel­list, der vor Wut ein­mal blass und ein­mal blau­rot wur­de.

Kur­ze Zeit dar­auf ha­ben sich’s die Gäs­te Ca­lis­tus Mun­bars auf wei­chen So­fas be­quem ge­macht, wäh­rend sich der Yan­kee auf ei­nem Schau­kel­stuh­le wiegt.

Hier stellt er sich nun sei­nen Gäs­ten form­ge­recht in fol­gen­der Wei­se vor:

»Ca­lis­tus Mun­bar, aus New York, fünf­zig Jah­re alt, Uren­kel des be­rühm­ten Bar­num,1 zur­zeit Ober­in­ten­dant der Küns­te auf Stan­dard Is­land, ver­ant­wort­lich für al­les, was Ma­le­rei, Skulp­tur, Mu­sik und im All­ge­mei­nen alle Un­ter­hal­tun­gen in Mil­li­ard City an­geht. Da Sie mich nun ken­nen, mei­ne Her­ren …«

»Sind Sie«, fragt Sé­bas­ti­en Zorn, »nicht zu­fäl­lig auch Po­li­zei­spit­zel mit der Ver­pflich­tung, frem­de Leu­te in Fal­len zu lo­cken und sie dar­in wi­der ih­ren Wil­len zu­rück­zu­hal­ten?«

»Übe­rei­len Sie sich mit mei­ner Be­ur­tei­lung nicht, Sie reiz­ba­res Vio­lon­cell, und war­ten Sie erst das Ende ab.«

»Wir wol­len war­ten«, er­wi­dert Fras­co­lin erns­ten To­nes, »war­ten und Sie an­hö­ren.«

»Mei­ne Her­ren«, nimmt Ca­lis­tus Mun­bar, sich eine gra­zi­öse Hal­tung ge­bend, wie­der das Wort, »ich wün­sche mit Ih­nen bei dem jet­zi­gen Ge­spräch nur die mu­si­ka­li­sche Fra­ge zu er­ör­tern, so wie die­se zur­zeit auf un­se­rer Schrau­ben­in­sel liegt. Thea­ter be­sitzt Mil­li­ard City al­ler­dings noch nicht, doch wenn es das woll­te, wür­den sol­che wie durch Zau­ber­schlag aus ih­rem Bo­den auf­wach­sen. Bis­her ha­ben un­se­re Mit­bür­ger ihre mu­si­ka­li­schen Be­dürf­nis­se durch ver­voll­komm­ne­te Ap­pa­ra­te be­frie­digt, wo­durch sie über dra­ma­ti­sche und ly­ri­sche Meis­ter­schöp­fun­gen auf dem lau­fen­den er­hal­ten wur­den. Wir hö­ren die al­ten und neu­en Kom­po­nis­ten, die Ta­ges­grö­ßen der Schau­spiel­kunst, die be­lieb­tes­ten Künst­ler mit­tels der Pho­no­gra­phen, wann und so oft es uns ge­fällt …«

»Eine Dreh­or­gel, Ihr Pho­no­graph!« warf Yver­nes ver­ächt­lich ein.

»Doch nicht in der Wei­se, wie Sie das glau­ben mö­gen, mein Herr ers­ter Vio­li­nist«, ant­wor­tet der Ober­in­ten­dant. »Wir be­sit­zen Ap­pa­ra­te, die mehr als ein­mal die In­dis­kre­ti­on be­gan­gen ha­ben, Ih­nen zu lau­schen, wenn Sie sich in Bo­ston oder Phil­adel­phia hö­ren lie­ßen. Wenn es Ih­nen Spaß macht, kön­nen Sie sich hier mit ei­ge­nen Hän­den ap­plau­die­ren.«

Je­ner Zeit ha­ben die Er­fin­dun­gen des be­rühm­ten Edi­son2 näm­lich den höchs­ten Grad der Vollen­dung er­reicht. Der Pho­no­graph ist kei­nes­wegs mehr der Mu­sik­kas­ten oder die Spiel­do­se, dem und der er ur­sprüng­lich gar zu sehr glich. Dank sei­nem geist­vol­len Er­fin­der be­wahrt er jetzt das eph­eme­re Ta­lent der Schau­spie­ler, In­stru­men­tis­ten oder Sän­ger für die Be­wun­de­rung kom­men­der Ge­schlech­ter mit der glei­chen Treue auf, wie die Wer­ke der Bild­hau­er und Ma­ler auf­be­wahrt blei­ben. Ein Echo etwa ist der Ap­pa­rat ge­wor­den, doch ein Echo, treu wie eine Fo­to­gra­fie, das alle Nuan­cen, alle Fein­hei­ten des Ge­san­ges oder Spiels in un­ver­än­der­ter Rein­heit wie­der­gibt.

Ca­lis­tus Mun­bar er­geht sich hier­über mit sol­cher Wär­me, dass es auf sei­ne Zu­hö­rer einen tie­fen Ein­druck macht.

Er spricht von Saint-Saëns, von Rey­er, Am­broi­se Tho­mas, von Gou­nod, Mas­se­net und Ver­di, von den un­ver­gäng­li­chen Meis­ter­wer­ken ei­nes Ber­lioz, Meyer­beer, Halévy, Ros­si­ni, Beetho­ven und Mo­zart wie ein Mann, der alle aus dem Grun­de kennt, sie zu schät­zen weiß und der sich schon lan­ge Zeit be­müht hat, ih­ren Ruhm noch zu ver­brei­ten, so­dass man ihm mit Ver­gnü­gen zu­hört. Von der schon et­was ab­lau­fen­den Wa­gne­r­epi­de­mie scheint er je­doch nicht be­son­ders ge­lit­ten zu ha­ben.

Als er ein­mal aus­setzt, um Atem zu schöp­fen, macht sich Pin­chi­nat die Pau­se gleich zu­nut­ze.

»Das ist ja al­les ganz schön und gut«, sagt er; »Ihr Mil­li­ard City hat aber nie et­was an­de­res ge­hört als Schach­tel­mu­sik, als kon­ser­vier­te Me­lo­di­en, die man ihr wie kon­ser­vier­te Sar­di­nen oder Salt-beef zu­sen­det …«

»Ver­zei­hen Sie, Herr Brat­schist …«

»Ja, ja, ich ver­zei­he Ih­nen, blei­be aber doch da­bei, dass Ihre Pho­no­gra­phen im­mer nur Da­ge­we­se­nes ent­hal­ten, dass in Mil­li­ard City nie­mals ein Künst­ler in dem Au­gen­blick der Aus­übung sei­ner Kunst ge­hört wer­den kann …«

»Da möch­te ich noch ein­mal um Ver­zei­hung bit­ten.«

»Un­ser Freund Pin­chi­nat ver­zeiht Ih­nen ge­wiss so oft, wie Sie es wün­schen«, be­merkt Fras­co­lin. »Sein Ein­wurf ist aber den­noch rich­tig. Ja, wenn Sie sich mit den Thea­tern Ame­ri­kas und Eu­ro­pas in un­mit­tel­ba­re Ver­bin­dung set­zen kön­nen …«

»Hal­ten Sie das für un­mög­lich, lie­ber Fras­co­lin?« ruft der Ober­in­ten­dant, der die Be­we­gun­gen sei­nes Schau­kel­stuh­les hemmt.

»Sie be­haup­ten das wirk­lich?«

»Ich sage nur, dass das aus­schließ­lich eine Geld­fra­ge ist, und un­se­re Stadt ist reich ge­nug, um sich alle Lieb­ha­be­rei­en, je­des Ver­lan­gen be­züg­lich der ly­ri­schen Kunst ge­wäh­ren zu kön­nen. Das ist auch be­reits ge­sche­hen …«

»Aber wie?«

»Mit­tels der Thea­tro­pho­ne, die im Kon­zert­saa­le des Ka­si­nos auf­ge­stellt sind. Die Ge­sell­schaft be­sitzt ja zahl­rei­che un­ter­see­i­sche Ka­bel, die den Gro­ßen Ozean durch­zie­hen und von de­nen das eine Ende an der Ma­de­lei­ne­bai aus­läuft und das an­de­re durch un­se­re großen Bo­jen schwim­mend er­hal­ten wird. Wünscht nun ei­ner un­se­rer Mit­bür­ger einen Sän­ger der Al­ten oder Neu­en Welt zu hö­ren, so fischt man ei­nes je­ner Ka­bel auf und be­nach­rich­tigt te­le­fo­nisch die Be­am­ten an der Ma­de­lei­ne­bai. Die­se stel­len dann die Ver­bin­dung mit Eu­ro­pa oder Ame­ri­ka her. Man ver­bin­det die Dräh­te oder Ka­bel mit dem oder je­nem Thea­ter, dem oder je­nem Kon­zert­saa­le, und un­se­re, hier im Ka­si­no wei­len­den Di­let­tan­ten woh­nen den ent­fern­tes­ten Auf­füh­run­gen bei und ap­plau­die­ren …«

»Ja, da drau­ßen hört man ihre Bei­falls­be­zeu­gun­gen aber gar nicht!« ruft Yver­nes.

»Da muss ich um Ver­zei­hung bit­ten, lie­ber Herr Yver­nes, ge­wiss hört man sie mit­tels ei­ner vor­han­de­nen Rück­lei­tung.«

Hier­auf ver­liert sich Ca­lis­tus Mun­bar in tran­szen­den­ta­le Er­ör­te­run­gen über die Mu­sik nicht al­lein als Kunst, son­dern auch als the­ra­peu­ti­sches Agens. Nach dem Sys­te­me J. Har­fords, von der West­mins­ter-Ab­tei, ha­ben die hie­si­gen Mil­li­ar­däre mit der Aus­nüt­zung der ly­ri­schen Küns­te schon ganz er­staun­li­che Er­fol­ge er­zielt. Die­ses Sys­tem ge­währ­leis­tet ih­nen einen Zu­stand voll­kom­me­ner Ge­sund­heit. Die Mu­sik übt eine Re­flex­wir­kung auf die Ner­ven­zen­tren aus, die har­mo­ni­schen Vi­bra­tio­nen hel­fen zur Er­wei­te­rung der ar­te­ri­el­len Ge­fäße und be­ein­flus­sen den Blu­t­um­lauf, den sie nach Be­darf be­schleu­ni­gen oder ver­lang­sa­men. Sie be­wirkt eine An­re­gung der Herz­tä­tig­keit und der Atem­be­we­gun­gen je nach Klang­far­be und In­ten­si­tät des To­nes, wo­bei sie gleich­zei­tig die Er­näh­rung der Ge­we­be un­ter­stützt. Des­halb hat man in Mil­lard-City auch Ein­rich­tun­gen ge­trof­fen, durch die be­lie­bi­ge Men­gen mu­si­ka­li­scher Ener­gie auf te­le­fo­ni­schem Wege in die Ein­zel­woh­nun­gen ge­lei­tet wer­den kön­nen.

Das Quar­tett hört ihm mit of­fe­nem Mun­de zu. Noch nie hat es über sei­ne Kunst von me­di­zi­ni­schem Stand­punk­te aus re­den ge­hört, und wahr­schein­lich ist es dar­über nicht ge­ra­de ent­zückt. Nichts­de­sto­we­ni­ger geht der fan­tas­ti­sche Yver­nes so­fort auf die­se Theo­ri­en ein, die üb­ri­gens – man den­ke an den be­rühm­ten Har­fe­nis­ten Da­vid – bis zur­zeit des Kö­nigs Saul zu­rück­rei­chen.

»Ja­wohl, ja­wohl! …« ruft er nach der letz­ten Ti­ra­de des Ober­in­ten­dan­ten, »das ist ganz rich­tig. Es ge­hört nur eine gute Dia­gno­se dazu! Wa­gner und Ber­lioz z.B. sind in­di­ziert für an­ämi­sche Kon­sti­tu­tio­nen …«

»Ge­wiss, und Men­dels­sohn oder Mo­zart für san­gui­ni­sche Tem­pe­ra­men­te, bei de­nen sie das Stron­ti­um­bro­mür vor­teil­haft er­set­zen!« fügt Ca­lis­tus Mun­bar hin­zu.

Da mischt sich Sé­bas­ti­en Zorn ein und schleu­dert einen rau­en Miss­klang in die­se hoch­flie­gen­de Plau­de­rei.

»Um al­les das han­delt es sich gar nicht«, ruft er barsch. »Wa­rum ha­ben Sie uns über­haupt hier­her­ge­führt?«

»Weil die Sai­ten­in­stru­men­te es sind, die gra­de die mäch­tigs­te Wir­kung aus­üben.«

»Wirk­lich? Also um Ihre männ­li­chen und weib­li­chen Ner­ven­kran­ken zu be­ru­hi­gen, ha­ben Sie un­se­re Rei­se un­ter­bro­chen, uns ver­hin­dert, in San Die­go ein­zu­tref­fen, wo wir mor­gen ein Kon­zert ge­ben sol­len …«

»Ja, ja, des­halb, mei­ne vor­treff­li­chen Freun­de!«

»Und Sie er­blick­ten in uns nichts an­de­res, als mu­si­ka­li­sche Ka­ra­bi­ner, als ly­ri­sche Apo­the­ker?« ruft Pin­chi­nat.

»O nein, mei­ne Her­ren«, ver­si­chert Ca­lis­tus Mun­bar sich er­he­bend. »Ich be­trach­te­te Sie nur als Künst­ler von großem Ta­lent und weit­rei­chen­dem Re­nom­mee. Die Hur­ras, die dem Kon­zert-Quar­tett bei sei­nen Rei­sen durch Ame­ri­ka ent­ge­gen­dröhn­ten, sind auch bis zu un­se­rer In­sel ge­drun­gen. Da glaub­te die Stan­dard Is­land Com­pa­ny den Zeit­punkt ge­kom­men, die Pho­no­gra­phen und Thea­tro­pho­ne ein­mal durch wirk­li­che Vir­tuo­sen mit Fleisch und Bein er­set­zen und den Mil­li­ar­de­sern den un­be­schreib­li­chen Ge­nuss ei­ner un­mit­tel­ba­ren Vor­füh­rung der Meis­ter­wer­ke der Kunst ver­schaf­fen zu sol­len. Sie woll­te da­bei und vor der Er­rich­tung ei­nes Oper­nor­che­s­ters mit der Kam­mer­mu­sik den An­fang ma­chen. Da­bei dach­te sie an Sie, die her­vor­ra­gends­ten Ver­tre­ter die­ser Mu­sik­gat­tung, und mir gab sie den Auf­trag, Sie um je­den Preis hier­her­zu­schaf­fen, im Not­fal­le, Sie zu ent­füh­ren. Sie sind also die ers­ten Künst­ler, die in Stan­dard Is­land auf­tre­ten wer­den, und ich über­las­se es Ih­nen, sich aus­zu­den­ken, wel­cher Empfang Ih­nen be­vor­steht!«

 

Yver­nes und Pin­chi­nat füh­len sich von den en­thu­sias­ti­schen Wor­ten des Ober­in­ten­dan­ten tief er­grif­fen. Dass die Ge­schich­te auf eine My­sti­fi­ka­ti­on3 hin­aus­lau­fen könn­te, kommt ih­nen gar nicht in den Sinn. Der mehr über­le­gen­de Fras­co­lin fragt sich, ob die­ses Aben­teu­er wirk­lich ernst zu neh­men sei. Doch warum soll­te auf die­ser ganz au­ßer­ge­wöhn­li­chen In­sel nicht auch al­les an­de­re ein au­ßer­ge­wöhn­li­ches Aus­se­hen ha­ben? Nur Sé­bas­ti­en Zorn be­harrt da­bei, sich nicht zu er­ge­ben.

»Nein, mein Herr«, ruft er, »man be­mäch­tigt sich frem­der Leu­te nicht in die­ser Wei­se ohne de­ren Ein­wil­li­gung! … Wir wer­den ge­gen Sie Kla­ge er­he­ben …«

»Kla­ge … wo Sie, Un­dank­ba­re, mir tau­send­mal dan­ken soll­ten?« er­wi­dert der Ober­in­ten­dant.

»Und es wird uns eine Ent­schä­di­gung zu­ge­spro­chen wer­den, mein Herr …«

»Eine Ent­schä­di­gung … wo ich Ih­nen hun­dert­mal mehr zu bie­ten habe, als Sie er­hof­fen könn­ten …«

»Um was han­delt es sich?« fragt der prak­ti­sche Fras­co­lin.

Ca­lis­tus Mun­bar zieht sein Por­te­feuil­le her­vor und ent­nimmt ihm ein Blatt Pa­pier mit dem Stem­pel von Stan­dard Is­land, das er den vier Künst­lern vor Au­gen hält.

»Ihre vier Un­ter­schrif­ten un­ter die­sen Kon­trakt«, sagt er, »und die gan­ze An­ge­le­gen­heit ist ge­re­gelt.«

»Et­was un­ter­schrei­ben, ohne es ge­le­sen zu ha­ben?« ant­wor­tet die zwei­te Vio­li­ne. »Das ge­schieht nie und nir­gends!«

»Sie dürf­ten aber kei­ne Ur­sa­che ha­ben, es zu be­reu­en«, fährt Ca­lis­tus Mun­bar fort, der jetzt so hei­ter wird, dass er von oben bis un­ten wa­ckelt. »Doch mei­net­we­gen, ge­hen wir ord­nungs­mä­ßig zu­we­ge. Hier habe ich einen En­ga­ge­ments­ver­trag, den die Kom­pa­nie Ih­nen an­bie­tet, ein En­ga­ge­ment für ein Jahr von heu­te ab, das Sie ver­pflich­tet zur Auf­füh­rung der­sel­ben Kam­mer­mu­sik­stücke, die Ihre Pro­gram­me in Ame­ri­ka ent­hiel­ten. Nach zwölf Mo­na­ten wird Stan­dard Is­land an der Ma­de­lei­ne­bai zu­rück­sein, und Sie wer­den da zei­tig ge­nug ein­tref­fen …«

»Für un­ser Kon­zert in San Die­go, nicht wahr?« ruft Sé­bas­ti­en Zorn, »für San Die­go, wo man uns mit Pfei­fen emp­fan­gen wird …«

»Nein, mei­ne Her­ren, mit Hips und Hur­ras! Künst­ler wie Sie zu hö­ren, füh­len sich alle Leu­te gar zu ge­ehrt und sind glück­lich, wenn sich sol­che hö­ren las­sen … selbst mit ei­nem Jah­re Ver­spä­tung!«

Mit ei­nem sol­chen Mann soll ei­ner nun et­was an­fan­gen!

Fras­co­lin er­greift das Blatt und durch­liest es auf­merk­sam.

»Ja, wel­che Ga­ran­tie wird uns ge­bo­ten?« frag­te er.

»Die Ga­ran­tie der Stan­dard Is­land Com­pa­ny, be­stä­tigt durch die Un­ter­schrift un­se­res Gou­ver­neurs, des Herrn Cy­rus Bi­ker­staff.«

»Und die Be­din­gun­gen sind ge­nau so, wie sie hier ste­hen?«

»Ganz ge­nau, also eine Mil­li­on Fran­cs …«

»Für uns vier!« fällt Pin­chi­nat ein.

»Für je­den ein­zel­nen«, ant­wor­tet Ca­lis­tus Mun­bar lä­chelnd, »und die­se Sum­me steht noch au­ßer Ver­hält­nis zu Ihren Ver­diens­ten, die doch nie­mand voll zu be­zah­len ver­möch­te!«

Lie­bens­wür­di­ger kann ei­ner doch nicht wohl sein. Den­noch er­hebt Sé­bas­ti­en Zorn Wi­der­spruch. Er will um kei­nen Preis an­neh­men, son­dern un­be­dingt nach San Die­go ab­rei­sen, so­dass Fras­co­lin große Mühe hat, sei­ne Ent­rüs­tung zu dämp­fen.

Er will um keinen Preis annehmen.

Ge­gen­über dem An­ge­bo­te des Ober­in­ten­dan­ten er­scheint in­des et­was Miss­trau­en am Plat­ze. Ein En­ga­ge­ment auf ein Jahr mit dem Ho­no­rar von ei­ner Mil­li­on Fran­cs für je­den der Künst­ler … durf­ten sie das ernst neh­men? Ja, ganz ernst, wie Fras­co­lin ver­si­chern konn­te, als er frag­te: »Und das Ho­no­rar ist zahl­bar? …«

»Vier­tel­jähr­lich, und hier brin­ge ich es für die ers­ten drei Mo­na­te.«

Aus gan­zen Stö­ßen von Bank­schei­nen, die sein Por­te­feuil­le zum Plat­zen fül­len, formt Ca­lis­tus Mun­bar vier Pa­ke­te mit je fünf­zig­tau­send Dol­lar oder zwei­hun­dert­fünf­zig­tau­send Fran­cs, die er Fras­co­lin und des­sen Ka­me­ra­den ein­hän­digt.

Das ist so ein ame­ri­ka­ni­sches Ge­schäfts­ver­fah­ren.

Nun geht die Sa­che dem Sé­bas­ti­en Zorn doch et­was nä­her. Da die schlech­te Lau­ne bei ihm aber nie­mals ihre Rech­te auf­gibt, be­merkt er wei­ter:

»Ganz schön; doch bei dem Prei­se, in dem auf Ih­rer In­sel al­les steht und wo man fünf­und­zwan­zig Fran­cs für ein Reb­huhn be­zahlt, da wird man je­den­falls hun­dert Fran­cs für ein Paar Hand­schu­he und fünf­hun­dert Fran­cs für ein Paar Stie­fel an­le­gen müs­sen?«

»O, Herr Zorn, die Kom­pa­nie legt auf sol­che Klei­nig­kei­ten kein Ge­wicht«, er­klärt Ca­lis­tus Mun­bar, »und sie wünscht, dass die Künst­ler des Kon­zert-Quar­tetts wäh­rend ih­res hie­si­gen Auf­ent­halts von al­len Ne­ben­kos­ten frei blei­ben.«

Wo­mit konn­te man auf ein so groß­mü­ti­ges An­ge­bot an­ders ant­wor­ten, als mit der Na­mens­un­ter­schrift un­ter den Kon­trakt?

Fras­co­lin, Pin­chi­nat und Yver­nes be­que­men sich dazu ohne Zö­gern. Nur Sé­bas­ti­en Zorn brummt, dass das Gan­ze ein Un­sinn sei, sich auf ei­ner be­weg­li­chen In­sel ein­zu­schif­fen, das habe kei­nen Ver­stand … man wer­de schon se­hen, wie die Ge­schich­te en­di­gen wür­de usw. – Schließ­lich ließ er sich aber doch her­bei, mit zu un­ter­zeich­nen.

Wenn Fras­co­lin, Pin­chi­nat und Yver­nes nach Er­fül­lung die­ser For­ma­li­tät dem Ca­lis­tus Mun­bar auch nicht die Hän­de küss­ten, so drück­ten sie sie ihm we­nigs­tens herz­lichst. Vier Hän­de­drücke, je­der zu ei­ner Mil­li­on!

So ließ sich das Kon­zert-Quar­tett also auf ein Aben­teu­er son­der­glei­chen ein, und un­ter ge­nann­ten Um­stän­den wur­den die vier Künst­ler die Gäs­te – in­vi­ti – Stan­dard Is­lands.

1 Phi­ne­as Tay­lor Bar­num (1810 – 1891) war ein US-ame­ri­ka­ni­scher Zir­ku­spio­nier und Po­li­ti­ker. <<<

2 Nach Jo­seph Swan und Tho­mas Edi­son, die zu­nächst die Glüh­bir­ne un­ab­hän­gig von­ein­an­der ent­wi­ckelt und dann ab 1883 ge­mein­schaft­lich ar­bei­te­ten. <<<

3 Ver­schleie­rung, Ver­dun­ke­lung <<<

Siebtes Kapitel – Hinaus nach Westen

Stan­dard Is­land glei­tet sanft über das Was­ser des Stil­len Ozeans, der zu die­ser Jah­res­zeit sei­nem Na­men alle Ehre macht. An die­se ru­hi­ge Fort­be­we­gung seit vier­und­zwan­zig Stun­den ge­wöhnt, be­mer­ken Sé­bas­ti­en Zorn und sei­ne Ka­me­ra­den gar nicht, dass sie wei­ter­se­geln. So mäch­tig die Hun­der­te, von zehn Mil­lio­nen Pfer­de­kräf­ten be­weg­ten Schrau­ben auch sind, ver­brei­ten sie durch den me­tall­nen Un­ter­bau der In­sel doch kaum ein lei­ses Zit­tern. Mil­li­ard City bleibt un­be­wegt und spürt auch nichts von dem See­gan­ge, dem sonst die größ­ten Pan­zer­schif­fe der Kriegs­ma­ri­ne un­ter­lie­gen. In den Woh­nun­gen oder auf den Schif­fen be­nützt man hier kei­ne Schwe­be­lam­pen. Wozu auch? Die Häu­ser von Lon­don, Pa­ris oder New York ste­hen auf ih­rem Grund ja auch nicht fes­ter und si­che­rer.

Nach mehr­wö­chi­gem Auf­ent­halt in der Ma­de­lei­ne­bai hat­te der Rat der No­ta­beln von Stan­dard Is­land, den der Prä­si­dent zu­sam­men­rief, das Pro­gramm für die Jah­res­rei­se ent­wor­fen. Die Schrau­ben­in­sel soll­te die haupt­säch­lichs­ten In­sel­grup­pen des öst­li­chen Stil­len Ozeans be­su­chen, und zwar in­mit­ten je­ner hy­gie­ni­schen At­mo­sphä­re, die so reich an Ozon, an ver­dich­te­tem Sau­er­stoff ist, der durch Elek­tri­sie­rung weit wirk­sa­me­re Ei­gen­schaf­ten be­sitzt, als der ge­wöhn­li­che Sau­er­stoff der Luft. Da der gan­ze Ap­pa­rat völ­lig frei be­weg­lich ist, zieht er dar­aus Nut­zen, und so be­gibt er sich auf Wunsch nach Wes­ten oder nach Os­ten, nä­hert sich der Küs­te Ame­ri­kas, wenn es ihm be­liebt, oder streift nach Ge­fal­len längs der Ost­küs­ten Asi­ens da­hin. Stan­dard Is­land geht, wo­hin es will, und macht sich sei­ne See­fahrt so an­ge­nehm wie mög­lich. Selbst wenn es ihm be­lieb­te, den Stil­len Ozean ge­gen den At­lan­ti­schen Ozean zu ver­tau­schen, wenn es um das Kap Hoorn oder das Kap der Gu­ten Hoff­nung se­geln woll­te, bräuch­te es nur die be­tref­fen­de Rich­tung ein­zu­schla­gen, und we­der Strö­mun­gen noch Stür­me wür­den ihm hin­der­lich sein, sein Ziel zu er­rei­chen.

Es kommt je­doch gar nicht in­fra­ge, jene ent­fern­ten Mee­re auf­zu­su­chen, wo das Ju­wel des Stil­len Ozeans das nicht fin­den wür­de, was die­ser Ozean ihm in­mit­ten sei­ner end­lo­sen In­sel­grup­pen bie­tet. Hier ist Raum ge­nug, um die ver­schie­dens­ten Fahr­ten zu un­ter­neh­men. Die Pro­pel­ler-In­sel kann von ei­nem Archi­pel zum an­de­ren se­geln. Ist sie auch nicht mit dem In­stinkt der Tie­re be­gabt, die­sem sechs­ten Sin­ne der Ori­en­tie­rung, der jene da­hin­führt, wo­hin ihre Be­dürf­nis­se sie ru­fen, so wird sie da­für von si­che­rer Hand und nach ei­nem Pro­gramm ge­führt, das lan­ge vor­her er­wo­gen und ein­stim­mig an­ge­nom­men wor­den war. Bis­her ist es hier­über zu kei­ner Mei­nungs­ver­schie­den­heit zwi­schen den Be­woh­nern des Steu­er­bords und des Back­bords ge­kom­men.

Au­gen­blick­lich steu­ert man ent­spre­chend ei­nem ge­fass­ten Be­schlus­se nach Wes­ten auf die Grup­pe der Sand­wich­in­seln zu. Bei mä­ßi­ger Schnel­lig­keit wird die Zu­rück­le­gung der Zwölf­hun­dert­mei­len-Stre­cke, die jene In­sel­grup­pe von der Stel­le trennt, wo das Quar­tett sich ein­schiff­te, etwa bin­nen ei­nem Mo­nat zu­rück­ge­legt wer­den, bis es Stan­dard Is­land be­liebt, einen an­de­ren Archi­pel der süd­li­chen Halb­ku­gel an­zu­lau­fen.

Am Mor­gen die­ses denk­wür­di­gen Ta­ges ver­lässt das Quar­tett das Ex­zel­si­or-Ho­tel und rich­tet sich häus­lich in ei­ni­gen, ihm zur Ver­fü­gung ge­stell­ten Zim­mern des Ka­si­no ein – na­tür­lich in ei­ner ge­räu­mi­gen, präch­tig aus­ge­stat­te­ten Woh­nung. Vor de­ren Fens­tern zieht sich die First Ave­nue hin. Sé­bas­ti­en Zorn, Fras­co­lin, Pin­chi­nat und Yver­nes ha­ben je­der sein ei­ge­nes Zim­mer an den Sei­ten des ge­mein­schaft­li­chen Sa­lons. Der Hof des Eta­blis­se­ments ge­währt ih­nen an­ge­neh­men Schat­ten durch sei­ne in vol­ler Be­lau­bung ste­hen­den Bäu­me, und Küh­lung durch sei­ne plät­schern­den Spring­brun­nen. An der einen Sei­te die­ses Ho­fes liegt das Mu­se­um von Mil­li­ard City, an der an­de­ren der Kon­zert­saal, wo die Pa­ri­ser Künst­ler die Echos der Pho­no­gra­phen und die Über­tra­gun­gen der Thea­tro­pho­ne so glück­lich er­set­zen. Täg­lich zwei-, drei- oder so vie­le Male, wie sie es wün­schen, wird ih­nen im Rstau­rant auf­ge­tra­gen, wo­nach es ih­nen ge­lüs­tet, ohne dass der Ober­kell­ner ih­nen sei­ne fast un­glaub­li­chen Rech­nun­gen da­für vor­legt.

Als sie an die­sem Mor­gen noch im Sa­lon bei­sam­men wa­ren, ehe sie sich zum Früh­stück hin­un­ter­be­ga­ben, frag­te Pin­chi­nat:

»Nun, ihr Vio­li­nen, was sagt ihr nun dar­über, wie es uns er­gan­gen ist?«

»O, es ist ein Traum«, ant­wor­te­te Yver­nes, »ein Traum, in dem wir für eine Mil­li­on für das Jahr be­fan­gen blei­ben …«

»Nein, es ist die rei­ne, schö­ne Wirk­lich­keit«, er­wi­der­te Fras­co­lin. »Su­che nur in dei­ner Ta­sche, und du wirst das ers­te Vier­tel der Mil­li­on schon ent­de­cken.«

»Wenn man nur wüss­te, wie die Sa­che aus­läuft … Mei­ner An­sicht nach ganz schlecht«, ruft Sé­bas­ti­en Zorn, der un­be­dingt Dor­nen in dem Ro­sen­bet­te, wor­auf man ihn ge­legt hat, fin­den will.

 

»Und üb­ri­gens un­ser Ge­päck? …«

Ja frei­lich, das Ge­päck muss­te in San Die­go aus­ge­lie­fert sein, von wo es nicht zu­rück­kom­men konn­te, und die Ei­gen­tü­mer es auch nicht zu ho­len im­stan­de wa­ren. Im gan­zen mach­te das nicht viel aus: ei­ni­ge Rei­se­sä­cke mit Leib­wä­sche, Toi­let­te­ge­gen­stän­den, Klei­dern zum Wech­seln und das of­fi­zi­el­le Ko­stüm der Künst­ler, wenn sie öf­fent­lich auf­tra­ten … das war al­les.

Dar­über brauch­ten sie sich je­den­falls nicht zu be­un­ru­hi­gen. Bin­nen achtund­vier­zig Stun­den war die­se et­was ab­ge­nutz­te Gar­de­ro­be durch eine an­de­re er­setzt, die man den vier Künst­lern zur Ver­fü­gung stell­te, ohne dass sie fünf­zehn­hun­dert Fran­cs für einen An­zug oder fünf­hun­dert Fran­cs für ihre Stie­fe­let­ten zu be­zah­len ge­habt hät­ten.

Höchst be­frie­digt, die­se pein­li­che An­ge­le­gen­heit zu so gu­tem Ende ge­führt zu ha­ben, macht es sich Ca­lis­tus Mun­bar zur Pf­licht, bei dem Quar­tett gar kei­nen Wunsch erst auf­kom­men zu las­sen. Ei­nen zu­vor­kom­men­de­ren Ober­in­ten­dan­ten konn­te man sich gar nicht vor­stel­len. Er be­wohn­te eben­falls Räum­lich­kei­ten des Ka­si­nos, des­sen ein­zel­ne Ab­tei­lun­gen un­ter sei­ner Lei­tung ste­hen, und die Kom­pa­nie ho­no­riert ihn da­für in ei­ner Wei­se, wie es sei­ner Wür­de ent­spricht. Die Sum­me wol­len wir lie­ber ver­schwei­gen.

Das Ka­si­no ent­hält auch Lese- und Spiel­sä­le; Bac­ca­rac, Tren­te et qua­ran­te, Rou­let­te, Po­ker und an­de­re Ha­zard­spie­le sind aber strengs­tens un­ter­sagt. Man fin­det hier fer­ner ein Rau­che­tablis­se­ment,1 von wo auch durch eine un­längst ge­grün­de­te Ge­sell­schaft der Rauch von prä­pa­rier­tem Ta­bak un­mit­tel­bar in die Woh­nun­gen ge­lei­tet wird. Die­ser Rauch, der in der Haupt­an­stalt in großen Bren­nö­fen her­ge­stellt und von al­lem Ni­ko­tin be­freit wird, steht durch Röh­ren, die in Bern­stein­mund­stücken en­di­gen, je­dem Lieb­ha­ber zur Ver­fü­gung. Man braucht da­her nur die Lip­pen an­zu­le­gen und ein Zähl­werk re­gis­triert den täg­li­chen Ver­brauch.

Ein Rauchetablissement

In dem Ka­si­no, wo die Mu­sik­freun­de sich an den Tö­nen aus wei­ter Fer­ne be­rau­schen kön­nen, wo­ne­ben jetzt auch noch die Kon­zer­te des Quar­tetts statt­fin­den, be­fin­den sich end­lich die Samm­lun­gen von Mil­li­ard City. Lieb­ha­bern der Ma­le­rei bie­tet das an al­ten und neu­en Bil­dern rei­che Mu­se­um zahl­rei­che, für hohe Prei­se er­stan­de­ne Meis­ter­wer­ke der ita­lie­ni­schen, hol­län­di­schen, deut­schen und fran­zö­si­schen Schu­le, um die es die Samm­lun­gen von Pa­ris, Lon­don, Mün­chen, Rom und Flo­renz be­nei­den könn­ten, Ge­mäl­de von Ra­pha­el, da Vin­ci, Gior­gio­ne, Cor­reg­gio, Do­mi­ni­quin, Ri­bei­ra, Mu­ril­lo, Ruys­dael, Rem­brandt, Ru­bens, Cuyp, Frans Hals, Hob­be­ma, Van Dyck, Hol­bein u.a., so­wie un­ter den Mo­der­nen von Fra­go­nard, In­gres, De­la­croix, Schef­fer, Ca­bat, De­lar­oche, Re­gnaut, Cou­ture, Meis­so­ni­er, Mil­let, Rous­seaux, Ju­les Du­prè, Bras­cas­sat, Ma­kart, Tur­ner, Tro­y­on, Co­rot, Dau­bigny, Bau­dry, Bon­nat, Car. Du­ran, Ju­les Lefeb­vre, Vol­ton, Bre­ton, Bi­net, Yon, Ca­ba­nel usw. Um ih­nen eine ewi­ge Dau­er zu si­chern, sind die Ge­mäl­de in völ­lig luft­lee­ren Glas­be­häl­tern un­ter­ge­bracht. Zu be­mer­ken ist, dass die Im­pres­sio­nis­ten, die Fu­tu­ris­ten und ähn­li­che in die­ses Mu­se­um noch kei­nen Ein­gang ge­fun­den ha­ben, das wird aber wahr­schein­lich nicht lan­ge so fort­dau­ern, und Stan­dard Is­land dürf­te ei­nem Ein­fal­le der nied­ri­ge­ren, ver­fal­len­den Kunst auch nicht mehr ent­ge­hen. Das Mu­se­um ent­hält fer­ner Sta­tu­en von ho­hem Wer­te, Mar­mor­ar­bei­ten der größ­ten al­ten und neu­em Bild­hau­er, die im Hofe des Ka­si­nos Auf­stel­lung fan­den. Dank dem hier herr­schen­den Kli­ma ohne Re­gen und Ne­bel kön­nen Grup­pen, Sta­tu­en und Büs­ten der Wit­te­rung ganz ge­fahr­los aus­ge­setzt blei­ben. Dass alle die­se Wun­der vie­le Be­su­cher fän­den, dass die Na­bobs von Mil­li­ard City aus­ge­spro­che­nen Ge­schmack für die Wer­ke der Kunst be­wie­sen, dass bei ih­nen künst­le­ri­scher Sinn be­son­ders ent­wi­ckelt wäre, möch­ten wir nicht ge­ra­de be­haup­ten. Zu be­mer­ken wäre höchs­tens, dass die Steu­er­bord­hälf­te mehr Lieb­ha­ber zählt als die Back­bord­hälf­te. Alle sind da­ge­gen völ­lig ei­nig, wenn es sich um die Er­wer­bung ei­nes Meis­ter­stückes han­delt, und dann sind ihre un­ver­gleich­li­chen Ge­bo­te stets im­stan­de, sol­che je­dem Her­zog von Au­ma­le, je­dem Chauch­ard der Al­ten und der Neu­en Welt zu ent­win­den.

Am meis­ten be­sucht sind im Ka­si­no die Le­se­zim­mer mit den Re­vuen, den eu­ro­päi­schen und den ame­ri­ka­ni­schen Zei­tun­gen, die die Damp­fer von Stan­dard Is­land, wel­che den re­gel­mä­ßi­gen Dienst zwi­schen die­sem und der Ma­de­lei­ne­bai ver­se­hen, im­mer her­schaf­fen. Wenn sie durch­blät­tert, ge­le­sen und wie­der ge­le­sen sind, kom­men sie nach den Re­ga­len der Biblio­thek, wo meh­re­re tau­send Bü­cher ste­hen, die ein mit fünf­und­zwan­zig­tau­send Dol­lar be­sol­de­ter Biblio­the­kar in Ord­nung hält, und er ist viel­leicht der Be­am­te der In­sel, der am we­nigs­ten zu tun hat. Die Biblio­thek ent­hält auch eine An­zahl pho­no­gra­phi­scher Bü­cher; da­mit er­spart man sich die Mühe des Le­sens, man drückt nur auf einen Knopf und hört so­fort die Stim­me ei­nes vor­treff­li­chen Vor­tra­gen­den, so als ob Le­gou­vé etwa Ra­ci­nes »Phädra« laut vor­lä­se.

Was »ört­li­che« Zei­tun­gen an­geht, so wer­den die­se in den Ate­liers des Ka­si­nos un­ter der Auf­sicht zwei­er Che­fre­dak­teu­re ge­setzt und ge­druckt. Die eine ist das »Stan­dard-Chro­nic­le« für die Steu­er­bord­stadt, die an­de­re, der »New He­rald«, für die Back­bord­stadt. Die Chro­nik bei­der Blät­ter bringt ver­schie­de­ne Nach­rich­ten, be­rich­tet über die An­kunft der Pa­ket­boo­te, über Vor­komm­nis­se auf dem Mee­re und Be­geg­nun­gen mit Schif­fen, fer­ner Han­dels­nach­rich­ten für die Kauf­leu­te, die täg­li­chen Be­stim­mun­gen der Län­ge und Brei­te, die Ent­schei­dun­gen der No­ta­beln­ver­samm­lung, die Ver­ord­nun­gen des Gou­ver­neurs und die Vor­komm­nis­se auf dem Stan­des­am­te: Ge­bur­ten, Ehe­schlie­ßun­gen, To­des­fäl­le – von letz­te­ren nur sehr we­ni­ge. Dieb­stäh­le oder gar Mord­ta­ten kom­men nicht vor, die Ge­rich­te ha­ben nur mit Zi­vilan­ge­le­gen­hei­ten, höchs­tens mit Strei­tig­kei­ten un­ter ein­zel­nen zu tun. Ar­ti­kel über Hun­dert­jäh­ri­ge sieht man nie­mals, weil die Er­rei­chung ei­nes so lan­gen Le­bens hier kein Pri­vi­le­gi­um ein­zel­ner ist.

Was die aus­län­di­sche Po­li­tik an­geht, hält man sich durch die Mit­tei­lun­gen von der Ma­de­lei­ne­bai auf dem lau­fen­den, wo die in den Tie­fen des Stil­len Ozeans ver­senk­ten Ka­bel Land­an­schluss ha­ben. Die Mil­li­ar­de­ser sind auf die­se Wei­se über al­les un­ter­rich­tet, was auf der gan­zen Welt vor­geht, wenn das nur ir­gend von grö­ße­rem In­ter­es­se ist. Wir be­mer­ken hier­bei auch, dass das »Star­board-Chro­nic­le« und der »New He­rald« sich ge­gen­sei­tig nicht mit rau­en Hän­den an­fas­sen. Bis­her ha­ben sie sich we­nigs­tens gut ver­tra­gen, ob­wohl nie­mand da­für ste­hen kann, dass sich das nicht ein­mal än­dern könn­te. Bei großer To­le­ranz und weit­ge­hen­der Nach­sich­tig­keit auf re­li­gi­ösem Ge­bie­te, be­ste­hen Pro­tes­tan­tis­mus und Ka­tho­li­zis­mus auf Stan­dard Is­land fried­lich ne­ben­ein­an­der. In Zu­kunft, wenn sich viel­leicht die häss­li­che Po­li­tik mit ein­mengt, wenn Ge­schäfts­in­ter­es­sen die oder jene mehr auf­rei­zen, wenn bei ir­gend­wel­chen Fra­gen die Ei­gen­lie­be wach­ge­ru­fen wird … wer weiß?…

Au­ßer die­sen bei­den Ta­ges­blät­tern gibt es noch Wo­chen- und Mo­nats­blät­ter, die Ar­ti­kel aus frem­den Zei­tun­gen wie­der­ge­ben, wie die der Nach­fol­ger ei­nes Sar­cey, Ch­ar­mes, Four­nel, De­schamps, Fou­quier, Fran­ce und an­de­rer Kri­ti­ker von ho­hem An­se­hen. Dazu er­schei­nen il­lus­trier­te Ma­ga­zi­ne, ohne ein Dut­zend an­de­rer Blät­ter zu rech­nen, die, für ein­zel­ne Krei­se be­stimmt oder des Abends auf den Stra­ßen aus­ge­bo­ten, die ge­wöhn­li­chen klei­nen Nach­rich­ten brin­gen. Sie ha­ben kei­nen an­de­ren Zweck, als einen Au­gen­blick zur Un­ter­hal­tung zu die­nen, den Geist und … so­gar den Ma­gen an­zu­re­gen. Ja, ein­zel­ne sind wirk­lich auf eine Art Ku­chen­teig mit Scho­ko­la­den­tin­te ge­druckt. Hat man sie ge­le­sen, so ver­zehrt man sie als ers­tes Früh­stück, da­bei wir­ken die einen mehr stär­kend, die an­de­ren et­was schwä­chend, und der Kör­per be­fin­det sich da­bei ganz wohl. Das Quar­tett hält die­se Er­fin­dung für eben­so be­quem als prak­tisch.

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