Die Propeller-Insel

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Из серии: Jules Verne bei Null Papier #18
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Die Propeller-Insel
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Jules Verne

Die Propeller-Insel

Vollständige Übersetzung beider Bände

Jules Verne

Die Propeller-Insel

Vollständige Übersetzung beider Bände

(L’Île à hélice)

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2020

Übersetzung: Unbekannt, Jürgen Schulze

Illustrationen: Léon Benett

1. Auflage, ISBN 978-3-962817-84-8

null-papier.de/697


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Inhaltsverzeichnis

Ju­les Ver­ne – Le­ben und Werk

Band 1

Ers­tes Ka­pi­tel – Das Quar­tett

Zwei­tes Ka­pi­tel – Die Wir­kung ei­ner ka­ko­pho­ni­schen So­na­te

Drit­tes Ka­pi­tel – Ein red­se­li­ger Ci­ce­ro­ne

Vier­tes Ka­pi­tel – Das ver­blüff­te Kon­zert-Quar­tett

Fünf­tes Ka­pi­tel – Stan­dard Is­land und Mil­li­ard City

Sechs­tes Ka­pi­tel – Ein­ge­la­de­ne … In­vi­ti

Sieb­tes Ka­pi­tel – Hin­aus nach Wes­ten

Ach­tes Ka­pi­tel – Un­ter­wegs

Neun­tes Ka­pi­tel – Die Grup­pe der Sand­wich-In­seln

Zehn­tes Ka­pi­tel – Die Pas­sa­ge der Li­nie

Elf­tes Ka­pi­tel – Die Mar­qui­sen-In­seln

Zwölf­tes Ka­pi­tel – Drei Wo­chen auf Po­mo­tou

Drei­zehn­tes Ka­pi­tel – Auf Ta­hi­ti

Vier­zehn­tes Ka­pi­tel – Von ei­nem Fest zum an­de­ren

Band 2

Ers­tes Ka­pi­tel – Auf den Cooks In­seln

Zwei­tes Ka­pi­tel – Von In­sel zu In­sel

Drit­tes Ka­pi­tel – Ein Hof­kon­zert

Vier­tes Ka­pi­tel – Ein bri­ti­sches Ul­ti­ma­tum

Fünf­tes Ka­pi­tel – Das Tabu von Ton­ga-Tabu

Sechs­tes Ka­pi­tel – Eine Samm­lung von Raub­tie­ren

Sieb­tes Ka­pi­tel – Treib­jag­den

Ach­tes Ka­pi­tel – Fid­schi und sei­ne Be­woh­ner

Neun­tes Ka­pi­tel – Ein Ca­sus Bel­li

Zehn­tes Ka­pi­tel – Wech­sel der Be­sit­zer

Elf­tes Ka­pi­tel – An­griff und Ab­wehr

Zwölf­tes Ka­pi­tel – Steu­er­bord ge­gen Back­bord

Drei­zehn­tes Ka­pi­tel – Ein Schlag­wort Pin­chi­nats

Vier­zehn­tes Ka­pi­tel – Der schließ­li­che Aus­gang

Ein Nach­wort

Dan­ke

Dan­ke, dass Sie die­ses E-Book aus mei­nem Ver­lag er­wor­ben ha­ben.

Ju­les Ver­ne ge­hört zu den Au­to­ren, die je­der schon ein­mal ge­le­sen hat. Eine Be­haup­tung, die man nicht über vie­le Schrift­stel­ler auf­stel­len kann. Die Ge­schich­ten von Ver­ne sind un­ter­hal­tend, lehr­reich und im­mer sehr at­mo­sphä­risch.

In un­re­gel­mä­ßi­ger Fol­ge wird mein Ver­lag die Wer­ke von Ver­ne ver­öf­fent­li­chen – die be­kann­ten wie die un­be­kann­ten. Im­mer in der über­ar­bei­te­ten Er­st­über­set­zung, um den (sprach­li­chen) Ch­ar­me der Zeit bei­zu­be­hal­ten.

Kor­ri­giert und kom­men­tiert wer­den Orts- und Per­so­nen­na­men oder of­fen­sicht­lich falsche An­ga­ben. Sie fin­den die Er­läu­te­run­gen in Fuß­no­ten.

Ich habe es mir auch nicht neh­men las­sen, die ur­sprüng­li­chen Na­men zu ver­wen­den: Aus dem Jo­hann wird so wie­der der ur­sprüng­li­che Jean, aus Lud­wig wie­der Louis und aus Ma­ri­an­ne wie­der Ma­rie. Ich den­ke, das tut den Ge­schich­ten nur gut.

Soll­ten Sie Hil­fe be­nö­ti­gen oder eine Fra­ge ha­ben, schrei­ben Sie mir.

Ihr

Jür­gen Schul­ze

Ju­les Ver­ne bei Null Pa­pier

  Rei­se um die Erde in 80 Ta­gen

  Mi­cha­el Strogoff - Der Ku­ri­er des Za­ren

  Zwan­zig­tau­send Mei­len un­ter dem Meer

  Eine Idee des Dok­tor Ox

  Eine Über­win­te­rung im Eis

  Schwarz-In­di­en – Oder: Die Stadt un­ter der Erde

  Fünf Wo­chen im Bal­lon

  Ro­bur der Ero­be­rer

  Der Herr der Welt

  Von der Erde zum Mond

  Rei­se um den Mond

  Die fünf­hun­dert Mil­lio­nen der Be­gum

  Der Süd­stern

  Das Kar­pa­ten­schloss

  Die Aben­teu­er des Ka­pi­tän Hat­teras

  Der Archi­pel in Flam­men

  Rei­se zum Mit­tel­punkt der Erde

  Die Pro­pel­ler-In­sel

Ju­les Ver­ne – Le­ben und Werk

Bei­na­he wäre Klein-Ju­les als Schiffs­jun­ge nach In­di­en ge­fah­ren, hät­te eine Lauf­bahn als See­mann ein­ge­schla­gen und spä­ter un­ter­halt­sa­mes See­manns­garn ge­spon­nen, das ver­mut­lich nie die Drucker­pres­se er­reicht hät­te.

Ju­les Ver­ne

Ver­liebt in die aben­teu­er­li­che Li­te­ra­tur

Glück­li­cher­wei­se für uns Le­ser hin­dert man ihn dar­an: Der Elf­jäh­ri­ge wird von Bord ge­holt und ver­lebt wei­ter­hin eine be­hü­te­te Kind­heit vor bür­ger­li­chem Hin­ter­grund. Ge­bo­ren am 8. Fe­bru­ar 1828 in Nan­tes, wächst Ju­les-Ga­bri­el Ver­ne in gut si­tu­ier­ten Ver­hält­nis­sen auf. Als äl­tes­ter von fünf Spröss­lin­gen soll er die vä­ter­li­che An­walt­spra­xis über­neh­men, wes­halb er ab 1846 in Pa­ris Jura stu­diert.

Viel span­nen­der fin­det er schon zu die­ser Zeit al­ler­dings die Li­te­ra­tur. Ver­ne freun­det sich so­wohl mit Alex­and­re Du­mas als auch mit sei­nem gleich­na­mi­gen Sohn an. Ge­mein­sam mit Va­ter Du­mas ver­fasst er Opern­li­bret­ti und ers­te dra­ma­ti­sche Wer­ke. Nach dem Ab­schluss sei­nes Stu­di­ums be­schließt er, nicht nach Nan­tes zu­rück­zu­keh­ren, son­dern sich völ­lig der Dra­ma­tik zu wid­men.

Zwar schreibt er nicht ganz er­folg­los – drei sei­ner Er­zäh­lun­gen er­schei­nen in ei­ner li­te­ra­ri­schen Zeit­schrift. Doch zum Le­ben reicht es nicht, wes­halb der jun­ge Au­tor 1852 den Pos­ten ei­nes In­ten­danz-Se­kre­tärs am Théâtre ly­ri­que an­nimmt. Im­mer­hin wird die­se Ar­beit zu­ver­läs­sig ver­gü­tet und Ver­ne darf sich als Dra­ma­ti­ker be­tä­ti­gen. In sei­ner Frei­zeit ver­fasst er wei­ter­hin Er­zäh­lun­gen, wo­bei ihn aben­teu­er­li­che Rei­sen am meis­ten in­ter­es­sie­ren.

Als er 1857 eine Wit­we hei­ra­tet, die zwei Töch­ter in die Ehe mit­bringt, muss sich der Li­te­rat nach ei­ner bes­ser be­zahl­ten Ein­kom­mens­quel­le um­se­hen. Wäh­rend der nächs­ten zwei Jah­re schlägt er sich als Bör­sen­mak­ler durch, wo­bei er ge­nug Zeit fin­det, län­ge­re Schiffs­rei­sen zu un­ter­neh­men, be­vor 1861 sein Sohn Mi­chel ge­bo­ren wird.

Ver­liebt ins li­te­ra­ri­sche Aben­teu­er

 

Letzt­lich ist es ei­ner be­son­de­ren Be­geg­nung im Jahr 1862 ge­schul­det, dass al­les, was der Au­tor bis­her »geis­tig an­ge­sam­melt« hat, in sei­nen künf­ti­gen Ro­ma­nen kul­mi­nie­ren darf: Der Ju­gend­buch-Ver­le­ger Pier­re-Ju­les Het­zel ver­öf­fent­licht Ver­nes uto­pi­schen Rei­se­ro­man »Fünf Wo­chen im Bal­lon«. Die­ses von ihm oh­ne­hin be­vor­zug­te Su­jet wird den Schrift­stel­ler nie wie­der los­las­sen – die aben­teu­er­li­chen Rei­sen, auf wel­cher Rou­te auch im­mer sie ab­sol­viert wer­den. Het­zel ver­legt Ver­nes noch heu­te be­lieb­tes­te Schrif­ten: 1864 »Rei­se zum Mit­tel­punkt der Erde«, im fol­gen­den Jahr »Von der Erde zum Mond«, 1869 »Rei­se um den Mond« und »Zwan­zig­tau­send Mei­len un­ter dem Meer«. Mit »Rei­se um die Erde in 80 Ta­gen« er­scheint 1872 Ju­les Ver­nes er­folg­reichs­ter Ro­man über­haupt.

Die Zu­sam­men­ar­beit mit Het­zel, der gleich­zei­tig als sein Men­tor fun­giert, sorgt in den spä­ten 1860er Jah­ren da­für, dass der höchst pro­duk­ti­ve Schrift­stel­ler sei­ner Fa­mi­lie ei­ni­gen Wohl­stand bie­ten und sich selbst »ju­gend­traum­haf­te« Rei­se­wün­sche er­fül­len kann. Sein Ver­le­ger stellt ihn nam­haf­ten Wis­sen­schaft­lern vor – in Kom­bi­na­ti­on mit den er­wähn­ten Rei­sen ent­steht auf die­se Wei­se ein un­ge­heu­rer Fun­dus der In­spi­ra­ti­on: Ju­les Ver­nes Zet­tel­kas­ten ent­hält an­geb­lich 25.000 No­ti­zen!

Zwar ist er seit »Rei­se um den Mond« glei­cher­ma­ßen wohl­ha­bend und ge­ach­tet; er en­ga­giert sich seit den spä­ten 1880er Jah­ren so­gar als Stadt­rat in Amiens, wo­hin er 1871 mit sei­ner Fa­mi­lie über­ge­sie­delt war. Der »Rit­ter­schlag« aber bleibt aus: In der Aca­dé­mie françai­se möch­te man den Ju­gend­buch­au­tor nicht ha­ben, er gilt als nicht se­ri­ös ge­nug.

Den Ze­nit sei­nes Schaf­fens hat der Li­te­rat be­reits über­schrit­ten, als er 1888 blei­ben­de Ver­let­zun­gen durch den Schuss­waf­fen-An­griff ei­nes geis­tes­ge­stör­ten Ver­wand­ten da­von­trägt. Den­noch ar­bei­tet der Au­tor un­un­ter­bro­chen wei­ter. Als Ju­les Ver­ne im März 1905 stirbt, hin­ter­lässt er ein ge­wal­ti­ges Ge­samt­werk: 54 zu Leb­zei­ten er­schie­ne­ne Ro­ma­ne, wei­te­re elf Ma­nu­skrip­te be­ar­bei­tet sein Sohn Mi­chel nach dem Tod des Va­ters. Er­gänzt wird Ver­nes Œu­vre durch Er­zäh­lun­gen, Büh­nen­stücke und geo­gra­fi­sche Ver­öf­fent­li­chun­gen.

Ge­liebt und miss­ach­tet

Je­nes zwie­späl­ti­ge Ver­hält­nis, das sich be­reits in der Ab­leh­nung der Aka­de­mie­mit­glie­der äu­ßert, kenn­zeich­net die aka­de­mi­sche Re­zep­ti­on bis heu­te: Ju­les Ver­ne ist eben »nur ein Ju­gend­buch­au­tor«. We­ni­ger be­fan­ge­ne Re­zi­pi­en­ten frei­lich schrei­ben ihm eine ganz an­de­re Be­deu­tung zu, die dem Vi­sio­när und lei­den­schaft­li­chen Er­zäh­ler bes­ser ge­recht wird.

Wenn­gleich der al­tern­de Li­te­rat zum Ende sei­nes Schaf­fens durch­aus nicht mehr in gläu­bi­ger Tech­nik­be­geis­te­rung auf­geht, blei­ben uns doch ge­nau jene Wer­ke in lie­be­vol­ler Erin­ne­rung, in de­nen tech­ni­sche und mensch­li­che Groß­ta­ten die Hand­lung be­stim­men: »Rei­se um die Erde in 80 Ta­gen« oder »Zwan­zig­tau­send Mei­len un­ter dem Meer« bei­spiels­wei­se. Wer als Kind von Nemo und sei­ner Nau­ti­lus liest, wird un­wei­ger­lich ge­fan­gen von die­sem tech­ni­schen Wun­der­werk und des­sen Ka­pi­tän. Ver­nes Ro­ma­ne ge­hö­ren zu je­nen Ju­gend­bü­chern, die man als Er­wach­se­ner ger­ne noch­mals zur Hand nimmt – und man staunt er­neut, er­in­nert sich, lässt sich wie­der­um ein­fan­gen und fragt sich, warum man ei­gent­lich so sel­ten Ver­ne liest…

So wie der Au­tor sich selbst durch Rei­sen und Wis­sen­schaft in­spi­rie­ren lässt, die­nen sei­ne Wer­ke seit je­her der In­spi­ra­ti­on sei­ner Le­ser­schaft. Wie prä­sent die­ser ex­zel­len­te Un­ter­hal­ter in den Köp­fen sei­ner Le­ser bleibt, be­le­gen Be­nen­nun­gen in See- und Raum­fahrt: Das ers­te Atom-U-Boot der Ge­schich­te ist die ame­ri­ka­ni­sche USS Nau­ti­lus. Ein Raum­trans­por­ter der Eu­ro­päi­schen Raum­fahr­t­agen­tur heißt »Ju­les Ver­ne«, ein As­te­ro­id und ein Mond­kra­ter tra­gen eben­falls den Na­men des Schrift­stel­lers. Die »Ju­les Ver­ne Tro­phy« wird seit 1990 für die schnells­te Wel­t­um­se­ge­lung ver­lie­hen, was dem be­geis­ter­ten Jacht­be­sit­zer Ver­ne ge­wiss ge­fal­len hät­te.

Der kom­mer­zi­el­le Li­te­ra­tur­be­trieb so­wie die Film­wirt­schaft be­trach­ten den fran­zö­si­schen Va­ter der Science-Fic­ti­on-Li­te­ra­tur eben­falls mit Wohl­wol­len: Un­zäh­li­ge Neu­auf­la­gen der Ro­man­klas­si­ker, Hör­bü­cher und Ver­fil­mun­gen der ra­san­ten, stets mit­rei­ßen­den Hand­lun­gen spre­chen Bän­de. Mitt­ler­wei­le gel­ten die äl­tes­ten Ver­fil­mun­gen selbst als kul­tu­rel­le Mei­len­stei­ne, die kei­nes­wegs nur ein jun­ges Pub­li­kum er­freu­en.

Ju­les Ver­nes Be­deu­tung für die Li­te­ra­tur

Der Ein­fluss Ver­nes auf nach­fol­gen­de Science-Fic­ti­on-Au­to­ren ist gar nicht hoch ge­nug ein­zu­schät­zen: Aus heu­ti­ger Sicht ist er ei­ner der Vor­rei­ter der uto­pi­schen Li­te­ra­tur Eu­ro­pas, der noch vor H. G. Wells (»Krieg der Wel­ten«) und Kurd Laß­witz (»Auf zwei Pla­ne­ten«) das neue Gen­re be­grün­det. Sein­er­zeit gibt es die­sen Be­griff noch nicht, wes­halb Het­zel die Ro­ma­ne sei­nes Er­folgs­schrift­stel­lers als »Au­ßer­ge­wöhn­li­che Rei­sen« ver­mark­tet

Der Fran­zo­se sieht, an­ders als Wells und ähn­lich wie Laß­witz, im tech­ni­schen Fort­schritt das künf­ti­ge Wohl der Mensch­heit be­grün­det. Trotz­dem ist Ju­les Ver­ne vor al­lem Er­zäh­ler: Er will we­der war­nen wie Wells noch be­leh­ren wie Laß­witz, son­dern in ers­ter Li­nie un­ter­hal­ten. Im Ver­gleich zum sprö­den Rea­lis­mus ei­nes Wells wir­ken sei­ne Ro­ma­ne für mo­der­ne Le­ser aus­ufernd, viel­leicht so­gar ge­schwät­zig. Den­noch sind sie leich­ter zu­gäng­lich als das sti­lis­tisch ähn­li­che Schaf­fen des Deut­schen Laß­witz, weil sie Uto­pie und Tech­nik­be­geis­te­rung nicht zum Zweck ih­res In­halts ma­chen, son­dern le­dig­lich zu des­sen Trä­ger: Schließ­lich ist es ein­fach auf­re­gend, in ei­nem Bal­lon eine Welt­rei­se an­zu­tre­ten oder Ka­pi­tän Nemo in sein ge­hei­mes Reich zu fol­gen.




Band 1

Erstes Kapitel – Das Quartett

Wenn eine Rei­se schlecht an­fängt, nimmt sie ge­wöhn­lich auch kein gu­tes Ende. Die­sen Glau­bens­satz hät­ten we­nigs­tens die vier Mu­si­ker un­ter­schrei­ben kön­nen, de­ren In­stru­men­te hier auf der Erde um­her­la­gen. Die Kut­sche, worin sie an der letz­ten Ei­sen­bahn­sta­ti­on hat­ten Platz neh­men müs­sen, war näm­lich so­eben ge­gen die Bö­schung des We­ges hier plötz­lich um­ge­stürzt.

»Es ist doch kei­ner ver­wun­det?« frag­te der ers­te, der sich schon, wenn auch müh­sam, wie­der auf­ge­rich­tet hat­te.

»Ich bin mit ei­nem Ritz in der Haut da­von­ge­kom­men«, ant­wor­te­te der zwei­te, in­dem er sich die durch eine ge­sprun­ge­ne Kut­schen­schei­be ver­letz­te Wan­ge ab­wisch­te.

»Und ich mit ei­ner Haut­ab­schür­fung!« er­wi­der­te der drit­te, von des­sen Wade ein Tröpf­chen Blut her­vor­quoll.

Nie­mand hat­te also ernst­lich Scha­den ge­nom­men.

»Doch mein Vio­lon­cell!« rief der vier­te. »Wenn nur mit mei­nem Vio­lon­cell nichts pas­siert ist.«

Zum Glück er­wei­sen sich die In­stru­men­ten­käs­ten alle un­ver­sehrt. We­der das Vio­lon­cell, noch die Brat­sche oder die bei­den Vio­li­nen hat­ten von dem Sto­ße ge­lit­ten, ja, es war so­gar kaum nö­tig, sie neu zu stim­men. Eine vor­treff­li­che Sor­te In­stru­men­te, nicht wahr?

»Ver­wünsch­te Ei­sen­bahn, die uns auf hal­b­em Wege sit­zen­lässt!« be­ginnt der eine wie­der.

»Ver­wünsch­te Kut­sche, die mit uns mit­ten in der Wild­nis um­wirft!« setzt der zwei­te hin­zu.

»Und ge­ra­de zur­zeit, wo es an­fängt, dun­kel zu wer­den!« jam­mer­te der drit­te.

»Zum Glück ist un­ser Kon­zert erst für über­mor­gen an­ge­zeigt!« be­merkt der vier­te.

Dann fol­gen ei­ni­ge drol­li­ge Wech­sel­re­den zwi­schen den Künst­lern, die ihr Miss­ge­schick von der lus­ti­gen Sei­te auf­ge­nom­men ha­ben. Der eine ent­lehnt sei­ne Kalau­er nach ein­ge­wur­zel­ter Ge­wohn­heit der mu­sik­tech­ni­schen Spra­che und sagt:

»Na, da wäre ja un­se­re Kut­sche glück­lich ›auf den Rücken ge­legt!‹«1

»Au, Pin­chi­nat!« ruft ei­ner sei­ner Ge­fähr­ten.

»Und ich mei­ne«, fährt Pin­chi­nat fort, »wir ha­ben um­ge­wor­fen, weil wir die Vor­zeich­nung (Schlüs­sel) der Stra­ße un­be­ach­tet lie­ßen.«

»Wirst du schwei­gen ler­nen?«

»Und wir wer­den gut tun, un­se­re Stücke in eine an­de­re Kut­sche zu trans­po­nie­ren!« wagt Pin­chi­nat noch hin­zu­zu­set­zen.

Ja, es han­del­te sich um einen tüch­ti­gen Un­fall und Um­fall, wie der Le­ser so­fort er­ken­nen wird.

Die an­ge­führ­ten Wor­te wur­den fran­zö­sisch ge­spro­chen; es hät­te dies aber auch eng­lisch er­fol­gen kön­nen, denn das Quar­tett be­herrsch­te die Spra­che Wal­ter Scotts und Coo­pers – dank viel­fa­cher Kun­st­rei­sen in Län­dern an­gel­säch­si­schen Ur­sprungs – eben­so wie die ei­ge­ne Mut­ter­spra­che. So ver­han­deln sie denn auch nur auf eng­lisch mit dem Füh­rer der Kut­sche.

Die­ser bra­ve Mann hat am schlimms­ten zu lei­den, da er, als die Vor­der­ach­se des Wa­gens brach, von sei­nem er­höh­ten Sitz her­un­ter­ge­schleu­dert wur­de. Zum Glück be­schränk­te sich das auf ver­schie­de­ne mehr schmerz­haf­te als erns­te Kon­tu­sio­nen.2 Im­mer­hin kann er in­fol­ge ei­ner Ver­stau­chung nicht auf­tre­ten und also nicht ge­hen, und dar­aus er­gibt sich die Not­wen­dig­keit, ein Hilfs­mit­tel zu fin­den, um den Mann we­nigs­tens bis ins nächs­te Dorf zu schaf­fen.

Es ist wirk­lich ein Wun­der zu nen­nen, dass bei dem Un­fall nie­mand das Le­ben ein­ge­büßt hat. Der Weg schlän­gelt sich näm­lich durch eine sehr ber­gi­ge Ge­gend, streift da und dort an schrof­fe Ab­grün­de oder wird von rau­schen­den Bergströ­men be­glei­tet und häu­fig durch kaum zu pas­sie­ren­de Fur­ten un­ter­bro­chen. Wäre der Bruch am Vor­der­teil des Wa­gens nur eine kur­ze Stre­cke wei­ter oben er­folgt, so wäre das Ge­fährt ohne Zwei­fel über das Fel­sen­ge­röll des Ab­hangs hin­un­ter­ge­stürzt und viel­leicht wäre bei die­ser Ka­ta­stro­phe kei­ner mit dem Le­ben da­von­ge­kom­men.

Je­den­falls war die Kut­sche jetzt aber nicht wei­ter zu be­nut­zen. Dazu liegt ei­nes der bei­den Pfer­de, das sich mit dem Kop­fe an einen spit­zen Stein ge­sto­ßen hat, rö­chelnd am Bo­den. Das an­de­re ist an der Han­ke ziem­lich schwer ver­letzt. Da fehl­te es nun an ei­nem Wa­gen eben­so wie an ei­nem Ge­spann da­für.

Die vier Künst­ler wa­ren auf dem Bo­den Nie­der-Ka­li­for­ni­ens über­haupt von ei­nem sel­te­nen Pech ver­folgt wor­den und hat­ten bin­nen vier­und­zwan­zig Stun­den nun zwei Un­fäl­le er­lit­ten. Wenn man da aber nicht ge­ra­de Phi­lo­soph ist …

Zu je­ner Zeit stand San Fran­zis­ko, die Haupt­stadt des Staa­tes, schon durch einen Schie­nen­strang in un­mit­tel­ba­rer Ver­bin­dung mit San Die­go, das fast an der Gren­ze der al­ten Pro­vinz Ka­li­for­ni­en liegt. Nach die­ser be­deu­ten­den Stadt be­ga­ben sich die vier Künst­ler, die dort am über­nächs­ten Tage ein viel­fach an­ge­zeig­tes und mit Span­nung er­war­te­tes Kon­zert ge­ben soll­ten. Am Tage vor­her von San Fran­zis­ko ab­ge­fah­ren, be­fand sich der Zug kaum noch fünf­zig (ame­ri­ka­ni­sche) Mei­len von San Die­go, als sich zu­erst ein »aus dem Tem­po kom­men« er­eig­ne­te.

Ja­wohl, ein aus dem Tem­po kom­men, wie der Lus­tigs­te der klei­nen Ge­sell­schaft sag­te, und die­sen Aus­druck wird man ei­nem al­ten Schü­ler des No­ten-ABC schon freund­lich nach­se­hen.

An der Sta­ti­on Pa­schal hat­te es einen un­frei­wil­li­gen Auf­ent­halt näm­lich des­halb ge­ge­ben, weil der Bahn­damm durch ein plötz­li­ches Hoch­was­ser auf eine Stre­cke von drei bis vier Mei­len zer­stört wor­den war. Erst zwei Mei­len wei­ter hin konn­te man die Ei­sen­bahn wie­der be­stei­gen, und eine Über­füh­rung der Rei­sen­den war auch noch nicht ein­ge­rich­tet, weil sich der Un­fall erst vor we­ni­gen Stun­den er­eig­net hat­te.

 

Nun gab es nur eine Wahl: ent­we­der zu war­ten, bis die Bahn wie­der fahr­bar war, oder in der nächs­ten Ort­schaft einen Wa­gen bis San Die­go zu mie­ten.

Das Quar­tett hat­te den zwei­ten Aus­weg ge­wählt. In ei­nem be­nach­bar­ten Dor­fe ent­deck­ten sie glück­lich eine Art al­ten Lan­dau­ers mit ras­seln­dem Ei­sen­werk, des­sen In­ne­res von Mot­ten zer­fres­sen und al­les an­de­re als ein­la­dend war. Mit dem Be­sit­zer um den Fahr­preis ei­nig ge­wor­den, hat­ten sie den Kut­scher noch durch das Ver­spre­chen ei­nes reich­li­chen Trink­gel­des be­sto­chen und wa­ren nur mit den In­stru­men­ten, ohne das üb­ri­ge Rei­se­ge­päck, wohl­ge­mut da­von­ge­rollt. Das war ge­gen zwei Uhr nach­mit­tags, und bis sie­ben Uhr ging die Fahrt auch ohne große Schwie­rig­keit und An­stren­gung von­stat­ten. Dann soll­ten sie aber zum zwei­ten Male »aus dem Tem­po kom­men«, in­dem die alte Kut­sche um­stürz­te, und zwar so un­glück­lich, dass sich eine Weiter­be­nüt­zung der­sel­ben ganz von selbst ver­bot.

Jetzt be­fand sich das Quar­tett noch reich­lich zwan­zig Mei­len von San Die­go ent­fernt.

Ja, warum hat­ten sich denn die vier Mu­si­ker – von Na­ti­on Fran­zo­sen und, was noch mehr sa­gen will, von Ge­burt Pa­ri­ser – in die­se un­wirt­li­chen Ge­bie­te Nie­der-Ka­li­for­ni­ens ver­irrt?

Wa­rum?… Das wer­den wir so­fort kurz mit­tei­len und wer­den da­bei mit ei­ni­gen Zü­gen die vier Vir­tuo­sen ab­ma­len, die der Zu­fall, der fan­tas­ti­sche Rol­len­ver­tei­ler, den Per­sön­lich­kei­ten der nach­fol­gen­den merk­wür­di­gen Ge­schich­te zu­ge­sel­len soll­te.

Im Lau­fe des be­tref­fen­den Jah­res – wir kön­nen es nur auf etwa drei­ßig Jah­re ge­nau be­stim­men – hat­ten die Ve­rei­nig­ten Staa­ten von Ame­ri­ka die Zahl der Ster­ne in ih­rer Bun­des­flag­ge ver­dop­pelt. Sie ste­hen in der vol­len Ent­fal­tung ih­rer in­dus­tri­el­len und kom­mer­zi­el­len Macht, nach­dem sie das Do­mi­ni­um von Ka­na­da bis zur äu­ßers­ten Gren­ze am Po­lar­mee­re, doch auch die Ge­bie­te von Me­xi­ko, Gua­te­ma­la, Hon­du­ras, Ni­ca­ra­gua und Co­s­ta­ri­ca bis zum Pa­na­ma­ka­na­le ih­rem Bun­des­staa­te ein­ver­leibt hat­ten. Gleich­zei­tig hat­te sich bei den län­der­rau­ben­den Yan­kees die Nei­gung für die Kunst ent­wi­ckelt, und wenn auch ihr ei­ge­nes Schaf­fen im Ge­bie­te des Schö­nen noch recht be­schränkt blieb, wenn der Na­tio­nal­geist sich ge­gen die Ma­le­rei, die Bild­hau­er­kunst und die Mu­sik noch et­was wi­der­stre­bend er­wies, so hat­te sich der Ge­schmack an den Wer­ken der schö­nen Küns­te bei ih­nen doch all­ge­mein ver­brei­tet. Da­durch, dass sie die Ge­mäl­de al­ter und neu­er Meis­ter mit Gold auf­wo­gen, um pri­va­te oder öf­fent­li­che Samm­lun­gen zu fül­len, und dass sie be­rühm­te ly­ri­sche oder dra­ma­ti­sche Künst­ler, eben­so wie die bes­ten In­stru­men­ta­lis­ten oft für un­er­hör­te Prei­se her­an­zo­gen, hat­ten sie sich end­lich den ih­nen so lan­ge man­geln­den Sinn für schö­ne und edle Din­ge all­mäh­lich ein­ge­impft.

Was die Mu­sik be­trifft, be­geis­ter­ten sich die Di­let­tan­ten der Neu­en Welt an­fäng­lich an den Wer­ken ei­nes Meyer­beer, Halévy, Gou­nod, Ber­lioz, Wa­gner, Ver­di, Massé, Saint-Saëns, Rey­er, Mas­se­net und De­li­bes, der be­rühm­ten Ton­set­zer der zwei­ten Hälf­te des neun­zehn­ten Jahr­hun­derts. Dann ge­lang­ten sie nach und nach zum Ver­ständ­nis der tief­sin­ni­ge­ren Ar­bei­ten ei­nes Mo­zart, Beetho­ven und Haydn und streb­ten den Quel­len je­ner höchs­ten Kunst ent­ge­gen, die im Lau­fe des acht­zehn­ten Jahr­hun­derts so reich­lich flos­sen. Da folg­ten den Opern die ly­ri­schen Dra­men, den ly­ri­schen Dra­men die Sym­pho­ni­en, So­na­ten und die Or­che­s­ter­sui­ten. Zur­zeit, von der wir spre­chen, mach­ten ge­ra­de die So­na­ten in den ver­schie­de­nen Staa­ten der Uni­on ge­wal­ti­ges Auf­se­hen. Man be­zahl­te sie wil­lig Note für Note, die hal­be mit zwan­zig, die vier­tel mit zehn, die ach­tel Note mit fünf Dol­lar.

Von die­ser Mo­de­toll­heit un­ter­rich­tet, un­ter­nah­men es vier hoch­an­ge­se­he­ne In­stru­men­ta­lis­ten, sich in den Ve­rei­nig­ten Staa­ten von Ame­ri­ka Ruhm und Schät­ze zu er­rin­gen. Es wa­ren vier gute Ka­me­ra­den, frü­he­re Schü­ler des Pa­ri­ser Kon­ser­va­to­ri­ums, und in der fran­zö­si­schen Haupt­stadt sehr be­kann­te Leu­te, die vor­züg­lich von den Lieb­ha­bern der in Ame­ri­ka noch we­nig ver­brei­te­ten so­ge­nann­ten »Kam­mer­mu­sik« be­son­ders ge­schätzt wur­den. Mit welch sel­te­ner Vollen­dung, welch herr­li­chem Zu­sam­men­spiel und tie­fem Ver­ständ­nis brach­ten sie aber auch die Wer­ke ei­nes Mo­zart, Beetho­ven, Men­dels­sohn, Haydn und Cho­pin zu Ge­hör, die­se un­s­terb­li­chen Kom­po­si­tio­nen, die für vier Streich­in­stru­men­te, eine ers­te und eine zwei­te Gei­ge, eine Brat­sche und ein Vio­lon­cell ge­schrie­ben sind! Da gab es kei­nen Lärm, nichts Ge­schäfts­mä­ßi­ges, wohl aber eine ta­del­lo­se Aus­füh­rung, eine un­ver­gleich­li­che Vir­tuo­si­tät! Die Er­fol­ge des Quar­tetts er­schei­nen umso be­greif­li­cher, als man zu je­ner Zeit ge­ra­de an­fing, der un­ge­heu­ern har­mo­ni­schen und sym­pho­ni­schen Or­che­s­ter müde zu wer­den. Ist die Mu­sik auch im­mer eine aus kunst­voll kom­bi­nier­ten so­no­ren Wel­len er­zeug­te See­le­n­er­schüt­te­rung, so braucht man die­se Wel­len doch nicht zu be­täu­ben­den Sturm­flu­ten zu ent­fes­seln.

Kurz un­se­re vier Mu­si­ker be­schlos­sen, die Ame­ri­ka­ner in die sanf­ten und un­aus­sprech­li­chen Genüs­se der Kam­mer­mu­sik ein­zu­füh­ren. Sie reis­ten zu­sam­men nach der Neu­en Welt, und seit zwei Jah­ren spar­ten ih­nen ge­gen­über die Yan­kee-Di­let­tan­ten auch in kei­ner Wei­se, we­der mit Hur­ras, noch mit eben­so er­he­bend klin­gen­den Dol­lar. Ihre mu­si­ka­li­schen Ma­tinéen oder Soiréen wa­ren au­ßer­or­dent­lich be­gehrt. Das »Kon­zert-Quar­tett« – so lau­te­te die üb­li­che Be­zeich­nung – war kaum im­stan­de, den Ein­la­dun­gen der rei­chen Leu­te nach­zu­kom­men. Ohne je­nes gab es kein Fest, kei­ne Réu­ni­on, kei­nen Raout, kei­nen Five o’Clock Tea, ja kei­ne Gar­den­par­ties, die der öf­fent­li­chen Auf­merk­sam­keit emp­foh­len zu wer­den ver­dient hät­ten. Bei die­ser all­ge­mei­nen Be­geis­te­rung hat­te ge­nann­tes Quar­tett schon ganz ge­wal­ti­ge Sum­men ein­ge­heimst, die, wenn sie sich in den Pan­zer­schrän­ken der Bank von New York auf­ge­sam­melt hät­ten, schon ein recht hüb­sches Ka­pi­tal dar­ge­stellt ha­ben wür­den. Doch, warum soll­ten wir es ver­heim­li­chen? … Un­se­re ame­ri­ka­ni­schen Pa­ri­ser streu­ten das Geld auch mit vol­len Hän­den wie­der aus. Die Fürs­ten des Bo­gens, die Kö­ni­ge von vier Sai­ten, dach­ten gar nicht ans Auf­spei­chern von Schät­zen. Sie hat­ten an ih­rem et­was aben­teu­er­li­chen Le­ben Ge­schmack ge­fun­den in der Ge­wiss­heit, über­all gute Auf­nah­me und reich­li­chen Ver­dienst zu fin­den, und so flat­ter­ten sie von New York nach San Fran­zis­ko, von Que­bec nach Neu-Or­léans, von Neu-Schott­land nach Texas – viel­leicht et­was à la Bohè­me, aber in der Bohè­me der Ju­gend, die ja die äl­tes­te, lie­bens­wür­digs­te und be­nei­dens­wer­tes­te über­all auf Er­den ist.

Wenn wir uns nicht arg täu­schen, ist jetzt der Zeit­punkt ge­kom­men, die Leut­chen per­sön­lich und mit Na­men de­nen un­se­rer freund­li­chen Le­ser vor­zu­stel­len, die das Ver­gnü­gen, jene zu hö­ren, we­der ge­habt ha­ben, noch je ha­ben wer­den.

Y­ver­nes – die ers­te Vio­li­ne – zwei­und­drei­ßig Jah­re alt, von et­was über­mitt­ler­er Sta­tur, be­strebt ma­ger zu blei­ben, hat blon­des, un­ten et­was ge­lock­tes Haar, glat­tes Ge­sicht, große dunkle Au­gen, lan­ge Hän­de, die dazu ge­schaf­fen schei­nen, auf sei­ner Guar­ne­rio al­les mög­li­che zu grei­fen, zeigt ele­gan­tes Auf­tre­ten, liebt es, sich in einen dun­kel­far­bi­gen Man­tel zu hül­len, trägt gern einen hoch­köp­fi­gen Sei­den­hut, ist viel­leicht et­was schau­spie­le­ri­scher »Po­seur«, doch je­den­falls der Harm­lo­ses­te der Ge­sell­schaft, der sich um Geldan­ge­le­gen­hei­ten nicht küm­mert, son­dern vor al­lem an­de­ren Künst­ler, be­geis­ter­ter Be­wun­de­rer al­les Schö­nen und Vir­tuo­se von großem Ta­lent und glän­zen­der Zu­kunft ist.

Fras­co­lin – die zwei­te Vio­li­ne – drei­ßig Jah­re alt, klein, mit Nei­gung zu Fett­lei­big­keit, wor­über er oft in hel­le Wut ge­rät, braun von Bart- und Kopf­haar, mit star­kem Kopf, dun­keln Au­gen, lan­ger Nase mit sehr be­weg­li­chen Flü­geln und ge­röte­ten Fle­cken an den Stel­len, wo die Fe­dern sei­nes gold­ge­fass­ten Lor­gnons mit stark kon­ka­ven Glä­sern, das er lei­der nicht ent­beh­ren kann, auf­sit­zen; üb­ri­gens ein gut­mü­ti­ger, zu­vor­kom­men­der, dienst­wil­li­ger Mann, der sich je­der Mü­he­wal­tung un­ter­zieht, um sie sei­nen Kol­le­gen zu er­spa­ren, führt er die Kas­se für das Quar­tett und emp­fiehlt im­mer äu­ßers­te Spar­sam­keit, frei­lich ohne da­mit je Ge­hör zu fin­den. Ohne je­den Neid auf den Er­folg sei­nes Kol­le­gen Yver­nes und ohne den Ehr­geiz, das Pult der ers­ten Vio­li­ne je­mals für sich zu er­obern, ist er doch ein vor­treff­li­cher Künst­ler. Über dem Rei­se­an­zug trägt er stets einen wei­ten Staub­man­tel.

Pin­chi­nat – die Brat­sche – ge­wöhn­lich »Sei­ne Ho­heit«3 ge­nannt, sie­ben­und­zwan­zig Jah­re alt, der Jüngs­te der Trup­pe und auch der wit­zigs­te, lus­tigs­te Pa­tron der­sel­ben, ei­ner je­ner un­ver­bes­ser­li­chen Ty­pen, die ihr Le­ben lang über­mü­ti­ge Stra­ßen­jun­gen blei­ben, mit sei­nem Kopf, geist­vol­len, stets auf­merk­sa­men Au­gen, ins Röt­li­che spie­len­dem Haar und mit spitzaus­lau­fen­dem Schnurr­bart. Er schnalzt gern mit der Zun­ge an den wei­ßen, schar­fen Zäh­nen und ist ein­ge­fleisch­ter Lieb­ha­ber von Kalau­ern und Ca­lem­bours, eben­so be­reit zum An­griff wie zur Ab­wehr, das Ge­hirn vol­ler Schnur­ren – »eine voll­stän­di­ge Aus­stat­tung«, sagt er – von un­ver­wüst­li­chem Hu­mor, im­mer Pos­sen trei­bend und ohne sich des­halb, weil sie sei­ne Kol­le­gen zu­wei­len in Ver­le­gen­heit brin­gen, ein grau­es Haar wach­sen zu las­sen. Da­rum tref­fen ihn auch häu­fig die Vor­wür­fe und vä­ter­li­chen Straf­pre­dig­ten des Füh­rers und Ober­haup­tes des Quar­tetts.

Es gibt hier na­tür­lich auch einen Füh­rer, den Vio­lon­cel­lis­ten Sé­bas­ti­en Zorn, ein Ober­haupt eben­so durch sein Ta­lent wie durch sein Al­ter – er zählt be­reits zwei­und­fünf­zig Som­mer – die­ser ist klein, dick und fett, blond, mit reich­li­chem, den Schlä­fen mit Her­zens­häk­chen an­lie­gen­dem Haar und star­rem Schnurr­bart, der sich im Ge­wirr des spitzaus­lau­fen­den Ba­cken­bar­tes ver­liert. Sein Teint spielt ins Back­stein­far­bi­ge und sei­ne Au­gen glän­zen durch die Glä­ser der Bril­le, die er beim Le­sen u. dgl. noch durch eine Lor­gnet­te ver­schärft. Da­bei hat er flei­schi­ge, run­de Hän­de, von de­nen die rech­te, der man die Ge­wohn­heit an die wie­gen­den Bo­gen­be­we­gun­gen an­merkt, am Gold- und am klei­nen Fin­ger mit großen Rin­gen ge­schmückt ist.

Die­se flüch­ti­ge Skiz­ze ge­nügt wohl, den Mann und den Künst­ler zu kenn­zeich­nen. Man hält aber nicht un­ge­straft vier­zig Jah­re hin­durch einen klin­gen­den Kas­ten zwi­schen den Kni­en. Das be­ein­flusst das gan­ze Le­ben und mo­delt den Cha­rak­ter. Die al­ler­meis­ten Vio­lon­cell­spie­ler sind red­se­lig und auf­fah­rend, ha­ben gern das große Wort und re­den über al­ler­lei – üb­ri­gens nicht ohne Geist. Ein sol­ches Exem­plar ist auch Sé­bas­ti­en Zorn, dem Yver­nes, Fras­co­lin und Pin­chi­nat die Lei­tung ih­rer mu­si­ka­li­schen Streif­zü­ge wil­lig über­las­sen ha­ben. Sie las­sen ihn re­den und nach Gut­dün­ken han­deln, denn er ver­steht sich aufs Ge­schäft. An sein et­was be­feh­le­ri­sches We­sen ge­wöhnt, la­chen sie dar­über nur, wenn er ein­mal »über den Steg hin­aus­greift«, was für einen Streich­in­stru­men­ten­spie­ler, wie Pin­chi­nat re­spekt­los be­merk­te, sehr be­dau­er­lich ist. Die Zu­sam­men­stel­lung der Pro­gram­me, die Lei­tung der Rei­sen, die schrift­li­chen Ver­hand­lun­gen mit den Im­presa­ri­os … alle die­se viel­fa­chen Ar­bei­ten la­gen auf sei­nen Schul­tern und ga­ben ihm vollauf Ge­le­gen­heit, sein ag­gres­si­ves Tem­pe­ra­ment zu be­tä­ti­gen. Nur um die Ein­nah­men be­küm­mer­te er sich nicht, eben­so­we­nig wie um die Ver­wal­tung der ge­mein­schaft­li­chen Kas­se, die der Ob­hut des zwei­ten Vio­li­nis­ten und in ers­ter Li­nie haft­ba­ren, des sorg­sa­men und pein­lich or­dent­li­chen Fras­co­lin an­ver­traut war.

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