Tod oder Taufe - Die Kreuzfahrer am Rhein

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Die beiden Kinder kamen lachend angerannt und stoppten abrupt, als sie den Fremden sahen. Die Mutter blickte auf die beiden und zog die Augenbrauen nach oben. Peters Geschwister verbeugten sich und setzten sich still links und rechts neben ihrem Bruder auf die Bank. Zärtlich legte Peter seine Arme um Mathilde, die sich an ihn schmiegte. Mutter setzte sich zu Vater, der den Priester fragte: »Möchtet Ihr, Herr, das Tischgebet sprechen?«

Der Mann in der roten Kutte faltete die Hände und seine geschmeidige Stimme erfüllte die Stube. »Der Herr segne diese Speise. Er erbarme sich euer, erlasse euch die Sünden und führe euch zum ewigen Leben. Amen.«

Die Holzlöffel klackerten in den Schalen und ein gefräßiges Schweigen erfüllte eine Zeit lang den Raum. Jedes seiner Geschwister aß mit einem eigenen Löffel, in den von Peter hatte sein Vater eine Haselnuss am oberen Ende des Griffes eingeschnitzt.

»Ein wohlschmeckender Brei, Weib«, durchbrach der Mann die Stille. »Wir brauchen gute Köchinnen auf unserer Reise und auch starke Männer.«

Mutters Gesicht zeigte keine Regung.

»Jerusalem, wart Ihr schon einmal dort?«, fragte Peters Vater.

»Ja, ich war schon dort. Eine Stadt, so schön wie ein Gedicht. Wie heißt es in einem Psalm des Herrn:

Vergesse ich dein, Jerusalem, dann soll mir die rechte Hand verfaulen.

Meine Zunge soll an meinem Gaumen kleben, wo ich nicht dein gedenke,

wo ich nicht lasse Jerusalem meine höchste Freude sein.«

»Höchste Freude«, wiederholte der Vater träumerisch. »Höchste Freude.«

»Reich und üppig ist das Land. Die Böden tragen dreimal Frucht im Jahr. Saftige Feigen, schwarze und grüne Oliven und süße Aprikosen wachsen in großer Zahl. Mit den Schätzen der Sarazenen werden wir bald Kirchen und Burgen im Heiligen Land erbauen. Ein neues Reich in Gottes Gnade werden wir dort errichten.«

»Erzählt bitte mehr vom Heiligen Land«, bat Peter, der gebannt an den Lippen des fremden Mannes hing.

»Es wird bald dunkel und Ihr müsst sicher noch einen weiten Weg gehen«, unterbrach ihn die Mutter. Sie legte die Hand auf das Bein ihres Mannes und sah ihn mit ernsten Augen an.

Der Vater erwiderte den Blick, nickte und richtete sich auf. »Mein Weib hat recht, die Dämmerung wird bald hereinbrechen und zum Dorf ist es ein gutes Stück.«

»Was ist mit dir, Peter? Willst du nicht mit uns ziehen?«, fuhr der Priester ungerührt fort. »So einen wie dich können wir gut gebrauchen. Willst du nicht die weite Welt entdecken? Trockene Böden beackern, ist das alles, was du aus deinem Leben machen willst?«

»Wir brauchen unseren Sohn hier«, antwortete Peters Vater unwirsch. »Und er verspürt auch nicht den Wunsch, in Euren Krieg zu ziehen.«

»Nun, für Großes müssen Opfer gebracht werden.« Der Priester ließ sich keinen Ärger anmerken. »Abenteuer und die Schätze der Sarazenen erwarten dich, mein Sohn.« Ernst und freundlich richtete der fremde Mann in der roten Kutte seinen Blick auf Peter. »Und die Frauen der Sarazenen mit ihrer …«

»Wärt Ihr so freundlich, einen Segen für unser Haus zum Abschied zu sprechen?«, unterbrach die Mutter den Priester.

»Nein, bitte bleibt«, erwiderte Peter.

Patsch! Das laute Knallen einer Ohrfeige schallte durch den Raum.

»Widersprich deiner Mutter nicht!«, schimpfte der Vater.

Peter lief rot an vor Scham. Er biss die Zähne aufeinander, sein Blick wurde starr. Erschrocken schlug die Mutter die Hand vor den Mund. Peter sprang auf. Der Vater wollte ihn noch festhalten. »Bleib hier!«

Aber Peter riss sich los und rannte aus der Stube. Auf der Bank vor ihrem Haus setzte er sich nieder.

Nach einiger Zeit hörte er den Priester sprechen. »Habt Dank für dieses gute Mahl. Glück und Segen komme über dieses Haus.«

Beim Verlassen der Stube sang der Mann leise vor sich hin:

»Vergesse ich dein, Jerusalem, dann soll mir die rechte Hand verfaulen. Meine Zunge soll an meinem Gaumen kleben, wo ich nicht dein gedenke, wo ich nicht lasse Jerusalem meine höchste Freude sein.«

Mainz – in Jehudiths und Chaims Haus

Die Frau des Metzgers hatte sich in ein Halskettchen mit roten und grünen Glasperlen verguckt. Nach kurzer Verhandlung war der Verkauf besiegelt und Jehudith konnte fünf Schillinge als Einnahme verbuchen. Entsprechend zufrieden hatte sie den Laden verschlossen und sich an die Vorbereitungen des Sabbatmahls gemacht.

Benjamin, ihr Kleinster, war glücklich, David und Hannah beim Spielen beobachten zu können, sodass sie in aller Ruhe den Bohneneintopf mit Rindswurst vorbereiten konnte, den sie heute auftischen wollte. Sie hatte sich dafür ein saftiges Hüftstück von dem jüdischen Metzger bringen lassen, das sie nun in Sonnenblumenöl über der Feuerstelle in einem Kessel anbriet. Sie fügte eine Handvoll Thymian aus ihrem kleinen Hintergarten hinzu und schimpfte wie gewöhnlich über den Rauch, der nur ungenügend durch den Schacht nach draußen abzog.

Für Benjamin zerstampfte sie einen Apfel und vermischte das Mus mit etwas Hirse, Milch und Honig. Sie schüttete die geschnittenen Bohnen in den Kessel und goss nach einigen Minuten etwas von dem billigen Rotwein nach. Eine Dampfwolke entstieg dem Kessel und bald schon kam zum Aroma der Kräuter der herbe Duft von angebratenem Fleisch und erfüllte ihre Wohnung.

Peters Heim nahe Gerstendorf

Auf der Bank vor der Hütte kämpfte Peter mit den Tränen, als der Priester in der roten Kutte aus dem Haus ins Freie trat und ihn aufmunternd anlächelte. »Vielleicht sehen wir uns ja morgen wieder, Peter.«

Dann wurde der Blick des Mannes ernst. »Denk an die heiligen Pflichten, die Gott uns abverlangt. Ein neues Reich in Christi Namen werden wir gründen. Und denk an die Schätze der Sarazenen, die uns bald gehören werden. Denk an die Kirchen und Burgen, die wir damit bauen können. Und ein hübscher starker Mann, wie du es bist, der darf auch Träume haben, die sich ein Priester verwehren muss. Drum denk du ruhig an die sagenumwobene Schönheit der Frauen des Orients mit ihrer sanften braunen Haut.«

Noch lange schaute Peter dem Mann nach. Die leuchtend rote Kutte erschien immer verschwommener in der Dämmerung, versteckte sich zuweilen hinter Bäumen, tauchte wieder auf, nur um kurz danach wieder verdeckt zu werden. Bevor der Priester ganz hinter dem Hügel verschwand, drehte er sich ein letztes Mal um und winkte ihm zu.

Peter hörte die Mutter mit dem Vater in der Stube schimpfen. »Du hättest ihn nicht so züchtigen sollen. Vor dem Priester, das macht ihn nur aufsässiger.«

»Willst du zulassen, dass er dir widerspricht?«, erwiderte der Vater und fügte mit kleinlauter Stimme hinzu: »Ich habe es gut gemeint.«

»Du Narr, du warst doch auch einmal jung.«

Mainz – in Jehudiths und Chaims Haus

Nach getaner Arbeit stieg Chaim erschöpft, aber zufrieden die Treppe zur Wohnung empor. Er hatte einen der Entwürfe für Raimunds Fenster fertigstellen können, und es war ihm sogar noch etwas Zeit geblieben, mit dem Psalm weiterzukommen, bei dessen Übersetzung er mit seinem Freund am Mittag unterbrochen worden war. Seine Sorgen über das Heer der Irrenden hatte er während seiner Arbeit an den Skizzen ganz vergessen.

Ihre Stube war von einem herrlich herben Duft erfüllt. Jehudith stand an der Feuerstelle und rührte in dem Kessel. David verteilte die Holzteller und Glasbecher auf dem Tisch, aus denen alle außer Benjamin am Sabbat zu trinken pflegten, und erzählte ihm derweil begeistert von einem neuen Murmelspiel. Hannah schmiegte sich an ihren Vater und kämpfte sich schließlich hinauf auf seinen Schoß.

»David, stell auch den Kidduschbecher auf Papas Platz«, hörte Chaim Jehudith aus der Küche rufen. »Das Döschen mit dem Salz und der Teller mit den Sabbatbroten liegen hier bei mir auf dem Tisch.«

David tat, was ihm aufgetragen worden war, und setzte sich dann rechts neben seinen Vater.

Jehudith stellte den dampfenden Kessel in die Mitte des Tisches und setzte Benjamin auf den erhöhten Stuhl, von dem er alles beobachten konnte. Damit er nicht herunterfiel, band sie ihm ein Stofftuch um den Bauch, das sie dann an der Lehne festmachte. Sie ging nochmals in die Küche, entzündete einen Holzspan an der Feuerstelle und nahm Hannah, die Chaims Schoß entglitt, an die Hand. Die beiden wandten sich der Kommode zu, auf der bereits die zwei Sabbatkerzen standen.

Jehudith drückte den Span, an dessen anderen Ende ein kleines Flämmchen brannte, in Hannahs Hand und führte sie zu der Kerzenspitze. Mit leuchtenden Augen beobachtete Hannah, wie sich die Kerzen entzündeten. Gemeinsam mit ihrer Mutter sprach sie den Segen und das Sabbatmahl konnte beginnen.

In der Nähe von Peters Heim

Nachdem in der Stube wieder Ruhe eingekehrt war, setzte sich seine Mutter zu Peter auf die Bank. Sie legte den Arm um seine Schultern, aber er machte sich ganz steif.

Er wollte weg, nur noch weit weg.

Nach einer Weile hielt er es nicht mehr aus und entzog sich der Nähe seiner Mutter. Zunächst ging er langsam in Richtung des Hügels, dann lief er den Weg hinauf. Unter seinen nackten Füßen spürte er den trockenen Boden und das Stechen der Steine in seinen Fußsohlen. Dieser Schmerz tat ihm gut. Schließlich rannte er, rannte, so schnell er konnte, als könne er die Schmach wegrennen.

Peter erreichte die Hügelspitze und hielt an. Unter ihm schleppte der große Fluss sein Wasser Richtung Mainz. Er hockte sich nieder. Jetzt erst flossen die Tränen aus seinen Augen, Rinnsalen gleich. Er legte sich mit dem Bauch auf den Boden und schlug mit der Faust in das trockene Gras, bis er schließlich keine Kraft mehr hatte.

 

Nach einiger Zeit richtete er sich auf, schaute noch einmal auf den mächtigen Strom und ging langsam und mit hängendem Kopf zurück zu ihrem Haus.

Mainz – in Jehudiths und Chaims Haus

Jehudith hatte sie alle mit einer neuen Nachtischkreation überrascht: ein Honigkuchen mit geraspelten Mandeln und Rosinen, die sie am Tag zuvor in einem Wacholderlikör eingelegt hatte. Sie wurde überschwänglich gelobt, nicht nur von Chaim, sondern auch von David und Hannah. Benjamin zeigte seine Freude durch aufgeregte Armbewegungen in Richtung der Mandel- und Rosinenkrümel, die auf dem Teller übrig geblieben waren. Vielleicht war er aber auch enttäuscht darüber, dass seine Mutter diese köstlichen Krümel abkratzte, bevor sie den Kuchen in sein Mündchen führte.

Chaim fühlte sich satt und zufrieden. Jehudith zwinkerte ihm zu, zum Zeichen, dass er nun den Abschlusssegen sprechen sollte. Er füllte den Kidduschbecher ein letztes Mal und tat wie ihm geheißen.

David und Hannah maulten ein wenig, aber der strenge Blick seiner Frau genügte, damit die beiden ins Kinderzimmer abzogen.

Chaim stand auf und räumte den Tisch ab, während Jehudith Benjamin ins Bett brachte. Als er allein in der Küche war, geriet seine gute Laune ins Wanken, die er während des gesamten Sabbatmahls im Kreise seiner Familie empfunden hatte. Die Schattengesichter der Ratssitzungen schlichen sich in seine Gedanken zurück.

Beim Hinaufgehen ins Dachgeschoss kam er an dem Zimmer der Kinder im zweiten Stock vorbei und hörte sie und David das Maariw, das Nachtgebet, sprechen.

»Schma Jisrael, Adonaj elohejnu, Adonaj echad!«, sprach David.

»Höre, Israel! Adonaj ist unser Herr, Adonaj ist eins«, antwortete Jehudith.

Wie lange würden sie dieses Gebet in Mainz noch sprechen dürfen? Es half nichts, diese missliebigen Ahnungen stiegen immer wieder in Chaim auf, sosehr er sie zu verscheuchen wünschte. Bedrückt ging er hinauf in die Dachkammer, in der er mit Jehudith nächtigte.

Er setzte sich auf einen Hocker am Fenster. Sie wohnten in einem der wenigen dreistöckigen Häuser in Mainz. Vom Dachboden aus konnte er seine Blicke über die Stadtmauer bis zum Hafen schweifen lassen. Auf dem Turm am Zugang zum Hafen standen die üblichen zwei Männer der Stadtwache. Nichts deutete auf eine bevorstehende Gefahr hin.

Er stand auf und sprach das Schma Jisrael. Es fiel ihm zunächst schwer, seine Gedanken auf das Gebet zu richten. So brabbelte er mehr, als dass er mit seinem Herzen bei der Sache war.

Er versuchte, seinen Geist in den Rhythmus des Singsangs zu zwingen. Bei der Amidah, dem Achtzehngebet, gelang es ihm schließlich, in Schwingung mit den heiligen Worten zu kommen.

»Gelobt seist Du, Ewiger, unser Gott und Gott unserer Väter,

Gott Abrahams, Gott Isaaks und Gott Jakobs,

großer starker und furchtbarer Gott,

der Du beglückende Wohltaten erweisest und Eigner des Alls bist.«

Chaim befand sich nun im Zustand des Einverständnisses mit dem großen Plan des Schöpfers aller Dinge. Er genoss dieses Gefühl der Geborgenheit in all seinem Unwissen und trotz all der Fremdheit, mit der Gott ihm zuweilen entgegentrat. Er schwang mit in Gottes Wollen, wie der Samen einer Pusteblume, der dem Wind eine Zeit lang widerstehen mag, sich aber irgendwann löst, ja lösen muss, um endlich über die Wiesen zu schweben und neue Frucht hervorbringen zu können.

Mit jeder Zeile des Gebets verflog etwas von seiner Angst, sie verlor an Gewicht, leichter und leichter wurde ihm im Herzen. Alles würde gut werden, alles hatte seine Ordnung, er konnte loslassen, die Dinge geschehen lassen. Geradezu heiter war ihm, als er zur zwölften Bitte kam.

»Den Verleumdern sei keine Hoffnung,

und alle Ruchlosen mögen im Augenblick untergehen,

alle mögen sie rasch ausgerottet werden,

und die Trotzigen schnell entwurzle, zerschmettere, wirf nieder

und demütige sie schnell in unseren Tagen.

Gelobt seist Du, Ewiger,

der Du die Feinde zerbrichst und die Trotzigen demütigst!«

Das Gebet entglitt ihm erneut. Die Auseinandersetzungen mit Mosche kamen ihm in den Sinn, der auf einer anderen, schärferen Version der zwölften Bitte beharrte. Die freche Regierung mögest du eilends ausrotten in unseren Tagen, so sollte es im Gottesdienst heißen, und, schlimmer noch, die Nazarener und die Ketzer mögen umkommen in einem Augenblick. Warum diese Unversöhnlichkeit, die nur neuen Hass erzeugte? All die zähen Diskussionen im Rat kochten in ihm hoch. Er hatte sie so satt.

Erneut konnte Chaim seine Gedanken bezwingen und kam zurück in den Fluss, in das Schweben, das er gerade heute so ersehnte, das er gerade jetzt brauchte. Und so fiel alle Last des Tages von ihm ab, und er beendete das Gebet, wenn auch nicht glücklich, so doch ruhiger, gelassener.

»Verleihe Frieden, Glück und Segen, Gunst und Gnade und Erbarmen

uns und ganz Israel, Deinem Volke, segne uns, unser Vater,

uns alle vereint durch das Licht Deines Angesichts,

denn im Lichte Deines Angesichtes gabst du uns, Ewiger, unser Gott,

die Lehre des Lebens und die Liebe zum Guten.«

Er blieb einen Moment sitzen, genoss den warmen Abend und schaute hinaus in Richtung des mächtigen Flusses, der ruhig und kraftvoll sein Wasser hin zum großen Meer fließen ließ.

Chaim stand auf, füllte Wasser aus dem Tonkrug neben der Kommode in die große Schale auf der marmornen Platte und entkleidete sich. Mit einem Lächeln zog er die oberste Schublade auf und nahm einen der gelben Schwämme heraus. Sündhaft teuer waren diese toten Überreste von seltsamen Lebewesen, für die Taucher an den Küsten Griechenlands sich tief ins Meer vorwagen mussten. Es gab sie nur bei Schmuel, und das wusste der schlaue Kerl auszunutzen. Chaim hasste das Feilschen, aber in diesem Fall konnte er nicht anders. Er hatte Jehudith mit diesem porösen und gleichsam weichen Wirrnis zu ihrem Hochzeitstag überrascht – und Schmuel schließlich mit einem Satz Gläser bezahlen müssen.

Freudig hatte Chaim ihr gezeigt, wie diese gelben Ballen das Wasser in sich aufnahmen und wie weich man mit ihnen über die Haut streichen konnte. »Das Dreißigfache seines Gewichtes saugt ein solcher Schwamm auf«, hatte er ihr stolz verkündet. Jehudith hatte ihn ausgelacht, weil er immer so exakt mit Zahlen war. Aber ihr Lachen war in Liebe getaucht gewesen, sie hatte sich riesig gefreut.

Chaim musste an all dies denken, als er den weichen Ballen in die Schale tauchte, der sofort begann, das Wasser gierig in sich aufzunehmen.

Er rieb sich gründlich ab. Das kühle Wasser erfrischte ihn, zog ihn hinaus aus der seligen Gleichmut, in die ihn das Gebet geführt hatte. Er genoss seine Nacktheit und verzichtete darauf, sich abzutrocknen. Stattdessen setzte er sich auf den Hocker am Fenster und betrachtete den langsam dunkler werdenden Himmel durch das offene Fenster.

Die Sterne gossen ein zartes Leuchten über die Stadt aus, während sich die Geräusche des Hafens nach und nach in der Stille der Nacht verloren.

An diesem lauen Maiabend trocknete seine Haut rasch. Er setzte sich auf das Bett, in dem David, Hannah und Benjamin gezeugt und geboren worden waren. Mit dem Rücken lehnte er sich an das hölzerne Kopfende, zog sich die helle Leinendecke über seinen Körper und wartete in freudiger Erregung auf seine Frau.

Am Bach bei Peters Heim

Peter ging zunächst zum Bach, mit einem kurzen Wiehern kam Lene auf ihn zugetrabt. Längst wäre es für das Kaltblut an der Zeit gewesen, im Stall zu sein. Nach all den Stunden allein sehnte sich die Stute nach der Wärme der anderen Tiere. Peter nahm den Zügel und zog Lene mit sich, ohne ihr braunes Fell zu streicheln, wie es sonst seine Gewohnheit war. Vom Stall ging er in das gedrungene Grubenhaus, rollte sich in eine Decke ein und drehte sich zur muffigen Holzwand.

Nun merkte Peter, wie die schwere Arbeit auf dem Acker ihm in den Knochen steckte. Und die Ohrfeige seines Vaters hatte sich wie ein Brandzeichen in seine Seele eingeprägt.

Er konnte nicht einschlafen. So viele Eindrücke waren heute auf ihn eingestürzt. Der Strom von Pilgern. Dieser seltsame Fremde in der roten Kutte, der gar seinen Namen kannte. Und dann dieser demütigende Schlag, das laute Klatschen der Hand seines Vaters in seinem Gesicht.

Mainz – in Jehudiths und Chaims Haus

Nach einiger Zeit vernahm Chaim Jehudiths leise Schritte, die die Treppe hinaufkamen. Als sie die Schlafkammer betrat, setzte er zu einer freundlichen Begrüßung an. Doch legte seine Frau einen Finger auf die Lippen und flüsterte ihm zu: »Die Kinder schlafen endlich alle.« Behutsam schloss sie die Tür und setzte sich zu Chaim aufs Bett. »Nun erzähl mir in allen Einzelheiten, was ihr im Rat besprochen habt?«

Chaim zögerte zunächst. Dann sagte er: »Ein Heer der Unbeschnittenen hat in Speyer für Unruhe gesorgt.«

»Christenkämpfer? Darüber gab es viel Gerede in der Gemeinde, einige denken sogar an Flucht. Das erschien mir jedoch alles sehr aufgebauscht«, bemerkte Jehudith. »Die wollen doch Jerusalem erobern. Warum Speyer? Geht es darum, Leute anzuheuern oder Geld zu erpressen?«

»Wahrscheinlich beides. Jedoch haben sie dort elf der Unseren ermordet.«

Jehudith sog scharf Luft ein. »Das ist ja furchtbar.« Sie schwieg einen Moment. »Also ist doch etwas dran an dem, was die Leute reden.«

»Die Mörder wurden jedoch, dem Ewigen sei Dank, von Bischof Johann bestraft.«

»Das ist gut. Das hat diese Irren hoffentlich gelehrt, unsereinem Respekt zu zollen.«

Chaim schnaubte. »Sie haben wohl einige der Unseren zu ihrer Taufe gezwungen. Aber als das Heer weiterzog, erlaubte der Bischof unseren Brüdern und Schwestern, zum Glauben an den Einen zurückzukehren.«

»Dann scheint es ja nicht ganz so schlimm zu sein.«

»Ich bin jedenfalls besorgt.«

»Speyer wird diesen Teufeln hoffentlich eine Lehre sein.« Jehudith betrachtete ihren Mann. Ihre Lippen kräuselten sich. »Hab keine Angst, der Eine wird uns beschützen. Erzähl mir lieber, was du mit Raimund übersetzt hast.«

Jehudiths Augen leuchteten vor Neugierde.

Chaim war dankbar, dass seine Frau das Thema wechselte. Er wollte sie nicht noch mehr belasten, und auch er sollte sich die Zukunft nicht allzu schwarz malen. Jehudith würde sicher recht behalten, schließlich schien die Sache in Speyer aufgrund des Eingreifens des Bischofs einigermaßen glimpflich ausgegangen zu sein.

So kam es ihm gelegen, dass er ihr nicht von dem Heer vor Worms erzählen musste. »Wir waren ja leider wegen der Sitzung des Rates gezwungen, unsere Arbeit abzubrechen. Aber ich könnte dir den Anfang des Psalms vortragen.«

»Sehr schön. Vorher mache ich mich kurz fein.«

Jehudith stand auf und begab sich zur Kommode mit der großen Schale. Sie schüttete das Wasser aus dem Fenster und füllte aus dem Tonkrug frisches nach. Dann zog sie ihr Kleid über den Kopf und stand, nur mit ihrem Leinenhemd bekleidet, den Rücken zu Chaim gewandt am Fenster. Silbern leuchtete ihre Haut im zarten Licht des Mondes und der Sterne.

Sie nahm den Schwamm, wusch sich langsam über ihr Gesicht und den Hals. Anschließend entledigte sie sich ihres Hemdes und rieb mit dem gelben Ballen über ihre kräftigen Schultern, sodass das Wasser ihr über den Rücken rann. Chaim beobachtete das Rinnsal, das ihre Wirbelsäule hinunterlief und zwischen den Pobacken zu versiegen schien. Er merkte, wie sein Geschlecht sich wohlig regte.

Jehudith rieb sich über die vollen Brüste und den Bauch. Danach stellte sie ihren linken Fuß auf den Hocker am Fenster, dafür musste sie sich etwas zur Seite drehen. Langsam ließ sie den Schwamm über ihren Schenkel gleiten. Natürlich wusste sie, dass Chaims Blick nun auf ihren Brüsten ruhen würde. Er lächelte. Sie stellte den anderen Fuß auf den Schemel, ließ das Wasser auch über ihr rechtes Bein rinnen, wischte nach und legte den Schwamm schließlich zurück in die Schale. Abschließend nahm sie ein frisches Leintuch aus der Kommode, wickelte es sich um und verknotete es über ihren Brüsten.

Sie kämmte sich durch ihr langes schwarzes Haar. Jedes Mal, wenn der Kamm hängen blieb, gab sie ein leises Stöhnen von sich. Köstlich, dachte Chaim. Er mochte es, wenn ihre Haare vom Kamm befreit zurückwippten. Schließlich nahm sie das Tuch von ihrem Körper und rieb sich Gesicht, Arme und Füße trocken.

 

Chaim war angenehm erregt. Aber er wusste, dass es ratsam war, seine Lust noch einige Zeit zu zügeln. Jehudith schlüpfte zu ihrem Mann unter die Decke und schaute ihn mit großen Augen an. »Nun, fang an.«

»Womit?«

»Mit eurer Übersetzung.«

»Ahh … Also gut. Raimund hat es aufgeschrieben, ich habe heute Nachmittag sogar noch ein paar weitere Zeilen übersetzt. Ich glaube, ich kann es auswendig hersagen.«

Chaim blickte tief in Jehudiths braune Augen und sprach:

»Lobe Ihn, meine Seele!

Gott, mein Gott, Du bist sehr groß,

Pracht und Glanz sind Deine Kleider,

Er trägt das Licht wie einen Mantel,

spannt den Himmel wie eine Plane,

baut auf dem Himmelsmeer Seine Burg.

Wolken macht Er zu Seiner Kutsche,

reist auf den Flügeln des Windes.

Winde macht Er zu Seinen Boten,

loderndes Feuer zu Seinem Diener.

Er baut die Erde auf festen Grund,

dass sie in Ewigkeit nicht schwankt.«

Jehudith hatte sich inzwischen an Chaim geschmiegt, und er legte seinen Arm zärtlich um seine Frau.

»Hast sie mit dem Meer bekleidet.

Über die Berge traten die Wasser.

Als Du drohtest, flohen sie,

Deine Donnerstimme schreckte sie auf.

Berge stiegen, Täler sanken,

dorthin, wo Du den Grund gelegt.

Grenzen hast Du für sie gezogen,

dass sie nicht kommen, die Erde zu fluten.

Du füllst Auen aus den Quellen,

sie fließen zwischen saftig grünen Berghängen dahin.

Die Tiere des Feldes trinken,

wilde Esel löschen ihren Durst.

Darüber wohnen die Vögel des Himmels,

singen zwischen den Zweigen.

Berge tränkst Du aus Deiner Burg,

füllst die Erde mit Deinen Früchten.«

»Herrlich! Der Ewige wird uns beschützen in allen Gefahren.« Ein seliges Lächeln lag über dem Gesicht seiner Frau. »Es ist so schön, diesen Psalm in unserer Alltagssprache zu hören. Bitte sag Raimund, wie sehr ich seine Arbeit schätze.«

»Das werde ich machen, meine Rose von Scharon«, antwortete Chaim.

Am Bach bei Peters Heim

Nach langer, langer Zeit übermannte Peter endlich die Erschöpfung und er fiel in einen unruhigen Schlaf. Tief in ihm arbeiteten all die Bilder weiter, während er sich schwitzend und gleichzeitig frierend von einer Seite zur anderen wälzte. In etwas, das weder ganz Traum noch ganz Wunschgemälde war, formten sich die Bilder zu etwas Neuem.

Vor den Mauern einer großen Stadt sah er sich einem massigen braunen Bären gegenüberstehen. Strahlend blau war der Himmel, und der Sand brannte unter seinen nackten Füßen. Langsam schlich das zottige Ungetüm um ihn herum, belauerte ihn aufmerksam. Ritter bildeten einen Kreis um sie, schlugen mit ihren Schwertern langsam im Takt auf ihre Schilde. Auch Peter hielt ein Schwert in seiner Hand, mit dem er den Bären auf Abstand halten konnte.

Eine junge Frau wurde zu ihm in den Ring gestoßen. Sie stolperte und fiel auf den heißen Boden. So lag sie da, hilflos, bemitleidenswert, gleichzeitig süß anzusehen mit ihrer braunen Haut und den langen schwarzen Locken.

Unruhig witternd riss der Bär seinen mächtigen Kopf in die Höhe und wendete sich der Schönen zu. Angstvoll sprang das Mädchen auf und versteckte sich hinter Peters Rücken. Das laute Brüllen des Ungetüms ging ihm bis ins Mark.

Die Schläge der Ritter wurden schneller. Der Bär kam langsam näher, dann richtete er sich zu seiner vollen Größe auf. Das metallische Hämmern der Schwerter war nun ein einziger dröhnender Trommelwirbel. Plötzlich ließ sich das Raubtier auf Peter fallen. Blitzschnell hob der das Schwert, sodass dessen Spitze sich dem Bären mitten in die Brust bohrte. Peter taumelte, konnte sich jedoch gerade noch auf den Füßen halten. Der pelzige Fleischkoloss fiel in den Sand. Röchelnd lag das Tier vor ihm und schleuderte seine Schnauze vor Schmerz hin und her.

Dunkelrotes Blut quoll aus der Wunde, versickerte augenblicklich im hellen Sand und färbte den Boden in einem schmutzigen Rot. Peter ließ den Bären nicht aus den Augen. Die junge Frau hatte ihre Arme um seinen Bauch gelegt, ihre weichen Brüste rieben sich wohlig an seinem Rücken.

Peter konnte den Schwertgriff fassen, riss die Klinge aus der Brust des Bären und setzte an zum Gnadenstoß. Während das scharfe Metall in den Hals des Tiers eindrang, verwandelte sich dessen Schnauze in einen Mund und eine Nase. Das Fell des Ungetüms wurde glatt und hell. Es war nun das verzerrte Gesicht seines Vaters, dessen Augen ihn anstarrten, gleichermaßen verwundert und entsetzt. Stöhnend wand er sich vor ihm, während Peter die Klinge langsam aus seinem Hals zog. Ein letztes Zucken ging durch den Körper seines Vaters, bis sich seine Augen schließlich starr gen Himmel richteten.

Schweißgebadet wachte Peter auf. Aber schon kurz darauf fand er endlich in den ersehnten Schlaf.

Mainz – in Jehudiths und Chaims Haus

Jehudiths Kopf lag entspannt an der Schulter ihres Mannes, der seinen Arm locker um sie geschlungen hatte. Eigentlich war es nun der rechte Moment, seine Frau zu küssen, aber sie wich seinem Blick aus. Ihr verschmitztes Grinsen sagte Chaim, dass da etwas war, das sie ihm mitteilen wollte.

Jehudith schloss die Augen. »Ich glaube, ich weiß, warum Salomo dich so merkwürdig angeschaut hat, als du ihn heute im Rat getroffen hast.«

»So?«

»Hannah hatte Bauchschmerzen.«

»Ah ja.« Chaim hatte nicht die geringste Ahnung, worauf seine Frau hinauswollte.

»Und uns ist der Kräutersud ausgegangen, den ich in solchen Fällen den Kindern gebe.«

»Hm.«

»Deshalb bin ich heute Morgen zu Salomo gegangen. Der hat mir ein Säckchen getrockneten Fenchel mitgegeben.«

»Und, haben die Kräuter geholfen?«, fragte Chaim, mehr, um in Jehudiths Spiel mitzuwirken, als aus wirklichem Interesse.

»Ja, Hannah ging es schon am Nachmittag viel besser.«

»Sehr schön. Aber war das der Grund für sein Grinsen?« Chaim war verwirrt, dieses Rumgestottere war ganz und gar nicht Jehudiths Art. Die Klarheit ihrer Worte war nicht nur bei den Kindern gefürchtet.

»Ähm … wohl nicht«, druckste Jehudith weiter herum.

»Was war dann der Grund?«, fragte Chaim mit Engelsgeduld.

»Ich habe mit Salomo über dies und das gesprochen.«

»Aha.«

»Nun ja, ich habe ihm erzählt, dass ich immer ziemlich genau nach dreiunddreißig Tagen meine Blutungen bekomme.«

Chaim konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. »Schon oft habe ich unserem Schöpfer dafür gedankt, dass der Zeitraum deiner reinen Tage länger ist als bei den meisten anderen Frauen. Und auch dafür, dass du das immer so genau einschätzen kannst. Wir sind wirklich gesegnet.«

Jehudith lächelte. »Meine letzte Monatsblutung war am sechsten Ijjar. Ich mache dann immer eine Kerbe in den Kalender in der Küche. Daher weiß ich das so genau.«

Natürlich war es Chaim nicht entgangen, dass seine Frau am Dienstag letzter Woche für das rituelle Reinigungsbad die Mikwe aufgesucht hatte. Seit dem Tag war ihnen nach der Niddah, wie die zwölf Tage der Schonung nach der ersten Blutung genannt wurden, wieder die Möglichkeit der Vereinigung gegeben. Aber abgesehen von dem Abstimmen der Zeiten der Reinheit und der Schonung redeten sie normalerweise nicht über diese Dinge, das war eigentlich Frauensache. So blickte Chaim Jehudith ratlos an und sagte mit gespielter Empörung: »Ich hoffe nur, dass unsere Kinder das mit dem Kalender nicht wissen. Oder willst du, dass die ganze Familie diese Dinge mitverfolgt?« Mit jeder Sekunde wuchs Chaims Lust. Als Jehudith schwieg, konnte er seine Ungeduld kaum noch beherrschen. »Nun spann mich nicht weiter auf die Folter, worauf willst du hinaus?«

Jehudith gab vor, von der Unruhe ihres Mannes keine Notiz zu nehmen. »Das bedeutet, dass ich am neunten Siwan wieder bluten werde«, dozierte sie, als würde sie einem Schüler das kleine Einmaleins beibringen.

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