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Väter und Söhne

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»Wir wollen später darüber reden. Kommt zum Tee.«

Wassili Iwanowitsch sprang leicht von der Bank auf und stimmte das Lied aus »Robert der Teufel« an:

Der Wein, der Wein, das Spiel, die Schönen,

Sie lieb, sie lieb, sie lieb ich nur allein.

»Welche Lebenskraft!« sagte Bazaroff, während er vom Fenster trat.

Es war um die Mittagszeit. Trotz des feinen Vorhangs weißlicher Wolken, die den Himmel bedeckten, war es erstickend heiß. Ringsum herrschte Stille, nur die Hähne im Dorfe krähten, und die langgezogenen Töne verursachten allen, die sie hörten, ein sonderbares Gefühl von Faulheit und Langerweile. Von Zeit zu Zeit erhob sich aus dem Gipfel eines Baumes wie ein Klageruf der durchdringende Schrei eines jungen Sperbers. Arkad und Bazaroff lagen im Schatten eines kleinen Heuschobers auf einem Haufen Gras, welches bei der geringsten Bewegung raschelte, obgleich es noch grün und duftig war.

»Diese Espe da«, sagte Bazaroff, »ruft mir meine Kindheit zurück; sie steht am Rand eines Grabens, der sich auf dem Platz einer ehemaligen Ziegelei gebildet hat. Ich war damals überzeugt, daß dieser Baum und dieser Graben die Kraft eines Talismans haben: ich langweilte mich nie in ihrer Nähe. Ich begriff damals noch nicht, daß ich mich nur darum nicht langweilte, weil ich ein Kind war. Jetzt, da ich groß geworden bin, hat der Talisman seine Kraft verloren.«

»Wie viele Jahre hast du im ganzen hier verbracht?« fragte Arkad.

»Zwei Jahre hintereinander; später kamen wir von Zeit zu Zeit hierher. Wir führten ein Nomadenleben und zogen fast immer von einer Stadt zur andern.«

»Ist das Haus schon lange gebaut?«

»Ja … Mein Großvater hat es gebaut, der Vater meiner Mutter.«

»Was war er, dein Großvater?«

»Der Teufel soll mich holen, wenn ichs weiß! Ich glaube Major zweiter Klasse. Er hat unter Suworow gedient und erzählte beständig von ihrem Übergang über die Alpen, wahrscheinlich schnitt er gehörig auf.«

»Deshalb hängt in eurem Wohnzimmer das Bildnis Suworows? Ich liebe solche alte warme Häuschen wie das eure sehr; sie haben auch einen ganz eigentümlichen Geruch.«

»Ja, nach Öl und Wäsche,« erwiderte Bazaroff. »Und die Menge Mücken in diesen niedlichen Wohnungen! Pah!«

»In deiner Kindheit«, fuhr Arkad nach kurzem Schweigen fort, »hat man dich nicht streng gehalten?«

»Du kennst meine Eltern, sie sind keine Menschenfresser.«

»Du liebst sie sehr, Eugen?«

»O ja, Arkad!«

»Sie hängen sehr an dir!«

Bazaroff antwortete nichts.

»Weißt du, an was ich denke?« sagte er endlich, indem er die Hand unter den Kopf schob.

»Nein, sprich!«

»Ich denke, daß das Leben für meine Eltern sehr süß ist! Mein Vater interessiert sich für alles, obgleich er seine sechzig Jahre hinter sich hat; er spricht von ›Polliativ‹ mitteln, behandelt Kranke, spielt den Großmütigen bei den Bauern und ist dabei seelenvergnügt. Meine Mutter kann sich auch nicht beklagen; ihr Tag ist von so vielerlei Geschäften, ›Ohs!‹ und ›Ahs!‹ ausgefüllt, daß sie gar keine Zeit hat, zu sich selber zu kommen; und ich …«

»Und du?«

»Und ich, ich sage mir: Da lieg ich neben diesem Schober … Der Platz, den ich einnehme, ist so unendlich klein im Vergleich zu dem übrigen Raum, wo ich nicht bin und wo man sich aus mir nichts macht, und die Zeit, die mir zu leben vergönnt sein wird, ist so kurz neben der Ewigkeit, in der ich nicht war und in der ich nie sein werde.. und doch in diesem Atom, in diesem mathematischen Punkt kreist das Blut, arbeitet das Gehirn und will auch etwas … Welcher Unsinn! Welche Albernheit!«

»Erlaub mir, dir eine Bemerkung zu machen: was du da sagst, paßt im ganzen für alle Menschen …«

»Das ist richtig,« erwiderte Bazaroff, »ich wollte sagen, daß diese braven Leute, ich meine nämlich meine Eltern, sich beschäftigen und nicht an ihr Nichts denken; es ekelt und stinkt sie nicht an, während ich nur Langeweile und Haß zu empfinden vermag.«

»Haß? warum das?«

»Warum? welche Frage! Hast du denn vergessen?«

»Ich erinnere mich an alles, aber ich glaube nicht, daß es dir ein Recht gibt, zu hassen … Du bist unglücklich, ich gebe es zu, aber …«

»Ei! ei! Arkad Nikolaitsch, ich sehe, du verstehst die Liebe, wie alle jungen Leute von heut; du lockst die Henne put, put, put! und sobald die Henne kommt, nimmt man Reißaus! Das ist die Art nicht, wie ich es mache. Doch lassen wir das. Wenn einer Sache nicht zu helfen ist, so ist es eine Schande, sich mit ihr abzugeben.« – Er legte sich auf die Seite und fuhr fort: »Ah, da ist eine Ameise, welche lustig eine halbtote Mücke schleift. Immerzu, Alte, immerzu! Mach dir nichts aus ihrem Sträuben. Du kannst in deiner Eigenschaft als Tier jedes Gefühl von Erbarmen verschmähen. Das ist nicht wie unsereiner, die wir uns freiwillig vernichtet und zerbrochen haben.«

»Du solltest nicht so sprechen, Eugen! wann hast du dich zerbrochen, wie du sagst?«

Bazaroff richtete den Kopf auf.

»Ich glaube das Recht zu haben, stolz darauf zu sein. Ich habe mich nicht selbst zerbrochen, und einem Weib wird das sicher nie gelingen. Amen! es ist aus! Du wirst kein einziges Wort mehr über diesen Gegenstand von mir hören.«

Die beiden Freunde lagen einige Augenblicke da, ohne zu sprechen.

»Ja,« nahm Bazaroff wieder das Wort, »der Mensch ist ein sonderbares Wesen. Wenn man so von der Seite und von weitem das dunkle Leben betrachtet, welches hier die ›Väter‹ führen, so scheint es, als ob alles vollkommen sei. Iß, trinke und lebe deiner Meinung nach so weise und regelmäßig als möglich. Es ist doch nichts; die Langeweile packt dich bald. Man empfindet das Verlangen, unter andere Menschen zu gehen, wärs auch nur, um mit ihnen zu streiten – gleichviel, man muß eben unter sie gehen.«

»Man müßte das Leben so einrichten, daß jeder Augenblick eine Bedeutung hätte,« sagte Arkad nachdenklich.

»Gewiß! es ist immer angenehm, etwas zu bedeuten, selbst wenn es mit Unrecht geschähe. Man würde sich zur Not sogar die unbedeutenden Dinge gefallen lassen … Aber die Kleinigkeiten, die Erbärmlichkeiten … das ist das Übel!«

»Es gibt keine Kleinigkeiten für den, der keine anerkennen will.«

»Hm! Du hast da einen umgekehrten Gemeinplatz ausgesprochen.«

»Wie? Was meinst du damit?«

»Die Versicherung zum Beispiel, daß die Zivilisation nützlich sei, ist ein Gemeinplatz, die Behauptung aber, daß die Zivilisation schädlich sei, ist ein umgekehrter Gemeinplatz. Das lautet ein wenig vornehmer, aber im Grund ist es absolut ein Ding.«

»Aber die Wahrheit, wo muß man sie denn suchen?«

»Wo? Ich antworte dir wie das Echo; wo?«

»Du bist heute zur Schwermut aufgelegt, Eugen!«

»Wahrhaftig? es scheint, die Sonne hat mir auf den Kopf gebrannt, und dann, wir haben zuviel Himbeeren gegessen.«

»Da wärs gut, einen Schlaf zu tun,« sagte Arkad.

»Sei's, nur schau mich nicht an … man sieht immer dumm aus, wenn man schläft.«

»Es ist dir also nicht gleichgültig, was man von dir denkt?«

»Ich weiß nicht recht, was man darauf antworten soll. Ein Mann, der dieses Namens wahrhaftig würdig ist, dürfte sich um das, was man von ihm denkt, nicht kümmern; der wahre Mann ist der, der andern nichts zu denken gibt, sondern sie zwingt, ihm zu gehorchen oder ihn zu verabscheuen.«

»Das ist sonderbar! ich verabscheue niemand,« sagte Arkad nach kurzem Besinnen.

»Und ich verabscheue viele Leute! Du hast eine milde Seele, ein wahres Pflaumenkompott, wie könntest du verabscheuen? … Du bist furchtsam, hast kein Selbstvertrauen …«

»Und du,« erwiderte Arkad, »du hast noch viel Selbstvertrauen? Du schätzst dich sehr hoch?«

Bazaroff antwortete ihm nicht sogleich.

»Wenn ich einmal einem Menschen begegne, der in meiner Gegenwart nicht die Ohren hängen läßt,« versetzte Bazaroff langsam, »dann werde ich meine Meinung über mich selber ändern. – Verabscheuen?« fuhr er fort … »aber halt einmal, du hast vor kurzem gesagt, als wir an der großen und saubern Isba eures Starosten Philipp vorübergingen: Rußland werde so lange nicht auf seiner Höhe angekommen sein, bis der letzte Bauer eine solche Wohnung habe, und jeder von uns müsse dazu beitragen … Nun wohlan, ich habe sofort diesen Bauer verabscheut, heiß er Philipp oder Jakob, für dessen Wohl ich schanzen soll, ohne daß er mirs im mindesten Dank wüßte. Und doch, was sollt ich mit seiner Dankbarkeit tun? Wenn er in seiner guten Isba wohnt, dann werde ich die Nesseln auf dem Kirchhof düngen. Und was dann?«

»Schweig, Eugen, wenn man dich heute hört, ist man fast versucht, denen recht zu geben, die uns vorwerfen, daß wir keine Grundsätze haben.«

»Du sprichst wie dein würdiger Onkel. Es gibt keine Grundsätze. Hast du das bisher noch nicht gewußt? Es gibt nur Sensationen. Alles hängt von Sensationen ab.«

»Wieso?«

»Jawohl. Nimm mich zum Beispiel: Wenn ich vom Geist der Verneinung und des Widerspruchs beherrscht bin, so hängt das von meinen Sensationen ab. Es ist mir angenehm, zu verneinen, mein Hirn ist so gebaut und damit Punktum! Warum habe ich Gefallen an der Chemie? Warum ißt du gerne Äpfel? Alles kraft der Sensationen. Da liegt die Wahrheit, und nie werden die Menschen tiefer dringen. Man gesteht sichs nicht gerne, und selbst ich werde dirs nicht mehr wiederholen.«

»Aber von diesem Standpunkte aus wäre die Tugend selber nichts als eine Sensation?«

»Ohne allen Zweifel!«

»Eugen!« erwiderte Arkad in betrübtem Ton.

»Ah! Wahrhaftig? Der Bissen ist nicht nach deinem Geschmack,« sagte Bazaroff. »Nein, mein Lieber, wenn man entschlossen ist, alles abzumähen, muß man seine eigenen Beine nicht schonen. Aber wir haben nun in dieser Weise genug philosophiert. Die Natur ladet uns zur Ruh des Schlummers ein, sagt Puschkin.«

»Er hat nie etwas Ähnliches gesagt,« erwiderte Arkad.

»Wenn ers nicht gesagt hat, hätte ers in seiner Eigenschaft als Dichter sagen können oder sollen. Apropos, er war doch Soldat?«

 

»Puschkin war nie Soldat.«

»Geh doch! auf jeder Seite ruft er aus: ›Zu den Waffen! zu den Waffen! für die Ehre Rußlands!‹«

»Woher nimmst du alle diese Erfindungen? ich nenne das verleumden.«

»Verleumden? wie hübsch! Glaubst du mich mit diesem Worte zu erschrecken? Welche Verleumdungen man immer über einen Menschen verbreitet, er verdient noch zwanzigmal mehr.«

»Suchen wir lieber zu schlafen,« sagte Arkad verletzt.

»Mit dem größten Vergnügen,« antwortete Bazaroff.

Aber sie konnten beide nicht einschlafen, ein Gefühl von Feindseligkeit hatte sich in ihr Herz geschlichen. Nach wenigen Minuten öffneten sie die Augen und blickten sich schweigend an.

»Sieh,« sagte plötzlich Arkad, »sieh dies verdorrte Blatt, welches sich eben von einer Platane löste und zur Erde fällt, es flattert in der Luft, ganz wie ein Schmetterling. Ist das nicht sonderbar? Das Traurigste und Toteste was es gibt, gleicht dem Heitersten und Lebendigsten!«

»Mein teurer Arkad Nikolajewitsch,« rief Bazaroff aus, »ich bitte dich um Gottes willen, sprich nicht poetisch.«

»Ich spreche, wie ichs verstehe … Aber wahrhaftig, das streift an Tyrannei. Wenn mir ein Gedanke kommt, warum soll ich ihn nicht ausdrücken?«

»Das ist richtig; aber warum soll ich nicht gleichfalls sagen, was ich denke? Ich finde es unanständig, poetisch zu sprechen.«

»Es ist deiner Meinung nach ohne Zweifel anständiger, Grobheiten zu sagen?«

»Heh! heh! ich seh, du bist entschlossen, in die Fußstapfen deines Onkels zu treten. Wie glücklich wär dieser Idiot, wenn er dich hören könnte!«

»Wie hast du Paul Petrowitsch genannt?«

»Wie er es verdient: einen Idioten.«

»Das wird unerträglich!« rief Arkad aus.

»Ah! der Familiensinn ist erwacht,« sagte Bazaroff ruhig. »Ich habe bemerkt, daß er bei allen Menschen tief eingewurzelt ist. Sie sind fähig, auf alles zu verzichten, alle Vorurteile abzulegen; aber anzuerkennen zum Beispiel: daß ein Bruder, der Taschentücher gestohlen hat, ein Dieb ist, das geht über ihre Kräfte. In der Tat, eine Person, die mir so nahe steht, ›mein‹ Bruder, könnte er nicht ein Genie sein?«

»Ich habe einzig dem Sinn für Gerechtigkeit und keineswegs dem für die Familie gehorcht,« antwortete Arkad lebhaft. »Aber da du für diesen Sinn kein Verständnis hast, da diese ›Sensation‹ dir fehlt, solltest du gar nicht davon sprechen.«

»Das kommt darauf hinaus: Arkad Kirsanoff ist mir zu hoch, als daß ich ihn verstehen könnte; ich beuge mich und verurteile mich zum Stillschweigen.«

»Hör doch auf, Eugen! ich bitte dich; wir bekommen schließlich noch Händel.«

»Ach, ich beschwöre dich, Arkad, wir wollen Händel anfangen, wir wollen uns tüchtig prügeln, bis zur Vertilgung der tierischen Wärme.«

»Das führt am Ende in Wirklichkeit zu …«

»Zu Faustschlägen?« fiel Bazaroff ein, »warum nicht? hier auf diesem Heuhaufen, in dieser ganzen idyllischen Umgebung, entfernt von der Welt und den Blicken der Menschen, es könnte gar nicht schöner sein. Aber du bist nicht imstande, dich mit mir zu messen. Ich werde dich bei der Kehle packen …«

Bazaroff streckte seine knochigen Finger aus … Arkad wandte sich lachend um und schickte sich zur Verteidigung an … Aber das Gesicht seines Freundes, das Grinsen, welches seine Lippen verzog, und das düstere Feuer, das in seinen Augen glühte, schien ihm eine solch ernste Drohung auszudrücken, daß ihn unwillkürlich ein Gefühl von Furcht überkam …

»Ah! find ich euch endlich!« rief in diesem Augenblick Wassili Iwanowitsch, welcher in einem Wams von zu Hause gewebter Leinwand und mit einem Strohhut aus derselben Fabrik auf dem Kopf vor den jungen Leuten erschien. »Ich habe euch gesucht und gesucht … Aber ihr habt einen prächtigen Platz gewählt und überlaßt euch einem süßen Zeitvertreib. ›Auf der Erde liegend den Himmel betrachten‹ … wißt ihr, daß diese Lage eine ganz eigentümliche Bedeutung hat?«

»Ich betrachte den Himmel nur, wenn ich niesen will,« sagte Bazaroff mürrisch, und zu Arkad tretend, fügte er leise hinzu: »Es tut mir leid, daß er uns verhindert hat.«

»Geh! es ist genug!« sagte Arkad und drückte ihm verstohlen die Hand.

»Ich schau euch an, meine jungen Freunde,« fuhr Wassili Iwanowitsch kopfschüttelnd fort, wobei er seine gefalteten Hände auf einen Stock stützte, den er selbst kunstvoll spiralförmig gewunden und oben mit einem Türkenkopf verziert hatte, »ich schau euch an und kann es nicht satt bekommen. Wieviel Kraft, Jugend, Fähigkeit, Talent steckt in euch … Kastor und Pollux!«

»Gut!« rief Bazaroff aus, »jetzt stürzt er sich in die Mythologie! Man sieht sofort, daß er seinerzeit im Latein stark war. Hast du nicht eine silberne Medaille für deine Schularbeiten erhalten?«

»Dioskuren! Dioskuren!« wiederholte Wassili Iwanowitsch.

»Geh, Vater! sei vernünftig, etwas weniger Zärtlichkeit.«

»Einmal von Zeit zu Zeit macht noch keine Gewohnheit,« stotterte der Greis. »Übrigens bin ich nicht gekommen, meine Herren, um euch Komplimente zu machen, sondern erstens, um euch anzukündigen, daß wir bald essen werden, und zweitens, um dich zu benachrichtigen, Eugen … Du bist ein Bursche von Geist, du kennst die Männer und die Frauen, wirst also verzeihen … deiner Mutter lag sehr daran, Dankgebete für deine Ankunft lesen zu lassen. Bilde dir nicht ein, daß ich dich auffordern will, denselben anzuwohnen, die Zeremonie ist schon vorüber. Aber der Pater Alexis …«

»Der Pope?«

»Ja! der Priester ist drinnen … und wird zum Essen bleiben … Ich hab es selber nicht vermutet und riet ihm sogar ab … aber ich weiß nicht, wie es kam.. er hat mich nicht verstanden … zudem, Arina Vlassiewna … immerhin aber ist er ein sehr gescheiter und in jeder Hinsicht angenehmer Mann.«

»Ich hoffe, er wird mir meine Portion bei Tische nicht wegessen?« fragte Bazaroff.

Wassili Iwanowitsch lachte.

»Nein! gewiß nicht!« erwiderte er.

»Mehr verlange ich nicht, meinethalben kannst du zu uns an den Tisch setzen, wen du willst.«

»Ich wußte ja wohl, daß du über alle Vorurteile erhaben bist. Es wär auch etwas stark. Hab doch ich, der ich bereits mein dreiundsechzigstes angetreten, gleichfalls keine. (Wassili Iwanowitsch wagte nicht zu gestehen, daß es ihm um die Gebete nicht minder zu tun war als seiner Frau, denn er war so religiös wie sie.) Aber der Pater Alexis wünschte sehr, deine Bekanntschaft zu machen. Ich bin überzeugt, daß er dir gefallen wird. Er macht sehr gern ein Spielchen und … doch das bleibt unter uns … raucht sogar seine Pfeife wie ein anderer.«

»Nun, wir werden nach Tisch eine Partie Jeralasch machen, und ich werd euch das Geld abnehmen.«

»He! he! he! Das wollen wir sehen.«

»Wie! willst du von gewissen Talenten Gebrauch machen?« fragte Bazaroff mit ganz besonderer Betonung.

Eine leichte Röte überzog die bronzefarbenen Wangen Wassili Iwanowitschs.

»Schämst du dich nicht, Eugen … was vorbei ist, ist vorbei. Nun ja, ich wills vor unserem jungen Freund bekennen, daß ich in meiner Jugend diese Leidenschaft hatte, aber ich habs teuer bezahlt! Wie heiß es heute ist! Erlaubt mir, neben euch Platz zu nehmen, wenn ich euch nicht störe?«

»Keineswegs!« antwortete Arkad.

Wassili Iwanowitsch setzte sich auf das Heu und hob mit weinerlicher Stimme an:

»Dies Lager da, meine teuern Herren, erinnert mich an mein Soldatenleben, an Biwak und Ambulanzen; das spielte auch so neben einem Schober, wenn noch einer da war!« – er tat einen Seufzer – »ach, ich hab gräßliche Szenen gesehen in meinem Leben! ich will euch, wenn ihrs erlaubt, eine Episode von der Pest erzählen, die uns in Bessarabien dezimiert hat.«

»Und die dir den St. Wladimirorden eingetragen hat,« sagte Bazaroff, »ich kenns! ich kenns! … Apropos, warum trägst du ihn nicht?«

»Ich sagte dir ja eben, daß ich keine Vorurteile habe,« antwortete Wassili Iwanowitsch verlegen (er hatte das rote Band erst tags zuvor aus dem Knopfloch trennen lassen). Und er fing an, die fragliche Episode zu erzählen.

»Sehen Sie den! er ist eingeschlafen,« flüsterte er plötzlich Arkad ins Ohr, indem er auf Bazaroff zeigte und vertraulich mit den Augen blinzte.

»Eugen, auf!« setzte er laut hinzu, »wir wollen zum Essen gehen!«

Pater Alexis, ein kräftiger, hochgewachsener Mann mit dichtem, sorgfältig gekämmtem Haar und breitem gesticktem Gürtel über dem lilaseidenen Rock, benahm sich mit viel Verstand und Takt. Er schüttelte den jungen Leuten zuerst die Hand, als ob er zum voraus gewußt hätte, daß ihnen keineswegs etwas daran gelegen sei, seinen Segen zu empfangen, und ohne seinem Stand etwas zu vergeben, verstand er es sehr gut, niemanden zu verletzen. Er scheute sich nicht, gelegentlich über das Latein, das man in den Seminarien lehrt, einige Scherze zu machen, und nahm sich gleich darauf wieder seines Erzbischofs an; nachdem er zwei Glas Wein getrunken hatte, schlug er das dritte aus; er nahm die Zigarre an, die ihm Arkad gab, rauchte sie aber nicht, sondern sagte, daß er sie mitnehmen wolle. Doch hatte er die weniger angenehme Gewohnheit, jeden Augenblick die Hand langsam und vorsichtig dem Gesicht zu nähern, um die Mücken zu fangen, die sich daraufgesetzt hatten, wobei es ihm manchmal widerfuhr, daß er sie zerquetschte. Er setzte sich an den Spieltisch, ohne besonderes Vergnügen dabei zu verraten, und gewann Bazaroff schließlich zwei Rubel fünfzig Kopeken Papier ab (von »Rubel Silber« hatte man in dem Hause der Arina Vlassiewna keine Vorstellung). Arina, die nie spielte, saß neben ihrem Sohn, das Kinn nach ihrer Gewohnheit auf die Hand gestützt, und stand nur auf, um weitere Erfrischungen zu bestellen. Sie fürchtete, zuviel Aufmerksamkeit für Bazaroff zu haben, und er ermunterte sie keineswegs dazu; überdies hatte ihr Wassili Iwanowitsch eingeschärft, ihn nicht zu quälen. »Die jungen Leute lieben das nicht,« sagte er ihr wiederholt. (Wir dürfen nicht vergessen, zu bemerken, daß für das Mittagessen nichts gespart war. Timofeitsch hatte sich mit Tagesanbruch in Person nach der Stadt begeben, um dort Fleisch erster Qualität zu kaufen; der Starost verfügte sich anderswohin, um Nalimes, Barsche und Krebse aufzutreiben; den Bauernweibern bezahlte man bis vierzig Kopeken für die Champignons.) Die Augen Arinas, beständig auf Bazaroff geheftet, drückten jedoch nicht bloß Hingebung und Zärtlichkeit aus; man las darin auch eine mit Neugier und Furcht und selbst mit einer Art stillen Vorwurfs gemischte Traurigkeit. Übrigens bekümmerte sich Bazaroff sehr wenig um das, was die Augen seiner Mutter ausdrücken mochten, er sprach fast nichts mit ihr und beschränkte sich darauf, ganz kurze Fragen an sie zu richten, doch bat er sie um ihre Hand, in der Hoffnung, daß ihm das Glück bringen werde. Arina Vlassiewna legte ihr zartes, weiches Händchen in die breite, rauhe Hand des Sohnes.

»Nun,« fragte sie ihn einen Augenblick darauf, »hilft es?«

»Es geht noch schlechter,« antwortete er mit sorglosem Lächeln.

»Der Herr spielt viel zu verwegen,« sagte Pater Alexis in bedauerndem Ton und streichelte seinen schönen Bart.

»So machte es Napoleon,« versetzte Wassili Iwanowitsch und spielte ein As aus.

»Und so muß Napoleon auf der Insel St. Helena gestorben sein,« erwiderte der Pater Alexis und stach das As mit einem Trumpf.

»Eniuchenka! willst du ein Glas Johannisbeerwein?« fragte Arina Vlassiewna ihren Sohn.

Bazaroff zuckte bloß die Achseln.

»Nein!« sagte Bazaroff am andern Morgen zu Arkad, »ich muß wieder fort von hier. Ich langweile mich hier, ich möchte arbeiten, und doch ist mirs unmöglich, etwas zu tun. Ich will zu euch zurückkehren, wo ich all mein Material gelassen habe. In eurem Hause kann man doch wenigstens allein sein, wenn man will. Aber hier wiederholt mir mein Vater beständig: Du kannst über mein Studierzimmer verfügen; da stört dich kein Mensch; und er selbst verläßt mich nicht mit einem Schritt. Auch würde ich mir doch einigermaßen ein Gewissen daraus machen, ihm meine Tür zu verschließen. Meine Mutter stört mich kaum weniger; ich höre sie beständig in ihrem Zimmer seufzen, und wenn ich zu ihr hineingehe, weiß ich ihr nichts zu sagen.«

»Deine Abreise wird sie sehr betrüben, und deinen Vater auch,« antwortete Arkad.

»Ich komme wieder.«

»Wann?«

»Auf der Rückreise nach Petersburg.«

»Deine Mutter besonders dauert mich.«

»Warum das? Etwa weil sie dir so gute Früchte zu essen gegeben hat?«

Arkad schlug die Augen nieder.

»Du kennst deine Mutter nicht,« sagte er zu Bazaroff, »sie hat nicht nur ein vortreffliches Herz, sie ist auch sehr gescheit. Wir haben diesen Morgen mehr als eine halbe Stunde zusammen geplaudert, und ihre Unterhaltung ist höchst verständig und interessant.«

 

»Ohne Zweifel war ich der Gegenstand derselben?«

»Wir haben auch von anderen Dingen gesprochen.«

»Es ist möglich, daß du recht hast, man sieht so etwas als Zuschauer oft besser; wie beim Billard. Wenn eine Frau imstande ist, eine halbe Stunde die Kosten der Unterhaltung zu tragen, so ist das schon ein gutes Zeichen. All das kann mich aber nicht abhalten, abzureisen.«

»Ich weiß nicht, wie du's angreifen willst, ihnen diese Nachricht beizubringen? Sie scheinen zu glauben, daß wir wenigstens noch vierzehn Tage hierbleiben.«

»Das kommt mir sehr ungelegen. Zudem hatte ich heute den dummen Einfall, meinen Vater zu necken, weil er neulich einen Bauern hat peitschen lassen, und zwar mit Recht. Ja ja, mit Recht, sieh mich nicht mit so großen Augen an; er hat sehr wohl daran getan, ihn zu strafen, weils ein unverbesserlicher Dieb und Trunkenbold ist; nur glaubte mein Vater nicht, daß ich in dieser Sache so gut unterrichtet sei, wie man zu sagen pflegt. Er ist darüber ganz betroffen gewesen; und gerade jetzt muß ich ihm den Kummer verursachen … Doch was liegt daran! Das heilt bis zur Hochzeit.«

Obgleich Bazaroff diese letzteren Worte in ziemlich entschiedenem Tone gesprochen hatte, konnte er sich doch nicht entschließen, die Abreise seinem Vater früher anzukündigen, als im Augenblick, wo er ihm in seinem Studierzimmer gute Nacht wünschte. Mit gezwungenem Gähnen sagte er:

»Noch eins … Fast hätte ich vergessen, dirs mitzuteilen … Man wird morgen unsere Pferde zu Fedote vorausschicken müssen.«

Wassili Iwanowitsch blieb wie betäubt.

»Will uns Herr Kirsanoff verlassen?« fragte er endlich.

»Ja, und ich reise mit ihm.«

Wassili Iwanowitsch fuhr betroffen zurück.

»Du willst uns verlassen?«

»Ja … ich habe zu arbeiten. Habe die Güte, die Pferde vorauszuschicken.«

»'s ist gut,« stammelte der Greis, »zum Relais … ganz gut, recht … nur … nur … ists möglich?«

»Ich muß auf einige Tage zu Kirsanoff. Ich komme dann wieder.«

»So? auf einige Tage … es ist gut.«

Wassili Iwanowitsch nahm sein Taschentuch und schneuzte sich, indem er sich fast bis auf den Boden bückte.

»Gut! nun ja … es soll besorgt werden. Aber ich dachte, daß du … länger … drei Tage … nach drei Jahren Abwesenheit, das ist nicht … das ist nicht viel, Eugen!«

»Ich sagte dir ja eben, daß ich bald wiederkomme, es ist unumgänglich notwendig …«

»Unumgänglich … Nun ja! Seine Pflicht muß man vor allem erfüllen … Du willst, daß ich die Pferde vorausschicke? Es ist gut, aber wir waren nicht darauf gefaßt, Arina und ich! sie hat jetzt eben bei einer Nachbarin Blumen geholt, um dein Zimmer damit zu schmücken.«

Wassili Iwanowitsch sagte nicht, daß er jeden Morgen mit Tagesanbruch barfuß und in Pantoffeln Timofeitsch aufsuchte und ihm eine ganz zerrissene Banknote einhändigte, die er mit zitternden Händen aus dem untersten Säckel hervorholte; diese Banknote war zum Einkauf verschiedener Vorräte bestimmt, hauptsächlich von Eßwaren und rotem Wein, dem die jungen Leute stark zusprachen.

»Es gibt nichts Köstlicheres als die Freiheit; das ist mein Grundsatz … man muß den Leuten keinen Zwang antun … man muß …«

Wassili Iwanowitsch verstummte plötzlich und ging nach der Türe.

»Wir sehen uns bald wieder, Vater, ich verspreche dirs.«

Aber Wassili Iwanowitsch wandte sich nicht um, er verließ das Zimmer mit einer Handbewegung. Beim Eintritt ins Schlafzimmer fand er seine Frau schon eingeschlafen; er betete leise, um sie nicht zu stören, dennoch wachte sie auf.

»Bist du's, Wassili Iwanowitsch?« fragte sie.

»Ja, Mutter!«

»Du kommst gerade von Eniucha? Ich fürchte, daß er auf seinem Sofa nicht gut liegt. Ich habe übrigens Anfisuschka gesagt, daß sie ihm deine Feldmatratze und die neuen Kissen gibt; ich hätt ihm gern unser Federbett abgetreten, aber ich glaube mich zu erinnern, daß er nicht gern weich liegt.«

»Das tut nichts, Mutter, beruhige dich. Er hat über nichts zu klagen. ›Herr, vergib uns unsere Sünden!‹« fuhr er in seinem Gebet fort. Mehr sagte Wassili Iwanowitsch nicht; er wollte seiner armen Frau die Nachricht nicht mitteilen, welche ihre Ruhe gestört hätte.

Am anderen Morgen reisten die beiden jungen Leute ab. Alles im Hause hatte von früh an ein trauriges Ansehen gewonnen; Anfisuschka ließ die Platten fallen, die sie trug; Fedka sogar kam aus der Fassung und fuhr schließlich aus seinen Stiefeln. Wassili Iwanowitsch machte sich noch mehr zu schaffen als sonst; er zwang sich, seinen Kummer zu verbergen, sprach sehr laut und trat mit Geräusch auf; aber sein Gesicht war eingefallen, und seine Augen suchten dem Sohn immer auszuweichen. Arina Vlassiewna weinte still; sie hätte den Kopf ganz verloren, wenn ihr der Mann nicht in aller Frühe eine lange Vorlesung gehalten hätte. Als Bazaroff sich endlich mit der wiederholten Versicherung, daß er vor Ablauf eines Monats wiederkommen werde, den Armen, die ihn zurückhielten, entwunden hatte und in dem Tarantaß saß, als die Pferde anzogen und der Ton der Glocke sich mit dem Rollen der Räder mischte, als es vergeblich war, dem Wagen länger nachzublicken, als der Staub sich gänzlich gelegt hatte und Timofeitsch wankend und ganz gebrochen sein Lager wieder suchte, als endlich die beiden Alten sich wieder allein in ihrem Hause befanden, das ihnen noch enger und älter vorkam … warf sich Wassili Iwanowitsch, der wenige Minuten zuvor von der Treppe herab so stolz mit dem Tuch gewinkt hatte, in einen Sessel und ließ das Haupt auf die Brust sinken. »Er hat uns verlassen!« sagte er mit zitternder Stimme. »Verlassen! er langweilte sich bei uns. Da bin ich nun wieder allein, allein!« sagte er wiederholt und streckte jedesmal den Zeigefinger der rechten Hand aus. Arina Vlassiewna trat zu ihm, legte ihr weißes Haupt auf das weiße Haupt des Greises und sagte: »Was ist da zu machen, Wassili! Ein Sohn ist wie ein Lappen, der sich losreißt; er gleicht dem jungen Falken; es beliebt ihm zu kommen, und er kommt; es beliebt ihm zu gehen, und er fliegt davon; wir zwei aber, du und ich, wir sind wie zwei kleine Schwämme in einem hohlen Baume; eins neben dem andern, bleiben wir da für alle Zeit. Ich allein, ich werde nicht von dir lassen, wie du von deiner alten Frau nicht lassen wirst!«

Wassili Iwanowitsch erhob das Gesicht, welches er mit beiden Händen bedeckt hatte, und drückte seine Frau, seine Lebensgefährtin, inniger an sich, als ers je, selbst in seiner Jugend, getan; sie hatte ihm Trost gegeben in seinem Leid.

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