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Das blaue Mal

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Vollendete Lebenskultur, wie man sie kaum irgendwo in Mitteleuropa findet. Weiche Perserteppiche, die jeden Laut verschlucken, Kellner, die wie Aristokraten auf einem Ball aussehen, köstliches Porzellan, schweres Silber, Kristallgläser, üppige, blutrote Rosen auf jedem Tisch, gedämpfte, diskrete Musik eines kleinen, unsichtbaren Streichquartetts. Die Speisekarte, die ihm der Kellner des Tisches reichte, den Carlo aussuchte, auf Büttenpapier gedruckt, die Speisenfolge fast unübersehbar.

Ungeachtet aller Vorsätze, mit seinen paar tausend mitgebrachten Dollars zu sparen, bestellte Carlo ein üppiges Souper und dehnte sich dann behaglich in seinem Fauteuil. In einem Lande, das solche Restaurants hatte, mußte man wohl leben können! In einem Land, das solchen Reichtum mit so natürlicher Anmut entfaltete, mußte es möglich sein, Reichtum leicht zu erwerben!

Plötzlich fühlte sich Carlo vom Nebentisch her beobachtet und fixiert. Eine ältere Dame saß dort mit einer jungen schönen Person und einem Herrn im Smoking. Die Junge sah abweisend und kalt vor sich hin, der Herr schien erregt, die alte Dame beschwichtigte. Sicher hielt man sich über ihn auf, sicher hatten auch diese da das schwarze Blut gewittert, vielleicht gar das blaue Mal gesehen. Und Carlo, der seines tollkühnen Mutes wegen immer bewundert und verehrt worden war, duckte sich feige zusammen, versteckte die Hände unter der Serviette.

Da stand schon der Kellner mit höflicher Verbeugung neben ihm und überreichte ihm auf einem Teller aus köstlichem Sevresporzellan ein offenes Couvert. Und in dem Couvert steckte eine Karte und auf ihr stand in feinster Lithographie:

»Verehrter Herr! Zu unserem Bedauern sind wir gemäß den Vorschriften unseres Etablissements nicht in der Lage, Ihnen zu servieren!«

Carlo schlug keinen Lärm, tobte und schrie nicht, sondern hatte nur einen Gedanken: Fort von hier aus dem Bereich der Blicke, denn wenn er ein höhnisches Lächeln auffangen würde, dann wäre es um seine Selbstbeherrschung geschehen, dann würde er sich in ein wildes Tier verwandeln und dem Erstbesten an die weiße Kehle springen!

Wohin nun? In ein anderes Restaurant zu gehen, wagte er nicht. Denn vielleicht, wahrscheinlich sogar würde man ihn auch aus zweit- und drittklassigen Lokalen weisen und ihm raten, sich in ein Niggerlokal zu begeben.

Planlos, mit pochenden und hämmernden Pulsen raste er stadtabwärts, mitten im langsam sterbenden Gewühl des Broadway entlang. Nach einer Stunde des Hin- und Herrennens fühlte er sich grenzenlos müde, erschöpft, verstaubt und verschwitzt. Und unwillkürlich zog er den Atem ein, drückte die feuchte Hand an die Nase.

»So, jetzt werden es mir die Hunde nicht nur ansehen, sondern auch anriechen, daß ich ein Farbiger bin.« Und er sah Hella Bühler vor sich, die schöne Hella, die mit sinnlichem Behagen flüsterte: »Sie riechen ganz anders als unsere Herren – nach Zimt, Muskatnuß und Essig –« Carlo war jetzt in einer von seltsamem Trubel erfüllten Gegend. In jedem Haus Biersalons und Schnapsschenken, Varietés niedrigster Art. Grelle Musik aus den Lokalen, Trunkene auf der Straße, unter ihnen mindestens ebensoviele Neger wie Weiße. Und hier und da ein gräßlich geschminktes Weib. Er las beim Licht einer Laterne die Straßentafel Bowery. Und aus den Reisebüchern wußte er, daß er sich im Quartier des New Yorker Lasters schäbigster Art befand. Da tauchte vor ihm ein in schreiendes, blauweißes Licht gehülltes Restaurant auf. Riesige Reklametafeln: Ein Souper mit der besten New Yorker Musik nur 50 Cents! Komm herein, komm herein, komm herein! Fünf Gänge für 50 Cents und dazu die neuesten Operettenschlager! Vor dem offenen Portal aber stand ein Kerl mit einem Megaphon, der die Vorübergehenden brüllend aufforderte, dieses feinste und unübertrefflichste aller New Yorker Restaurants zu besuchen. Carlo stand eben im grellen Licht der Türe, und der Rufende lud ihn mit einer Handbewegung ein.

»Come in coloured Gentleman (farbiger Herr), und genießen Sie unsere köstlichen Speisen und Getränke.«

Wie von einem Peitschenhieb getroffen, zuckte Carlo zusammen. Also auch für diesen Auswurf war er auf den ersten Blick nichts als ein Farbiger, ein Negerstämmling, gleichgültig welcher Erziehung und Bildung! Und es dämmerte ihm, daß er vor Unabänderlichem stand, vor einem Schicksal, gegen das sich nicht ankämpfen ließ. – –

Und doch wollte er essen, die müden Glieder ausruhen. Langsam, zögernd betrat er das riesige Lokal mit seinen mehr als hundert gedeckten Tischen, den surrenden Windfächern, der abscheulichen Blechmusik, den schmatzenden und schlürfenden Gästen, meistens Männer, die den Hut aufbehalten hatten.

Alle Tische waren besetzt, an einem saß ein Herr allein, und dorthin richtete er seine Schritte. Aber schon hatte ihn ein Herr in fettglänzendem Smoking beim Arm gefaßt, und der Manager oder gar Besitzer des Lokales wies nach einem anderen Tisch, an dem schon zwei Neger saßen.

»Hier ist noch ein schöner Platz für Sie frei, mein Herr!«

Carlo stieß den verdutzten Mann heftig von sich, machte kehrt und raste aus dem Saal wieder auf die Straße hinaus.

Wütender Ekel und Haß gegen diese Menschen, zu denen er gestoßen werden sollte, ließ ihn die Fäuste ballen. Und als eben ein dickes Negerweib mit einem unerhört komischen grünen Federhut sich dicht an ihn drängte und ihn mit einem »Komm mit mir, Kleiner« angirrte, da spuckte er aus, schleuderte ihr ein Schimpfwort ins Gesicht und lief weiter.

* * *

Zurück ins Hotel St. Helena. Er erinnerte sich, dort im Hausflur eine Tafel mit der Inschrift: »Eingang ins Restaurant« gesehen zu haben. Nun, dort würde man ihm wohl keinen Schimpf antun. Aber er kannte sich nicht aus, wußte nicht, welche der einander kreuzenden Straßenbahnen er benützen sollte, fühlte, wie ihn die Kräfte verließen und warf sich schließlich in ein Mietautomobil, obwohl er wußte, daß er wieder einen, in Kronen ausgedrückt, phantastisch hohen Betrag würde zahlen müssen.

Nun, anmutend sah das Restaurant des Hotels St. Helena eben nicht aus. Hinter einer großen Bar, von der das Bier auf den Fußboden tropfte, stand ein in Hemdärmeln gekleideter Bursch und mischte allerlei Getränke, vor der Bar standen fünf, sechs Gäste und würfelten ihren Whisky aus, im Vordergrund befanden sich etliche ungedeckte Tische, an deren einen Carlo Platz nahm. Ein kauender Kellner mit einer Schürze, die vor Wochen weiß gewesen sein mochte, erschien und fragte in einem Gemisch von Italienisch und Englisch nach seinen Wünschen. Nein, fertige Speisen waren nicht vorhanden, aber ein Steak mit Kartoffeln würde in wenigen Minuten bereit sein. Carlo nickte, stürzte sich auf das weiße Brot und die Butterschüssel, spülte auf einen Schluck ein Glas eiskalten Bieres hinunter und kam wieder zu einigem Menschenbewußtsein.

Am Nebentisch saß ein älterer, wohlbeleibter Herr. Aus dem fast rosigen Gesicht strahlten kleine blaue Äuglein, die um so komischer wirkten, als die dünnen Augenbrauen weiß oder weißblond wie das Haupthaar waren. Carlo fing einen freundlichen Blick auf und lächelte unwillkürlich, unangenehm berührt. Dann vertiefte er sich in das mächtige Steak und es dünkte ihm, seit Jahren schon keine köstlichere Mahlzeit genossen zu haben. Als er fertig war und befriedigt um sich blickte, stand der gemütliche Weißblonde auf und setzte sich, ohne um Erlaubnis zu fragen, zu ihm.

»Fremd hier, junger Mann?« Und als ihn Carlo nickend, aber fragend ansah:

»Erkenne ich am europäischen Schnitt Ihres Anzuges. Amerikaner haben wattierte Schultern, Ihnen paßt aber der Sakko wie angegossen. Ja, wer so viel in der Welt umhergekommen, wie ich, der kennt sich aus. Übrigens, ganz Europäer sind Sie nicht, was? Scheint mir, daß da eine fremde Rasse in gutes deutsches Blut hineingespielt hat.«

Carlo konnte die Worte, die von einem breiten behaglichen Lachen begleitet waren, nicht übelnehmen, und so bejahte er.

»Mein Vater war ein Deutscher, meine Mutter ein Mischling!«

»Hm,« meinte der Dicke bedächtig, »daraus entstehen hierzulande nicht immer ganz angenehme Situationen.« Musternd glitt sein Blick über Carlo, blieb an dem tadellosen Schuhzeug, der schweren seidenen Krawatte, der goldenen Armbanduhr haften. Dann sagte er:

»Nehmen Sie mir meine Neugierde nicht übel, Herr. Aber es wäre interessant zu wissen, wie Sie in diese Spelunke geraten sind. Gentleman wie Sie pflegen sonst nicht im St. Helena abzusteigen. Viel lichtscheues Gesindel hier, Menschen, die aus dem Hafen von Marseille mit knapper Not der Justiz entronnen sind und sich hier solange versteckt halten, bis man sie doch erwischt oder es sich herausstellt, daß gar kein Steckbrief erlassen wurde. Dann tauchen sie im großen New York unter, amerikanisieren sich oder gondeln mit erster Gelegenheit wieder zurück.«

Wut, Schmerz, Trotz zerschmolzen in Carlo, er fühlte ein geradezu zwingendes Bedürfnis, sich mitzuteilen, und so erzählte er denn dem wohlmeinenden Herrn, der sich indessen als Däne namens Andersen vorgestellt und zwei Cocktails bestellt hatte, mit fliegenden, aufgeregten Worten, was er heute ahnungslos nach achttägiger Seekrankheit erlebt. Und brach schließlich fast schluchzend in die Worte aus:

»Was soll ich nun tun? Glauben Sie, daß auch gebildete, vornehme Menschen mich hier wie einen Aussätzigen behandeln werden? Wie kann ich hier mein Leben aufbauen, wie wieder zum Menschenbewußtsein kommen?«

Der Däne saugte nachdenklich an seiner Zigarre, ließ neue Cocktails aufmarschieren und meinte dann bekümmert:

»Harte Nuß, die Sie mir da aufgeben! Wären Sie ein Nigger oder ein Mulatte oder sonst ein Negerstämmling gewöhnlicher Art, wie sie im Lande zu Hunderttausenden herumlaufen, so würde es Ihnen an nichts fehlen. Sprechen Englisch, wie ein Professor von Yale, Französisch, wie Sie sagen, ebensogut, und Deutsch, könnten also morgen schon einen guten Job in einem Hotel als Aufseher über die schwarzen Kellner bekommen oder Clerk bei einem Niggerrechtsanwalt oder sonst etwas werden. Aber nun wollen Sie von den Negern nichts wissen und die Weißen nichts von Ihnen, also ist die Sache verteufelt schwierig. Und die Yankees werden Sie immer wieder von sich stoßen, mehr noch als wenn Sie ein Schwarzer wären! Dem Schwarzen verzeihen sie noch die Hautfarbe, dem Mulatten, dem ›Halfcaste‹, schon weniger, und den, der sich noch weiter von seiner Rasse entfernt, hassen sie, weil sie instinktiv in ihm einen Eindringling vermuten, der ihre Schranken durchbrechen will. Gebildete, vornehme Amerikaner? Hm, die werden Sie sicher nicht beschimpfen, aber sie werden auch nichts mit Ihnen zu tun haben wollen! Sehen Sie, ich bin Inspektor bei einer Lebensversicherungsgesellschaft, verkehre deshalb in solchen Lokalen. Nun, ich könnte Sie morgen zu unserem Superintendenten führen und ihm sagen: Hier ist ein Mann, wie wir ihn brauchen, ein Mann, der die Yankees und die Fremden bearbeiten kann. Was würde aber unser Superintendent sagen? Er würde Sie ansehen, mich beiseite nehmen und mir zuflüstern: Unmöglich, kann nicht riskieren, daß ihm jemand die Türe weist und sich bei der Generaldirektion beschwert. Wenn er die Farbigen bearbeiten will, so nehme ich ihn, sonst geht es nicht.«

 

Niedergeschmettert, kaum eines klaren Gedanken fähig, murmelte Carlo verstört vor sich hin:

»Oh, hätte ich nur niemals dieses Land betreten, wäre ich drüben unter meinen Freunden geblieben!«

Der Däne beugte sich vor, streichelte die Hand mit den blauen Malen.

»Also, das bleibt Ihnen ja noch immer übrig! Oder langt es nicht mehr für die Rückreise?«

»O ja, dafür und noch darüber hinaus! Ein paar tausend Dollars besitze ich ja, und wenn mir auch der morgige Tag neue Enttäuschungen bringt, nun, dann werde ich wirklich mit dem nächsten Dampfer die Heimfahrt antreten. Angenehm ist der Gedanke ja nicht; auch in Wien oder Berlin oder wohin ich sonst gehen sollte, werde ich mich mit dem Leben ordentlich raufen müssen. Aber davor ist mir nicht bange, die Hauptsache ist: Ich bin dann wieder ein Mensch, ein voller, ganzer Mensch, den niemand über die Achsel anzusehen wagt!«

Die Aufregungen des Tages, das Bier, die fünf oder sechs scharfen Schnäpse begannen Carlo mit bleierner Müdigkeit zu erfüllen, er konnte kaum noch die Augen offen halten, zahlte, streckte dem Dänen die Hand entgegen und erklärte, sich auf sein Zimmer begeben zu wollen. Auch der freundliche Herr erhob sich:

»Wenn Sie gestatten, so begleite ich Sie und erzähle Ihnen, während Sie zu Bett gehen, noch einiges, was Ihnen vielleicht dienlich sein kann. Es ist noch früh am Tage und meine Gesellschaft in der oberen Stadt habe ich unserer angeregten Unterhaltung halber nun doch mal versäumt.«

Carlo hätte es vorgezogen, jetzt allein zu bleiben, aber das freundliche Anerbieten ließ sich nicht ausschlagen, und so begab er sich mit Herrn Andersen auf sein Zimmer und kleidete sich langsam aus, während der Besucher ruhelos auf und ab schreitend aus seinem eigenen bewegten Leben erzählte, von den hundert Berufen, die er ergriffen, bevor er es nun so weit gebracht, daß er in sicherer, auskömmlicher Stellung ruhig seine Tage verbringen konnte. So leise und monoton aber sprach der Däne jetzt, daß seine Worte wie ein Gemurmel klangen und einschläfernd wirkten. Carlo hörte ihn kaum noch, schloß die Augen, empfand die Erzählungen des Dänen wie ein fernes Geplätscher und dann nur mehr an der Schwelle des tiefen Schlafes, wie sein Gast das Licht ausdrehte, das Zimmer verließ und die Türe hinter sich schloß.

Der endlose Lärm der Straße, die warme, feuchte Luft, Ungeziefer ließen Carlo immer wieder aus bleiernem Schlaf erwachen. Und wüste Träume machten ihn stöhnen, so daß er schweißgebadet dalag. Einmal sah er sich im Traum, wie er, einen Strick um den Hals, einherlief, von einer wütenden Menschenmenge verfolgt, die hinter ihm brüllte: Hängt den Neger auf, er will sich an einem weißen Mädchen vergreifen! Dann wieder krochen tausend riesengroße schwarze Käfer über ihn hinweg, tanzten einen wilden Tanz um ihn her, streichelte ihn der schwarze Portier im Lido Palace Hotel, verhöhnten ihn seine Wiener Freunde, rief Hella Bühler: Pfui, ich ertrage den Gestank des Negers nicht!

Wie zerschlagen erwachte Carlo frühmorgens durch ein Pochen an der Türe. Auf sein erschrecktes »Herein« öffnete ein Junge und überreichte ihm einen Brief mit der Bemerkung:

»Ein Herr hat gestern nacht den Brief abgegeben und gesagt, er möge heute übergeben werden!«

Carlo sprang aus dem Bett, riß den Umschlag auf und las:

»Lieber junger Mann! Sie müssen hierzulande vorsichtiger sein! Es tut mir von Herzen leid, weil Sie mir sehr sympathisch sind, aber es ging nicht anders, ich konnte die gute Gelegenheit, zu einem Vermögen zu kommen, das mich vielleicht für immer aus dem Elend reißen wird, nicht vorübergehen lassen. Sie sind jung und stark und werden sich schon durchbringen, ich bin ein alter Knabe, für den Ihr Geld den Haupttreffer bedeutet! Mit besten Wünschen Ihr angeblicher Andersen!«

Mit einem unterdrückten Aufschrei stürzte Carlo an den Tisch, auf den er gestern abend beim Auskleiden in Gegenwart des Dänen die Uhr und die Brieftasche gelegt hatte. Die Uhr lag da, neben ihr ein Häuflein Kleingeld, die Brieftasche war verschwunden. Der freundliche, teilnahmsvolle Däne hatte sie mitgenommen, und Carlo stand mit dreiunddreißig Cents allein in fremder gehässiger Welt da!

Eine Minute lang tobte Carlo mit geballten Fäusten gegen sein Schicksal, dann fiel sein Blick auf die goldene Uhr, der ganze Leichtsinn seines Wesens brach durch, er lachte auf und sagte sich:

»Mögen meine dreitausend Dollars dem Spitzbuben irgendwie das Genick brechen! Jetzt heißt es biegen oder brechen! Lisls Onkel wird mir schon irgendwie aus der Patsche helfen, und erwerbe ich erst mein Brot, so komme ich schon wieder in die Höhe.« Und die pessimistischen Mitteilungen des Dänen erschienen ihm als das Geflunker eines Halunken, der ihn vertrauensvoll hatte machen wollen.

Im Hotelbureau, im Restaurant, erkundigte er sich vergeblich nach dem Dänen. Niemand kannte ihn, niemand wollte ihn schon gesehen haben, und Carlo, das Aussichtslose und Lächerliche seiner Lage erkennend, verzichtete auf eine polizeiliche Anzeige, die doch nie zu einem Erfolg führen würde.

Die dreiunddreißig Cents genügten für einen Tee, das Zimmer für den nächsten Tag konnte er auch später zahlen, und so schlenderte Carlo denn stadtaufwärts, sich sorgfältig umsehend, bis er zu einem Pfandleihgeschäft kam, dessen Besitzer Moe Löwenstein ankündigte, daß er die besten Preise von ganz Nordamerika zahle. Aber schließlich waren es doch nur fünfzehn Dollar, die ihm der Taxator für die Uhr bot, wobei er allerdings hinzufügte, er wäre bereit, die Uhr für zwanzig zu kaufen. Und Carlo überlegte nicht lange, sonders ließ ihm die Uhr und nahm die zwanzig Dollar.

* * *

Das Haus des Mister Ortner, dem Onkel Lisbeths, lag in der West 75. Straße. Carlo orientierte sich nach dem Taschenplan und sauste gleich darauf mit der Untergrundbahn stadtaufwärts. Vor seinem Duell mit Thomas Bühler und damals in Venedig auf der Gondelfahrt von Piazetta nach dem Lido hatte Carlo genugsam jedes Klopfen des Herzens kennen gelernt, das Furcht, fieberhafte Erwartung, stürmische Erregung hervorrufen könnte. Aber was war das alles gegen die Gefühle gewesen, die sein Herz wie mit Hämmern schlagen ließ, als er nun vor dem schönen vornehmen Braunsteinhaus stand, das seine Liebe, sein Schicksal, vielleicht sein Leben barg! Ein paarmal wischte er sich den Schweiß aus der Stirne, atmete tief auf, bevor er sich endlich entschloß, den rechten Zeigefinger auf den weißen Elfenbeinknopf des Läutewerkes zu drücken. Und wie er dies tat, leuchtete ihm der blaue Halbmond auf dem Fingernagel entgegen, blauer noch als sonst, eindringlicher, wie eine Warnung.

Schon öffnete ein nettes Mädchen mit weißem Häubchen die Türe und fragte nach seinem Begehr.

»Ist Miß Elsbeth Ortner zu Hause?«

Es surrte in seinen Ohren, wie im Traum vernahm er die Antwort:

»Jawohl, wen darf ich melden?«

Er stand nun in der dunklen, mit gediegener Vornehmheit ausgestatteten Diele des Einfamilienhauses und griff nach der Brusttasche: Richtig, die Brusttasche war mitsamt den Visitenkarten die Beute des Dänen geworden. Also riß er aus seinem Notizbuch eine Seite und schrieb mit zitternden Fingern: »Carletto Zeller.«

Carletto – wie lange war es her, daß ihn Lisbeth, daß ihn gute Freunde und zärtliche Frauen so genannt hatten.

Das Mädchen ließ ihn nun in den rechts von der Diele liegenden Parlor eintreten und bat ihn, Platz zu nehmen.

Carlo schritt aber in dem großen Salon, in dessen Hintergrund ein Steinway-Flügel stand, auf und ab. Schwere dunkle Eichenmöbel im Missionsstil, an den Wänden gute Bilder, auf Konsols und Etageren Photographien.

In diesem Gesicht fand Carlo eine starke Ähnlichkeit zu Elsbeth, also war es wohl die Photographie des Herrn Ortners. Und dieses junge schlanke Mädchen mochte ihre Cousine sein. Auch sie sah Elsbeth ähnlich, aber um die Lippen lag jener abweisende, hochmütige Zug, den Carlo schon gestern mehrfach bei Frauen gesehen. In silberner Schale Lichtbilder von Lisbeth selbst. Zum großen Teil Wiener Bilder, darunter Amateuraufnahmen, die er kannte.

Carlo fand ein Bild neuesten Datums, bei einem Photographen in dem amerikanischen Badeort Newport aufgenommen. Erregt drückte er das Bild an seine Lippen; ja, das war sein liebes, gutes Lisl mit den blanken, großen Augen! Nur schien ihm das Lächeln um den vollen Mund weniger kindhaft, etwas herber geworden zu sein und die Augen blickten kühler in die Welt.

Warum Lisl auch nicht hereingestürmt kam? Es waren nun wohl schon zehn Minuten vergangen, und selbst wenn Lisl noch nicht ganz angekleidet gewesen wäre, so hätte sie doch wenigstens eine Hand zur Türe hereinstrecken können.

Ein banges Gefühl schnürte ihm die Kehle zu. Gespannt lauschte er gegen die Türe. Stimmengewirr von oben, Frauenstimmen, erregte, aber unverständliche Worte, und jetzt war es ihm, als würde er ein Schluchzen wahrnehmen. Und er drückte die Nägel in die Handballen, biß die Lippen zusammen, fühlte, wie sein Blut in rasendem Tempo durch die Adern schoß.

Minute auf Minute verging. Oben war es ruhig geworden, man hörte nichts als das Ticken der großen Uhr über dem Kamin. Wie Blei lag es ihm in den Knien; er setzte sich nun wirklich und begann zu zählen! Bis hundert und dann nochmals bis hundert.

Geräuschlos ging die Türe auf, und Carlo sprang in die Höhe und streckte die Arme aus. Aber in der Türfüllung stand nur das Stubenmädchen, das ihn verwundert, neugierig ansah, ihm einen Brief reichte und dabei sagte:

»Das gnädige Fräulein läßt entschuldigen, es hat Migräne und kann den Herrn nicht empfangen.«

Carlo wußte nicht, wie er aus dem Haus gekommen war, entsann sich späterhin nur undeutlich, daß ihm das Mädchen zweimal den Hut, der ihm aus der Hand gefallen, aufgehoben und er dann die vier Stufen von der Haustüre nach der Straße gestolpert war, so daß ihn ein Briefträger lachend aufgefangen hatte. Dann rannte er, eng an die Hausmauer gedrückt, damit man ihm nicht etwa aus einem der Fenster nachblicken konnte, die Straße entlang wie ein Dieb, solange, bis er die breite Columbusavenue erreichte. Und nun stand er still und las:

»Carlo, Sie müssen mich vergessen! Es kann nicht sein, daß wir hier miteinander verkehren. Alles ist ja hier anders, als es drüben in Wien gewesen war. Seien Sie mir nicht böse, denken Sie von mir nicht schlecht. Carlo, aber es darf wirklich nicht sein. Und bedenken Sie, daß ich drüben ein dummes kleines Mädel war, hier aber eine Amerikanerin geworden bin. Sie werden dann alles selbst verstehen. Es grüßt Sie Elise Ortner.«

Carlo brüllte auf wie ein Tier. Urinstinkte überwältigten ihn. Mit den Fäusten schlug er sich gegen die Brust, mit blutunterlaufenen Augen stierte er die Leute, die erschreckt stehen blieben, so wütend an, daß sie eilig entwichen. Und als eine Frau mit den Worten: »Der Nigger ist verrückt geworden,« davonlief, da lachte Carlo gellend auf, während ihm der weiße Schaum über die Lippen troff. Gleich darauf stand er in einem Barraum, stürzte ein volles Glas Whisky hinunter und noch eines und noch eines, bis sich alles um ihn her drehte und er schwankend in der Ecke auf einen Stuhl fiel. Und dann kam die Reaktion, und er fühlte, wie ihn ein weher Schmerz schüttelte und hatte nur einen Gedanken: Jetzt nicht weinen müssen, nicht heulen wie ein Kind vor diesen weißen Tieren um sich her. Und blitzartig übermannte ihn zum erstenmal das Gefühl, daß zwischen den weißen Menschen und ihm sich eine Kluft auftat und er diesseits der Kluft bei den Schwarzen stand.

 
* * *

Nach Tagen voller Apathie und wüsten Whiskytrinkens hatte der zähe, ranke Wille des jungen Einwanderers auch Liesl überwunden. Er nahm seine besten Anzüge über den Arm, verkaufte sie, übersiedelte im Hotel St. Helena in ein kleines Hofzimmerchen im obersten Stockwerk, für das er nur einen Dollar zu bezahlen hatte, und ging daran, eine Existenz zu suchen. Schließlich – in einer Stadt mit sechs Millionen Menschen – mußte sich auch für ihn eine Erwerbsmöglichkeit finden, ohne daß er sich zu den Negern stoßen ließ.

Frühmorgens um fünf Uhr stand er auf, ging hinunter nach Park Row, wo ein Zeitungsgebäude neben dem anderen liegt, und kaufte die noch von der Druckerpresse warme und feuchte ›World‹, die die meisten Stellenangebote enthielt.

Und er wartete in den immer kühler werdenden Morgenstunden mit hundert anderen vor Bureaus, Fabriken, Wolkenkratzern, Privatwohnungen, bis er an die Reihe kam und sein Sprüchlein hersagen konnte. Und diese Enttäuschungen! Kränkungen, Hiebe prasselten auf ihn nieder, bis er schier unempfindlich wurde.

Eine große Schule suchte einen Lehrer der französischen und deutschen Sprache. Kaum zwanzig Bewerber konnten sich melden, und der schlanke, noch immer elegante Carlo hätte die meisten Chancen gehabt.

»Unmöglich – meine Schülerinnen sind junge Damen aus ersten Häusern – Sie werden verstehen – – –«

Ein Reklamebureau suchte intelligente Kräfte mit gutem Stil. Der Manager erkannte sofort die überlegene Intelligenz und Bildung Carlos, zögerte, sagte dann: »Hol‘s der Teufel, ich nehm‘ Sie!«

Mit Feuereifer stürzte sich Carlo in die Arbeit, skizzierte Reklameideen, entzückte den Manager, der in ihm endlich die Kraft gefunden hatte, nach der er monatelang vergeblich unter den jungen, wenig gebildeten, ideenlosen Leuten gesucht. Am zweiten Tag aber schon fühlte sich Carlo von feindlichen Blicken verfolgt, hörte tuscheln und wispern im großen Saal um sich her, bemerkte, wie in der Lunchpause die dreißig Mädchen und Männer nach dem Zimmer des Managers drängten, statt die kurze halbe Stunde zum Essen auszunützen. Und nachmittags schüttelte ihm der Manager die Hand, bedauerte lebhaft und hieß ihn gehen.

»Meine Leute wollen mit einem Farbigen nicht arbeiten, sie drohen, mir die Union der Bureauangestellten auf den Hals zu hetzen, ich muß nachgeben, ob ich will oder nicht – –«

Im größten Buch- und Zeitschriftenversandgeschäft der Vereinigten Staaten war eine Stelle für einen gebildeten Herrn frei, der Englisch, Französisch, Deutsch und womöglich auch Italienisch sprach. Carlo reichte eine schriftliche Offerte in allen Sprachen ein und wurde zum Generaldirektor bestellt. Dieser, ein Deutscher, der selbst erst einige Jahre im Land weilte, sah im Halbdunkel des kleinen Bureaus das blaue Mal nicht, erkannte auch am Gesicht Carlos die Mischrasse nicht, freute sich, mit ihm über Wien sprechen zu können, war überzeugt, die wertvollste Kraft gefunden zu haben, und engagierte Carlo mit einem Gehalt von zwanzig Dollar wöchentlich. Schließlich war es Carlo selbst, der den Deutschen auf seine Abstammung aufmerksam machte und auf die Möglichkeit von Konflikten, die daraus entstehen konnten.

Der Generaldirektor lächelte abwehrend.

»Hier werden Sie auf keinen Widerstand stoßen! Die Hälfte der tausend Angestellten, die ich habe, sind Grünhörner, die froh und glücklich sind, ihr Brot zu verdienen. Und die anderen, die Amerikaner, werden sich hüten, aufzumucksen, weil ich sie sonst eben hinauswerfe. Vorsichtshalber aber werde ich Sie in der deutschen Abteilung in einem kleinen Raum mit drei oder vier jungen Mädchen zusammen arbeiten lassen.«

Carlo jauchzte auf, Glücksempfinden durchrieselte seit langer Zeit zum erstenmal wieder seinen Körper und auf der Straße ging er so aufrecht, sich in der Taille biegend, wie einst in Wien, wenn er, gut ausgeschlafen, nach einem feudalen Frühstück den Graben entlang gebummelt war.

Als er die Treppe der Hochbahn erklommen hatte, stieß er mit einem jungen Mädchen zusammen, das wie er sich rasch an dem Beamten, der die Billetts entgegennahm, vorbeidrängen wollte, um noch in den Zug zu springen. Höflich ließ er der Dame den Vortritt und beide saßen dann einander gegenüber. Das Mädchen lächelte freundlich und strich sich die wirren kohlschwarzen Haare zurecht. Carlo gab es einen Ruck. Ein Mädchen, das ihn anlächelte, Donnerwetter, seit Hamburg war ihm das nicht geschehen! Doch folgte dem innerlichen Ruck bald eine leichte Ernüchterung. Das Mädchen mit dem olivefarbenen Teint, den großen, von langen Wimpern umschatteten Augen, den blendend weißen Zähnen und allzu üppigen Lippen war eine Mulattin! Nicht wie er ein Mischprodukt des dritten Grades, sondern das Kind einer Negerin und eines Weißen. Widerstreitende, seltsame Empfindungen durchtobten ihn. Irgendwie fühlte er sich zu dem kaum noch erblühten Ding, das einen durchaus anständigen, braven Eindruck machte, hingezogen. Und sie lächelte noch immer so freundlich, daß er sicher sein durfte, keine brüske Abweisung zu erfahren, wenn er sie etwa ansprach. Und Carlo überlegte:

Wenn mir all dies Furchtbare nicht widerfahren wäre, wenn mich die Weißen nicht hinüber in das Lager der Farbigen stoßen würden, dann würde ich nicht zögern und dieses hübsche, reizvolle, kleine Mädchen ansprechen und vielleicht heute noch meine Glut an ihrem schlanken braunen Leibe löschen. Aber es darf nicht sein, denn diese Mulattin würde in mir nicht den verehrten, angebeteten weißen Mann sehen, zu dem ja, wie man mir sagt, die Sehnsucht aller schwarzen Frauen drängt, sondern ihren Rassegenossen, den Mann aus ihrem Volke, und sie würde mich hinabziehen wollen in jene schwarzen Tiefen, vor denen mir graut.

Das Gesicht des Mannes verzerrte sich und wurde so kalt und abweisend, daß das Mädchen zu lächeln aufhörte und ihn mit großen erschreckten Augen ansah.

Zeller stieg an der dreiundzwanzigsten Straße aus und verscheuchte die widerwärtigen Gedanken. Er zählte seine Barschaft. Drei Dollar waren ihm noch aus dem Erlös seiner Kleider geblieben und zwei davon wollte er heute behaglich ausgeben. Denn morgen war er ja in Amt und Würden, morgen war Mittwoch, Samstag die Auszahlung des Wochenlohnes und bis dahin würde es irgendwie schon gehen. Er lachte vergnügt vor sich hin, freute sich des eigenen Leichtsinns, lächelte seinem Spiegelbilde zu, das ihn schlanker und blasser, aber durchaus nicht weniger hübsch erscheinen ließ, und bummelte durch das Tenderloin mit seinen schönen Frauen, eleganten Männern und herrlichen Karossen. Berauschte sich an den Auslagen, an den knisternden Toiletten, an dem feinen Parfüm, das diese oder jene Schöne zurückließ, an dem Funkeln von Gold und Diamanten, spürte Eroberergelüste, dehnte die Glieder.

Und doch ist dies und nur dies meine Welt! Und ich werde die Banausen zwingen, mich anzuerkennen, werde in Jahr und Tag emporgekommen sein und ihnen beweisen, daß die treibenden Kräfte in mir aus edlem, germanischem Blut stammen und ich mit denen, zu denen sie mich werfen wollen, nichts gemeinsam habe, als eben das blaue Mal, dieses tückische Geschenk einer nie gekannten Mutter!

Und er spann seine Gedanken weiter. Rächen will ich mich aber doch für alles Leid, daß sie mir angetan. Ihre Frauen und Töchter will ich verführen, in meinen Armen sollen sie jeden Rassendünkel verlieren, stöhnen sollen sie vor Lust, wenn ich sie umklammere und sie Kinder von mir in die Welt setzen, die das blaue Mal untilgbar in ihre Kreise tragen. – – –

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