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Das blaue Mal

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»Nichts, Carlo, nichts von Bedeutung, ich habe nur noch einen Weg zu machen.« Und mit einem Lächeln, das ihn beruhigen sollte, fügte sie hinzu: »Solange, um einen Tee mit dir zu trinken, kann ich bleiben, inzwischen erzählst du mir, wie du die letzten vierundzwanzig Stunden verbracht hast und wie es bei der Prüfung ging.«

Er hatte sich durch Hellas harmlos und heiter scheinende Worte täuschen lassen. Er schellte Franz, damit dieser den Tee serviere, und während sie eng aneinandergeschmiegt tranken und naschten, plauderte er frisch drauf los. Doch plötzlich brach er ab. Er hatte bemerkt, daß Hella nur mit halbem Ohr ihm zuhörte und ihr verdüsterter Blick sinnend irgendwo in der Ferne weilte.

»Wo sind deine Gedanken, Hella?« fragte er sie eindringlich. »Irgend etwas ist geschehen, willst du es mir nicht sagen?«

Sie schüttelte den Kopf und zwang sich zu einem Lächeln.

»Du siehst Gespenster, Bubi, ich bin vielleicht etwas nervös heute, das ist alles.«

Doch jetzt glaubte er ihr nicht mehr. Unruhig sprang er auf, faßte ihre Hände und zwang sie, ihm in die Augen zu schauen. »Ich will die Wahrheit wissen, die Wahrheit, hörst du!«

Ihr Blick wich dem seinen aus. »Du quälst mich ... so laß doch meine Hand los, du tust mir ja weh!«

Aber jähzornig, wie Carlo war, preßte er noch fester ihre Rechte, und mit zornfunkelnden Augen rief er: »Du mußt sprechen!«

»Du zwingst mich. Ich wollte es dir nicht sagen, um dich nicht zu beunruhigen. Thomas hat heute früh einen anonymen Brief bekommen –«

Er fühlte, wie er sich verfärbte. In jähem Schreck trat er einen Schritt zurück: »Dein Mann?...«

»Man hat ihn auf unsere Beziehungen aufmerksam gemacht. Es hat eine furchtbare Szene gegeben. Ich habe selbstverständlich alles in Abrede gestellt. Aber ich fürchte sehr, daß er uns jetzt beobachten lassen wird. Ja, mein Junge,« sagte sie traurig, »wir werden vorsichtig sein müssen. Wir werden uns nicht mehr so oft treffen können.« Sie fuhr ihm liebkosend durch das seidenweiche, schwarze, leicht gewellte Haar.

Carlo, der sich wieder an ihrer Seite niedergelassen hatte, hielt den Kopf tiefgesenkt: »Furchtbar, jetzt wird er dich quälen und ich muß stumm bleiben und kann dir nicht beistehen.« Dann dehnte und streckte er sich, und aus seinen Augen leuchtete Kampffreude und Verwegenheit. »Ah, wenn ich ihm gegenübertreten könnte!«

»Du wirst vernünftig sein, Carletto, du mußt vernünftig sein, um meiner Ehre willen. Vor allem muß ich alles vermeiden, was ihn mißtrauisch machen könnte. Denn Thomas wird natürlich jetzt sehr achtsam sein. Nicht, weil er mich lieb hat,« sagte sie bitter lächelnd, »sondern aus Eitelkeit. Darum halt ich es für das Klügste, wir sehen uns jetzt einige Wochen gar nicht.« Nur zögernd hatte sie die letzten Worte hervorgebracht, in der Angst, Carlo in allzu große Verzweiflung zu stürzen.

In der Tat schrie dieser jetzt beinahe auf: »Was, dich nicht mehr wiedersehen? – Das kann ich nicht, Hella, das kann ich nicht.« Tiefes, echtes Weh zitterte in seiner Stimme.

Frau Bühler, die sich bereits erhoben hatte, um sich zum Weggehen zu rüsten, mußte sich wieder setzen. Sie zog Carlo neben sich, lehnte seinen Kopf an ihre Schulter, streichelte und tröstete ihn:

»Nur einige Wochen, mein Liebling, so stark mußt du sein, um das zu ertragen. Nur so lange, bis er den bösen Brief vergessen hat.«

»Aber, du hast doch auch heute gewagt, zu mir zu kommen,« wandte er ein.

»Thomas ist heute mittag mit dem Auto in die Fabrik nach Mödling hinausgefahren. – Aber ich werde dich anrufen, Carlo, jeden Tag, und nicht eine Stunde länger mußt du auf mich warten, als ich es für nötig halte.«

Schweren Herzens, glitzernde Tränen in den langen, geschwungenen Wimpern, fügte er sich in das Unvermeidliche. Lang und zärtlich küßten sie einander, dann ging Hella.

Carlo lehnte am offenen Fenster, das in den in üppiger Blüte stehenden Park hinausging, und träumte vor sich hin. Hatte dieser Besuch einen Abschied bedeutet. War nun alles vorüber?

Der ganze Verlauf seiner Beziehungen zu Hella Bühler zog an ihm vorbei. In Madonna di Campiglio, wo er eine befreundete Familie besuchte, hatte er sie kennen gelernt. Zuerst war‘s nur ein Flirt gewesen. Sie war um sechs oder sieben Jahre älter als er, eine Dame der großen Welt, die Gattin eines stadtbekannten Großindustriellen und eine vielumworbene Schönheit. Und er, Carlo, hätte es kaum gewagt, seine Wünsche bis zu dieser Frau zu erheben. Aber Hella selbst war es gewesen, die ihm allmählich zu verstehen gab, daß er ihr ausnehmend gut gefalle, die durch ihr Entgegenkommen sein Blut erhitzt und ihn kühn gemacht hatte.

Ein schrilles Läuten riß ihn aus seinen trüben, schwermütigen Gedanken. Er hörte Stimmen im Vorzimmer; ein Besuch zu solcher Stunde, wer mochte das sein? Franz trat ein und überreichte mit scheuem Blick eine Karte: »Kommerzialrat Thomas Bühler.«

Zeller stand einen Augenblick lang das Herz still.

»Der Herr scheint sehr aufgeregt,« flüsterte Franz besorgt, »es ist vielleicht besser, der gnädige Herr empfangen ihn nicht.«

Carlo jedoch hatte seine Fassung wieder erlangt. Während er den Rücken dem Diener zugekehrt, so daß dieser sein Tun nicht bemerken konnte, aus der Schreibtischlade einen Revolver nahm und in die äußere Rocktasche steckte, sagte er mit fester Stimme. »Ich lasse den Herrn bitten!«

Aug‘ in Aug‘ standen sich wenige Sekunden später Zeller und Thomas Bühler gegenüber. Carlos Züge waren unbeweglich starr, nur seine Wangen waren geröteter als gewöhnlich. Er stand hochaufgerichtet, gestrafft an den Schreibtisch gelehnt.

Kommerzialrat Bühler war ein vierschrötiger, kaum mittelgroßer Mann in der Mitte der Vierzig, mit einer weitvorspringenden Hakennase, dichtem, braunem Schnurrbart und borstigem, kurz geschorenem, an den Schläfen schon ergrautem Haar.

Sich leicht und förmlich verbeugend, fragte Carlo: »Womit kann ich Ihnen dienen, Herr Kommerzialrat?«

Bühler lächelte höhnisch und tückisch. Ganz grün schillerten seine Augen unter dichten, zusammengewachsenen Brauen: »Das können Sie gar nicht erraten, Herr Zeller?«

Dieser zuckte die Achseln: »Das vermag ich in der Tat nicht!«

Bühler sah sich um: »Hübsch haben Sie‘s hier, sehr hübsch. Und wie famos es bei Ihnen riecht.– Ambre antique – ja, so ein Junggeselle!« Er lachte wieder auf: »Wenn die Wände hier erzählen könnten, wie? Wahrscheinlich vor kurzer Zeit erst Damenbesuch hier gewesen?«

Die Miene Carlos begann sich zu verdüstern und steigende Ungeduld auszudrücken: »Womit kann ich Ihnen dienen? Welcherlei Besuche ich hier empfange, hat Sie doch wohl kaum zu kümmern, mein Herr?!«

Bühler machte einen Schritt vorwärts. »Meinen Sie? Auch die Besuche meiner Frau bei Ihnen haben mich wohl nicht zu kümmern?«

Carlo hielt an sich: »Ihre Frau, ich verstehe Sie nicht!«

»Was, Sie wagen noch zu leugnen, Sie feiger Schuft, wo meine Frau vor wenigen Minuten erst Sie verlassen hat?« – Wutverzerrt stürzte Bühler mit zum Schlag erhobener Faust auf Zeller los.

Da hatte Carlo auch schon seinen Arm erfaßt und den Angreifer, der auf solche Körperkraft bei dem beinahe zart gewachsenen Gegner nicht gefaßt sein mochte, ein paar Schritte weit zurückgeschleudert. »Lassen Sie jede Attacke, sonst knalle ich Sie nieder! – Ich stehe Ihnen zur Verfügung!« – Darauf wies er mit der Hand gebieterisch auf die Tür und rief: »Jetzt hinaus!«

»Sie hören von mir!« zischte Kommerzialrat Bühler und verschwand.

Carlo ließ sich in einen Fauteuil fallen. Ganz wirr war ihm im Kopf. Die Überstürzung der Ereignisse betäubte ihn. Erst allmählich kam er zu sich und war imstande, die peinliche Lage, in der er sich so plötzlich fand, zu überdenken und in allen Folgen sich vorzustellen. Doch nicht seiner Person galten seine ersten klaren Gedanken, sondern Hella, um deren Schicksal ihn großes Bangen ergriff. Er überlegte einige Augenblicke, ob er nicht verpflichtet sei, ihr seine Hand anzubieten. Aber dann meldete sich doch die Vernunft; er war zweiundzwanzig, sie nahe an dreißig, er hatte keine Stellung, stellte nichts im Leben vor, sein Vermögen war zu bescheiden, um den Ansprüchen einer so verwöhnten Frau genügen zu können.

Es hieß vor allem, sagte er sich, als er ruhiger geworden war, für das Duell sich bereit machen. Er wollte die Angelegenheit in Ströbls Hände legen, den er, da es erst halb sechs Uhr war, noch in der Kriau anzutreffen hoffte. Er griff nach Hut und Handschuhen, stürzte aus dem Haus, rief das erste Automobil, das ihm begegnete, an und raste hinunter in den Prater.

Zahlreiches Publikum nahm um diese Stunde in der Meierei Kriau seinen Kaffee, viele Bekannte Carlos darunter, die ihm zuwinkten und ihn anriefen. Er hielt sich aber bei niemandem auf, sondern ließ seine Augen nur nach Ströbl ausblicken, den er auch endlich in einer Ecke in Gesellschaft zweier aufgeputzter, geschminkter Dämchen fand. Aufs freudigste überrascht eilte Ströbl ihm entgegen und wollte ihn an den Tisch ziehen.

»Nein, ich danke, Clemens,« lehnte Carlo ab. – »Ich bitte dich, sage den zwei Mädeln dort für heute Adieu und schenk mir den Rest des Tages, ich habe ernste und dringende Dinge mit dir zu besprechen.«

Clemens von Ströbl konnte nach einem aufmerksamen Blick in Carlos Gesicht nicht mehr im Zweifel sein, daß es sich um eine wichtige Angelegenheit handeln müßte. Er entsprach daher der Bitte des Freundes, verabschiedete sich von seinen Begleiterinnen und verließ mit Carlo das Kaffeehaus. Während sie beide die Hauptallee hinabschritten, berichtete Zeller den Vorgang des heutigen Nachmittags.

»Donnerwetter noch einmal, die schöne Hella Bühler! Bist du ein Glückspilz«, war die erste Antwort, mit der Ströbl die Mitteilung, die ihm gemacht wurde, quittierte. »Aber gekommen bist du schließlich mit der Sache doch zu mir, und schneller als ich dachte,« sagte er weiter, mit offensichtlicher Genugtuung.

 

Zeller bestürmte ihn, Diskretion zu bewahren.

»Dazu bin ich als dein Sekundant doch verpflichtet!« beruhigte ihn Ströbl. Als zweiten Vertreter schlage ich dir den Oberleutnant Baron Rakossy vor. Überlasse alles andere getrost uns beiden.«

Geradezu frohgelaunt war Ströbl, den Freund in einer so pikanten und schicken Affäre verwickelt zu wissen. »Du machst dich, mein Junge, du machst dich!« versicherte er ein über das andere Mal.

* * *

In der Offizierreitschule fand zu früher, dämmeriger Morgenstunde das Duell statt. Schwerste Bedingungen waren vereinbart worden. Kavalleriesäbel, Hieb und Stich, ohne jede Bandage, bis zur Kampfunfähigkeit.

Auf der Fahrt zur Reitschule war Carlo so nervös, daß Ströbl und der lange Husarenoberleutnant besorgte Blicke tauschten. Aber mit dem Eintritt in den großen, hallenden Raum kam Ruhe und Geschlossenheit über ihn. Fest schloß sich seine Hand um den Säbelkorb, und in seinen dunklen Augen blitzte Draufgängerfreude und Zuversicht.

Thomas Bühler, ein ehemaliger Couleurstudent, griff mit Elan an. Ruhig und kunstgemäß parierte Carlo die wütenden, schweren Schläge. Es war ein schöner Anblick, seinen entblößten, glatten, sehnigen Oberkörper im beherrschenden Muskelspiel sich biegen und beugen, spannen und straffen zu sehen. Der erste Gang verlief ergebnislos. Herrn Bühler lief der Schweiß über Wangen und Brust, der korpulente Mann war bereits ziemlich erschöpft und atmete schwer. Carlos Atem hingegen ging leicht und gleichmäßig, und auf seiner Haut war kein Schweißtropfen zu sehen. Als man zum zweiten Gang antrat, raunte Baron Rakossy ihm zu: »Jetzt los!« Um Zellers Lippen flog ein leises Lächeln und er nickte. Er befolgte Rakossys Rat, verließ die Verteidigungsstellung, ging zum schneidigen Angriff über und setzte mit einem Tiefquart quer über die Brust Bühler nach einigen Augenblicken bereits außer Kampf.

Thomas Bühler war schwer, aber nicht lebensgefährlich verletzt. Als Ströbl diesen Befund des Arztes dem in einer Ecke des Saales wartenden Carlo mitteilte, atmete dieser befreit auf. Denn bei allem Haß, den er gegen den Mann empfand, hätte sein Gewissen an einem Totschlag doch schwer getragen.

Das Duell Zeller-Bühler blieb in der Wiener Gesellschaft nicht unbeachtet. Es erregte sogar beträchtliches Aufsehen und bildete den Gesprächsstoff in gewissen Kreisen. Wie es so geht, stand die Sympathie fast überall auf seiten des Jüngeren, des Siegers. Die jungen Herren der Lebewelt, die Backfische und die Halbweltdamen und die jungen, unverstandenen Frauen, sie alle bewunderten Carlo Zeller und machten ihn zum Helden des Tages. Diese Bewunderung aber fand bald den direkten Weg zu Carlo. Blumen wurden ihm gesandt, Glückwunschschreiben von Damen, an deren Bekanntschaft er sich nur noch ganz flüchtig erinnerte, es regnete parfümierte Briefchen, das Telephon bimmelte den ganzen Tag. Der immer hilfsbereite Ströbl ordnete und sichtete die Korrespondenz und bestimmte, wo eine Antwort am Platze sei und wo nicht. Denn Carlo hatte für all diese Beweise plötzlich erwachten Interesses vorerst wenig übrig. Er fühlte sich sehr unglücklich in diesen Tagen. Hella war aus Wien verschwunden, es war ihm von ihrem Schicksal nichts bekannt. Bald hieß es, sie hätte sich zu ihren Eltern nach Böhmen begeben, dann wieder, sie wäre auf Reisen gegangen; die einen erzählten, die Scheidung wäre eingeleitet, andere wieder, eine Aussöhnung zwischen den Gatten wäre angebahnt. Zeller bekam keinerlei Lebenszeichen von ihr.

Aber der Freundeskreis, allen anderen voran Clemens von Ströbl, duldete nicht, daß Carlo sich zurückgezogen hielt, was er am liebsten getan hätte. Denn all diese jungen Leute waren jetzt stolz, sich Zellers Freunde nennen zu können, jeder wollte sich mit ihm zeigen, wollte mit seinen vertrauten Beziehungen zu ihm renommieren. Am stolzesten war natürlich Ströbl, der sich ja mit voller Berechtigung rühmen durfte, Carlo für die Lebewelt entdeckt und ausgebildet zu haben.

So geschah es, daß Carlo anfangs, beinahe gegen seinen Willen, in einen Strudel des Leichtsinns hineingezogen wurde, der ihn schließlich betäubte, Hella vergessen ließ und ihm immer besser behagte. Denn er war jung und lebenshungrig, naiv und sehr eitel.

Daß er bei dem lustigen Leben, das er jetzt führte, mit der ihm ausgesetzten Rente nicht mehr sein Auslangen fand, versteht sich von selbst. Er legte noch mehr Gewicht als früher auf seine Kleidung und kontrahierte Schulden bei Schneidern, Schustern und Wäschelieferanten. Er gab kleine Gesellschaften, die Ströbl arrangierte, bei denen es hoch herging und die ziemlich viel Geld verschlangen. Viel Geld blieb auch in den Champagnerlokalen und bei Fiakern und Chauffeuren. Als Schneider und Schuster dringlich wurden, blieb ihm nichts übrig, als sich neuerlich an den Vormund um eine Erhöhung der Rente zu wenden. Professor Wendrich schrieb einen sehr bösen Brief, ließ sich aber doch bewegen, den Monatswechsel um eine Kleinigkeit zu erhöhen, dabei jedoch betonend, daß Carlo nunmehr im vollen Besitz des Fruchtgenusses seines Vermögens stünde und eine Erhöhung nicht mehr möglich sei.

Zeller war gerade imstande, die unangenehmsten Schuldner zu befriedigen. Als sich jedoch auch diejenigen meldeten, die sich bisher geduldig gezeigt hatten, geriet er neuerlich in Verlegenheit. Sich einzuschränken, wieder auf bescheidenem Fuß zu leben, brachte er nicht über sich. Er fürchtete den Spott der Freunde und Freundinnen, und es fehlte ihm auch bereits an Kraft, auf die gewohnten Genüsse zu verzichten.

In seiner Bedrängnis vertraute er sich Clemens von Ströbl an.

Ströbl wußte natürlich Rat. »So nimm doch irgendwo Geld auf. Wie lang dauert es denn noch und du bist majorenn und kannst über dein Vermögen verfügen. Einem Kerl wie dir braucht doch um die Zukunft nicht bange zu sein, für wen sollst du knausern? Reiche Partien wirst du einmal genug machen können.«

Die Argumente Ströbls leuchteten Carlo ein. Harmlos, wie er war, fragte er: »Möchtest du also so freundlich sein und mir mit 10.000 Kronen aushelfen?«

Da machte Ströbl aber gleich ein langes Gesicht. »Das ginge freilich nicht,« erklärte er beteuernd. Die ziemlich hohen Beträge, die er der Fabrik entnahm, reichten gerade, um seine eigenen Bedürfnisse zu decken. »Aber ich kenne da einen Herrn Herlinger, Friedrich Herlinger, er ist ein Cafétier in der Schönbrunnerstraße, ein hochanständiger Mensch, der sich ein Vergnügen daraus machen wird, dir unter die Arme zu greifen. Natürlich will er auch etwas verdienen. Aber ich kann dir nur versichern, er ist ein weißer Rabe unter seinesgleichen. Er hat mir und er hat dem Rakossy und dem Kehlhausen, na, er hat uns allen im Klub schon geholfen.«

Sie suchten also sofort Herrn Herlinger auf; Zeller bekam Geld und befand sich von da an in den Klauen eines Wucherers.

* * *

Die kleine Kapelle in der Hall des Lido-Palace-Hotels spielte einen Valse lente. Es war nach der Souperstunde, die Gäste saßen plaudernd und Eisgetränke schlürfend in Korbstühlen und Klubfauteuils, die Damen in großer Toilette und schmuckbehangen, die Herren im Frack. Draußen blaute eine sternenklare Sommernacht und es rauschte leise das Meer.

In der Mitte der Hall tanzte ein einziges Paar, dem alle Blicke bewundernd folgten: Beate Salagna im Arm Carlo Zellers. Die Salagna, eine rassige und schlanke Brünette, geschmeidig wie eine Katze, und Carlo Zeller waren unstreitig das beste Tänzerpaar im Hotel. Immer wieder mußten sie sich auf allgemeines Verlangen produzieren, und wenn die beiden zum Tanze antraten, zum biegsam schwebenden Boston, zum temperamentvollen Matschitsche, zum grotesken Cakewalk, verschwanden die anderen Paare ganz von selbst von der Bildfläche.

Und während man ringsum wieder dem schönen Paare folgte, raunte man sich wie sonst die Frage zu: »Ist sie seine Geliebte?«

Nein, Beate Salagna gehörte noch immer nicht Carlo an, obzwar dieser sie täglich heißer umwarb und bestürmte. Aber eine Beate Salagna war nicht so leicht zu erobern. Sie war kokett und raffiniert, und wenn sie in der einen Stunde Carlo so bevorzugte unter allen ihren Kavalieren, daß er meinen mußte, bereits am Ziel seiner Wünsche zu sein, benahm sie sich in der nächsten wieder so kühl und abweisend, daß er an ihr irre wurde. Nach Ansicht jener jedoch, welche die Entwicklung der Beziehungen zwischen den beiden mit Spannung verfolgten, und dies war ungefähr das gesamte übrige Hotelpublikum, hatte Carlo Zeller wohl die meisten Chancen. Zweifellos größere als der Kapitän Alberto Alberti, der zu den hartnäckigsten und glühendsten Verehrern der Sängerin gehörte, ein häßlicher, kleiner, breitschulteriger Mann, mit einem schwarzen, gestrählten Schnurrbart, einer platten, kurzen Nase und dem starken Gebiß und vorspringenden Unterkiefer eines Raubtieres. Er war von jenem Typus brutaler Männlichkeit, dem sonst bei Frauen ein leichter Triumph beschieden ist, und er haßte den jungen, hübschen Wiener, der ihm diesmal den Sieg so erschwerte.

Der Walzer hatte geendigt. Das Paar, dem stürmisch zugeklatscht wurde, kehrte an seinen Tisch zurück. Dort saß beim Champagner eine größere Gesellschaft: der Kapitän, Clemens von Ströbl, Guido Kehlhausen, auch ein Klubfreund Carlos. Liane Lenoir, eine Pariser Schauspielerin, die sich Ströbl erobert hatte, Felix Freiherr von Rheinsperg, ein älterer, weißhaariger, distinguierter Herr, Lebemann und Rennstallbesitzer aus Hamburg, sein Neffe Walter Rheinsperg, Ulanenoberleutnant aus Bamberg. Miß Elinor Pearson, die berühmte Flammentänzerin, Fedor Obolensky, ein dicker Gutsbesitzer aus der Krim. Man besprach die gleichgültigen Ereignisse des Hotellebens, entwarf Vergnügungs- und Ausflugspläne für die nächsten Tage: »Ich schlage für morgen abend einen Ball im Freien vor,« rief Liane Lenoir, eine lebhafte, zierliche Blondine.

»Verschieben Sie doch diesen Ball auf übermorgen,« bat Kapitän Alberti. »Morgen abend findet das Souper des Turnier-Komitees im ›Danieli‹ statt, dem ich beiwohnen muß. Auch Herr Zeller dürfte kaum dabei fehlen, nicht wahr?« wandte er sich mit erzwungener liebenswürdiger Miene an Carlo.

Carlo hatte beim internationalen Fechtturnier mitgetan und einen Preis errungen: »Jawohl, auch ich bin beim Souper,« gab er Auskunft, um sodann mit dem alten Baron Rheinsperg ein Gespräch fortzusetzen.

Felix von Rheinsperg, der eine offenkundige Zuneigung zu Zeller gefaßt hatte, flüsterte diesem zu: »Man könnte erschrecken, wenn man die haßerfüllten Blicke sieht, mit denen Sie der Kerl drüben streift, wenn er sich unbeobachtet glaubt. Aber man weiß ja, daß Sie den Säbel zu führen verstehen und keine Furcht kennen.«

Carlo zuckte verächtlich lächelnd die Schulter: »Er soll kommen, wenn es ihm paßt.« Gerade erhoben sich die übrigen, um, einer Anregung von Miß Pearson folgend, noch eine Weile am Strand zu lustwandeln. Ein Blick aus den Augen der Salagna rief Carlo an ihre Seite. Zwischen ihm und dem Kapitän schritt sie zum Hoteltor hinaus, in die laue Mondnacht, an dem hünenhaften, fast gutmütig grinsenden Niggerportier vorbei, der devot die Kappe zog.

Bald gesellte sich Clemens von Ströbl zu den dreien. Er verwickelte den Kapitän in ein angeregtes Gespräch, und wenn Ströbl und Alberti schließlich einige Schritte zurückblieben, so war dies nicht bloßer Zufall. Ströbl war stets bestrebt, Zeller zum ungestörten Alleinsein mit der Sängerin zu verhelfen.

Carlo und Beate verschwanden hinter der nächsten Kabine. Arm in Arm schritten sie über den tiefen, weichen Sand, der unter ihren Füßen wie ein dicker Teppich nachgab. Eine leichte Brise kräuselte das silberglänzende Meer. Weit draußen am Horizont standen unbeweglich, als schwarze Silhouetten in die Nacht ragend, einige Fischerbarken.

Von dem Hotel her trug der Wind die Klänge des Monte-Christo-Walzers.

Immer fester preßte Carlo den Arm Beates an sich, was sie schweigend und lächelnd duldete. Sein Gemüt befand sich in heftiger Erregung, aber er sprach kein Wort. Oft und oft schon hatte er ihr seine Liebe in solchen Minuten zu Füßen gelegt und Beate um Erhörung angefleht – jedesmal hatte sie ihn mit leisem Spott schließlich zur Vernunft gemahnt. Nun war ein wilder Trotz in ihm, und die Angst, ihre Kühle könnte ihn zu törichten Reden fortreißen. Denn er kannte und fürchtete seine Natur, die, gereizt, der unbedachtesten Ausdrücke fähig war.

Nach einer Weile meinte sie: »Ich finde, daß wir uns jetzt genug ausgeschwiegen haben.«

»Mein Herz ist zu voll, als daß ich reden könnte. Warum quälen Sie mich so, Beate?«

 

»Quäle ich Sie?« fragte sie in einem kokett spöttischen Ton, der Carlo schon zur Verzweiflung trieb. »Vielleicht quälen Sie sich selbst, weil Sie sich Dinge in den Kopf setzen, die nicht so leicht zu erreichen sind.«

»Nicht so leicht? – Mögen sie auch schwer zu erreichen sein, ich habe nun einmal den Willen, sie zu erreichen!«

»Vielleicht sind sie überhaupt nicht zu erreichen!« sagte Beate frostig.

Er blieb stehen: »Vouloir c‘est pouvoir, sagten Sie mir dies nicht selbst, als Sie von Ihrer traurigen Jugend erzählten, von Ihren Kämpfen, von den Schwierigkeiten Ihres Aufstieges? Erlauben Sie mir, daß dies auch mein Wahlspruch sei.« Und mit einer plötzlichen, unerwarteten Bewegung riß er sie an sich, und ehe sie sich wehren konnte, hatte er sie umfaßt und küßte sie.

Seine Küsse aber, diese heißen, flehenden, ungestümen Jünglingsküsse, entflammten auch sie. Sie küßte ihn wieder, blieb schwach mit geschlossenen Augen und heftig wogendem Atem in seinem Arm.

Nahende Schritte rissen die beiden aus ihrer seligen Versunkenheit. Beate richtete sich auf. Sofort hatte sie ihre spöttische Haltung wieder gefunden, oder sie tat wenigstens so: »Sie sind sehr frech, mein lieber Freund. Bilden Sie sich nur nichts darauf ein, daß Sie einen Augenblick der Schwäche bei mir erwischt haben.«

Carlo aber, der den falschen Ton heraushörte, lachte glücklich auf: »Doch, ich bilde mir etwas ein,« entgegnete er vergnügt, »denn das weiß ich, eine Frau, wie Sie, läßt sich nicht küssen von jemandem, der ihr gleichgültig. Eher ohrfeigt sie ihn ab.«

Kapitän Alberti mit Ströbl und Liane Lenoir standen vor ihnen.

»Sicherlich Dummheiten, Capitano!« erwiderte die Salagna. »Oder verbieten Sie mir das?« Sie hing sich dem Italiener an dem Arm und zog ihn ein Stück mit sich abseits, sich dabei nach Zeller triumphierend umsehend, um ihn wieder zu reizen und irre zu machen.

Aber dies gelang ihr jetzt nicht mehr. Er lächelte ihr ruhig nach, die Gewißheit in der Brust, bald am Ziele zu sein.

Am nächsten Abend begab sich Carlo mit dem Vaporetto nach Venedig. Die ganze Gesellschaft hatte ihm bis an den kleinen Dampfer das Geleit gegeben, unter den Witzen und Scherzen der Zurückgebliebenen fuhr er ab. Miß Pearson rief ihm noch nach: »Bringen Sie keinen zu schweren Rausch heim, vom Siegesfest!« und der dicke Obolensky gröhlte mit seiner tiefen Stimme ein russisches Abschiedslied.

Das große Souper im Prachtsaal des Hotels Danieli verlief glanzvoll. Der Graf von Turin, der Ehrenpräsident des Turnierkomitees, führte den Vorsitz, die Spitzen der zivilen und militärischen Behörden Venedigs, die alle dem Komitee angehörten, wohnten dem Feste bei, die Preisträger und die Maitres d‘assaut, zu denen auch Capitano Alberti gehörte, der an diesem Abend zu Carlo von ganz besonderer Freundlichkeit war. Als Carlo, der den letzten Vaporetto erreichen wollte, um ½ 12 Uhr aufzubrechen Anstalten traf, war es nicht zuletzt der Kapitän, der ihn zurückhielt und zum Bleiben nötigte.

»Sie nehmen sich eben eine Gondel, die Nacht ist ja schön,« riet er.

»Und Sie?« fragte Zeller.

»Ich übernachte in der Stadt. Major Idoni, ein alter Kamerad von der Kriegsschule, sehen Sie, der schlanke Herr drüben mit dem Spitzbart, er ist jetzt hier der Stadtkommandatur zugeteilt, war vor einer Stunde so liebenswürdig, mir ein Bett in seiner Wohnung zur Verfügung zu stellen.« Major Idoni und Alberti gingen den gleichen Weg.

Nach einer Weile brach Carletto endlich auf.

An den Stufen der Piazetta, die um diese Stunde schon ganz leer war, lagen einige Gondeln. Die Gondoliere schliefen fast alle. Von den zweien oder dreien, die noch wachten, drängte sich besonders der eine, ein kleines bewegliches Männchen, an Carletto heran. Wohin der Herr zu fahren wünsche, erkundigte er sich geschäftig, und als Carlo den Lido, das Palace Hotel als Ziel angab, faßte er ihn am Arm und zog ihn geschwind in seine schwarze Barke.

Die beiden Offiziere salutierten und schwenkten hinüber zum Markusplatz ab.

Durch das sanfte Gleiten und monotone Plätschern angenehm eingeschläfert, nickte der Übermüdete bald ein. Als er nach einiger Zeit, wohl durch ein stärkeres Schwanken des Kahnes, erwachte, hätte er in den ersten Augenblicken beim besten Willen nicht zu sagen vermocht, wie lange er geschlummert hatte und wo er sich befand. Verdutzt und erst allmählich zu sich kommend, schaute er um sich. Weit, weit rückwärts lagen die Türme der Stadt, rechts hinten, außerhalb der Fahrtrichtung, konnte er noch undeutlich den Lido wahrnehmen. Er befand sich auf dem freien Meere, das hier draußen gar nicht mehr ruhig war. Wolken flogen über den Himmel und verdeckten zeitweilig die Mondscheibe, daß eine unheimliche, dunkle Nacht um ihn lag.

»Wohin führen Sie mich?« drehte sich Carlo zum Gondoliere um, nicht geradezu erschreckt, aber doch einigermaßen beunruhigt. »Der Lido liegt doch dort rechts.« Er sprach fließend Italienisch, ebenso Französisch und Englisch. Er hatte ein ausgesprochenes Sprachentalent, und das Studium fremder Sprachen war seit je das einzige, dem er Interesse entgegenbrachte, vielleicht eben darum, weil er hierfür die angeborene Anlage hatte.

»Gewiß, gewiß, mein Herr,« erwiderte beflissen der Ruderer. »Aber man muß in der Nacht einen Umweg machen.«

»Einen Umweg?« Er war schon zu oft des Nachts mit einer Gondel hinausgefahren, um diese Antwort nicht verdächtig zu finden. »Biegen Sie sofort nach rechts ab,« befahl er in scharfem Ton, den Gondoliere anblitzend.

Doch dieser lachte jetzt höhnisch auf: »Ich fahre, wie es mir beliebt.«

»Nein, sondern so, wie ich Ihnen es befehle!« rief Carlo aufspringend, und schickte sich an, über die Rückenlehne seines Sitzes zu springen; denn er war sich klar, daß er aus dem Bereich des langen Ruders kommen mußte.

»Sitzen bleiben, du Hund!« schrie ihn der Gondoliere an, der richtig bereits das Ruder aus der Gabel riß. »Sitzen bleiben oder ich schlage dich jetzt schon nieder und schmeiße dich ins Meer.«

Nach diesen Worten konnte Zeller nicht mehr im Zweifel sein, was diese Fahrt für ihn bedeuten sollte – eine Todesfahrt.

Aber flink war er bereits nach vorne gesprungen und stand neben dem Ruderer auf der Bank, bevor dieser zum Schlag ausholen konnte. Obzwar er sich ohne Waffe wußte, war er entschlossen, den Kampf aufzunehmen. Er fuhr dem Gegner an die Gurgel: »Wenn du nicht augenblicklich weiter ruderst, erwürge ich dich!« Der Gondoliere war, das Ruder in die Gabel zurückgleiten lassend und sich weit zurückbeugend, dem Griff Carlos ausgewichen. Mit einem Fluch griff er in die rechte Hosentasche und gleich darauf blitzte in seiner erhobenen Hand ein Stilett.

Auf etwas Derartiges jedoch war Carlo gefaßt gewesen. Schon hielt er das Handgelenk des Gondolieres umklammert, und da er bedeutend kräftiger war als der andere, gelang es ihm nach kurzem Ringen, sich des Stiletts zu bemächtigen. Nun war er bewaffnet. Er sprang einen Schritt zurück in die Gondel hinein und rief, den Dolch schwingend: »Jetzt hinüber zum Lido oder ich ersteche dich!«

Bedroht von der Waffe, eingeschüchtert durch die Kraft und den Mut des Fahrgastes, mußte sich der Gondoliere wieder entschließen, nach dem Ruder zu greifen. Knapp vor ihm, keinen Augenblick ihn aus den Augen lassend, stand Carlo.

Erst als die Gondel bereits ganz nahe den Dünen hinfuhr, stieg Carlo mit aller gebotenen Vorsicht wieder hinüber auf seinen Sitz. Er hatte folgenden Plan: Sobald das Boot das Land anliefe, wollte er Hilfe rufend hinausspringen und es halten, bis Leute kämen, die den Gondoliere festnehmen könnten.

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