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Das blaue Mal

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Aber Carlo konnte sich nicht auf diesen primitiven Unterricht beschränken. Immer wieder baten ihn die Tommies, Johannies, Washingtons und Lincolns nach Beendigung des Unterrichtes, er möge ihnen etwas von der Welt draußen erzählen, so daß er schließlich fast allabendlich kurze, leicht verständliche Vorträge über soziale Einrichtungen, Lebensgewohnheiten und Sitten der Völker Europas hielt. Und es war ihm eine unsagbare Genugtuung und Freude, zu sehen, wie die Leute an seinen Lippen hingen, ihn verehrten und zu ihm aufschauten.

Waren das wirklich die faulen, rohen, diebischen Halbtiere, für die sie der Amerikaner hielt? Bei der Arbeit und beim Unterricht waren sie ungemein emsig, in den Baracken der Weißen kamen mindestens ebensooft Kameradschaftsdiebstähle vor wie hier, zu irgend welchen Roheitsexzessen war es, wenigstens in Carlos Gegenwart, nie gekommen. Sie rochen anders, sie sprachen anders, sie waren unzweifelhaft naiver, leichtgläubiger, im Gehaben läppischer als die Weißen, aber immer wieder und bei allen Gelegenheiten kam es zum Ausdruck, daß sich unter den Farbigen genau so viele und so wenige geistige Krüppel, sicher weniger Degenerierte, genau so viel und wenig Boshafte und Gutmütige, Herrische und Demütige, Anmaßende und Bescheidene befanden, als unter den anderen Menschen aller Rassen.

* * *

Seit dem Beginn des neuen Jahres lebte Carlo Zeller ganz unter den Farbigen in der Baracke Nummer 55. Sein Verhältnis zu den weißen Kameraden von Nummer 43 war immer schlechter geworden. Als diese erfahren hatten, daß er seine Abende als Lehrer unter den Farbigen verbrachte, kam es zu ausgesprochenen Feindseligkeiten gegen ihn und schließlich war er es selbst, der den ›Boß‹ bat, ihn zu den Fünfundfünfzigern ziehen zu lassen. Der Boß trug die Sache dem ›Super‹ vor, dieser brummte etwas von farbigen Hunden, die ohnedies zu einander gehören, und Carlo konnte sein Bündel schnüren und wurde mit Jubel von seinen Halbbrüdern empfangen.

Schwer genug konnte sich Zeller an das Zusammenleben mit den neuen Kameraden gewöhnen. Bitter empfand er es als wahr, daß der Sinn für Reinlichkeit bei ihnen kaum entwickelt war. Gerade, daß sie am Morgen die Hände in die Waschbecken tunkten und das Gesicht befeuchteten, der Gebrauch von Seife erschien ihnen ebenso überflüssig wie der einer Zahnbürste und einer Nagelfeile. Und die nächtliche Ausdünstung im Schlafsaal war so stark, daß Carlo es kaum ertragen konnte. Wieder aber bekämpfte er seinen Ekel und Widerwillen, indem er den Vergleich mit Kindern ausspann.

Sind Kinder von Natur aus nicht auch unreinlich? Weinen nicht die meisten, wenn man ihnen mit Seife und Wasser kommt? Ist es nicht lediglich das Beispiel der Erwachsenen, das nach und nach auf sie einwirkt? Und würden nicht auch Kinder vornehmster Abstammung in Schmutz aufwachsen, wenn sie immer sich selbst überlassen blieben?

Kurz entschlossen hielt Carlo am nächsten Abend einen Vortrag über Reinlichkeit und Körperpflege.

»Das, was die Weißen uns immer wieder vorwerfen, ist unser Mangel an Reinlichkeit,« sagte er, »und leider trifft die meisten von uns dieser Vorwurf mit vollem Recht, meine Lieben. Ihr alle seid von dem Wunsch erfüllt, zu den Weißen emporzuwachsen, ihnen gleich zu werden im besten Sinne. Dazu müßt ihr aber von unten, bei den primitivsten Dingen beginnen, und zwar in erster Linie mit der Pflege des eigenen Körpers. Ihr habt mir Geld für das bißchen Unterricht angeboten, das ich euch geben kann, und ich habe es abgewiesen. Nun aber könnt ihr euch reichlich revanchieren, indem ihr von heute an wetteifert, wer der Sauberste sein wird. Der Kantineur hat Seife, Hand- und Zahnbürsten, kauft diese billigen Dinge bei ihm, und wir wollen heute noch vor dem Schlafengehen und dann allmorgendlich ein Wettwaschen veranstalten.«

Ein grauhaariger Neger brummte und protestierte mit merkwürdiger Begründung:

»Waschen muß sich nur, wer schmutzig ist, und wir sind nicht schmutzig!«

Aber der alte Benjamin wurde überstimmt, alle schrien durcheinander, daß Carlo gefolgt werden müsse, und eine halbe Stunde später plätscherte es lustig im Schlafsaal, der bald fast unter Wasser stand. Prustend und schnaufend gössen sich die Burschen gegenseitig Kübel Wasser über den nackten Rücken, Houston holte für die ganze Baracke Seife und Bürsten, es begann ein Gegurgel und Geschnaube, daß von den benachbarten Baracken Neugierige herbeigelaufen kamen, und von da an betrieben die Farbigen mit köstlichem Humor und der tollen Ausgelassenheit, die ihnen eigen ist, das Waschen als eine Art Sport.

Carlo stellte mit Befriedigung fest, daß seither auch die penetrante Hautausdünstung der Neger geringer wurde und sich in jenen eigentümlichen Geruch von Muskatnuß, Essig und Zimt verwandelte, den einst – oh, wie lange war es her – die rotblonde Hella Bühler bei ihm mit ihren feinen Nüstern eingesogen hatte.

Wochenlanger Regen setzte ein, aber kein erfrischender, kühler Regen, sondern es war, als würde schmutziges, warmes Wasser die Luft und die Erde erfüllen. Giftige Nebel entstiegen dem dampfenden Boden: die Arbeit wurde zur Höllenqual, es mehrten sich die Fälle von Typhus und Malariaerkrankungen, Hunderte von Holzfällern mußten forttransportiert werden, und Carlo hatte seine ganze Willenskraft aufzubieten, um auszuhalten.

In den meisten Baracken wurde nun an jedem Samstag fast der ganze Wochenlohn in Schnaps umgesetzt, weil man glaubte, durch diese künstliche Erwärmung von innen der schleichenden giftigen Nässe von außen entgegenwirken zu können. Mit allen Mitteln der Beredsamkeit überzeugte Carlo seine engeren Genossen von dem Unsinnigen, Selbstmörderischen solchen Vorgehens, durch das der Körper geschwächt, das mühsam erworbene Geld vergeudet und nur das Vermögen der Gesellschaft vermehrt würde. Wirklich brachte er es dahin, daß die farbigen Holzfäller zur maßlosen Überraschung der Kantineure viel weniger Geld für Alkohol ausgaben als die Weißen, die Bewohner der Baracke 55 aber fast gar keines. Dafür kauften sie Tee und Zucker und Zitronen, bereiteten sich an Holzfeuern selbst heiße Getränke, sparten ihr Geld und wurden von Krankheiten mehr verschont als die anderen.

Ende Februar hörte der Regen auf, um fast unvermittelt glühender Sommerhitze Platz zu machen. Immer größere Waldflächen schwanden dahin, während sich neue Kräfte schon daran machten, die Wurzelstöcke der gefallenen Bäume auszusprengen und den Boden umzugraben, auf daß er willig und geduldig den Baumwollsamen aufnehme.

Zur vorausberechneten Zeit, Mitte des Monates März, hatte sich der Urwald am Coosa-River in eine weite, weite Fläche verwandelt. Carlo nahm von seinen schwarzen und braunen Arbeitsgenossen, die ihm wahre Freunde geworden waren, herzlichen Abschied und trat, sein kleines Bündel mit Kleidern und Wäsche über den Rücken geschnallt, in der Brusttasche aber nahezu fünfhundert Dollar wohlverwahrt, mit einem selbstgeschnittenen Stock in der Hand, leicht und wohlgemut den langen Marsch nach der etwa fünfzig Kilometer entfernten Stadt Birmingham in Alabama an, wo er sich wieder in einen europäischen Menschen verwandeln wollte. Dort würde er neue Kleider, Wäsche und einen Handkoffer kaufen, dann mit der Eisenbahn an die Küste fahren, um so rasch und billig als möglich nach Europa zu dampfen. Drei, vier, fünf Wochen noch, dann würde er wieder in Wien sein und der vergangenen drei Vierteljahre wie eines wirren, zuerst bösen, dann versöhnlichen, aber höchst lehrreichen Traumes gedenken.

* * *

Rüstig schritt Carlo aus; tagsüber, wenn die Sonnenhitze am ärgsten war, schlief er in schattigen Gehölzen, abends bis Mitternacht und von drei Uhr morgens bis acht Uhr ließ es sich leicht gehen, war der Marsch wohltuend und stählend. Am dritten Tage zeitig morgens kam er in Birmingham mit seinen hunderttausend Einwohnern, tausend Kirchen, einem erbärmlichen Theatergebäude und einem Fingerhut voll erborgter Kultur an: ein Farbiger unter zehntausend anderen, schmutzig, verstaubt, mit zerrissenen Kleidern und Stiefeln, mit Schweiß und Staub bedeckt und wohlweislich niemals den Blick zu einem hübschen Mädel erhebend, da er keine Lust hatte, die Brutalitäten der Südstaatenamerikaner am eigenen Leibe kennen zu lernen.

Immerhin – es gab auch in Birmingham ein großes Warenhaus, und innerhalb einer Stunde hatte dort Carlo alles zusammengekauft, um einen neuen oder eigentlich den alten Menschen aus sich zu machen. Die gekauften Kleidungsstücke wurden in einem Kabinenkoffer aus braunem Leder verstaut, und mit diesem zog Carlo nun durch die gleichförmigen und uninteressanten Straßen von Birmingham, bis er auf einen Barbierladen stieß, der, wie eine Tafel besagte, auch Badekabinen zu Verfügung hatte. Und da vor der Türe ein Neger stand, konnte er es ruhig wagen, hier einzutreten. Auf seinen Wunsch nach einem Bad machte der Neger zwar ein bedenkliches Gesicht, aber schließlich sagte er:

»Ich habe nur weiße Kundschaft, also dürftest du hier nicht baden. Aber es ist noch so früh am Tage, daß niemand kommt und es keine Gefahr hat.«

Gleich darauf saß Carlo in der mit heißem Wasser gefüllten Wanne, kostete die Köstlichkeit eines Bades nach vielen, vielen Monaten mit vollem Behagen aus, ließ sich in der Wanne rasieren und die Haare schneiden, sog mit Wonne den Duft des Bay-Rums ein, der ihm über Gesicht und Kopf gegossen wurde, zog die neuen Kleider, Schuhe und Wäschestücke an, ließ die alten Fetzen zurück und besah sich mit Freude den schlanken, hübschen, von der Sonne mehr noch als sonst gebräunten Herrn Carletto Zeller aus Wien im Spiegel.

Der dunkelblaue Anzug, die eleganten Schuhe, das weiche, zart gemusterte Hemd, die perlengraue Seidenkrawatte, dazu der hellgraue weiche Filzhut und der neue Koffer – so könnte ich ohne weiteres im Auto vor dem Hotel Bristol oder Imperial in Wien anfahren!

 

Nun aber empfand er heftigen Hunger. Da er wußte, daß hier im Süden ein Farbiger nur dann ein gewöhnliches Restaurant betreten darf, wenn er dort als Kellner bedienstet ist, so entschloß er sich – wieder von einem leisen Gefühl der Abwehr beschlichen – ein für Neger bestimmtes Lokal aufzusuchen. Er fand ein solches in Lincoln Square, das nett aussah und die Aufschrift trug: »Eldorado für farbige Leute.« Tatsächlich speiste er dort sehr gut, erstaunlich billig, und es war nicht unsauberer als in anderen zweitklassigen Restaurants.

Der nächste Tag führte ihn in ein Reisebureau, in dem er die Möglichkeiten der Europafahrt erkunden wollte. Er wurde an einen schwarzen Kommis gewiesen, der ihm auch bereitwilligst Auskunft gab. Heute, Donnerstag, um ein Uhr, also knapp in einer Stunde, ging ein Personenzug nach Atlanta, der größten Stadt von Georgia.

Der Kommis rollte ehrfurchtsvoll die Augen nach aufwärts, daß man nur das Weiße sah.

»Atlanta ist eine herrliche, große Stadt, Sir! Es leben dort viele Farbige, darunter feine, gebildete Gentlemans, es gibt ein Theater für uns, mehrere Hochschulen und eine Universität, die der von Yale und Columbia nicht nachsteht. Sie werden sich dort herrlich unter Ihresgleichen unterhalten können. Sie kommen so gegen sechs Uhr in Atlanta an, steigen am besten in Montgomery Hotel ab, das einem ehrenwerten Moses Broocker gehört und für uns Farbige bestimmt ist, und lassen sich morgen telephonisch mit der Office der Reederei Lefevre Brothers in Charleston an der Küste verbinden. Samstag geht nämlich von Charleston ein Frachtdampfer dieser Firma nach Havre ab, den ich Ihnen sehr gut empfehlen kann. Ein großes, schönes, französisches Schiff, das nur wenige Kabinen ohne Klasseneinteilung enthält. Und wenn die Reise mit der ›La Gloire‹ auch zwanzig Tage andauert, so ist andererseits das Gute daran, daß nur selten Yankees an Bord sind, sondern fast ausschließlich Franzosen und Farbige, so daß niemand Sie kränken wird und Sie leicht Anschluß finden. Außerdem sind die Passagierraten kaum halb so groß, wie auf den regulären Passagierdampfern, die von New Orleans abfahren.«

Carlo, der mit gemischten Empfindungen, halb belustigt und doch auch irgendwie verletzt, den ausführlichen Erklärungen gelauscht hatte, bedankte sich, kaufte seine Karte nach Atlanta und ließ sich den Weg nach dem Bahnhof zeigen.

* * *

In der Tür des Reisebureaus stieß er mit einer jungen Negerin zusammen, und er hörte noch, wie sie gleich ihm eine Karte nach Atlanta verlangte.

Interessiert, fasziniert blieb Carlo draußen stehen, bis das Mädchen wieder herauskam und vor ihm zum Bahnhof ging.

Unter den Negern gibt es schöne und häßliche Menschen genau so wie unter den Ariern, und dieses Mädchen verkörperte das Prachtexemplar einer schwarzen Schönheit. Übermittelgroß, schlank, der junge Leib beim Gehen biegsam und schwebend, die Füße klein und schmal, die Fülle des blauschwarzen Haares zu einem Knoten geschlungen, die Nase nicht, wie es so oft bei den Äthiopiern der Fall ist, breit und stumpf, sondern schmal und fein, die kirschroten Lippen nicht wulstig, sondern nur üppig, und die großen, dunklen Augen keine unbewußten Kuhaugen, sondern klug und tief und ein wenig schelmisch, wie Carlo empfand, als er merkte, daß ihm das Mädchen an der nächsten Straßenbiegung einen flüchtigen Blick zuwarf.

Wie Kinder von Natur aus das Bunte, Glitzernde, Grelle lieben, so auch die Neger und ganz besonders die Negerinnen, die sich in grotesker Nachahmung der herrschenden Mode das Äußerste zu leisten pflegen und sich an bunten, schreienden Farben nicht genug tun können. Das junge Mädchen, dem Carlo folgte, war hierin entschieden eine Ausnahme. Ein dunkelblauer Rock, eine schlichte weiße Blume, ein mit einigen Blumen geschmücktes Strohhütchen, weiße Seidenhandschuhe und Lackhalbschuhe – vollkommene Lady auch in der Kleidung.

Carlo meditierte vor sich hin. Welch komische, unlogische Welt, die wir uns geschaffen haben! Würde dieses junge Weib heute in Berlin oder Wien auftauchen, es wäre im Nu die gefeierte Schönheit des Tages, die Aristokraten und Geldmagnaten würden sich um die Gunst der schwarzen Venus reißen, mit einiger Klugheit und Zurückhaltung würde es ihr unschwer gelingen, die Gattin eines der Großen im Lande zu werden! Hier aber? Hier ist sie ein Auswürfling, der mit Weißen nicht an einem Tisch speisen, nicht in einer Sitzreihe des Theaters sitzen darf, gerade gut genug ist sie, um die Begierde irgendeines Kerls zu stillen, und wenn sie von einem Weißen ein Kind empfängt, so ist auch dieses wieder ein Auswurf, ein elender Mulatte, der zurück zu seiner Rasse muß!

Der Bahnhof war erreicht, das Mädchen verschwand im Menschengewühl. Carlo ließ am Schalter seine Karte abstempeln und war im Begriff, in den nächstgelegenen Waggon des bereitstehenden Zuges einzusteigen, als er eine Hand auf seiner Schulter fühlte. Er wandte sich um und sah sich einem schwarzen Schaffner gegenüber, der ihm, von einem Ohr bis zum anderen grinsend, zurief:

»Hallo, Jimmy, das ist ein Irrtum, du gehörst da hinten in einen der Wagen für unsere Leute!«

Wieder quoll in Carlo der Jähzorn hoch, wieder fühlte er das Sausen seines Blutes in den Ohren, aber im letzten Augenblick ließ er die geballte Faust sinken.

Gegen wen bin ich im Begriff zu toben? Gegen diesen armen Kerl, der nur seine abscheuliche Pflicht tut? Gegen das eingefleischte Vorurteil der Herren dieses Landes?

Tief aufatmend folgte er der Weisung und bestieg einen der beiden letzten Waggons, die die Aufschrift trugen: »Only Coloured! People«. Aber so gepackt und ergriffen hatte ihn dieser neue Schlag gegen sein Selbstbewußtsein, daß er, als er sich auf seinen Sitz niederließ, unwillkürlich zwischen den Zähnen hervorstieß:

»Gemeines Pack, verdammtes!«

Ein halblautes, helles Lachen ließ ihn aufblicken. Ihm gegenüber saß am offenen Fenster das junge Mädchen, dem er vom Reisebureau aus gefolgt war. Es lächelte ihn jetzt direkt an, beugte sich aber, von seinem noch immer zornigen und fragenden Blick getroffen, vor und sagte leise in tadellosester Betonung, wie sie den Negern im Norden nie eigen ist:

»Verzeihen Sie mein Lachen! Aber ich habe die Szene auf dem Bahnsteig beobachtet und nun Ihre empörten Worte – sicher sind Sie hier im Süden ganz fremd, sonst würden Sie sich über solche Selbstverständlichkeiten nicht erregen!«

Carlo empfand es sehr angenehm, auf diese Art das junge, schöne Weib kennen zu lernen, aber sein Ärger war noch zu groß, und so antwortete er fast brüsk:

»Ich bin allerdings hier im Süden fremd und eigentlich auch im Norden, und eben im Begriff, dieses abscheuliche, verrohte Land, das ich besser nie betreten hätte, wieder zu verlassen!«

Das Mädchen sah ihn nun mit großen, teilnahmsvollen Augen an.

»Wie das? Sie, ein Mischling, sind nicht in den Vereinigten Staaten zu Hause? Darf man, ohne indiskret zu sein, fragen, woher Sie kommen?«

Carlo überlegte kurz. »Warum soll ich ihr nicht von meinem Leben erzählen, da ich es so vielen anderen Menschen gegenüber tun mußte, die ersichtlich weniger intelligent und distinguiert waren, als diese da?«

Und er verbeugte sich leicht und nannte seinen Namen.

»Jane Morris,« lautete die Erwiderung und dann: »Carlo Zeller? Eine Mischung von germanisch und romanisch. Darf ich Sie nun bitten?«

Er war verwirrt! Romanisch und germanisch! Welch seltsame Worte aus dem Munde einer Negerin! Nun, mit ihr würde er, auch ohne die primitivsten Worte suchen zu müssen, sprechen können. Und mit Hinweglassung alles allzu Persönlichen und besonders seiner grausamen Herzensaffäre erzählte er von seiner Abstammung, seinem Leben in Europa und den Begebenheiten in Amerika.

»Und nun habe ich genug und werde namenlos glücklich sein, ein Land verlassen zu können, das von den niedrigsten Vorurteilen und bösesten Rasseninstinkten beherrscht wird!«

Jane hatte das weiche, runde Kinn in die kleine braune, gut gepflegte Hand gestützt und ihm aufmerksam zugehört. Dann sagte sie, während über ihre Augen ein Schatten fiel:

»Nun, bedenken Sie gar nicht, wie unrecht es von Ihnen ist, von hier wegzugehen? Ahnen Sie nicht, wie notwendig wir Männer brauchen, wie Sie einer sind?«

Jäh zuckte der Mann zusammen. Wo hatte er fast dieselben Worte schon gehört? Richtig, vor Monaten, in einer nassen Novembernacht hatte der schwarze Methodistengeistliche im Negerrestaurant, in dem er, halb verhungert, gelabt worden war, dasselbe gesagt.

Jane, als wenn sie seine Gedanken erraten würde, sagte:

»Ja, Herr Zeller, sehr, sehr notwendig brauchen wir Sie! Wir können Sie gar nicht entbehren in dieser heißen, schicksalsschweren Zeit, in der wir Neger hier leben.«

Carlo bäumte sich auf, als müßte er Fesseln entrinnen, die um ihn geschlungen würden.

»Sie brauchen mich? Wozu, wenn ich fragen darf? Gibt es nicht genug schwarze, braune und gelbe Neger, die den weißen Mann bedienen, ihn rasieren, ihm die Stiefel putzen und seine Sklaven sind? Oder soll ich hier im Süden Baumwolle zupfen oder am Ende gar Geistlicher werden und Schwermut, Demut und Ehrfurcht predigen?«

So laut hatte er gesprochen, daß die anderen Passagiere aufmerksam wurden. Jane flüsterte ihm zu:

»Da Sie Französisch sprechen, so ist es besser, wenn wir die Unterhaltung in dieser Sprache fortsetzen.«

Wieder war Carlo verblüfft. Das Mädel sprach also Französisch! Und der Gedanke schoß ihm durch den Kopf, daß er doch noch verschiedenes, was wissenswert sein mochte, nicht erfahren hatte. Auch diesen unausgesprochenen Gedanken nahm Jane auf.

»Sie sind ja wohl an Bildung den meisten Amerikanern turmhoch überlegen,« sagte sie in fließendem, wenn auch im Akzent nicht einwandfreiem Französisch, »aber von der Negerfrage scheinen Sie wenig zu wissen und nur das grob Äußerliche erfahren zu haben. Wenn ich Sie nicht langweile, so will ich Ihnen einiges, was Sie nicht wissen, mitteilen. Hören Sie denn und erfahren Sie, daß in der lächerlich kurzen Zeit von kaum einem halben Jahrhundert innerhalb der Vereinigten Staaten Entwicklungen vor sich gegangen sind, wie sie in gleicher Rapidität und Intensität die Weltgeschichte noch nicht erlebt hat. Stellen Sie sich vor: Elende Seelenverkäufer haben die Neger in Afrika zusammengepackt und nach Amerika verschachert. In Afrika lebten diese Menschen fast wie im Urzustand, nackt, wild, von den Früchten der ungepflegten Erde sich nährend, ganz ihren dumpfen Trieben überlassen. Doch aber Menschen, die irgendwo tief vergraben den göttlichen Funken besaßen. Als willenlose Sklaven und Arbeitstiere verloren sie manches von ihrer Ursprünglichkeit, gewannen aber nichts an Geistigkeit und Lebenskultur. Im besten Fall wurden sie dressiert, so daß sie das ästhetische Empfinden der weißen Herren nicht allzu gröblich verletzten. Dann kam der Krieg zwischen Norden und Süden und die sogenannte Emanzipation der schwarzen Sklaven. Seither sind wenig mehr als fünfzig Jahre verflossen. Und wissen Sie, was wir hier im Süden, wo die Neger in dichten Massen verblieben sind, das heißt einige Auserlesene unter uns und eine Handvoll kluger, geiler Amerikaner erreicht haben? Wissen Sie, daß es um das Jahr 1850 herum nahezu keinen Neger gab, der lesen und schreiben konnte, im Jahre 1890 noch neunzig Prozent Analphabeten waren und es heute kaum noch zwanzig Prozent sind, diese aber nur unter älteren Leuten, während hier im Süden es kaum noch schwarze Kinder gibt, die nicht zur Schule gehen? Wir haben heute 40.000 Lehrer und, abgesehen von den Volksschülern, 100.000 Studenten an Schulen, die ungefähr den deutschen Gymnasien entsprechen. Wir haben Ärzte und Ärztinnen zu Tausenden, wir haben Heime für Säuglinge und Kinder, wir haben große, starke Negerbanken mit vorzüglich ausgebildeten Beamten und Direktoren, wir sind Unternehmer und Eigentümer geworden, und nicht weniger als 900.000 Neger haben Grund und Boden, den sie selbst als Herren bearbeiten. Heute, nur fünfzig Jahre nach unserer Befreiung, befinden sich nach genauen Berechnungen tausend Millionen Dollar im Besitz von Negern, auf dem vorjährigen Medizinerkongreß in Atlanta sind mehr als fünfhundert schwarze Ärzte und Dentisten erschienen. Wir haben gegen hundert Zeitungen, die von Farbigen geschrieben, gesetzt und redigiert werden. Wir haben große Bibliotheken und sechsunddreißig Versicherungsgesellschaften, die nur Neger aufnehmen. Und alle diese Ziffern wachsen von Jahr zu Jahr, trotzdem die Amerikaner dagegen toben und wüten und uns, angesichts dieses beispiellosen Aufschwunges, noch mehr hassen als je zuvor.«

Jane Morris hatte sich in Erregung gesprochen und lehnte sich jetzt, sich Luft zufächelnd, leise lächelnd, zurück. Carlo war wie betäubt.

 

»Das ist allerdings kolossal! Wie war das nur möglich?«

Jane richtete sich straff auf, und in ihrer glockenhellen Stimme klang Begeisterung:

»Wie das möglich war? Dies alles ist das Werk der Nationalen Vereinigung farbiger Menschen, einer wunderbaren Schöpfung unserer Führer Corvoy und Du Boy. Kurz nachdem dieser elende Mulatte Booker Washington als von den Weißen gekaufte Kreatur entlarvt worden war, gründeten junge, kluge, gebildete Neger diese Vereinigung, und seither kämpfen wir mit allen Waffen des Geistes um unseren Fortschritt, unsere Einigung, unsere wahre Befreiung. Glauben Sie nun nicht, daß wir Männer wie Sie brauchen?«

Widerstrebende Empfindungen schnürten Carlo die Kehle zu. Zu viel des Neuen war auf ihn eingestürmt, es dauerte Minuten, bevor er Ordnung in sein Denken bringen konnte.

»Wohin aber soll das alles führen? Doch schließlich nur zu einem furchtbaren Kampf zwischen Weiß und Schwarz! Denn die Amerikaner werden niemals gutwillig die Gleichberechtigung der Neger anerkennen, je mehr diese zu ebenbürtigen Menschen werden, desto weniger!«

»Tausendmal in der Geschichte sind diese Worte gesagt worden und immer wurden sie von den Tatsachen widerlegt! Die Herren haben sie den Bauern und Arbeitern gegenüber gebraucht, die Franzosen den Deutschen gegenüber, und vor zweihundert Jahren noch waren wohl alle Christen darin einig, daß niemals den Juden Gleichberechtigung eingeräumt werden dürfe. Ich, besser gesagt, die Männer, die meine Lehrer und Erzieher sind, halten das Problem für leichter, als es erscheint. Eigentlich wollen wir dasselbe, was die Amerikaner wollen. Diesen graut vor dem Gedanken, ihre Rasse mit der unsrigen zu vermischen, und sie haben darin recht, weil jede Art ihre Eigentümlichkeit entwickeln, nicht aber ändern soll. Nun, wir arbeiten darauf hin, daß auch der Neger Rassenstolz empfindet und seine Art bewahrt. Es soll keine Mulatten und Terzeronen mehr geben, sondern nur Neger, je schwärzer desto besser! Unseren Mädchen predigen wir es täglich in der Schule, daß sie sich niemals einem weißen Mann hingeben dürfen, weil sie dadurch ihre Rasse besudeln und verschlechtern. Es ist ja leider wahr, daß der Mulatte gewöhnlich die bösen Instinkte beider Eltern empfängt und nur dann ein vortrefflicher Mensch wird, wenn Vater und Mutter tadellos waren. Werden die Weißen erst sehen, daß wir niemals, nicht aus Furcht, sondern aus Stolz, den Bannkreis ihrer Rasse überschreiten wollen, dann werden sie sich auch mit unserer Existenz leichter abfinden und uns achten lernen. Wir aber wollen uns unermüdlich heranbilden, an Unternehmungsgeist mit ihnen wetteifern, das Niveau der Massen von Jahr zu Jahr heben, und daß uns dies gelingt, beweist der kurze Rückblick zur Genüge.«

»Gut, Miß Morris, damit haben Sie aber meine Frage noch nicht beantwortet. Der Neger vermehrt sich rascher als der Amerikaner, den die tausendjährige Kultur seiner Ahnen müde gemacht hat. Also wird es in abermals fünfzig Jahren in Amerika vielleicht dreißig Millionen Neger geben und in hundert werden aus den ganzen Millionen von heute deren hundert geworden sein. Halten Sie es für möglich, daß auch dann zwei vielleicht gleich starke Völker ohne natürliche Grenzen und ohne Vermischung beieinander leben? Muß es dann nicht zu einer furchtbaren Machtprobe kommen, zu einem Kampf auf Tod und Leben?«

Der Zug fuhr durch den Bahndamm, durch endlose Baumwollfelder, Neger mit riesigen Strohhüten winkten fröhlich hinauf, ganze Bündel von schwarzen Kindern standen und spielten vor den kleinen Lehmhütten und elenden Holzhäusern.

Jane hatte, die Augen mit der Hand beschattet, hinaus in das Land geblickt, das in der Sonne glühte, und sagte:

»Innerhalb unserer großen Nationalen Vereinigung gibt es zwei Gruppen: die eine, die kleinere, hat sich die Rückwanderung nach Afrika als Ziel gesteckt, die andere, die drei Viertel der Mitglieder umfaßt, denkt an eine friedliche und automatische Eroberung der Südstaaten Amerikas. Ich gehöre dieser Gruppe an. Schrittweise werden wir hier zu Herren des Landes werden, weil wir jung, unverbraucht, zäher und willensstärker sind als der faule, weiße Südstaatler, der sich noch ›Oberst‹ nennen läßt und veraltete Herrenträume träumt. An ihm werden sich eben die entsetzlichen Verbrechen seiner Voreltern rächen, er wird sein Hab und Gut, den Boden, das Geld an uns verlieren, bis wir eines Tages hier im Süden in so überwältigender quantitativer und qualitativer Mehrheit sein werden, daß wir den Süden für uns werden beanspruchen können. Aber das alles liegt in weiter Ferne und ist eigentlich für uns, die wir jetzt leben, nebensächlich. Für uns gibt es nur eines: Unermüdliche Arbeit an uns und für uns! Und wollen Sie es noch immer nicht glauben, daß wir Männer wie Sie brauchen, daß Sie hier zu Großem berufen wären und ein an Erfolg und Ehren reiches Leben führen könnten?«

Wie eine schwere Last empfand Carlo diese Worte, unter der er das Haupt nach vorne sinken ließ. Er schloß die Augen, rang mit sich, sah die Vergangenheit in Europa voll Licht und Glanz, die Zukunft düster und verhangen, Wolken über sich, Abgründe neben sich. Tief atmete er auf, heiß kämpfte er gegen das junge, blühende, schwarze Weib an.

»Und wenn Sie sich irren, wenn es wirklich so ist, daß die Neger Halbtiere sind und zwischen ihnen und den Kaukasiern eine Kluft besteht, die nie überbrückt werden kann?«

»Dagegen spreche ich selbst, dagegen sind meine Freunde, dagegen sind die Führer unserer Bewegung der beste Beweis. Ich kenne genug weiße Männer und Frauen und weiß genau, daß sie nicht klüger sind und nicht besser, als die Fortgeschrittenen unter uns. Ich kenne die Literatur der europäischen Völker und weiß genau, daß sie auf einem ungeheuer hohen Niveau angelangt ist. Ich kenne aber auch Bücher unserer jungen Gelehrten und Dichter und sehe, daß diese weiter bauen und fortsetzen, nicht erst neu beginnen. Ich bin Lehrerin an einem Heim für verlassene farbige Mädchen und habe Schülerinnen, die dumm und boshaft sind, und solche, die klug und lieb sind, faule und fleißige, solche, die das Schwerste schnell auffassen, und solche, die nichts begreifen können. Genau dieselben Erfahrungen mache ich, wie sie jede Lehrerin in einer weißen Schule macht.«

Carlo nahm einen neuen Anlauf.

»Und die Moral der Neger, vor allem die sexuelle Moral? Ist es nicht um die sehr arg bestellt?«

Jane lächelte.

»Arg? Wir sind leidenschaftlicher, unser Blut ist heißer, wir sind in der Erotik weniger spekulativ, und unser Volk ist jung und bedenkenlos und unerzogen! Das ist alles! Aber der echte Moralunterricht, den wir in unseren Schulen erteilen, fällt auf fruchtbaren Boden, schon hüten sich unsere Mädchen, allzu leicht die Beute des Mannes zu werden, und ich fürchte, daß in wenigen Jahrzehnten auch bei uns die Erotik in so innigem Zusammenhang mit der Mitgift der Frau und der Karriere des Mannes stehen wird, wie es bei den weißen Völkern der Fall ist.«

Carlo, von der köstlichen Ironie dieser Worte entzückt, lachte hell auf, um dann den letzten Trumpf auszuspielen.

»Vernichten alle Ihre Theorien nicht das Beispiel von Haiti? Dort haben die Neger längst ihre volle Freiheit und Selbstverwaltung, und was ist daraus geworden? Ein Weltskandal, ein Zerrbild, eine widerwärtige Affenkomödie!«

»Vortrefflich, man sieht, daß Sie eifrig die amerikanischen Zeitungen lesen! Oh, wie oberflächlich ist es aber, uns immer wieder Haiti entgegenzuschleudern! Ich betone ja selbst, daß wir ein Volk ohne Tradition, ohne Geschichte, ohne Vergangenheit sind, ein Volk, das in den Kinderschuhen steckt! Nun nehmen Sie einmal den Fall, es würde jemandem einfallen, zwanzigtausend oder mehr Kinder, die noch nicht lesen und schreiben können, zusammenzupacken, nach einer fruchtbaren Insel zu transportieren und zu sagen: So, da könnt ihr nun in voller Freiheit leben, wie es euch paßt! Würden sich nicht diese zwanzigtausend europäischen oder amerikanischen Kinder trotz der Kultur ihrer Eltern zu halben Tieren entwickeln? Würde nicht auch diese Kinderrepublik ein Witz und die Beute der bösesten und grausamsten unter den Kindern werden? Lassen Sie die haitiischen Neger durch wohlmeinende Weiße oder durch unsere gebildeten Neger erziehen, dann ist in Haiti in fünfzig Jahren mindestens so viel Kultur aufzuweisen, wie heute etwa in Australien!«

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