Бесплатно

Soll und Haben

Текст
Автор:
0
Отзывы
iOSAndroidWindows Phone
Куда отправить ссылку на приложение?
Не закрывайте это окно, пока не введёте код в мобильном устройстве
ПовторитьСсылка отправлена

По требованию правообладателя эта книга недоступна для скачивания в виде файла.

Однако вы можете читать её в наших мобильных приложениях (даже без подключения к сети интернет) и онлайн на сайте ЛитРес.

Отметить прочитанной
Шрифт:Меньше АаБольше Аа

Anton ging mit schnellen Schritten aus einem Zimmer in das andere, vergebens hoffte er einen Raum zu finden, in dem er sich die beiden Frauen denken konnte, welche auf diese Wohnung wie auf ein letztes Asyl hofften. Er öffnete alle Türen, er stieg über die knisternden Treppen in die Höhe und wieder herunter, er störte die Vögel auf, welche durch die Öffnungen eingedrungen waren und noch an den Nestern des letzten Sommers hingen; aber er fand nichts als unwohnliche Räume mit schmutzigen Kalkwänden oder rohen Mauern, überall Zugluft, klaffende Türen, verblindete Fenster. In dem großen Saale war etwas Hafer aufgeschüttet; einige Zimmer des Oberstocks mochten früher zum notdürftigen Aufenthalt für Menschen gedient haben, schlechte Stühle und ein roher Tisch war alles, was sich von Möbeln vorfand.

Endlich betrat Anton die verfallene Treppe des Turmes und stieg auf die Plattform. Dort sah er über den Mauerrand in die Tiefe und hinaus in die Ebene. Zu seiner linken Seite sank die Sonne hinter grauen Wolkenmassen hinab in den dunkeln Schatten der Nadelwälder, zur rechten Seite lag das unregelmäßige Viereck des Wirtschaftshofes, dahinter an der Landstraße die unschönen Hütten des Dorfes, in seinem Rücken der Bach, der von der untergehenden Sonne her nach dem Dorfe zu floß und an seinen Ufern einen Streifen Wiesenland zeigte. Um die Wiesen und den Anger lagen die Ackerstücke wie in toter Ruhe, ein unreines Grün war auf den meisten aufgeschossen, nur wenige zeigten die braunen Schollen, die Zeichen neuer Kultur. Auf dem Ackerboden erhoben sich hier und da wilde Birnbäume, die Freude des polnischen Landmanns, starke Stämme mit einer mächtigen Krone; unter jedem war eine Insel von Gras- und Pflanzenbüscheln, buntgefärbt durch das abgefallene Laub. Die wilden Bäume allein, die Wohnungen zahlloser Vögel, unterbrachen die einförmige Fläche, sie und am Rande des Gesichtskreises der dunkle Wald. Denn hinter Wiese und Feld und hinter dem gelben Sande umschloß einförmiges Nadelholz die Aussicht. Der Himmel grau, der Boden mißfarbig, die Bäume und Sträucher am Bach ohne Grün und der Wald mit seinen Vorsprüngen und Buchten einem Walle gleich, welcher diesen Erdfleck abschied von allen Menschen, von aller Bildung, von jeder Freude und Schönheit des Lebens.

Antons Herz wurde schwer. »Arme Lenore, ihr armen Leute!« seufzte er laut und faltete traurig die Hände. »Es sieht hier abscheulich aus, aber das läßt sich bessern. Wer Geld und Geschmack hat, der Mensch kann alles. Man kann dies Haus umbauen und schmücken ohne ungewöhnliche Kosten. Vorhänge, Teppiche, einige hundert Fuß Goldleisten, der Tapezierer und Maler würden es in ein stattliches Schloß verwandeln. Leicht wäre der Anger geebnet, mit feinem Gras besät, einige Blumenbeete von leuchtenden Farben hineingesetzt, dahinter eine Anzahl Büsche gepflanzt, die Hütten des Dorfes durch Baumlaub versteckt. Und käme dann zu Haus und Park das Gefühl der Kraft und Tätigkeit, dann könnte auch diese Landschaft, die trostloseste und ödeste, ein heiteres Bild werden. Es ist nichts dazu nötig als Kapital, Menschenkraft und ein geordneter Sinn. Wie aber will der Freiherr diese Güter finden? Die behagliche Einrichtung dieses Hauses sollte die Blüte eines tätigen und erfolgreichen Lebens sein, und das Leben des Hausherrn ist zerbrochen; sie kann mit Verstand nur geschehen aus den Überschüssen, welche dieses Gut seinem Herrn bereitwillig gewährt, und Tausende von Talern werden nötig sein, um in dieser Unordnung die Anfänge eines neuen Lebens zu schaffen, und Jahre werden vergehen, bevor der Boden mehr trägt als die Wirtschaftskosten oder dürftige Interessen des angelegten Kapitals.«

Unterdes betrachtete Karl zwei Zimmer des Oberstocks mit Kennerblicken. »Diese beiden gefallen mir vor allen andern«, sagte er zu dem Wirt. »Sie haben gekalkte Wände, sie haben Fußböden, sie haben Öfen, ja sie haben sogar Fenster. Zwar sind die Scheiben schadhaft, aber bis der Glaser kommt, ist dickes Papier nicht zu verachten. Hier richten wir uns ein. Könnt Ihr mir etwas holen, was mit Besen und Scheuerlappen umzugehen weiß? Gut, Ihr könnt’s; und hört, sucht einige Bogen Papier zurecht, einen Leimtiegel führe ich mit mir. Wir wollen auf der Stelle Holz holen, dann will ich einheizen, Leim kochen, Papierfenster einsetzen und Ritze verkleben. Vor allem aber helft mir unser Gepäck vom Hofe herschaffen. Rasch vorwärts!«

Er riß durch seinen Eifer den Wirt fort, das Gepäck wurde in die Stube getragen, Karl packte eine Kiste mit allerlei Handwerkszeug aus, und der Wirt lief nach der Schenke, seine Magd zu rufen.

Unterdes trabten auf der Landstraße einige Reiter dem Hofe zu, stattliche Männer in Herrentracht; sie hielten vor der Wohnung des Beamten. Einer von ihnen stieg ab und pochte heftig an die verschlossene Tür. Anton rief seinen Gefährten, Karl eilte über den Anger den Fremden entgegen. Die Reiter galoppierten heran. »Guten Tag«, rief der eine in sorgfältigem Deutsch, »ist der Inspektor zu Haus?«

»Wo ist der Ökonom? Wo ist Bratzky?« riefen die andern, ungeduldig wie ihre flüchtigen Pferde.

»Wenn Sie den früheren Inspektor dieses Gutes meinen«, erwiderte Karl trocken, »so wird er Ihnen nicht entlaufen, obgleich Sie ihn hier nicht vorfinden.«

»Was soll das?« fragte der erste Reiter und ritt näher an Karl heran. »Ich ersuche Sie um Auskunft.«

»Wollen Sie Herrn Bratzky sprechen, so müssen Sie sich nach der Stadt bemühen, er sitzt im Stock.«

Die Pferde bäumten sich, die Reiter drängten sich näher an Karl heran, lebhafte Ausrufe in polnischer Sprache flogen von allen Lippen. »Im Stock? Weshalb?«

»Fragen Sie meinen Herrn«, erwiderte Karl und wies auf die Tür des Turms, in welche Anton getreten war.

»Habe ich das Vergnügen, den neuen Eigentümer des Gutes vor mir zu sehen?« fragte der Reiter, sich dem Turm nähernd, hinauf und lüftete seinen Hut. Anton sah erstaunt auf den Fremden herunter, Stimme und Gesicht erinnerten ihn an einen Herrn mit weißen Glacéhandschuhen, der in kritischer Zeit einen unangenehmen Eifer gezeigt hatte, Standrecht über Anton zu halten. »Ich bin der Geschäftsführer des Freiherrn von Rothsattel«, entgegnete er. Das Pferd des Reiters tat zwei Sprünge zurück, der Reiter wandte sich schnell ab und sprach einige Worte zu seinen Begleitern. Darauf rief ein älterer Mann mit einem schlauen Fuchsgesicht: »Wir wollen in einer Privatangelegenheit den bisherigen Inspektor des Gutes sprechen. Wir erfahren, daß er in Haft ist, und bitten Sie, uns zu sagen, weshalb.«

»Er hat sich durch die Flucht der Übergabe der Güter an mich entziehen wollen. Es ist Verdacht, daß er unredlich gehandelt hat.«

»Sind seine Sachen mit Beschlag belegt?« fragte der Reiter wieder hinauf.

»Weshalb tun Sie diese Frage?« fragte Anton zurück.

»Um Vergebung«, entgegnete der andere, »der Mann hatte durch Zufall Akten, welche mir gehören, in seiner Wohnung, es könnte mich in Verlegenheit setzen, wenn mir die Disposition darüber entzogen würde.«

»Seine Effekten sind mit ihm nach der Stadt geschafft worden«, erwiderte Anton. Wieder fuhren die Pferde der Reiter durcheinander, eine leise Unterredung entstand, dann stoben die Fremden mit kurzem Gruß in gestrecktem Galopp zurück nach dem Dorfe, dort hielten sie einen Augenblick vor der Schenke und verschwanden endlich auf dem Fahrweg hinter dem Walde.

»Was wollten die, Herr Wohlfart?« fragte Karl. »Das war ein Besuch im Sturmwind.«

»Jawohl«, erwiderte Anton, »auch ich habe Grund, ihn für auffallend zu halten. Wenn ich nicht irre, habe ich einen der Herren bereits in ganz anderer Umgebung gesehen. Wahrscheinlich hat dieser Herr Bratzky sich Freunde zu erwerben gewußt durch unrechten Mammon.«

Der Abend hüllte Schloß und Wald in seine grauen Decken. Die Knechte kehrten mit den Pferden aus dem Walde zurück, Karl führte sie vor Antons Augen, hielt ihnen in polnischer Sprache eine kurze Rede und nahm sie für den neuen Herrn in Pflicht. Dann kam noch der Wirt zum Rechten sehen, er brachte Wasser und eine Tracht Holz und sagte zu Anton: »Ich bitte den gnädigen Herrn, vorsichtig zu sein in der Nacht, die Bauern sitzen in der Schenke und räsonieren über Ihre Ankunft; es sind schlechte Leute darunter, ich traue nicht, daß einer zur Nacht einen Schwefelfaden in das Stroh steckt und Ihnen den Hof abbrennt.«

»Ich traue, es tut’s keiner«, entgegnete Karl, einen neuen Holzblock in den Ofen werfend. »Es bläst ein hübscher Wind gerade auf das Dorf zu, ’s wird niemand ein Narr sein und sich selbst die volle Scheuer in Brand stecken. Wir wollen dafür sorgen, daß derselbe Westwind von heut ab immer weht, solange wir hier sind. Sagt das Euren Leuten. – Habt Ihr mir die beiden Kartoffeln mitgebracht?«

Anton bestellte den Wirt zum nächsten Morgen, und die beiden Gefährten waren allein in dem öden Hause.

»Auf das Anlegen dürfen Sie nichts geben, Herr Anton«, fuhr Karl fort, »es ist überall in der Welt die Unart betrunkener Schlingel, mit Feuer zu drohen. – Und zuletzt, mit Respekt zu sagen, wär’s auch noch kein großer Schade. – Jetzt, Herr Anton, sind wir unter uns, jetzt sieht man so wenig als möglich von dieser polnischen Wirtschaft, jetzt fängt’s an und wird gemütlich.«

»Du hast recht«, sagte Anton und schob sich einen Schemel zum Ofen.

In den grünen Kacheln knisterte das Holz, und der rote Schein der Flamme versuchte, auf dem Fußboden einen feurigen Teppich zu malen und streifige Lichter und Schatten durch die ganze Stube zu ziehen.

»Die Wärme tut wohl«, sagte Anton, »aber riechst du keinen Rauch?«

»Natürlich«, erwiderte Karl, welcher vor dem Ofenloch mit seinem Messer runde Löcher in die Kartoffeln bohrte. »Gerade die besten Öfen rauchen im Anfange des Winters am kräftigsten, bis sie sich wieder an ihre Arbeit gewöhnen. Und vollends dieser grüne Dickkopf hier hat vielleicht seit einem Menschenalter kein Feuer gesehen; es ist in der Ordnung, daß er nicht sogleich in Zug kommt. Bitte, schneiden Sie ein Stück Brot ab und streichen Sie hier den Ritz zu, ich verfertige unsere Leuchter.« Er holte ein großes Paket Lichte hervor, schnitt die halbe untere Rundung der Kartoffel ab, steckte in jede ein Licht und stellte sie als Leuchter auf den Tisch, dann setzte er die Blechbüchse auf. »Die ist unerschöpflich«, sagte er, »sie hält noch morgen mittag vor.«

 

»Gewiß«, stimmte Anton vergnügt bei. »Ich habe einen merkwürdigen Appetit. Und jetzt laß uns überlegen, wie wir unsere Wirtschaft einrichten. Was wir von Hausrat nicht entbehren können, holen wir aus der Stadt, ich will sogleich ein Verzeichnis machen. Das eine Licht löschen wir wieder aus, wir müssen sparen.«

So verging der Abend unter guten Plänen; Karl machte die Entdeckung, daß er aus Kisten und Brettern einen Teil der Möbel in wenigen Stunden zusammenschlagen konnte. Und lustig klang zuweilen das Lachen der Genossen in den Wänden des Despotenhauses wider. Endlich riet Anton, zu Bett zu gehen. Sie schüttelten ihr Lager aus Stroh und Heu zurecht, schnallten die Mantelsäcke auf und holten ihre Matratzenstücke und Decken hervor. Karl befestigte ein Schraubenschloß aus seinem Kasten an der Stubentür, untersuchte die Ladung des Karabiners, ergriff seine Kartoffel und sagte salutierend: »Wann befehlen der Herr Generalbevollmächtigte morgen geweckt zu werden?«

»Du guter Junge«, rief Anton, die Hand von seinem Lager nach ihm ausstreckend.

So ging Karl in das Nebenzimmer, das er für sich ausgesucht hatte. Kurz darauf verlöschten die beiden Lichter, der erste Schimmer des Lebens, welcher in dem verlassenen Hause wieder aufgeglüht war. In dem Ofen knackten noch lange die kleinen Kobolde des Hauses über dem neuen Feuer, sie summten in dem Rauchfang, sie klopften an Türen und Fenster, erstaunt über das Treiben der fremden Männer. Endlich fuhren sie zusammen in eine Ecke des alten Turmes und fingen an, sich zu streiten, ob die Flamme, die heut abend angezündet war, von jetzt ab fortbrennen würde und ob aus den Fenstern von jetzt ab alle Tage ein fröhliches Licht hinausfallen würde auf den Anger, die Felder, den Wald. Und während sie zweifelten, ob das Neue stark genug sei, sich zu erhalten, trieb der Rauch die Fledermäuse aus ihrer Wohnung im Schornstein, daß sie schlaftrunken um die Zinnen des Turms flatterten, und die Käuze im Mauerritz schüttelten ihren dicken Kopf und stöhnten über die neue Zeit.

2

Wer immer in den gebahnten Wegen des Lebens fortgegangen ist, begrenzt durch das Gesetz, bestimmt durch Ordnung, Sitte und Form, welche in seiner Heimat als tausendjährige Gewohnheit von Geschlecht zu Geschlecht vererbt sind, und wer plötzlich als einzelner unter Fremde geworfen wird, wo das Gesetz seine Rechte nur unvollkommen zu schützen vermag und wo er durch eigene Kraft die Berechtigung zu leben sich alle Tage erkämpfen muß, der erst erkennt den Segen der heiligen Kreise, welche um jeden einzelnen Menschen Tausende der Mitlebenden bilden, die Familie, seine Arbeitsgenossen, sein Volksstamm, sein Staat. Ob er in der Fremde verliere oder gewinne, er wird ein anderer. Ist er ein Schwächling, so wird er die eigene Art den fremden Gewalten opfern, in deren Bannkreis er getreten ist. Hat er Stoff zu einem Manne, jetzt wird er einer. Doppelt teuer werden seiner Seele die Güter, in deren Besitz er aufgewachsen war, vielleicht auch die Vorurteile, die in seinem Leben hingen; und manches, was er sonst gleichgültig angesehen hatte wie Luft und Sonnenschein, das wird jetzt sein höchstes Gut. Erst im Auslande lernt man den Reiz des Heimatdialekts genießen, erst in der Fremde erkennt man, was das Vaterland ist.

Auch Anton sollte erproben, was er besaß und was ihm noch fehlte.

Am nächsten Morgen begann die Besichtigung der Bodenfläche. Die Besitzung bestand aus dem Hauptgut und drei Vorwerken, nur die Hälfte des Bodens stand unter der Pflugschar, ein kleiner Teil lag in Wiesen, fast die Hälfte war Wald und an dem Saume desselben nackter Sand. Schloß und Dorf lagen ungefähr in der Mitte der großen Lichtung, zwei Vorwerke an den entgegengesetzten Enden gegen Morgen und Abend, beide durch Vorsprünge des Waldes versteckt. Das dritte Vorwerk im Süden war durch den Wald ganz von dem Gute getrennt, es lehnte sich an ein anderes polnisches Dorf, hatte einen eigenen Wirtschaftshof und wurde seit alter Zeit als getrenntes Gut bearbeitet. Es umfaßte über den vierten Teil der Bodenfläche, hatte eine Brennerei und war seit einigen Jahren in Pacht des Branntweinbrenners, eines wohlhabenden Mannes. Der Kontrakt des Pächters war durch Ehrenthal auf einige Jahre verlängert worden, der Pachtzins war niedrig und mehr zum Vorteil des Pächters als der Gutsherrschaft festgesetzt. Doch war dies Pachtverhältnis gegenwärtig ein Glück für das Gut, weil es von einem Teil desselben Einkünfte gewährte. Der verwüstete Wald stand unter einem Förster.

Der erste Gang durch die Flur des Hauptgutes war so unerfreulich als möglich; die Felder waren für die Winterfrucht fast ohne Ausnahme nicht bestellt, und wo ein kleiner Teil die Spuren der Pflugschar zeigte, da war sie durch die Bewohner des Dorfes hingetragen worden, welche das herrenlose Gut als ihre Beute betrachteten und die fremden Ansiedler mürrisch und mit verhaltenem Grimme anstarrten. Seit Jahren hatten sie keine Hand- und Spanndienste geleistet, und der Schulz, den Anton herbeirufen ließ, erklärte trotzig, die Gemeinde werde sich nicht gefallen lassen, daß die alte Zeit wiederkehre. Er gab vor, kein Wort Deutsch zu verstehen, auch Karls Beredsamkeit vermochte nur unbehilfliche Reden aus ihm herauszubringen. Der Ackerboden selbst, vernachlässigt und durch Unkräuter entstellt, war in vielen Feldstücken besser, als Anton erwartet hatte, und der Schenkwirt rühmte seine Erträge; nur in der Nähe des Waldes erwies er sich als dürftig, auf manchen Stücken gar nicht für Fruchtbau geeignet.

»Das wird ein ernster Tag«, sagte Anton, seine Brieftasche einsteckend. »Laß die Britschka anspannen, wir fahren zu den Kühen.«

Das Vorwerk, auf welchem das Rindvieh einquartiert war, lag gegen Abend, eine halbe Stunde vom Schlosse entfernt. Ein erbärmlicher Stall, daran die Wohnung eines Knechtes, das war alles. Die Rinderherde und zwei Paar Zugochsen waren dem Großknecht übergeben, er hauste dort mit seiner Frau und einem schwachsinnigen Hirten. Die Leute verstanden nur wenig Deutsch und flößten kein Zutrauen ein; die Frau war eine unsaubere Dame ohne Schuhe und Strümpfe, deren Milchschüsseln die reinigende Macht des Wassers wohl selten erfahren hatten. Der Knecht und zuweilen der Hirt pflügten mit den Ochsen, wo ihnen gerade gut schien, die Herde weidete auf den unbebauten Äckern um das Vorwerk. »Hier ist Arbeit für dich«, sagte Anton, »untersuche die Herde und was du etwa von Winterfutter findest. Ich notiere die Gebäude und das Gerät.« Karl berichtete: »Vierundzwanzig Milchkühe, halb soviel Jungvieh und ein alter Stier; höchstens ein Dutzend Kühe sind brauchbar, die andern unnütze Grasfresser. Das Ganze ist schlechte Rasse; es sind früher einmal fremde Kühe, wahrscheinlich Schweizer, hierhergeschafft worden und ein Zuchtstier, der für den hiesigen Schlag viel zu groß war, so sind häßliche Mischlinge entstanden. Die besten Stücke sind offenbar ausgetauscht, denn einiges elende Landvieh läuft in der Herde, das sich getrennt hält, es kann noch nicht lange bei den andern sein. Von Futter ist etwas Heu für den Winter und einige Schock Haferstroh da, Streu fehlt ganz.«

»Die Gebäude sind trostlos«, rief Anton. »Fahr, Kutscher, nach der Brennerei. – Ich habe den Pachtvertrag genau durchgesehen und bin dort noch am besten unterrichtet.«

Der Wagen rollte auf einer schlechten Brücke über den Bach, dann über Äcker und über eine kahle Sandfläche, spärlich mit Wolfsmilch und Sandgras bewachsen, in deren Wurzeln zuweilen das Samenkorn einer Kiefer gekeimt hatte und als krummer Stab seine Äste über den Sand legte. Darauf kam der Wald, Büsche und Stangenholz mit weiten Zwischenräumen, zwischen denen der nackte Sand zutage lag, überall Wurzelstöcke der geschlagenen Bäume, mit Flechten und Büscheln Heidekraut umwachsen. Schritt um Schritt wateten die Pferde durch den lockern Sand, keiner der beiden Gefährten sprach, ungeduldig haftete ihr Blick auf jedem Baum, den ein günstiger Zufall höher und breiter geformt hatte als die dürftigen Nachbarn.

Endlich erweiterte sich die Aussicht, noch ein Dutzend Kieferbäume am Wege, und wieder lag eine Ebene vor den Reisenden, ebenso einförmig, ebenso mit Wald eingefaßt wie die Ackerinsel, aus welcher sie kamen. Vor ihnen stand ein Kirchdorf, sie fuhren bei einem hölzernen Kruzifix vorüber und hielten auf dem Hofe des Vorwerks. Der Pächter hatte wohl schon von ihrer Ankunft gehört, wahrscheinlich war er mit den Verhältnissen des Freiherrn besser bekannt, als Anton lieb war; denn er empfing seinen Besuch mit einer Gönnermiene und steifem Nacken. Kaum daß er sie in ein leeres Zimmer führte. Und eine seiner ersten Fragen war: »Glauben Sie denn, daß der Rothsattel das Gut wird behaupten können? Es ist viel daran zu tun, und wie ich höre, ist der Mann nicht imstande, Kapitalien hineinzustecken.«

Die anmaßende Kälte erbitterte Anton, aber er antwortete mit der zähen Ruhe, welche der Handelsverkehr dem Eingeweihten gibt: »Wenn Sie mich fragen, ob der Freiherr von Rothsattel die Herrschaft behaupten wird, so erwidere ich Ihnen, daß er dies um so eher imstande sein wird, je gewissenhafter seine Pächter und Zinsleute ihren Verpflichtungen gegen ihn nachkommen. Gegenwärtig bin ich hier, um nachzusehen, ob Sie selbst diese Pflichten erfüllt haben. Ich bin bevollmächtigt, Ihr Inventarium auf Grund Ihres Pachtvertrags durchzusehen. Und wenn Ihnen an dem guten Willen des Freiherrn jetzt und in der Zukunft gelegen sein sollte, so gebe ich Ihnen den wohlmeinenden Rat, höflicher gegen seinen Stellvertreter zu sein.«

»Der gute Wille des Barons ist mir ganz gleichgültig«, erwiderte der aufgeblasene Pächter. »Aber da Sie von Ihrer Vollmacht reden, so zeigen Sie mir doch das Papier.«

»Hier ist sie«, sagte Anton, ruhig das Dokument aus der Tasche ziehend.

Der Pächter sah die Schrift sorgfältig durch oder gab sich wenigstens den Anschein, endlich reichte er die Blätter nachlässig zurück und sagte grob: »Ich weiß gar nicht, ob Sie das Recht haben, jetzt durch meine Wirtschaft zu gehen. Indes habe ich nichts dagegen. Gehen Sie und sehen Sie an, was Sie wollen.« Dabei setzte er seine Mütze auf und wandte sich ab, um nach der Nebenstube zu gehen.

Karl faßte in seinem Zorn einen Stuhl und stieß ihn auf den Boden, Anton aber vertrat mit schnellem Schritt dem Pächter den Weg und sagte ihm in ruhigem Geschäftston: »Ich lasse Ihnen die Wahl, ob Sie uns auf der Stelle selbst durch die Wirtschaft führen wollen oder ob ich eine Inventur durch das Gericht veranlassen soll. Das letztere wird Ihnen Kosten verursachen, die ich für unnütz halte. Ihre Anwesenheit ist notwendig, den Bestand des Inventariums festzustellen, und deshalb sind Sie verpflichtet, Sie selbst, uns zu begleiten. Außerdem will ich Ihnen noch andeuten, daß jedem Pächter der gute Wille des Eigentümers notwendig ist, wenn er eine Verlängerung seiner Pacht beabsichtigt; und die Ihre geht in zwei Jahren zu Ende. Auch mir ist es keine Freude, in Ihrer Gesellschaft die nächsten Stunden zuzubringen; wenn Sie aber die Pflichten des Kontrakts und der Höflichkeit gegen mich nicht erfüllen, so wird der Eigentümer Ihres Vorwerks jede kontraktwidrige Nachlässigkeit, welche sich hier findet, dazu benutzen, durch die Gerichte sein Verhältnis zu Ihnen aufzulösen. Jetzt haben Sie die Wahl.«

Der Pächter sah einige Augenblicke verdutzt in das entschlossene Gesicht Antons und sagte endlich. »Wenn Sie durchaus darauf bestehen – es war nicht so böse gemeint.« Unwillkürlich rückte er an der Mütze und ging voran in den Hof. Anton folgte und zog wieder seine Schreibtafel heraus. Die Besichtigung begann. Nr. 1 Wohnhaus, das Dach defekt. – Nr. 2 Kuhstall, ein Fach der Lehmwand ausgefallen usw. – So ging es lange fort in unerquicklichem Betrachten und Hadern. Das geschäftsmäßige Wesen Antons und Begleiters übten zuletzt ihre Wirkung auf den Pächter, er wurde kleinlauter und murmelte sogar einige Entschuldigungen.

Als Anton den Wagen heranwinkte, sagte er dem Mann: »Ich gebe Ihnen vier Wochen Zeit, die bemerkten Übelstände zu beseitigen. Nach dieser Frist komme ich wieder.« Und vom Wagen aus rief Karl dem plumpen Manne zu: »Wollten Sie vielleicht die Güte haben, jetzt Ihre Mütze abzunehmen, wie ich es tue, dies ist der passende Augenblick. – So ist’s recht, mit der Zeit werden Sie das Ding schon lernen. Vorwärts, Kutscher! – Wenn Sie wiederkommen«, sagte er zu Anton, »wird der Mann sein wie ein Ohrwurm, der aus einer Pflaume kriecht. Er ist dick geworden auf dem Vorwerk.«

 

»Und das Hauptgut ist schlechter geworden durch ihn«, sagte Anton. – »Nach dem neuen Vorwerk!«

Ein dürftiges Wohnhaus, auf der einen Seite der lange Schafstall, auf der andern der Pferdestall und die Scheuer.

»Es ist merkwürdig«, sagte Karl, aus der Ferne auf die Gebäude sehend, »dieses Dach hat keine Löcher; dort in der Ecke ist ein Viereck von neuem Stroh eingesetzt. Bei Gott, das Dach ist ausgebessert.«

»Hier ist die letzte Hoffnung«, erwiderte Anton.

Als der Wagen vorfuhr, zeigte sich der Kopf einer jungen Frau am Fenster, neben ihr ein blondhaariger Kinderkopf, beide fuhren schnell zurück.

»Dies Vorwerk ist das Juwel des Gutes«, rief Karl und sprang über den Rand der Britschka herunter. »Hier sind deutliche Spuren einer Düngerstätte. Dort läuft ein Hahn und die Hennen hinterdrein, alle Wetter, ein regulärer Hahn mit einem Sichelschwanz. Und hier steht ein Myrtenstock am Fenster. Hurra, hier ist eine Hausfrau, hier ist Vaterland, hier sind Deutsche.«

Die Frau trat aus dem Hause, eine saubere Gestalt, gefolgt von dem krausköpfigen Knaben, der beim Anblick der Fremden schleunigst seine Finger in den Mund steckte und sich hinter der Schürze seiner Mutter verbarg. Anton fragte nach dem Mann. »Er kann Ihren Wagen vom Felde sehen, er wird sogleich hier sein«, sagte die errötende Frau. Sie bat die Herren in die Stube und stäubte mit ihrer Schürze eilig zwei Holzstühle ab. Es war ein kleines geweißtes Zimmer, die Möbel mit roter Ölfarbe gestrichen, aber sauber gewaschen, im Kachelofen brodelte der Kaffeetopf, in der Ecke tickte die Schwarzwälder Uhr, und auf einem kleinen Holzgestell an der Wand standen zwei gemalte Porzellanfiguren und einige Tassen, darunter wohl ein Dutzend Bücher; hinter dem kleinen Wandspiegel aber steckten die Fliegenklappe und eine Birkenrute, sorgfältig, mit rotem Band umwunden. Es war der erste behagliche Raum, den sie auf der weiten Gutfläche gefunden hatten.

»Ein Gesangbuch und eine Rute«, sagte Anton freundlich. »Ich hoffe, Sie sind eine brave Frau. Komm her, Blondkopf!« Er zog den verdutzten Knaben auf seinen Schoß und ließ ihn auf dem Knie reiten, im Schritt, im Trab und Galopp, bis der kleine Kerl sich entschloß, seine Hände anderswo unterzubringen als im Munde. »Er kennt das«, sagte die Frau erfreut, »sein Vater macht’s ihm gerade so, wenn er artig ist.«

»Sie haben eine schwere Zeit durchgemacht«, warf Anton hin.

»Ach, Herr«, rief die Frau, »als wir hörten, daß eine deutsche Herrschaft das Gut gekauft hätte und daß wir jetzt alles für Sie zusammenhalten müßten und daß Sie nächstens kommen würden und vielleicht hierher ziehen, da haben wir uns gefreut wie Kinder. Mein Mann war den ganzen Tag wie einer, der in der Schenke gewesen ist, und ich habe vor Freude geweint. Wir glaubten, daß jetzt Ordnung werden sollte, und man will doch wissen, für wen man arbeitet. Mein Mann hat ernsthaft mit dem Schäfer gesprochen – er ist auch aus unserer Gegend –, und die beiden Männer haben miteinander abgemacht, daß sie es nicht leiden wollen, wenn der Inspektor noch etwas verkauft. Und dasselbe hat mein Mann dem Inspektor gesagt. Aber niemand ist gekommen in vielen Wochen, wir haben alle Tage in der Schenke nachgefragt, und mein Mann ist in Rosmin beim Gericht gewesen und hat sich erkundigt, bis es zuletzt hieß, Sie würden gar nicht kommen und das Gut würde wieder verkauft werden. Da, es sind jetzt vierzehn Tage her, ist der Inspektor mit einem fremden Fleischer angefahren und hat verlangt, mein Mann solle ihm die Hammel übergeben. Mein Mann hat sich geweigert. Da haben sie ihm gedroht und mit Gewalt in den Schafstall gewollt. Und der Schäfer und mein Mann haben sich davorgestellt und die beiden zurückgeworfen. Darauf sind diese mit Flüchen weggefahren und haben gewettert, sie würden sich die Schafe doch holen. Seit der Zeit haben unsere Männer jede Nacht gewacht, dort hängt die geladene Flinte, die sich der Vogt dazu geborgt hat; und wenn des Schäfers Hund bellte und sich etwas im Hofe rührte, bin ich aufgefahren und habe um den Mann und das Kind eine fürchterliche Angst gehabt. Es sind gefährliche Menschen hier, Herr Oberamtmann, und Sie werden das auch finden.«

»Ich hoffe, vieles soll jetzt besser werden«, sagte Anton. »Ihr habt ein einsames Leben hier.«

»Es ist wohl einsam«, sagte die Frau. »Nach dem Dorfe kommen wir fast gar nicht und nur manchmal des Sonntags in die deutschen Dörfer, wenn wir zur Kirche geben. Aber es gibt immer im Hause zu schaffen, und«, fuhr sie verlegen fort, »ich will’s nur gerad heraussagen, wenn es Ihnen nicht recht ist, soll es auch aufhören. Ich habe einen kleinen Fleck hinter der Scheuer umgegraben, wir haben ihn eingezäunt und einen Garten daraus gemacht, da habe ich mir gezogen, was ich für die Küche brauchte, und dann«, fuhr sie stockend fort, »dann sind auch noch die Hühner – und auch ein Dutzend Enten, und wenn Sie nicht böse sein wollten, die Gänse auf der Stoppelweide und«, sie fuhr mit der Schürze an die Augen, »noch die Kuh und das Kalb.«

»Unser Kalb«, rief der kleine Blondkopf laut und schlug mit den Händen auf Antons Knie.

»Wenn Ihnen nicht recht ist, daß ich das Vieh für mich gehalten habe«, fuhr die Frau weinend fort, »so soll ja alles aufhören. Lohn haben mein Mann und der Schäfer seit der letzten Wollschur nicht bekommen, und was wir zum Leben gebraucht, das haben wir uns durch Verkauf schaffen müssen; aber mein Mann hat Rechnung geführt über alles und wird sie Ihnen vorlegen, damit Sie sehen, daß wir keine unehrlichen Leute sind.«

»Ich hoffe, es wird sich so ausweisen«, tröstete Anton die aufgeregte Frau. »Unterdes zeigen Sie mir Ihren Garten; wenn es möglich ist, sollen Sie ihn behalten.«

»Es ist nichts mehr darin«, sagte die Frau entschuldigend und führte die Gäste zu dem eingehegten Platz, dessen Beete schon in großen Schollen umgegraben waren für die Winterruhe. Sie beugte sich nieder und suchte von Blumen zusammen, was sie noch fand, einige Astern und ihren Stolz, die Herbstveilchen. Sie band einen Strauß und überreichte ihn Anton. »Weil Sie ein Deutscher sind«, sagte sie dabei mit freudigem Lächeln.

Im Hofe hörte man eilige Schritte. Der Vogt kam in der Arbeitsjacke mit geröteten Wangen heran und stellte sich vor. Es war ein junger stattlicher Mann von verständigem Wesen mit einem Zutrauen erweckenden Gesicht. Anton sagte ihm einiges Ermunternde, und im Diensteifer eilte der Mann ins Haus und brachte seine Rechnungen herzu.

»Erst betrachten wir die Wirtschaft«, sagte Anton, »die Bücher nehme ich mit, Ihr kommt morgen auf das Schloß, dort besprechen wir das Weitere.«

»Die Pferde sind auf dem Felde«, erklärte der Vogt, »ich selbst führe den einen Pflug, bei dem andern muß Schäfers Knecht helfen. Es sind nur vier Pferde hier, sonst standen zwölf in dem Stall. Wir haben in diesem Jahre wenig mehr gebaut als unser Deputat und Futter für das Vieh. Es fehlte an allem.«

Der Gang durch die Wirtschaftsräume war doch erfreulich, die Gebäude waren in erträglicher Ordnung, und die vorhandenen Vorräte gaben Hoffnung, die Herde über den Winter zu erhalten. Zuletzt öffnete der Vogt mit freudigem Gesicht eine Tür im Bodenraum des Wohnhauses und wies auf einen Haufen Erbsen. »Das Stroh haben Sie über dem Schafstall gesehen, hier sind die Erbsen selber, ich habe sie vor dem Inspektor versteckt, weil ich dachte, sie gehörten Ihnen. Es war Eigennutz dabei«, fuhr er ehrlich fort, »denn wir waren so gestellt, daß wir nichts erhielten, und ich mußte auf etwas denken, was diesem Vorwerk das Leben rettete, wenn der Winter keine Hilfe brachte.«

Купите 3 книги одновременно и выберите четвёртую в подарок!

Чтобы воспользоваться акцией, добавьте нужные книги в корзину. Сделать это можно на странице каждой книги, либо в общем списке:

  1. Нажмите на многоточие
    рядом с книгой
  2. Выберите пункт
    «Добавить в корзину»