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Soll und Haben

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Anton hatte seine Pistolen in die Rocktasche gesteckt, wo sie wieder trotzig hervorsahen, er gab sie jetzt einem Schützen, den der Leutnant Rothsattel herbeiwinkte. So zogen sie über die Brücke. Am Ende der Grenzbrücke parierte der Leutnant unwillig sein Pferd und brummte: »Diese Pfeffersäcke rücken eher ein als wir«, und der Rittmeister rief ihnen noch nach: »Sollten Ihre Personen in Gefahr kommen, so werde ich es für keine Überschreitung meiner Order halten, wenn ich Ihnen Leutnant von Rothsattel mit Mannschaft zu Hilfe schicke.« Der Leutnant stob zurück und kommandierte den Zug, welcher in einiger Entfernung hielt, sehr kampflustig: »Still gesessen!«, worauf er wieder bis an das Ende der Brücke vorsprengte und mit großem Interesse und kriegerischer Ungeduld den Zivilisten nachsah. Zu seiner und des Kriegsheeres Ehre muß an dieser Stelle bekannt werden, daß sowohl er als sein Zug den Einrückenden warmen Empfang und ernste Unbequemlichkeiten herbeiwünschten, damit sie selbst das Recht erhielten, sich hineinzumengen und ein wenig einzuhauen.

Es war kein imponierender Einmarsch in das feindliche Gebiet, den die Kaufleute anführten; mit einer gewissen Gemütlichkeit im ruhigen Schritt seine Zigarre anzündend ging der Prinzipal voran, ihm dicht zur Seite Anton, dahinter drei stämmige Fuhrleute mit den Pferden. So waren sie ungefähr auf dreißig Schritt einigen Bauern mit weißen Kitteln nahe gekommen, als diese ihre Gewehre anschlugen und durch einen polnischen Schrei Halt geboten. Der Prinzipal rief mit lauter Stimme in ihrer Sprache: »Ruft euern Anführer.« Gehorsam schrie einer von den Wilden mit heftiger Handbewegung einem entfernten Haufen zu. Die anderen behielten mit drohender Haltung ihre Gewehre im Anschlag und zielten, wie Anton ohne besonderes Wohlgefallen bemerkte, unter heimtückischem Augenblinzeln sämtlich gerade auf ihn. Unterdes kam mit großen Schritten der Anführer der Bande heran. Er trug einen blauen Rock mit bunten Schnüren, eine viereckige rote Mütze mit grauem Pelz besetzt und hielt eine lange Entenflinte in der Hand. Er war im ganzen betrachtet ein brauner Kerl von gefährlichem Aussehen, verziert mit einem schwarzen Schnurrbart, der ihm auf beiden Seiten am Mund herunterhing. Als der Mann herangekommen war, redete ihn der Kaufmann in unvollkommenem Polnisch mit kräftiger Stimme an: »Wir sind Freunde! Ich bin der Herr des Wagens dort und will mir ihn herüberholen; sagt Euern Leuten, daß sie mir dabei helfen, Ihr sollt ein gutes Biergeld haben.« Bei dem Wort ›Biergeld‹ senkten sich die Gewehre hochachtungsvoll von selbst. Der Hauptkrakuse aber stellte sich pathetisch in die Mitte der Heerstraße und begann eine Rede mit Handbewegungen, von welcher Anton sehr wenig und sein Prinzipal nicht alles verstand, die aber durch den Fuhrmann dahin erklärt wurde, der Mann bedaure, dem Herrn nicht dienen zu können, er habe Befehl von einem dahinter stehenden Korps, den Wagen zu bewachen, bis die Pferde ankämen, welche ihn nach ihrer Stadt schaffen sollten.

Der Kaufmann schüttelte gemütlich den Kopf und antwortete im Tone des ruhigen Befehls: »Das geht nicht, der Wagen gehört mir, und ich muß ihn mitnehmen, ich kann nicht so lange warten, bis Euer Führer mir die Erlaubnis gibt.« Dabei griff er in die Tasche und hielt dem insurgierten Bewohner des blauen Rockes ungesehen von den andern ein halbes Dutzend harte Taler hin: »Soviel für Euch und ebensoviel für Eure Leute.« Der Anführer sah auf die Taler, fuhr mit der Hand nach dem Kopfe, kraute sich heftig und drehte an seiner Mütze, worauf er endlich zu dem Resultat kam: Wenn die Sache so sei, möge der gnädige Herr den Wagen nur fortnehmen.

Im Triumph zog die Karawane zu dem Wagen, die Fuhrleute ergriffen die Hebebäume und hoben mit vereinter Kraft die gesenkte Seite in die Höhe, lösten die Trümmer des alten Rades, setzten das neue an und spannten die Pferde vor, alles unter tätiger Mitwirkung einiger Bauern, brüderlich unterstützt von dem Kommandeur, welcher in eigener Person einen Hebebaum regierte. Darauf wurden die Pferde herzhaft angetrieben, und der Wagen rollte der Brücke zu unter lautem Hoi! hoi! des Krakusen, welcher dadurch vielleicht eine abmahnende Stimme in seinem Innern überschreien wollte.

»Gehen Sie mit dem Wagen voraus«, sagte der Kaufmann zu Anton, und da Anton zögerte, seinen Prinzipal allein unter den Bauern zurückzulassen, fügte dieser befehlend hinzu: »Ich will es haben.« So fuhr der Wagen langsam an die Grenze, und schon von weitem hörte Anton das Lachen und die Grüße der Soldaten.

Unterdes blieb der Kaufmann in eifrigem Gespräch mit dem Dolmetsch und dem Bandenführer zurück und schied endlich im besten Einvernehmen von dem Insurgenten, welcher mit slawischer Höflichkeit den Hauswirt auf der Landstraße machte und die Reisenden mit abgezogener Mütze bis in die Schußweite von dem Militär begleitete. An der Brücke holte der Prinzipal den Wagen ein, machte das Halt! Wer da! der Vedetten und das damit verbundene kriegerische Zeremoniell durch und empfing auf heimatlichem Boden den lachenden Glückwunsch des Rittmeisters, während der Leutnant spöttisch zu Anton sagte: »Sie haben keinen Grund gehabt, die Abwesenheit Ihrer Schlüsselbüchsen zu bedauern.«

»Es ist besser so«, antwortete Anton, »es war ein glattes Geschäft. Die armen Teufel haben nichts gestohlen als ein kleines Faß Rum.«

Eine Stunde darauf saßen die Reisenden mit den Offizieren der Reiter und der Jäger zusammen in dem kleinen Verschlage der Schenke bei einigen Flaschen alten Ungarweins, welche der Wirt aus dem tiefsten Winkel seines Kellers heraufgeholt hatte. Nicht am wenigsten vergnügt war Anton. Er hatte zum erstenmal in seinem Leben eine kleine anständige Kriegsgefahr durchgemacht und war im ganzen mit sich zufrieden, und jetzt saß er neben einem jungen Krieger, den er hochzuschätzen äußerst bereitwillig war, und hatte die Freude, diesem seine Zigarre anzubieten und von dem Abenteuer dieses Tages zu sprechen.

»Die Bauern haben ja im Anfang auf Sie angelegt«, sagte der junge Herr, nachlässig sein Bärtchen kräuselnd, »das war Ihnen wohl unbequem?«

»Nicht sehr«, erwiderte Anton so kühl als möglich; »einen Augenblick wurde ich stutzig, als die Flinten auf uns gerichtet waren und hinter den Flinten andere Männer mit ihren Sensen die Pantomime des Kopfabschneidens machten. Es kam mir befremdlich vor, daß die Mündungen alle gerade auf mein Gesicht gerichtet waren. Nachher hatte ich am Wagen zu tun und dachte nicht mehr daran. Und als auf dem Rückwege jeder unserer Fuhrleute behauptete, daß gerade nur auf ihn gezielt worden sei und auf keinen andern, da kam ich zur Ansicht, daß diese Vielseitigkeit eine besondere Eigenschaft der Flintenläufe sein muß, eine Art von optischer Ungezogenheit, die nicht viel zu bedeuten hat.«

»Wir hätten Sie schon herausgehauen, wenn die Bauern Ernst gemacht hätten«, antwortete der Leutnant wohlwollend. »Ihre Zigarren sind übrigens gut.«

Anton freute sich darüber und goß seinem Nachbar das Glas voll. So unterhielt er sich und blickte auf seinen Prinzipal, der heute besonders aufgelegt war, sich mit den bunten Herren über Krieg und Frieden zu unterhalten. Anton sah, daß der Kaufmann die Offiziere mit einer gewissen förmlichen Artigkeit behandelte, welche dem nachlässigen Ton, in welchem die Herren die Trinkgesellschaft begonnen hatten, wirksam steuerte. Bald wurde das Gespräch allgemein, und man hörte mit Aufmerksamkeit dem Kaufmann zu, welcher von dem insurgierten Gebiet, mit dem er durch frühere Reisen bekannt war, erzählte und einzelne Führer des Aufstandes zu schildern wußte.

Nur der junge Herr von Rothsattel schien zu Antons großer Betrübnis nicht zufrieden mit der Anerkennung, welche seine Kameraden dem Zivilisten gönnten, und mit dem Löwenanteil, den dieser an der Unterhaltung erlangt hatte; er legte sich nachlässig in seinen Stuhl zurück, sah wie zerstreut nach der Decke, spielte mit dem Säbelgriff und warf kurze Bemerkungen von den Lippen, welche eine gelangweilte Stimmung andeuten sollten. Als der Rittmeister erwähnte, daß er am nächsten Morgen den Befehlshaber des Grenzkorps erwarte, und der Kaufmann darauf entgegnete: »Ihr Oberst wird vor morgen abend nicht hier eintreffen, wenigstens hat er mir heut auf der Eisenbahn, wo ich mit ihm zusammentraf, so erzählt«, da kam in dem jungen Offizier der Teufel des Hochmuts zum Durchbruch, und er sagte mit unartigem Ton: »Sie kennen unsern Obristen also persönlich? Er nimmt ja wohl seinen Zucker und Kaffee bei Ihnen?«

»Wenigstens geschah das früher«, sagte der Kaufmann artig, »ich selbst habe als junger Mann einigemal den Kaffee für ihn abgewogen.«

Unter den Offizieren entstand eine gewisse Verlegenheit, und einer der ältern versuchte von seinem Standpunkt aus eine Verbesserung der beabsichtigten Grobheit, indem er etwas von einer höchst respektablen Handlung sprach, bei welcher jeder Militär oder Nichtmilitär seinen Bedarf nur mit Vergnügen entnehmen könnte.

»Ich danke Ihnen für das gute Zutrauen, welches Sie zu meinem Geschäft haben, Herr Hauptmann«, sagte der Kaufmann lächelnd; »ich bin allerdings stolz darauf, daß mein Geschäft respektabel geworden ist durch meine und meiner Angehörigen angestrengte Tätigkeit.«

»Leutnant Rothsattel! Sie führen die nächste Patrouille, es ist Zeit, daß Sie aufbrechen«, erinnerte der Rittmeister. Klirrend erhob sich der Leutnant.

»Hier bringt Herr Warschauer eine neue Flasche, auf welche er große Stücke hält, es ist der beste Wein seines Kellers. Darf Herr von Rothsattel nicht erst den Wein versuchen, bevor er unsere Nachtruhe bewacht?« fragte der Kaufmann mit ruhiger Artigkeit zum Rittmeister gewandt. Der junge Herr dankte mit Trotz und ging rasselnd aus der Stube. Anton hätte seinen Liebling prügeln mögen, so zornig war er auf ihn. Der Rittmeister aber beseitigte das kleine Zwischenspiel durch ein lebhaftes Gespräch, welches er einleitete.

Es war spät geworden, und Anton sah mit Verwunderung, daß der Kaufmann fortfuhr, mit ausgesuchter Artigkeit den Wirt zu machen und an dem Prüfen des Ungarweins ein Behagen zu empfinden, welches mit dem Zwecke seiner Reise nicht recht verträglich war. Endlich, nachdem eine neue Flasche entkorkt war und auch der Rittmeister eine neue Zigarre des Kaufmanns bewundert hatte, warf dieser leicht hin: »Ich wünsche morgen nach der insurgierten Hauptstadt zu reisen und erbitte mir Erlaubnis dazu, wenn diese nötig ist.«

 

»Sie wollen –«, riefen die Offiziere rund um den Tisch.

»Ich muß«, sagte der Kaufmann mit Ernst und setzte ihnen kurz auseinander, weshalb er müsse.

Der Rittmeister schüttelte den Kopf: »Zwar läßt der Wortlaut meiner Order zweifelhaft, ob ich die Grenze für jedermann zu verschließen habe, doch ist mir Absperrung des empörten Landes als der nächste Zweck unserer Aufstellung angegeben.«

»Dann würde ich meinen Wunsch dem Kommandeur vortragen müssen, das würde mich länger als einen Tag aufhalten, und dieser Aufenthalt könnte den Zweck meiner Reise vereiteln. Wie Sie gütig mir mitteilten, herrscht gegenwärtig unter den Insurgenten noch erträgliche Ordnung, es ist unmöglich, daß diese lange anhält. In den Rücksichten aber, welche ich dort finde, liegt für mich die einzige Möglichkeit, meine Waren zu retten, denn die Frachtwagen kann ich nur mit Bewilligung der revolutionären Behörde aus der Stadt schaffen.«

»Und hoffen Sie diese zu erlangen?« fragte der Rittmeister.

»Es muß versucht werden«, antwortete der Kaufmann. »Jedenfalls werde ich mich der Plünderung und Zerstörung meines Eigentums dort nach Kräften widersetzen.«

Der Rittmeister überlegte. »Was Sie tun wollen, setzt mich in einige Verlegenheit; wenn Ihnen ein Unglück zustößt, was ich fast fürchte, so könnte mir ein Vorwurf daraus gemacht werden, daß ich Ihnen gestattet habe, die Grenze zu passieren. Kann Sie denn nichts bewegen, die Reise zu unterlassen?«

»Nichts«, erwiderte der Kaufmann, »nichts als das Gesetz.«

»Liegt Ihnen denn so viel an den Frachtwagen, daß Sie Ihr Leben dafür in die Schanze schlagen wollen?« fragte der Rittmeister nicht ohne inneres Mißfallen.

»Ja, Herr Rittmeister, ebensoviel, als Ihnen daran liegt, Ihre Pflicht zu tun; es hängt für mich mehr an dem Besitz dieser Frachtwagen als ein geschäftlicher Vorteil. Ich muß hinüber, wenn mich nicht ein unbedingtes und unwiderrufliches Verbot der Staatsregierung daran hindert. Diesem würde ich mich zuletzt nicht entziehen, ich werde aber alles versuchen, für mich eine Ausnahme zu erwirken.«

»Wohlan«, sagte der Rittmeister aufstehend, »ich will Ihrer Reise kein Hindernis in den Weg legen. Sie werden mir Ihr Ehrenwort geben, daß Sie drüben unter keiner Bedingung etwas über die Stärke des Grenzpostens, die Aufstellung unserer Truppen und über das mitteilen, was Sie etwa von unsern projektierten Maßregeln gehört haben.«

»Ich gebe mein Wort«, sagte der Kaufmann.

»Ihre Persönlichkeit bürgt mir zwar dafür, daß Ihre Angaben über den Zweck der Reise die richtigen sind, zu meiner dienstlichen Information wünsche ich aber die betreffenden Papiere zu sehen, wenn Sie solche bei sich haben.«

»Hier sind sie«, sprach der Kaufmann ebenso geschäftsmäßig. »Hier mein Paß ins Ausland auf ein Jahr, hier der Verladeschein des polnischen Verkäufers, die Kopien meiner Briefe an das Grenzzollamt und den hiesigen Spediteur und hier dessen Antwort. Die Beamten des Grenzzollamts und der Spediteur können außerdem die Wahrheit dieser Angaben bezeugen.«

Der Rittmeister durchflog die Papiere und gab sie zurück. »Sie sind ein mutiger Mann, und ich wünsche Ihnen alles Glück«, sagte er mit amtlicher Würde. »Und wie wollen Sie reisen?«

»Mit Postpferden. Im Falle man mir die Pferde verweigert, werde ich sie kaufen und selbst fahren; einen Wagen wird mir unser Wirt überlassen, ich werde morgen bei Tage reisen, weil ich bei Nacht noch mehr Verdacht erwecken würde.«

»Wohlan, morgen bei Tagesanbruch sehe ich Sie wieder. Wie ich annehme, rücken wir selbst spätestens in drei Tagen in Feindesland; falls ich bis dahin keine Nachricht von Ihnen habe, werde ich Sie in der eroberten Stadt aufsuchen. Wir brechen auf, meine Herren, die Sitzung hat bereits zu lange gedauert.«

So zogen die Herren vom Militär mit geschäftigem Klirren ab, und Anton und sein Prinzipal blieben mit den leeren Weinflaschen allein in der Kammer. Der Kaufmann öffnete das Fenster und wandte sich dann zu Anton, welcher den letzten Verhandlungen in großer Aufregung zugehört hatte. »Wir werden uns hier trennen, lieber Wohlfart«, fing er an.

Bevor er aussprechen konnte, ergriff Anton seine Hand und sagte mit Tränen in den Augen: »Erlauben Sie mir, mit Ihnen zu gehen, schicken Sie mich nicht in das Geschäft zurück. Es würde mir mein ganzes Leben hindurch ein unerträglicher Vorwurf sein, wenn ich auf dieser Reise von Ihnen gegangen wäre.«

»Es ist unnütz, vielleicht unklug, wenn Sie mitreisen. Was dort zu tun ist, kann ich sehr gut allein abmachen; wenn irgendeine Gefahr ist, was ich nicht glaube, so kann Ihre Gegenwart mich nicht davor schützen, ich würde nur das peinliche Gefühl haben, daß ich einen andern um meinetwillen in Verlegenheit gebracht habe.«

»Ich würde Ihnen doch sehr dankbar sein, wenn Sie mich mitnehmen wollten«, bat Anton flehentlich, immer noch die Hand des Prinzipals haltend. »Auch Fräulein Sabine hat es gewünscht«, fügte er hinzu, indem er in weiser Steigerung den stärksten Überredungsgrund zuletzt aus seinem bewegten Gemüt heraufholte.

»Sie ist ein furchtsames Mädchen«, sagte der Kaufmann lächelnd. »Indes, da Sie so freundschaftlich darauf bestehen, mag es sein. Wir reisen zusammen; rufen Sie den Wirt und lassen Sie uns die Reisegelegenheit besprechen.«

2

Es war noch dämmrige Nacht, als Anton vor die Tür der Schenke trat. Ein dichter Nebel hing über der Ebene und bewegte sich unruhig in dem Zwielicht des nahen Tages; unten am Horizont bezeichnete ein roter Feuerschein die Gegend, nach welcher die Reisenden fahren sollten. Mit grauem Schleier verhüllten die Dämpfe der Nacht einen dunklen Haufen an der Erde. Anton trat näher und erkannte eine Anzahl Männer, Weiber und Kinder, sie kauerten am Boden, bleiche, ausgehungerte, tiefgefurchte Gesichter. »Sie sind aus dem Grenzhof von jenseits«, erklärte ihm ein alter Wachtmeister, welcher in seinem Reitermantel daneben stand. »Ihre Dörfer brennen, sie waren in die Wälder gelaufen, heut nacht kamen sie an das Wasser, streckten die Hände aus und schrien jämmerlich nach Brot. Weil es meist Weiber und Kinder sind, hat der Herr Rittmeister ihnen erlaubt, herüberzukommen, und hat ihnen einige Brote zerschneiden lassen. Sie haben einen Mordheißhunger. Nach ihnen kamen größere Banden, alle schrien: Brot! Brot! und rangen die Hände. Wir haben ihnen einige Pistolenschüsse über die Köpfe gefeuert und sie weggefegt.«

»Ei«, sagte Anton, »das ist eine tröstliche Aussicht für unsere Reise. Was soll hier aus den armen Leuten werden?«

»Es sind Grenzteufel«, sagte der Wachtmeister begütigend, »die Hälfte des Jahres schmuggeln und saufen sie, und die andere Hälfte hungern sie. Diese hier frieren jetzt etwas.«

»Kann man ihnen nicht einen Kessel mit Suppe kochen?« fragte Anton mitleidig und griff nach seiner Tasche.

»Wozu Suppe?« fragte der Wachtmeister kaltblütig. »Ein Schluck Branntwein wäre der ganzen Gesellschaft lieber; dort trinkt alles Branntwein, auch was noch Säugling ist; wenn Sie etwas dranwenden wollen, ich will’s ihnen austeilen und einen ehrlichen Soldaten nicht vergessen.«

»Ich werde beim Wirt bestellen, daß die Hausmagd etwas Warmes kocht, und Sie, Herr Wachtmeister, haben die Güte, zuzusehen, daß alles in Ordnung zugeht.« Dabei griff er in die Tasche, und der Wachtmeister versprach bereitwillig, sein kriegerisches Herz dem Mitleid offenzuerhalten.

Eine Stunde darauf rollten die Reisenden in offener Britschka durch die Vorposten, der Kaufmann fuhr, Anton saß hinter ihm und blickte spähend in die Landschaft hinein, in welcher sich aus Finsternis und Nebel bereits einzelne Gegenstände erkennen ließen. Ungefähr zweihundert Schritt waren sie gefahren, da tönte hinter einem dicken Weidenbaum an der Landstraße ein polnischer Zuruf. Der Kaufmann hielt die Pferde an, ein einzelner näherte sich vorsichtig dem Wagen. »Kommt herauf, guter Freund«, rief der Kaufmann dem Fremden zu, »setzt Euch neben mich.« Höflich nahm der Fremde seine Mütze ab und schwang sich auf den Vordersitz des Wagens. Es war der oberste Krakuse von gestern mit seinem hängenden Schnauzbart. »Haben Sie ein Auge auf ihn«, sagte der Kaufmann in englischer Sprache zu Anton, »er soll uns als Schutzgarde dienen und wird dafür bezahlt; wenn er mir auf den Leib rückt, so fassen Sie ihn von hinten.«

Anton holte die verachteten Pistolen aus einer alten Ledertasche an der Seite des Wagens und steckte sie vor den Augen des Krakusen recht sichtbar in die Taschen seines Paletots. Der Führer im blauen Rock aber lachte vertraulich und erwies sich bald als ein Geschöpf von freundschaftlicher und geselliger Natur, er nickte verbindlich beiden Reisenden zu, trank Schlucke aus Antons Reiseflasche und machte Versuche, über seine linke Schulter mit diesem eine Unterhaltung anzuknüpfen, indem er ihn in gebrochenem Deutsch Euer Gnaden nannte und ihm offenbarte, er rauche auch Tabak, habe aber keinen. Zuletzt bat er um die Ehre, die Herren fahren zu dürfen.

So waren sie an einer Gruppe verfallener Häuser vorbeigekommen, welche an einem Sumpf auf kahler Fläche standen wie riesige Pilze, die an einer vergifteten Stelle in die Höhe geschossen sind; da sahen sie sich plötzlich von einem Haufen Insurgenten umringt. Es war Landsturm, wie sie ihn schon am Tage vorher gesehen hatten, einige Dreschflegel, einige gerade Sensen, alte Musketen, Leinwandkittel, viel Schnapsgeruch und glotzende Augen. Der Haufe fiel den Pferden in die Zügel und schickte sich mit Blitzesschnelle an, diese abzuspannen. Da erhob sich der Krakuse von seinem Sitz wie ein Löwe und entwickelte in seinem Polnisch eine ungeheure Beredsamkeit, wobei er mit Händen und Füßen nach allen Seiten hin focht. Er erklärte, daß diese Herren große Herren der Niemcy seien, welche nach der Hauptstadt reisten, weil sie mit der Regierung sprechen müßten; es werde jedem den Kopf kosten, der auch nur ein Haar aus dem Schwanze ihrer Pferde ausrisse. Auf diese Rede folgten ebenso lebhafte Gegenreden, bei denen ein Teil die Fäuste ballte, ein Teil die Mützen abnahm. Darauf hielt der Führer eine noch stärkere Rede und stellte allen Patrioten ein Zerschnittenwerden in vier Teile in Aussicht, wenn sie wagen würden, auch nur ihre Pferdeköpfe scheel anzusehen. Darauf wurde die Zahl der geballten Fäuste geringer und die Zahl der gezogenen Mützen größer. Endlich machte der Kaufmann dieser Szene ein Ende, indem er die Pferde mit einem kräftigen Peitschenschlag antrieb und den letzten widerspenstigen Patrioten zu einem schnellen Seitensprung veranlaßte. Im Galopp stoben die Pferde vorwärts, einige lebhafte Interjektionen klangen hinter ihnen her, und eine Kugel pfiff unschädlich über die Häupter der Reisenden, wahrscheinlich mehr aus allgemeiner Vaterlandsliebe als zu einem bestimmten Zweck abgeschossen.

So ging es einige Stunden fort. Nicht selten überholten sie Haufen bewaffneter Landleute, welche entweder schrien und ihre Knittel schwangen oder einem Geistlichen mit der Kirchenfahne nachzogen, die Köpfe gesenkt, geistliche Lieder singend. Die Reisenden wurden einige Male aufgehalten und bedroht, zuweilen auch mit großer Ehrerbietung begrüßt, zumal Anton, der auf seinem Hintersitz für die Hauptperson galt.

Endlich näherten sie sich einem größeren Dorf, die Haufen wurden dicker, das Geschrei lauter, unter den Bauernkitteln waren hier und da eine Uniform, Federbüsche und Bajonette sichtbar. Hier zeigte der Führer Symptome von Unruhe und erklärte dem Kaufmann, weiter könne er sie nicht führen, hier müßten sie sich bei dem Befehlshaber melden. Der Prinzipal zeigte sich damit zufrieden, zahlte dem Führer seinen Lohn aus und ließ den Wagen bei dem ersten Haufen, welcher die Straße besetzt hielt, halten. Ein junger Mann in blauer Pekesche, mit einer rot und weißen Schärpe um den Leib, eilte heran, nötigte die Reisenden abzusteigen und führte sie mit leidenschaftlichem Diensteifer der Hauptwache zu. Der Kaufmann behielt die Zügel der Pferde in der Hand und raunte Anton zu, er solle den Wagen unter keinen Umständen aus den Augen lassen. Anton heuchelte Unbefangenheit und drückte dem getreuen Krakusen, der hinter dem Wagen herschlich, etwas in die Hand, damit dieser den Pferden einige Büschel Heu verschaffe.

Das Wachtlokal war in einem Hause, dessen Strohdach durch den weißen Anstrich der Wände einen vornehmen Schimmer erhielt. Dort standen einige Jagdflinten und Musketen an Holzpfähle gelehnt, bewacht von einem jugendlichen Volontär in blauem Rock und roter Mütze. Daneben saß der kommandierende Offizier, ein plattes Gesicht unter einem mächtigen weißen Federbusch; er war mit einer ungeheuren seidenen Schärpe und einem Säbel mit schöngewundenem Korbgriff geschmückt. Dieser Herr geriet in nicht gewöhnliche Aufregung, als er die Fremden erblickte, er drückte seinen Hut fest, strich sich grimmig den unordentlichen Bart und begann ein Verhör. Nach früherer Verabredung sagten ihm beide Reisende, daß sie das Oberkommando in wichtiger Angelegenheit zu sprechen hätten. Über den Zweck ihrer Reise verweigerten sie jede Auskunft. Diese Erklärung kränkte die Würde des Befehshabers. Er machte lieblose Anspielungen auf verdächtige Menschen und Spione und schrie seiner Wache zu, ins Gewehr zu treten. Fünf junge Männer in blauen Pekeschen stürzten aus dem Hause, stellten sich in Linie auf und wurden mit einem Aufwand von Kommandowörtern befehligt, ihre Gewehre bereit zu halten. Anton sprang unwillkürlich zwischen die Blauröcke und seinen Prinzipal. Indes änderte der Herr mit dem großen Säbel seinen mörderischen Entschluß, als der Kaufmann mit Gemütsruhe an dem Pfosten stehenblieb, um den er die Zügel geschlungen hatte. Der Befehlshaber begnügte sich, ihm nochmals zu versichern, er halte ihn für höchst gefährlich und sei sehr geneigt, ihn als Verräter füsilieren zu lassen.

 

Der Kaufmann zuckte mit den Achseln und sagte in ruhiger Höflichkeit: »Sie sind durchaus im Irrtum über den Zweck unserer Reise. Sie können uns nicht im Ernst für Spione halten, denn wir haben uns durch einen Ihrer Landsleute gerade zu Ihnen führen lassen, um durch Ihre Güte ein Geleit nach der Hauptstadt zu bekommen. Ich bitte Sie nochmals, uns nicht aufzuhalten, da unsere Geschäfte bei der Kommandantur dringend sind und ich Sie für jede unnütze Verzögerung unserer Reise verantwortlich machen müßte.« Der Kommandeur fing nach dieser Rede von neuem an zu wettern, er schnaubte heftig gegen den Kaufmann und Anton, trank endlich ein großes Glas Branntwein und faßte einen Entschluß. Er rief drei seiner Leute und befahl ihnen, sich mit den Reisenden aufzusetzen und diese nach der Hauptstadt zu transportieren. Ein neues Strohbund wurde in den Wagen geworfen, zwei eingezogene Burschen nahmen mit ihren Gewehren Platz hinter den Reisenden, vor ihnen setzte sich ein weißröckiger Bauer auf den Kutschersitz, ergriff die Zügel und fuhr gleichgültig seine Ladung, Verdächtige, Patrioten und alles, im Galopp nach der Hauptstadt.

»Unsere Lage hat sich verschlechtert«, sagte Anton, »fünf Mann auf dem kleinen Wagen, und die armen Pferde sind ermüdet.«

»Ich sagte Ihnen, daß unsere Reise einige Unbequemlichkeiten haben würde«, antwortete der Kaufmann. »Die Menschen sind nie lästiger, als wenn sie Soldaten spielen. Übrigens ist diese Bewachung kein Unglück, wir werden wenigstens bei solcher Empfehlung in die Stadt gelassen werden.«

Es war Abend, als sie in der Nähe der Stadt ankamen. Ein rötlicher Schein am Himmel bezeichnete schon aus der Ferne das Ziel ihrer Fahrt, dann zahlreiche bewaffnete Banden, welche in die Stadt hinein oder von ihr her zogen. Darauf folgten ein langer Aufenthalt an dem Tore, ein Durcheinander von Fragen und Antworten, Beleuchtung der Reisenden durch Laternen und brennende Kienspäne, feindselige Blicke und unverständliche Drohungen, endlich eine lange Fahrt durch die Straßen der alten Hauptstadt. Um sie herum bald Totenstille, bald ein wildes Geschrei zusammengelaufener Menschen, doppelt unheimlich, wenn die Worte den Hörenden unverständlich waren.

Zuletzt lenkte der Kutscher auf einen Marktplatz und hielt vor einem stattlichen Hause. Die Reisenden wurden durch ein Gedränge bunter Uniformen, beschnürter Röcke und heller Kittel gezogen und eine breite Treppe hinaufgedrängt. Dort stieß man sie in ein großes Zimmer und stellte sie einem Herrn mit weißen Glacéhandschuhen gegenüber, welcher in einen schriftlichen Rapport sah und ihnen kurz ankündigte, daß sie nach dem Bericht des Stationskommandanten der Spionage verdächtig wären und vor einem Kriegsgericht verhört werden sollten. Der Kaufmann antwortete sogleich mit kräftigem Unwillen: »Dann bedaure ich, daß Ihr Untergebener eine große Unwahrheit gemeldet hat, denn wir haben die Reise bei hellem Tage auf der großen Landstraße bis hierher gemacht, in der bestimmten Absicht, Ihren Kommandierenden zu sprechen; mein sind die Pferde und mein der Wagen, welche mich vor dieses Haus gebracht haben, und es war eine überflüssige Höflichkeit Ihres Stationskommandanten, daß er mir solche Begleitung mitgegeben hat. Ich wünsche den Herrn, welcher hier befehligt, sobald als möglich zu sehen, nur ihm werde ich den Zweck meiner Reise mitteilen; haben Sie die Güte, ihm meinen Paß einzuhändigen.«

Der Herr sah in den Paß und fragte mit mehr Rücksicht, auf Anton blickend: »Aber dieser Herr? Er hat das Aussehen eines Offiziers Ihrer Armee.«

»Ich bin ein Kommis des Herrn Schröter«, erwiderte Anton mit einer Verbeugung, »und durch und durch zivil.«

»Warten Sie«, sprach der junge Mann von oben herab und ging mit dem Paß in ein Nebenzimmer.

Da er einige Zeit ausblieb und niemand die Reisenden hinderte, setzten sie sich auf eine Bank und nahmen die sicherste Miene an, welche ihnen möglich war. Anton warf einen besorgten Blick auf seinen Prinzipal, welcher finster vor sich niedersah, und betrachtete dann verwundert seine Umgebung. Es war ein hohes Zimmer, die Decken mit Stuck und Malerei verziert, die Wände verräuchert und beschmutzt, Tische, Stühle und Bänke standen unordentlich umher, sie schienen aus einem Schenkhause herzugeschleppt; an den Tischen beugten sich einige Schreiber über ihre Papiere, und an den Wänden saßen und lagen Bewaffnete, sie schliefen oder sprachen laut miteinander, zum Teil in französischer Sprache. Das heruntergekommene Zimmer in der trüben Beleuchtung machte auf Anton keinen ermutigenden Eindruck, und leise sagte er zu dem Kaufmann: »Wenn Revolution so aussieht, sieht sie häßlich genug aus.«

»Sie verwüstet immer und schafft selten Neues. Ich fürchte, die ganze Stadt gleicht dieser Stube. Die gemalten Wappen an der Decke und die schmutzige Bank, auf der wir sitzen, wenn solche Gegensätze zusammenkommen, dann darf ein ehrlicher Mann sein Kreuz schlagen. Der Adel und der Pöbel sind jeder einzelne schlimm genug, wenn sie für sich Politik treiben; sooft sie sich aber miteinander vereinigen, zerstören sie sicher das Haus, in dem sie zusammenkommen.«

»Die Vornehmen sind uns unbequemer«, sagte Anton, »ich lobe mir unsern Krakusen, der war ein höflicher Insurgent, und er hatte ein Herz für ein Achtgroschenstück, die Herren hier aber verfahren durchaus nicht geschäftsmäßig.«

»Warten wir ab«, sprach der Prinzipal.

Eine Viertelstunde war vergangen, da trat ein junger Mann von schlankem Wuchs und stattlichem Aussehen, gefolgt von dem Herrn mit den weißen Händen, aus dem Nebenzimmer, schritt artig auf den Kaufmann zu und sagte mit lauter Stimme, so daß auch die Schläfer auf den Bänken ihn hören mußten: »Ich freue mich, Sie hier zu sehen, ich habe so etwas erwartet; haben Sie die Güte, mir mit Ihrem Begleiter zu folgen.«

›Wetter, unsere Aktien steigen!‹ dachte Anton. Sie folgten dem majestätischen Redner in ein kleines Eckzimmer, welches gewissermaßen das Boudoir des Hauptquartiers war; denn es standen eine Ottomane darin, weich gepolsterte Sessel und ein zierlicher Schreibtisch von seltenem Holz. Verschiedene Anzüge und Uniformen hingen unordentlich über den Möbeln, und auf dem Tisch lag neben Papieren ein niedliches, kostbar ausgelegtes Taschenterzerol mit zwei Läufen und ein großes Petschaft von buntem Stein, in Gold eingefaßt.

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