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Soll und Haben

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Der Freiherr und Ehrenthal traten in das Zimmer des Kranken, hinter ihnen schob sich Itzig herein und fuhr längs der Wand bis an das Fenster, hinter das Haupt Bernhards, damit dieser ihn nicht erblickte. Der Freiherr setzte sich zu Häupten des Lagers, der Vater an das Fußende; aus der Lampe fiel ein mattes Licht auf die Parteien, welche zu dem Todkranken kamen, um über Kapital und Sicherheit zu hadern. Der Edelmann begann mit höflicher Rede, er erinnerte sich der früheren Besuche Bernhards und sprach von der Hoffnung, ihn bald wieder auf seinem Gute zu begrüßen, aber seine Augen sahen furchtsam auf das entstellte Gesicht, und in ihm rief eine Stimme: es war die höchste Zeit. Bernhard saß aufgerichtet in seinem Bett, den Kopf zur Brust hinabgeneigt, er erhob die Hand und unterbrach die Rede des Freiherrn: »Bitte, Herr Baron, sagen Sie mir, was Sie von meinem Vater wollen, und nehmen Sie Rücksicht darauf, daß ich kein Geschäftsmann bin.«

Der Freiherr setzte ihm das auseinander, Ehrenthal versuchte ihn oft zu unterbrechen, aber Bernhard winkte mit der Hand, worauf der Alte wieder abbrach und sich begnügte, heftig den Kopf zu schütteln und vor sich hin zu brummen.

Als der Freiherr geendet hatte, winkte Bernhard seinem Vater: »Komm näher heran, höre ruhig auf meine Worte.« Der Vater fuhr mit seinem Ohr bis nah an den Mund des Sohnes. »Was ich sage«, sprach Bernhard leise, »ist mein fester Wille, und nicht erst heut bin ich zu dem Entschluß gekommen. Wenn du Geld erworben hast, so war dein Gedanke, daß ich dich überleben sollte und nach deinem Tode dein Erbe werden. War’s nicht so?« Ehrenthal nickte stark mit dem Kopf. »Wenn du in mir deinen Erben siehst«, fuhr Bernhard fort, »so höre auf meine Worte. Wenn du mich liebst, so handle nach dem, was ich dir sage. Ich verzichte auf mein Erbteil, während wir beide leben. Was du für mich gesammelt hast, das wirst du umsonst gesammelt haben. Ich verlange nichts für meine Zukunft. Wenn es mir beschieden ist, wieder gesund zu werden, so will ich mir durch eigene Arbeit forthelfen, ich will lernen auf mich selbst vertrauen, außer deiner Liebe und deinem Segen begehre ich nichts mehr für mich. Daran denke.«

Ehrenthal erhob die Arme und rief: »Was ist das für eine Sprache, mein Bernhard, mein armer Sohn? Du bist krank, du bist sehr krank.«

»Höre mich weiter«, bat Bernhard. »Was du für Rechte auf das Gut dieses Herrn hast, das soll hier gleich sein. Du hast lange Jahre mit ihm im Verkehr gestanden, du darfst nicht die Ursache sein, daß seine Familie unglücklich wird. Ich verlange nicht, daß du die große Summe wegschenken sollst, das würde dir zu wehe tun und würde den Herrn demütigen; aber ich fordere von dir, daß du die Sicherheit nimmst, die er dir anbietet. Hat er dir früher anders versprochen, vergiß das; hast du Papiere in Händen, die ihn ängstigen, gib sie ihm zurück.«

»Er ist krank«, stöhnte der Vater, »sehr krank ist er.«

»Ich weiß, daß dich das schmerzen wird, mein Vater. Seit du aus dem Haus des Großvaters weggingst als ein armer Judenknabe, barfuß, mit einem Taler in der Tasche, seitdem hast du nichts anderes gedacht als an Erwerb. Niemand hat dich etwas anderes gelehrt, dein Glaube hat dich ausgeschlossen von dem Verkehr mit solchen, welche besser verstehen, was dem Leben Wert gibt. Ich weiß, daß es dir ans Herz geht, eine große Summe in Gefahr zu setzen. Aber du wirst es doch tun, du wirst es tun, weil du mich liebst.«

Ehrenthal rang die Hände und sagte unter strömenden Tränen: »Du weißt nicht, was du forderst, mein Sohn! Was du verlangst, das ist Diebstahl an deinem Vater.«

Der Sohn ergriff die Hand des Vaters. »Du hast mich immer geliebt. Du hast gewollt, ich sollte anders werden als du. Du hast immer auf meine Worte gehört, und ehe ich einen Wunsch aussprach, hast du ihn erfüllt. Was ich jetzt von dir will, das ist die erste große Bitte, die ich an dich tue. Und diese Bitte werde ich dir ins Ohr sprechen, solange ich lebe, es ist die erste, mein Vater, und es wird meine letzte sein.«

»Du bist ein törichtes Kind«, rief der Vater außer sich, »du verlangst mein Leben, du verlangst mein ganzes Geschäft.«

»Hole die Papiere«, erwiderte Bernhard. »Ich will mit meinen Augen sehen, wie du dem Herrn zurückgibst, was er geschrieben hat, und wie du aus seiner Hand empfängst, was er dir noch geben kann.«

Ehrenthal holte sein Taschentuch hervor und weinte laut: »Er ist krank. Ich soll ihn verlieren und soll auch verlieren mein Geld.« Der Freiherr saß unterdes schweigend auf seinem Stuhl und sah vor sich nieder. An dem Fenster aber ballte Itzig krampfhaft die Hand, und ohne daß er es merkte, zerrte er die Gardine von der Stange.

Der Sohn sah unverwandt auf die Windungen des Vaters und rief endlich mit Anstrengung: »Ich will es, Vater, hole die Papiere!« Dann sank er in die Kissen zurück. Der Vater wollte sich auf ihn stürzen, aber mit einer kurzen Gebärde des Widerwillens wies Bernhard ihn zurück, und mit Mühe aufatmend, sagte er: »Es ist genug, du tust mir weh.«

Da fuhr Ehrenthal auf, ergriff seinen Kronleuchter und wankte aus dem Zimmer. Still war es in dem Raum, nur die ängstlichen Atemzüge der Zurückbleibenden wurden gehört. Immer noch saß der Freiherr gebeugt, aber in der Abspannung fühlte er etwas durch seine Seele zucken, was aussah wie Freude. Er sah eine Stelle an seinem Himmel, wo die Sonne aus den dunklen Wolken brach. Er war gerettet. Sein Ehrenwort war ihm zurückgegeben und neue achttausend Taler von dem Manne am Fenster in Aussicht. Jetzt konnte er wieder aufblicken, er durfte wieder sein Haupt hoch tragen. Er faßte die Hand des Kranken, drückte sie und sagte leise zu ihm: »Ich danke Ihnen, mein Herr, o wie danke ich Ihnen, Sie sind mein Retter. Sie schützen meine Familie vor Verzweiflung und mich vor der Schande.«

Bernhard hielt die Hand des Freiherrn fest, und ein seliges Lächeln flog über sein Gesicht. Unterdes schlug am Fenster einer mit den Zähnen zusammen in verzweifelter Spannung und preßte seinen Leib fest an die Mauer, um das Fieber zu bändigen, das ihn schüttelte.

So blieb es lange still in der Stube, niemand sprach, Ehrenthal kam nicht zurück. Plötzlich wurde die Entreetür aufgerissen, in voller Wut stürzte ein Mann in das Zimmer, das Gesicht verstört, die Haare zerrauft. Es war Ehrenthal. – Er hielt das flackernde Licht in der Hand, aber nichts anderes.

»Verschwunden!« schrie er und schlug die Hände zusammen, daß das Licht auf den Boden fiel. »Alles ist fort, gestohlen ist alles!« Er stürzte auf dem Bett seines Sohnes nieder und streckte die Arme nach dem Kranken aus, als wollte er von ihm Hilfe erflehen. Der Freiherr sprang auf, nicht weniger entsetzt als Ehrenthal. »Was ist gestohlen?« rief er den andern an.

»Fort ist alles«, stöhnte Ehrenthal, nur auf seinen Sohn blickend, »die Verschreibungen sind fort, die Hypotheken sind fort. Ich bin beraubt!« schrie er aufspringend, »Diebstahl, Einbruch! Schickt nach der Polizei!«, und wieder stürzte er hinaus, der Freiherr hinter ihm.

Betäubt, halb ohnmächtig sah Bernhard ihnen nach. Da trat vom Fenster er, der zurückgeblieben war, an das Bett. Der Kranke warf sein Haupt zur Seite und starrte auf den Mann wie der ermattete Vogel auf die Schlange. Es war das Gesicht eines Teufels, in das er blickte, rotes Haar stand borstig in die Höhe, Höllenangst und Bosheit saß in den häßlichen Zügen. Bernhard schloß die Augen und hielt die Hand vor. Aber das Gesicht kam näher an ihn heran, und eine heisere Stimme flüsterte in sein Ohr.

Unterdes standen unten im Kontor zwei Männer einander gegenüber und sahen einander mit nichtssagenden Blicken an. Die Kassette mit ihrem Inhalt war verschwunden, was der Freiherr auf das Pult gelegt hatte, war verschwunden. Ehrenthal hatte mit seinen Schlüsseln geöffnet wie immer, nichts an den Schlössern war versehrt, alles im Kontor lag an seiner Stelle. Wenn in dem offenen Geldschrank Geld fehlte, so konnte es nur wenig sein. An den wohlverwahrten Fensterläden war keine Spur von Verletzung, es blieb unbegreiflich, wie die Dokumente genommen waren.

Die beiden Männer liefen in den Hausflur, dort leuchteten sie umher, hinter der Treppe, hinter einer alten Kiste, in dem Eingang zum Keller, in dem schwarzen Hofraum, nirgend war etwas zu sehen. Sogar die Haustür war verschlossen; sie erinnerten sich, daß der vorsichtige Buchhalter beim Heraufgehen das getan hatte. Und wieder rannten sie zurück in das Kontor und durchsuchten jeden Winkel immer hastiger, immer angstvoller. Dann saßen sie einander gegenüber mit blutlosen Wangen in einer Angst, welche mit jeder Minute stieg, jeder dem andern mißtrauend, jeder mit feindlichem Blick auf den andern schielend, ob nicht ein Zeichen das böse Gewissen verrate. Und wieder sprangen beide auf und überschütteten einander mit Vorwürfen, wie sie die Verzweiflung eingibt, und während sie wie Wilde gegeneinander die Hand erhoben, empfanden beide, daß der andere ebensoviel verliere als der eine und daß sie Grund hatten, ihre Stimme zu mäßigen, damit kein Fremder Zeuge des Auftritts werde.

Aus Ehrenthals Kontor waren die Papiere verschwunden in dem Augenblick, wo er widerwillig dem Drängen seines Sohnes nachgab, sich mit dem Freiherrn zu versöhnen. Er hatte noch kaum in die Versöhnung gewilligt, er allein war gegangen, die Papiere zu holen. Würde man ihm glauben, daß sie gestohlen waren? Würde sein eigener Sohn ihm glauben?

Und wieder, dem Freiherrn hing an den Papieren alles, oh, sein Verlust war der größte. Eben erst hatte er sich einer Hoffnung auf Rettung hingegeben, jetzt sank er in einen Abgrund, dessen Tiefe das Auge des Fallenden noch gar nicht messen konnte. In fremden Händen waren die Scheine. Wenn der Dieb sie zu benutzen verstand, ja, wenn der Diebstahl nur vor Gericht angezeigt wurde, so war er verloren. Und wenn sie sich nicht wiederfanden, auch dann war er rettungslos verloren. Jahre konnte es dauern, bis ihm die verlorenen Hypotheken vom Gericht neu ausgefertigt wurden, und sein Schicksal mußte sich in Wochen entscheiden. Er war nicht imstande, sich mit dem feindseligen Ehrenthal auseinanderzusetzen, er war nicht imstande, andern Gläubigern Deckung zu geben. Jetzt war er unrettbar verloren. Vor ihm lagen Armut, Verfall, Schande. Wieder fiel ihm jenes Ehrengericht ein, seine Kameraden und der unglückliche junge Mann, der sich selbst gerichtet hatte. Er hatte damals den Toten ansehen müssen, er wußte, wie einer aussah, der so gestorben war. Er wußte jetzt auch, wie man dazu kam, so zu sterben. Sonst hatte ihm gegraut, wenn er an das Bild des Toten dachte, jetzt fühlte er kein Grauen mehr. Seine Lippen bewegten sich, und wie im Traume sprach er zu sich selbst die tröstenden Worte: »Das ist die letzte Hilfe.«

 

So saßen die beiden Männer einander gegenüber und brüteten vor sich hin, und die Minuten, welche über ihr Haupt zogen, entstellten ihr Antlitz und ihr Urteil.

Hastiger flackerte das Licht, die Tür wurde aufgerissen, langsam wendeten die beiden ihr Gesicht dem Eintretenden zu. Ein häßlicher Kopf erschien an der Tür, und ein wilder Ruf wurde gehört: »Hinauf, Hirsch Ehrenthal, Euer Sohn stirbt.« Die Erscheinung verschwand, mit einem lauten Schrei stürzte Ehrenthal nach der Tür, der Freiherr wankte als ein müder Mann zum Hause hinaus.

Als der Vater am Bett seines Sohnes niederfiel, hob sich noch einmal eine weiße Hand drohend in die Höhe, dann sank ein toter Leib zurück. Bernhard fuhr nach der Sonne.

Draußen war ein warmer Abend. Ein leichter Wolkenduft bedeckte die Sterne des Nachthimmels, aber ein heimliches Dämmerlicht erhellte die Erde. Von dem blühenden Gebüsch der öffentlichen Anlagen trieb der Luftzug balsamische Düfte in die Straßen der Stadt. Langsam zogen die heimkehrenden Spaziergänger an den Häusern entlang, es wurde ihnen schwer, die südliche Luft zu verlassen und sich in ihre Mauern einzuschließen. Behaglich dehnte sich der Bettler auf der Schwelle des steinernen Palastes; jeder Gesell, der ein Liebchen hatte, eilte heut zu ihr und führte sie durch die Straßen; wer müde war, heut vergaß er die Arbeit des Tages, wer Kummer hatte, heut fühlte er ihn wenig, wer sonst das ganze Jahr allein stand, heut suchte er den Nachbar auf. Vor den Türen standen die Leute, plauderten und lachten, die Kinder spielten auf der Straße, sie haschten einander in der Dämmerung und tanzten auf den Granitplatten des Pflasters. Heute schmetterte die Nachtigall im Bauer ihr bestes Lied, sie sang, daß der schöne Frühsommer da sei, die glückliche Zeit, wo das Leben leicht wird und die Hoffnungen sich zur Blüte entfalten.

Durch die Schwärme der Spaziergänger schritt schwerfällig die hohe Gestalt eines Mannes, den Kopf auf der Brust. Seine Pferde stampften ungeduldig auf das Pflaster und erwarteten die Rückkehr des Herrn, um ihn aus dem Gewühl der Arbeiter in das vornehme Quartier zu führen. Sie warteten umsonst bis in die Nacht hinein; der, dem sie dienten, hatte sie vergessen. Er hörte nichts von dem Ruf der Nachtigall und trat durch den Kreis der tanzenden Mädchen, ohne einen Laut von den fröhlichen Kinderstimmen zu vernehmen. Sein Haupt war ihm schwer und träge der Zug seiner Gedanken. So kam er aus der Stadt in die Anlagen, er stieg langsam einen blumengeschmückten Hügel hinan und setzte sich dort ermüdet auf eine Bank. Unten vor seinen Füßen zog der dunkle Strom dem Meere zu, ihm gegenüber erhoben sich die gewaltigen Massen des alten Doms. Der Fluß vor ihm war bedeckt mit Holzflößen, welche vom Oberlauf des Stromes herkamen, um weit hinabzufahren bis in die Nähe der See. Auf den Flößen standen die Hütten der Ruderknechte, daneben loderten kleine Feuer, an denen die Leute ihre Abendkost bereiteten. Durch die stille Luft klang zuweilen das laute Gelächter oder ein roher Schrei der Fährleute zu ihm herauf. Das flutende Wasser, die kühnen Umrisse der Türme, den duftigen Wolkenschleier hoch oben sah er wie im Nebel, nur ein Gedanke blitzte in seinem finstern Gemüt auf wie der feurige Punkt dort unten auf dem Fluß. Auch er hatte mit geflößtem Holz Geschäfte gemacht, und das Geld, was er dabei gewonnen, wurde von andern ein Sündengeld genannt. Es war fremdes Eigentum wie die Summe, die der Mann mit der Pistole genommen hatte. Er stand hastig auf und eilte den Hügel hinab.

In einer Allee hoher Platanen lief er hin und her, und wieder blieb er ermüdet stehen und stützte seinen Rücken an einen Baumstamm. Vor ihm stiegen Schornsteine des Quartiers auf, in dem sich die Fabriktätigkeit der Stadt angesiedelt hatte, eine Reihe riesiger Obelisken ragte hoch über die Dächer der Menschenwohnungen. Er wußte, was das bedeutete, eine solche Säule in die Wolken bauen. Auch er hatte in den Grund des Baues alles hineingeworfen, was ihn bis dahin schützend umgeben hatte, seine Kraft, sein Geld, seine Ehre. Mit schlaflosen Nächten, mit grauem Haar hatte sein Wahnwitz ein solches Monument bezahlt, es war die Leichensäule seines Geschlechts, die er auf seinem Gute aufgebaut hatte. Und was er hier vor sich sah in dem undeutlichen Lichte der Nacht, das war ein ungeheurer Kirchhof, viele schattenhafte Denkmäler, unter welchen der Seelenfrieden glücklicher Menschen eingesargt lag. Und er nickte mit seinem Haupt und sagte, so daß er selbst die Worte vernahm: »Das war das letzte.« Er richtete sich auf und schritt seinem Hause zu.

Auf dem Wege empfand er, wie behaglich ihm war, an das zu denken, was ihn von solchen häßlichen Bildern befreien konnte. So trat er in sein Haus. Er machte ein freundliches Gesicht, als ihm die Lampe des Flurs auf die Augen schien. Als er in dem Entree stand, hörte er in dem Zimmer der Baronin sprechen. Lenore las vor. Er hörte zu und merkte, was sie vorlas, war aus einem Roman. Er durfte die Frauen nicht erschrecken. Aber es war ein Hinterzimmer im Hause, abgelegen, die Stube daneben unbewohnt, dorthin mußte er gehen. Als er noch so stand, öffnete sich die Tür, und die Baronin sah heraus. Unwillkürlich fuhr sie zurück, als sie ihn an der Tür erblickte. Er lächelte und trat mit munterm Schritt in das Zimmer. Seiner Frau gab er die Hand, er strich über Lenorens Haupt und beugte sich nieder, um zu sehen, was sie las. Die Baronin klagte, daß sie den Tee ohne ihn getrunken, und er scherzte über ihre Ungeduld, die den Lieblingstrank nicht erwarten konnte. Dabei dachte er, daß es ihm selbst auf eine Stunde durchaus nicht ankomme. Er trat zu dem Bauer, in welchem zwei kleine Vögel aus fremdem Lande schlafend auf der Stange saßen, dicht aneinandergedrängt, ein Köpfchen an das andere gelehnt; er steckte den Finger zwischen die metallnen Stäbe, als wollte er sie streicheln, und sagte gedankenlos: »Sie sind zur Ruhe gegangen.« Dann nahm er die Kerze aus der Hand des Bedienten und schritt nach der Tür seines Zimmers. Als er den Griff anfaßte, bemerkte er, daß das Auge seiner Frau ängstlich auf ihn gerichtet war, er wandte sich noch einmal zu ihr und nickte ihr freundlich zu. Dann schloß er die Tür. Er holte einen polierten Kasten aus seinem Schreibtisch und trug ihn mit dem Licht nach der Eckstube des Hauses. Hier war er sicher, niemanden zu stören.

Langsam lud er. Während des Ladens sah er auf die eingelegte Arbeit des Kolbens. Es war die mühsame Arbeit eines armen Teufels von Büchsenmacher, seine Bekannten hatten sie oft bewundert; die Pistolen selbst waren ein Geschenk des Generals, der bei seiner Hochzeit den Brautvater seiner elternlosen Gemahlin gemacht hatte. Schnell drückte er den Ladestock in den Lauf; dann sah er hinter sich, wenn er fiel, wollte er nicht auf dem Boden liegen. Er durfte die, welche eintraten, nicht durch den häßlichen Eindruck erschrecken, den ihm der Kamerad auf der Diele gemacht hatte.

Er setzte das Eisen an seine Schläfe. Da wurde der gellende Schrei einer Frau gehört, sein Weib stürzte in das Zimmer; sein Arm wurde mit der Kraft der Verzweiflung gefaßt, er zuckte zusammen, der Finger berührte den Drücker. Ein Feuerstrahl und ein Knall, und er sank in das Sofa zurück und fuhr ächzend mit beiden Händen nach seinen Augen.

Im Hause des Händlers aus dem Zimmer des Toten stieg ein Vater, das Licht in der Hand, die Treppe hinab in das Kontor. Ängstlich leuchtete er auf das Pult, in den Schrank, in alle Ecken des Raumes, er setzte sich nieder, schüttelte den Kopf und wunderte sich. Dann verschloß er sein Kontor, stieg wieder hinauf und fiel mit Stöhnen und Geschrei an dem Bett nieder. So trieb er es die ganze Nacht hindurch, klagend und suchend, ein verstörter, abgelebter, zugrunde gerichteter Mann.

8

Im Hause des Kaufmanns floß das Leben der Hausgenossen wieder in ebener Strömung dahin. Die kleinen Wirbel, welche der heimkehrende Anton aufgeregt hatte, waren allmählich zerronnen. Die unerhörten Prachtstücke aus dem Nußbaumschrank hatten andern Nummern das Feld geräumt, welche zwar ebenfalls ausgezeichnet, aber für die Tante noch begreiflich waren. Auch darin hatte die Tante recht prophezeit, daß Anton von diesem heimlichen Sieg des ruhigen Verstandes über leidenschaftliche Dankbarkeit gar nichts bemerkte. Nur eine Veränderung war geblieben, die größte, glorreichste: der Bewohner des Hinterhauses behielt einen bevorzugten Platz in dem Herzen der jungen Herrin, und seine stattliche Gestalt erschien jetzt oft unter den Bildern, welche Sabine am Arbeitskorb und in der Schatzkammer um sich versammelte.

Heut schritt Sabine vor dem Mittagstisch unruhig in ihrem Zimmer auf und ab. Die Tante, welche alles erfuhr, hatte ihr soeben erzählt, daß ein Mädchen aus Ehrenthals Hause in das Kontor gelaufen war, um Bernhards Tod dem Freunde zu melden. ›Wie wird er die Nachricht ertragen?‹ dachte Sabine. Und bei dem Namen Ehrenthal mußte sie an die Vergangenheit denken, an einen andern, der jetzt in weiter Ferne lebte, und an die Stunde, wo das Schwanken ihrer Seele durch einen Brief aus dem Hause des Toten zu schnellem Ende gebracht worden war. Und Anton wußte um dies bekämpfte Gefühl, o wie oft hatte sie dies Wissen aus seinem besorgten Blick, aus seiner schonenden Rede erkannt! Wie rücksichtsvoll war seine Haltung ihr gegenüber gewesen, wie ritterlich die stille Hilfe, die er ihr in der Unterhaltung gebracht. Ob er auch eine Ahnung hatte von dem tapfern Sieg, den sie nach und nach über eine Jugendtorheit erkämpft hatte? Sie schüttelte ihr Haupt. ›Nein, er weiß nichts davon, noch immer sieht er in mir das Mädchen, das der Schwäche ihrer kindischen Neigung erlag.‹ Sie blieb vor ihrem Blumentisch stehen. ›An dieser Stelle verriet ihm der Zufall, wie ich damals empfand. Noch heut steht die Vergangenheit als eine dunkle Wand zwischen ihm und mir. Überall fühle ich den Schatten des Geschiedenen an meiner Seite, wenn ich am Abend neben Wohlfart sitze, wenn er mich grüßt und zu mir spricht. Immer sagen sein Ton und seine Haltung: Sie ist nicht allein, er ist bei ihr.‹ Sie zuckte zusammen und fuhr mit der Hand leise über das lustige Laub, um den Gedanken wegzuwischen, der sie quälte. Sie konnte ihm nicht sagen, daß sie jetzt frei war von dem lange verhohlenen Leid. Aber heut, wo er einen Freund verloren hatte, der ihm so lieb war, mußte sie ihm zeigen, daß er noch andere besaß, die an ihm hingen. Und wieder ging sie sinnend auf und ab und suchte einen Weg, ihn allein zu sprechen

Der Diener rief zur Tafel. Anton kam mit den andern Herren und setzte sich sogleich an seinen Platz. Es war keine Gelegenheit, vor Tische mit ihm zu reden. Aber er sah sie mit einem Blick voll Trauer an, daß sie sich nicht enthalten konnte, ihm herzlich zuzunicken. »Er ißt heut nichts«, flüsterte ihr die Tante zu; »auch keinen Braten«, wiederholte sie vorwurfsvoll. Sabine wurde sehr unruhig und besorgt. Jetzt mußten die Herren die Stühle rücken, dann ging er mit ihnen aus dem Saal, und sie sah ihn den ganzen Tag nicht wieder. Schon erhob sich Herr Jordan, da rief sie zu Anton hinüber: »Die große Kalla ist aufgeblüht, Sie haben sich neulich über die Knospe gefreut, verweilen Sie noch einen Augenblick, ich möchte sie Ihnen zeigen.« Anton verneigte sich und blieb. Noch einige peinliche Minuten, da stand auch der Bruder auf, sie eilte zu Anton und führte ihn in ihr Zimmer vor den Blumentisch.

»Sie haben heut eine schmerzliche Nachricht erhalten«, begann sie leise.

»Die Botschaft selbst hat mich nicht überrascht«, erwiderte Anton bewegt, »der Arzt gab mir keine Hoffnung. Aber ich verliere viel mit ihm.«

»Ich habe ihn nie gesehen«, sagte Sabine, »nur aus Ihrem Munde weiß ich, daß sein Leben einsam war, arm an Freuden und Liebe.«

Sie rückte Anton einen Sessel hin und ließ ihn von dem Freunde erzählen. Mit warmem Anteil lauschte sie auf jedes Wort, liebevoll wußte sie zu fragen und zu trösten. Für Anton war es ein Bedürfnis, von dem Freunde zu sprechen, und beredt schilderte er sein stilles Treiben, seine Gelehrsamkeit und sein enthusiastisches Gefühl. Da, nach einer Pause, sah ihm Sabine herzlich in die Augen und fragte: »Haben Sie Nachricht von Herrn von Fink?«

 

Es war das erstemal, daß sie gegen Anton den Namen über die Lippen brachte. Er fühlte das Rührende des Vertrauens, daß sie gerade in dieser Stunde nach dem Geliebten ihrer Seele fragte. In seiner Bewegung faßte er ihre Hand; die vor ihm auf dem Tische lag. Langsam zog sie die Hand zurück und schlug die Augen nieder. Nur einen Augenblick, dann sah sie ihm wieder freundlich ins Gesicht.

»Er fühlt sich in dem neuen Leben nicht glücklich«, sagte Anton ernst. »In seinem letzten Brief war eine grimmige Laune, und ich schließe daraus noch mehr als aus seinen Worten, daß dort vieles nicht so ist, wie er es erwartet hat. Die Geschäfte, in welche er durch den Tod seines Onkels hineingeworfen wurde, gefallen ihm nicht.«

»Sie sind unwürdig«, rief Sabine schnell.

»Wenigstens nicht, was in diesem Hause ehrenhaft heißt«, erwiderte Anton. »Fink denkt zu groß und hat zu lange in der Nähe Ihres Bruders gelebt, als daß ihn die wüsten Spekulationen erfreuen könnten, welche dort drüben nur zu gewöhnlich sind. Seine Geschäftsfreunde sind zum großen Teil gewissenlose Menschen, und seine Seele empört sich gegen ihre Genossenschaft.«

»Und kann Herr von Fink ein solches Verhältnis auch nur einen Tag ertragen?« fragte Sabine.

»Es ist ein merkwürdiges Schicksal«, antwortete Anton, »daß er, der seinen eigenen Willen gegen andere so überlegen geltend macht, gerade er, der so wenig geneigt ist, äußerem Zwang zu gehorchen, doch in seiner gegenwärtigen Tätigkeit überall mit gebundenen Händen arbeitet. Das ganze Getriebe dieser Spekulationen ist in Amerika so fest geordnet, daß ein einzelner Teilhaber wenig daran ändern kann. Und so ist die Lage Finks jetzt, wo er seine Wünsche erreicht hat, große Kapitalien, freie Verfügung über viele Quadratmeilen Landes, zweifelhafter als je in seinem Leben. Er war immer in Gefahr, gering von andern Menschen zu denken, jetzt ängstigt mich die herbe Verachtung, mit welcher er von seinem eigenen Leben spricht. Sein letzter Brief schilderte eine unerträgliche Lage und ließ irgendeinen gewaltsamen Entschluß ahnen.«

»Es gibt für ihn nur einen Entschluß«, rief Sabine. »Darf ich fragen was Sie ihm geantwortet haben?«

»Ich habe von ihm gefordert, sich auf der Stelle unter jeder Bedingung von diesen Geschäften zu lösen. Seinem ernsten Willen wird ein Weg dazu sich bieten, auch wenn der Ausweg, den ich ihm vorschlug, unmöglich sein sollte. Und ich habe ihn gebeten, entweder seinen alten Plan auszuführen und ein wirklicher Gutsbesitzer in Amerika zu werden oder zu uns zurückzukehren.«

»Ich wußte, daß Sie so schreiben würden«, sagte Sabine tief aufatmend. »Ja, er soll zurückkehren, Wohlfart«, wiederholte sie leiser, »aber nicht zu uns soll er kommen.« – Anton schwieg.

»Und glauben Sie, daß Herr von Fink Ihrem Rat folgen wird?«

»Ich weiß es nicht«, erwiderte Anton langsam, »mein Rat war wenig amerikanisch.«

»Aber er war, wie Sie ihn geben mußten«, sagte Sabine mit freudigem Stolz.

»Ein Offizier wünscht Herrn Wohlfart zu sprechen«, unterbrach sie der eintretende Diener. – Anton sprang auf. Sabine trat zu ihren Blumen und beugte sich traurig über die grünen Blätter. Noch schwebte der Schatten des andern zwischen ihr und ihm.

Die hastigen Worte des Meldenden erfüllten Anton mit einer unbestimmten Angst, er eilte in das Vorzimmer. Dort stand Eugen von Rothsattel. Anton wollte ihm mit warmem Gruß entgegeneilen, da sah er das verstörte Gesicht und trat erschrocken zurück. Eugen aber flüsterte ängstlich wie mit bösem Gewissen: »Meine Mutter wünscht Sie zu sprechen, es ist etwas Schreckliches bei uns vorgefallen.« Anton griff nach seinem Hut und sprang nach dem Kontor, wo er schnell Baumann bat, ihn beim Prinzipal zu entschuldigen; dann begleitete er den Leutnant nach der Wohnung des Freiherrn. Vernichtet ging Eugen an Antons Seite, er hatte alle Fassung verloren. Unzusammenhängend und für Anton nicht ganz verständlich war, was er sagte: »Mein Vater hat sich gestern abend aus Versehen durch einen Schuß verwundet – ein reitender Bote hat mich aus der Garnison nach der Hauptstadt gerufen –, als ich ankam, fand ich die Mutter in Ohnmacht. Wohl eine Stunde hat sie darin gelegen. Ich und die Schwester wissen uns keinen Rat. Lenore hat die Mutter auf den Knien gebeten, zu Ihnen zu schicken. Sie sind der einzige Mensch, zu dem wir in unserer Not Vertrauen haben. Ich verstehe nichts von Geschäften, aber es muß mit dem Vater sehr schlecht stehen. Die Mutter ist ganz außer sich. Alles im Hause ist in der größten Unordnung.«

Aus dem, was er sagte und was er zu verschweigen suchte, aus seinen abgerissenen Reden und seinem angstvollen Blick, ahnte Anton einiges von den Schrecken des letzten Abends. In dem Wohnzimmer der Baronin traf er Lenore; verweint, erschöpft wankte sie ihm entgegen. »Lieber Wohlfart«, rief sie, seine Hand fassend; von neuem begann sie zu schlucken, und kraftlos sank ihr Haupt an seine Schulter. Unterdes ging Eugen mit gerungenen Händen in der Stube auf und ab, setzte sich endlich in eine Sofaecke und weinte still vor sich hin.

»Es ist gräßlich, Herr Wohlfart«, klagte Lenore, sich aufrichtend. »Niemand darf zum Vater, nicht Eugen, nicht ich, die Mutter allein und der alte Johann sind um ihn. Und heut früh war der Kaufmann Ehrenthal hier, er wollte durchaus mit dem Vater sprechen, er schrie laut gegen die Mama, er schalt den Vater einen Betrüger, so daß die Mutter zu Boden sank. Als ich in das Zimmer stürzte, ging der schreckliche Mensch fort und drohte noch mit der Faust nach uns.«

Anton führte Lenore in einen Sessel und wartete, bis sie sich erholte hatte. Hier zu trösten war unmöglich, ihn selbst erschütterte der Jammer im tiefsten Herzen. »Ruf die Mutter, Eugen«, sagte Lenore endlich. Der Bruder eilte hinaus. »Verlassen Sie uns nicht«, bat Lenore mit gerungenen Händen. »Es ist zum Äußersten mit uns gekommen, auch Ihre Hilfe vermochte nicht das Unglück abzuwenden.«

»Er ist tot, der es vielleicht gekonnt hätte«, erwiderte Anton traurig. »Ob ich Ihnen nützen kann, weiß ich nicht; daß ich den guten Willen habe, daran werden Sie nicht zweifeln.«

»Nein«, rief Lenore, »auch Eugen dachte sogleich an Sie.«

Die Baronin trat herein. Sie ging mühsam auf Anton zu und stützte sich mit der Hand auf einen Stuhl, aber sie begrüßte ihn mit Haltung. »Wir sind in eine Lage gekommen, in der uns ein Freund nötig ist, welcher mit Geschäften mehr Bescheid weiß als wir drei. Ein unglücklicher Zufall verhindert den Freiherrn, wahrscheinlich für längere Zeit, sich um seine Angelegenheiten zu kümmern, und so wenig ich davon verstehe, so sehe ich doch, daß schnelle Tätigkeit in unserm Interesse notwendig wird. Meine Kinder haben mir Ihren Namen genannt, ich mute ihnen viel zu, wenn ich Sie bitte, unsern Wünschen Ihre Zeit zu opfern.« Sie setzte sich, winkte Anton, Platz zu nehmen, und sagte zu den Kindern: »Verlaßt uns, ich werde Herrn Wohlfart das wenige, das ich weiß, leichter sagen, wenn ich euren Schmerz nicht sehe.«

Als sie allein waren, winkte sie Anton näher an sich heran und versuchte zu sprechen, aber ihre Lippe zuckte, und sie verbarg ihr Gesicht hinter dem Taschentuch.

Anton sah gerührt auf den Kampf, den ihr die Mitteilung kostete: »Bevor ich zugeben kann, daß Sie, gnädige Frau, mir ein so ehrenvolles Vertrauen schenken, muß ich Sie in Ihrem Interesse fragen: Hat nicht Ihr Herr Gemahl einen Verwandten oder nahen Freund, dem Sie eine diskrete Mitteilung leichter machen würden? Ich bitte Sie, daran zu denken, daß meine eigene Geschäftserfahrung nicht groß und meine Stellung nicht von der Art ist, daß ich für einen geeigneten Ratgeber des Herrn Barons gelten könnte.«

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