Träumen

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3.3

Carl Gustav Jung (1875–1961)



Die Traumtheorie C.G. Jungs

15

 ist vor dem Hintergrund und in Abgrenzung von Freuds Traumtheorie zu verstehen; Jung arbeitete ca. neun Jahre mit Freud zusammen, bis es 1912 zum Bruch zwischen den beiden kam. Dieser Bruch hat mehrere Gründe; führen wir uns die wesentlichen Unterschiede in der Traumtheorie beider vor Augen:



Während Freud sich vorwiegend für Träume kranker Menschen interessierte, waren für Jung die Träume Gesunder ebenso wichtig. Für Freud verhüllten Träume das Unbewusste, während sie für Jung dieses enthüllen; für ihn ist der Traum kein Bilderrätsel, sondern einer noch unbekannten Inschrift vergleichbar. Die Fixierung auf die Deutung von Symbolen sexueller Art konnte Jung nicht mitvollziehen. Die retrospektive, deduktive und kausale Orientierung in der Traumdeutung Freuds schloss für Jung das zielgerichtete, ein Fortschreiten ermöglichendes Potenzial von Träumen aus. Freuds radikale Abgrenzung von religiösen Fragestellungen in der Traumdeutung konnte Jung nicht übernehmen. Vor dem Hintergrund dieser Gegensätze sollen die wesentlichen Einsichten C.G. Jungs im Überblick skizziert werden:



Für den Begründer der analytischen Psychologie stand der Traum in Verbindung mit der Ganzheit des Menschen. Diese Ganzheit sah Jung in gesamtpsychischer Hinsicht im Selbst angelegt, das im Unbewussten eine verborgene Vorstellung, eine Idee des Menschen von sich selbst enthält. In der Entfaltung des Selbst findet der Mensch zu seiner Ganzheit; das ist für Jung der Prozess der Individuation, der vom Selbst initiiert wird. Der Traum stellt in dieser Sicht eine Brücke zwischen dem dar, was wir in unserem täglichen Leben sind, und dem, was wir von unserem Selbst her sein könnten. Er ist also, um mit Jungs Terminologie zu sprechen, eine Botschaft vom Selbst an das bewusste Ich.



Vom Selbst her wird auch einsichtig, warum Jung von der Selbstregulation der Psyche im Traum ausgeht. Der Traum kennt den Weg, weil er vom Selbst gesteuert wird. Damit ist dreierlei gegeben:



– Der Traum ist, vom Unbewussten her gesteuert, kompensatorisch zum Bewusstsein. Kompensatorische Träume bieten dem Träumer an, was seine Lebensorientierung ergänzt und ausgleicht.



– Der Traum bringt in vielfältigen Variationen die Potenziale der Träumenden ans Licht. Er weist auf das hin, was beim Träumer noch ungelebt ist und sein Leben bereichern könnte. Unter diesem Aspekt trägt der Traum zur Selbstfindung und Selbsterweiterung bei.



– Der Traum bildet nicht nur Probleme ab, sondern er ist häufig lösungs- und zielorientiert und damit final ausgerichtet.



In der kompensatorischen Förderung von Potenzialen und Lösungsorientierung entfaltet der Traum die Selbstheilungskräfte der Seele.



In seiner Traumtheorie hat C.G. Jung darauf hingewiesen, dass in Träumen häufig gegengeschlechtliche Anteile auftauchen. Animus bezeichnet laut Jung den männlichen Persönlichkeitsanteil der weiblichen Seele und Anima den weiblichen Persönlichkeitsanteil der männlichen Seele. Die Auseinandersetzung mit dem gegengeschlechtlichen Anteil soll zur bewussten Integration dieser Anteile führen.



Für die Traumdeutung nach Jung ist die Unterscheidung zwischen Persona und Schatten eine wichtige grundlegende Einsicht. Persona bezeichnet bei ihm die Seite unseres Wesens, die wir nach außen zeigen und die gesellschaftlich eher akzeptiert ist. Der Schatten beschreibt die oft ungeliebte Seite des eigenen Wesens, die uns peinlich ist; wir verstecken sie deshalb möglichst vor anderen und auch vor uns selbst. Wie sich die Schattenseiten in Träumen zeigen, werden wir in Abschnitt 4.5 sehen.



Eine weitere Unterscheidung, die Jung in der Traumdeutung eingebracht hat, ist die zwischen der sogenannten Objekt- und der Subjektstufe. Diese Deutungskategorien ermöglichen die Betrachtung eines Traumes aus zwei Perspektiven: Auf der Objektstufe repräsentieren Traumsymbole einen Bezug des Träumers zu Gegenständen der Außenwelt, auf der Subjektstufe repräsentieren die Traumsymbole Persönlichkeitsanteile des Träumers selbst. Auch diese Einsicht Jungs wird uns im Abschnitt 4.3 noch beschäftigen.



Für das Traumverständnis Jungs ist es schließlich wesentlich, auf seine Gedanken zu den von ihm so genannten Archetypen einzugehen: Archetypen sind für ihn Urbilder wie z. B. der alte Weise, die große Mutter oder auch Gott, die in Mythen, Märchen und in Religionen auftauchen. Wenn diese im Traum erscheinen, spricht Jung von einem archetypischen Traum oder auch einem „Individuationstraum“, der einen Bezug zu den Kulturgütern der Menschheit aufweist. Solche Träume leisten nach dem Dafürhalten Jungs einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung der träumenden Persönlichkeit und sind seiner Meinung nach mit einem richtungsweisenden Sinn verbunden. Zur Erschließung des mythologischen Gehalts von Träumen regte er die „Amplifikation“ an, die nach den Assoziationen der Träumenden zu ihrem Traum aus der Literatur, aus Theaterstücken, aus Märchen, der Kunst oder der Bibel fragt oder diese vonseiten des Therapeuten einbringt.



In Verbindung mit den Archetypen unterschied Jung das dynamisch persönliche Unbewusste und das sogenannte kollektive Unbewusste. Während das persönliche Unbewusste die persönlichen Erfahrungen der Träumenden aufnimmt, sind im kollektiven Unbewussten überpersönliche Erfahrungen des „objektiv Psychischen“ gespeichert, die für Jung in jeder Kultur existieren und dem Menschen angeboren sind. Letztere beruhen auf der Zugehörigkeit des Einzelnen zur Gattung Mensch, zu bestimmten Gesellschaften und Kulturen mit ihrem allgemein menschlichen Wissen über den Menschen.



Wie ist nun die Traumtheorie C.G. Jungs zusammenfassend zu beurteilen?



Die Traumtheorie C.G. Jungs lässt sich in vielen Punkten als genial bezeichnen. Er hat viele der Engführungen Sigmund Freuds in der Traumdeutung überwunden. Die Unterscheidungen zwischen Persona und Schatten, Animus und Anima, Subjekt- und Objektstufe tragen häufig zu einem differenzierten Verstehen von Träumen bei. Die Kategorien Potenzialität, Komplementarität und Finalität machen die Beschäftigung mit Träumen in hohem Maße fruchtbar. Das alles wird später noch differenzierter zu bedenken sein.



Die Grenzen des jungschen Traumansatzes sehe ich in dreierlei Hinsicht:



– Zum einen ist seine Lehre zu den Archetypen zu hinterfragen. Jung sieht in ihnen universale Grundmotive, die in der Gehirnstruktur vererbt würden. Trotzdem ist festzuhalten, dass diese aus Kultur, Literatur und Religionen erschließbaren Symbole und Motive bestenfalls so etwas wie ein Vorschlag sein können. Ein Traum ist immer zuerst eine persönliche Botschaft an die träumende Person. Die Gefahr bei Jungs Umgang mit Archetypen besteht darin, dass ein „objektiver Deutungssinn“ den subjektiven verdrängt; so kann es zu einer Fremdbestimmung der träumenden Person durch den Begleiter und sein archetypisches Denksystem kommen.



– Zum andern trägt das, was Jung zu den Archetypen und zu archetypischen Träumen sagt, zuweilen zu einer Mystifizierung und Verkomplizierung von Träumen bei. Indem er transkulturelle, religiöse und auch okkulte Zusammenhänge einbezieht, geschieht eine Öffnung in Bereiche hinein, die weltanschaulich nicht mehr neutral zu sehen sind.



– Schließlich geht aus der Traumtheorie Jungs hervor, dass er dem Einfluss fernöstlicher Religionsphilosophie näher steht als dem christlichen Glauben. Das zeigt sich deutlich in der geradezu religiösen Aufladung des menschlichen Selbst. Die Verwirklichung dieses Selbst geschieht nicht in der sich abgrenzenden Individualität, sondern durch Auflösung in ein alles umspannendes Sein. Je mehr der Mensch sein Bestreben aufgibt, er selbst sein zu wollen, umso mehr wird er es in einer Alleinheit erleben. Die religiöse Gedankenwelt C.G. Jungs und seiner Schule wird uns noch im Abschnitt 6.4. beschäftigen.






3.4

Fritz Perls (1893–1979)



Perls

16

 entwickelte zusammen mit seiner Frau Laura und Kurt Goldstein die Gestalttherapie, in der er sich von der Psychoanalyse abgrenzte. Die Gestalttherapie ist keine analytische, sondern eine integrative Methode, die nicht so sehr nach dem Warum von Problemen fragt, sondern nach dem Wie und Was. So fragt sie z. B. nach der Struktur eines Lebensskripts und danach, wie es neu strukturiert und umgeschrieben werden kann. Diese Therapie leitet an zum Gewahrsein aller gegenwärtigen Gefühle, von Verhaltensweisen und des Kontakts sowohl zu sich selbst als auch zur Umwelt. So vertritt sie einen ganzheitlichen Ansatz und will den Menschen dazu führen, sich zu seiner Ganzheit hin zu entwickeln. Sie ist ein erlebnisaktivierendes Psychotherapieverfahren.



Für die Traumtheorie und -praxis ergibt sich vor diesem grundlegenden Hintergrund Folgendes: Die Gestalttherapie geht davon aus, dass Träume existenzielle Botschaften für die Träumenden bereithalten, die es verstehen zu lernen gilt. Alle Einzelheiten des Traums verkörpern Teile des Selbst, in denen Perls zum einen die unvereinbarten und sich widersprechenden Seiten, zum andern die nicht gelebten und verdrängten Persönlichkeitsanteile sieht, die das Ich bisher verleugnet und vermieden hat. So zeigt der Traum, was der Träumer in seinem Alltag zu leben vermeidet. Die sich widersprechenden und verleugneten Anteile projiziert das Ich des Träumers nach außen und nimmt sie nicht als Teil von sich selbst wahr.



Im Zuge gelingender Traumarbeit geschieht eine zunehmende Auflösung dieser Projektionen. Das Ich soll dabei wieder heimholen, was in seiner Fragmentierung verloren gegangen war. Perls war bestrebt, den Träumer zum unmittelbaren Erleben des Trauminhaltes zu führen, um auf diese Weise die Botschaft des Traumes zugänglich zu machen. Indem der Traum erfahrungsmäßig zugänglich gemacht wird, soll er seine Kraft in der Korrektur und Erweiterung des Lebens entfalten. Noch unverbundene Persönlichkeitsanteile warten seiner Theorie nach darauf, in der Verarbeitung des Traummaterials miteinander verbunden zu werden.

 



Dazu sind folgende vier Punkte in der Arbeit mit Träumen erforderlich:



Identifizieren,



Ausspielen,



Auseinandersetzen,



Integrieren.



Mit diesen vier Schritten soll der Traum nicht zuerst theoretisch reflektierend angegangen werden, sondern er soll für den Träumer zu einem existenziellen Ereignis werden. Der Träumer soll dafür selbst aktiv werden. Mit diesen Schritten setzt der Träumer seinen Traum in Szene. Dabei werden Blockaden erlebt und prozesshaft gelöst. Im Darstellen und Nacherleben jeder Traumgestalt kann der Träumer diesen Gestalten begegnen, das Abgespaltene integrieren und zur seelischen Stärkung finden. Die Traumarbeit als Selbsterfahrung im Dienst seelischer Gesundheit und Stabilität führt den Träumer mehr und mehr zu seiner Ganzheit.



Die Gestalttherapeutin Brigitte Holzinger zeigt sehr konkret, wie bei dieser Therapie in der Traumarbeit vorgegangen wird

17

:



„1) Wir fordern den Patienten auf, den Traum in der Ich-Form, in der Gegenwart zu erzählen, als ob der Traum gerade passieren würde.



2) Als zweiten Schritt machen wir den Patienten zum Bühnenregisseur: Mach dir doch bitte eine Bühne für deinen Traum zurecht. Sprich bitte als die Traumfigur in der Gegenwart, als ob der Traum jetzt, im Hier und Jetzt, geschehe. Nimm der Reihe nach alle Rollen der Personen und Gegenstände ein, die in deinem Traum vorkommen. Erzähle, was du erlebst und wie dir in diesen Rollen zumute ist.



3) Als dritten Schritt zentrieren wir zwei Traumfiguren, die den Hauptkonflikt verkörpern.



4) Der Träumer spricht in der Gegenwart aus, was sein Kontrahent zu ihm vorher im Rollenspiel gesagt hat, in seinem jeweils angebrachten Alter, in der ihm angemessenen Sprache. Er spricht in der Ich-Form: … Die Rollenspiele werden fortgesetzt, bis der verbale Ausdruck sich mit dem empfundenen Gefühl deckt und der Erzähler dessen gewahr wird.



5) Was sich als Hauptgefühl herauskristallisiert hat, wird der Situation angemessen ausgedrückt und mit der Therapeutin anschließend besprochen.“



Wie ist die gestalttherapeutische Traumtheorie F. Perls zusammenfassend zu beurteilen?



Wer sich auf diesen Ansatz mit den eigenen Träumen einlässt, wird zu einer sehr tief gehenden Begegnung mit sich selbst geführt. Dabei wird der träumenden Person nichts von außen übergestülpt. Die Erschließung der Träume geschieht aus dem Inneren heraus.



Außerdem kann ein Traum mit der gestalttherapeutischen Methodik sehr differenziert und detailreich angeschaut werden. Der Traum kann sich hierbei sehr ausführlich „aussprechen“ und seine Botschaft differenziert mitteilen. So können beim Träumer Wandlungsprozesse in Gang kommen.



Als Grenze sind folgende Aspekte zu nennen:



– Träume werden zu einseitig als Problemanzeiger verstanden. Das in ihnen enthaltene Potenzial kommt zu kurz. Häufig ist der in das weitere Leben des Träumers weisende, der so-genannte final-prospektive Aspekt ein möglicher wichtiger Entwicklungshinweis.



– Außerdem ist die Stärke des gestalttherapeutischen Umgangs mit Träumen zugleich auch seine Schwäche: Wer einen Traum mit dieser Methodik bearbeiten will, benötigt sehr viel Zeit. In der Praxis steht diese oft gar nicht zur Verfügung. Von daher wird diese Methodik in der Praxis nur mehr partiell zum Einsatz kommen, ohne die Möglichkeit, sie

in extenso

 anzuwenden.






3.5

Was aus der Vielzahl der traumtheoretischen Ansätze für die Praxis der Traumdeutung erfolgen kann



Am Ende des kleinen Überblicks über verschiedene Traumtheorien – und dieser Überblick ließe sich problemlos noch erweitern – stellt sich die Frage: Welche Theorie und Deutungsmethode erfassen den Traum richtig?



Doch diese Frage ist falsch gestellt. Sie führt in die Irre, weil mit der Frage nach Richtig und Falsch eine Exklusivität der einzelnen Theorien herbeigeführt wird. Wird die einzelne Theorie mit einem Anspruch vertreten, der den anderen Theorien ihre Berechtigung nicht zugestehen kann, entstehen Probleme, die sich ohne einen solchen Anspruch nicht ergäben. Es gibt nicht die allein richtige Methodik. Ann Faraday hat sicher recht, wenn sie pointiert sagt: „Keine Theorie kann für sich allein der Fülle von Träumen gerecht werden …“

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 Welche Probleme durch einen massiven Exklusivitätsanspruch entstehen, hat der Bruch zwischen Sigmund Freud und Carl Gustav Jung gezeigt; die geradezu dogmatisch anmutende Position Freuds hat diesen Bruch unausweichlich gemacht.



Wir haben bei den oben skizzierten vier Traumtheorien jeweils Stärken und Schwächen betrachtet. Die Traumtheorien mit ihrer unterschiedlichen Methodik können sich ergänzen. In der Praxis zeigt sich, dass Träume mit verschiedener Methodik zugänglich gemacht werden können. Traumtheorie und Methodik sollen zum Traum passen und nicht umgekehrt. Entscheidend ist allerdings nicht eine bestimmte Methodik, sondern die Erschließung des Traums für den Träumer, sodass es bei ihm zu einem Aha-Erlebnis und durch das Verstehen des Traumes zu (im Kontext des christlichen Glaubens geistlichen) Wandlungsprozessen kommt.



Bei der Beantwortung der oben gestellten Frage kommt hinzu, dass in der Handhabung der Traumdeutung der Subjektivität eine legitime Rolle zukommt: Das gilt für die Subjektivität sowohl der Person, die therapeutisch oder seelsorglich begleitet, als auch für die der träumenden Person. Beide haben ihre eigene Prägung und Ausbildung. Beide stehen vor der Aufgabe, einen Weg zum Traumverständnis zu finden, der ihnen jeweils am angemessensten erscheint. Für Therapeuten und Seelsorger ist entscheidend, dass ihr Umgang mit den Träumen in die gesamte Behandlungskonzeption – für den Seelsorger kommt hier der Glaube ins Spiel – integriert ist. In der Seelsorge hat dieser Umgang dem Ratsuchenden, dem Seelsorger und der seelsorglichen Situation gerecht zu werden. Die legitime Subjektivität ist von der Gefahr des Subjektivismus zu unterscheiden: Während der Subjektivismus eine Form von Willkür im Umgang mit Träumen mit sich bringt, achtet legitime Subjektivität auf eine verantwortlich reflektierte Entscheidung für – oder auch gegen – eine Traumtheorie und die dazugehörige Methodik.







4.

Psychologische Erschließungskategorien im Umgang mit Träumen



Im Abschnitt 2 hatte ich die These aufgestellt, dass der seelsorgliche Umgang mit Träumen nicht nur unter theologischem, sondern auch unter psychologischem Aspekt sachgerecht sein muss. Nachdem im vorhergehenden Abschnitt 3 ein Überblick über wichtige Traumtheorien gegeben wurde, ist nun in diesem Abschnitt auf Erschließungskategorien der Träume unter praxisrelevantem Gesichtspunkt einzugehen. Abschnitt 5 wendet sich dann Fragen individueller Zugänge zu den Träumen und konkreten Fragen ihrer Erschließung zu. Die Erschließungskategorien bieten eine Art Raster, wie Träume betrachtet werden können. Sie stellen so etwas wie einen Werkzeugkasten zur Verfügung, mit dem ein Traum bearbeitet werden kann. Die individuellen Zugänge zum konkreten Traum verbinden dann die Erschließungskategorien mit konkreten Schritten oder Schrittfolgen. Die Frage nach den Erschließungskategorien und den individuellen Zugängen stehen in wechselseitiger Beziehung zueinander: Die Klärung allein der Erschließungskategorien könnte in der Gefahr stehen, zu unkonkret und allgemein zu bleiben. Die Überlegungen allein zu den individuellen Zugängen könnte zu einer Art von Deutungskasuistik oder Interpretationsmethodismus führen. Indem in den folgenden Ausführungen beides in Beziehung zueinander gesetzt wird, soll ein Raum des Verstehens von Träumen eröffnet werden, der Weite und Konkretion miteinander zu verbinden vermag.



In der Darstellung der Erschließungskategorien werde ich induktiv vorgehen: Ich werde zu Beginn jedes Punktes mit einem oder (wo es sich aus sachlichen Gründen empfiehlt) zwei beispielhaften Träumen beginnen und eine Deutung skizzieren. Anschließend wird die zur jeweiligen Kategorie gehörige Theorie dargelegt. Abschließend werde ich zu den meisten Erschließungskategorien noch weitere Beispiele anführen, die der Vertiefung der dargelegten Theorie dienen.






4.1

Symbole– ihr Verständnis und ihre Bedeutung für Träume



In ein Seelsorgegespräch brachte eine Frau einen Traum ein, den sie vorweg kommentierte: „Mit dem Traum kann ich gar nichts anfangen.“ Sie erzählte:







„Ich träume von einem Wald und komme an eine Lichtung. Da sehe ich, dass ein grünes Netz alles überzieht. Ich denke mir, dass dieses Netz doch alles Leben unter sich erstickt. Ich beginne damit, das Netz einzurollen. Da kommen plötzlich Bedenken in mir auf: Darf ich dieses Netz beseitigen? Dient es nicht zum Schutz der Pflanzen und des Waldes? Ich fühle mich ratlos. Dann kommen mehrere Leute ziemlich schnell in meine Richtung gerannt; ich habe Angst, dass sie mich überrennen. Ich ducke mich schnell weg; die Leute scheinen mich nicht zu sehen. Ich überlege mir, dass ich nach Hause zu meinem Ehemann gehe, um mit ihm darüber zu sprechen, ob das Netz zum Wald gehört oder nicht.“







Im Gespräch über diesen Traum fragte ich die Träumerin, was sie mit „Wald“ verbinde. Sie empfand ihn als etwas Schönes. Sie hält sich gerne in Wäldern auf. Wir kamen im Gespräch darauf, dass ein Wald mit Leben zu tun hat. Als Anregung deutete ich ihr an, dass der Wald auch ein Symbol für das Unbewusste sein könne. Die Lichtung könne dann ein Bild dafür sein, dass Licht in ihre Seele hineinkommt.



Als sie an der Lichtung angekommen war, machte sie im Traum eine wichtige Entdeckung: Sie merkte, dass alles mit einem grünen Netz überzogen war. Ich regte die Träumerin an, sich in das Bild des Netzes hineinzuspüren. Im Traum hatte die Träumerin den wichtigen Eindruck, dass das Netz die entstehenden Pflanzen und Bäume am Wachstum hinderte. Angestoßen durch dieses Bild sprachen wir darüber, dass die Träumerin eine sehr lebensverneinende Frömmigkeit in ihrer Herkunftsfamilie erlebt hatte. Gegen eine ehrliche und freie Meinungsäußerung wurde Gott so ins Spiel gebracht, dass bei ihr ein überempfindliches, schlechtes Gewissen entstanden war. Es handelte sich hierbei eindeutig um religiösen Missbrauch im frommen Gewand.



Wir kamen darauf, dass die Farbe Grün eine Farbe des Lebens ist. Sie passte sehr gut zum Leben des Waldes. Die Seele hatte nun bewusst die Farbe des Lebens als Farbe für das Netz gewählt. So wurde deutlich: Bei der Farbe des Netzes handelte es sich um ein Imitat des Lebens. Die lebenszerstörende religiöse Gesetzlichkeit wurde ja als Wille des „guten Gottes“ ausgegeben. Deshalb war es für die Träumerin so schwer, sich gegen diesen religiösen Missbrauch zu wehren. Statt Leben zu unterstützen, verhinderte das Netz im Traum die Entfaltung des Lebens. Das war ein sehr sprechendes Bild dafür, wie ihre Seele die Religiosität in ihrer Herkunftsfamilie erlebt hatte.



Die Fortsetzung im Traum zeigte eine spontane gesunde Beurteilung der Lage: Sie dachte im Traum ganz richtig, dass dieses Netz alles Leben unter sich erstickt. Eine Seite in ihr wollte das Netz spontan beseitigen und sie begann es einzurollen. Aber da kamen ihr Bedenken. Eine andere Seite in ihr stellte ihre spontane gesunde Reaktion infrage. Diente dieses Netz nicht dem Schutz der Pflanzen und des Waldes? So drückte der Traum plastisch die Pattsituation der anstehenden Auseinandersetzung mit der überkommenen Religiosität in ihrer Seele aus. Wenn sich in ihr Gedanken meldeten wie: „Ich will diese gesetzliche und bedrückende Religiosität nicht mehr“, dann meldete sich im nächsten Augenblick der Einwand: „Wenn ich mich dagegen wehre, werde ich dann nicht an Gott und seinem Willen schuldig?“ Auf diese Weise konnte sich die gesunde Kraft zum Ausstieg aus der fehlgeleiteten Religiosität in ihr nicht entfalten. Diese seelische Pattsituation drückte der Traum beeindruckend treffend im Gefühl der Ratlosigkeit aus.



Der Traum fand seine Fortsetzung in den vorbeirennenden Menschen. Ich fragte die Träumerin, was ihr dazu einfalle. Sie sagte, dass sie sich in ihrem Beruf immer wieder von Menschen überrannt fühle. Sie sähen sie nicht als Mensch, sondern nur als kompetente Frau in ihrem Beruf. Ich gab der Träumerin als Anstoß zur Überlegung noch mit, dass diese vorbeirennenden Menschen auch symbolisieren könnten, dass es in ihr Anteile gebe, die sie überrennen.

 



Wir gingen auch auf ihre Reaktion im Traum auf die vorbeirennenden Menschen ein: Sie suchte Deckung. Wir überlegten, ob möglicherweise eine andere Reaktion angemessen sein könne, z. B.: sich zu zeigen und bewusst den eigenen Raum einzunehmen. Der Traum wies mit diesem Bild auf den fehlenden Schutzraum für die Träumerin hin, an dem zu arbeiten sie herausgefordert ist.



Sehr originell und zugleich verheißungsvoll war der Schluss des Traumes: Die Träumerin entschloss sich, zu ihrem Ehemann nach Hause zu gehen. Sie wollte mit ihm darüber sprechen, ob das Netz legitimerweise zum Wald gehöre oder ob es beseitigt werden solle. Ich fragte sie, wie ihr Mann zur Befreiungssehnsucht ihrer Seele stehe. Sie sagte, dass er sie darin unterstütze. Da merkte die Träumerin, dass der Traum sie auf ihren Mann als unterstützendes „Übergangsobjekt“ hinwies. Sicher ging es dabei um eine Übergangslösung, weil die Träumerin eingeladen war, zu einer eigenständigen inneren Stärke zu finden; es wäre nicht gesund, wenn sie für eine innere Erlaubnis zu einer erwachsenen, befreiten Religiosität auf Dauer von einer äußeren Autorität abhängig wäre, selbst wenn es ihr eigener unterstützender Ehemann ist. Aber in ihrer gegenwärtigen Entwicklungsphase würde ihr Mann hilfreich für sie sein, ihre innere verurteilende Stimme zu relativieren. Ihr Traum ermutigte sie, mit ihrem Mann über diese Zusammenhänge zu sprechen.



Am Ende meinte die Träumerin, dass diese Deutung für sie „total stimmig“ sei.



Was ich in Variationen in der Begleitung von Ratsuchenden mit Träumen häufig erlebe, ist die einleitende Bemerkung: „Mit diesem Traum kann ich gar nichts anfangen.“ Dem Wald und Netz, der Lichtung, dem Grün, den rennenden Menschen und sogar ihrem eigenen Mann im Traum als Unterstützer konnte die Träumerin zunächst keinen Sinn abgewinnen. Die Fremdheit der Träume hängt wesentlich mit ihrer speziellen Art zu „denken“ zusammen. Sie drücken sich in einer besonderen Symbolsprache aus, die erschlossen werden will. Deshalb beginne ich den Abschnitt über die Erschließungskategorien der Träume mit einer Reflexion über das Verständnis von (Traum-)Symbolen.



Der Begriff „Symbol“

19

 kommt sprachlich vom griechischen Verb

symballein

 (= sich unterreden, vergleichen, zusammentreffen) und bedeutet nach seinem ursprünglichen Sinn zusammenwerfen, zusammenfallen, zusammenfügen; das

Symbolon

 ist demzufolge das Zusammengeworfene. Im Symbol kommen zwei Dinge zueinander und bilden eine neue Einheit; in ihm werden die materielle und die geistige Wirklichkeit aufeinander bezogen. So weist das Symbol als sichtbares Zeichen über sich selbst hinaus auf eine hinter ihm stehende Realität. Es ist damit ein Sinnbild, das nicht für sich selbst steht, sondern Träger einer Bedeutung ist, die auf ein von ihm Unterschiedenes hinweist. Dadurch sind inhaltliche Selbstständigkeit des Symbolisierten und gleichzeitige assoziative Nähe zu ihm miteinander verbunden. Der Sinn eines Symbols ist eine Mitteilung ohne Worte, wobei das Symbol für sich selbst spricht. Es will beim Betrachter, dem Adressaten, etwas bewirken.



Diese allgemeinen Gedanken zum Wesen von Symbolen gilt es nun in Richtung auf ihre Funktion und ihr Verständnis in Träumen zu spezifizieren:



– Im Traum geschieht eine Kommunikation zwischen dem

Unbewussten

 und dem

Bewussten

. Beide Ebenen des Bewusstseins stehen sich wie zwei Welten gegenüber. Die Traumsymbole können als Grenzgänger zwischen diesen beiden Welten bezeichnet werden; sie bilden eine Brücke zwischen dem uns vertrauten Bewusstsein und dem uns häufig fremden Unbewussten. Auf der einen Seite treiben sie ihre Wurzeln bis in die geheimsten Tiefen der Seele. Auf der anderen Seite sind sie für das Wachbewusstsein zugänglich; sie machen unsagbare Zusammenhänge des Unbewussten in Bildern sagbar. Im Traumsymbol überschneiden sich die Vorstellungsbereiche des Unbewussten und des Bewusstseins in einer Weise, die für den Träumer fassbar werden kann.



– Traumsymbolen ist eine

Vielschichtigkeit

 und eine

Gegensätze vereinigende

 Fähigkeit eigen. Darauf weist Verena Kast in sehr umfassender Weise hin: „Symbole haben mindestens einen Doppelsinn: sie verschleiern und offenbaren, verbergen und enthüllen, sind reg

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