Träumen

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1.
Grundlegende Bemerkungen zum Umgang mit Träumen

Die Schlafforschung der letzten Jahrzehnte hat herausgefunden, dass jeder, der schläft, auch träumt. Die Fähigkeit zu träumen ist jedem Menschen gegeben, auch denen, die sich selten oder nie an ihre Träume erinnern können. Wenn das so ist, dann ist jeder Mensch vor die Frage gestellt: Wie gehe ich mit meinen Träumen um?

Eine immer noch – leider nicht ganz selten – anzutreffende Haltung ist diejenige, die sich sprichwörtlich in dem Satz „Träume sind Schäume“ ausdrückt. Eine solche Haltung hat meiner Einsicht nach zwei Gründe:

Der eine hängt mit einer Hilflosigkeit im Verstehen von Träumen zusammen. Wie soll man mit den nächtlichen Symbolen und Sequenzen der Träume umgehen? Diese Hilflosigkeit kann dazu führen, die eigenen Träume zu übergehen.

Den anderen Grund sehe ich in einem intuitiven Widerstand gegenüber der Botschaft der eigenen Träume. Im Traum könnten sich möglicherweise unangenehme Hinweise auf noch unbewusste Nöte, Wahrheiten und Lebenskonflikte zeigen, die der Träumer oder die Träumerin lieber von sich fernhalten will. Oft führen sie immer wieder zu unangenehmen Einsichten, die zum Teil in sehr drastischen, aufwühlenden Bildern verpackt auftreten. Dabei kommen Zusammenhänge ans Licht, die unser Selbstbild und unsere Lebensorientierung infrage stellen und auf Erlebnisse hinweisen, die der Aufarbeitung bedürfen. Sie unterwerfen immer wieder das Bild, das wir von uns selber haben, einer Prüfung. Sie können Persönlichkeitsfacetten von uns ans Licht bringen, die uns unangenehm oder sogar peinlich sind. Diese Hinweise können so deutlich sein, dass Träumende nach dem Motto reagieren: Ich möchte damit nichts zu tun haben. Manche weichen auf diese Weise einer Selbsterkenntnis aus, die für sie zu schmerzhaft ist – und lassen unbewusst ihre Träume nicht zu.

Allerdings hat dieses verdrängende Ausklammern der Träume neben der verpassten Chance einer vertieften Selbsterkenntnis noch einen weiteren Nachteil: Wie im Laufe dieses Buches gezeigt wird, enthalten Träume auch immer wieder Mut machende Bilder und Botschaften. Diese kommen bei einer grundsätzlichen Ausklammerung der eigenen Träume nicht beim Adressaten an. Wer seine Träume also negiert, verhindert die Möglichkeit der Entfaltung dieser wertvollen Seite der Traumbotschaft.

Hilfreich ist ein dauerhaftes Ausweichen vor den eigenen Träumen also nicht. Die Tatsache, dass unser Gehirn Nacht für Nacht Traumbilder produziert, kann zu der Überlegung einladen, ob hinter der menschlichen Fähigkeit zu träumen nicht ein Sinn stehen könnte, den zu entdecken sich lohnt. Sie kann zur Einladung werden, sich um ein Verstehen der Traumbilder zu bemühen. Wenn wir unangenehmen Dingen nicht ins Gesicht sehen und so tun, als existierten sie nicht, heißt das beileibe nicht, dass sie aufhören zu bestehen. Unterdrückte Dinge leben im Unbewussten weiter und können auf unberechenbare Weise ins Leben hineinwirken.

1.1 Einführung zum psychologischen Umgang mit Träumen

Sehr tiefsinnig heißt es im Talmud: „Ein ungedeuteter Traum ist wie ein ungeöffneter Brief.“2 Greifen wir die Metapher vom „Brief“ auf, dann ergeben sich zwei Fragen: Wer schreibt diesen Brief? Und welchen Inhalt bringt er mir nahe? Auf dem Hintergrund des christlichen Glaubens umfasst die Antwort auf diese Fragen zwei Dimensionen, eine psychologische und eine theologisch-seelsorgliche Dimension. Ich spreche von Dimensionen, weil – wie später noch gezeigt wird – für den christlichen Glauben die Antworten auf die oben genannten Fragen zwar zu unterscheiden sind, trotzdem aber dicht nebeneinanderliegen und wechselseitig aufeinander bezogen sind. Es ist eben nicht so, dass dort, wo das Unbewusste im Spiel ist, Gott auszuklammern wäre. Umgekehrt wäre es auch nicht angemessen zu behaupten, dass dort, wo Gott als Autor des Briefes in den Blick kommt, das Unbewusste nichts mehr zu suchen hätte.

Betrachten wir hier zuerst die psychologische Dimension der Antwort auf die Frage nach dem Autor des Traumbriefes:

Der Psychologe oder Neurologe wird zur ersten Frage sagen: Der Schreiber dieses Briefes ist das Unbewusste. Denn die moderne Traumforschung ordnet die Entstehung der Träume dem sogenannten Unbewussten zu. Dieses umfasst, allgemein ausgedrückt, all das, was zu unserer Persönlichkeit gehört, ihr jedoch nicht oder noch nicht zugänglich ist. So regt der Traum unter psychologischem Gesichtspunkt das Selbstgespräch zwischen Bewusstem und Unbewusstem an. Das Unbewusste teilt sich dem bewussten Ich so mit, dass der wache Mensch seine Botschaft bewusst aufnehmen kann.

Das führt uns zur zweiten Frage nach dem Inhalt des Briefes, der im Traum geschrieben wird. Psychologisch betrachtet ist der Traum eine Sprache in Bildern. Der Traum enthält so etwas wie eine Botschaft, die wie ein Brief „gelesen“, also gehört, verstanden und aufgenommen werden will. In diesem Sinn sagt Ulrich Kühn sehr prägnant: „Für mich ist ein Traum:

a) eine Schöpfung des Unbewussten,

b) eine szenische Verdichtung von Sinneseindrücken und

c) eine Symbolisierung von Emotionen.“3

Diese These von Ulrich Kühn enthält verschiedene wichtige Aspekte zum Verständnis von Träumen:

Zum einen geht sie davon aus, dass das Unbewusste sich in den Traumbildern sehr kreativ äußert. Häufig sind die Traumbilder so gestaltet, dass vieles von dem, was in ihnen passiert, auch in der Alltagsrealität vorkommen könnte. Personen, Gegenstände und Handlungen könnten – mindestens zum Teil – tatsächlich auch so in der Alltagswelt vorkommen. Aber die Kreativität des Unbewussten zeigt sich darin, dass diese alltäglich bekannten Dinge in einer spezifischen Weise verarbeitet, umgestaltet und häufig in einen neuen Kontext gestellt werden. Während die Wirklichkeit ritualisiert und mehr oder weniger berechenbar ist, gilt dies für die Traumwelt nicht.

Zum andern sagt die These von Ulrich Kühn, dass im Traum Sinneseindrücke verarbeitet werden. Diese Eindrücke werden vom Unbewussten ausgesucht und szenisch verdichtet. Was wir sehen, hören, riechen, schmecken oder fühlen, kann im Traum aufgegriffen und verstärkt werden.

Schließlich bemerkt Ulrich Kühn in seiner These, dass Träume eine „Symbolisierung von Emotionen“ darstellen. Träume lassen sich als Gesichter unserer Gefühle und der mit ihnen verbundenen Kräfte verstehen. Sie sind Gefühle in (bewegten) Bildern. Von daher gilt: Begegnen wir unseren Träumen, so begegnen wir der Tiefe unseres Lebens, weil Gefühle Lebendigkeit und Tiefe in unser Leben bringen.

Träume sind ein Spiegelbild des Träumers; sie geben ihm ungeschminkt Einblick in sein Leben mit seinen häufig unverarbeiteten Erlebnissen. Sie geben Einblick in die Tiefenschichten unserer träumenden Persönlichkeit. Häufig führen sie vor Augen, was wir im Alltag vermeiden, was an konflikthaften Erlebnissen unverarbeitet geblieben ist oder wo wir einer einseitigen Lebensweise verfallen sind. Manchmal deuten sie auch zukünftige Lebensmöglichkeiten an, weisen auf ungenutzte Potenziale hin und unterstützen uns dabei, zu einem ganzheitlicheren Leben zu finden. Sie können mahnen oder warnen. So findet sich in Träumen beides: Auf der einen Seite Schreckliches und Gefahrvolles und auf der anderen Seite Schönes und Erfreuliches, was mit unseren Sehnsüchten und Wünschen zu tun haben kann. Sie können uns helfen, auf der psychologischen Ebene tiefer zu unserer Wahrheit zu finden und innerlich mehr ganz, mehr heil zu werden. So sind sie eine Art innerer Begleiter auf unserem Entwicklungsweg der Reifung.

Mit dem allem liefern Träume den Träumenden so etwas wie einen „Diskussionsbeitrag“4 des Unbewussten, der vom Bewusstsein aufgegriffen werden kann. Somit tragen sie zu einer vertieften Selbsterkenntnis bei, um möglicherweise unsere Lebensorientierung zu korrigieren. Das Spezielle dieses Diskussionsbeitrages besteht darin, dass er im Traum in einer Bildsprache präsentiert wird. Diese Bilder wollen verstanden werden. Und dazu bedarf es der Deutung. Die Frage der Traumdeutung ist entscheidend für die Frage danach, was Träume den Träumenden zu sagen haben.

Vor dem Hintergrund der soeben skizzierten psychologischen Zusammenhänge wird verständlich, warum Reinhold Ruthe und Lydia Ruthe-Preiss etwas überspitzt formulieren können: „Wer nicht träumt, lebt gefährlich.“5 Die Botschaft der Träume will im Leben der Träumenden aufgenommen und dadurch fruchtbar werden. Unter psychologischem Gesichtspunkt ist Ortrud Grön nur zuzustimmen, wenn sie sagt: „Träume können eindeutig sein oder so vielschichtig, dass sie kaum dechiffrierbar erscheinen. Nur eines sind sie nicht: bedeutungslos.“6 Und es wäre mehr als schade, wenn sie von den Träumenden ungehört und in ihrer wachstumsfördernden Dynamik ungenutzt blieben.

1.2 Einführung zum seelsorglichen Umgang mit Träumen

Oben habe ich die psychologische Dimension angesprochen, die auf das Unbewusste verweist. Nun muss die zweite Dimension in den Blick kommen, nämlich die theologisch-seelsorgliche.

Vor dem Hintergrund des christlichen Glaubens könnte man sich ja fragen: Warum sollen wir uns überhaupt mit unseren nächtlichen Träumen befassen, wo es Christen doch um Gott und sein Wort in der Bibel gehen sollte? Gibt es für Menschen, die im christlichen Glauben leben und Jesus Christus nachfolgen wollen, nichts Dringlicheres zu tun als sich mit ihren Träumen zu befassen? Oder anders gefragt: Gilt das, was im Hinblick auf Träume bisher gesagt wurde, nur für diejenigen, die dem christlichen Glauben fernstehen? Man könnte sich dabei auch auf Jeremia 23,25 f. berufen, wo der Prophet sich kritisch gegenüber den königstreuen Propheten äußert, die sich bei ihren Prophetien auf ihre eigenen Träume beriefen: „Mir hat geträumt, mir hat geträumt.“

 

Es geht bei diesen Überlegungen also um die Frage, ob, und wenn ja, wie Gott als Autor des Traumbriefes zu verstehen ist: Lässt er den Traum in einem „unmittelbaren Eingriff“ entstehen und was würde das für die Interpretation von Träumen bedeuten? Oder wirkt er irgendwie nur „teilweise“ bei der Traumentstehung im Unbewussten mit und was würde das dann für die Arbeit mit Träumen bedeuten? Weil dieses Buch primär vom seelsorglichen Umgang mit Träumen handelt, möchte ich auf die Frage eines geistlich begründeten Umgangs mit Träumen bereits an dieser Stelle ausführlicher eingehen.

Ich beginne mit der These, dass ein spezifisch seelsorglicher Ansatz im Umgang mit Träumen unter dem Anspruch steht, in zweierlei Hinsicht sachgerecht zu sein:

Er hat auf der einen Seite im Hinblick auf psychologische Einsichten zur Traumdeutung sachgerecht zu sein. Die Arbeit mit Träumen in der Seelsorge hat die psychologische Forschung nicht nur als notwendiges Übel zur Kenntnis zu nehmen, sondern verantwortlich einzubeziehen und fruchtbar zu machen. Immer wieder begegnet einem in der Praxis eines seelsorglichen Umgangs mit Träumen, die psychologische Deutungshilfen einbezieht, die Meinung: Das ist doch nur „psychologischer Kram“. Mit diesem Urteil im Hinterkopf würde sich ein Christ den Bezug zu einem psychologisch sachgerechten Umgang mit Träumen verstellen.

Auf der anderen Seite hat ein seelsorglicher Ansatz des Umgangs mit Träumen auch im Hinblick auf das Zentrum des christlichen Glaubens sachgerecht zu sein. Es wäre unangemessen, wenn bei einer seelsorglichen Bearbeitung von Träumen der Gottesbezug als „frommes Zeug“ praktisch ausgeklammert werden müsste. Ein Christ würde sich dann unkritisch an die Psychologie – egal welcher Schule – verkaufen.

Für einen im dargelegten Sinne doppelt sachgerechten Ansatz bietet sich das Zentrum des christlichen Glaubens an, nämlich der dreieinige Gott. Gehen wir diesem Geheimnis nach und betrachten es im Hinblick auf den seelsorglichen Umgang mit Träumen:

Der erste Glaubensartikel im apostolischen Glaubensbekenntnis formuliert: „Ich glaube an Gott den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde.“ Die gesamte Schöpfung wird hier als aus dem Willen Gottes entsprungen begriffen. Dazu gehört auch der Mensch. In diesem Sinne beginnt Martin Luther seine Erklärung zum ersten Glaubensartikel mit den Worten: „Ich glaube, dass mich Gott geschaffen hat …“ Und Luther entfaltet in der Fortsetzung: „… mir Augen, Ohren, Vernunft und alle Sinne gegeben hat und noch erhält …“ Wir können unter dem Gesichtspunkt unseres Themas diesen Gedanken dahingehend entfalten, dass Gott uns mit unserem Unbewussten geschaffen hat. Auf diesem Hintergrund wäre es befremdlich, wenn er mit unseren Träumen nichts zu tun hätte. Er hat uns die Fähigkeit mitgegeben zu träumen und uns damit verstehend zu beschäftigen. Und Gott hat den Menschen den Auftrag gegeben, sich „die Erde untertan“ (1. Mose 1,28) zu machen. Zu diesem Auftrag gehört das weite Feld der Wissenschaft, auch der psychologischen Wissenschaft. Unter diesem Auftrag kann der Christ offen mit Einsichten der Psychologie – auch denen der Traumforschung – umgehen. Das gilt auch für wissenschaftliche Einsichten, die von Forschern ohne Gottesbezug herausgefunden wurden, sofern sie innerhalb der wissenschaftlich gegebenen Grenzen bleiben. Die psychologische Wissenschaft kann zum Wesen des Menschen unter dem Gesichtspunkt seines Gottesbezugs nichts sagen. Mit dem Gesagten eröffnet sich dem christlichen Glauben vom ersten Glaubensartikel her die Freiheit, sich psychologische Erkenntnisse für den seelsorglichen Umgang mit Träumen fruchtbar zu machen.

Der zweite Glaubensartikel spricht das Bekenntnis zu „Jesus Christus, Gottes eingeborenen Sohn“ aus. Im Tod Jesu für uns am Kreuz wird der Zustand der Welt und des Menschen unter der Sünde offenbar. Sünde ist Trennung von Gott. Der Mensch und die ganze Welt sind von dieser Trennung betroffen und leben im Aufstand gegen den lebendigen Gott. Von diesem Aufstand ist der Mensch in allen seinen Dimensionen betroffen, also in seiner physischen, psychischen und spirituellen Dimension. Auch die Fähigkeit zur wissenschaftlichen Arbeit ist von der Macht der Sünde bedroht; das gilt auch für die psychologische Wissenschaft. Auch die Fähigkeit des Menschen zu träumen wird immer wieder in diesen Sog der Trennung von Gott hineingezogen. Es gibt keinen Bereich im Menschen, der nicht von der Sünde betroffen wäre. Es ist eine in manchen christlichen Kreisen beliebte Denkfigur, das innerste Selbst, das sich aus dem Unbewussten in Träumen meldet, als einen göttlichen Kern zu betrachten. Unter dem Gesichtspunkt des biblisch-reformatorischen Glaubens ist die Rede vom „göttlichen Selbst“ oder vom „göttlichen Kern“ des Menschen nicht mitvollziehbar. In der Arbeit mit Träumen werden sich daher immer wieder Spuren der Sünde zeigen, die es in den Blick zu nehmen gilt.

Der zweite Glaubensartikel eröffnet zugleich mit dem Blick für die Sünde die Realität der Erlösung durch Jesus Christus. In seiner Auferweckung hat er die Macht der Sünde überwunden. Diese Realität hat heilvolle Konsequenzen für den Umgang mit Träumen. Der Mensch ist nicht auf die physischen oder psychischen Spuren der Sünde festgelegt. Das gilt zum einen für die selbst vollzogenen Sünden der Träumenden. Zum Beispiel weisen Träume immer wieder auf destruktive Haltungen der Träumenden sich selbst oder anderen gegenüber hin. Zum anderen weisen Träume ebenfalls immer wieder auf erfahrene Sünden der Träumenden hin, die sie von anderen her betreffen und unter denen sie zu leiden haben. Sehr eindrücklich zeigen das Träume, die mit traumatischen Erfahrungen in Verbindung stehen. Wenn im Traum solche Zusammenhänge ans Licht kommen, dann können sie mit der Erlösung durch Jesus Christus in Verbindung gebracht werden. Wo in Träumen Hinweise auf Sünde mit falschen Einstellungen oder Handlungen sich selbst oder anderen gegenüber auftauchen, können sie vor Jesus Christus gebracht werden und so zu einem Weg der Umkehr führen. Wo Träume den Träumer auf durch andere erlittene Sünden und deren Folgen hinweisen, können diese Zusammenhänge – häufig in einem längeren Prozess – in die heilende Gegenwart des auferstandenen Christus gebracht werden. Das Traumgespräch bekommt daher unter dem Blickwinkel des zweiten Glaubensartikels einen realistischen Blick für die von der Sünde geprägten Zusammenhänge sowie für die vergebende, heilende und erneuernde Gegenwart des auferstandenen Gekreuzigten.

Im dritten Glaubensartikel bekennt sich die Gemeinde Jesu zum Heiligen Geist. Der Geist Gottes ist der uns gegenwärtig zugewandte und diese Welt erneuernde Gott. Er ist Gott, der auch unsere verborgenen Tiefen gestaltet. Das betrifft die seelsorgliche Arbeit mit Träumen in verschiedener Hinsicht:

Zum einen rechnen Glaubende damit, dass der Heilige Geist bis in das Unbewusste hineinwirkt. Wann und wie das geschieht, steht nicht in der Verfügung der Träumenden oder derer, die die Traumarbeit begleiten. Es ist jedoch immer wieder zu erleben, dass Träume in bildhafter Weise so etwas wie einen Abdruck des Wirkens Gottes durch seinen Heiligen Geist darstellen. Es gibt kein „christliches Unbewusstes“. Wir haben mit allen Menschen, auch mit denen, die nicht an Gott glauben, das Unbewusste gemeinsam. Wenn jedoch ein Mensch sein Leben ihm ganz anvertraut, dann vertraut er sich auch mit seinem Unbewussten dem lebendigen Gott an. Hier wird deutlich, dass Gott der Heilige Geist sich in seinem Wirken auf Gott den Schöpfer rückbezieht, dass also der dritte Glaubensartikel auf den ersten bezogen ist. Unter diesem Gesichtspunkt gibt auch der dritte Glaubensartikel eine Freiheit im Umgang mit Einsichten der Psychologie zur Traumdeutung.

Ferner ist dem Artikel über den Heiligen Geist das ganze Gebiet der Offenbarungsträume zugeordnet. Es gibt ernst zu nehmende Berichte von Offenbarungen Gottes in Träumen. Darauf wird im Abschnitt 6.6 eingegangen.

Der Bezug auf den Heiligen Geist setzt zugleich eine Grenze im Hinblick auf einen selbstherrlichen Umgang mit Träumen. Das Wirken des Heiligen Geistes ist nicht machbar. Hier sind die Menschen, die sich auf Gottes Geist verlassen, radikal (= an die Wurzel gehend) vom lebendigen Gott abhängig. Die Begrenzung, die mit dem Bezug auf den Heiligen Geist gegeben ist, macht eine prinzipielle Leugnung der Wirksamkeit Gottes in Träumen unmöglich. Wenn dies von psychologischer Seite her geschähe, müsste das klar als Grenzüberschreitung psychologischer Kompetenz bezeichnet werden.

Weiter können diejenigen, die als Christinnen und Christen Träume in der Traumarbeit einbringen, und diejenigen, die sie zu bearbeiten helfen, mit aktuellen Impulsen des Heiligen Geistes für das Verständnis von Träumen rechnen. Das kann sich zum Beispiel unspektakulär darin ereignen, dass sich in einem Gespräch, in dem der Heilige Geist einbezogen wird, bei einem zunächst unverständlich erscheinenden Traum eine überraschende Klarheit zeigt. Oder es kann durch den Heiligen Geist zu einem deutlichen inneren Eindruck kommen, den ein Ratsuchender oder Begleiter als deutendes Reden Gottes zum Verstehen eines Traumes erlebt.

Schließlich kann der Heilige Geist bewusst erbeten werden, wenn es darum geht, die Einsichten und Hinweise eines Traumes im praktischen Lebensvollzug umzusetzen. Der Heilige Geist bewirkt immer wieder durch Träume Prozesse der Heiligung und Verwandlung in denen, die Jesus nachfolgen. Dieser Zusammenhang wird uns noch im Abschnitt 6.5 ausführlicher beschäftigen.

Fassen wir den Ertrag der theologisch-geistlichen Begründung für das geistliche Verstehen von Träumen und die Verwendung psychologischer Einsichten im seelsorglichen Umgang mit ihnen zusammen:

– Die Begründung ist mit dem Glauben an den dreieinigen Gott gegeben. Gott der Schöpfer hat den Menschen mit dem Unbewussten geschaffen. Er hat ihm die Fähigkeit zu träumen geschenkt. Das schenkt uns die Freiheit, psychologische Einsichten zur Traumdeutung in die seelsorgliche Begleitung einzubeziehen.

– Jesus Christus schenkt mit seiner Erlösung einen nüchternen Blick für die Realität der Sünde sowohl in einer sich selbst überhöhenden Wissenschaft als auch in Träumen. Und er öffnet die Tür zu Heilung, Verwandlungsprozessen und zur Vergebung.

– Der Heilige Geist bezieht sich auf Gottes Schöpfung, wozu auch das Unbewusste und die Träume gehören, und hilft, sie im Sinne der Heiligung aufzugreifen und zu leben. Der Heilige Geist kann darüber hinaus auch Offenbarungsträume schenken, die ein rein psychologisches Verstehen von Träumen übersteigen.

Vor dem Hintergrund des soeben Dargelegten ist nun eine theologisch begründete anthropologische Standortbestimmung möglich. Mit der Grafik versuche ich sie anschaulich zu machen.


Die Abbildung versucht, die Verbindung (und Unterscheidung) der psychischen Verfasstheit des Menschen bei gleichzeitiger Bezogenheit auf die Realität Gottes (und der Sünde) im Hinblick auf einen seelsorglichen Umgang mit Träumen zu veranschaulichen:

Der kleinste Kreis stellt das Bewusstsein dar, also das, was sich im Laufe der Entwicklung an Ich-Bewusstsein entwickelt hat. Das Unbewusste umgibt das Bewusstsein als ein größeres Ganzes.7 Zwischen dem Ich-Bewusstsein und dem Unbewussten besteht ein vielschichtiges Verhältnis von wechselseitiger Beeinflussung. Vielschichtige Eindrücke des täglichen Lebens erreichen das Unbewusste, und umgekehrt kommen Impulse aus dem Unbewussten ins Bewusstsein. Der Doppelpfeil weist auf diesen wechselseitigen Austausch hin. Man kann nun sagen, dass die Träume an der Grenze zwischen dem Ich-Bewusstsein und dem Unbewussten angesiedelt sind. Sie greifen in ihrer Bildwelt Eindrücke des Bewusstseins auf und gestalten sie vom Unbewussten her in spezifischer Weise um.

Das Ich-Bewusstsein und das Unbewusste werden von der Realität Gottes und von der Realität der Sünde umgriffen, in der Grafik mit einem hellen und einem dunkelgrauen Ring symbolisiert. Beide Realitäten stehen in Verbindung mit dem Bewusstsein und dem Unbewussten und wirken auf sie ein; diese Verbindung deuten die gestrichelten Pfeile an. Der helle Ring umgreift den dunkelgrauen: Die Realität Gottes und seine Erlösung überwinden die Realität der Sünde, auch wenn damit die Sünde noch nicht endgültig bedeutungslos geworden ist. Der helle Ring, der den dunkelgrauen umfasst, soll die Wahrheit des paulinischen Wortes aus Römer 5,18 darstellen: „Wo die Sünde mächtig geworden ist, da ist die Gnade noch viel mächtiger geworden.“

 

Freilich ist bei dieser Darstellung eine Abgrenzung nötig: Wenn in der grafischen Darstellung die Realität der Sünde von der Realität Gottes umschlossen dargestellt ist, soll damit nicht gesagt werden, dass das Böse und der Böse in Gott selbst hineingenommen sind. Diese Vermischung von Gut und Böse in Gott wird von Carl Gustav Jung und seiner Schule vertreten; darauf wird in Abschnitt 6.4.1 bis 6.4.6 näher eingegangen. Eine solche Vorstellung entspricht nicht dem biblischen Denken. Ihr soll durch die grafische Darstellung nicht Vorschub geleistet werden; darin liegt eine Grenze der Darstellung. Hier geht es lediglich um die Aussage, dass die Sünde nicht neben oder über Gott steht, sondern ihm untergeordnet ist.

Das soeben Dargelegte hat unmittelbare Folgen für die Arbeit mit Träumen innerhalb der Seelsorge: Diese Arbeit will in einer Wachsamkeit für die Beziehung zur Realität des gegenwärtigen Gottes und zur Realität der Sünde getan werden. In der Symbolwelt der Träume werden sich immer wieder Spuren des Wirkens Gottes und Spuren der Sünde erschließen lassen. Diese Spuren sind zumeist nicht in unmittelbar religiösen Symbolen, sondern häufig in andeutenden Bildern und Handlungszusammenhängen im Traum zu erschließen und warten darauf, aufgegriffen und verarbeitet zu werden.

So können Träume in der seelsorglichen Begleitung eine wichtige Hilfe sein, den roten Faden im (geistlichen) Leben zu finden, zeigen sie doch häufig sehr eindrücklich und einprägsam, wo die Seele der Ratsuchenden steht und was für sie in den Blick zu nehmen ist. Immer wieder ermöglichen Träume beeindruckende Einblicke in das Wesen eines Menschen und zeigen sich dabei in ihren Urteilen als unparteiische Quelle der Information über den Zustand der Seele. Sie weisen ebenso auf Wachstum und Verwandlung wie auf Stillstand und ungesunde Orientierung der Träumenden hin. Es zeigt sich, dass unter geistlichem Gesichtspunkt Gotteserfahrung und Selbsterfahrung zusammengehören; beides ist zwar zu unterscheiden, aber nicht zu trennen. Sehr treffend bemerkt in dieser Richtung Ulrich Kühn: „Zum ganzheitlichen Glauben gehört demnach, auch das einzubeziehen, was unbewusst ist und etwa durch Träume bewusst werden kann. Ganzheitlich glauben heißt für mich, den verdrängten und abgespaltenen Teilen der Persönlichkeit zu begegnen und – wenn sie ins Bewusstsein drängen – sie nicht länger abzuwehren.“8 Wenn ich offen bin für das, was meine Träume anzeigen, werden sich immer wieder beide Erfahrungsweisen von psychischer Befindlichkeit und geistlicher Realität miteinander verbinden. Das, was ich wahrnehme, will an der Hand Gottes aufgenommen und ausgehalten werden – auch dort, wo es Unangenehmes und Unheiles in mir betrifft. Dieser ehrliche Blick auf sich selbst ist umschlossen vom liebevollen Anblick Gottes, der ohnehin weiß, was in mir alles schlummert. Zugleich gilt: Träume zwingen uns nichts auf und sie legen uns nicht negativ fest. Sie sind eine gute Gabe Gottes auch dort, wo sie uns zu einer nüchternen Selbsterkenntnis aufrufen. Indem wir sie annehmen, helfen sie uns zu geistlichem und menschlichem Wachstum.

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