Reisen Band 1

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Vorbei - dort drüben weidet eine große Heerde der kleinen Pampasschafe; aber weit zurückgeblieben ist eine Mutter mit ihrem, erst vor wenigen Stunden geworfenen Lamm. Aengstlich zurückblickend und das arme kleine, schwache Ding, das sich kaum schon auf den Füßen erhalten kann, durch leises Blöken ermunternd, sucht sie nun die Heerde wieder zu gewinnen. Wenn die Nacht anbricht, fänden ja herumstreifende Raubthiere die Hülflosen ohne Schutz und Schirm.

Sieh - der große Geier, der dort hoch oben in der Luft stand und den Platz schon eine Weile in weiten Kreisen umzog, hat sie entdeckt und stößt rasch herab, sicher geglaubte Beute zu finden - aber die sonst so scheue, ängstliche Mutter läßt das Kind nicht dem gierigen Sohn der Lüfte. - Den Kopf gebeugt, tritt sie gegen ihn an, und der Raubvogel, so stark und scharf auch Klauen und Schnabel sind, hält sich zurück vor dem Mutterzorn, sitzt nieder auf dem ihm nur wenig zusagenden Boden, und folgt unbehülflich und schwerfällig in sechs bis acht Schritt Entfernung etwa dem kleinen Lamm, das die Mutter nur vergebens zu größerer Eile antreibt. Der gierige Falke hofft auf den Tod des armen schwachen, kleinen Wesens, oder - auf die Nacht, und bleibt bei der schon sicher gehaltenen Beute, und die arme Mutter weiß, was dem Kinde droht, wenn es nicht die letzten Kräfte /77/ zusammenrafft, die nahe und doch noch so entsetzlich ferne Heerde zu erreichen.

Vorbei - hui - dort gleitet ein Schuppenthier blitzschnell über den Pfad in das hohe Gras hinein, und der alte Gaucho richtet sich hoch auf im Sattel, ob das zur Seite geschobene Gras nicht noch einmal die Richtung anzeigt, in der das Thier verschwunden. - Die Schuppenthiere schmecken den wilden Burschen gar delicat, und vielleicht um so besser, da sie ein seltener Braten sind.

Und was liegt dort an dem feuchten Fleck in der Steppe, wo sich in einer kleinen Senkung des Bodens Wasser vom letzten Regen gehalten? - ein sterbendes Rind, das grüne glasige Auge stier und erblindend auf den Klee geheftet, der es jetzt in weichen dichten Mengen umgiebt und der in wenigen Tagen, von seinem verwesenden Körper verpestet, von Raubthieren zertreten sein soll. - Die übrigen Thiere stehen dicht dabei, aber sie achten nicht des scheidenden Kameraden - da - hier - dort, da drüben überall liegen die noch hier und da mit der vertrockneten Haut, oft auch vollkommen nackten Gerippe früher Vorangegangener. - Das Vieh meidet sie, so lange sie die Luft um sich her mit ihrem entsetzlichen Duft erfüllen, und grast dicht neben ihnen, wenn Sturm und Regen die letzten widerlichen Spuren verwaschen haben.

Vorbei - da, siehst Du dort unsern alten Freund, den Storch, wie thätig er geworden und wie aufmerksam und still er in das stille Wasser schaut, das, zwischen dem Rasen hervorquellend, einen kleinen klaren Teich gebildet? - Er kümmert sich jetzt nicht mehr um den Nachbar, dem er vorher so viel zu erzählen hatte; er schaut nicht mehr bald hinauf nach dem kreischenden Flug von Papageien, die mit scharfem Flügelschlag über die Steppe strebten, den gewöhnlichen Schlafplatz für die Nacht zu erreichen, noch nach der Schaar rother Flamingos, die mit den langen, wunderlich gebogenen Hälsen einen Nachbarteich in Beschlag genommen. - Nur einen einzigen ärgerlichen Blick wirft er hinüber auf eine lange Kette schnatternder, quäkender Wildenten, die sich eben in dichtgedrängter, unruhig wogender Schaar fast zu nahe bei ihm /78/

niedergelassen und das Wasser erregt haben, und blickt dann ernsthaft und aufmerksam wieder auf die dunkeln Stellen im schlammigen, halbüberwachsenen Grund, geduldig erwartend, was ihm daraus wohl aufgetischt werden würde.

Vorbei - die Sonne sank lange hinter den Kordilleren, und ihren Mantel wirft die Nacht im raschen Flug über die kaum dämmernde Erde.

Am 21. kamen wir in die Provinz Santa-Fé, und was in Buenos-Ayres vielleicht kaum mehr als ein Gerücht gewesen, „daß die Pampas-Indianer nämlich wieder ausgebrochen seien und die Ansiedlungen der Argentiner bedrohten" - fand hier volle Bestätigung. Die Leute sprachen von nichts als Indianern - ein Gefecht sollte schon zwischen ihnen und einem Trupp Soldaten stattgefunden, und sie selber auch mehrere junge Leute im „Campo" überfallen und getödtet haben. Dabei war das Unangenehme, daß sie sehr selten in kleinen Trupps, sondern meistens in größeren, von fünfzig bis hundert und mehreren, gingen. Was hätten wir Drei, die anderen Beiden nur mit ihren Messern bewaffnet, gegen eine solche Uebermacht ausrichten wollen! Die einzige Aussicht in diesem Falle blieb, wie uns der Alte versicherte, schleunige Flucht gen Norden. Fliehende Heerden und aufgescheuchtes Wild sollten in dem Fall, daß die Indianer in Masse herankamen, das erste und ziemlich gewisse Zeichen ihrer gefürchteten Ankunft sein, und dann kam es in der That darauf an, wer die besten und schnellsten Pferde unter sich hatte - die Indianer oder wir.

Der Arroyo de Pavon, ein kleines seichtes Flüßchen, bildet hier, die Grenze zwischen den Provinzen Buenos-Ayres und Santa-Fé, und in mehr als einer Hinsicht sollten wir den Unterschied zwischen beiden Ländertheilen kennen lernen. Zuerst, was mich aber nichts weiter anging, da der Correo sämmtliche Kassengeschäfte zu besorgen hatte, galten von hier an nicht mehr die Buenos-Ayres-Papierthaler, die sogenannten pesos, das Stück etwas über zwei Groschen an Werth, die in der /79/ ersten Provinz wechselnden Cours haben und damals lieber als selbst Silber genommen wurden. Von hier ab mußte der Correo Alles mit Silber selber bezahlen. Dann aber erreichten wir hier erst das wirklich wilde Land der Steppen - den Schauplatz der häufigsten indianischen Einbrüche, und fast war es auch, als ob dieser kleine Bach, der die Provinzen schied, selbst eine Scheidewand in der Vegetation bilde. Der ganze Anblick der Pampas bekam, wie durch den kleinen Fluß abgeschnitten, etwas Winterlicheres, als er bisher gehabt. Bis dahin war das Land eine weite, durch nichts unterbrochene, fast maigrüne Ebene gewesen; saftiger Klee und frisches Gras, in dem das wohlgenährte Vieh in ungeheuren Mengen weidete oder ruhig gesättigt ausruhte. Hier aber wurde das Vieh schon seltener, die Heerden weniger und schwächer, und nur eine Art breiter dorniger Kletten überzog die grüne Unterdecke mit einem grauen, aber noch immer oft durchbrochenen Schleier. Noch auffallender sollte dieser Wechsel am nächsten Tage werden, wo auch das Land selber mehr wellenförmig wurde und in langen grauen Hängen den Blick des Reisenden ermüdete.

Diesen Abend ritten wir bis spät in die Nacht hinein, um soviel als möglich von dem am meisten durch Indianer bedrohten Terrain zurückzulegen. Noch mit Dunkelwerden wechselten wir die Pferde - etwas, das ganz gegen die Natur meines alten Correo schien, der es sich Abends gewöhnlich, sobald es nur irgend gehen wollte, bequem machte. Wenn ihn aber etwas aus seiner Ruhe bringen konnte, so war es das Zauberwort los Indios, und wo er das erwähnen hörte, ging er auch gewiß nicht eher fort, bis er Alles wußte, was er darüber hören, und was vielleicht auf seinen jetzigen Ritt Bezug haben konnte.

Es war schon stark dunkel, als wir an den Rand eines andern kleinen Flusses mit schlammigen Ufern kamen, den wir kreuzen mußten. Die Flüsse dieser Steppen sind nicht gerade tief, ihre schlammigen Ufer dem Reisenden aber nur zu oft hinderlich, und manchmal wohl auch gar gefährlich; doch sollen sie in nässerer Jahreszeit nicht selten stürmende Fluchen, ihr Bett hinabwälzen und den Durchgang oft unmöglich machen. /80/

Am 22. Morgens hüllte ein so dichter, entsetzlicher Nebel die Ebene ein, daß mein alter Correo in diesem unter keiner Bedingung aufbrechen wollte. Gerade hier schien eine Art Wechsel der gefürchteten „Indios" zu sein, die sich in dieser Gegend früher sehr häufig gezeigt hatten, und außerdem waren wir der Gefahr ausgesetzt, die rechte Richtung zu verfehlen und die nächste Station gar nicht anzutreffen. In solchem Wetter hätten wir auf fünfzig Schritt Entfernung nichts von ihr gesehen oder gespürt, und dann lag sogar die Möglichkeit vor, daß wir, trieb sich wirklich ein Indianertrupp in der Nähe herum, diesem eben so leicht in die Fänge laufen konnten. Bei solchem Nebel sollen diese Söhne der Steppe nämlich gar gern die Ebenen durchstreifen und überall ihre Wächter hinsenden, wenn sie sich in der Nähe besiedelter Striche wissen. Trafen sie aber auf uns, so blieb uns in der freien Ebene, ohne jeden Vorsprung, nur sehr wenig Hoffnung zum Entrinnen.

Endlich lichteten sich die Schleier; zuerst brach die Sonne hindurch, und oben in dünnen duftigen Massen theilte sich die Decke, die bis dahin zäh und hartnäckig auf uns gelagert. Ueber den mattblauen Himmel hin suchten die einzelnen abgerissenen Flocken ihre Bahn. - Tiefer und tiefer arbeitete sich das helle, freundliche Sonnenlicht hinein und grub und drängte und schob endlich die weißgelben Schwaden wie riesige Coulissen zurück von der Bühne, aus der uns jetzt schon wieder grüne, lachende Wiesenflecke und weidende Heerden, nur noch wie von einem luftigen Flor überhaucht, entgegentraten. Jetzt schwand auch dieser: der letzte Windstoß, der mit der siegenden Sonne daherstrich, nahm ihn hinweg auf seinen kräftigen Armen, und weiter und weiter zurück wich der düstere Geist, der diese thaublitzenden, schimmernden Ebenen so lange verdeckt und verhüllt gehalten. Kaum gewannen wir aber erst einen richtigen und vollständigen Ueberblick über die Ebene, als ihn mein alter Correo auch nach besten Kräften benutzte und den Horizont mehrere Minuten lang mit seinen dunkeln Adleraugen überflog. Wir sahen nun, denn ich ließ mein Taschenteleskop ebenfalls seine Dienste thun, daß, so weit das Auge nach Süden reichte, die wenigen Heerden, die noch /81/ sichtbar waren, still und unbelästigt und ungeschreckt weideten. Die schon lange gesattelten und bepackten Thiere wurden vorgeführt - „vamos!" lautet der Ruf , und von den Sporen kaum berührt, flogen die Klepper weit aus über die Steppe.

 

Nur erst wenige Leguas von dem Platz entfernt, veränderte sich das ganze Aussehen des Bodens merklich. Selbst die bis dahin einzeln zerstreuten Heerden hörten hier auf, dem Auge einen Ruhepunkt zu bieten. Kein Klee gab dem Vieh mehr die saftige Nahrung; ziemlich hohes, schon gelbendes Büschelgras vertrat jetzt dessen Stelle, und stehe da - als wir rasch eine kleine Anhöhe hinansprengten, schreckte ein Hirsch aus seinem Lager auf und floh, den hohen weißen Wedel zeigend, rasch einem sicherern oder doch wenigstens ungestörteren Platze zu. Nicht ein einziges Stück größeres Wild - Enten und Wassergeflügel natürlich genug - hatte ich gestern bemerkt, und heute, wohin das Auge sah, fand es theils äsende, theils fliehende Hirsche, die sich das hier etwas höhere Land zu ihrem Sammelplatz ausersehen zu haben schienen. Es war dem Auge eines Jägers ein wohlthuender, freudiger Anblick, der noch durch einen neuen Genuß verstärkt werden sollte. Wir mochten kaum eine Stunde geritten sein, als ich vor uns eine Schaar sich wunderlich bewegender Gestalten entdeckte. „Was ist das?" war mein fast unwillkürlicher Ausruf, und der Postillon zeigte lachend hinüber und sagte: „Avestruz."

Strauße, die ersten wilden, die ich sah - denn zahm hatte ich sie schon hier und da in den einzelnen Ansiedlungen gefunden - Strauße, die sich dort, in den weiten Pampas, jagten und mit den unbehülflichen Flügeln schlugen, die langen Beine rechts und links hinauswarfen, und endlich, als sie unser Nahen hörten, pfeilschnell über die Ebene dahinstoben - ein Pferd hätte ihnen mit der Schnelle kaum folgen können. Mich drängte es fast, meinem Thiere die Hacken einzusetzen und hinter der wilden, wunderlichen, in der Flucht mit einander spielenden und sich bald rechts bald links hinüberhetzenden Schaar herzusprengen. Aber sie flohen nach Süden hinunter, und mein Begleiter warf noch fortwährend viel zu mißtrauische /82/ Blicke nach jener Himmelsrichtung, um mir je zu gestatten, ihr entgegenzujagen. Ueberdies hatten wir an dem Morgen auch viel Zeit versäumt, und es galt jetzt vor allen Dingen, erst die wieder einzubringen.

Das Wild ist hier in den Steppen entsetzlich scheu, und der europäische Jäger soll es sich nicht etwa leicht denken, trotz der sehr großen Anzahl, viel zu schießen. Der Gaucho hat kein Feuergewehr, überhaupt keine Schußwaffe, nur den Lasso und die Bolas, und mit diesen ist er genöthigt, will er einmal Wildpret essen, sein Wild zu fangen. Mit diesen Waffen verfolgen deshalb die Gauchos Hirsche und Strauße, und hetzen das Wild so lange, bis sie es überholen. Natürlich muß dieses, auf solche Art fortwährend abgetrieben, ungemein scheu werden, und wo es nur ein Pferd galoppiren hört, flieht es schon, die unvermeidlichen Verfolger fürchtend, in ängstlicher Hast über die Ebene, und ruht nicht eher, bis die Gestalten der vermutheten Feinde in nebliger Ferne verschwimmen.

Nöthig ist es hier übrigens, daß ich Bolas und Lasso dem Leser zuerst etwas näher beschreibe, denn wenn wir auch in Deutschland wissen, daß der Lasso eine Schlinge ist und Bolas Kugeln bedeuten, die geworfen werden, machen wir uns doch im Ganzen einen falschen Begriff davon. Der Lasso besteht aus einem langen Seil, von ungegerbter Rindshaut fest geflochten. Das eine Ende desselben trägt einen kleinen eisernen oder Messing-, ja in manchen Ländern ebenfalls von Leder geflochtenen Ring, und durch diesen gezogen, bildet das Seil oder der Lasso eine Schlinge, die, wenn zum Gebrauch fertig, von dem Gaucho so gefaßt wird, daß sie acht bis zehn Fuß Leine in sich faßt. In diese Schlinge selber greift er beim Wurf hinein, während er vielleicht noch dreißig Fuß loses Tau in der linken Hand locker aufgerollt hält, schwingt den Lasso drei- bis viermal um den Kopf, um ihm beim Wurf den rechten Nachdruck zu geben, und schleudert ihn dann mit solcher Sicherheit, daß er ihn nicht allein um den Hals jedes nur in Wurfesnähe gebrachten Thieres, sondern sogar beim vollen Lauf um jedes Bein des Wildes legen kann, das er haben will. Ist der Gaucho zu Pferd, so hat er das andere /83/ Ende des Lasso an seinem breiten, ebenfalls aus Rohhaut gefertigten Sattelgurt befestigt, und das Thier, das er reitet, ist so vortrefflich auf diese Art Fang eingerichtet, oder weiß vielmehr so gut, was ihm selber droht, wenn es nicht feststeht, daß es sich gleich nach dem Wurf entgegenstemmt, dem ersten Ruck des getroffenen Thieres zu begegnen.

Die Bolas sind in der Natur des Wurfs dem Lasso ähnlich, denn sie werden ebenfalls wie dieser um den Kopf des Werfenden geschwungen und wie dieser geschleudert. Sie sind aber für den Gegenstand, nach dem sie geworfen werden, gefährlicher, da sie nicht selten selbst die Knochen eines starken Pferdes brechen. Der Pampas-Indianer gebraucht sie deshalb auch zur Kriegswaffe. Sie bestehen aus drei, in Rindshaut fest eingenähten, etwa zwei bis dritthalb Zoll im Durchmesser haltenden Steinen - nicht selten auch, wo es sich die Gauchos verschaffen können, aus kleineren Stücken Blei, die jedes an einem etwa fünf Fuß langen Streifen ungegerbter Haut befestigt sind und zu einem Mittelpunkt zusammenlaufen. Der Werfende erfaßt die eine Kugel, schwingt sich die anderen beiden wie beim Lassowurf um den Kopf, und schleudert sie dann mit einer eben solchen Biegung der Hand, als es beim Lasso nöthig ist, nach vorn. Im Wurf streben aber die schweren Gewichte auseinander, und während sie sich, ein etwa acht Fuß im Durchmesser haltendes Dreieck bildend, rasch umkreisen, schlagen, sobald der eine Stein oder das Seil, an dem er befestigt ist, einen Gegenstand trifft und dadurch Widerstand findet, die andern beiden mit Gewalt umher, umschlingen und verwickeln, was sie fassen, und treffen mit tätlicher Gewalt, was also in den Bereich ihrer Schwingung gebracht wird. Pferde, mit solchen Bolas geworfen, habe ich zusammenbrechen sehen, als ob sie vom Blitz erschlagen gewesen wären.

Ein hübsches Beispiel vom Lassowerfen hatte ich am 23. Morgens. Diese Stationen sind, wie schon gesagt, nur Meistens kleine, roh aufgerichtete Hütten, in denen die Gauchos leben, und nach eingegangenem Contract mit dem Staat dem postreitenden Correo so viel Pferde stellen, wie er gerade braucht. Sehen sie ihn von Weitem über Tag ankommen - /84/denn die Zeit, wo er etwa passiren muß, wissen sie ungefähr - so sprengen ein paar von ihnen mit den stets am Haus bereit gehaltenen Pferden hinaus, die nächste Heerde einzutreiben, und wenn sie eine Umzäunung haben, jagen sie die Thiere hinein. Ist das aber nicht der Fall, so gehen zwei von verschiedenen Seiten auf sie zu und werfen mit fast nie fehlender Sicherheit dem Thier, das sie haben wollen, den Lasso um den Hals. Die Pferde aber, wie alle Thiere der Steppe, kennen den Lasso, und den Ruck fürchtend, der sie gewöhnlich niederreißt, stehen sie nicht selten, sobald sie die Schlinge fühlen, stockstill, obgleich sie ihr vorher meist in voller Flucht zu entgehen suchen.

An diesem Morgen waren ihrer vier mit Lassos hinausgegangen, die schon dicht zum Haus gejagten Pferde zu umzingeln. Die Thiere zeigten sich aber heute ganz außergewöhnlich scheu, und schienen den Wurf, da sie vielleicht erst kürzlich durch Bolas beschädigt worden, ungemein zu fürchten. Die drei ersten, mit Lassos gefangenen, rissen so furchtbar in die Schlinge, daß die Gauchos, die zu Fuß hinausgegangen waren, sie nicht halten konnten und loslassen mußten, und mit dem anhängenden Lasso stürmten sie, von der ganzen Heerde gefolgt, wieder hinaus in die Steppe. Zwei berittene junge Bursche trieben sie aber wieder zurück, fingen eins dabei, das sie zugleich zum Hause brachten - und die Hetze begann dann von Neuem. Dreimal brannten sie also durch, dreimal wurden sie wieder zurückgejagt und sechs Lassos schleiften schon in der Heerde, bis wir endlich unsere nöthigen vier Thiere, aber so abgehetzt und wild gemacht, zusammen hatten, daß sich weder mit Sporen noch Peitsche etwas mit ihnen ausrichten ließ. Wie die wilde Jagd stob es, endlich einmal im Sattel, mit uns davon - sie gingen richtig mit uns durch, und es war ein Glück, daß wir an diesem Morgen zuerst nur eine kleine Station hatten.

Herrlich ist übrigens der Anblick der wilden Heerden, die, von ihren fast noch wilderen Herren verfolgt, mit fliegenden Mähnen und schnaubenden Nüstern durch die Steppen donnern. Dahinterher dann die tollen sonnverbrannten Gauchos mit ihren flatternden Ponchos und Kopftüchern, den Lasso /85/ fortwährend im wirbelnden Schwung, die eigenen Thiere un-unterbrochen zum Aeußersten anspornend; - dazu die erschreckten auseinander stiebenden Heerden der Rinder, durch und über die hin manchmal die tolle Hetze geht; die aufgescheuchten kreisenden oder scheu abstreichenden Falken; die grüne Steppe und der blaue Himmel; die in jedem Moment wechselnden malerischen Gruppen, - das Alles macht einen Eindruck auf den Beschauer, den es wohl ungemein schwer werden möchte, bei ruhigem Blut in todter Schriftsprache wiederzugeben. So etwas muß erlebt, gefühlt sein - die Nerven müssen dabei selbst erregt gewesen sein; das eigene, von Uebermuth sprudelnde Thier muß unter Einem getanzt und in die Zügel geschäumt haben und dann, weit ausgreifend, mitten in dies Leben hineingeflogen sein. Dann aber bleibt es auch mit unvertilgbaren Zügen in das Herz gegraben, das diesem wilden Treiben einst mit so frohem Klopfen entgegenschlug, und keine Zeit, kein anderes Leben kann es je daraus wieder verwischen.

Am 23. machten wir in einer kleinen Stadt, Cruz alta, Station. - Stadt; ja was wir uns in Deutschland darunter denken, darf man hier freilich nicht erwarten. Es sind Lehmhütten, die dem Anschein nach schon eigentlich bei dem ersten ordentlichen Regen zusammenschmelzen müßten - und die Bewohner? - lieber Leser, ich weiß wahrlich nicht wie ich Dir, ohne die Leute selber zu kränken, ohne aber auch ihnen zu schmeicheln, einen recht treuen Begriff von ihnen geben könnte. Die jungen Leute sind meist lauter kräftige, selbst interessante Gestalten, die sich in der malerischen Landestracht (wenn sie nur nicht gar so oft die verwünschten europäischen schwarzen Seidenhüte zu ihren Ponchos und Cheripas tragen wollten) nur noch pittoresker und eigenthümlicher ausnehmen. Leider aber kann ich dem schönen Geschlecht nichts so Rühmliches nachsagen. Es sollte mir leid sein, den Frauen der Pampas Unrecht zu thun; was ich aber bis dahin von ihnen gesehen, diente wahrlich, mit nur sehr wenig Ausnahmen, nicht dazu, mir einen günstigen Begriff von ihnen beizubringen. Unreinlichkeit und ein unseren deutschen Begriffen wenigstens nach widriges Benehmen waren die vorherrschenden /86/ Eigenthümlichkeiten, und ich fand das, je mehr ich von ihnen sah, auch immer nur mehr und mehr bestätigt. Das so fatale und den Nordamerikanerinnen besonders eigene laute Aufstoßen ist hier etwas so Gewöhnliches, daß es keinem Menschen mehr auffällt. Selbst bei Tisch geniren sich die guten seňoras und seňoritas nicht im Mindesten, und dergleichen Unanständigkeiten kamen manchmal so laut und unschuldig zum Vorschein, daß ich oft an mich halten mußte, trotz allem Ekel nicht laut aufzulachen. Das allerdings darf ich nicht unerwähnt lassen, daß ich erst über einen Gegenstand später aufgeklärt wurde, nämlich gar keine hübschen jugendlichen Gesichter unter den Frauen zu finden. Das aber hatte eben seinen Grund in den indianischen Feindseligkeiten, vor denen alle jungen Mädchen nach den befestigten oder wenigstens durch Militär besetzten Plätzen geschafft waren. Etwas reinlicher hätte es also gewiß, wären sie gegenwärtig gewesen, in den Häusern ausgesehen, jedenfalls freundlicher. Die Männer blieben aber immer dieselben, und wahrscheinlich auch die alten Frauen, und ein warmes Bad mit ein paar Stücken Bimssteinseife würde keinem von ihnen geschadet haben.

In solchen kleinen Städtchen genießt man übrigens auch den Luxus eines Stuhls oder einer Bank, denn in den gewöhnlichen Hütten der Gauchos bedient man sich fast nur der Erde zum Sitzen oder, wenn es hoch kommt, zu diesem Zweck hereingeschaffter Pferdeschädel, die dann aber auch das vollständige Ameublement einer solchen Wohnung bilden.

Keineswegs appetitlich ist dabei die Kocherei selber. Die Pampas sind so holzarm, daß sogar die paar Stücken Holz, die der Gaucho zu den Eckpfählen seiner Einzäunung braucht, und von denen er dann, von einem zum andern, dünn geschnittene Streifen ungegerbter Haut herüberspannt, viele, viele Tagereisen weit mit Pferden herbeigeschafft werden müssen. An Holz zu Feuerung ist deshalb, die Stengel einiger holzartiger Gräser ausgenommen, gar nicht zu denken. Das vorzüglichste und Hauptbrennmaterial ist deshalb auch Kuhdung, um das dann noch, es etwas besser zusammenzuhalten, einzelne Knochen gelegt werden. Diese brennen allerdings nicht sel/87/ber, aber sie concentriren die Hitze und - stinken. - Auf dies qualmende, schauerlich duftende Material wird dann sehr häufig ein anderer Knochen, an dem noch etwas Fleisch sitzt, geleqt und gebraten, und meint es der Gaucho, lieber Leser, recht gut mit Dir, so nimmt er den Knochen für Dich aus dem Feuer, klopft ihn an seinem Bein ab, reißt ein paar Stücken mit den eigenen Zähnen herunter, um zu sehen ob er geröstet ist, und reicht ihn Dir dann. Du aber sagst: muchos gracias, seňor, mit einem etwas sauersüßen Lächeln und nagst, weil Du einen wahrhaft schmählichen Hunger hast, weiter.

 

Das Gespräch drehte sich hier, wie überall, um die Indianer und ihre befürchteten Angriffe, und mein etwas geschwätziger alter Begleiter erzählte den aufmerksam und ängstlich lauschenden Städtern all' die fürchterlichen Berichte, die er „im Lande drin" über die wilden, blutdürstigen Stämme der Pampas gehört hatte, und auch alle, wie ich das fest überzeugt bin, auf Wort und Gewissen glaubte. Ich fand jedoch nur zu bald, daß die gehörten Berichte keineswegs so ganz übertrieben sein mochten, denn auf den nächsten Plätzen, die wir erreichten, waren die Frauen mit ihren Kindern schon nach den nächsten kleinen Städten, die Ankunft der feindlichen Stämme fürchtend, geflohen. Die zurückgebliebenen Männer hielten theils bei ihren Heerden Wache, theils hatten sie für sich die Pferde dicht am Haus und gesattelt stehen, um ohne Säumniß, sobald sie die Ankunft der blutdürstigen Indianer entdeckten, einem sonst, wie sie sagten, gewissen Tode entfliehen zu können. Wieder lagen wir hier wohl bis elf Uhr Morgens, ehe mein alter Correo, des starken Nebels wegen, zum Aufbruch rief.

Als wir endlich, und die Sonne stand schon bald im Zenith, durch die Steppe sprengten und etwa acht oder zehn englische Meilen zurückgelegt haben mochten, sah ich plötzlich, zu meinem nicht geringen Erstaunen, einen Gegenstand in der Ferne, der sich augenscheinlich gerade auf uns zu bewegte, von dem wir aber zuerst gar nicht ausmachen konnten, was er eigentlich bedeute. Im Anfang griffen wir unseren Thieren in die Zügel - es konnte ein dichtgedrängter kleiner Trupp Indianer sein, das aber, fanden wir bald, war nicht /88/ der Fall, und je näher das wunderliche Ding jetzt kam, desto mehr schien es mir, als ob ich etwas Aehnliches schon einmal in meinem Leben gesehen haben müßte. Die dunkle, fast verwischte Vorstellung einer gelben Landkutsche, die vor Erfindung der Eisenbahn unglückliche Passagiere von einem Landstädtchen zum andern räderte, tauchte in mir auf, obgleich der Gedanke fast zu absurd war, die gelbe Landkutsche hier mitten in den Pampas zu suchen. Als es aber näher und näher herankam, gewann der kolossale Gegenstand auch mehr und mehr Form und Gewißheit, und endlich - nein, wahrlich es war zu komisch, und ich mußte laut auflachen - rollte die gelbe Landkutsche (aber keineswegs mit gewöhnlicher gelben Landkutschenschnelle, sondern von sechs galoppirenden Pferden gezogen) rasch durch den Sand heran - und abenteuerlich genug sah der Zug aus.

Die Pferde, sämmtlich an die Sattelgurte gespannt, hatten weiter kein Geschirr als den Zaune und Sattel, und auf jedem saß eine in den flatternden Poncho gekleidete wilde Gauchogestalt, mit den langen Sporen und der breiten schweren Revenka. Die Achsen und Speichen der Räder aber, so wie alles Feder- und Holzwerk des langen omnibusartigen Kasten war fest und sicher mit Streifen ungegerbten Leders umwickelt, und jedes Plätzchen dabei auf dem ganzen Wagen, es mochte sich nun befinden wo es wollte, zu einem Kistchen, Fäßchen, Kasten oder Pack benutzt. Zu der gelben Landkutsche aber, sollte sie nicht ganz aus der Rolle fallen, gehörten ein paar alte gemüthliche Gesichter, die in lobenswerther Geduld, und sich ruhig in ihr Schicksal fügend, eine solche Reise machten, und wahrlich, als bei unserer Annäherung der Wagen hielt und das Fenster niederfiel, sah ein mit Runzeln bedecktes und von hoher Brille überragtes Schulmeistergesicht aus dem Schlag, und erkundigte sich mit nicht geringer Genauigkeit bei dem jetzt erkannten Correo nach den Gerüchten über die Indianer. Die Gauchos auf den Pferden hatten zu viel eigenes Interesse bei dieser Antwort, als daß sie hätten gleichgültig bleiben sollen. Sie wandten sich alle gespannt dem alten Correo zu und lauschten seinen Worten, die wieder viel des Entsetzlichen kündeten /89/ - der Alte war ordentlich wie eine reitende Hiobspost. Das

berichtet, was er berichten wollte, wandte er sich ab und sprengte wieder davon, ich aber hatte indessen ausgefunden, daß ein junger Bursche, ein Knabe von etwa vierzehn Jahren, mit im Wagen saß, der Englisch sprach, und es drängte mich natürlich ebenfalls, zu erfahren, was er mir über den Schnee der Kordilleren - ein für mich sehr interessantes Capitel - etwa sagen könnte. Wie ich aus dem vorigen Gespräch gehört, befand sich in dem Omnibus ein Lehrer mit einigen Zöglingen, die er mit zum Besuch nach Buenos-Ayres nehmen wollte.

Mit Fragen kam ich aber bei dem jungen Bürschchen im Anfang gar nicht an, denn dieser wollte nur von Indianern hören, und frug mich, ob alle die Mordgeschichten wahr wären, die der Correo da eben seinem Professor erzählt hätte. Ich sah mich nach dem Correo um - dieser war kaum noch zu erkennen, ließ ich mich auf langes Erzählen ein, erfuhr ich nie, was ich wissen wollte, Trost konnte den guten Leuten aber auch nicht schaden, und ich versicherte ihm, es sei kein wahres Wort an der ganzen Geschichte - ich glaube nicht, daß ein Indianer auf zweihundert Meilen im Umkreis sei - die Straße wäre so sicher wie Buenos-Ayres selber - aber die Kordilleren -

„Sind vortrefflich zu passiren" - lautete die Antwort - „aber im Sommer - wenn der Schnee geschmolzen ist -"

„Im Sommer? - aber ich will, ich muß jetzt hinüber."

„Jetzt?" der kleine Bursche lachte - „nonsens," sagte er - „jetzt kann nicht einmal mehr ein Brief herüber von Valparaiso - ich habe von meinem Vater, der dort wohnt, seit zwei Monaten keine Nachricht - die Kordilleren sind „geschlossen."

Die Gauchos, die eine kurze Zeit unserem für sie Kauderwelsch mehr neugierig als geduldig gelauscht hatten - drückten, dessen jetzt müde, ihren Thieren die Sporen wieder in die Seiten - der Wagenschlag fiel zu, und fort brausten die muthigen Thiere und schleppten das unhehülfliche Fuhr-/90/ werk in wilder Eile durch den wirbelnden Sand. - Ich hatte, die „geschlossenen" Cordilleren im Kopf, eine volle Stunde Arbeit, meinen Correo wieder einzuholen.

Die Hütten, die wir jetzt erreichten, kündeten uns übrigens fast alle die Nähe der Indianer. - In der einen fanden wir einen jungen Burschen, dessen Vater sie vor kurzer Zeit überholt und ermordet hatten, und nur selten traf man noch in einer der Wohnungen eine alte Frau, die kleine Wirthschaft besorgend, d. h. den Mateh kochend. Fast überall waren die Frauen nach den hier und da gelegenen festen Plätzen geflüchtet, erstlich selber in Sicherheit zu sein, und dann auch, im Fall eintretender Gefahr, die Männer nicht mit der Sorge um sie zu behindern.

Aber nicht die Indianer allein sind dem Wanderer in der weiten Steppe gefährlich, die Gauchos selber sollen ein ziemlich wildes, blutdürstiges Volk sein, und Streitigkeiten unter sich, wie auch wohl Habgier und Rache, sind die Ursachen manches offenen Todtschlags, manchen heimlichen Mords. Einen fatalen Eindruck machen, die Folge dieses Charakters, die vielen Kreuze an der Straße: - einfache, mit Riemen von ungegerbtem Leder gewöhnlich, zu einem Kreuz verbundene Stücke Holz, welche die Stelle bezeichnen, an der ein Reisender oder Einheimischer - ermordet worden. Diese kommen in der That viel zu häufig vor, als daß sich der Fremde je einem Gefühl vollkommener Sicherheit hingeben könnte, selbst wenn er nicht auch noch, gerade wie wir jetzt, der Gefahr eines Ueberfalles wilder Horden ausgesetzt gewesen wäre. Kein Tag verging, an dem ich nicht zwei, drei oder gar mehr dieser fatalen memento mori erblickte.

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