Das alte Haus. Heimliche und unheimliche Geschichten

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Die Thür war indessen, ohne den Gang weiter zu untersuchen, unter Aufsicht der Behörde fest vermauert worden. Der Regierungsrath ließ dann die Stelle mit Kalk bewerfen und die ganze Treppe frisch malen, so daß auch die letzte Spur des hier früher befindlich gewesenen Einganges verschwand. Nach einigen Wochen sprach auch im ganzen Hause kein Mensch mehr davon. Nur Marie ging im Anfang noch mit einiger Angst, mit einem eigenen, schwer zu beschreibenden Gefühle daran vorüber. Aber auch das verlor sich bald, und der Arzt empfahl ihren Eltern jetzt Luftveränderung und Scenenwechsel für die Tochter, um die rasch vorwärts schreitende Genesung zu beschleunigen und zu sichern.



Dem Regierungsrathe war das selbst erwünscht, Urlaub zu einer kleinen Reise zu bekommen, und er benutzte den erhaltenen, mit seiner Familie auf kurze Zeit ein Seebad zu besuchen. Auf Norderney, von dem kühlen Salzwasser gekräftigt, gesundete das junge Mädchen auch von Tag zu Tag, und als sie Ende August wieder nach Hellburg zurückkehrten, war auch die letzte Spur der Krankheit verschwunden. Selbst ein früheres Leiden, oder vielmehr eine Schwäche, die ihren Grund vielleicht ebenfalls mit in der zu großen Reizbarkeit ihrer Nerven fand, hatte sich fast ganz dabei verloren. Ihre Träume hatten nämlich in der letzten Zeit einen so hohen Grad von Lebendigkeit erreicht gehabt, daß sie im Schlafe sogar, ohne es zu wissen, aufstand und in der Stube umherging. Es war, wenn auch keine wirkliche Mondsucht, doch ein geringerer Grad derselben und hatte die Mutter schon mehrmals sehr geängstigt.



Das war durch das stärkende Seebad, die Luftveränderung und überhaupt die durchaus gekräftigte Natur des Kindes jetzt ebenfalls überwunden worden, und die fixen Ideen aus der früheren Zeit, mit dem Einfluß, den der Traum auf sie gehabt, schienen sich ganz verloren zu haben. Wie sie bei der Rückkehr die Treppe im Hause wieder hinaufstieg, blieb sie /37/ sogar an der vermauerten Thür lachend stehen, klopfte daran und rief Gundelrebe bei Namen. Die Mutter, die noch immer nicht ohne Unruhe der damals qualvoll durchlebten Stunden gedachte, wollte sie daran hindern und bat sie, die alten Träume nicht muthwillig wieder zu erwecken. Marie schüttelte aber lächelnd den Kopf und meinte, Mütterchen dürfe sich nicht mehr davor fürchten; sie sei jetzt wieder gesund und doch auch verständiger geworden, und habe die alten thörichten Träume lange vergessen.



Und das war wirklich der Fall. Jahr nach Jahr verging, und das alte Nachbarhaus wäre kaum mehr erwähnt worden, hätte der ewig dauernde Proceß die Aufmerksamkeit der Stadt nicht gewaltsam darauf festgehalten. Alles in der Welt nimmt jedoch zuletzt einmal ein Ende, und selbst dieser Proceß schien sich dem seinigen zu nähern. Die verschiedenen Parteien der jetzt noch lebenden Erben hatten es nämlich endlich doch satt bekommen, mit dem, was ihnen Nutzen bringen konnte, wenn sie sich darüber einigten, eine Anzahl von Advocaten und Beamten zu ernähren, und zeigten sich einer Übereinkunft geneigt.



Verwickelt genug war die Geschichte. Der alte selige Herr Quetzlinberger hatte einen einzigen Sohn gehabt, der also auch nach seinem Tode Universalerbe geworden wäre. Wunderbarer Weise, wie die alten Acten sagten, war dieser aber mehrere Jahre vor des alten Herrn Tode eines Morgens spurlos verschwunden gewesen, und man hatte trotz aller Nachforschung der Gerichte nie herausbekommen können, was aus ihm geworden. Der alte Mann schien sich das aber entsetzlich zu Herzen genommen zu haben und schloß sich vollkommen von der Welt ab. Nur eine Haushälterin von gesetztem Alter besorgte ihm die Wirthschaft und hielt das Haus in Ordnung, das von da an kein fremder Fuß mehr betreten durfte. Wenn dann auch böse Zungen nicht müßig waren, gehässige Gerüchte darüber zu verbreiten, gelangte das entweder nicht zu den Ohren des alten Herrn, oder er kümmerte sich auch nicht. Diese Gerüchte fanden allerdings neue Nahrung, als die Nachbarn des alten Herrn einen Knaben bei ihm am Fenster sahen, von dem es bald hieß, daß er ein Neffe, bald, /38/ aß er ein Adoptivsohn sei. Die guten Frauen von Hellburg gaben sich damals die größte Mühe, Näheres über die Abstammung des Knaben zu erfahren, doch umsonst. Nicht einmal auf die Straße herunter durfte der Kleine; ja, so selten zeigte er sich selbst am Fenster, daß nur erst Wenige ihn dort gesehen hatten und Viele sogar noch seine Existenz bezweifelten. Da fuhr eines Tages eine Kutsche vor, in welche die Haushälterin mit dem Knaben stieg und zum Thore hinausrasselte; - Niemand wußte, wohin. Der alte Herr Quetzlinberger lag damals, wie mündliche Uebertragung in Hellburg lautete, im Fenster und sah ihnen nach, bis sie um die Ecke der nächsten Straße verschwunden waren. Dann machte er das Fenster zu, zog die Gardinen vor - wie sie noch bis auf den heutigen Tag hingen - und ließ sich nicht mehr sehen.



Drei Tage lang blieb das Haus verschlossen, und die Nachbarn vergingen fast vor Neugierde, ob die alte Haushälterin zurückkäme, oder sich der Doctor eine „neue" nähme. Der alte Herr schien aber weder das Eine noch das Andere zu beabsichtigen. Thüren und Fenster blieben verschlossen; aus den Schornsteinen stieg kein Rauch auf; alles Klopfen an der Thür, als man doch ernstlich besorgt wurde, blieb unbeantwortet, und wie die Gerichte endlich, kraft ihres Amtes, sich gewaltsamen Eintritt in das dunkle Heiligthum erzwangen, lag der alte Herr Quetzlinberger in seinem gelbseidenen Schlafrock im Bette und war todt.



Einen halben Tag waren hierauf die Gerichte damit beschäftigt, ein Testament unter den vorhandenen Papieren des Dahingeschiedenen zu entdecken. Sie fanden nichts Derartiges, und nur im Schreibtische einen Zettel, nach dem sein Neffe Konrad G. Schierling, im Falle sein verschwundener Sohn nicht wieder aufgefunden würde, zu seinem Universalerben eingesetzt werden solle.



Der alte Herr wurde hierauf begraben, das Haus versiegelt, und der Proceß um die Hinterlassenschaft, da sich die übrigen Erben einem so unvollständigen Testamente nicht fügen wollten und für die Ansprüche des verschollenen Sohnes ein Fremder auftrat, begann. Advocaten und Erben /39/ starben - der Proceß lebte fort, ja schien mit den Jahren, je schwieriger es wurde ihn zu sichten, nur immer neue Kraft zu gewinnen.



Zu dem alten Hause gehörte dabei noch ein sehr bedeutendes Areal von Bauplätzen und Ackerland in der unmittelbaren Nähe der Stadt. Einem alten Uebereinkommen nach war dieses durch das Gericht selber alljährlich verpachtet worden, um aus dessen Ertrag eben so regelmäßig die fortlaufenden Proceßkosten zu bezahlen. Diese hatten dadurch vollständige Sicherheit erhalten und mehrere Geschlechter von Juristen lebenslängliche Renten daraus bezogen, bis eine vernünftigere Generation von Erben sich einem Vergleiche geneigt zeigte.



Außer dem bestrittenen Universalerben, dem jungen Schierling, erhob die Hauptansprüche ein Doctor Hetzelhofer, der eine von dem jungen Quetzlinberger selbst ausgestellte Verschreibung besaß, worin ihm, oder vielmehr seinem Vorfahren, sämmtliche Ansprüche desselben übertragen wurden. Woher er sie erhalten, blieb ziemlich ungewiß. Doctor Hetzel- hofer aber behauptete, sein Großvater habe dem damals noch jungen Manne wichtige Dienste geleistet, der junge Quetzlinberger selber sei aber später auf einer heimlich unternommenen Seereise verunglückt.



In sein Interesse hatte er dabei einen andern weitläufigen Verwandten des alten Herrn Quetzlinberger, der auch dessen Namen trug und ein sehr geschickter Advocat war, gezogen - vielleicht hauptsächlich mit des Namens wegen. So bildeten die Herren Hetzelhofer und Quetzlinberger gegen Schierling oder dessen Erben, mit einem größeren Anhang weitläufiger Verwandter, die beiden Hauptparteien des Processes.



Um aber die Sache an Ort und Stelle besser betreiben zu können, war Doctor Hetzelhofer, der Enkel des Doctor Hetzelhofer, welcher die ersten Ansprüche erhoben hatte, nach Hellburg selbst, und zwar dem „alten Hause" gerade gegenüber, in die nämliche Wohnung eingezogen, in der Mariens Großeltern in früheren Jahren gewohnt hatten. Durch Briefe, die er mitbrachte, war er dabei ebenfalls an Regierungsrath Hechncr empfohlen und mit diesem bekannt gewor-/



40/den, und wenn auch der Regierungsrath selber keine große Freude an dem etwas abstoßenden, verschlossenen Manne fand, lernte doch die indeß herangewachsene Marie die ihr an Jahren allerdings überlegene Schwester des Doctors kennen und lieb gewinnen, und war von da an oft in des Doctors Hause.



Helene, wie des Doctors Schwester hieß, mochte zwei- oder dreiunddreißig Jahre alt sein und führte, von einer alten Dienstmagd unterstützt, welche die gröberen Arbeiten verrichtete, ihrem Bruder die Wirthschaft. Sie war dabei ernst und häuslich, und vielleicht von einem mehr schwärmerischen als prosaischen Charakter, gegen dessen Uebertreibung sie aber schon ihre Jahre wie ihre Ruhe schützten. Dennoch war es das vielleicht gewesen, was Marien besonders zu ihr hingezogen hatte.



Marie, die indessen ihr siebzehntes Jahr erreicht, schien ihren Körper in der raschen Entwickelung eher gekräftigt und die frühere Reizbarkeit und Erregtheit der Nerven fast ganz abgeschüttelt zu haben. Nichtsdestoweniger war ihr noch immer eine gewisse Vorliebe für das Uebernatürliche, ein Hang zu einer leisen Schwärmerei geblieben, der jedoch mit ihren früheren Träumen und Ideen in keiner Verbindung mehr stand. Das alte Haus und was es enthielt hatte keinen Antheil mehr an jenem unbekannten Etwas, das ihre Brust manchmal erfüllte, und die Bilder jener Zeit waren theils vergessen, theils so in den Hintergrund gedrängt, um mehr als einen gelegentlichen Gedanken daran zu beanspruchen, Die stille, sinnige Helene war ihr, mit diesem Gefühl, diesem halb unbewußten Drang im Herzen, deshalb auch vor allen Anderen eine liebe Gesellschafterin geworden. In der Jugend schließt sich ja das Herz so gern an ein gleichfühlendes an, und noch nicht getäuscht, sucht und findet es leicht, was ihm fehlt, in dem Nachbarherzen. Die Welt liegt da noch im rosigen Licht der aufgehenden Sonne frei und offen vor uns, und kein Falsch in der eigenen Brust, keinen Gedanken, der das Licht zu scheuen brauchte, suchen und finden wir auch nichts Anderes in denen, die Schicksal oder Zufall in unsern Pfad geworfen. So glücklich, wie wir dabei selbst uns fühlen, so glücklich scheint uns Alles um uns her, im Wieder-/41/glanz unseres eigenen reinen Herzens — aber die Zeit gießt Gift in den krystallenen Becher. Tropfen nach Tropfen läßt sie langsam hineinfallen in die demantene Fluth - Tropfen nach Tropfen, die sich erst halten und zusammendrängen in sich selbst, und nur die einzelnen trüben Strahlen, wenn auch im Anfange noch so fein und kaum erkennbar, hinüber senden über die Oberfläche. Mehr und mehr aber breiten sie sich aus; finsterer und trüber füllen sie den Raum, und so rein und treu die klare Fluth sonst auch jedes Bild zurückgab, das sich mit liebendem Auge darüber bog, so finster und abgeschlossen wahrt es dann den eigenen schmerzlichen Schatz: das trübe Gift von Mißtrauen und getäuschter Hoffnung. Wohl drängt und treibt es uns noch immer mit der gleichen Kraft, das gleiche Herz zu suchen, das uns fehlt, und dem wir uns, wenn wir es fänden, vielleicht mit noch größerer, innigerer Liebe anschließen würden als früher, weil wir ja eben den Werth eines solchen Glückes erst in späteren Jahren recht eingesehen und kennen gelernt haben. Aber - wir können uns nicht mehr entschließen, die eigene Brust zu öffnen - wir trauen selbst der Offenheit des Andern nicht. Scheu und trübe schleichen wir vorüber, das Schicksal scheltend, das uns allein und freundlos in die Welt stieß, und vergessen doch ganz dabei, daß wir allein es sind, die, wie der Drache das unterirdische Gold, neidisch unser eigenes Herz bewachen und Jeden mit giftigem Hauche zurückweisen, dessen treue Hand den Schatz für uns heben möchte.

 



Marie freilich hatte noch keinen Tropfen jenes trüben Giftes eingesogen, und der blaue Himmel, der über ihrer Jugend lachte, spiegelte sich treu und friedlich in dem stillen, reinen Herzen der Jungfrau. Vor der älteren Freundin hatte sie dabei kein Geheimniß und ihr schon lange all' ihre kleinen, unbedeutenden Sorgen und Erlebnisse mitgetheilt, wie Pläne gebaut für die Zukunft - Pläne, bunt und leicht wie Kartenschlösser mit anscheinend breitem, mächtigem Grund, und doch eingeworfen durch einen Hauch. So wußte Helene auch schon Alles von dem „alten Hause", was sie damals geträumt und mit sich herumgetragen, und wie das eine gar so schwere, entsetzliche Zeit für sie gewesen. Damals hatte /42/ sie ja geglaubt, sie gehöre gar nicht mehr dieser Erde an, sondern hinüber in die dunkeln, verschlossenen Räume zu den fremden, unheimlichen Leuten. Ihr Kindesherz hatte sich mit der Sorge gequält, daß denen da drüben nur wieder wohl werden könne, wenn sie bei ihnen sei, ihnen die tödtliche Einsamkeit tragen zu helfen, und nur nach und nach habe sich das verloren, und es sei ihr besser und leichter geworden. Jetzt freilich lachte sie über den tollen Traum.



Noch eine Person darf ich hier nicht unerwähnt lassen, die zu dem Hausstande, ja, eigentlich fast zur Familie des Doctors gehörte, wenn dieser auch den Mann mehr als Diener wie Freund, und manchmal gütig, meist aber hart und abstoßend, ja fast despotisch behandelte.



Es war dies der Famulus des Doctor Hetzelhofer, der hier jedenfalls eine nähere Beschreibung verdient.



Schwiebus, wie er kurzweg im Hause genannt wurde, war eine lange, magere Gestalt mit vorstehenden Backenknochen und tiefliegenden, aber lebendigen grauen Augen. Die dünnen, etwas röthlichen Haare hielt er sorgfältig von beiden Schläfen nach der Stirn hinauf gekämmt, den dort eben nicht mehr zu verdeckenden Mangel soviel als möglich wenigstens zu beschönigen, und sein Gesicht war in eine solche Unzahl kleiner, die Kreuz und Quer laufender Falten gelegt, daß man wirklich nicht daraus klug wurde, ob das Alter oder vielleicht eine blatterähnliche Krankheit solche Spuren in seine Haut gegraben. Je länger man ihn daraus ansah, desto verwirrter wurde man. Während daher die Einen den langen wunderlichen Burschen mit dem unbeholfenen Namen für einen noch jungen, vielleicht durch zu eifrige Studien aufgeriebenen Mann hielten, der unter des berühmten Doctors Leitung seine Kenntnisse vermehren wolle, schworen die Anderen, daß Glatze und Falten wirklich dem Alter angehörten. Diese hielten den Eigner derselben dann für einen hohen Fünfziger, ja vielleicht Sechziger, der, von dem leichtfertigen Götterkind Fortuna übersehen, ein Menschenalter umsonst hinter ihrem Wagen hergekeucht war, und es jetzt endlich aufgegeben hatte, sie einzuholen.



Seine Hautfarbe, das fahle Gelb seiner Züge, schien diese /43/ letztere Ansicht auch besonders zu bestätigen und das Urtheil der Hellburger zu rechtfertigen, die bald darüber einig waren, daß er gerade so aussähe, als ob er schon einmal im Grabe gelegen hätte. So böse er selber aber wurde, und so sehr der Doctor Hetzelhofer darüber lachte, wenn in seiner Gegenwart eine solche Bemerkung laut wurde, ließ sich der Gedanke, wenn einmal gefaßt, doch nicht wieder los werden. Wer nur dem dürren, hagern Menschen in's Antlitz sah, dessen Augen dann nicht selten eine ordentlich grüne, gläserne Färbung annahmen, fühlte ein eigenes, unbestimmtes Grauen, über das er sich keine Rechenschaft geben konnte, und verschiedene alte, würdige Damen hätten eben so gern in der Gesellschaft des anerkannten Gottseibeiuns, als in der seinigen eine Stunde allein zubringen mögen. Bei einer solchen Persönlichkeit ist die böse Welt aber auch rasch mit einem Spitznamen fertig, und Schwiebus hieß bald in der ganzen Stadt „der todte Famulus".



Wunderlicher Weise war Schwiebus dabei in jeder andern Beziehung der freundlichste, gemüthlichste und gefälligste Mensch von der Welt, der besonders gern mit Kindern umging, mit ihnen spielte, wo er sich nur eine Viertelstunde Zeit abgewinnen konnte, und diese bald an sich fesselte. Dabei besaß er ein merkwürdiges Talent, Geschichten, vorzüglich Gespenstergeschichten, zu erzählen. Der Doctor hatte ihm das freilich streng untersagt, denn er machte die Kleinen oft so furchtsam, daß sie nicht mehr allein über die Straße gehen wollten; aber es gehörte nun einmal mit zu seinen Leidenschaften, denen er, wo das irgend anging, den Zügel schießen ließ. Die Kinder rissen sich deshalb auch bald um seine Gesellschaft, trotz seinem sonst nichts weniger als einnehmenden Aeußern, und wo es nur irgend anging, wurden Gespenster- und Geistergeschichten, unter dem Siegel der strengsten Verschwiegenheit, von dem einen Theile so gern erzählt, wie von dem andern gierig angehört.



Auch in kleinen mechanischen Arbeiten war er geschickt und erfahren. Er drehte Kreisel, die beim Spiel verschiedene Töne von sich gaben; schnitzte Männer, die sich von selbst überschlugen; machte Bälle, die, wenn man sie hoch in die /44/ Luft warf, zu kleinen Ballons wurden und davonflogen, und taufend andere derartige Dinge. Ganze Nächte mußte er zu solcher Arbeit verwenden, wo hätte er sonst die Zeit hergenommen! In seinem Zimmer brannte auch in der That fast jede Nacht hindurch Licht, und die Nachbarn, die von ihren Fenstern aus das seinige beobachten konnten, zerbrachen sich die Köpfe darüber, in welcher Zeit der „todte Famulus" eigentlich schlafe. Waren sie auch um zwei oder drei Uhr erst zu Bett gegangen, wo sie noch Licht in seinem Zimmer und den Schatten an den niedergelassenen Gardinen konnten herüber und hinüber gehen sehen, so war Schwiebus doch jedenfalls am nächsten Morgen schon vor ihnen wieder munter. Wenn sie gleich mit Tagesgrauen aufstanden, lag er sicher schon im geöffneten Fenster und rauchte seine Cigarre, oder unterhielt sich mit einem großen abgerichteten Raben, der in seinem Fenster einen geräumigen, aber offenen Bauer hatte. An Schlafen dachte er gar nicht.



Auch der Rabe gehörte mit zu der Person des „todten Famulus", und die Leute im Hause versicherten, daß er das kluge Thier fast wie einen Menschen behandle und sich oft halbe Stunden lang mit ihm ordentlich unterhalte.



Solch ein Wesen war der Famulus Schwiebus, und es läßt sich denken, daß er dem kleinen Hellburg auf lange Zeit höchst interessanten Stoff zur Unterhaltung gab. Bier- wie Kaffeegesellschaften beschäftigten sich im Anfange wirklich nur mit ihm und dem Doctor, der durch einige fabelhafte Kuren ebenfalls einen großen Ruf erlangt hatte. Es gab auch in der That bald nichts Natürliches wie Uebernatürliches mehr, das man den beiden Menschen nicht zugeschrieben hätte, und eine Zeit lang machten sogar ein paar haarsträubende Geschichten die Runde, in welche die Fremden auf das Engste verwickelt waren. Nur erst als beide Charaktere so still und spießbürgerlich wie sie selber in ihrer Mitte fortlebten und sich keins von all' den ausgesprengten Gerüchten bestätigte, erkaltete nach und nach die Neugierde der Nachbarn. Der Reiz der Neuheit war dem Ganzen überhaupt schon genommen, und noch ehe das erste Jahr ganz verflossen war, ließ man die Beiden still und ungehindert ihre Wege gehen. /45/ Man hatte sich an sie gewöhnt und sie gehörten mit zu Hellburg.





IV.



Helene kam selten zu Hechners hinüber, da während des Doctors öfterer Abwesenheit doch Jemand zu Hause bleiben mußte, anfragenden Kranken Auskunft zu geben, und man sich auf den Dienstboten nicht verlassen mochte. Marie ging dafür desto häufiger hinüber, und hatte auch heute wieder einmal von der Mutter Erlaubniß erhalten, ihrer älteren Freundin Gesellschaft zu leisten, während der Doctor Hetzelhofer nach einem schwer Kranken über Land gerufen war und erst spät in der Nacht zurück erwartet wurde.



Heute war übrigens in Hellburg der Tag bestimmt worden, an welchem der Proceß wegen der Quetzlinberger'schen Erbschaft durch friedliches und freundschaftliches Zusammenkommen der präsumtiven Erben in Güte und nach gemeinschaftlichem Uebereinkommen entschieden werden sollte. Marie hatte das von ihrem Oheim, dem Advocaten Hechner, gehört, und der 1. März des laufenden Jahres war dazu gewählt worden. Natürlich kam aber dadurch das Gespräch auch wieder, was seit langer Zeit nicht der Fall gewesen, auf das alte Haus und die Folgen, die der Endentscheid aus das Geheimniß desselben ausüben müsse. Dann wurden ja auch die Siegel von der Thür gelöst, und die öden Zimmer, die den größten Theil eines Jahrhunderts das Stadtgespräch in Hellburg gebildet, wurden den Blicken einer fremden Generation erschlossen.



„Ich gäbe was drum," sagte Marie endlich, nachdem die beiden Mädchen eine Weile schweigend ihren Gedanken nachgehangen hatten - „ich gäbe was drum, wenn ich die alten Räume betreten dürfte, ehe noch ein anderer Fuß den Zauber jenes unserer Zeit gar nicht mehr angehörenden Gebäudes gebrochen. Es muß gar zu wunderlich sein, die dumpfige Luft da drinnen zu athmen, und den Klang der eigenen /46/ Schritte zu hören, den die Wände so lange, lange Jahre nicht zurückgegeben haben."



,,Und Du vor allen Anderen würdest Bescheid darin wissen," lächelte Helene; „denn so viel ich mich erinnere, bist Du die Einzige, die jene Räume betreten hat, seit damals die Gerichte die dicken Siegel auf den Eingang drückten."



„Aber nur im Traum," lachte Marie.



„Was thut's! wenn der Traum nur getreu war, fändest Du Dich überall zurecht."



„Es ist und bleibt doch immer eine merkwürdige Sache mit solchen Träumen," sagte Marie wieder nach einer längeren Pause, indem sie den Kopf schüttelte und sinnend dabei vor sich niedersah, „und damals hätte ich meiner Seele Heil daran setzen wollen, daß es Wahrheit gewesen. Die Personen standen ja noch Wochen lang nachher oft so deutlich vor mir, als ob sie wirklich lebten."



„Eigentlich ist es schade," lächelte Helene, „daß solche Sachen nicht geschehen, und die prosaische Welt uns nur immer platte, nüchterne Wirklichkeit in Allem bietet, was uns selbst betrifft. Es mag kindisch sein, aber wie oft habe ich mir schon gewünscht, einmal einen Geist zu sehen! und doch will es nie geschehen. Und können trotzdem die Vernünftigsten von uns jeden Bezug mit einer geistigen, von uns unbegriffenen Welt ableugnen? Glauben sie nicht, sie mögen sich dagegen sträuben, so viel sie wollen, an Ahnungen, an Magnetismus, an Somnambulismus und wie jene geheimen Bindemittel zwischen Luft und Erde alle heißen?"



„Ganz kann ich mich auch der Gedanken noch nicht etnschlagen," lächelte Marie, „und manchmal kommen Zeiten - wie heute z. B. wieder, wo ich von dem alten Hause so plötzlich reden hörte, - wo es mir wieder vorkommt, als ob es doch am Ende kein Traum gewesen und ich den wunderlichen Menschen wirklich einmal begegnet sei. Ähnlichkeiten mit ihnen hab' ich auch in der That schon mehrere Male gefunden, und das Herz hat mir dann ordentlich ängstlich geklopft, daß mir der Traum nun plötzlich in's Leben treten solle - bis ich mich selber besann und mich meiner kindischen Furcht, meines Aberglaubens wegen schämte." /47/ „Aber Du hast mir dabei immer von einer Frau Bause erzählt, Marie," sagte Helene - „sie soll ja hier in der Stadt wohnen. Bist Du nie hingegangen, sie aufzusuchen?"

 



Marie schwieg eine Zeit lang; es war fast, als ob sie sich der Antwort schämte; endlich sagte sie leise und verlegen lächelnd:



„Ich will es Dir nur aufrichtig gestehen, ich - ich habe mich davor gefürchtet - gefürchtet, durch irgend ein zufälliges Wort irgend etwas aus jener fremden, geheimnißvollen Welt bestätigt zu hören. Wozu auch? die Zeit ist vorbei, und weshalb die alten Träume und Thorheiten wieder aufrühren?"



„Von der Frau habe ich übrigens in Hellburg auch schon gehört," sagte Helene, „Schwiebus hat mir davon erzählt."



„Der Famulus?" fragte Marie erstaunt; „aber woher kennt sie der?"



„Oh, der kennt alle Menschen," lächelte Helene. „Nicht wahr, sie legt Karten und prophezeit den Leuten ihr Schicksal aus Kaffeesatz und Bleiguß?"



„Allerdings - wenigstens behauptet die böse Welt das von ihr." sagte Marie.



„Und wenn sie's thäte, was wäre so Uebles daran?" entschuldigte sie Helene. „Es ist gewiß eine arme Frau, und findet sie Menschen, die thöricht genug sind, sie um etwas zu fragen, das nur Gott wissen kann, und die ihr für solche Antworten sogar Geld bezahlen, so wird sie klug genug sein, ihren Nutzen daraus zu ziehen. - Doch fort mit der Frau Bause und all' dem unheimlichen Spuk. Ich bin auch über haupt froh, daß es mit dem alten Hause da drüben nun endlich einmal zu einer Entscheidung kommt. Mag es sein, wie es will, aber es war mir doch manchmal ein unheimliches Gefühl, die dichtverhängten Fenster da drüben so Jahr nach Jahr zu sehen und die leeren, öden Räume dahinter zu wissen, in kurzer Zeit werden ja nun die Siegel geöffnet und die Zimmer wieder gelüftet und bewohnt werden."



„Ob sich das der alte Herr Quetzlinberger gefallen laßt," lachte Marie - „und ob er nicht nachher aus /48/ Aerger und Mißmuth Ketten über die Gänge schleift und in den Schlafkammern spukt! So viel weiß ich, so sehr ich mich danach sehne, das alte Haus im Innern zu sehen - wohnen und schlafen möchte ich doch um keinen Preis darin."



Marie war dabei von ihrem Stuhl aufgestanden, hatte sich an das Clavier gesetzt und mit leisen Fingern ein paar Accorde angeschlagen, während Helene zum Tische trat, die Lampe anzustecken. Es war schon fast dunkel im Zimmer geworden. Da tönten plötzlich die wilden, schrillen Töne einer Geige zu ihnen herüber, und Marie fuhr fast erschreckt empor, den wunderlichen Lauten zu horchen.



„Es ist nichts," lächelte aber Helene, indem sie die Glocke auf die noch düster brennende Lampe setzte, „Schwiebus hat einmal seinen guten Abend und musicirt."



„Das habe ich aber noch nie gehört!" rief Marie erstaunt.



„Es kommt auch nicht oft vor," sagte Helene, „denn meistens sitzt er auf seinem Zimmer bei festverschlossener Thür und läßt Niemanden zu sich hinein, selbst meinen Bruder nicht."



„Und was für wunderliche, eigenthümliche Melodien das sind, die er spielt!"



„Ja," sagte Helene, „er phantasirt auch nur und kennt keine Note, haßt sogar die Notenblätter; denn er sagt, die „schwarzen Dinger" lägen darauf herum, wie Knochen auf einem Kirchhofe. Wenn er einmal zu mir hereinkommt und ein Heft zufällig offen auf dem Instrumente liegt, macht er es jedesmal zu. Heute sollten wir übrigens zu ihm hinüber gehen, denn heute giebt er, wie es der Bruder nennt, „Audienz", und wenn wir ihn da bitten, erzählt er manchmal Geschichten zum Todtlachen oder - Todt fürchten - wie's ihm gerade durch den Sinn fährt."



„Ich glaube, ich würde mich todt fürchten," sagte Marie leise. „Der Mann, so freundlich und gutmüthig er sich immer gezeigt, hat für mich etwas kaum sagbar Unheimliches."



„Das macht sein Name, der todte Famulus," lächelte Helene. „Es giebt wirklich keinen besseren und ge-/49/fälligeren Menschen auf der Welt als ihn, und was er mir oder irgend Jemandem, den er gern hat, an den Augen absehen kann, thut er gewiß. - Aber er spielt nicht mehr, sagte sie, plötzlich hinüberhorchend - und da knarrt seine Thür. Er kommt wahrhaftig herüber. Nun, da hat er einmal seinen geselligsten Tag, und den müssen wir benutzen."



Ehe Marie etwas darauf erwidern konnte, lag eine Hand auf der Thürklinke, und als sich die Thür

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