Geschichte meines Lebens

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Vierte Abtheilung. Erstes Kapitel.

Delatouche geht schnell vom Spott zum Enthusiasmus über. — Valentine erscheint. — Unmöglichkeit des projektirten Zusammenarbeitens. — Die Revue des deux Mondes. — Buloz. — Gustav Planche. — Delatouche zürnt und bricht mit mir. — Resumé unseres späteren Verhältnisses. — Moritz tritt im Gymnasium ein. — Sein Kummer und der meinige. — Eine Execution im Lyceum Henri IV. — Die Zärtlichkeit ist nicht vernünftig. — Moritz nimmt zum ersten Male an der Communion theil.

Zweites Kapitel.

Was ich damit gewann, daß ich Künstler wurde. — Die organisirte BetteIei. — Die Gauner von Paris. — Bettelei um Anstellungen und um Ruhm. — Anonyme Briefe und solche, die es sein sollten. — Besuche. — Die Engländer, die Neugierigen, die Müßiggänger, die Rathgeber. — Betrachtungen über das Almosen und die Verwendung der Güter. — Die religiöse und sociale Pflichterfüllung in offenbarem Widerspruche. — Die Räthsel der Zukunft und das Gesetz der Zeit. — Das materielle und intellektuelle Erbe. — Die Pflichten gegen die Familie und die Gesetze der Gerechtigkeit und Redlichkeit widersprechen der evangelischen Aufopferung unter den jetzigen gesellschaftlichen Verhältnissen. — Unvermeidlicher Widerspruch in uns selbst. —Zweifel und Schmerz. — Betrachtungen über die Bestimmung des Menschen und die Vorsehung. — Lelia. — Die Kritik. — Der Kummer, welcher vergeht, und der, welcher uns bleibt. — Das allgemeine Uebel. — Balzac. — Abreise nach Italien.

Drittes Kapitel.

Herr Beyle (Stendhal). — Die Kathedrale von Avignon. — Die Reise über Genua, Pisa und Florenz.— Durch die Apenninen nach Venedig, Bologna und Ferrara. — Alfred de Musset, Géraldy, Leopold Robert in Venedig. — Arbeit und Einsamkeit in Venedig. — Finanzielle Verlegenheit. — Ein schöner Zug von einem österreichischen Offizier. — Quälereien. — Polichinelle. — Eine merkwürdige Begegnung. — Abreise nach Frankreich. — Carlone. — Die Räuber. — Antonio. — Zusammentreffen mit drei Engländern. — Die Theater in Venedig. — Die Pasta, Mercadante, Zacometto. — Die Gleichheit der Lebensweise in Venedig. — Ankunft in Paris. — Rückkehr nach Nohant. — Julie. — Meine Freunde in Berry. — Die Freunde aus der Dachstube. — Prosper Bressant. — Der Prinz.

Viertes Kapitel.

Madame Dornval.

Fünftes Kapitel.

Eugen Delacroix. — David Richard und Gaubert. — Die Phrenologie und der Magnetismus. — Heilige und Engel.

Sechstes Kapitel.

Sainte-Beuve. — Luigi Calamatta. — Gustav Planche. — Charles Didier. — Warum ich nicht von mehreren Andern rede.

Siebentes Kapitel.

Ich fahre in meiner Erzählung fort. — Ich sehe mich genöthigt von sehr delikaten Dingen zu reden, die ich mit Fleiß ohne Rückhalt bespreche, weil ich finde, daß es so keuscher ist. — Ansichten meines Freundes Duteil über die Ehe. — Meine Ansichten über Liebe. — Marion Delorme. — Zwei Frauengestalten Balzac's. — Der Stolz des Weibes. — Der menschliche Stolz im Allgemeinen. — Die Briefe eines Reisenden. — Mein erster Plan. — Inwiefern der Reisende ich selbst war, und inwiefern nicht. — Wie geistige und körperliche Krankheiten auf einander wirken. — Eigensucht der Jugend. — Die Selbstverleugnung reiferer Jahre. — Religiöser Hochmuth. — Noch immer quält mich meine Unwissenheit. — Wenn ich ausruhen könnte und lernen! — Ich liebe, darum muß ich glauben. — Katholischer Hochmuth und christliche Demuth. — Wieder Leibnitz. — Warum meine Bücher manche langweilige Stellen haben. — Neuer Gesichtskreis. — Solange und Moritz. — Planet. — Reisepläne und testamentliche Verfügungen. — Herr von Persigny. — Michel (von Bourges).

Achtes Kapitel.

Everard. — Sein Kopf, sein Gesicht, sein Wesen und seine Gewohnheiten. — Patrioten, welche Feinde der Reinlichkeit sind. — Ein nächtliches Gespräch. — Erhabenheit und Widersprüche. — Fleury und ich träumen zu derselben Zeit den nämlichen Traum. — Von Bourges nach Nohant. — Everard's Briefe. — Der April-Proceß. — Lyon und Paris. — Die Saints-Pères. — Fest im Schlosse. — Babouvistische Phantasmagorie. — Mein geistiger Zustand. — Sainte-Beuve verspottet mich. — Ein wunderliches Diner. — Ein Blatt aus Louis Blanc's Geschichte. — Everard's Krankheit und Visionen. — Ich will abreisen; einflußreiches Gespräch. — Everard zeigt sich voller Klugheit und Wahrheit. — Noch ein Auszug aus Louis Blanc. — Zwei verschiedene Ansichten unter den Vertheidigern. — Ich stimme mit Jules Favre überein.

Neuntes Kapitel.

Der in den Monstre-Prozeß verflochtene Brief. — Mein zurückgewiesener Entwurf. — Abfall der republikanischen Vertheidiger. — Trélat. — Everard's Rede. — Seine Verurtheilung. — Rückkehr nach Nohant. — Pläne für meine Niederlassung. — Das einsame Haus in Paris. — Karl von Aragon. — Fieschi. — Politische Ansichten meines Sohnes. — Lamennais. — Pierre Leroux. — Ich bekomme das Heimweh. — Das einsame Haus in Bourges. — Everard's Widersprüche. — Ich gehe nach Paris zurück. —

Zehntes Kapitel.

Unentschlossenheit. — Ich gehe nicht nach Chenaie. — Ein Brief von meinem Bruder. — Ich reise nach Nohant. — Großer Entschluß. — Der Wald von Bavray. — Die Reise nach Chateauroux und nach Bourges. — Das Gefängniß in Bourges. — Die Spalte. — Eine Viertelstunde im Gefängnisse. — Berathung, Beschluß und Rückkehr. — Die Familie Duteil. — Das Gasthaus zur „Boutaille“ und die Zigeuner. — Das erste Urtheil. — Das verlassene Haus in Nohant. — Das zweite Urtheil. — Reflexionen über die Ehescheidung.

Eilftes Kapitel.

Die Reise nach der Schweiz. —Madame d'Agoult. —Ihr Salon im Hotel de France. — Moritz wird krank. — Aerger und Kummer. — Ich bringe ihn nach Nohant. — Ein Brief von Pierret. — Ich reise nach Paris. — Meine kranke Mutter. — Rückblick auf mein Verhältniß zu ihr seit meiner Verheirathung. — Ihre letzten Augenblicke. — Pierret. — Ich hole Moritz. — Ich reise Solange nach. — Die Unterpräfektur zu Nerac. — Die Rückkehr nach Nohant. — Neue Erörterungen. — Zwei schöne Kinder, für fünfzigtausend Francs. — Arbeit, Ermüdung und Wille. — Vater und Mutter.

Zwölftes Kapitel.

Der Tod Armand Carrel's. — Emil von Girardin. — Rückblick auf Everard. — Abreise nach Majorka. — Friedrich Chopin. — Die Karthause von Valdemosa. — Die Präludien. — Ein Regentag. — Marseille. — Der Doctor Cauvières. — Meerfahrt und Ausflug nach Genua. — Rückkehr nach Nohant. — Moritz wird krank. — Seine Genesung. — Der 12. Mai 1839. — Armand Barbès. — Seine Irrthümer und seine Größe.

Dreizehntes Kapitel.

Ich mache einen Versuch als Lehrerin, der mir mißlingt. — Unentschiedenheit. — Rückkehr meines Bruders. — Die Pavillons der Rue Pigole. — Meine Tochter kommt in eine Pension. — Der Square d'Orléans und mein Umgang. — Ein tiefes Nachdenken im kleinen Wäldchen zu Nohant. — Eine Schilderung von Chopin's Charakter. — Der Prinz Karol. — Ursachen zur Traurigkeit. — Mein Sohn tröstet mich über Alles. — Mein Herz vergibt Alles. — Der Tod meines Bruders. — Einige Worte über die Geschiedenen. — Der Himmel. — Die Schmerzen, von denen wir nicht sprechen. — Die Zukunft des Jahrhunderts. — Schluß.

Schluß.

Impressum

Erste Abtheilung.
Erstes Kapitel.
Was soll dies Buch? — Es ist Pflicht Andern durch unsere Erfahrungen zu nützen. — Briefe eines Reisenden. — Die Geständnisse J. J. Rousseau's. — Anton Delaborde Ballspielhausaufseher und Meister Vogelhändler. — Wahlverwandtschaften. — Lob der Vögel. — Geschichte von Agathe und Jonquilla. — Der Vogler von Venedig.

Ich glaube nicht, daß es hochmüthig und unbescheiden ist die Geschichte des eignen Lebens zu schreiben; besonders wenn wir aus den Erinnerungen, welche dies Leben in uns zurückgelassen hat, nur die auswählen, die uns der Erhaltung werth scheinen. Ich glaube damit sogar eine Pflicht, eine ziemlich schwere Pflicht zu erfüllen, denn ich kenne nichts Unbequemeres, als die eigne Persönlichkeit zu erklären und darzustellen.

Je mehr wir uns in die Ergründung des menschlichen Herzens vertiefen, um so unsichrer wird unser Blick, und für gewisse regsame Geister wird das Studium der Selbsterkenntniß immer ein langweiliges und unvollständiges sein. Und doch will ich diese Pflicht erfüllen; ich habe sie immer vor Augen gehabt und habe mir gelobt nicht zu sterben ohne vollbracht zu haben, was ich Andern anrieth: eine aufrichtige Erforschung des eignen Wesens und eine aufmerksame Prüfung des eignen Daseins.

Eine unüberwindliche Trägheit, — die Krankheit zu viel beschäftigter Geister und darum vor allem die der Jugend — hat mich bis heute an der Erfüllung dieser Aufgabe gehindert. Und vielleicht habe ich mich gegen mich selbst versündigt, indem ich das Erscheinen zahlreicher Biographien ruhig ansah, die voll Irrthümern aller Art waren, im Lob wie im Tadel. Es geht soweit, daß in einigen dieser Biographien, die erst im Auslande erschienen, dann in Frankreich mit allerhand phantastischen Ausschmückungen wiederholt wurden, selbst mein Name eine Fabel ist. Wenn ich durch diese Berichterstatter befragt oder aufgefordert wurde, nach Belieben einige Nachrichten über mein Leben zu geben, habe ich die Gleichgültigkeit so weit getrieben, daß ich selbst wohlwollenden Personen die kleinste Erklärung verweigerte. Ich muß gestehen, daß ich einen tödtlichen Widerwillen empfand, das Publikum mit meiner Persönlichkeit zu beschäftigen, die nichts Hervorragendes hat, während mir Wesen, die stärker, klarer, vollendeter, idealischer und mir weit überlegen sind — mit einem Worte Romanfiguren — Kopf und Herz erfüllten. Ich fühlte, daß man nur einmal im Leben sehr ernsthaft mit dem Publikum von sich selbst sprechen darf, um nie mehr darauf zurückzukommen.

 

Gewöhnen wir uns, von uns selbst zu sprechen, so kommen wir leicht und unwillkürlich dazu uns selbst zu loben, was eine natürliche Folge der Neigung des Menschen ist, den Gegenstand seiner Betrachtung zu verschönen und zu erheben. Es giebt sogar ein unbefangenes Selbstlob, vor dem wir nicht erschrecken dürfen, wenn es, wie das der Dichter, welche in dieser Beziehung ein besonderes geheiligtes Vorrecht haben, in die Formen der Lyrik gehüllt ist. Aber die Selbstbewunderung, die uns zu diesem kühnen Flug gen Himmel begeistert, ist der Mittelpunkt nicht, in den sich die Seele stellen kann, um lange von sich selbst mit den Menschen zu sprechen. In dieser Erregung geht ihr das Bewußtsein der eignen Schwächen verloren; sie identificirt sich mit der Gottheit, mit dem Ideale, dem sie nachstrebt. Die Regungen der Sehnsucht und der Reue, die sie in sich findet, dehnt sie bis zur Poesie der Verzweiflung und der Gewissensqual aus: sie wird Werther, oder Faust, oder Manfred, oder Zamba — erhabne Gestalten vom Gesichtspunkte der Kunst, die aber, ohne Hülfe philosophischer Erkenntnisse, zuweilen verderbliche Beispiele, oder unfaßbare Vorbilder geworden sind.

Und doch müssen diese großen Gemälde der mächtigsten Erregungen der Dichterseele auf ewig verehrt werden — wir müssen es den großen Künstlern verzeihen, wenn sie sich in Gewitterwolken oder Ruhmesstrahlen hüllen. Es ist ihr Recht — und indem sie uns das Ergebniß ihrer erhabensten Gefühle geben, haben sie ihre Sendung vollständig erfüllt. Aber auch in demüthigern Verhältnissen, unter gewöhnlichern Formen können wir eine ernste, unmittelbar nützliche Pflicht gegen unsere Nächsten erfüllen, indem wir uns ohne Symbol, ohne Heiligenschein und ohne Piedestal darstellen.

Gewiß ist es unmöglich, von der Fähigkeit der Dichter, ihr eignes Dasein zu idealisiren und zu etwas Abstractem, Unfaßbarem zu machen, eine vollständige Belehrung zu erwarten. Ohne Zweifel ist diese Fähigkeit Nutzen bringend und belebend, denn jeder Geist erhebt sich mit dem der begeisterten Träumer, jedes Gefühl reinigt oder erhöht sich, indem es ihnen in höhere Sphären folgt, — aber es fehlt dem flüchtigen Balsam, den sie über unsre Wunden ausgießen, etwas sehr Wichtiges: die Wirklichkeit.

Aber es wird dem Künstler schwer, diese Wirklichkeit zu berühren und nur großherzige Naturen können es mit Freuden thun. Ich muß gestehen, daß meine Liebe zur Pflicht nicht so weit reicht, und daß ich nicht ohne große Anstrengung zur Prosa meines Gegenstandes herabsteige.

Ich hatte immer gefunden, daß es ebenso viel schlechten Geschmack verräth, sich lange mit sich selbst zu unterhalten, als lange von sich selbst zu sprechen. Es giebt im Leben der gewöhnlichen Wesen wenige Tage, wenige Augenblicke, wo es interessant oder nützlich wäre sie zu beobachten. Aber zuweilen habe ich solche Tage und Augenblicke gehabt; dann habe ich gefühlt, wie Andre fühlen, und habe die Feder ergriffen, um einen lebhaften Schmerz, der mich bedrängte, oder eine heftige Angst, die mich durchwühlte, ausströmen zu lassen. Die Mehrzahl dieser Fragmente ist nicht veröffentlicht und sie werden mir, bei der Uebersicht meines Lebens, als Merkzeichen dienen. Nur einige derselben haben in Briefen, die zu verschiedenen Zeiten erschienen und von verschiedenen Orten datirt sind, eine halb vertrauliche, halb literarische Gestalt angenommen und sind unter dem Titel „Briefe eines Reisenden“ zusammengestellt. Zur Zeit als ich diese Briefe schrieb, war mir der Gedanke, von mir selbst zu sprechen, um so weniger peinlich, da ich, buchstäblich genommen, nicht mich selbst darstellte. Dieser „Reisende“ war eine Fiction, ein gedachtes Wesen; männlich wie mein Pseudonym; alt, obwohl ich noch jung war — und diesem traurigen Pilger, der eigentlich auch nur ein Romanheld ist, legte ich subjectivere Empfindungen und Reflexionen in den Mund, als ich im Roman, der strengern Kunstgesetzen unterworfen ist, gewagt haben würde. Ich fühlte damals das Bedürfniß gewissen Gemüthsbewegungen einen Ausdruck zu geben, aber nicht das Verlangen, den Leser mit mir selbst zu beschäftigen. Dieses Verlangen, das bei Allen ein kindisches und, beim Künstler wenigstens, ein gefährliches ist, fühle ich jetzt vielleicht noch weniger als sonst. Ich werde sagen, warum ich es nicht fühle und warum ich doch schreiben werde, als ob ich's hätte — wie man ißt aus Vernunft, ohne den geringsten Appetit zu spüren.

Ich habe es nicht, weil ich in das Alter der Ruhe gelangt bin, wo meine Persönlichkeit durch Hervortreten nichts zu gewinnen hat, und wenn ich nur meinen Trieben folgte, nur meine Wünsche um Rath fragte, würde ich mich bestreben mein Ich vollständig zu vergessen und vergessen zu machen. Ich suche nicht mehr die Lösung der Räthsel, die meine Jugend gepeinigt haben und ich habe in mir manche Streitfrage entschieden, die meinen Schlummer störte. Man hat mir geholfen dabei, denn für mich allein wäre ich schwerlich zur Klarheit gelangt.

Mein Zeitalter hat Funken der Wahrheiten, die es in sicht trägt, aufleuchten lassen. Ich habe sie gesehen, ich weiß, wo ihre Brennpunkte liegen und das genügt mir. Früher habe ich das Licht in psychologischen Resultaten gesucht, das war widersinnig; seit ich begriffen habe, daß dies Licht in Principien liegt und daß diese Principien in mir sind, ohne in mir entstanden zu sein, habe ich ohne viel Anstrengung und ohne Verdienst die Ruhe des Geistes gefunden. Die des Herzens habe ich nicht erlangt, und werde sie nie erlangen; denn Alle, die mitfühlend geboren sind, werden immer auf Erden etwas zu lieben, zu beklagen, zu unterstützen und zu leiden haben. Wir dürfen also in keinem Alter des Lebens das Aufhören des Schmerzes, der Anstrengung und des Schreckens suchen, denn das wäre Gefühllosigkeit, Ohnmacht, frühzeitiger Tod. Wir werden die Uebel des Lebens leichter ertragen, wenn wir sie als unheilbar hinnehmen.

In dieser Ruhe der Gedanken und in dieser Ergebung des Gefühls kann ich ebensowenig Bitterkeit gegen das Menschengeschlecht empfinden, das so häufig irrt, als Enthusiasmus für mich selbst, die ich so lange geirrt habe. Es ist also weder der Reiz des Kampfes, noch das Bedürfniß der Mittheilung, das mich veranlaßt von meiner Vergangenheit oder von meiner Gegenwart zu sprechen.

Aber ich habe gesagt, daß ich es für Pflicht halte, davon zu reden und meine Gründe sind folgende:

Viele menschliche Wesen leben, ohne sich von ihrem Dasein ernsthaft Rechenschaft zu geben, ohne zu verstehen und fast ohne zu fragen, welche Absichten die Vorsehung mit ihnen hat, sowohl in Bezug auf ihre Individualität, wie in Bezug auf die Gesellschaft, zu der sie gehören. Sie gehen an uns vorüber, ohne sich uns zu erschließen, weil sie vegetiren, ohne sich selbst zu erkennen. Und wenn auch ihr Dasein, mag es noch so mangelhaft entwickelt sein, immer einen gewissen Nutzen, eine gewisse Nothwendigkeit nach den Gesetzen der Vorsehung erfüllt, so ist es doch leider gewiß, daß die Offenbarung ihres Lebens unvollkommen und für die übrige Menschheit moralisch unfruchtbar bleibt.

Die lebendigste und ergiebigste Quelle der Entwicklung des Menschengeistes ist — um die Sprache meiner Zeit zu sprechen — der Begriff der Solidarität [Im vergangenen Jahrhundert hätte man Empfindsamkeit gesagt, in frühern Zeiten christliche Liebe, vor fünfzig Jahren Brüderlichkeit.]. Den Menschen aller Zeiten ist er deutlich oder undeutlich zum Bewußtsein gekommen und so oft einer unter ihnen mit der mehr oder minder entwickelten Fähigkeit begabt gewesen ist, das eigne Dasein zu offenbaren, ist er zu dieser Offenbarung durch den Wunsch seiner Umgebung oder durch eine innere, mächtige Stimme getrieben. Es war ihm dann, als ob es sich um die Erfüllung einer Verpflichtung handelte — und so war es in der That; mochten nun historische Ereignisse zu erzählen sein, deren Zeuge er gewesen war; mochte er mit einflußreichen Persönlichkeiten verkehrt oder als Reisender Menschen und Dinge von neuen Gesichtspunkten aufgefaßt haben.

Es giebt noch eine Art subjectiver Arbeit, welche seltener vollbracht wird, und welche meiner Meinung nach von ebenso großem Nutzen ist: ich meine die Arbeit, das innere, seelische Leben zu erzählen, das heißt, eine Geschichte des eignen Geistes und eignen Herzens, zur Belehrung für die Brüder. Wenn diese subjectiven Eindrücke, diese Reisen oder Reiseversuche in die abstracte Welt des Gedankens oder des Gefühls von einem aufrichtigen, ernsten Geiste mitgetheilt werden, können sie eine Anregung, eine Ermuthigung und selbst ein Rath für andere Geister sein, die noch im Labyrinth des Lebens irren. Es ist gleichsam ein Austausch des Vertrauens und der Sympathie, welcher gleichzeitig die Seele des Erzählers und des Hörers erhebt. Im gewöhnlichen Leben veranlaßt uns ein natürlicher Trieb zu diesen ebenso demüthigen als stolzen Mittheilungen — denn wenn ein Freund, ein Bruder uns die Qualen und Verwirrungen seiner Lage gesteht, haben wir keine bessern Beweisgründe, um ihn zu stärken und zu überzeugen, als diejenigen, die wir aus unserer Erfahrung schöpfen; so sehr fühlen wir dann, daß das Leben eines Freundes unser eignes ist, wie das Leben des Einzelnen dem Ganzen gehört. „Ich habe dieselben Uebel ertragen, ich habe dieselben Klippen durchschifft und ich habe das überwunden, also kannst auch Du genesen und siegen“ — das ist's, was der Freund dem Freunde, der Mensch dem Menschen sagt. Und wer von uns hätte nicht, in den Augenblicken der Niedergeschlagenheit und der Verzweiflung, wenn die Liebe und Hülfe eines andern Wesens unentbehrlich sind, einen mächtigen Eindruck durch die Ergießungen der Seele empfangen, der wir eben unsere Schmerzen vertrauten?

So ist es also die geprüfteste Seele, die am meisten Gewalt über Andere hat. In Gemüthsbewegungen suchen wir nicht leicht die Unterstützung des Zweiflers, des Spötters oder des Stolzen; nach einem, der unglücklich ist wie wir, oder noch unglücklicher, wenden wir die Blicke und strecken wir die Hände aus. Ueberraschen wir ihn im Augenblick der Noth, so wird er das Mitleid kennen und mit uns weinen; rufen wir ihn an, wenn er im vollen Besitz der Kraft und Klarheit ist, so wird er uns leiten und retten vielleicht — aber jedenfalls wird er nur insoweit von Einfluß auf uns sein, als er uns versteht; und damit er uns verstehe, muß er unser Vertrauen mit etwas Aehnlichem zu erwiedern haben.

Die Erzählung der Leiden und Kämpfe aus dem Leben des Einzelnen ist also Belehrung für Alle; es würde auch Hülfe für Alle sein, wenn Jeder wüßte, wodurch er gelitten und was ihn gerettet hat. Von diesem erhabenen Gesichtspunkte aus und beherrscht von einem glühenden Glaubenseifer, schrieb der heilige Augustin seine Bekenntnisse, welche zugleich die seines Jahrhunderts waren und mehrern christlichen Generationen wirksame Hülfe gewährten.

Eine weite Kluft trennt die Bekenntnisse J. J. Rousseau's von denen des Kirchenvaters. Das Ziel des Philosophen aus dem 18. Jahrhundert erscheint subjectiver, also weniger ernst und weniger nützlich. Er beschuldigt sich, um Gelegenheit zu Entschuldigungen zu haben; er enthüllt verborgene Fehler, um öffentliche Verleumdungen zurückzuweisen. So ist das Ganze ein Gemisch von Hochmuth und Demuth, das uns zuweilen durch seine Affectation empört, oft durch seine Aufrichtigkeit entzückt und hinreißt. Darum enthält die berühmte Schrift, so fehlerhaft und strafbar sie auch sein mag, die ernstesten Lehren und je mehr sich der Märtyrer, in der Verfolgung seines Ideals, erniedrigt und verirrt, um so mehr werden wir von diesem Ideale ergriffen und angezogen.

Man hat die Bekenntnisse Jean Jacques' zu lange als rein persönliche Apologie betrachtet. Er hat sich zum Mitschuldigen dieses schlechten Erfolges gemacht, denn er hat ihn durch die Vorurtheile herbeigeführt, die in sein Werk verwebt sind. Aber heutigen Tages, da seine persönlichen Freunde und Feinde nicht mehr leben, beurtheilen wir das Buch von einem höhern Gesichtspunkte. Es kommt uns nicht mehr darauf an zu wissen, bis zu welchem Grade der Verfasser der Bekenntnisse ungerecht oder krank war und bis zu welchem Grade seine Verleumder sich ruchlos oder grausam bewiesen. Was uns interessirt, uns erleuchtet und Einfluß auf uns übt, ist der Anblick dieser begeisterten Seele im Kampfe mit den Irrthümern seiner Zeit und den Hindernissen seiner philosophischen Bestimmung. Es ist das Ringen dieses Genius, der für Sittenstrenge, Unabhängigkeit und Würde glüht, mit der leichtsinnigen, ungläubigen und verderbten Gesellschaft, in der er sich bewegt — die zu jeder Stunde, bald durch Verführung, bald durch Bedrückung auf ihn einwirkt und ihn bald in den Abgrund der Verzweiflung wirft, bald zu erhabnen Widersprüchen aufruft.

 

Wenn die Grundidee der Bekenntnisse gut wäre, wenn eine Pflichterfüllung darin läge, unsere kindischen Vergehen aufzusuchen und unsre unvermeidlichen Fehler zu erzählen, würde auch ich vor dieser öffentlichen Buße nicht zurückweichen. Aber nach meiner Ansicht ist diese Art sich anzuklagen durchaus nicht demüthig, auch hat sich das allgemeine Gefühl nicht täuschen lassen. Es ist weder nützlich noch erbaulich zu wissen, daß Jean Jacques Rousseau meinem Großvater drei Francs zehn Sous gestohlen hat, um so mehr, da die Thatsache nicht erwiesen ist. [Dies ist der Tatbestand, wie ich ihn in den Papieren meiner Großmutter gefunden habe: „Francueil, mein Mann, sagte eines Tages zu Jean Jacques, laßt uns in's Theater français gehen. Ja wohl, sagte Rousseau, das wird uns wenigstens für eine oder zwei Stunden zu gähnen geben. — Dies ist vielleicht die einzige witzige Antwort, die er in seinem Leben gegeben hat und noch dazu ist sie nicht sehr geistreich. Vielleicht war es an diesem Abend, daß Rousseau meinem Manne drei Francs zehn Sous entwendete. Uns ist die Erzählung dieser Spitzbüberei immer wie eine Affectation erschienen. Francueil hatte keine Erinnerung daran bewahrt, er dachte sogar, daß Rousseau sie erfunden hätte, um die Zartheit seines Gewissens zu beweisen und um zu verhindern, daß man an Sünden glaubte, die er nicht bekannte. — Und überdies, wenn es wahr wäre, guter Jean Jacques! Ihr müßtet heute Eure Peitsche ganz anders knallen lassen, wenn wir nur die Ohren danach spitzen sollten.“] Auch ich erinnere mich, in meiner Kindheit heimlich und mit Vergnügen zehn Sous aus dem Geldbeutel meiner Großmutter genommen zu haben, um sie einem Armen zu geben. Ich finde, daß darin kein Grund liegt, mich zu loben oder anzuklagen; es war ganz einfach ein dummer Streich, denn um das Geld zu bekommen, brauchte ich es nur zu verlangen.

So sind die meisten Fehler von uns ehrlichen Leuten auch weiter nichts, als dumme Streiche, und wir wären sehr thöricht, uns deshalb vor den Unredlichen zu beschuldigen, die das Böse mit Kunst und Vorbedacht ausüben. Das Publikum besteht aus den Einen und Andern, und es ist ihm wahrlich zu viel Aufmerksamkeit bewiesen, wenn wir uns schlechter darstellen, als wir sind, um es zu rühren oder ihm zu gefallen.

Ich leide unendlich, wenn ich den großen Rousseau sich so erniedrigen und sich einbilden sehe, daß er durch Uebertreibung oder wohl gar Erfindung dieser Sünden sich von den Herzensfehlern reinigt, die seine Feinde ihm zuschreiben. Durch seine Bekenntnisse hat er sie sicherlich nicht entwaffnet; aber genügt es nicht, um ihn rein und gut zu glauben, die Theile seines Lebens zu lesen, in denen er sich anzuklagen vergißt? nur in diesen ist er unbefangen; das fühlt sich leicht.

Darum, mögen wir rein oder unrein, klein oder groß sein, es bleibt immer Eitelkeit, kindische, unglückliche Eitelkeit, die eigne Rechtfertigung unternehmen zu wollen. Ich habe nie begriffen, wie ein Angeklagter auf der Bank des Verbrechens irgend etwas zu erwiedern vermag. Ist er schuldig, so wird er es noch mehr durch die Lüge, und die entdeckte Unwahrheit fügt zu der Härte der Strafe Demüthigung und Schande. Ist er aber unschuldig, wie mag er sich so weit erniedrigen, dies beweisen zu wollen?

Und hier handelt es sich doch um Ehre und Leben — aber wenn wir uns im gewöhnlichen Verlauf des Daseins so leidenschaftlich bemühen, die Verleumdung zurückzuweisen, die Jeden, auch den Besten erreicht, und die Vortrefflichkeit unseres Ich zu beweisen, müssen wir entweder in uns selbst verliebt sein, oder ein wichtiges Unternehmen zu vollführen haben. Mag eine Rechtfertigung im öffentlichen Leben zuweilen nothwendig sein — im Privatleben wird Niemand durch Reden seine Rechtschaffenheit beweisen, noch uns von seiner Vollkommenheit überzeugen. Wir müssen denen, die uns kennen, die Sorge überlassen, uns von unsern Mängeln freizusprechen und unsre Eigenschaften zu schätzen.

Endlich, da wir für einander verantwortlich sind, giebt es kein für sich allein stehendes Vergehen. Es giebt keine Verirrung, von der nicht irgend Jemand Ursache oder Mitschuldiger wäre, und es ist unmöglich, sich selbst anzuklagen, ohne den Nächsten zu beschuldigen — nicht allein den Feind, der uns angreift, sondern häufig auch den Freund, der uns vertheidigt. Das hat Rousseau gethan und das ist schlecht. Wer kann ihm verzeihen, mit seinen eigenen Bekenntnissen auch die der Frau von Warrens abgelegt zu haben?

Verzeih' mir Jean Jacques, daß ich Dich tadle, indem ich das herrliche Buch Deiner Bekenntnisse schließe! Ich tadle Dich, aber auch das ist eine Huldigung, denn dieser Tadel zerstört weder meine Achtung noch meine Begeisterung für den Kern Deines Werkes.

Ich meinestheils will hier kein Kunstwerk schaffen; ich verwahre mich sogar dagegen; Mittheilungen wie diese haben nur Werth durch Natürlichkeit und Unbefangenheit — auch möchte ich mein Leben nicht wie einen Roman erzählen, denn der Inhalt würde in der Form verschwinden.

Ich werde also ohne Ordnung und Zusammenhang reden und selbst in viele Widersprüche verfallen dürfen. Die menschliche Natur ist nur ein Gewebe von Inconsequenzen und ich glaube gar nicht — aber auch gar nicht — an diejenigen, die behaupten, daß sie sich mit dem Ich von gestern immer im Einklang befunden haben.

Meine Arbeit wird demnach auch in der Form Spuren des Sichgehenlassens meines Geistes tragen; und um damit den Anfang zu machen, werde ich die Darlegung meiner Ansicht von der Nützlichkeit dieser Memoiren hier beschließen, und sie in der fortschreitenden Entwicklung der Geschichte, die ich jetzt beginne, durch Beispiele zu vervollständigen suchen.

Möge keiner von denen, die mir Böses gethan haben, erschrecken, ich erinnere mich ihrer nicht; und möge kein Freund des Skandales sich freuen — ich schreibe nicht für ihn.

Ich bin geboren im Jahre der Krönung Napoleon's, dem XII. Jahre der französischen Republik (1804). Mein Name ist nicht Maria Aurora von Sachsen, Marquise von Dudevant, wie einige meiner Biographen entdeckt haben, sondern Amantine Lucile Aurore Dupin und mein Mann, Franz Dudevant, legt sich keine Würden bei. Er ist nie mehr gewesen, als Secondelieutenant der Infanterie und war siebenundzwanzig Jahr alt, als ich ihn heirathete. Wer ihn zu einem alten Obersten des Kaiserreichs macht, verwechselt ihn mit Herrn Delmare, einer meiner Romanfiguren. Es ist wirklich nur zu leicht und erfordert keinen Aufwand von Erfindungskraft, die Lebensgeschichte eines Schriftstellers zu entwerfen, indem man die Fictionen seiner Erzählungen in die Wirklichkeit seines Daseins überträgt.

Vielleicht hat man auch ihn und mich mit unsern Vorfahren verwechselt. Maria Aurora von Sachsen war meine Großmutter; und der Vater meines Mannes war Cavalerie-Oberst zur Kaiserzeit. Aber er war weder roh noch mürrisch, sondern der beste und sanfteste der Männer.

Bei dieser Gelegenheit muß ich bemerken — auf die Gefahr hin mich mit meinen Biographen zu veruneinigen und ihr Wohlwollen durch Undank zu vergelten — daß ich es weder zart, noch schicklich, noch redlich finde, wenn sie, um mich zu entschuldigen, weil ich in meinen ehelichen Verhältnissen nicht ausdauern konnte und auf Scheidung geklagt habe, meinem Gatten ein Unrecht aufbürden, über das ich, seit Wiedererlangung meiner Unabhängigkeit, vollständig geschwiegen habe. Es ist nicht zu verhindern, daß sich das Publikum in müßigen Stunden mit der Erinnerung solcher Processe beschäftigt, und daß es bald für die eine, bald für die andere Partei ein günstiges Urtheil festhält. Wer die Oeffentlichkeit solcher Verhandlungen nicht gescheut und überwunden hat, wird auch dies ertragen. Aber Schriftsteller, die das Leben eines Andern erzählen; die besonders, welche zu seinen Gunsten gestimmt sind und ihn vor der öffentlichen Meinung erhöhen oder rechtfertigen wollen, sollten nicht gegen sein Gefühl und seinen Willen handeln, indem sie ihn mit Stoß und Hieb zu vertheidigen suchen. Die Aufgabe eines Schriftstellers ist in solchem Falle gleich der eines Freundes und unsre Freunde dürfen es nie an Rücksichten fehlen lassen, auf denen, streng genommen, die öffentliche Moral beruht. Mein Gatte lebt; er liest weder meine Schriften noch das, was über mich geschrieben wird — das ist eine Ursache mehr für mich, die Angriffe zurückzuweisen, deren Gegenstand er meinetwegen ist. Ich habe nicht mit ihm leben können, weil unsere Charaktere und Meinungen wesentlich verschieden waren. Thörichte Nachschläge haben ihn veranlaßt, sich in öffentliche Verhandlungen einzulassen, die uns gegenseitig nöthigten, uns zu beschuldigen — traurige Folgen einer unvollkommenen Gesetzgebung, welche die Zukunft verbessern wird. Seit meine Scheidung ausgesprochen und anerkannt ist, habe ich bereits meine Beschwerden vergessen, und darum muß mir jeder öffentliche Vorwurf gegen ihn unpassend erscheinen, da er an die Fortdauer eines Grolles glauben läßt, an dem ich keinen Theil mehr habe.

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