Isidora

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George Sand







Isidora






Inhaltsverzeichnis





Über die Autorin:







Isidora







Tagebuch eines Einsiedlers in Paris.







Isidora an Frau von T**.







Impressum







Über die Autorin:



George Sand, Pseudonym und Künstlername von Amantine Aurore Lucile Dupin de Francueil, war eine französische Schriftstellerin, die neben Romanen auch zahlreiche gesellschaftskritische Beiträge veröffentlichte.








Isidora





In einem hübschen, kleinen Hotel des Faubourg Saint-Germain war ein aus mehreren Personen bestehender Kreis um Frau von T... versammelt.



Daß Frau von T... Gräfin oder Marquis? war, kann uns gleichgültig sein. Ihr Name klang süßer, als irgend ein Titel, denn sie hieß Alice.



Heute befand sie sich im Kreise ihrer adeligen Verwandten, von welchen ihr keiner glich. Ihre Verwandten waren hochmüthig und dünkelhaft, sie aber war einfach, bescheiden und gut.



Sie war eine Frau von fünfundzwanzig Jahren, ihre Schönheit keusch und rührend, ihr Geist gereist und ernst, ihre Haltung jugendfrisch und zierlich. Auf den ersten Anblick erschien ihre Schönheit viel zu keusch und ernst, als daß sie, wie man zu sagen pflegt, eine Romanfigur hätte abgeben können. Ihr außerordentlich sanfter Blicks die Einfachheit ihres Benehmens, ihre etwas leise Sprache, ihr mehr regelmäßiger und gefühlvoller, als origineller und glänzender Gesichtsausdruck, Alles dieses paßte vollkommen zu dem, was die Gesellschaft von dem Leben Alice's wußte.



Eine Conventionsheirat, eine Wittwenschaft ohne den Versuch oder Wunsch, ein neues Bündniß einzugehen, ein totaler Mangel an Koketterie und an der Sucht, zu gefühlvoller, als origineller glänzen, eine tadellose Aufführung, eine bemerkbare und etwas stolze Kälte gegen die Männer, ein uneigennütziges Wohlwollen gegen die Frauen, endlich ernsthafte Freundschaftsverhältnisse ohne eine exclusive Vertraulichkeit — dies war Alles, was man von ihr zu sagen wußte.



Die Löwen und Löwinnen der Salons verabscheuten sie und erklärten sie für impertinent, obwohl ihr Benehmen von vorwurfsfreier Feinheit, ihre Bildung eine ungewöhnliche war und sie nur das gute Recht der Zurückhaltung für sich in Anspruch nahm, welches nicht gewöhnlichen Menschen inmitten von Dummköpfen und Gänsen zukommt. Dagegen wurde sie von den Leuten von Geist und Gemüth, welche freilich in der Gesellschaft in der Minorität sind, hochgeschätzt, nur wünschten ihr diese mehr Offenheit und Lebhaftigkeit. Einige Beobachter studirten sie, indem sie unter dieser unerklärlichen Zurückhaltung irgend ein weibliches Geheimniß zu entdecken suchten, allein sie verloren nur ihre Zeit und Mühe. Und aber, sagten sie, dennoch blitzt es in diesem schwarzen, so ruhigen Auge zuweilen so rasch, so unbeschreiblich auf und diese so schweigsamen Lippen überkommt zuweilen ein nervöses Zittern, als schwebte auf ihnen ein brennender Gedanke, und diesen so schönen und so kalten Busen schwellt dann und wann ein geheimnißvolles Beben. Aber dies Alles verschwand wieder, bevor man es ergründen konnte



Vor wenigen Tagen erst vom Lande zurückgekehrt, sah sie ihre Verwandten seit ungefähr sechs Monaten heute zum ersten Mal wieder, und diese fanden sie verändert, fanden, daß sie mager und außerordentlich blaß geworden und daß ihr sonstiger Ernst eine Beimischung von schwermüthiger Zerstreutheit erhalten hätte.



„Nichte,“ sagte ihre alte Tante, die Marquise, zu ihr, „der Aufenthalt auf dem Lande ist Ihnen dieses Jahr nicht gut bekommen. Sie sind zu lange draußen geblieben und haben am Ende Langeweile ausstehen müssen.“



„Meine Liebe,“ sagte eine sehr häßliche Base zu ihr, „Sie pflegen sich zu wenig. Sie reiten zu viel und gewiß lesen Sie Abends. Das strengt Sie an und darum sind Ihre Lippen fahl und Ihre Augen von Ringen umzogen.“



„Mein Bäschen,“ sagte ein junger Laffe, der Bruder der vorigen Sprecherin, „Sie müssen sich schlechterdings wieder verheiraten. Sie leben zu viel allein und das verleidet Ihnen das Leben.“



Mit einem etwas erzwungenen Lächeln antwortete Alice, sie hätte sich niemals wohler gefühlt und liebe das Landleben zu sehr, als daß sie sich auch nur einen Augenblick langweilen könnte.



„Und Ihr Sohn, der liebe Felix, wird er bald ankommen?“, fragte ein alter Vetter.



„Heute Abend oder morgen,“ erwiederte Frau von T... „Ich bin um einige Tage vorausgereist, sein Lehrer wird ihn hieherbringen und Sie werden finden, daß er größer, schöner und so stark wie ein kleiner Bauer geworden.“



„Ich hoffe aber doch, Sie erziehen ihn nicht ganz und gar à la Jean Jacques (Rousseau)?“ fragte der Vetter weiter. „Sind Sie mit dem Erzieher zufrieden, den Sie in der Provinz für ihn aufgefunden haben?“



„Vollkommen zufrieden, bis jetzt.“



„Ist es ein Geistlicher?“ fragte die Base.



„Nein, es ist ein sehr unterrichteter Mann.“



„Und wo haben Sie ihn entdeckt?“



„Nahe bei mir, in der Umgebung meines Gutes.“



„Ist es ein junger Mann?' fragte der junge Vetter und versuchte eine boshafte Grimasse zu schneiden.



„Es ist ein junger Mann,“ entgegnete Alice ruhig, „aber er sieht viel gesetzter aus, als Sie, Adhemar, und, wie ich glaube, auch viel gescheidter. Doch,“ fügte sie, nach der Uhr sehend, hinzu, „der Notar wird sogleich hier sein und ich denke, lieber Oheim und liebe Tante, daß wir gut thäten, uns mit der Sache zu beschäftigen, welche uns versammelt hat.“



„Ach, das ist eine recht traurige Sache!“ sagte die Tante mit einem tiefen Seufzer.



„Ja,“ sagte Frau von T..., „es erneuert mir einen Schmerz, den ich kaum überstanden hatte.“



„Diese verhaßte Heirat, nicht wahr?“ fragte die Base.



„Ich kann an Nichts denken,“ versetzte Alice, „als an den Verlust meines Bruders.“



Und als diese Erinnerung kalt aufgenommen wurde, begann Alice's Herz zu pochen und die Thränen traten ihr in die Augen. Aber sie bezwang sich. Ihr Schmerz fand ja doch kein Echo in diesen hochmüthigen Seelen.



Der Notar, ein alter Mann von übertriebener Höflichkeit, aber hartem Gesicht, trat ein, ward von Frau von T... artig, von den Uebrigen kalt empfangen, setzte sich an einen Tisch, entfaltete seine Papiere, verlas ein Testament und wurde mit tiefem Stillschweigen angehört. Dann zischelte man sich rings um Alice her leise Bemerkungen zu und endlich vernahm man die Stimme der altadeligen Tante, die unfähig, sich länger zurückzuhalten, in ärgerlichem Tone sagte:



„Ei, wie, Nichte, Sie sagen Nichts, Sie sind nicht empört? Ich begreife Sie nicht. Ihre maßlose Güte wird Ihnen Schaden bringen, ich versichere Sie.“



“Ich kann mich nicht irgend einer Güte für die Person rühmen, von der die Rede ist,versetzte Frau von T...; „ich kenne sie nicht. Allein ich weiß und sehe, daß mein Bruder sie wirklich geheiratet hat.“



„Allerdings, aber er ist todt, und uns ist sie Nichts, gar Nichts!“ schrie die andere Dame.



„Ei, Sie sind ja mit der Lösung eines Ehebandes sehr bald fertig, Base,“ sagte Alice. „Fragen Sie doch einmal den Herrn Notar, ob das Gesetz die bürgerliche Seite der Frage eben so leicht nimmt, wie Sie die religiöse.“



„Der Trauschein, der Heiratskontrakt, das Testament, Alles ist in bester Form,“ sagte der Notar aufstehend. „Ich kenne mein Mandat und meine Pflichten und will mich jetzt zurückziehen; was einen Prozeß betrifft, so halte ich ihn für unmöglich ...“



„Nein, nein, keinen Prozeß!“ sagte der alte Oheim gewichtig; „das gäbe ein Skandal und wir sind ganz und gar nicht begierig, diese seltsame Heirat auszuposaunen. Die Geldfrage der Sache berührt uns gar nicht, Herr Notar. Mein Neffe war Herr seines Vermögens und ob er es nun seinen Lakaien, seinem Hunde oder seiner Maitresse vermacht hat, ist uns gleichgültig. Aber unser Name ist durch diese Mißheirat befleckt und wir sind zu allen Opfern bereit, um zu verhindern, daß dieses Mädchen denselben trage.“



„Ich kann mich nicht dazu hergeben, einen solchen Vorschlag zu überbringen,“ erwiederte der Notar, „und mein Amt hier ist zu Ende. Ob Sie die Frau Gräfin von S... als eine Verwandte aufnehmen oder aber sie wie eine Feindin zurückstoßen wollen, geht mich Nichts an. Ich lasse Sie das unter sich ausmachen, um so mehr, da meine Rolle als Bevollmächtigter der Frau Gräfin den Geist der Feindseligkeit gegen sie, dem ich hier begegne, nur vermehren könnte. Frau von T..., ich beehre mich, Ihnen meinen tiefsten Respekt zu bezeugen; meine Damen, meine Herren ...“



Und der alte Notar ging hinweg, nach rechts und links tiefe Verbeugungen machend, Verbeugungen, wie sie unsere jungen Leute nicht mehr machen.'



„Der Mann hat Recht,“ sagte der junge Stutzer mit dem blonden Schnurrbart, der, während die Papiere vorgelesen wurden, nur mit dem Glanz seiner Stiefeln und mit seinem Spazierstöckchen beschäftigt gewesen war. „Ich glaube, es wäre besser gewesen, in seiner Gegenwart über die Sache zu schweigen, denn er wird seiner Clientin zweifelsohne unsere Worte hinterbringen.“



„Es ist ganz gut, daß er unsere Meinung kennt, mein Sohn,“ schrie die alte Tante. „Ich wollte, sie wäre selbst gegenwärtig gewesen, um uns zu hören und sich von unserer Verachtung zu überzeugen.“

 



„Sie kennen diese Art von Frauen nicht, Mama,“ entgegnete der junge Mensch mit lächerlich pedantischer Betonung und einem geckenhaften Lächeln; „der Aerger, den sie verursachen, ist ihr Triumph, und die Leute tüchtig gegen sich aufzubringen, ihr Ruhm.“



„Sie soll es nur versuchen, mir Trotz zu bieten,“ sagte die Cousine trocken und drohend, „und Sie sollen sehen, wie ich ihr die Thüre vor der Nase zuschlage.“



„Und Sie, Alice,“ fragte die Tante, „wollen Sie ihr die Ihrige öffnen, da Sie nicht in unsern Protest einstimmen?“



„Ich weiß es nicht,“ antwortete Frau von T...; „denn Alles wird von ihrem Wesen und Betragen abhängen. Was ich aber weiß, ist, daß es für mich viel schwieriger ist, sie zu demüthigen und zu beschimpfen, als für Sie. Mit Ihnen steht sie nur in einem sehr entfernten Verwandtschaftsverhältniß, während ich ihre Schwägerin bin. Sie ist die Wittwe meines Bruders, der sie liebte und den ich innig liebte, um den sich aber Niemand von Ihnen in seinen letzten Lebensjahren gar viel bekümmert hat.“



Bei dem Worte „Schwägerin“ wiederhallte ein Schrei der Empörung in dem Salon. Die alte Tante schlug sich mit ihrem Fächer die Brust, die Cousine ließ den Schleier über ihr Gesicht fallen, der Oheim seufzte und der hübsche Vetter schaukelte sich auf seinem Stuhl und ließ ein leichtes ironisches Stampfen hören. Die übrigen, noch anwesenden Verwandten gaben mit Blicken und Lachen ihr Einverständniß zu erkennen und zischelten einander das Versprechen zu, daß sie das Beispiel der Frau von T... gewiß nicht nachahmen würden.



„Meine liebe Nichte,“ nahm endlich der Oheim das Wort, „ich theile Ihre philosophischen Ideen nicht, ich bin ein wenig zu alt, um meine Grundsätze abzuschwören, obgleich ich das mit Ihnen in guter Gesellschaft thun könnte. Ich kenne Ihre maßlose Güte und bin daher nicht erstaunt, daß Sie Ihr Ohr der Wahrheit verschließen, wenn diese Wahrheit ein Verdammungsurtheil ist, von welchem keine Appellation stattfindet. Sie hoffen jederzeit, Alle, die man irgend wie anklagt, rechtfertigen zu können, aber in dieser Sache sind alle Ihre guten Absichten und edelmüthigen Gründe eitel. Unterrichten Sie sich genauer und Sie werden erkennen, daß Ihre Herablassung hier gänzlich am unrechten Platze ist. Sobald Sie sich vergewissert haben werden, welch' infame Creatur es ist, die Ihr Bruder berufen hat, seinen Namen zu tragen und seine Güter zu erben, werden Sie uns gewiß nicht veranlassen wollen, uns mit ihr einzulassen, und uns der peinlichen Pflicht entlasten, ihr die Thüre zu weisen.“



Diese Rede ward mit Beifall aufgenommen und Frau von T..., deren Meinung keine Unterstützung gefunden, sah sich bald mit ihrem Vetter allein, denn die übrigen Verwandten gingen weg, weil sie befürchteten, durch eine allzu heftige Bestürmung den Widerstand Alice's zu reizen.



Sie wußten sehr wohl, daß Alice ihrer gewohnten Sanftmuth unbeschadet sehr muthig und fest sei.



„Nun wie, Base,“ sagte der junge Mann, als die Andern fort waren, „ist es Ihnen Ernst damit, daß Sie Isidora, bei sich empfangen wollen?“



„Ich habe nur davon gesprochen, daß ich erst erwägen wolle, was ich zu thun hätte, Adhemar, allein so lange, bis ich mit mir im Reinen bin, bitte ich Sie, aus Achtung vor uns selbst den Namen Isidora zu vergessen, unter welchem Ihnen Frau von S... auf eine nicht sehr günstige Weise bekannt ist. Es däucht mich, je mehr sie Frau von S... beschimpfen, desto größeren Schimpf fügen Sie auch unserer Familie zu.“



„Auf eine nicht sehr günstige Weise bekannt? Ich bediente mich dieser Worte nicht,“ versetzte der Vetter, seinen ambrafarbnen Bart liebkosend. „Sie war ein viel zu hübsches Frauenzimmer, als daß die Gunst ihrer Bekanntschaft von uns jungen Leuten nicht eifrig gesucht worden wäre. Aber es wäre etwas ganz Anderes in einem Verhältniß, wie es eine Frau, wie Sie, mit einer Frau, wie sie, haben könnte ... darum denke ich, daß ...“



„Halt, Vetter, ich weiß, was Sie mir sagen wollen und erkläre Ihnen, daß ich die Sache keineswegs spaßhaft finde. Es ist, als wollten Sie dem Andenken meines Bruders eine Beleidigung zusagen, und Ihre Lustigkeit muß mir deßhalb wehthun.“



„Betrüben Sie sich nicht, theure Alice, und nehmen Sie die Dinge nicht so ernsthaft. Ei, guter Gott, was würde aus uns, wenn alle dergleichen Lächerlichkeiten für grausame Beleidigungen genommen würden? Wer hat in unserem Junggesellenleben nicht das Mißgeschick gehabt, seine Geliebte in den Armen eines Freundes oder selbst eines Vetters sich vergessen zu sehen oder auch nicht zu sehen? Larifari das! Was wissen Sie vom Jugendleben, Sie, die sich darin gefällt, vor der Zeit das Leben einer alten Frau zu führen? Ich sage Ihnen, Sie haben keinen Begriff davon.“



„Gott sei Dank! Aber genug, Adhemar, ich bedarf Ihrer Auseinandersetzungen nicht. Ich will nur das Eine von Ihnen wissen: hat diese Frau meinen Bruder wirklich geliebt?“



„Wirklich? Das ist möglich. Diese Weiber lieben zuweilen den Mann, den sie des Tages hundertmal betrügen. Ich sagte Ihnen ja, daß Sie dieselben nicht zu beurtheilen verständen.“



“Das weiß ich und es ist dieß ein Grund mehr für mich, sie nicht zu verdammen, ohne den Versuch gemacht zu haben, sie kennen zu lernen.“



„Parbleu, meine Theure, das ist ein Versuch, der Sie weit führen könnte, so Sie überhaupt den Muth dazu hätten, aber das glaube ich nicht.“



„Gut, aber antworten Sie mir, Adhemar. Ich weiß, daß die Vergangenheit dieser Frau eine sehr stürmische war ...“



„Das Wort ist liebreich und mild.“



„Eine ausschweifende, wenn Sie wollen; allein ich weiß auch, daß ihre Aufführung seit mehreren Jahren eine durchaus würdige war, und Zeugniß hiefür legt der hohe Beweis von Achtung ab, welchen mein Bruder ihr geben wollte, indem er sich auf seinem Todbette mit ihr trauen ließ. Sprechen Sie jetzt; glauben Sie, auf Eid und Gewissen, daß sie ihre Lebensweise in Wahrheit gereinigt, sich wirklich gebessert habe aus Eifer, meinen Bruder glücklich zu machen, oder sich nur aus interessirter Berechnung den Schein einer solchen Besserung gegeben, um ihn zur Heirat zu bewegen?“



„Vor Allem, Alice, leugne ich die Prämisse und muß also auch die Schlußfolgerung leugnen. Dieser Frau war die Heuchelei zur Gewohnheit geworden. Sie hatte ihre alten Freunde sammt und sonders von sich entfernt und hielt sich eingeschlossen, hier, da zur Seite, in dem Gartenpavillon Ihres Bruders; sie pflegte die Blumen, las Romane und — Gott verzeihe mir! — sogar philosophische Schriften; sie spielte den starken Geist, die blasirte Frau, die Melancholische, die bekehrte Sünderin, und der arme Felix ... ließ sich fangen. Aber wenn ich Ihnen sage, ich, daß ich sie am Vorabend ihrer Abreise nach Italien, also zu einer Zeit, wo sie in den Augen Ihres Bruders für einen Engel galt, auf einem Ball im Opernhaus in einer unzweideutigen Situation mit einem hübschen Burschen aus der Provinz, einem Schulmeister oder Advokatenschreiber, seinem Aussehen nach zu urtheilen, erkannte ...?“



„Sie täuschten sich wohl! Unter Maske und Domino?“



„Unter dem Domino. Müßte man doch ein Schüler sein, wenn man eine Frau, die man so genau kennt, an ihrem Gange nicht wiedererkennen sollte. Sie brauchen nicht zu erröthen, Base. Ich gebrauche anständige Ausdrücke und ich schwöre Ihnen nicht nur bei Eid und Gewissen, sondern sogar bei meiner Ehre, daß es mit diesem Abenteuer seine Richtigkeit hat. Wollen Sie Beweise, so kann ich sie Ihnen verschaffen, denn ich bin wohlunterrichtet. Der erwähnte Provinzbewohner schlief hier, unter dem Dache des Hauses, das jetzt Ihnen gehört. Er war, denk' ich mir, ein armer Teufel, der von ihr Geld erhielt, um sich Stiefeln zu kaufen. Sie sahen sich zwei- oder dreimal in dem Gewächshaus des Gartens, dessen Thüre ihnen zum Communikationsmittel diente. Wenn ich mir Mühe geben wollte, könnte ich sicherlich die Kammerfrau wiederfinden, welche mir diese Einzelnheiten mitgetheilt, und den Jockey, der ihm das Geld brachte. In der letzten Nacht, welche Isidora zu Paris verbrachte, empfing sie diesen Mann in dem Pavillon, in dem Zimmer Ihres Bruders. Ich setzte diesen davon in Kenntniß und er wollte sie verlassen, allein sie bot alle Hülfsmittel ihrer Schamlosigkeit auf und es gelang ihr, seinen Entschluß zu hintertreiben. Dann gingen sie mitsammen auf diese Reise, von welcher unser armer Felix nicht mehr zurückgekommen ist und die für ihn doppelt traurig endigte, mit einer tödtlichen Krankheit nämlich und einer schmachvollen Heirat.“



„Genug, Adhemar; all' dieß thut mir weh und Ihre Art, zu erzählen, schmerzt mich. Auf Wiedersehen! Ich will es bedenken, was ich zu thun habe.“



«Sie wollen es bedenken? Uebrigens,“ fuhr er mit abgeschmackter Bitterkeit fort, „wenn Sie Isidora wirklich bei sich empfangen, so könnte dadurch Ihr Haus in der That viel heiterer werden, als es ist, und wenn sie ihre Freunde beiderlei Geschlechtes mitbringt; so wird viel Leben in Ihre Abendgesellschaften kommen. Mein Vater und meine Tante werden vielleicht deßhalb maulen, was aber mich betrifft, ich bin kein Rigorist. Sie verstehen mich? Ich bin ein junger Mann und werde mich um so besser amüsiren, je ergötzlicher durch den Contrast Ihres Ernstes ein solches Fest sein muß. Guten Abend, Base.“



„Guten Abend, junger Vetter!“ entgegnete Alice und fügte, als er zur Thüre hinaus war, bei sich hinzu: „Junger Greis!“



Traurig und träumerisch blieb sie zurück.



„Es gibt,“ sagte sie zu sich, „in der Gesellschaft doch große Bizarrerien, und es ist sehr seltsam, daß die Gesetze der Ehre und der Moral häßliche Neidharte, von früherer Frivolität bekehrte Frauen und durch Ausschweifungen ruinirte Männer zu Vertheidigern und Professoren haben sollen.“



*



Plötzlich öffnete sich die Thüre des Salons wieder und sie sah Adhemar zurückkommen.



„Passen Sie auf, Base,“ sagte er mit spöttischer Miene; „Sie sollen den Helden des bewußten Abenteuers sogleich sehen. Er ist es, ich weiß es gewiß, denn mein Gedächtniß ist unerbittlich, und überdies hat ihn die Frau Ihres Thürhüters erkannt und bei Namen genannt.“



„Was für ein Abenteuer? Was für ein Held? Ich weiß nicht, was Sie meinen, Adhemar.“



„Das Abenteuer auf dem Maskenball; der letzte Liebhaber Isidora's, zu Paris vor drei Jahren ... Ah, auf mein Wort, das ist herrlich! Und das Hübscheste an der Sache ist, daß Sie diese Schlange in Ihrem Busen, ich will sagen, in dem Busen Ihrer Familie erwärmt haben!“



„Bersten Sie doch nicht vor Lachen, sondern erklären Sie sich.“



„Ich habe Nichts zu erklären. Da kommt er ja gerade, frisch wie ein Pfirsich aus der Provinz und tritt in Ihren Hof.“



„Aber wer denn, im Namen des Himmels?“



„Sie werden schon sehen, sag' ich Ihnen; ich will ihn nicht nennen, um mir meinen Spaß an diesem Theatercoup nicht zu verderben. Ich bin auf der Stelle umgekehrt, als ich ihn an der Pforte des Thorwegs erkannte. Ah, der Abscheuliche! der Lovelace!“



Und Adhemar begann wieder so herzlich zu lachen, daß Alice ungeduldig wurde.



Aber gleich darauf stieß sie einen Freudenschrei aus, denn ihr Sohn Felix, das Pathenkind ihres verstorbenen Bruders, der schönste siebenjährige Knabe, den man sich denken konnte, trat ein.



„Ah, Du bist's, mein Kind!“ rief sie, den Knaben an ihre Brust drückend. „Ach, wie lang begann mir ohne Dich die Zeit zu werden! Sehntest Du Dich auch nach Deiner Mutter? Hat die Reise Dich müde gemacht?“



„O nein, es machte mir viele Freude, die Pferde auf der Straße einhergaloppiren zu sehen,“ versetzte das Kind, „und es war mir ganz recht, daß ich so schnell zu meinem Mütterlein kam.“



„Welchen närrischen Spaß machten Sie denn da, Adhemar?“ fragte Frau von T... „Ist das etwa der Held Ihres lustigen Abenteuers?“



„Nicht gerade der,“ entgegnete Adhemar, „wohl aber dieser.“



Und mit einer komisch-geheimnißvollen Gebärde wies er auf den Erzieher des Knaben, welcher in diesem Augenblick eintrat.



Alice, welche sich von dem boshaften Blick ihres Vetters beobachtet wußte, machte es nicht wie die Theaterheldinnen, welche für das Publikum allerlei vertrauliche Gesticulationen und Ausrufungen bereit haben, welche die gefälligen Mitspieler nicht beachten. Sie benahm sich, wie man sich in der vornehmen Welt oder im Leben überhaupt benimmt, und bemühte sich nicht einmal, sich recht geschickt darzustellen.

 



Sie blieb unbewegt, empfing den Lehrer ihres Sohnes mit Wohlwollen und nahm nach einem höflichen Worte ihr Kind auf den Schoß, um es nach Herzenslust zu liebkosen.



„Ich lasse Sie in viel zu guter Gesellschaft,“ sagte Adhemar, sich ihr nähernd, leise zu ihr, „als daß ich befürchten müßte, Sie machten sich Etwas aus dem, was ich Ihnen gesagt. Auf alle Fälle sind Sie ja jetzt im Stande, aus der besten Quelle zu schöpfen, und Herr Jacques Laurent kann Ihnen, wenn es ihm nämlich gut dünkt, die gründlichsten Nachweisungen über die Person geben, welche Sie Ihre Schwägerin zu nennen beliebten. Aber nehmen Sie sich in Acht, Base! Dieser Provinzmann ist ein sehr hübscher Bursche und nach dem, was ich von ihm weiß, wäre er im Stande ... alle ihre Kammerfrauen zu verführen.“



Frau von T... gab keine Antwort, als hätte sie die Worte ihres Vetters gar nicht gehört.



„Saint-Jean,“ befahl sie einem alten Diener, der das Gepäck des Knaben herbeitrug, „führt Herrn Laurent in sein Zimmer. Guten Abend, Adhemar ... Du aber, kleiner Mann,“ fügte sie, zu ihrem Kinde gewandt, hinzu, „komm' her, daß ich Dich vom Reisestaub säubere und aufputze.“



„Wie?“ fragte der Vetter, nachdem Jacques Laurent hinausgegangen war, „dieser ländliche Don Juan soll in Ihrem Hause wohnen, Alice?“



„Was kann das Sie angehen, Vetter?“



„Aber ich erkläre Ihnen, daß dies gefährlich ist.“



„Für meine Kammerfrauen? Meinen Sie?“



„Meiner Treu, für Sie, Alice. Man wird sein Hiersein bemerken und es an die große Glocke hängen.“



„Wer wird es an die große Glocke hängen, ich bitte Sie?“ versetzte Frau von T... mit Hoheit und ihrem Neffen scharf in's Gesicht sehend: „etwa Ihre Schwester und Sie?“



„Sie sind zornig, Alice,“ entgegnete er mit unverschämtem Lächeln, „das sieht man wohl. Ich entferne mich daher schleunig, um Sie nicht noch mehr zu reizen, und werde mich wohl in Acht nehmen, Ihrem so wohlunterrichteten, gescheidten und ernsten Erzieher noch einmal Böses nachzureden. Verzeihen Sie mir. Im Falle ich seine Bekanntschaft nicht auf dem Maskenball und am Arm eines Mädchens gemacht hätte, so würde ich mir eine andere Vorstellung von ihm gemacht haben, werde aber versuchen, dieselbe unter Ihren Auspizien in Verehrung umzuwandeln.“



Er ging und, im Vorzimmer an Jacques Laurent, der sein Gepäck von dem des jungen Felix sonderte, vorübergehend, warf er ihm ironische und verächtliche Blicke zu, die übrigens gar keine Wirkung thaten, weil Jacques dieselben nicht beachtete.



Dieser hatte ganz andere Dinge im Kopf, als die Erinnerung an Isidora und den Dandy, welcher ihn auf dem Maskenball beleidigt hatte. Es war ja schon zu lange her.



Er wandte den Kopf halb zu dem hübschen Stutzer, dessen Fuß die Erde so verachtungsvoll trat, als müsse sich diese geehrt fühlen, ihn zu tragen.



Das ist 'mal ein unverschämtes Gesicht, dachte er bei sich, aber er hatte dasselbe von früher nicht im Gedächtniß behalten, es rief ihm keine Erinnerung zurück.



Adhemar ging weg, etwas frappirt von dem Gesicht Jacques Laurents, und fragte sich, weil er, obgleich ohne Alice zu lieben, doch niemals ihr Wohlgefallen hatte erringen können, ärgerlich, ob dieser junge blonde Mann mit dem sanften, und dennoch stolzen Blick, seinen Verdacht gegen Frau von T... nicht rechtfertigen könnte, wenn er, anstatt, wie sich ihn Adhemar gedacht hatte, ein blöder, von oben herab behandelter Pädagoge zu sein, etwa ein kecker Liebhaber wäre, gut genug, um auf dem Lande einen Mondscheinroman mit ihm abzuspielen und zu Paris die Rolle eines geheimen Cicisbeo zu übernehmen.



*



Eine Stunde später sprang und hüpfte der kleine Felix, nachdem seine Mutter ihn gewaschen, gekämmt und geputzt hatte, wie ein muthwilliger Vogel im Garten umher.



In einiger Entfernung ging Jacques Laurent an der Mauer, welche den Garten seiner Länge nach einfaßte, mit nachdenklicher Miene auf und ab.



Alice stieg langsam die Freitreppe herab, auf welche sich der Sommersalon, in dem sie sich um diese Jahreszeit — man war im Hochsommer — gewöhnlich aufhielt, nach dem Garten zu öffnete.



Frau von T... hatte den Winter und das Frühjahr auf dem Lande zugebracht. Sie hatte sogar gewünscht, ein volles Jahr daselbst zu verbringen, allein unvorhergesehene Geschäfte riefen sie, sie wußte, wie sie sagte, nicht, auf wie lange — nach Paris zurück. Vielleicht, daß in dieser plötzlichen Rückkehr in die Stadt Etwas lag, wovon sich Jacques Laurent keine Rechenschaft geben konnte, und wovon Alice selbst sich vielleicht keine klare Rechenschaft zu geben vermochte. Vielleicht auch war in der ländlichen Einsamkeit und in der berauschenden Waldluft etwas für eine an Furcht und Zurückhaltung gewöhnte Phantasie zu Feierliches oder zu Aufregendes gewesen.



Wie dem auch sei, jetzt ging Alice wie aufs Gerathewohl in dem Garten hin und her, indem sie sich bald an dem Spiele ihres Kindes ergötzte, bald sich wie in Zerstreuung Jacques näherte. Endlich fanden sich alle Drei in dem nämlichen Baumgang und zwei Minuten nachher ließ der Knabe, welcher von Blume zu Blume hüpfte, seinen Erzieher mit seiner Mutter allein.



Was dem Erzieher eigenthümlich war, das war eine Art verhaltener Schwermuth, welche seinen Zügen und seinem Benehmen einen besondern Reiz verlieh. Von Natur schüchtern, war er es in Alice's Nähe noch mehr und, seltsam, trotz dem Vortheil, welcher ihre Stellung ihr gab, trotz der Gewohnheit conventioneller Freiheit, trotz der Achtung, welche sie den Verdiensten des jungen Pädagogen spendete, war Frau von T... bei ihrem jetzigen Zusammensein noch befangener, als er. Es wäre von einem unbefangenen Beobachter eine Mischung aufgeregter Höflichkeit und vorberechneter Kälte an ihr wahrgenommen worden. Man hätte können sagen, daß sie sich bemühte, den jungen Mann mit Anmuth und Wohlwollen anzureden, um ihn den Unterschied zwischen der Ruhe und Ungenirtheit des Landlebens und dem Aufenthalt in Paris vergessen zu machen; allein nicht minder konnte man sagen, daß sie sich Gewalt anthun mußte, um sich mit ihm zu beschäftigen, und daß ihre Rede zerstreut und abgebrochen war.



Saint-Jean brachte ihr mehrere Visitenkarten, die sie kaum eins Blickes würdigte.



„Ich empfange erst die kommende Woche,“ sagte sie, „ich bin noch nicht recht von der Reise ausgeruht und will, bevor ich meine Zeit von der Gesellschaft in Anspruch nehmen lasse, vorher meinen Sohn sich hier angewöhnen lassen. Und dann fühle ich auch das Bedürfniß, allererst ein wenig mit ihm zu spielen. Glauben Sie, Herr Laurent, daß diese Trennung von acht Tagen mir sehr lang vorgekommen ist?“



„Ja, gnädige Frau,“ entgegnete Laurent, „für eine Mutter ist jede Trennung von ihrem Kinde eine lange.“



„Und dann,“ fuhr sie fort, „hatten mein Sohn und ich uns sechs Monate lang keinen Augenblick getrennt und ich hatte mir aus dem Zusammensein mit ihm eine süße Gewohnheit gemacht, welche das Pariser Leben gewaltsam zu unterbrechen droht. Die Gesellschaft ist wie eine entsetzliche Sklaverei, deßhalb möchte ich sie so gern verlassen. Allein vielleicht könnte sich mein Sohn eines Tages in eben diese Gesellschaft werfen wollen und dann wäre mein jetziges Weggehen aus derselben ein offenbarer Nachtheil für ihn. Ach, Herr Laurent, Sie kennen die Gesellschaft nicht, Sie hängen nicht von ihr ab und darum sind Sie glücklich.“



„In der That, ich bin sehr glücklich,“ sagte Jacque Laurent in einem Tone, als hätte er damit sagen wollen: „Ich bin des Lebens ganz und gar überdrüssig.“



Diese Betonung frappirte Frau von T... so sehr, daß sie erbebte, ihn anschaute und dann schnell die Augen abwandte.



„Finden Sie diese Wohnung annehmlich?“ fragte sie ihn. „Vermissen Sie das Land nicht allzusehr?“



„Dieses Haus ist sehr verschönert worden, antwortete Laurent gedankenvoll; „dessenungeachtet aber glaube ich, daß ich mich sehr nach dem Lande sehnen werde.“



„Verschönert?“ fragte Alice. „Sie waren also schon einmal in diesem Hause?“



„Ja, gnädige Frau.“



„Ist es schon lange her?“



„Drei Jahre.“



„Wie?“ sagte Alice, eine kleine Bewegung verrathend.

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