Geschichte meines Lebens

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Zweiundfünfzigster Brief.

Kanton Appenzell, den 28. vendémiaire VII. Donau-Armee, 3. Division.

„Aus dem Rheinwaldthale, vom Fuße der Berge, deren blendende Gipfel sich in den Wolken verlieren, aus der Heimath der Nebel und Fröste schreibe ich Dir heute, meine liebe Mutter. Wenn es ein unbewohnbares, elendes, abscheuliches Land giebt, so ist es dieses trotz seiner Schönheit. Die Einwohner sind halb wild, haben kein anderes Eigentum als eine Sennhütte und einiges Vieh, keinen Begriff von Cultur und Handel, leben nur von Wurzeln und Milch, halten sich das ganze Jahr in ihren Bergen auf und haben fast gar keinen Verkehr mit den Städten. Sie waren ganz bestürzt, als sie uns neulich Suppe bereiten sahen, und als wir sie die Bouillon kosten ließen, fanden sie dieselbe abscheulich. Ich hingegen fand sie ausgezeichnet, denn seit zwei Tagen waren wir ohne Brod und Fleisch und gezwungen gewesen ihre Hirtenkost zu essen, die man, wenn man in meinem Alter ist, meinen Appetit hat und unser Handwerk treibt, mit Freuden zu allen Teufeln schicken möchte.

„Desselben Tages noch, an dem ich Dir das letzte Mal schrieb, verließen wir Weinfelden und gingen nach dem sieben Stunden entfernten St. Gallen. Man schickte uns dann wieder in die Berge und seit zwei Tagen bin ich in Gambs, rechts von Altstätten, mit zwei Jägern als Ordonnanz bei dem General Brunnet — und da man beim Generalstabe nie vor Hunger umkommt, so entschädige ich mich auch ohne Umstände für die Lebensweise in den Bergen und die Frugalität der Hirten.

„Gewiß bin ich im Augenblicke weit entfernt im Glücke zu sitzen. Ich muß alle Frohndienste, alle Wachen, alle Bivouaks mitmachen, jeder Vorlesung beiwohnen, wie die Andern. Ich warte mein Pferd, ich gehe mit fouragiren, ich lebe von Soldatensuppe und bin glücklich, wenn es welche giebt! Aber wäre auch Alles noch zehnmal schlechter, ich würde nicht bereuen, was ich gethan habe, denn ich fühle, daß Niemand mir etwas vorzuwerfen hat und daß der General Harville Unrecht thut, wenn er mich tadelt. Jedenfalls billigen Beurnoville und Latour d' Auvergne meine Handlungsweise und sie werden mich protegiren. Sie können es jetzt um so besser, da ich nicht nur der Enkel des Marschalls von Sachsen bin, sondern auch Soldat der Republik, und da ich das Interesse, welches sie mir zeigten, gerechtfertigt habe. — Und Du, liebe Mutter, wirst nun nicht mehr als eine verdächtige, an der alten Verfassung hängende Frau betrachtet werden, sondern als die Mutter eines Rächers des Vaterlandes. Auf diesen Standpunkt mußt Du Dich jetzt stellen, meine liebe Mutter; jeder andere Gesichtspunkt ist falsch und unmöglich. — Ich bin im Regiment nicht Jakobiner geworden, aber ich habe begriffen, daß man den geraden Weg gehen muß und dem Vaterlande dienen ohne hinter sich zu blicken. Man muß die Glücksgüter und den Rang nicht bedauern, den uns die Republik genommen hat, sondern sich glücklich schätzen, daß man sich jetzt selbst erwerben kann, was man ehemals nur dem Zufalle und der Geburt verdankte. — Nun wohl, Vater Deschartres, Ihr müßt den Cato von Utica spielen und nicht mehr von der Vergangenheit sprechen. — Ich unterliege durchaus nicht unter der Strenge der militärischen Lebensweise, denn ich wachse zusehends, Alle, die mich seit einem Monate nicht gesehen haben, bemerken es. Ich werde auch nicht mager — im Gegentheil immer breitschulteriger und fühle mich jeden Tag kräftiger und heiterer. Du wirst aber bald selbst Gelegenheit haben über meine Fortschritte in der Länge und Breite zu urtheilen.“

Zwölftes Kapitel.
Rückkehr nach Paris. — Vorstellung bei Bonaparte. — Italienischer Feldzug. — Uebergang über den St. Bernhard. — Das Fort von Bard.

Der Urlaub, auf den mein Vater hoffte, war nicht ohne Schwierigkeiten zu erreichen. Es erforderte den ganzen Einfluß von Latour d'Auvergne. Der Anfang des Jahres 1800 vereinigte Mutter und Sohn in Paris, wo sie auch den Winter zusammen verlebten. Mein Vater wurde Bonaparte vorgestellt, welcher ihm erlaubte zum 1. Jägerregiment überzugehen und den Feldzug unter dem General Dupont mitzumachen, dessen Generalstabe er beigegeben wurde.

Dreiundfünfzigster Brief.

Im Hauptquartiere, Verres, den 4. prairial.

„Endlich bin ich hier! Es ist nichts Kleines ohne Pferde durch diese Berge, diese schrecklichen Einöden und zerstörten Dörfer zu reisen. Jeden Tag verfehlte ich den Generalstab um eine Tagereise. Endlich hat er dem Fort von Bard gegenüber Halt gemacht, das uns hindert in Italien einzudringen. Wir sind jetzt mitten zwischen den piemontesischen Abgründen. — Gestern stellte ich mich gleich bei meiner Ankunft dem General Dupont vor, der mich sehr gut empfing. Ich bin seinem Generalstabe beigegeben, werde diesen Morgen meine Ausfertigung und meinen Bestallungsbrief erhalten und theile Dir diese Thatsache vor allen mit, um Dich von der Unruhe und Ungeduld zu befreien, die Dir jede vorläufige Erzählung unerträglich gemacht hätte. — Da bin ich denn in einem Lande, wo wir Hungers sterben werden. — Die Gesichter, aus denen der Generalstab zusammengesetzt ist, scheinen mir, mit Ausnahme der drei Generäle, ziemlich albern. Ich bemerke indessen seit den vierundzwanzig Stunden meines Hierseins, daß mir die Adjutanten und der General-Adjutant mehr Rücksicht zeigen als allen Andern, die hier sind, und glaube zu wissen warum. Wenn ich genauer beobachtet habe, werde ich es Dir sagen.

„Ich habe den St. Bernhard überstiegen. Die Beschreibungen und Bilder, die davon existiren, bleiben hinter den Schrecken der Wirklichkeit zurück. Die Nacht vorher blieb ich in dem Dorfe St. Pierre am Fuße des Berges und den Morgen brach ich nüchtern auf, um nach dem Kloster zu gelangen, das drei Stunden höher liegt, d. h. in den Regionen des Eises und des ewigen Frostes. Dieser dreistündige Weg führt durch Schnee zwischen den Felsen hin; man erblickt keine Pflanze, keinen Baum; Höhlen und Abgründe öffnen sich bei jedem Schritte. Mehrere Lawinen, die Tags zuvor herabgestürzt waren, trugen dazu bei den Weg unbrauchbar zu machen. Mehrere Male sanken wir bis an den Gürtel in den Schnee. Und durch alle diese Hindernisse trug eine halbe Brigade ihre Kanonen und Munitionswagen auf den Schultern und zog sie von Felsen zu Felsen. — Die Thätigkeit und Entschlossenheit, das Schreien und Singen dieser Armee gaben das seltsamste Schauspiel, das man sich denken kann. — Es hatten sich zwei Divisionen in den Bergen vereinigt; sie wurden von General Harville kommandirt, der bei dieser Gelegenheit einmal recht tüchtig durchfror. — Bei den Mönchen angekommen, war er die erste Person, die mir begegnete. Er schien sehr erstaunt mich so hoch oben zu treffen und sagte mir zitternd vor Kälte viele Freundlichkeiten, ohne jedoch meinen ehemaligen Ungehorsam zu erwähnen und ohne Billigung oder Tadel auszusprechen. Vielleicht hätte er es in einem anderen Augenblicke gethan, aber in dem gegenwärtigen dachte er nur daran zu frühstücken und lud mich dazu ein. Aber ich wollte meine Reisegefährten nicht verlassen und dankte ihm. — Während der sehr frugalen Mahlzeit unterhielt ich mich mit dem Prior, welcher sie uns serviren ließ. Er sagte mir, daß sein Kloster der höchste bewohnte Ort in Europa sei und zeigte mir die großen Hunde, welche die von Lawinen verschütteten Reisenden aufsuchen helfen. Bonoparte hatte sie vor einer Stunde geliebkoset und ohne mich zu geniren that ich wie Bonaparte. — Als ich dem Prior mittheilte, daß man die Mönche vom St. Bernhard und ihre Gastfreundschaft bei uns auf das Theater gebracht habe, hörte ich mit Erstaunen, daß er das Stück kannte. — Nachdem wir freundschaftlich Abschied von ihm genommen hatten, stiegen wir sieben Stunden abwärts, um nach dem Thale von Aosta in Piemont zu gelangen. Ich marschirte zehn Stunden und ließ mein Gepäck durch Maulthiere tragen. — In Aosta angekommen, begab ich mich schnell nach dem Palaste des Consuls, um Leclerc zu sehen und die erste Person, die mir begegnete, war Bonaparte. Ich wollte ihm meinen Dank für die Bestallung aussprechen, aber er unterbrach mich barsch mit der Frage, wer ich sei. — Der Enkel des Marschalls von Sachsen. — Ah so — gut — bei welchem Regimente stehen Sie? — Beim 1. Jägerregimente. — Ganz wohl — aber es ist nicht hier. Sie sind also dem Generalstabe beigegeben? — Ja, General. — Es ist gut, desto besser, ich bin erfreut Sie zu sehen. — Und damit drehte er mir den Rücken. Gestehe, liebe Mutter, daß ich immer Glück habe. Ich konnte es nicht besser treffen, wenn ich mit Absicht gehandelt hätte. Ich bin ohne Weiteres Hülfsadjudant beim Generalstabe und zwar auf Wunsch Bonaparte's, ohne die drei berühmten, tödtlich langen Monate warten zu müssen.— Damit Deine Briefe mich mit Sicherheit treffen, so adressire sie an den Bürger Dupin, Hülfsadjutant beim Generalstabe der Reserve Armee, im Hauptquartiere, ohne den Ort anzugeben. Man wird sie uns dann nachschicken.

„Das Fort, welches wir vor uns haben, das Fort von Bard nämlich, hindert uns in Italien einzudringen, aber man hat beschlossen es zu umgehen, so daß das Hauptquartier morgen in Ivrea aufgeschlagen wird. Ich bin sehr froh darüber, denn hier sind wir auf halbe Ration gesetzt — und mein Teufel von Magen will sich nicht zu einer halben Ration Appetit verstehen. Du hast sehr wohl gethan mich in Paris gut auszufüttern, denn ich glaube nicht, daß es hier geschehen wird. Adieu, meine liebe Mutter, ich umarme Dich zärtlich und wünschte, daß diese neue Trennung Dir weniger schmerzlich wäre als die frühere. Bedenke, daß sie nicht lange währen und gute Folgen haben wird.“

Vierundfünfzigster Brief.

Prairial im Jahre VIII. (ohne Datum.)

 

„Ach! da sind wir endlich, da sind wir endlich — nun wollen wir Athem holen! Wo denn? In Mailand! und wenn wir immer in dieser Weise fortgehen, so glaube ich, werden wir bald in Sicilien sein. Bonaparte hat aus einem ehrwürdigen Generalstabe die leichtfüßigste Avant-Garde gemacht. Er hat uns laufen lassen wie die Hasen und besser noch. Seit Verres genossen wir keinen Augenblick Ruhe. Gestern sind wir nun hier angekommen und ich benutze die Gelegenheit, um mit Dir zu plaudern. — Ich beginne die Beschreibung unseres Marsches von der Abreise aus dem schon genannten Verres. — Ich glaube, ich sagte Dir von dem Fort von Bard, das uns hinderte in Italien einzudringen. Bonaparte war kaum angekommen, als er befahl es zu stürmen. Er ließ sechs Compagnien die Revue passiren und sagte zu ihnen: „Grenadiere, wir müssen diese Nacht da hinauf steigen, und das Fort gehört uns.“ Einige Minuten später hatte er sich auf einen Felsblock gesetzt; ich stellte mich hinter ihn. Er wurde von allen Generalen der Division umringt, und Loison machte ihm Vorstellungen über die Schwierigkeiten den Felsen unter dem Feuer des Feindes zu erklimmen, der so gut verschanzt war, daß er, um unser Andringen zu verhindern, nichts zu thun hatte, als Bomben und Granaten anzuzünden und sie herunterrollen zu lassen. Bonaparte wollte nichts hören und indem, er zurückging, wiederholte er den Grenadieren, daß das Fort ihnen gehöre. Der Sturm wurde für zwei Uhr nach Mitternacht befohlen. Da ich nicht beritten war, und da sich das Fort zwei Meilen weit vom Hauptquartier befand, hatte ich keinen Befehl erhalten mich dahin zu begeben. Ich kehre also mit meinen Begleitern nach Verres zurück; wir soupiren zusammen, ich wünsche einem Jeden von ihnen gute Nacht und gehe dann ohne ein Wort zu sagen wieder nach Bard. Man erreicht dies Fort durch ein langes, von ungeheuern mit Cypressen bedeckten Felsen umschlossenes Thal. Die Nacht war dunkel und die Stille dieser rauhen Gegend war nur durch das Getöse eines Waldbaches unterbrochen, der in der Finsterniß dahinrauschte, und durch den tumpfen Kanonendonner des Forts. Ich gehe so rasch als möglich vorwärts, bald höre ich das Schießen mit größerer Deutlichkeit, bald erblicke ich auch das Feuer der Geschütze und nun gelange ich in die Nähe des Forts. Hinter einem Felsen sehe ich zwei Männer an einem Feuer liegen und da ich mir denke, daß sich der General Dupont bei dem Oberbefehlshaber befinden muß, frage ich: ob sie letztern nicht gesehen haben. „Hier ist er!“ sagte einer der Männer, indem er aufstand. Es war Berthier selbst. Ich sagte ihm, wer ich wäre und wen ich suchte und er beschrieb mir, wo ich den General Dupont finden würde. Er befand sich auf der Brücke der Stadt Bard; ich begebe mich dorthin und finde ihn von Grenadieren umgeben, welche den Augenblick des Angriffs erwarten. Nun dränge ich mich unter sein Gefolge, und als er den Kopf wendet, wünsche ich ihm guten Abend. „Wie“, sagt er ganz erstaunt, „Sie sind hier ohne Befehl und zu Fuße?“ — Wenn Sie mir's erlauben wollen, mein General! — »Wohlan, der Angriff beginnt, Sie kommen im rechten Augenblicke.“ Man brachte gerade sechs Geschütze und Munitionswagen an den Fuß des Forts. Die Adjutanten des Generals begleiteten sie und ich folgte ihnen so als Spaziergänger. Auf dem halben Wege zur Stadt kamen drei Granaten auf einmal. Wir traten in ein offenes Haus, ließen sie platzen, verfolgten dann unsern Weg und kehrten wieder zurück, immer von einigen Grenadieren und einigen Kugeln begleitet. Der Angriff war ohne Erfolg. Wir kletterten bis zur letzten Verschanzung; aber die Bomben und Granaten, welche der Feind auf uns schleuderte und zwischen die Felsen warf, zu kurze Leitern, falsche Maßregeln u.s.w. machten das Unternehmen mißlingen, und wir mußten uns mit Verlust zurückziehen.

„Am folgenden Morgen zogen wir nach Ivrea. Wir umgingen das Fort und kletterten, Menschen sowohl als Pferde, zwischen den Felsen hinauf, wo die Eingeborenen nicht einmal mit Maulthieren zu gehen wagen. Einige der Unserigen stürzten hinab; das Pferd Bonaparte's brach ein Bein. Als wir zu einem gewissen Punkte gekommen waren, machte Bonaparte Halt und betrachtete mit sehr übler Laune das Nest, an dem er gescheitert war. Nach tausend Anstrengungen erreichten wir die Ebene und da ich zu Fuß war, gab mir der General Dupont, der sich über meinen Spaziergang am Abend zuvor gefreut hatte, eins seiner Pferde. Ich ritt zwischen Dupont's, Bonaparte's und Berthier's Adjutanten, und in dieser glänzenden Schaar nahm ein Adjutant Dupont's, Namens Morin, das Wort und sagte: „Meine Herren, von den dreißig Hülfs-Adjutanten des Generalstabes ist Herr Dupin, der erst vorgestern Abend angelangt ist und der noch kein Pferd besitzt, der einzige, welcher sich beim Angriff des Forts neben dem General befunden hat. Die Anderen sind klüglich im Bette geblieben.“ — Nun muß ich Dir sagen, was ich beim ersten Blick errathen habe: der Generalstab ist die ordnungsloseste Gesellschaft, die man sich denken kann. Jeder, der ohne Corps und ohne Verdienst ist, wird darin aufgenommen und erhält den Titel eines Hülfs-Adjutanten. Acht oder zehn sind indessen darunter, die mehr taugen als die Uebrigen, und diese halten zusammen. Auch reinigt sich der Generalstab immer mehr, je weiter wir fortschreiten, denn man läßt die Schwätzer und die Feigen zum Dienst in den verschiedenen Waffenplätzen, durch die wir ziehen. Lacuée hat sich sehr geirrt, als er Dir von den großen Vortheilen meiner Stellung erzählte. Wir haben durchaus nicht so viel Ansehen wie die Adjutanten, wir werden wie Ordonnanzen verschickt, ohne zu wissen, welche Befehle wir überbringen. Auch sind wir nicht in der Gesellschaft des Generals und speisen nicht mit ihm.

„Als wir nach Ivrea kamen, sah ich wohl ein, daß ich, wenn wir so fortmarschirten, meine Pferde so bald nicht bekommen würde. Ich ging darum, leichtfüßig wie ich bin, zu den Vorposten, die am Tage zuvor Pferde erbeutet hatten, und ein Husaren-Offizier überließ mir eins derselben für 15 Louisd'or — in Paris würde man dreißig dafür geben. Es ist ein wilder Ungar, der einem feindlichen Rittmeister gehörte. Es ist ein grauer Apfelschimmel; seine Beine sind von unvergleichlicher Schönheit und Feinheit; der Blick ist feurig und zu allen diesen Vorzügen hat er das Benehmen eines wilden Thieres. Er beißt Alle, die er nicht kennt und läßt sich nur von seinem Herrn reiten. Ich bin nur mit großer Anstrengung dazu gelangt ihn zu besteigen, denn der Schurke wollte Frankreich durchaus nicht dienen. Durch Brod und Liebkosungen habe ich ihn endlich gezähmt, aber in den ersten Tagen bäumte er sich und biß wie ein Teufel.

Sobald man aber darauf sitzt, ist er sanft und ruhig; er läuft wie der Wind und springt wie ein Reh. Wenn meine beiden anderen Pferde ankommen, kann ich ihn wieder verkaufen. Aber da kommt die Post! Lebewohl, meine gute Mutter, ich habe nur noch Zeit Dich zu umarmen. Leb' wohl, leb' wohl!“

Dreizehntes Kapitel.
Kurze Wiederholung. — Die Schlacht bei Morengo. — Turin, Mailand im Jahre 1800. — Latour d'Auvergne. — Besetzung von Florenz. — Georg Lafayette.

Wenn ich nun mit der Geschichte meines Vaters fortfahre, wirst man mir vielleicht vor, daß ich die Erfüllung des Versprechens, mein eigenes Leben zu erzählen, zu lange hinausschiebe. Soll ich an das erinnern, was ich zu Anfang dieses Buches gesagt habe? Jeder Leser hat ein kurzes Gedächtniß, und auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen, werde ich meine Ansichten über die Arbeit, die ich unternommen habe, noch einmal kurz zusammenstellen.

Alle Existenzen sind von einander abhängig und jedes menschliche Wesen, das die seinige allein darstellen wollte, ohne sie mit der seiner Nebenmenschen in Verbindung zu bringen, würde uns nur ein Räthsel zu lösen geben. Der Zusammenhang ist noch augenscheinlicher, wenn er ein unmittelbarer ist, wie der, welcher die Eltern mit den Kindern, die Freunde mit den Freunden der Vergangenheit und Gegenwart, die Zeitgenossen mit den Zeitgenossen von gestern und heute verbindet. Was mich betrifft (und Euch Alle), so würden meine Gedanken und mein Glaube, meine Abneigungen, meine Instinkte und meine Gefühle für meine eigenen Augen ein Geheimniß sein und ich könnte sie nur dem Zufall zuschreiben, der noch nichts in der Welt erklärt hat — wenn ich nicht in der Vergangenheit die Seite läse, die derjenigen vorangeht, auf welcher meine Individualität in dem Buche des allgemeinen Lebens verzeichnet ist. Diese Individualität hat an und für sich weder eine Bedeutung noch einen Werth. Sie erhält nur dann einen Sinn, wenn sie zum Bestandtheil des allgemeinen Lebens wird, wenn sie sich mit dem Wesen eines jeden meiner Nebenmenschen vereinigt — und nur dadurch erlangt sie historischen Werth.

Nachdem ich dies ausgesprochen habe, um nicht mehr darauf zurückzukommen, erkläre ich, daß es mir unmöglich sein würde mein Leben darzustellen, ohne zuvor das meiner Eltern erzählt und verständlich gemacht zu haben. Dies ist ebenso nothwendig in der Geschichte der Individuen, als in der des Menschengeschlechts. Leset eine Seite der Revolutionsgeschichte oder der Geschichte des Kaiserreichs; Ihr werdet nichts davon verstehen, wenn Euch nicht die vorhergehenden Ereignisse der Revolution und des Kaiserreichs bekannt waren. Und um die Revolution und das Kaiserreich zu verstehen, müßt Ihr wiederum die ganze Geschichte der Menschheit kennen. Ich erzähle hier eine Entwickelungsgeschichte — die Menschheit hat ihre Entwickelungsgeschichte in jedem einzelnen Menschen — und so habe ich einen Zeitraum von etwa hundert Jahren schildern müssen, um vierzig Jahre aus meinem eigenen Leben darzustellen.

Ohne dies wäre ich nicht im Stande meine Erinnerungen zu ordnen. Ich habe das Kaiserreich und die Restauration durchlebt und war im Anfang zu jung, um durch mich selbst die geschichtlichen Ereignisse zu begreifen, die unter meinen Augen vorgingen und sich um mich her bewegten. Aber ich habe die Verhältnisse damals theils durch die Ueberzeugungen, theils durch den Widerspruch aufgefaßt, den die Empfindungen meiner Eltern in mir hervorbrachten. Sie hatten die alte Monarchie und die Revolution durchlebt; ohne die Eindrücke, die sie empfangen hatten, würden die meinigen viel unbestimmter gewesen sein, und es ist zweifelhaft, ob ich aus den ersten Zeiten meines Lebens die deutlichen Erinnerungen bewahrt hätte, die ich besitze. Aber diese ersten Eindrücke — sobald sie lebendig gewesen sind — haben eine unermeßliche Wichtigkeit und oft ist unser ganzes übriges Leben nur eine nothwendige Folge derselben.

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