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Der Tee der drei alten Damen

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5

In der Gegend der Palanterie, jenes Sumpfes, der den Genfern im Winter als Schlittschuhlaufplatz dient, aber noch weiter gegen die französische Grenze zu, steht eine einsame Bank am See. Man kann sie auf zwei Wegen erreichen. Der eine führt von der Tramhaltestelle über die Felder, der andere hält sich an das Seeufer und kommt vom Port-Noir. Es war tiefer Nachmittag, als zwei Herren, jeder von einer andern Seite kommend, sich an dieser Bank trafen. Sie lächelten, als sie sich sahen, zogen beide die Uhren, nickten. Der eine, von unbestimmbarem Alter und neutralen Gesichtszügen, trug trotz der Hitze einen steifen, runden Hut, eine ›Melone‹, und war in dunkles Blau gekleidet. Der andere trug einen grauen Flanellanzug, weißes offenes Sportshemd. Die Sonne hatte den See in eine glattpolierte Silberplatte verwandelt; sein Anblick schmerzte.

»Colonel«, sagte O'Key, »verzeihen Sie meinen Anruf. Aber es war wichtig.«

»Es war ganz richtig, Simp«, sagte der Kammerdiener Charles, »wenn ich alter Esel Fehler mache, so muß ich sie auch ausbaden. Ich werde es mir nie verzeihen, daß ich meinen Alten an dem Morgen hab' entwischen lassen. Kannst du dir vorstellen, wie erstaunt ich war, als ich um acht Uhr ihm sein Frühstück bringen wollte, und kein Mensch da war?«

»Doch, Colonel«, sagte O'Key, »das kann ich mir lebhaft vorstellen.«

»Mach keine Witze. Sonst zieht sich der Alte nie ohne mich an. Aber ich sage, die dümmsten Leute werden raffiniert, sobald sie alt werden. Sie verlegen sich dann aufs Intrigieren, weil ihnen die Liebe nichts mehr zu sagen hat. Schon dort unten«, Charles winkte in die Ferne, »hat er mich übers Ohr gehauen mit seiner plötzlichen Landesverweserschaft. Nur gut, daß man mir in London keinen Strick daraus gedreht hat.«

»Ach, die wissen dort auch, daß es nicht immer einfach ist, alles zu erfahren. Aber sagen Sie, Colonel, wie ist die Vertreibung des Maharaja vor sich gegangen?«

»Offen gestanden, Simp, ich bin selbst nicht ganz nachgekommen. Das Ganze hat mit einer Spekulation zu tun, unser Alter hat sich mit der Standard-Oil zu tief eingelassen, und dann ist Petroleum entdeckt worden, dort unten, in Jam Nagar. Und der Fürst war noch ein ganz junger Mensch, ein anständiger Kerl, der war gegen die amerikanischen Interessen. Diese wurden vertreten von einem Missionar, der aussah, als käme er direkt aus dem ›Regen‹ von Maugham. Der alte Eric Bose war delegierter Berater oder beratender Delegierter vom indischen Vizekönig bei dem Maharaja. Es war ja schon eigentlich Hochverrat, daß Bose sich mit der Standard-Oil eingelassen hat. Aber ich bin zu spät gekommen. Als ich hinkam, war schon alles im Gleiten; der alte Bose hat zusammen mit dem amerikanischen Missionar das Volk gegen den jungen Fürsten aufgeputscht, und der Fürst, in seiner Anständigkeit, hat abgedankt.« Schweigen, langes Schweigen. »Er hat abgedankt, der Maharaja Jam Nagar, weil er zu anständig war«, wiederholte Charles; seine Stimme war traurig. »War ein Gentleman, der junge Fürst, sah aus wie Krishnamurti, der Heiland der Theosophen. Ja.«

»Und Sie wissen nicht, Colonel, wo der junge Fürst steckt?«

»Steckt?« wiederholte Charles gereizt, »sprechen Sie anständig, junger Mann. Seine Majestät residiert irgendwo, ich vermag nicht, den Ort näher zu bezeichnen. Aber sie ›steckt‹ nirgends.«

O'Key unterdrückte sein freches Bubenlächeln. Man durfte dem Colonel nicht zu nahe treten.

»Aber, was ich Sie noch fragen wollte, wie kommt der alte Bose zu der Witwe Pochon? Die zwei haben doch nichts gemein?«

»Der Sohn, Simp, der Sohn der Witwe«, beschwörend hob Charles die flachen Hände, »vergiß den Sohn nicht, ich bitte dich. Der Kerl ist unheimlich. Er sieht aus… ja, wie sieht er aus? Wie seine Mutter, wenn sie eine Entfettungskur durchgemacht hätte. Kannst du dir das vorstellen? Die Haut ist ihm zu weit, überall Falten und Runzeln, und doch ist er jung, sehr jung. Übrigens, seine Mutter ist eine Hexe«, sagte Charles ganz ernst; der Ernst dieser Behauptung hätte bei einem Agenten des I.S. eigentlich komisch wirken müssen, aber auch O'Key blieb ernst; wenn er aus Irland stammte, so stammte Dealdonel aus Schottland. Und das hielt sich, was Aberglauben betraf, die Waage.

»Aber«, rief O'Key plötzlich, »warum, Gott verdamm' ihre Seele (Charles stieß ein begütigendes ›Psch‹ aus), warum hat man dann Crawley umgebracht?«

»Das zu entdecken, dazu bist du da, Simp, und, bitte, fluche nicht mehr. Ich bin ein alter Militär, aber ich liebe das Fluchen nicht. Das einzige, was ich dir sagen kann, ist, daß Crawley am Abend des 23. Juni mit meinem Alten einen großen Krach gehabt hat. Ich hab nichts davon gewußt, ich hab dir ja gesagt, ich war gar nicht da. Der Etagenkellner hat es mir gestern erzählt, ein wenig spät. Aber sie haben gegeneinander getobt, wie zwei Stiere (so sagte mein Gewährsmann), und dann kam Crawley mit einer Mappe unter dem Arm aus dem Zimmer gelaufen, sprang die Treppe hinunter, ohne Hut, und war fort. Um zehn Uhr ist dann der alte Bose ebenfalls ausgegangen.«

O'Key blieb stumm, und seine Nase wackelte.

»Hä!« stieß er dann so laut hervor, wie Pillevuit am Morgen. »Ein unerträglicher Kerl, dieser Crawley. Zuerst hat er mit dem Professor Krach, eine Woche vor seinem Tode, dann mit seinem Vorgesetzten, und um allem die Krone aufzusetzen, erlaubt er sich auch noch auf mysteriöse Art ums Leben zu kommen. Und ich, ausgerechnet ich, soll nun seinen Tod rächen. Schauderbar.« Er schüttelte sich.

»Ruhig, mein Junge«, sagte Charles, »alles wird sich aufklären, du kriegst Beförderung und ich gehe in Pension. Bin schon zu alt, hab ein Landhaus, von dem erzähl ich immer dem Etagenkellner, dorthin will ich ziehen. Und dann will ich versuchen, einen ganz dunkelblauen Rittersporn zu züchten, fast schwarz muß er werden, so wie mein Anzug. Kannst du dir vorstellen, so eine lange, lange Blütenrispe, ganz dunkel, und viele dieser Blüten in einem Rasen, in einem englischen Rasen, versteht sich, denn hier wissen die Leute ja gar nicht, was ein Rasen ist.«

Er blickte träumerisch über den See, der dunkel geworden war, denn die Sonne war schon tief.

»Wie jetzt der See ist, so muß sie werden, mit einem kleinen Schuß Purpur und heißen wird sie Delphinium hybridum ›Colonel‹. Oder soll ich ihr deinen Namen geben, mein Junge?« Die Stimme war ein wenig ängstlich.

»Aber nein, Colonel, der andere ist viel schöner.«

»Nicht wahr, man denkt dann an einige ganz hübsche Stunden? Nun, gute Nacht, mein Junge. Mach's gut.«

»Gute Nacht, Colonel.«

Dann war die Bank leer. Ein Wind, der von den Voirons kam, bemühte sich, das Loch zu füllen, das der heiße Spiegel des Sees in die Luft gebrannt hatte.

Fünftes Kapitel

1

Baranoff, wie sich Agent 72 in Genf nannte, jener Mann mit der großporigen Gesichtshaut, der den alten Professor in der Latham-Bar so sehr erschreckt hatte, bewohnte in einem kleinen unscheinbaren Hotel an der Route de Chêne ein einfaches Zimmer. Er empfing wenig Besuch. Des Morgens kam seine Privatsekretärin, jene Natalja Kuligina (Agentin 83), die bei Fräulein Sorel wohnte und brachte ihm Briefe, die sie zuvor aus einem Postfach an der Rue d'Italie geholt hatte. Dann sah Herr Baranoff viele Zeitungen durch, ausländische und einheimische, und dann diktierte er gewöhnlich einige Antworten.

Am heutigen Morgen war er guter Laune, hatte sich in einen Plüschsessel vergraben und lutschte an dem Kartonmundstück einer ausgegangenen Zigarette. Dazu summte er Melodiefetzen. Er begann mit den »Wolgaschleppern«, wechselte hinüber zu »Valentine« und endete mit der »Internationale«. Er summte die Melodien falsch, aber immerhin erkennbar. Da trat Natascha ein.

»Guten Morgen«, sagte Baranoff gnädig, »gut geschlafen, Natascha?«

Ja, er nannte seine Sekretärin Natascha, und seine Sekretärin hatte nichts dagegen. Denn Herr Baranoffs Erotik hatte sich schon lange zu einer allgemeinen Liebe für die Verdammten dieser Erde sublimiert, der etwa übriggebliebene Rest beschäftigte sich mit gutem Essen und Trinken. Herr Baranoff hatte einen Spitzbauch.

Natascha nickte, ohne eine Gegenfrage zu tun. Herr Baranoff empfand dies nicht als Beleidigung. Er wußte, Natascha war schweigsam. Er streckte die Hand aus, empfing zwei Briefe, einen Stadtbrief und einen Brief mit einer indischen Marke.

»Sie sollten den Professor in Ruhe lassen, Kostja.« (Herr Baranoff hieß Konstantin, es war die Schuld seines Vaters, der in einer kleinen russisch-polnischen Stadt koscheres Fleisch verkauft hatte, und auch eine Pension hatte er gehabt, die aber hatte die Mutter geführt. Konstantin klingt nicht jüdisch, hatte der Vater gedacht, denn es war damals die Zeit der Pogrome, und in einem Pogrom war der alte Vater erschossen worden.)

»Mmmhmm«, brummte Herr Baranoff, in den tiefen Lagen anfangend, dann steigend. »Und warum das?«

»Weil es schmutzig ist, der Mann weiß doch nichts, warum wollen Sie ihn zugrunde richten?«

»Darum«, sagte Herr Baranoff. »Weil er ein Intellektueller ist, weil er mir in meine Angelegenheiten hineinpfuschen will, weil ich der Dritte bin, der den Vorteil hat, wenn zwei sich prügeln. Der indische Fürst und England auf der einen Seite – das amerikanische Kapital auf der andern, wer trägt den Sieg davon? He? Wetten, daß es Kostja ist? Und dann setzt sich Kostja zur Ruhe, aber nicht im Sowjetparadies, in Paris vielleicht, ja, oder in Burgund, dort ist die Küche noch wunderbar, nicht zu sprechen vom Wein.«

»Und Sie verraten die Partei?« fragte Natascha böse. »Haben Sie nicht Angst, daß ich Sie anzeige?«

»Verrate? Die Partei? Du schnappst über, mein Kind. Ich will nur Provision, und die teilen wir. Das Geschäft kann die Partei dann allein aufziehen. Ich nehme Provision rechts, nehme Provision links und betrüge auf beiden Seiten. Aber ehrlich bleibe ich, denn schließlich bekommt Rußland doch die Sache in die Hand. Und Geld stinkt nicht. Non olet«, fügte er hinzu, um zu zeigen, daß er das Gymnasium besucht hatte.

 

Dann hatte er plötzlich den Brief mit der indischen Marke in der Hand, öffnete ihn mit seinem aufgeklappten Taschenmesser, studierte ihn lange, nahm auch ein kleines Notizbuch zuhilfe sowie einen Bogen weißen Papiers, auf welchem er Berechnungen anzustellen schien, räusperte sich, schien etwas sagen zu wollen, schwieg aber wieder. Natascha hatte eine Reiseschreibmaschine unter dem Bett hervorgezogen, das Frühstücksgeschirr auf dem Tisch beiseite gerückt, sich niedergesetzt und gewartet. Dann wurde sie ungeduldig, ging ans Fenster und öffnete es. Herein drang der Geruch von feuchtem Asphalt, ein Sprengautomobil zog die weißen Fächer seiner Wasserstrahlen an den Bordschwellen entlang. Ein kleiner Milchwagen, blau wie ein himmlisches Schaf, rasselte aufgeregt mit einer Glocke.

Da hörte Natascha Herrn Baranoff sagen: »Hör zu.« Sie drehte sich um, kam langsam auf den Tisch zu, setzte sich und stützte das runde Gesicht in die Hand. Die Schreibmaschine schien ihr wie der Mund eines Fabeltieres, aber alle Zähne dieses Mundes waren plombiert. Sie mußte selber lachen über die dummen Vergleiche, die ihr einfielen.

»Es geht vorwärts«, sagte Baranoff. »Der Missionar, der Amerikaner, weißt du, der Sir Bose mit der Standard-Oil in Verbindung gebracht hat, arbeitet eigentlich für uns. Weißt du, was er macht? Er hat dort unten amerikanische Wahlmethoden eingeführt, und durch diese sind ein paar Leute ans Ruder gekommen, die nun Kirchen bauen wollen und Tempel zerstören. Es hat schon Ausschreitungen gegeben. Die Partei des vertriebenen Fürsten konspiriert gegen den Missionar, und der hat sich eine Leibgarde angeschafft, von bekehrten Bergbauern. Es gärt. Und das ist die Hauptsache. Wir sind immer dankbar, wenn andere Unzufriedenheit stiften. Unsere Leute organisieren die Kleinbauern, besonders die, die am Fluß wohnen und die andern, die in der Nähe der Ölfelder angesiedelt sind. Hoffentlich schlagen sie den Missionar nicht tot, das wäre unangenehm, Amerika müßte dann einschreiten. Die dialektische Methode ist mir lieber, und sicherer ist sie auch.«

»Die dialektische Methode!« sagte Natascha und betrachtete aufmerksam die Tastatur der Schreibmaschine. »Und Sie sind ganz sicher, Kostja, daß die dialektische Methode Erfolg haben wird?«

»Nun, ich glaube, daß dies durch die Untersuchungen Marxens, Plechanoffs und Lenins endgültig festgestellt worden ist.«

»Also, Sie prophezeien, Kostja, Sie prophezeien aus Büchern.«

Herr Baranoff zündete eine Zigarette an und zog den Rauch tief in seine Hühnerbrust. »Deine Skepsis gegenüber den Richtlinien der Partei wird manchen sicher interessieren. Schreib jetzt.« Herrn Baranoffs farblose Augen starrten böse, er sah aus, wie ein gereizter, an Fettsucht leidender Kater.

»An den Vorsteher des Departements für Justiz und Polizei

Genf.

Herr Staatsrat,

Unverantwortliche fremde Elemente treiben mit den altbewährten Institutionen einer der ältesten Demokratien Europas ihr frevelhaftes Spiel. Sie wagen es, unter dem Vorwand, der Polizei Hilfe zu leisten, notwendige Verhaftungen zu unterbinden. Ist es Ihnen nicht aufgefallen, in wieviel Widersprüche sich ein Universitätsprofessor verwickelt hat, als er, inoffiziell, über den geheimnisvollen Mordfall an der Place du Molard ausgefragt wurde? Außerdem fühle ich mich verpflichtet, Sie von einer unbekannten Tatsache in Kenntnis zu setzen. In das Irrenhaus Bel-Air ist vor einiger Zeit ein Patient eingeliefert worden, der sicher interessante Aufschlüsse geben könnte. Auch sogenannte Geisteskranke, selbst wenn sie als Zeugen untauglich sind, können in ihrem Delir wichtige Fingerzeige geben, die auf eine Spur führen.«

»Führen…« wiederholte Natascha, das Knattern der Hebel, das wie das Steppen eines verrückt gewordenen Tänzers geklungen hatte, verstummte, draußen schrie eine Straßenbahn, weil es so schwer für sie war, die Kurve zu nehmen.

»Ich würde Ihnen raten, sehr geehrter Herr Staatsrat, sich um Auskunft an eine Ärztin zu wenden, die in besagtem Irrenhaus Dienst tut und die versucht, der Justiz wichtige Fakten vorzuenthalten. Als ehrlicher Schweizer Bürger, den die Ausländerwirtschaft anekelt, die immer mehr überhand nimmt (Baranoff zerdrückte ein Lächeln), möchte ich Sie, Herr Staatsrat, in Ihrer schweren Säuberungsaktion – (streich schwer und schreib schwierig) –schwierigen Säuberungsaktion unterstützen und unterbreite Ihnen daher diese Fakten. Es ist nötig, mit einem eisernen Besen (den Besen unterstreichen) diesen ganzen ausländischen Schmutz aus unserem schönen Lande zu kehren.

In der Hoffnung, daß meine bescheidene Hilfe Ihnen von Nutzen sein wird, zeichne ich mit ergebenster Hochachtung

ein Freund der Genfer Justiz.«

»Der Genfer Justiz…« sagte Natascha, drehte die Walze, um das eingespannte Papier so schnell wie möglich zu befreien, hielt plötzlich inne und blickte zur Türe. Diese öffnete sich langsam, ein roter Haarschopf leuchtete in der Spalte, dann erst war ein leises Klopfen zu hören.

2

»Herein«, sagte Baranoff, er saß mit dem Rücken zur Tür, wandte sich nicht um, denn er dachte, es sei das Zimmermädchen, das das Frühstücksgeschirr holen wolle.

O'Key trat ruhig an den Tisch, nahm den Brief auf und las ihn. Natascha hinderte ihn nicht daran, es schien ihr sogar recht zu sein, daß der Brief gelesen wurde.

»Ich würde ihn nicht abschicken, an Ihrer Stelle, Monsieur«, sagte O'Key, und Baranoff, der zum Fenster hinausgesehen hatte, fuhr herum.

»Ach, Sie sind's«, sagte er und beruhigte sich wieder. O'Key ließ sich in einen Fauteuil fallen und seine Gelenke knackten. »Ich hab zu wenig Sport getrieben, in der letzten Zeit, bin ganz eingerostet. Aber, was den Brief betrifft, ich würde ihn nicht abschicken.«

»Und warum nicht?«

»Weil ich sonst meinem Freund, dem Kommissar, erzählen müßte, wer den Brief geschrieben hat. Und das könnte sehr unangenehm werden für den ›Freund der Genfer Justiz‹.«

»Wäre das fair?« fragte Baranoff.

O'Keys Augen wanderten im Zimmer umher, blieben am Waschtisch haften, er stand auf, machte über der Schüssel die Gebärde des Händewaschens.

»Was ist fair, Monsieur?« fragte er dagegen. »So möchte ich, in Anlehnung an Pilatus fragen. Wir spielen ein Spiel, und das Spiel hat nur eine Regel: Erfolg. Nicht wahr? Was hat da die Fairneß zu suchen? Es gefällt mir nicht immer, das Spiel, aber es ist ja nicht die erste Partie, die wir spielen, nicht wahr, Zweiundsiebzig? Wir wissen zuviel voneinander. Sie sind offizieller Korrespondent der ›Prawda‹, ich bin vom ›Globe‹, was wir daneben treiben, ist gleichgültig. Aber arbeiten Sie mit den Behörden, so konterminiere ich ebenfalls bei den Behörden. Ich habe im ›Palais‹ nichts von Ihnen gesagt, werde auch nichts sagen, aber«, O'Keys welche Stimme gefror ein wenig, »lassen Sie meine Leute in Ruhe. Lassen Sie die Finger vom Professor, lassen Sie die Finger von Fräulein Lemoyne.«

»Fräulein Lemoyne ist schon verlobt«, grinste Baranoff, »wenn Sie heiraten wollen, müssen Sie schon jemand anderen suchen.«

»Zweiundsiebzig«, sagte O'Key warnend, dehnte dann die Arme und gähnte verächtlich, »ich warne Sie. Sie können nicht boxen, reizen Sie mich nicht. Übrigens, woher haben Sie die Neuigkeit mit dem Verrückten in Bel-Air? Ist das wahr? Merkwürdig, daß mir Fräulein Lemoyne nichts davon erzählt hat.«

»Sie hatte wahrscheinlich Wichtigeres mitzuteilen«, höhnte Baranoff. O'Key machte zuerst Miene, seine verstreuten Glieder einzusammeln, blickte dann auf Natascha, streckte sich wieder aus.

»Wenn Sie nicht so fett wären, Zweiundsiebzig, würde ich Sie ohrfeigen. Aber es lohnt sich nicht.«

»Nennen Sie mich nicht immer Zweiundsiebzig. Nur Zuchthäusler ruft man bei ihrer Nummer. Und ich bin kein Gefangener.«

»Was nicht ist, kann noch werden«, bemerkte O'Key friedlich. »Und wir wollen uns nicht streiten. Aber ich möchte gerne noch wissen, was mit dem Patienten los ist, auf den Sie anspielen. Von wem haben Sie etwas erfahren, und überhaupt, was hat der Mann für eine Rolle gespielt in der ganzen Affäre?«

»Er hat Crawley gesehen«, sagte Baranoff. »Ich brauchte es Ihnen ja nicht zu sagen, aber immerhin, eine Hand wäscht die andere, und vielleicht können Sie mir auch einmal nützlich sein.«

»Er hat Crawley gesehen?« wiederholte O'Key gedehnt, »er war also an jenem Abend an der Place du Molard? Dann war es, warten Sie, Baranoff…, dann war es der Mann mit den weißen Tennishosen, den die Polizei sucht? Ja? Und Madge hat die ganze Zeit davon gewußt?«

»Ich glaube nicht, daß Fräulein Lemoyne etwas von der Rolle gewußt hat, die Nydecker in der ganzen Affäre gespielt hat, es war übrigens gar keine große Rolle, nur Statist war er. Aber er weiß viel, schwieriger wird es schon sein, es aus ihm herauszugraben, sie haben bös gehaust mit ihm.«

»Sie? Wer sind die ›sie‹?«

»Das müssen Sie selber herausfinden, mein lieber O'Key, nicht etwa, daß ich ein Interesse hätte, die Leute zu schützen, aber alle Geschäftsgeheimnisse darf man nicht ausplaudern.«

»Sagen Sie, Zweiundsiebzig, pardon, Baranoff, wie stehen heute die ›Standard-Oil‹?«

»Standard-Oil? Warum? Habe noch nicht nachgesehen. Da, vor Ihnen auf dem Tisch liegt eine Zeitung. Schauen Sie selber nach.«

»Shell Transport hat aufgeholt«, sagte O'Key nach einer Weile, »und die 2 1/4, Anatol ist seit gestern um 7/8 in Frankfurt gefallen. Was wird gespielt dort unten, Baranoff? Kann man keinen Tipp bekommen? Wer managet dort unten die Sache? Denn, daß es Petrol ist, weiß ich bereits. Aber ich sag es Ihnen offen, ich weiß noch nicht, gegen wen es geht, und wer der Dritte ist. Sie etwa?«

»Kostja, Paß auf«, sagte Natascha. »Er will dich nur ausholen.«

Wirklich sah Baranoff einen Augenblick erstaunt auf, aber es war wohl mehr das ungewohnte »Du«, das ihn zum Aufschauen brachte. Dann lachte er, ein unangenehmes, heiseres Lachen.

»Hören Sie das Mädchen, O'Key. Ist das nicht zum Aus-der-Haut-fahren? Will einem alten Parteifunktionär die Leviten lesen, und dabei hat dieser besagte Parteifunktionär die ganze Geschichte erst auf die Beine gestellt. Es ist noch idealistisch gesinnt, das kleine Mädchen. Mein liebes Kind«, dies zu Natascha, »wir machen hier in Tatsachen und nicht in Parteipropaganda. Es wird dir auch gar nichts nützen, nach Moskau zu berichten, daß ich mit O'Key hier verhandelt habe. Ich habe Vollmacht, verstehst du, und du bist meine Untergebene. Überhaupt, die Sache ist so gut wie perfekt, und wenn ihr uns doch zuvorkommt, so hat das nichts zu sagen. Mit euch läßt sich immer verhandeln, ihr braucht uns, wir brauchen euch. Nur mit den Amerikanern wollen wir nichts zu tun haben. Verstanden? Also, hören Sie, O'Key. Die Lage der Felder ist günstig. Drei Kilometer von einem Fluß, der auch für große Tankschiffe genügend Tiefgang hat. Euer Bose, ja, Sir Avindranath Eric Bose, mit dem horngefaßten Monokel, hat euch verraten und jetzt«, Baranoff klopfte mit seinen kurzen Fingern auf den Chiffre-Brief, »jetzt macht sich ein amerikanischer Missionar unten bemerkbar. Stöbern Sie den vertriebenen Fürsten auf, O'Key, dann ist alles in Ordnung, wir einigen uns schon. Aber die Amerikaner müssen raus. Wissen Sie, daß die Leute schon Bohrmeister geschickt haben? Der junge Fürst ist loyal, er hat die englischen Interessen schützen wollen und hat dem Bose vertraut. Passen Sie auf den Bose auf, O'Key, der Kerl ist raffiniert. Aber vielleicht – nun, das ist Ihre Sache.«

»Zweiundsiebzig«, sagte O'Key nach einer Pause, in der er abwechselnd seine Stiefelspitzen, Natascha und Baranoffs Hände betrachtet hatte. »Zweiundsiebzig, Sie haben schon einmal versucht, mich anzuschmieren, damals in Paris, wissen Sie? Es soll Ihnen vergeben und vergessen werden, wenn Sie mich jetzt nicht anschwindeln. Aber ich trau Ihnen nicht. Sie sind zu treuherzig. Irgendetwas steckt dahinter. Wir werden sehen. Und Sie werden sich wohl die Finger verbrennen.«

O'Key sammelte nun endgültig seine verstreuten Glieder ein, stand auf. Dann trat er zum Tisch, lehnte den rechten Schenkel an die Tischkante und sprach gegen das offene Fenster hin: »Was ist das übrigens für ein Vertrag, der Crawley gestohlen worden ist? Darum ist er doch ermordet worden? Oder? Hat der alte Bose mit euch paktieren wollen, doppeltes Spiel treiben? Antworten Sie nur ungescheut, Zweiundsiebzig, wir sind auch nicht ganz dumm.«

 

Baranoffs großporige Gesichtshaut wurde fleckig, grau und weiß, er zündete umständlich eine Zigarette an, und es muß festgestellt werden, daß seine Hände nicht zitterten. Er war eben, wie er sich selber gerne nannte, ein altes Zirkuspferd, und bekanntlich ticken diese Tiere nur selten.

»Sie glauben gar viel zu wissen, O'Key«, sagte er ruhig. »Aber Sie wissen eben doch nichts, sonst, wenn Sie nämlich alles wüßten, würden Sie vielleicht doch Angst bekommen.«

»Wegen des Fliegengottes? Machen Sie sich nicht lächerlich. Man hat doch schon allerlei erlebt und die Furcht ist auch ein Aberglaube. Und wenn noch jemand sterben soll, so werde ich es nicht sein, glauben Sie mir.«

»Sie sind sehr sicher, O'Key, desto besser, aber ich habe zu tun, auf Wiedersehen.«

Baranoff stand auf, öffnete die Tür, O'Key verbeugte sich vor Natascha, dann verschwand er lächelnd.

Aber kaum hatte sich die Türe hinter ihm geschlossen, als Baranoffs Gesicht sich veränderte; plötzlich war es eine Maske, eine jener Masken, die Neger tragen, wenn sie kultische Tänze aufführen.

Er hob den Hörer ab, nannte eine Nummer.

»Benachrichtigen Sie den Meister, daß eine Untersuchung in Bel-Air stattfinden wird. Gegen den Professor ist vorzugehen, schicken Sie die Dokumente an den Staatsanwalt. Ich gebe den Rat, den Patienten stumm zu machen. Was, Sie können nicht vor morgen? Warum? So, weil Sie nicht Dienst haben? Nun, es wird nicht so eilen… gut.«

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