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Der Tee der drei alten Damen

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4

»Sie sind müde, Natascha, legen Sie sich ein wenig nieder. Ich kann mir auch angenehmere Dinge vorstellen, als Leichentransporte… So, liegen Sie gut? Noch ein Kissen?

Man merkt es Ihnen an, daß Sie nie verwöhnt worden sind. Darf ich nicht ein wenig für Sie sorgen? Der Kaffee kommt gleich. Warten Sie, ich will nur noch den Vorhang zuziehen, die Sonne blendet Sie. So… Und nun?«

»Wollen Sie wirklich zu dieser Einladung gehen?« fragte Natascha. Sie hatte die Hände hinter dem Kopf verschränkt und blinzelte. Aber ihre Stimme klang besorgt.

»Aber natürlich!« sagte George Whistler, dem niemand mehr den Maharaja angesehen hätte. Er trug einen dunkelgrauen Anzug, braune Schuhe und lehnte sich gemütlich an die Tischkante. »Soll ich vor einer alten Dame Angst haben, die mich zum Tee einladet?«

»Es ist nicht eine alte Dame, sondern drei«, antwortete Natascha. »Und es sind sicher Giftmischerinnen. Sie müssen vorsichtig sein. Übrigens werde ich Sie begleiten.«

»Das wird mich freuen, das wird mich sehr freuen«, sagte George Whistler, und dann herrschte ein langes Schweigen.

»Übrigens«, sagte Natascha dann, »wenn Sie wieder in Ihr Land wollen, kann ich Ihnen wahrscheinlich helfen. Ich weiß allerlei…«

»Sie wollen mir helfen? Aber dann verraten Sie doch Ihr Land?«

»Mein Land? Ich habe keine Heimat. Ich habe einmal an Ideen geglaubt. Aber davon bin ich kuriert worden. Warten Sie einmal. Ich glaube, ich muß mein Ausbleiben entschuldigen.« Natascha stand auf, ging zum Telephon.

»Wollen Sie Herrn Baranoff ans Telephon rufen?« fragte sie. »Wie?… Was sagen Sie?… Heute morgen?… Danke, nein… Danke.« Sie legte den Hörer ab. »Was sagen Sie nun! Baranoff ist verhaftet worden.«

»Ach? Das war der kommunistische Agent, mit dem Sie zusammengearbeitet haben? Nicht wahr? Ja, das ist traurig. Was wollen Sie jetzt machen? Hören Sie, ich habe einen Vorschlag. Wir fahren beide nach Indien. Sie scheinen besser in den Angelegenheiten meines Landes Bescheid zu wissen, als ich. Sie können mir helfen. Und wenn dann dort unten alles in Ordnung ist, dann können wir ja weiter sehen… ich meine… ja… weiter sehen.«

»Gut, Camarade«, sagte Natascha, senkte den Kopf und kehrte sich ein wenig ab. »Ich freue mich darauf, dem alten Bose eins auszuwischen. Aber warum wollen Sie zu diesen alten Damen gehen? Ist das nötig?«

»Jetzt muß ich beichten«, sagte der Maharaja, »ich habe heute morgen mit einem guten Freunde telephoniert, einem Menschen, der mir soviel geholfen hat, daß er alles von mir verlangen kann. Ihm habe ich erzählt, was gestern abend geschehen ist, daß ich die Leiche eines Arztes aus einem Hause fortgeschafft und an einem Straßenbord niedergelegt habe. Auch von der Einladung habe ich ihm erzählt. ›Sie müssen gehen‹, hat er mir gesagt, ›ich weiß, Sie sind tapfer. Und mir würden Sie damit den größten Dienst erweisen. Wir haben einen Tiger hier in der Stadt, und Sie verstehen sich ja auf Tigerjagd. Nur werden Sie diesmal nicht der Jäger sein, sondern das feiste Kitzlein, das man als Lockung benützt. Verstehen Sie? Für dürre Beuten interessiert sich unser Tiger nicht. Dürre Beuten überläßt er seinen Hyänen, um im Bild zu bleiben. Wollen Sie das für mich tun? Ich garantiere, daß Ihnen nichts geschehen wird. Alle Vorsichtsmaßnahmen werde ich ergreifen lassen…‹ Nun, und da konnte ich doch nicht ›Nein‹ sagen, nicht wahr, Natascha?«

»Natürlich nicht«, sagte die Agentin 83. »Aber ich werde in Ihrer Nähe bleiben, Camarade. Lassen Sie mich jetzt gehen. Um fünf Uhr sollen Sie bei den alten Damen sein?… Jetzt ist es drei Uhr. Ich werde mich ins Hauptquartier begeben – vielleicht ist es auch gar nicht das Hauptquartier. Aber doch in jene Wohnung, wo Sie Tee trinken sollen. Ich wohne nämlich bei der Dame, die Sie eingeladen hat. Und dort werde ich in meinem Zimmer warten. Ich habe jetzt Zeit. Und wenn alles vorüber ist, gehen wir die Papiere holen, mit denen wir Ihr Land, Camarade, zurückerobern werden.«

»Natascha…« sagte Herr George Whistler und nahm die Hand der Frau. Aber da die Frau ein böses, abweisendes Gesicht machte, fuhr er fort, so sachlich es ihm möglich war: »Natascha ist ein hübscher Name.«

»Blödsinn«, sagte Natascha, mit nicht ganz fester Stimme. »Das ist auch so ein bürgerliches Vorurteil. Ein Name! Das sind ein paar Buchstaben, weiter nichts.«

»Ja, da haben Sie recht.« Der Maharaja nickte ernst und überzeugt.

5

»Es sind Kinder«, sagte Fräulein Dr. Madge Lemoyne, »Kinder, die mit dem Feuer spielen. Und sie wissen gar nicht, was sie tun. Einen Vorwurf mache ich mir ja, aber was nützt das? Ich hätte meinen armen Freund Thévenoz vielleicht retten können, vielleicht… Aber ich bin in die ganze Sache so ahnungslos hineingeplatzt…«

Madge lag in ihrem Zimmer auf dem Bett, O'Key hatte seine langen Glieder im Klubsessel untergebracht. Ronny schnarchte in einer Ecke. Madge sprach weiter.

»Heute abend wirst du ja die Sache auch sehen. Wenigstens haben wir es so abgemacht, dein dicker Staatsrat und ich. Es war eigentlich sehr klug von dir, daß du mir gestern noch von ihm erzählt hast. Ich war wenigstens nicht ganz hilflos, als der alte Professor, kaum warst du weggegangen, bei mir erschien. Es stimmte ganz genau, was der kleine Nydecker uns erzählt hatte. Weißt du, das mit dem Apostel Petrus, der in einer Ecke sitzt und in ein dickes Buch schreibt. Dominicé brachte wirklich solch ein dickes Buch mit. ›Mein liebes Kind‹, sagte er zu mir, ›Ich komme mit einer großen Bitte zu Ihnen, Sie müssen mich heute abend vertreten. Es wird interessant für Sie sein. Sie werden Einblicke erhalten, Einblicke, die wichtiger sind als alles, was Sie bisher hier in der Anstalt gesehen haben. Sie werden die Entstehung einer Geisteskrankheit verfolgen können und ihre Heilung. Lockt Sie das nicht? Ein Risiko ist natürlich dabei. Wenn nämlich der Meister an der Sitzung teilnimmt. Dann könnte es auch schief gehen. Aber ich glaube, er ist anderweitig beschäftigt.‹ – Wer denn dieser Meister sei, wollte ich wissen. ›Er war lange in Indien‹, sagte der Professor. ›Sein Gesicht habe ich nie gesehen. Er trägt immer eine Holzmaske, und er hat deren verschiedene. Nie trägt er die gleiche. Übrigens werden Sie Ihren Freund Thévenoz in der Versammlung treffen, ich denke es. Nehmen Sie nun das Buch, kommen Sie mit. Ich werde Sie gleich an Ort und Stelle führen. Heute fängt die Sitzung ziemlich früh an.‹ Gut, sagte ich, ich wolle mich gerade zurecht machen, er, der Professor, möge draußen auf mich warten. Er ging, und dann rief ich Herrn Martinet an. Du hast ja seine Visitenkarte hier vergessen. Herr Martinet war sehr erbaut über meine Mitteilung. Ich solle nur gehen, sagte er, und ihm dann Bericht erstatten. Nun, du wirst ja einer solchen Sitzung heute abend beiwohnen, ich habe den Leuten erklärt, ich brächte heute einen Freund mit. Die gestrige Sitzung war nur eine zahme Vorbereitung der heutigen, hat man mir mitgeteilt. Eines ist mir gestern aufgefallen. Ich fragte nach Thévenoz. Da verzogen die drei alten Damen, die als Vorsitzende die Versammlung leiteten, ängstlich die Gesichter. Sie sprachen so geheimnisvoll. Bruder Thévenoz habe gesündigt, aus Neugierde gesündigt. Er habe den Meister erkennen wollen. Nun sei er beim Meister, und der Meister werde ihn strafen. Schwer sei die Strafe. Zweie schon hätten die gleiche Sünde begangen, und beide hätten fliehen müssen aus ihrem Körper. Nun seien ihre Seelen ruhelos, manchmal erschienen sie und klagten und bereuten – aber nun sei es zu spät…«

»Ja«, wollte O'Key wissen, »hast du denn nicht gefragt, wohin der Meister den Dr. Thévenoz verschleppt hat?«

»Natürlich habe ich gefragt. Aber aus den alten Damen war kein Wort herauszubringen. ›Wir kennen ihn nicht, wir wollen ihn nicht kennen. Wir haben ihm Gehorsam gelobt, und wenn wir den Gehorsam brechen, dann…‹ Sie beendeten nicht einmal den Satz. Übrigens war es meistens die Dichterin, die sprach. Die alte Frau Pochon saß stumm in einer Ecke, manchmal fragte sie: ›Wo ist mein Sohn?‹ Niemand antwortete ihr, und dann hockte sie wieder da, starrte auf eine Münze, die sie in der Hand hielt, murmelte. Übrigens sahen die alten Damen merkwürdig genug aus. Alle drei waren in lange gelbe Schleier gehüllt, die von einem breiten gelbseidenen Stirnband zusammengehalten wurden. Es wurde viel Tee getrunken, aber ich habe nur eine Tasse getrunken, ganz zum Schluß. Ich wollte die Wirkung selbst ausprobieren. Nun, sie war merkwürdig genug. Plötzlich konnte ich fliegen, ich flog durch die Luft…«

»Obenauß und nirgent an…« murmelte O'Key.

»Wie?«

»Nichts, nichts«, sagte O'Key. »Erzähl nur weiter!«

»Ja, ich flog also, es war ein richtiger Flugtraum, und sicher hatte der Tee daran Schuld. Einmal wachte ich halb auf, weil ich einen schmerzhaften Stich fühlte. Die alte Pochon machte sich mit meinem Arm zu schaffen. Aber ich war zu müde, um mich zu wehren. Es roch stark nach Weihrauch. Dann hörte ich Ronny bellen, aber ich dachte, es sei nur ein Traum.«

»Nein, Ronny und ich, wir standen vor der Türe. Aber es war so still in dem Haus, alles war verschlossen. Wie hätte ich denken können, daß eine Versammlung darin tagte?«

»So, kennst du das Haus?«

»Du etwa nicht?«

»Nein. Denn der Wagen, der mich hinführte, hatte Milchglasscheiben, ich konnte nichts sehen. Und bevor ich einstieg, mußte ich einen Kapuzenmantel anlegen, der mir das Gesicht verhüllte. Er war aus leichtem Stoff, so daß ich gut atmen konnte, trotzdem die Kapuze um meinen Hals zugebunden wurde. – Ja, ich will weiter von der Sitzung erzählen. Zuerst war ich nur mit den drei alten Damen zusammen. Später, am Abend, kamen die andern Leute. Die waren auch in lange, gelbe Schleier gehüllt, aber diese waren nicht geöffnet, wie bei den alten Damen, sondern bedeckten das ganze Gesicht. Auch ihnen wurde Tee gereicht. Aber es muß eine andere Sorte Tee gewesen sein. Denn einer nach dem andern begannen sie zu halluzinieren, die alte Pochon saß in einer Ecke und murmelte über ihrer Münze, das schien ihre einzige Beschäftigung zu sein.«

 

»Wurde von Geld gesprochen?«

»Natürlich. Die eine der drei alten Damen…«

»Wie sah sie aus?«

»Lang, sehr lang. Und unter ihrem Schleier trug sie ein violettes Kleid…«

»Frau de Morsier…« murmelte O'Key.

»Die Frau des Staatsanwalts?«

»Ja. War die Kollekte ergiebig?«

»Sehr. Wenn einer nicht zahlen wollte, sagte die dürre Frau: ›Gedenkt Euerer Verfehlungen. Sollen wir deine Sünden verkünden? Wir haben viele Briefe. Sollen wir die Briefe verlesen?‹ – ›Nein!‹ heulten sie dann. Sie tranken wieder Tee, die Leute, ein Salbenbüchslein wurde herumgereicht, damit salbten sie sich die Arme und die Achselhöhlen. Und dann sagte plötzlich die Dichterin zu mir: ›Jetzt müssen Sie schreiben, alles schreiben, was Sie hören!‹ Mir brummte der Kopf. Der linke Arm tat mir weh, dort wo ich gestochen worden war. Aber ich schrieb. Die Gelbgekleideten saßen an den Wänden; jetzt traten sie vor, einer nach dem andern und erzählten, was sie sahen, was sie hörten, was sie fühlten. Es war schauerlich interessant. Ich notierte, notierte. Plötzlich schrillte eine Klingel. Alles verstummte. Da ertönte eine Stimme – weißt du, ich habe gleich gemerkt, was es war, einfach ein Lautsprecher, der an die Telephonleitung angeschlossen war, – und immer noch höre ich die Worte, die die Stimme sprach:

›Ich habe strafen müssen‹, sagte die Stimme, ›ich habe die Neugier bestrafen müssen. Merkt es euch. Niemand darf den Meister erkennen. Ich bin der Urgrund und das Schweigen. Denkt an das Schicksal der Sophia, die verstoßen wurde aus der Fülle, weil sie den Urgrund erkennen wollte. So verstoße auch ich in die Leere den Unverständigen, der mein heiliges Geheimnis erkunden will. Weh ihm, weh ihm!‹ Dann schwieg die Stimme…«

»Mein Gott!« O'Key lachte schallend, hielt plötzlich inne, wurde wieder ernst. »Ich sollte nicht lachen. Komisch ist ja einzig diese Wiederholung gnostischer Sagen. Nicht einmal etwas Neues hat dieser ›Meister‹ erfinden können. Natürlich ist diese ganze Mystik nur Vorwand. Dem Mann ist's um Geld zu tun. Weißt du übrigens, wo Thévenoz sterbend aufgefunden worden ist? In der Villa der Gebrüder Rosenbaum. Merkwürdig, nicht? Und er ist sicher nicht weit gelaufen. Schade, daß ich mich gestern nicht der Fortschaffung der Leiche widersetzt habe. So muß ich die Lösung alleine finden. Ich komme heut abend nicht in die Sitzung, ich habe anderes zu tun. Leb wohl.«

Madge wollte aufspringen, aber O'Key stand schon unter der Tür, winkte mit der Hand…

Elftes Kapitel

1

Jakob, der Gymnasiast, hatte sich von Maman Angèle trösten lassen. Dann war er aufgestanden, hatte sich nach der Zeit erkundigt. Es war elf Uhr. Er beschloß, mit dem Rad in die Stadt zu fahren und bei der Dichterin Agnès Sorel zu Mittag zu essen. Das Mittagessen war nur eine Ausrede. Vor allem hoffte er, dort Natascha zu treffen.

Fräulein Sorel, die Dichterin, sah häßlicher aus als je. Ihr Gesicht war zerfurcht, dunkle Ringe umgaben ihre Augen. Sie war nicht zum Scherzen aufgelegt und gab nur einsilbige Antworten. Natascha war die ganze Nacht fortgeblieben, erzählte sie endlich, nachdem Jakob sie lange gequält hatte. Nach dem Essen sprach sie etliche Male von der vielen Arbeit, die sie heute noch zu erledigen habe. Jakob verstand, daß sie ihn los sein wollte. So verabschiedete er sich, öffnete die Flurtür, ließ sie wieder zufallen (hoffentlich kam das Fräulein nicht nachsehen, ob er wirklich fortgegangen war), dann schlich er auf den Fußspitzen in Nataschas Zimmer (Gott sei Dank, die Türe öffnete sich lautlos!), setzte sich auf einen Stuhl. Dann begann das Warten.

Dies Warten war unerträglich. Jakob konnte keinen vernünftigen Gedanken fassen. Zwei Verse und ein Satz tauchten abwechselnd in seinem Kopf auf, manchmal murmelte er sie, dann quälten sie ihn, aber wenn er sie nicht murmelte, hörte er sie dennoch deutlich. Die beiden Verse waren:

 
Triste, triste était mon âme
À cause, à cause d'une femme…
Und der Satz lautete:
Wer hat hölzerne Masken?
 

Einmal war Jakob von seinem Bruder Wladimir in dessen Laboratorium mitgenommen worden. Ein weißer Raum. Auf dem langen Tisch in der Mitte des Zimmers standen gläserne Retorten, Bunsenbrenner, Tiegel. Und was hing an den Wänden? Schnell murmelte Jakob wieder die Verse:

 
Triste, triste…
 

Er wollte nicht daran denken, was an den Wänden hing. Aber es nützte nichts, die Verse zu murmeln. Immer wieder mußte er an seinen Bruder Wladimir denken. Was war in Wladimir gefahren? War es überhaupt möglich, daß… Lieber nicht daran denken. Jakob stöhnte. Endlich hörte er es an der Flurtür läuten, dann Nataschas Stimme. Sie trat ins Zimmer, Jakob legte den Finger auf die Lippe, Natascha nickte, schloß die Türe, lauschte. Fräulein Sorels Schritte entfernten sich.

»Na, kleiner Junge«, fragte Natascha, »was willst du hier?«

»Ach, Natascha«, klagte Jakob, »ich habe solche Sehnsucht nach dir gehabt. Wo warst du so lange? Ich weiß nicht mehr, was ich tun soll. Denk dir, ich habe da etwas gefunden…«

Natascha unterbrach ihn:

»Das interessiert mich alles nicht. Ich habe mit dir zu sprechen. Die Zeit, die wir zusammen verbracht haben, war ganz schön, vielleicht hast du etwas von mir gelernt, vielleicht auch nicht. Aber diese Zeit ist nun vorbei. Ich habe anderes zu tun. Du mußt mich verstehen. Ich mache Schluß mit allem, ich will reinen Tisch haben. Unser kleiner Flirt war rührend, aber du bildest dir doch nicht ein, daß er ewig währen wird? Also, Jakob, leb wohl, laß dir's gut gehen. Ich wünsche dir viel Glück. Aber du mußt verstehen, daß ich jetzt Wichtigeres zu tun habe.«

»Du gehst, du gehst mit dem Fürsten?« fragte Jakob. Er stand aufrecht vor seinem Stuhl, seine Stirne war stark gefurcht, was ein wenig komisch aussah, und seine Lippen hatten nicht viel Farbe.

»Ja, mein Junge. Ich weiß, es tut weh, aber das geht vorüber. Du mußt jetzt tapfer sein, verstehst du? Brav in die Schule gehen und mich vergessen. Leb wohl.«

»Leb wohl«, sagte Jakob leise. »Und ich wünsche dir viel Glück. Leb wohl, Natascha. Ich hab dich sehr lieb gehabt.« Er ging zur Tür, ohne Natascha die Hand zu reichen, er schlich aus der Wohnung, gelangte auf die Straße. Seine Augen waren trocken. Ihn plagten immer noch die Verse Verlaines:

Traurig, traurig war mein Herz…

Er überschritt die Straße, erinnerte sich plötzlich an sein Rad, kam zurück es holen, saß auf und fuhr los.

Lange fuhr er, und auch später erinnerte er sich nicht mehr, welche Straßen er durchfahren hatte. Sein Kopf war leer, er hätte gerne geweint, aber seine Augen blieben trocken. Manchmal tauchten quälende Bilder vor ihm auf. Er sah eine Waldlichtung, die braune Schulter einer Frau. Er hörte Nataschas Stimme doppelt, sie dröhnte so merkwürdig, tief innen in ihrer Brust, und mit dem andern Ohr vernahm er sie, sehr weit, als würde sie als Echo vom Himmel zurückgeworfen.

Als Jakob endlich erschöpft vom Rad stieg, war er erstaunt, daß er vor der ›Villa des Mimosas‹ stand. Er ging die Auffahrt entlang, ums Haus herum, wollte sein Rad im Keller versorgen. Er blickte zu dem würfelförmigen, fensterlosen Bau hinüber, der seinem Bruder Wladimir als Laboratorium diente. Er lehnte sein Rad an die Hauswand, schlenderte über den Rasen, gedankenlos; erst als er vor der Türe stand, fielen ihm die Sätze wieder ein, die er auf dem Blatte gelesen hatte, das der sterbende Thévenoz verloren hatte.

Die Türe war nur angelehnt. Wie war das möglich? Leise drückte sie Jakob auf. Da hörte er deutlich die Stimme seines Bruders Wladimir. Aber sie klang merkwürdig hohl, wie aus einem Megaphon.

»Du wirst trinken!« sagte die Stimme befehlend. »Du wirst trinken. Ich, der Meister, befehle es dir!«

Jakob war eingetreten, er stand im kleinen Gang, der zum Labor führte, vorsichtig wollte er die Türe wieder hinter sich anlehnen, da hörte er ein Stöhnen, erschrak, sein Arm zuckte nach rückwärts. Hinter ihm schnappte das Türschloß ein.

Da ging er vorwärts, trat in den Raum, den er schon einmal gesehen hatte. Ja, da hingen an den Wänden die vielen Holzmasken. Hinter dem langen Tisch aber saß ein Mann, ganz in grau gekleidet. Seine Gesichtsfarbe war durchscheinend weiß, die Haare bläulich schwarz. Der Maharaja. Der Mann glotzte mit leeren Augen. Und hinter dem Manne stand eine merkwürdige Gestalt, klein schien sie, dicklich. Ein weißer Mantel hüllte sie ein. Diese Gestalt trug eine Holzmaske. Jakob blieb einen Augenblick stehen, besah sich die Szene. Da saß der Maharaja, und es schien ihm nicht gut zu gehen. Und der Mann mit der Holzmaske vor dem Gesicht?

»Aber, Bruder«, sagte Jakob ruhig, »hör doch um Gotteswillen mit dem Theater auf. Das paßt doch gar nicht zu dir. Was willst du denn vom Fürsten?… Nun, sag's schon.«

Vor dem Maharaja stand ein Glas, das mit einer wasserklaren Flüssigkeit gefüllt war. Jakob sah, wie die Hand des Sitzenden das Glas ergriff, es langsam hob, nun erreichte es die Lippen. Da trat Jakob schnell vor, holte aus – das Glas flog in einem Bogen gegen die Wand. Die Flüssigkeit spritzte über die Fliesen. Ein merkwürdig beißender Geruch verbreitete sich im Zimmer.

»Dummkopf!« sagte der Mann mit der Maske. Er machte ein paar Schritte im Raum, blieb stehen, hob die Maske über seinen Kopf, stellte sie auf den Tisch ab. »Dummkopf«, sagte Wladimir noch einmal, »warum mischst du dich in meine Angelegenheiten?«, Er schritt auf und ab. »Weißt du denn nicht, daß dir der Kerl da deine Freundin gestohlen hat? Und du hilfst ihm noch? Wenn er das Glas ausgetrunken hätte, wäre er verrückt geworden, dauernd verrückt, verstehst du? Und ich wäre reich. Petroleumquellen, verstehst du? Ich hätte dich auch nicht vergessen. Niemand hätte mir etwas nachweisen können. Der alte Bose hätte mich gedeckt. Mit dem habe ich doch zusammengearbeitet…«

»Aufmachen!« schrie es, Jakob erkannte O'Keys Stimme. »Aufmachen, sonst brechen wir auf.«

»Ach, Bruder«, sagte der Gymnasiast Jakob, aber er sprach gar nicht wie ein Junge, sondern wie ein uralter, weiser Mann, »ach, Bruder, laß dich doch nicht fangen. Schau, ich habe dich heute den ganzen Tag gesucht, nein, eigentlich nicht gesucht, aber ich habe immer an dich gedacht. Schau, was ich gefunden habe.« Er zog den Zettel aus der Tasche, den Thévenoz geschrieben hatte. »Ich habe ja alles verstanden. Aber dann habe ich die Frau gesucht, weißt du, die Natascha. Das Leben ist so traurig, Bruder.«

Gegen die Türe draußen, immer stärker, das Klopfen. Dann Pause. Deutlich der Befehl: »Ein Brecheisen!«

Wladimir setzte sich auf den Tisch. Er faltete die Hände, nickte. Neben ihm auf dem Tisch grinste die Holzmaske.

»Du hast doch noch Glück gehabt«, sagte Wladimir leise. »Du hast doch wenigstens einmal eine Frau gehabt. Ich war immer allein. Die Frauen haben mich ausgelacht, weil ich häßlich war, weil sie mich komisch fanden. Weißt du, es ist die alte Geschichte. Dann will man Macht haben. Macht! Zufällig hat mir Isaak einmal diese Erpressergeschichte erzählt. Sie ist ja nie ganz aufgeklärt worden. Da habe ich mich dahinter gemacht. So ganz im Versteckten. Ich habe die Frau de Morsier entdeckt, die dahinter stand. Ich habe dann die Sache ausgebaut, mit dem okkulten Zirkel. Und als ich noch die Mittel fand, die Gifte, da konnte ich mit den drei alten Damen machen, was ich wollte. Sie konnten mich nicht verraten, sonst wären sie ins Irrenhaus gekommen. Ich habe ordentlich Geld verdient bei der Sache.« Wladimir schwieg.

»Bruder«, sagte Jakob leise, »die Tür wird nicht mehr lang halten. Willst du ins Gefängnis? Sag mir noch, wo du das Gift hast. Ich will dir gern das Glas bringen, wenn du zu müde bist…«

»Ich danke dir, Kleiner«, sagte Wladimir, und seine Stimme klang weich. »Dort im Kästchen. Ja. Die kleine Flasche. So. Dann noch Wasser. Danke dir. Leb wohl, mein Kleiner. Du bist ein tapferer Bruder. Komm, nimm meine Hand, dann geht's wohl leichter.«

Als O'Key als erster durch die erbrochene Türe eindrang, hielt er einen Revolver in der Hand.

»Hände hoch!« schrie er. Da sagte eine ruhige Stimme:

 

»Wir sind doch in keinem Kriminalfilm, Herr O'Key, stecken Sie das Ding weg. Mein Bruder ist tot.«

Hinter O'Key betrat Natascha das Zimmer. Jakob trat auf sie zu und sagte:

»Ich kann dir doch noch etwas schenken, Natascha«, immer noch klang seine Stimme tief und ruhig, während er auf den Maharaja wies. »Ich habe ihn retten können, aber es war Zufall. Du brauchst nicht zu danken. Leb wohl.«

Auch die Polizisten, die vor der Türe standen, ließen Jakob ungehindert passieren. Er ging in die Villa. Im Speisezimmer saß sein Bruder Isaak, der Advokat.

»Wladimir ist tot«, sagte Jakob. Dann setzte er sich neben den Advokaten. Beide schwiegen. Maman Angèle betrat das Zimmer.

»Packen Sie das Notwendigste für uns beide«, sagte der Advokat. »Wir wollen verreisen.«

»Ja, ja«, sagte Maman Angèle. »Der arme Herr Wladimir! Mit mir war er immer gut. Aber was ist da zu machen?«

»Nicht viel«, sagte Isaak. Maman Angèle ging hinaus. Die beiden Brüder starrten vor sich hin.

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